Ausschreibung Forschungsbericht Stalking

Eidgenössisches Departement des Innern EDI
Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung
von Frau und Mann EBG
Fachbereich Häusliche Gewalt
Ausschreibung Forschungsbericht
Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking: Übersicht zu national
und international erfolgreichen Praxismodellen
1 Ausgangslage
Am 11. Dezember 2014 wurde das Postulat Feri 14.4204: «Bekämpfung von Stalking
in der Schweiz verbessern» eingereicht. Darin wird der Bundesrat beauftragt,
«1. in einem Bericht erfolgreiche nationale und internationale Massnahmen im Kampf
gegen Stalking zusammenzustellen sowie 2. basierend darauf im Bericht
aufzuzeigen, wie eine nationale Strategie zur Eindämmung von Stalking in der
Schweiz aussehen müsste und wie diese in Zusammenarbeit mit den Kantonen und
weiteren Akteuren umzusetzen wäre.»
In seiner Antwort vom 11. Februar 2015 stellt der Bundesrat fest, dass die
«Probleme rund um das Thema Stalking vom geltenden Recht nicht oder nur
unbefriedigend gelöst werden» und verweist hierzu auf seine Stellungnahme zur
Motion Fiala 13.3742. Einen allfälligen gesetzgeberischen Handlungsbedarf werde
die laufende Evaluation zu Artikel 28b ZGB aufzeigen. Der Bundesrat ist mit der
Postulantin einig, dass es neben gesetzgeberischen Verbesserungen
Massnahmen zur Unterstützung für Betroffene und zur Inverantwortungnahme
von Tatpersonen brauche. Die Kompetenz zur Prävention und Bekämpfung von
Stalking liege jedoch bei den Kantonen, dem Bund komme hier eine untergeordnete
Rolle zu. Bevor die Evaluation von Art. 28b ZGB vorliege, sei es verfrüht,
Massnahmen vorzuschlagen. Aus diesen Gründen erklärt sich der Bundesrat bereit,
eine Übersicht zu international und national erfolgreichen Praxismodellen zu
erstellen (Punkt 1 des Postulates), lehnt jedoch die Erarbeitung einer nationalen
Strategie gegen Stalking (Punkt 2) ab. Der Nationalrat ist ihm gefolgt und hat das
Postulat am 20. März 2015 überwiesen (Punkt 1 angenommen; Punkt 2 abgelehnt).
Mit der Erstellung des Bundesratsberichts wurde das Eidgenössische Departement
des Innern EDI beauftragt. Die Federführung liegt beim Eidgenössischen Büro für die
Gleichstellung von Frau und Mann EBG. Der Forschungsbericht, der mit der vorliegenden Ausschreibung in Auftrag gegeben wird, soll als Grundlage für die
Erarbeitung des Bundesratsberichts dienen.
2 Ziel und Inhalt des Auftrags
Der zu erstellende Forschungsbericht soll einen Überblick geben über erfolgreiche
Massnahmen im Kampf gegen Stalking1 im In- und Ausland. Dabei geht es um
Massnahmen zur Unterstützung der Opfer (Information, Beratung und Begleitung,
polizeiliche und zivilrechtliche Schutzmassnahmen usw.) und zur Inverantwortungnahme der Tatpersonen (Strafverfolgung, Gefährderansprache, Beratung,
Lernprogramme usw.). Im Sinne von Best Practice-Beispielen sollen das konkrete
Funktionieren, die Bekanntmachung (Aufklärung und Sensibilisierung der
Bevölkerung, Information und Weiterbildung von Fachpersonen, usw.), die
Wirkungsweise und die Erfolge der wirksamsten Massnahmen dokumentiert werden.
Weiter soll der Bericht aufzeigen, welche der dargestellten Massnahmen sich auf die
Schweiz übertragen lassen.
Die wichtigsten Forschungsfragen sind:
1. Welche Massnahmen im Kampf gegen Stalking (Unterstützung für Betroffene und
Mitbetroffene einschliesslich mitbetroffene Kinder und Jugendliche sowie
Inverantwortungnahme von Tatpersonen) haben sich in der Schweiz und in
vergleichbaren Ländern in der Praxis als erfolgreich erwiesen?
2. Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, welche Strategien /
Massnahmen(-pakete) im Kampf gegen Stalking besonders erfolgreich sind und
weshalb?
3. Inwiefern sind je nach Stalkingform (Beziehungskonstellation, Stalkingmethode,
Schweregrad
usw.)
unterschiedliche
Massnahmen
erforderlich
/
erfolgversprechend?
4. Welche in der Schweiz angewendeten Massnahmen sollten breitere Anwendung
finden und welche ausländischen Massnahmen / Praxismodelle sind auf die
Schweiz übertragbar und empfehlenswert?
2.1
Methode
Die Auftragnehmenden wählen für die Beantwortung der verschiedenen
Fragestellungen geeignete wissenschaftliche Methoden und erläutern sie in der
Offerte. Erwartet werden nebst gezielten Internet- und Literaturrecherchen
