50 SPRITZGIESSEN Niedrigschmelzende Metalllegierungen [FAHRZEUGBAU] [MEDIZINTECHNIK] [VERPACKUNG] [ELEKTRO & ELEKTRONIK] [BAU] [KONSUMGÜTER] [FREIZEIT & SPORT] [OPTIK] Hart und elastisch in einem Metalllegierungen effizient und in höchster Qualität spritzgießen Im Pulverspritzgießen werden seit vielen Jahren Metalle verarbeitet, doch in puncto Effizienz und Produktqualität reicht dieser Prozess an das Kunststoffspritzgießen nicht heran. Erst die Entwicklung neuer Legierungen ermöglicht die Spritzgießverarbeitung von Metallen mit der von Kunststoff gewohnten hohen Wiederholgenauig keit und Gestaltungsfreiheit sowie der Möglichkeit zur einfachen Integration von Bauteilfunktionen und Prozessschritten. Damit sind die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Serienproduktion erfüllt. Im Liquidmetal-Prozess lassen sich auch feinste Strukturen effizient im Spritzgießverfahren abbilden (Bild: Liquidmetal Technologies) D er Markenname „Liquidmetal“ steht für eine Gruppe von Legierungen, die sich ähnlich wie thermoplastische Materialien im Spritzgießverfahren verarbeiten lassen und zudem völlig neue Bauteileigenschaften ermöglichen. Die Zirkonium-Legierungen – sogenannte metallische Gläser – weisen eine amorphe, das heißt nicht-kristalline Struktur auf, die sie extrem hart und gleichzeitig hochelastisch macht. Während Stahl beispielsweise eine Elastizität von 0,2 % und Titan von 1 % aufweist, liegt der Kennwert für Bautei- le aus Liquidmetal-Legierungen um die 2 % – eine Größenordnung, die mit einem sehr guten Rückstellverhalten einhergeht. Darüber hinaus zeichnen sich diese Materialien durch ihr geringes spezifisches Gewicht und eine hohe Korrosionsbeständigkeit aus. Diese Eigenschaften prädestinieren die Legierungen für den Einsatz in mechanisch stark beanspruchten Präzisionsbauteilen (Titelbild). Entwickelt hat die Materialien die Liquidmetal Technologies, Inc. mit Stammsitz in Rancho Santa Margarita, Kalifornien/USA, die auch die Lizenzen für das neue Verfahren vergibt. Die Engel Austria GmbH, Schwertberg/Österreich, ist exklusiver Maschinenbaupartner und liefert als einziger Anbieter weltweit Systemlösungen für die Spritzgießverarbeitung von Liquidmetal-Materialien an die Lizenznehmer. Liquidmetal Technologies stellt den Kontakt zu Werkzeugbaupartnern her und begleitet den Designund Konstruktionsprozess. Die Legierungen werden vertrieben durch die Materion Corporation, Mayfield Heights, Ohio/ USA. © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 7/2015 © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss beim Verlag gesondert beauftragt werden. Niedrigschmelzende Metalllegierungen SPRITZGIESSEN Bild 1. Basis für die neue Spritzgießmaschine ist eine vollelektrische Engel e-motion (Bild: Engel) Schnelles Abkühlen unter Sauerstoffabschluss Für die Verarbeitung der LiquidmetalMaterialien hat Engel auf Basis seiner vollelektrischen Maschinenreihe Engel e-motion eine neue Spritzgießmaschine entwickelt (Bild 1), die sich vor allem auf der Einspritzseite von einer herkömmlichen Spritzgießmaschine für die Kunststoffverarbeitung unterscheidet. Die Metalllegierungen sind in Form von abgelängten Rundstäben erhältlich. Diese Rohlinge werden automatisch einer Schmelzekammer zugeführt (Bild 2), wo das Material im Hochvakuum mittels Induktion aufgeschmolzen wird. Bild 2. Die Liquidmetal-Rohlinge werden automatisch vereinzelt und der Schmelzekammer zugeführt (Bild: Engel) Statt einer Schnecke besitzt die Maschine einen Kolben, mit dessen Hilfe die aufgeschmolzene Metalllegierung in ein temperiertes Werkzeug eingespritzt wird. Die Schmelztemperatur der Liquidmetal-Legierung LM105 zum Beispiel liegt bei 785 °C und damit deutlich niedriger als die Schmelztemperatur der meisten anderen Metalle. Zum Aufschmelzen von Titan werden beispielsweise 1668 °C benötigt. Durch das schnelle Abkühlen unter Sauerstoffabschluss im evakuierten Werkzeug bildet sich die amorphe Gefügestruktur, die für die herausragenden Eigenschaften verantwortlich ist. Für die Entnahme der Bauteile kommen Stan dardroboter – zum Beispiel aus der Baureihe Engel viper – zum Einsatz. Der Anguss lässt sich unter anderem mit einer Wasserstrahlschneidmaschine oder einer mechanischen Schere abtrennen. Auf diese Weise lassen sich Bauteile mit Wanddicken zwischen 0,6 und 4 mm, Kantenlängen bis zu 100 mm und Schussgewichten bis 100 g herstellen. In einem Schritt einsatzfertige Teile – von der Medizintechnik bis zur Luftfahrt Der Liquidmetal-Prozess liefert in einem Arbeitsschritt einsatzfertige Bauteile und bietet damit gegenüber zwei Verfahrensalternativen deutliche Vorteile. Bei der » © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss beim Verlag gesondert beauftragt werden. 