Rechtsbegehren

Öffentliches
Verfahrensrecht (Master)
Rechtsbegehren und
Beschwerdeentscheid
5. April 2016
Prof. Dr. Stefan Vogel
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Vorbereitung/Grundlagen
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KIENER/RÜTSCHE/KUHN,
Rz. 1297-1300, 1610-1705
KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI,
Rz. 651-665, 686-691,
1007-1021, 1145-1198,
1515-1537, 1634-1673
RHINOW/u.a., Rz. 927-973,
1366-1376, 1609-1623,
1676-1707, 1978-1996,
2038-2075
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Beschwerdeschrift
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Rechtsbegehren
Begründung
Bezeichnung Beweismittel
Unterschrift
allenfalls kurze Nachfrist
zur Verbesserung
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Rechtsbegehren
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umreisst Streitgegenstand, muss verlangte
Rechtsfolge angeben
bei Gutheissung -> Übernahme in Dispositiv
Möglichkeit von Eventual- oder Nebenanträgen
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Begründungspflicht/Rügeprinzip
Untersuchungsmaxime
iura novit curia
Begründungspflicht
Rügeprinzip
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Neue Vorbringen (Noven)
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neue Rechtsbegehren, welche den
Streitgegenstand (gegenüber Vorinstanz)
erweitern oder ändern, sind unzulässig
neue Tatsachen und Beweismittel sind vor
BGer nur noch eingeschränkt zulässig
neue rechtliche Argumente können auch vor
BGer noch vorgebracht werden
Geltendmachung darf generell keinen
Verstoss gegen Treu und Glauben bedeuten
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Besetzung/Spruchkörper
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Dreierbesetzung als Regelfall bei BVGer und
BGer (Art. 21 I VGG, Art. 20 I BGG)
Fünferbesetzung in grundsätzlichen Fällen
(Art. 21 II VGG, Art. 20 II-III BGG)
Einzelrichter zur raschen Entscheidfindung
oder in klaren Fällen (Art. 23, 39 VGG,
Art. 32, 108 BGG)
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Aktenzirkulation/Beratung
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Aktenzirkulation als Regelfall
In den Fällen von Art. 41 II VGG und Art. 58 I
BGG erfolgt eine mündliche Beratung, beim
BGer ist diese grundsätzlich (publikums-)
öffentlich (Art. 59 I BGG), beim BVGer unter
den Voraussetzungen von Art. 41 III VGG.
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Beschwerdeentscheid
Sachentscheid
• Gutheissung:
reformatorisch oder
kassatorisch
(Rückweisung)
• Abweisung
Prozessentscheid
(Nichteintreten)
bei Fehlen von
Verfahrensvoraussetzungen
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Abschreibungsentscheid
bei Wegfall
Verfahrensgegenstand
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reformatio in peius/melius
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Art. 62 VvWG
Spannungsverhältnis zur Dispositionsmaxime, wonach Parteien über den
Streitgegenstand verfügen
Sachzusammenhang zum Streitgegenstand
muss gewahrt bleiben
Wahrung rechtliches Gehör
BGer darf nicht über Parteibegehren
hinausgehen (Art. 107 I BGG)
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Gliederung Beschwerdeentscheid
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Rubrum
Zusammenfassung Sachverhalt
Erwägungen/Begründung
Dispositiv (Entscheidungsformel)
Eröffnungsformel
Unterschriften
Rechtsmittelbelehrung
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Kostenfolgen/PE
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Art. 63 ff. VwVG, Art. 62 ff.
BGG
VKEV, VGKE, TGB
Unterliegerprinzip
Spezialfall Gemeinwesen
Kostenvorschuss
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Unentgeltliche Rechtspflege
Unentgeltliche Prozessführung
Unentgeltliche Rechtsvertretung
• bedürftige Partei
• Begehren nicht zum Vornherein
aussichtslos
• zur Wahrung der Rechte notwendig
Art. 65 I VwVG
Art. 64 I BGG
Art. 65 II VwVG
Art. 64 II BGG
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Öffentlichkeit
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Öffentliche Verkündung
Publikation (Urteils-Sammlung, Internet)
Art. 30 III BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK
Art. 29, 42 VGG, Art. 27, 59 III BGG
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Wirkungen Entscheid
formelle
Rechtskraft
materielle
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Fälle/Diskussion (1/6)
Beschwerdebegründung:
In BGE 134 II 244 ff. hatte das Bundesgericht eine Beschwerde zu beurteilen,
welche sich in der Abfassung nur in einigen wenigen untergeordneten Punkten
von derjenigen unterschied, welche der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer
bereits vor kantonalem Verwaltungsgericht eingereicht hatte.
Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer meinte dazu, es sei weder nötig
noch gesetzlich gefordert, das Rad neu zu erfinden und zu jedem
Gegenargument des (kantonalen) Gerichts in neuen Worten Stellung zu
nehmen. Dies würde lediglich das Budget der Beschwerdeführer übermässig
belasten. Im Übrigen gelte nach wie vor der Grundsatz «iura novit curia».
Wie geht das Bundesgericht mit solchen Fällen um?
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Fälle/Diskussion (2/6)
reformatio in peius vel in melius:
Der Gemeinderat Kriens verpflichtete X, diverse auf dessen Grundstück im
Krienser Hochwald errichtete Bauten zu beseitigen, da hierfür nie eine
Baubewilligung eingeholt worden war und die Bauten auch nachträglich nicht
bewilligt werden konnten. Gegen diese Verfügung erhob X Beschwerde ans
Verwaltungsgericht Luzern. Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde
teilweise gut und reduzierte den Abbruchbefehl hinsichtlich seines Umfangs.
Dagegen erhob wiederum das (zuvor am Verfahren nicht beteiligte) ARE
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht und
beantragte den Abbruch sämtlicher Bauten und Anlagen. Das Bundesgericht
hat diese Beschwerde gutgeheissen. (vgl. BGE 136 II 359 ff.)
Wie lässt sich diese reformatio in peius begründen?
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Fälle/Diskussion (3/6)
Kostentragung:
In BGE 129 IV 206 ff. auferlegte das Bundesgericht die Gerichtskosten dem
Anwalt der unterliegenden Partei, da nach Auffassung des Gerichts die
Unzulässigkeit der Beschwerde bei einem Minimum an Sorgfalt sofort
erkennbar gewesen wäre. (vgl. auch BGer 2C_223/2010)
Auf welche Rechtsnorm lässt sich dieses Vorgehen abstützen?
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Fälle/Diskussion (4/6)
Urteilspublikation:
Im BGE 133 I 106, 109, zugrundeliegenden Verfahren verlangte die
Beschwerdeführerin, eine Publikation des bundesgerichtlichen Entscheids
dürfe nur mit ihrer Zustimmung erfolgen, und es sei ihr Gelegenheit zu geben,
die Abdeckung von Textpassagen zu verlangen, welche Rückschlüsse auf ihre
Identität erlaubten und/oder Geschäftsgeheimnissen oder anderen privaten
Geheimhaltungsinteressen der Beschwerdeführerin zuzuordnen seien.
Wie ist mit diesem Begehren umzugehen?
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Fälle/Diskussion (5/6)
Rechtskraft:
X beantragte beim Migrationsamt des Kantons Y eine Verlängerung seiner
Aufenthaltsbewilligung. Daraufhin verlangte das Migrationsamt für das
anstehende Verfahren einen Kostenvorschuss von Fr. 300.-- und machte
darauf aufmerksam, dass im Säumnisfall auf das Verlängerungsgesuch nicht
eingetreten werde. Da X den verlangten Kostenvorschuss nicht innert der
angesetzten Frist bezahlte, erledigte das Migrationsamt das Verfahren durch
Nichteintreten. Das Migrationsamt stellte fest, dass X die Schweiz zu verlassen
habe. Ein anschliessendes Rechtsmittelverfahren verlief zufolge weiterer
Versäumnisse im Sande. Auf ein erneutes Ersuchen von X, sein Gesuch
materiell zu prüfen, trat das Amt nicht ein, da das ausländerrechtliche
Verfahren gegen X «seit längerer Zeit rechtskräftig abgeschlossen» sei. (vgl.
BGer 2C_352/2009)
Handelte das Migrationsamt korrekt?
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Fälle/Diskussion (6/6)
Koordination innerhalb der Gerichte:
In einem Artikel vom 19. Februar 2016 spricht die NZZ davon, dass es am
Bundesgericht mit seinen Abteilungen sieben «Königreiche» gebe, die
«unabhängig voneinander Recht sprechen und die unterschiedlich agieren».
Wie wird innerhalb von BGer und BVGer die Koordination der Rechtsprechung
sichergestellt?
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