34 KULTUR BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE DONNERSTAG, 22. OKTOBER 2015 Zwei rivalisierende Brüder und Macbeth Programm Das Vorstadttheater startet in eine fulminante 41. Spielzeit und begeht 2016 Shakespeares 400. Todestag VON VERENA STÖSSINGER Man sieht ihnen die Vorfreude an, dem künstlerischen Leiter Matthias Grupp, der Hausschauspielerin Gina Durler und Michael Burkhardt, dem PR-Mann und Leiter des Betriebsbüros – auch wenn die Saisoneröffnung natürlich alle Kräfte braucht und bindet. Gestartet wird die 41. Spielzeit am 23. Oktober mit Jake & Pete’s «Big Reconciliation attempt for the disputes from the past», einem belgischen Stück über zwei rivalisierende Brüder (Mentor: Alain Platel). Trotz des spröden Titels ein absurd humorvolles Körpertheaterstück fast ohne Worte «für alle ab 12» – und dazu passt wunderbar die Wiederaufnahme von Sarah und David Speisers «Grosser Bruder», einem Erfolgsstück der letzten Spielzeit (wieder ab 31. 10.). Solche Bündelungen hätten sich nämlich durchaus bewährt, sagt Gina Durler: «Manche Zuschauer wollen ein Thema gerne vertiefen, und ausserdem wirbt die eine Produktion dann gleich auch für die andere.» Ein zweites thematisches «Doppelpack» folgt ab 24. Oktober mit «Aus dem Lehm gegriffen» der Thalia Kompagnons aus Deutschland: einem Stück (ab 4 Jahren), das sich buchstäblich aus einem Klumpen Lehm heraus entwickelt, sowie «A Mano» vom spanischen Piatro Teatro (ab 14. November, für Zuschauer ab 6 Jahren), der Geschichte einer Tontasse, die gern in die Welt hinaus möchte. Zwei kleine Kostbarkeiten, die das Haus beleben, während Matthias Grupp, Gina Durler und ihre Kollegen im Schauspielhaus zugange sind: Andreas Beck, der neue Intendant vom Basler Theater, hat die All age-Theaterprofis nämlich, nachdem er eine Vorstellung von ihnen sah, gleich zu einer Koproduktion eingeladen. Über das Böse nachdenken Matthias Grupp inszeniert den «Gestiefelten Kater» (Premiere 27. 11.). «Wir spielen ja sonst nie Märchen», gibt er zu, «aber in der Fassung von Thomas Freyer erzählt dieser Grimm-Text doch ganz existenziell von Identität, von Lebenswünschen und von Effizienz». Natürlich gibt es im Schauspielhaus andere Abläufe und technisch viel mehr Möglichkeiten, «aber wir sind sehr warm willkommen geheissen worden», sagt Gina Durler, die den Diener Gustav spielen wird. Die Proben sind angelaufen; und die Aufführung wird das Vorstadttheater dann auch für jene Zuschauer sichtbar machen, die es bisher noch nicht kannten. Eine zweite «grosse Kiste» – nach der (umbesetzten) Wiederaufnahme von Ruth Oswalts Familienstück «Struw- Ein paar grosse Kisten bietet das Vorstadttheater in der kommenden Spielzeit – so auch ein Stück über zwei streitende Brüder, das fast ohne Worte auskommt. welväter» im Januar – wird dann ab Mitte April im Hinterhaus an der St. Alban-Vorstadt selbst aufgemacht: eine Inszenierung des «Macbeth»-Stoffes nämlich. Anlass ist zum einen William Shakespeares 400. Todestag und zum anderen der Wunsch, für Kinder (ab zehn Jahren) mit theatralischen Mitteln über das Böse nachzudenken: Darüber, woher es kommt und was es vermag. Für Erwachsene interessant wird dann auch sein, Verdis «Macbeth»-Oper im Theater Basel daneben zu stellen, die auch Mitte April herauskommt; im Vorstadttheater selbst wird die zweite Spielzeithälfte sich weiter extensiv mit Shakespeare beschäftigen. Gastspiele sind geplant, Lesungen, ein «Sommernachtstraum» im Wald. Und bis es soweit ist, wird sich hoffentlich auch die kulturpolitische Situation soweit geklärt haben, dass wieder kräftig vorwärtsgeplant werden kann. Das Vorstadttheater ist abhängig von der Subvention auch aus dem Kanton Baselland, wo jetzt bekanntlich (auch) VON VERENA STÖSSINGER Ein Mann, ein Tisch, ein Stuhl, dahinter lose drapierter Tüll über einer Stellwand. Auf dem Tisch ein Buch; der Mann (Robert Baranowski) öffnet es und beginnt zu lesen, steht aber bald auf, tritt hinter die Stellwand, kommt zurück im ausgestopften geblümten Kleid, mit Glitzerstrümpfen und einer hässlichen Perücke. Und seine Figur, Aglaja Veteranyis «Mamaia», sehen wir, ist zwar alt und schäbig geworden, aber sie ist noch immer selbstbewusst, beweglich und zu Spässen aufgelegt – vor allem in den kleinen szenischen Nummern, mit denen sie ihren Monolog aufpeppt. Was wir hören im schönen neuen Foyer vom Theater