Eröffnungsvortrag und Bilder

Ausstellungseröffnung
Hildegard von Bingen –
Visionärin, Heilkundige, Mahnerin, Kirchenlehrerin
am 14. August 2015, 19.30 Uhr
Sr. Dr. M. Theresia Wittemann OSF
Hildegard? Eine Frau, die wirklich gelebt hat, eine Heilige?
Vor allem doch dies: ein Label, mit dem sich seit einigen Jahrzehnten alles, was Gesundheit
und Lebensverlängerung verheißt, recht gut verkaufen lässt! Hildegard von Bingen, ist das
nicht so etwas Ähnliches wie Klosterfrau Melissengeist?
Hier verschwinden für wohl die meisten unserer Zeitgenossen die Person und ihre Botschaft
hinter Kommerz und Kampagne und entsprechend schwer tut sich die katholische Kirche
gerade heute damit, die Heilige und Kirchenlehrerin einer nicht kirchlichen Öffentlichkeit
nahezubringen.
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Hochwürdigster Herr Abt,
liebe Patres und Fratres,
lieber Herr Dr. Brandl, liebe Sr. Evita, liebe Frau Schilhabel,
liebe Freunde und MitarbeiterInnen der Abtei,
liebe Gäste, sehr geehrte Damen und Herren,
ein herzliches Willkommen am Vorabend des Hochfestes Mariä Himmelfahrt, das nicht nur
durch die Kräuterweihe eine Verbindung zu Hildegard aufweist, die als Heilige und Heilkundige Künderin des Heils im Vollsinn geworden ist!
Ich möchte Ihnen nicht das Leben dieser Frau nacherzählen, denn dann würde ich die
Ausstellung herabsetzen, die von DEN Expertinnen für die heilige Hildegard kuratiert wurde,
nämlich ihren Mitschwestern aus dem von ihr gegründeten Kloster Eibingen bei Rüdesheim.
Doch gestatten Sie mir zur Eröffnung einige Schlaglichter auf ihr Leben und Werk zu werfen:
Fast tausend Jahre trennen uns von dieser 1098 geborenen Frau, die als zehntes Kind ihren
Eltern geschenkt worden war – und doch ist sie, sucht man sich ihr nur hartnäckig genug
anzunähern – als Mensch überraschend modern:
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Als Visionärin gewann sie ihre misstrauische kirchliche und das heißt vor allem:
männlich dominierte Umwelt dadurch, dass sie dem einflussreichsten Mann ihrer
Zeit, Abt Bernhard von Clairvaux, selbst ein Mystiker mit einer ausgeprägten
visionären Begabung für die Geheimnisse der Mutterschaft Mariens, das Urteil über
ihre Visionen überließ. Damit machte sie sich auch dessen Schüler, Papst Eugen III.,
auf der Synode zu Trier 1147/48 zu einem Verbündeten.
Als Äbtissin förderte sie durch die Komposition von Liedern und Singspielen die
künstlerischen, musikalischen und tänzerischen Fähigkeiten ihrer Schwestern.
Gleichzeitig war sie als Angehörige des Adels auch ausgesprochen standesbewusst:
und nahm zumindest in ihr erstes Kloster der Tradition folgend nur adelige junge
Frauen auf.
Mehr als hochbegabt, gründete ihr Selbstbewusstsein jedoch in ihrem
Sendungsbewusstsein, jenem Auftrag Gottes, „Schreib, was du siehst“ - dem sie sich
nicht ohne inneres Widerstreben im Gehorsam unterworfen hatte.
Ja, dieser Gehorsam – er könnte gerade das Unmoderne, Antiquierte an dieser Frau
sein, wäre er in ihrem Fall nicht mit der größtmöglichen Furchtlosigkeit gegenüber
Menschen verbunden. Hildegard besaß eine Klugheit, die ihresgleichen suchte, sie
war universal gebildet und hatte kraft ihrer außergewöhnlichen Nähe zu Gott eine
nahezu intime Kenntnis von physischen und psychischen Vorgängen im Mikrokosmos
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Mensch und eine dichterische Begabung, das, was ihr im Geiste an kosmologischen
Vorgängen bewusst wurde, in unnachahmlichen sprachlichen Bildern wiederzugeben.