51 SPRITZGIESSEN Niedrigschmelzende Metalllegierungen CNC-Bearbeitung werden Metallkomponenten durch Fräsen, Bohren, Schleifen und Drehen einzeln aus einem Metall block herausgearbeitet. Auf diese Weise können dreidimensional anspruchsvolle Präzisionsteile mit einer hochwertigen Oberfläche hergestellt werden. Im Vergleich zum Spritzgießen ist dieses Fertigungsverfahren jedoch sehr zeit- und kostenintensiv. Beim MIM-Prozess (Metal Injection Molding) handelt es sich zwar um ein Spritzgießverfahren, allerdings werden keine Metalllegierungen, sondern mit einem Binder vermengte Metallpulver verarbeitet. Der Binder muss nach dem Spritzgießen thermisch entfernt und der daraus entstehende sogenannte Grünling durch Sintern erst noch zum Fertigteil veredelt werden. Zudem verlangt die beim Sintern aufgeraute Bauteiloberfläche häufig eine Nachbearbeitung. Diese zusätzlichen Prozessschritte können – je nach Wanddicke – sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Verwendung der LiquidmetalMaterialien vermeidet diese Nachteile. Sie ermöglicht die effiziente und wirtschaftliche Fertigung von Präzisionsteilen mit einer hohen Oberflächenqualität. Die RaWerte liegen unter 0,05 µm (Bild 3). Die Zykluszeiten bewegen sich zwischen 2 und 3 min, was wesentlich kürzer ist als die Be- Die Autoren Dipl.-Ing. Dr. Gerhard Dimmler ist Leiter Forschung und Entwicklung Produkte bei der Engel Austria GmbH, Schwertberg/Österreich; [email protected] Dipl.-Ing. (FH) Andreas Prokesch ist Projektleiter für Entwicklungsprojekte bei Engel; [email protected] Heinz Rasinger leitet die Business Unit Teletronics bei Engel; [email protected] Service Ra [µm] 50 25 12,5 6,4 3,2 1,6 0,8 0,4 0,2 0,1 0,05 0,025 0,012 2000 1000 500 250 125 64 32 16 8 4 Gussherstellung Liquidmetal Metallpulver-Spritzgießen (MIM) Druckguss Feinguss Sandguss Mechanische Oberflächenbearbeitung Feinstbearbeitung Läppen Polieren CNC-Bearbeitung Schleifen Drehen Fräsen 2 1 0,5 Ra [µIn] selten gängig © Kunststoffe Bild 3. Der Liquidmetal-Prozess liefert ohne Nachbearbeitung Bauteile mit einer hohen Oberflächengüte und hebt sich außerdem durch seine Effizienz von alternativen Techniken ab (Quelle: Liquidmetal Technologies) 250 Verhältnis Festigkeit zu Gewicht 52 232 MPa ·cm3/g 200 199 177 174 150 120 100 50 0 36 17-4PH Condition H 900 Aluminum 6061-T6 Liquidmetal LM105 Titanium Ti-6AL-4V 316L Annealed 420 Hardened and Stress Relieved © Kunststoffe Bild 4. Verhältnis Festigkeit/Gewicht: Die Metalllegierungen (Bezeichnung der Stahltypen nach US-Standard) erlauben die Herstellung äußerst widerstandsfähiger Bauteile mit einem vergleichsweise niedrigen Gewicht (Quelle: Liquidmetal Technologies) Digitalversion BB Ein PDF des Artikels finden Sie unter www.kunststoffe.de/1045522 English Version BB Read the English version of the article in our magazine Kunststoffe international or at www.kunststoffe-international.com arbeitung in CNC-Zentren. Ein weiterer Vorteil der Verarbeitung von Metalllegierungen ist, dass kein Abfall anfällt, da die Angüsse recycelt werden können. Auf seinem Symposium im Juni 2015 in St. Valentin präsentierte Engel die neue Technologie mit der Herstellung von medizinischen Zangen. In der Medizintech- nik sehen die Anbieter großes Anwendungspotenzial. Denkbar sind zum Beispiel En doprothesen wie Hüftgelenke oder Stents, da sich dank der ausgezeichneten mechanischen Eigenschaften des Materials auch mit geringen Wanddicken sehr hohe Stabilitäten erzielen lassen. Die Legierungen haben in allen Bereichen die © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 7/2015 © Carl Hanser Verlag, München. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nicht gestattet und muss beim Verlag gesondert beauftragt werden.
© Copyright 2024 ExpyDoc