am Bahnhof in Dor- nach ist der illusionslose Lebensrückblick einer alternden Frau. Einer Zirkuskünstlerin, Geliebten und Mutter, die noch immer Ehrgeiz, Sehnsüchte, Desillusionierung und den Alltag als Familienfrau und Emigrantin aus einem armen, undemokratischen Land zusammenzubringen versucht. Vom ersten Mann kann sie nichts mehr erwarten – «Er Schwein aber grosse Artist» –, der zweite hatte «Kreps», die einzige Tochter jedoch soll die ganz grossen Träume leben. «Mein Kind ist zweite Marilyn Monrou», sagt sie; sie soll den Prinzen von Monaco heiraten oder jemanden wie Carlo Ponti und dabei weiter erfolgreich Bücher schreiben (wobei: «sie haben alles Idee von mir»). Die Welt ist dabei stets sehr klar aufgeteilt in Gut und Böse, Arm und Reich, Hier und Dort; nichts gibt es zwischen «Katastroph», «taca-taca», «Lügen» und andererseits «Respekt», aber auch zwischen Mann und Frau, Rumänien und Schweiz. Sie weiss alles, vergisst nichts und sagt sogar dem lieben Gott ihre Meinung. Das ist oft komisch, manchmal berührend, gelegentlich zuckt man auch zusammen. Etwa bei Sätzen wie: «Hier Leute nicht wie rumänische Leute / Hier haben alle warme Wasser in die Bad und in die Herz haben Schnee». Schreiben als Ausbruchversuch Es ist ein gebrochener Text, den wir von der Bühne hören. Rein sprachlich zunächst. Nicht nur die Mutter, sondern auch ihre Tochter, die seit dem Roman «Warum das Kind in der Polenta kocht» berühmte Autorin, hat sich das Deutsche ja erst aneignen müssen. Und die Geschichte, die uns hier in Fragmenten erzählt wird, ist autobiografisch – Aglaja Veteranyi (*1962 in Bukarest), die sich 2002 in Zürich das Leben nahm, war ein schon früh in Rollen und Räume hinein gezwungenes Kind und hat sich übers Schreiben einen Zugriff auf ihr Leben erkämpft. «Der Stoff war immer derselbe», sagt der Autor Jens Nielsen, ihr Lebenspartner, im Gespräch, das sich an die Werkstattauf- bei der Kultur massiv gespart werden soll, bei der Kulturvertragspauschale gar um 50 Prozent. «Das sind Überlebensfragen», sagt Betriebsbüro-Leiter Michael Burkhardt. «Aber man weiss ja noch nicht, wen es trifft.» Die zuständige Baselbieter Regierungsrätin, Monica Gschwind, wolle sich «möglichst bald» dazu äussern. Klassik-Wettbewerb «Was ist die Welt? Katastroph!» Theater am Bahnhof Aglaja Veteranyis Stück «Mamaia oder Traurigkeit machen dich alt» ist komisch-berührend. ZVG Basel sucht den Superkomponisten führung anschloss: ihr Lebensstoff, das beengende «Museo de Familia», wie die Mutter es nennt, und der Versuch, daraus auszubrechen. Ursina Greuel, die Regisseurin und Initiantin der «Stückbox»-Reihe, wollte, wie sie sagt, verhindern, dass der Text «naturalistisch» über die Rampe kommt. Deshalb die Verfremdung mit einem männlichen Darsteller, und deshalb auch der leicht groteske komödiantische Zugriff, der die «Module», diese lose aneinander gereihten Fragmente des Textes, wie einzelne Nummern freistellt, sie rhythmisiert und dabei immer auch wieder die Rampe überspielt, um das Spiel als Spiel erkennbar zu machen. Entstanden ist in der Werkstattreihe, die neue Theaterstücke zur Diskussion stellt, eine eindrückliche Aufführung. Mit wenig Proben und technischem Aufwand. Aber der Text braucht erstmal nicht mehr. Er ist eine kleine Entdeckung; geborgen aus dem Nachlass der Autorin, der im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern aufbewahrt wird. Vom 16. bis 19. Februar 2017 wird erstmalig die «Basel Composition Competition» (BCC) stattfinden. Der neu gegründete internationale Kompositionswettbewerb steht unter der Leitung des Jurypräsidenten Wolfgang Rihm und ist mit einem Preisgeld von 100 000 Franken dotiert. Der Basler Musikmanager Christoph Müller, welcher die BCC in Zusammenarbeit mit der Paul Sacher Stiftung initiierte, beabsichtigt damit, die weltweit spannendsten Komponistinnen und Komponisten nach Basel zu holen und deren Werke durch Basler Orchester uraufführen zu lassen. Der Wettbewerb steht damit im Geiste des 1999 verstorbenen Dirigenten und Mäzens Paul Sacher. Die BCC bewertet neue, noch nicht aufgeführte Orchesterwerke. Unter allen Einsendungen werden zehn Kompositionen durch die Jury, bestehend aus Wolfgang Rihm, Michael Jarrel, Oliver Knussen und Felix Meyer, ausgewählt. Die ersten drei Werke werden ausgezeichnet. (NCH)
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