Da nimmt es nicht Wunder, das sich bereits der junge Professor Joseph Ratzinger in seiner
Bonner Zeit intensiv mit ihr auseinandersetzte. 1994 schreibt der Kardinal in einem
Grußwort an die Hildegard-Gesellschaft: „Heute steht Hildegard in ihrer ganzen kühnen
Universalität vor uns. Wir fühlen uns angesprochen durch ihre liebevolle Zuwendung zu den
heilenden Kräften der Schöpfung wie durch ihre vielseitige künstlerische Begabung, vor
allem aber durch ihre eindringliche Glaubensverkündigung; sie ist uns daher nahe als eine
Frau, die Christus in seiner Kirche liebte, aber nichts von Weltfremdheit oder Ängstlichkeit
zeigt, sondern gerade von ihrer Berührung mit den Geheimnis Gottes her ihrer Zeit das
rechte Wort furchtlos und frei zu sagen vermochte.“
Ohne auf den wissenschaftlichen Disput eingehen zu wollen, inwieweit Hildegard, die sich –
vermutlich aus pragmatischen Gründen - ausschließlich als ungelehrte und ungebildete Frau
gerierte,1 Zugang zur erwiesenermaßen fundierten Disibodenberger Klosterbibliothek hatte,
können wir doch festhalten, dass sie das antike Wissen um den Kosmos, aber auch so
beliebte Vorstellungen wie die Sphärenharmonie, die Cicero in seinem Somnium Scipionis
(de re publica, 6. Buch) mitgeteilt hat, mit biblisch-christlicher Weltsicht verbindet und sich
so auf der Höhe ihrer Zeit befand: „Mühelos kann sie neben den bedeutendsten ihrer
Zeitgenossen im 12. Jahrhundert bestehen. Die Benediktinerin Hildegard zeichnet sich
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dadurch aus, dass sie in ihren Werken das Zusammenspiel von Einsicht und Empfindung
angesichts der göttlichen Selbstmitteilung zu [besser: ins] Wort bringt, und zwar auf ihre
einzigartige Weise in ergreifenden Bildern“2.
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In der jüngsten Enzyklika von Papst Franziskus, jener ersten Verlautbarung, die sich
ausschließlich der Schöpfungsverantwortung des Menschen widmet, kommt
Hildegards Name zwar nicht vor, doch die Botschaften gleichen sich, vor allem in der
positiven, hoffnungsvollen Ausprägung des Menschenbildes. Im Buch „Vom Wirken
Gottes“ schreibt die Mahnerin:
„Der Mensch ist nämlich das vollkommene Wunderwerk Gottes, weil Gott durch ihn erkannt
wird und weil Gott alle Geschöpfe seinetwegen erschaffen hat. Ihm hat Er mit dem Kuss der
wahren Liebe gestattet, durch seine Vernunft Ihn zu preisen und zu loben“ (a.a.O. S. 196f.)
und in „Ursprung und Behandlung der Krankheiten“ heißt es: „O Mensch: Sieh den
Menschen an! Der Mensch hat nämlich Himmel und Erde und die anderen Geschöpfe in sich
– in ihm ist alles verborgen -, und doch ist er eine einzige Gestalt“ (a.a.O. S. 26f).
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Krankheit beginnt nach Hildegards Einsicht mit der Trennung von Gott und damit
gewissermaßen dem Verlust himmlischer Heilkräfte, was wiederum innere
Trostlosigkeit und Gottvergessenheit erzeugt. So war sie wohl auch die erste
Heilkundige, die in einem umfassenden Werk die Trias Körper – Seele – Geist, die
schon in der frühen Kirche und spätestens mit Augustinus zugunsten einer Betonung
des Seelenheils aufgespalten wurde und in einer dem Evangelium fremden
Gegensätzlichkeit bis heute latent als Leibfeindlichkeit nachwirkt, als Einheit betonte
und einen - modern gesprochen - ganzheitlichen Ansatz vertrat. Wer in Hildegard
also nur die Garantin körperlichen Wohlbefindens sehen will, betrügt sich selbst um
den tieferen Kern ihrer Botschaft.
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Sie war eine gute Leiterin ihrer Frauengemeinschaft und verbot extreme
Frömmigkeitsübungen. Denn Maß halten – dieser benediktinische Grundsatz ist die
Basis hildegardischer Lebensweise. Zu einer Zeit, in der Askese und Selbstkasteiung,
ja Selbstzerstörung ein Ausweis für persönliche Heiligkeit waren – man denke nur an
Hildegards Lehrerin und geistliche Mutter Jutta von Sponheim, nach deren Tod die
Schwestern erschüttert vor einem ausgemergelten, von Dornenketten, die tief ins
Fleisch gewachsen waren, mehrfach umwundenen Körper standen – da gehörte
großer Mut dazu, die Bedürfnisse des Körpers nicht nur anzuerkennen, sondern sogar
als gottgewollt zu betrachten.