Dokumentenanalysen, Explorativ-Gespräche mit Expert/-innen, Umfragen zu
Massnahmen in den verschiedensprachigen Kantonen und vertiefende Expert/innen-Interviews. Die in- und ausländischen Best-Practices sollen in der nötigen
Detailliertheit erfasst und übersichtlich dargestellt werden.
2.2
Eingrenzung
Der
gesetzgeberische
Handlungsbedarf
ist
nicht
Gegenstand
dieses
Forschungsberichts. Der Bundesrat hat am 7. Oktober 2015 seine Vorschläge zur
Verbesserung des Schutzes der Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking
(Änderungen im Zivil- und Strafrecht) in die Vernehmlassung geschickt.
Der Fokus wird auf Massnahmen für Jugendliche und Erwachsene gelegt und nicht
auf Kinder im Primarschulalter.
1
Definition, Ausmass und rechtliche Hintergrundinformationen zu Stalking siehe Anhang.
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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Die Untersuchung soll die wichtigsten Stalkingformen und -methoden (insbesondere
auch solche, die sich der Sozialen Medien bedienen) sowie die verschiedenen
Tatperson-Opferkonstellationen
einbeziehen
und
dabei
auch
die
Geschlechterdimension berücksichtigen.
Bei der Suche nach Praxismodellen im Ausland wird der Fokus auf Länder gelegt,
die erprobte und erfolgreiche Strategien aufweisen, welche auch für die Schweiz von
Bedeutung sein könnten. Dabei sollen auf jeden Fall mindestens deutsch-,
französisch- und englischsprachige Länder vertreten sein. Die definitive Auswahl der
Länder wird durch die Auftragnehmenden nach einer gezielten Recherche in
Absprache mit dem EBG vorgenommen.
2.3
Resultat des Auftrags
Die Forschungsergebnisse sind in einem barrierefreien Schlussbericht darzustellen,
der den Umfang von 60 Seiten nicht überschreitet. Der Bericht soll die unter Punkt 2
aufgelisteten Fragen beantworten. Einleitend soll die Ausgangslage, die verwendete
Definition und kurz die Phänomenologie sowie die Forschungsmethodik erläutert
werden. Der Bericht soll eine Zusammenfassung beinhalten, die die wesentlichen
Resultate und Empfehlungen darstellt.
Der Bericht ist in Deutsch oder Französisch zu verfassen. Er wird vom EBG auf seine
Kosten in Französisch oder Deutsch übersetzt werden. Aufgabe der
Auftragnehmenden ist es, die Übersetzung zu kontrollieren sowie das Layout des
übersetzten Berichts anzupassen.
3 Begleitung
Die konzeptuelle und inhaltliche Begleitung des Auftrags erfolgt durch den
Fachbereich Häusliche Gewalt FHG des EBG sowie durch eine Begleitgruppe, in der
weitere mit der Thematik befasste Bundesstellen (Bundesamt für Justiz BJ /
Fachbereiche Zivil- und Straf(prozess)recht, Bundesamt für Polizei Fedpol /
Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität KOBIK, Bundesamt für
Sozialversicherungen BSV / Bereich Kinder- und Jugendfragen) sowie die Konferenz
der Kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK), die Konferenz der
Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), die
Schweizerische Konferenz Häusliche Gewalt SKHG und die Fachstelle StalkingBeratung des Amts für Erwachsenen- und Kindesschutz der Stadt Bern vertreten
sind. Die Begleitgruppe wirkt bei der Mandatsvergabe mit und diskutiert den
Schlussbericht. Die Mitglieder der Begleitgruppe unterstützen die Auftragnehmenden
mit ihrem Fachwissen und ihrem Kontaktnetz.
4 Kosten
Das Kostendach für den Forschungsauftrag beträgt CHF 80 000.‒ einschliesslich
MwSt. und Spesen.
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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5 Zeitplan
Für die Erarbeitung des Berichts stehen 7 Monate zur Verfügung.
Etappen
Zeitpunkt
Ausschreibung des Mandats
10. November 2015
Eingabefrist für die Offerten
4. Januar 2016
Vergabe des Mandats
22. Januar 2016
Kick-off Gespräch EBG-Auftragnehmende
Ende Jan./Anfang Feb. 2016
Abgabe Entwurf Schlussbericht
30. August 2016
Diskussion Schlussbericht in der Begleitgruppe
27. September 2016
Abgabe definitiver Schlussbericht
14. Oktober 2016
6 Anforderungen an die Offerte
Die unterzeichnete Offerte soll den Umfang von maximal 5 Seiten (exkl. Beilagen)
nicht überschreiten. Die unterzeichnete Offerte ist bis spätestens 4. Januar 2016
elektronisch an das EBG einzureichen (siehe Punkt 8 Kontakt).
Die Offerteingaben müssen folgende Angaben enthalten:

Auftragsverständnis ausgehend von den Forschungsfragen in der Ausschreibung;

detaillierte Angaben dazu, wie die vier Fragestellungen angegangen werden
sollen;

erste Überlegungen zur Auswahl der zu untersuchenden Kantone und Länder
sowie zur Wahl der zu befragenden Expertinnen und Experten;

Zeitplan mit den wichtigsten Projektetappen;

Angaben zu den Qualifikationen und Erfahrungen der Forschenden inkl.
Referenzen und sprachliche Kompetenzen;

detaillierte Kostenaufstellung mit Aufwand der einzelnen Beteiligten für die
verschiedenen Projektetappen;

Nachweis der Unabhängigkeit in Bezug auf die mit diesem Forschungsauftrag
verbundenen Interessen;

von den zeichnungsberechtigten Personen unterschriebenes Formular
«Selbstdeklaration
BKB
Einhaltung
der
Arbeitsbedingungen,
der
Arbeitsschutzbestimmungen sowie der Lohngleichheit von Frau und Mann:
Erklärung der Anbieterin oder des Anbieters» (Beilage).
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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7 Beurteilungskriterien
Die Offerten werden nach folgenden Kriterien beurteilt:

Zweckmässigkeit und Qualität des Angebots im Hinblick auf die Beantwortung der
Fragestellungen: Auftrags- und Problemverständnis, Nachvollziehbarkeit des
Angebots, Angemessenheit der Vorgehensweise

Projektorganisation, Kompetenzen und Erfahrung der Forschenden mit
vergleichbaren Fragestellungen und mit Untersuchungen in andern Ländern und
in den verschiedenen Landesteilen

