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Ausland
Rap und Hip-Hop waren einst die wütende Antwort der Unterschichtsjugend aus der Großstadt auf ihre Ausgrenzung und
Diskriminierung. In der Schweiz nehme einem diese Wut aber
niemand ab, findet Snook, es gehe den Menschen zu gut. „Das
Bündnerland ist halt nicht die Bronx“, sagt er. Er hat seine
Wut daher in Happiness gekleidet, eine sehr schweizerische
Art der Subversion. Eines der wenigen Lieder, in denen er sich
explizit politisch äußert, ist „Weniger – Meh“: „Meh schwarz
und wiß, weniger SVP. Weniger Blick und meh Hip-Hop-KulGlobal Village Ein Hip-Hopper rappt auf
tur“, rappt er da. Der „Blick“ ist eine der großen BoulevardRätoromanisch und wird zum
zeitungen der Schweiz; die SVP, die nationalkonservative
Schweizerische Volkspartei, steht für die Abschottung gegen
Symbol für eine weltoffene Schweiz.
Asylbewerber, Zuwanderer und die EU. Bei den Nationalratswahlen im Oktober holte sie fast 30 Prozent der Stimmen. Daine Poolparty auf einer Dachterrasse, junge Menschen bei sind ein Viertel der Menschen in der Schweiz Ausländer,
feiern, sie knutschen, planschen und trinken; dazwischen rund 36 Prozent der Schweizer haben zudem Migrationshintersitzt Snook, er wippt mit dem Kopf und singt: „Es goth grund, das sind fast doppelt so viele wie in Deutschland.
Kein Wunder also, dass Snooks Musik spätestens seit dem
miar guat, i han alles, won i brucha.“ Happy-Rap nennt Snook
das, was er in dem Video macht, und es zeigt, wie er sich das Wahlsieg der SVP von vielen als politisches Statement interLeben in der Schweiz vorstellt: ausgelassen und fröhlich. Leider pretiert wird. Das liegt auch daran, dass seine Großmutter aus
sieht die Realität ein bisschen anders aus, deshalb macht er Brasilien stammt – und seine Haut dunkler ist als die der meissich gerade sehr viele Sorgen um seine Heimat. Snook, 30, ten Schweizer. Oft wird er für einen „Secondo“, ein Einheißt bürgerlich Gino Clavuot, er ist Hip-Hopper, vielleicht wandererkind, gehalten. Er sei wütend über diesen Rechtsruck
aber eher ein Anti-Hip-Hopper, denn Gewalt, Drogen und Sex in seiner Heimat, sagt Snook, die SVP mache mit den Ängsten
der Schweizer Politik. Im Wahlkampf veröffentlichten die Nationalkonservativen das Musikvideo
„Welcome to SVP“; darin stutzt
Christoph Blocher, einer der reichsten Männer des Landes und einer
der Vizepräsidenten der Partei,
mit einer Nagelschere den Rasen.
Ein anderer SVP-Politiker bewacht,
mit einem Nudelholz bewaffnet,
das Bankgeheimnis. Wieder ein
anderer schaufelt Geldscheine in
eine Waschmaschine. Das Video
sollte ironisch wirken, die Botschaft aber war: Die Schweiz soll
bleiben, wie sie ist – weiß, bieder
und abgeriegelt.
Das ist nicht die Schweiz, die
Snook sich wünscht. Doch ausgerechnet er, der unpolitische HipHopper, der fürchtet, auf Politik
reduziert und von ihr instrumentalisiert zu werden und sich ständig
Musiker Snook: „Das Bündnerland ist halt nicht die Bronx“
erklären zu müssen, ist jetzt zur
gibt es in seinen Songs nicht. Das geht vielleicht auch schlecht, Identifikationsfigur für die liberale Schweiz geworden. „E ganzi
wenn man auf Schwizerdütsch und Rätoromanisch rappt und Nation stoht hinder dier“, kommentierte ein Leser unter einem
aus einem Bergdorf im Engadin kommt, 1400 Höhenmeter, 300 Artikel über Snook im Netz. „Das Lied ist voller guter Laune
und spiegelt gut die farbige, frohe und offene Schweiz, wie sie
Einwohner.
„Ich will positive Messages verbreiten“, sagt Snook, er be- für mich ist und hoffentlich auch bleibt“, schwärmte eine
stellt Wasser und Espresso, dabei wirkt er durch und durch Leserin über den Song „Momento“.
Mit 30 Jahren ist das schon ziemlich viel, wofür er plötzlich
positiv, ausgeschlafen, gut gelaunt und ausgesprochen höflich.
Seine Musik ist eine Mischung aus Hip-Hop und Heimatliebe, stehen soll. Dabei ist er eigentlich noch Student der Wirtschaftsbei dem Musikprojekt „So klingt die Schweiz“ repräsentierte wissenschaften in Zürich, gerade schreibt er seine Abschlusser das Rätoromanische, die vierte Landessprache neben arbeit. Morgens sitzt er in der Universitätsbibliothek und brütet
Deutsch, Französisch und Italienisch. Vier Musiker sangen zu- über seinen Büchern, abends denkt er sich zu Hause neue Songs
sammen in ihrer jeweiligen Sprache den Song „Momento“, aus. Vor Kurzem hat er ein neues Lied veröffentlicht, auf Rätoeine Hymne auf Einheit in Vielfalt. Einen Tag nachdem das romanisch natürlich, es heißt „Che bel di“, „Welch schöner
Lied als Download erschienen war, kletterte es auf Platz eins Tag“. Es ist ein Lied über das kleine Alltagsglück. Snook ist
der iTunes-Charts. In den Kommentarspalten der Umsonstzei- seinem Stil treu geblieben, er hat sich wieder mal entschieden,
tung „20 Minuten“ diskutierten die Leser, ob „Momento“ die das Positive zu sehen. Was die Schweizer in ihm sähen, sagt er,
Schweiz beim Eurovision Song Contest vertreten solle und ob liege sowieso nicht in seiner Hand.
Maximilian Kalkhof
es die neue Nationalhymne werden könne.
Mail: [email protected]
Einfach guat
CLAUDE MEIERHOFER
E
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DER SPIEGEL 2 / 2016