Andererseits gilt auch hier, was Jesus im Evangelium als Vorwurf zurückweist: Arzt, heile dich
selbst (Lk 4,23) – Hildegard, die bereits zu Lebzeiten als Heilende, Heilspendende verehrt und
aufgesucht wurde, lag häufig auf dem Krankenbett, unfähig sich zu rühren. Sie war von
Schwäche und Zweifel geplagt – die nichtekstatische Schau, die ihre Auserwählung
manifestierte, bildete gleichzeitig die Grundlage für Phasen großer geistiger Dunkelheit, in
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denen uns diese Frau auch heute noch als Schwester und Schicksalsgenossin erscheint.
Immer wieder neu hat sie sich ausgerichtet auf den Willen Gottes, der für sie alles in allem
geworden war.
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Schließlich war Hildegard trotz der öffentlichen Rolle, die sie von Stand und Amts
wegen, besonders aber aufgrund ihres göttlichen Auftrags besaß, ein Mensch, dem
Beziehung, Freundschaft und Vertrauen wichtig waren: Sie hatte Vertraute: unter
ihren Geschwistern, ihren Mitschwestern - besonders Richardis von Stade - und den
Mönchen vom Disibodenberg, allen voran Volmar (gest. 1173), der sie von Jugend auf
begleitete und vom Lehrer zum treuen Sekretär (ab 1141) wurde. Ihrem zweiten
Mitarbeiter, dem Mönch Gottfried (gest. um 1176), verdanken wir schließlich den
Entwurf einer ersten Biographie, sofern sie nicht schon in den Werken Hildegards
selbst rekonstruierbar ist. (3. Sekretär: Wibert von Gembloux). Auch ihr Bruder Hugo
stellte sich ihr in ihrem letzten Lebensjahr als Helfer und Berater zur Verfügung.
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In der Kraft des göttlichen Auftrages trat sie dem Machtmissbrauch, den Intrigen und
der Lauheit in Kirche und Politik entgegen. Sie unternahm Predigtreisen, die sie weit
im Rheinland diesseits und jenseits des Rheins und der Mosel herumführten - und bis
nach Franken gingen3, besuchte Konvente, mit denen sie im Briefwechsel stand und
erörterte auch theologische Fragen; sie predigte – heute von einer Ordensfrau kaum
mehr vorstellbar – sogar auf öffentlichen Plätzen. 2012 von Papst Benedikt XVI. zur
Kirchenlehrerin erhoben, mag sie neben den drei anderen – Teresa von Avila,
Katharina von Siena und Thérèse von Lisieux – eher sperrig erscheinen, doch hat der
Papst gerade die über 850 Jahre hin ununterbrochene Verehrung Hildegards als das
zur Heiligsprechung notwendige Wunder anerkannt und gleichzeitig geht bis heute
eine große Faszination von Hildegards Gesamtwerk aus. Das Menschenbild, das sie
vertritt, ich betone es noch einmal - ist ein durch und durch positives – nichts
Geschaffenes wird von ihr verteufelt.
So schreibt sie in der Auslegung des Glaubensbekenntnisses des heiligen Athanasius:
„Die Sinne führen den Menschen zur Gotteserkenntnis und machen ihn zum Abbild
Gottes. Der Mensch aber wurde nach Gottes Abbild und Ähnlichkeit geschaffen,
damit er mit den fünf Sinnen seines Leibes wirkt. Er ist durch sie nicht geteilt,
sondern durch sie ist er weise, wissend und verständig, seine Werke zu vollenden“
(a.a.O., S. 69). Ihr Leben lang wird sie nicht müde, den Schöpfer für seine Geschöpfe
zu preisen und deren unantastbare und unverlierbare Würde zu betonen. Vielleicht
sind es gerade solche Gedanken, die uns in Zeiten von gewalttätigen
Auseinandersetzungen, Ideologien, religiösem Extremismus und einer weltweiten
Flüchtlingsproblematik richtungsweisend sein können.
Dass die Ausstellung aus dem Bistum Limburg hier in Plankstetten gezeigt werden kann, ist
auch der bewährten und für mich immer inspirierenden und sehr angenehmen Kooperation
mit Herrn Dr. Brandl, Direktor der KEB Eichstätt, zu verdanken. Für die praktische Seite der
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Abholung in Frankfurt/M. und den Rücktransport danke ich herzlich Herrn Alexander
Delacroix.