Wirtschaftlichkeit, Preis-/Leistungsverhältnis.
8 Kontakt
Die unterzeichnete Offerte ist bis spätestens 4. Januar 2016 elektronisch
einzureichen an:
Irene Huber lic.phil.
Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann
Fachbereich Häusliche Gewalt
Schwarztorstr. 51
3003 Bern
[email protected]
Tel. 058 462 68 26
9 Beilagen zur Ausschreibung
-
Zusammenstellung parlamentarische Vorstösse und Bundesratsberichte zu
Stalking (EBG, Sept. 2015)
Formular «Selbstdeklaration BKB Einhaltung der Arbeitsbedingungen, der
Arbeitsschutzbestimmungen sowie der Lohngleichheit von Frau und Mann:
Erklärung der Anbieterin oder des Anbieters»
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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10 Literatur/Quellen
Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz der Stadt Bern (Hg.) (2015): Gefahren im
Internet – Cyberstalking.
www.bern.ch/stadtverwaltung/sue/afek/mandatcenter/stalking
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005): Stalking:
Grenzenlose Belästigung – Eine Handreichung für die Beratung.
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/MaterialieGleichstellung-Nr._20104.pdf
Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG (Version 17.2.2015):
Häusliche Gewalt ‒ Informationsblatt 7, Stalking: bedroht, belästigt, verfolgt. Abrufbar
unter: http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00442/index.html?lang=de
Dressing, H., Kuehner, C., & Gass, P. (2005). Lifetime prevalence and impact of
stalking in a European population. The British Journal of Psychiatry, 187, 168–172.
Guldimann, A., Stieglitz, RD, Meloy, JR, Habermeyer, E. & Ermer, A. (under review).
Stalking victimization among Swiss police officers. Journal of Threat Assessment and
Management.
Hoffmann, J. & Blass, N. (2012). Bedrohliches Verhalten in der akademischen Welt.
Eine Studie zur Auftretenshäufigkeit von Stalking, Drohungen, Gewalt und anderem
Problemverhalten an einer deutschen Universität. Polizei & Wissenschaft, 2, 38-44.
Hoffmann, J., Roshdi, K. & Rudolf von Rohr, H.
(Hrsg./2013): Bedrohungsmanagement. Projekte und Erfahrungen aus der
Schweiz. Frankfurt/Main: Verlag für Polizeiwissenschaften.
Hoffmann, Jens (2006). Stalking. Heidelberg: Springer. 230 S.
Meloy J. Reid, Sheridan Lorraine & Hoffmann Jens (Eds) (2008.): Stalking,
Threatening, and Attacking Public Figures: A Psychological and Behavioral Analysis.
New York: Oxford University Press.
Schweizerische Kriminalprävention SKP (Hg.) (2014): Stalking: Grenzen setzen!
Informationen für Betroffene. http://www.skppsc.ch/linkupgold/show.php?n=788
Tjaden Patricia & Thoennes Nancy (1998): Stalking in America: Findings from the
National Violence Against Women Survey, Washington D.C.
van der Aa Suzan, Römkens Renée (2013): The state of the art in stalking legislation
–reflections on European developments. In: European Criminal Law Review, EuCLR,
3(2),S. 232-256.
Voß, H.-G. W. & J. Hoffmann (2004): Stalking aus Sicht der Opfer und Täter. In:
Frauennotruf Wien (Hg.), Du entkommst mir nicht…Psychoterror – Formen,
Auswirkungen und gesetzliche Möglichkeiten (S. 18-24). Wien: MA 47.
Voß, Hans-Georg W., Hoffmann, Jens & Wondrak, Isabel (2006): Stalking in
Deutschland - Zur Psychologie der Betroffenen und Verfolger. Baden-Baden: Nomos.
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Weisser Ring (Hrsg.) (2010): Stalking. Wissenschaft, Gesetzgebung und Opferhilfe.
Baden-Baden, S. 185-202.
Wondrak Isabel, Hoffmann Jens & Voss Hans-Georg W. (2005): Traumatische
Belastung bei Opfern von Stalking. In: Praxis der Rechtspsychologie 15 (2), S. 222234.
Stadtpolizei Zürich. Merkblatt Stalking: Ohne Gewalt leben – Sie haben ein Recht