Die biographische Ausstellung wird ergänzt durch Leihgaben des Kristallmuseums
Riedenburg; Frau Scholz-Veits reagierte auf meine Anfrage sehr erfreut und unkompliziert
und scheute schließlich sogar nicht die Mühe, die Exponate selbst anzuliefern. Von den 24
Edelsteinen, auf deren Beschaffenheit und Wirkung Hildegard in ihrem Werk Physica näher
eingeht, haben wir 12 aus der Riedenburger Sammlung ausgewählt – Lassen Sie sich von
ihnen anregen, darüber nachzudenken, dass alles mit allem zusammenhängt und dem
Menschen alles zum Nutzen – nicht zur Verschwendung – zur Achtsamkeit, nicht zur
Missachtung – von Gott geschenkt worden ist. Im Blick auf die Bedeutung und Wirkung der
Edelsteine steht Hildegard in der naturkundlichen Tradition des römischen Schriftstellers
Plinius des Älteren (23 bis 79. n. Chr, de rerum natura) und, weil sie alle Steine behandelt,
die in der Bibel genannt sind, vornehmlich die vom Brustschild des Hohenpriesters und den
12 Toren des himmlischen Jerusalem, auch in der Tradition von christlichen Interpreten der
Offenbarung des Johannes, allen voran jenem bekannten Werk des angelsächsischen
Mönchs Beda Venerabilis der „Expositio/Explanatio Apocalypsis“, geschrieben 710-7163.
Man muss sich nicht eingehend mit Hildegards Ernährungslehre beschäftigen, um immer
wieder auf die Empfehlung von Dinkelgetreide zu stoßen: Nicht zuletzt steht Dinkelmus bei
Hildegardfastenkursen als Hauptspeise auf dem Programm. Näheres dazu kann Ihnen Frau
Christine Schilhabel, langjährige Hildegardfastenkursleiterin, erklären. Seit über 20 Jahren
hat sich die Abtei Plankstetten dank des Engagements von Fr. Richard Schmidt OSB dem
Anbau dieses mineralhaltigen und vitaminreichen Getreides verschrieben; das mit Gold
prämierte Dinkelvollkornbrot sowie die Dinkelkekse von Fr. Bonifatius Holzmann OSB und
schließlich auch das Dinkelbier der Familienbrauerei Krieger in Riedenburg gehören zum
äußerst beliebten Sortiment im Hofladen.
Während der gesamten Ausstellungszeit können Sie sich dort, im Missionsbasar und in der
Buchhandlung über Produkte, die sich auf Hildegards Empfehlung berufen, sowie Leben und
Werk der Heiligen informieren. Gleich jetzt im Anschluss und übers Wochenende wird Ihnen
Frau Christine Schilhabel, Inhaberin des Hildegardladens in Ansbach und ausgewiesene
Kennerin der gesundheitsfördernden, ja heilmachenden Wirkung bestimmter
hildegardischer Lebens- und Heilmittel, Fragen beantworten.
Abschließend möchte ich heute schon einladen zum zentralen Vortrag am 5. September zum
Thema: Hildegard von Bingen – Lehrerin des Glaubens und der Liebe von Sr. Dr. Maura
Zátonyi OSB aus der Abtei Eibingen, die Hildegards Schriften ins Deutsche übersetzt, die
Gesamtausgabe ihrer Werke mitredigiert hat und als Gutachterin für die Erhebung der
Heiligen zur Kirchenlehrerin tätig war.
Bei der Finissage am 10. September wird uns Frau Sabine Vollmert eine Führung durch
wichtige visionäre Szenen aus Scivias geben und Sie haben noch einmal Gelegenheit, bei
Herzwein und Häppchen nach Hildegardrezepten ins Gespräch über die Frau zu kommen,
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der bereits die Zeitgenossen den Beinamen „Prophetissa teutonica“, deutsche Prophetin,
gaben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Anmerkungen:
1 indocta, sed sapienter (ungelehrt, aber weise), wie es die zeitgenössische Vita Hildegardis in enger
Anlehnung an die Vita Benedicti, in der der hl. Benedikt ebenfalls als indoctus sed sapienter
beschrieben wurde, formuliert. (Sr. Philippa Rath, 2013).
2 s. Rainer Berndt SJ: Hildegard von Bingen, Heilige und Kirchenlehrerin. Arbeitshilfen Nr. 258, hrsg.
von der deutschen Bischofskonferenz, 24. September 2012, S. 13. – Alle Hildegard-Zitate stammen aus
dieser Monographie.
3 Außerdem relevant sind: Damigeron (4./5. Jhd.), Hrabanus Maurus (9. Jhd.), Marbod von Rennes (11.
Jhd.) und später noch Albertus Magnus (12. Jhd.).
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