darauf. Abrufbar unter:
http://www.kapo.zh.ch/internet/sicherheitsdirektion/kapo/de/praevention/kriminalitaet/
stalking.html#a-content
Zimmerlin, Sven (2011): Stalking – Erscheinungsformen, Verbreitung, Rechtsschutz.
In: Sicherheit & Recht 1/2011, S. 3-23.
Webseiten
Schweizerische Kriminalprävention SKP
http://www.skppsc.ch/activekb_de_relaunch/categories/Stalking/
Kantonspolizei Zürich
http://www.kapo.zh.ch/internet/sicherheitsdirektion/kapo/de/praevention/kriminalitaet/
stalking.html#a-content
http://www.kapo.zh.ch/i nternet/sicherheitsdirekti on/kapo/de/praevention/
gewaltschutz.html
Fachstelle Stalkingberatung Stadt Bern
http://www.bern.ch/stadtverwaltung/sue/afek/mandatcenter/stalking
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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11 Anhang
11.1 Definition von Stalking
Stalking ist ein heterogenes Phänomen. Stalker/-innen verfolgen ganz
unterschiedliche Ziele und wenden vielfältige Methoden an. Wie in der Begründung
des Postulats ausgeführt, ist Stalking oft der häuslichen Gewalt zuzuordnen (wo sie
v.a. nach Trennungen auftritt), kann jedoch auch im Kontext der Erwerbsarbeit, von
Freizeitaktivitäten usw. vorkommen oder sich gegen bekannte Persönlichkeiten oder
andere Personen richten, die in keiner Beziehung zur Tatperson stehen.
Eine umfassende und auch für die Schweiz relevante Definition von Stalking liefert
das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) sowie der
erläuternde Bericht dazu. In Artikel 34 der Konvention wird Stalking resp.
Nachstellung definiert als «vorsätzliches Verhalten, das aus wiederholten
Bedrohungen gegenüber einer anderen Person besteht, die dazu führen, dass diese
um ihre Sicherheit fürchtet».
Gemäss Erläuterungen kann das bedrohende Verhalten «in der wiederholten
Verfolgung einer Person, in unerwünschter Kommunikation mit einer Person oder
darin bestehen, dass man eine Person wissen lässt, dass sie beobachtet wird.»
(Erläuterung Nr. 182). Als weitere Formen von Stalkingverhalten werden «die
Zerstörung des Eigentums einer anderen Person, das Hinterlassen subtiler
Kontaktspuren auf persönlichen Gegenständen einer Person, das Abzielen auf ein
Haustier der Person, die Schaffung falscher Identitäten oder die Verbreitung falscher
Informationen im Internet» aufgeführt (Erläuterung Nr. 183). Die heute oft über
elektronische Kommunikationsmittel, soziale Netzwerke und Internet erfolgende
Bedrohung von andern Personen wird Cyberstalking genannt.
Damit von Nachstellung gesprochen werden kann, muss gemäss IstanbulKonvention das bedrohende Verhalten «vorsätzlich und mit der Absicht ausgeführt
worden sein, dem Opfer Furcht einzuflössen» (Erläuterung Nr. 184). Die
Wiederholung des bedrohenden Verhaltens ist ein zentrales Merkmal von Stalking.
Verhaltensweisen, die – einzeln betrachtet – nicht unbedingt einem strafbaren
Verhalten entsprechen, erhalten durch Wiederholung strafrechtlichen Charakter
(Erläuterung 185).2 Die Verhaltensweisen richten sich direkt gegen das Opfer,
können aber auch auf dessen soziales Umfeld (Familienmitglieder, den Freundesund Kollegenkreis) abzielen (Erläuterung Nr. 185).
Es handelt sich bei Stalking oft um einen dynamischen Prozess. Das Vorgehen und
die Motive des Stalkers bzw. der Stalkerin ändern sich häufig im Verlaufe der Zeit.
Manche wollen nicht Furcht einflössen, sondern dem Opfer ihre Liebe bezeugen. Sie
leiden an Realitätsverzerrungen und glauben, dass das Opfer sie ebenfalls liebt
(Liebeswahn). Stalkinghandlungen können jeglichem Schweregrad entsprechen, von
aufdringlichem Werben oder Drohen über körperliche und sexuelle Übergriffe bis hin
zur Tötung. Laut einer amerikanischen Studie (Meloy, 1998) enden 2% aller
Stalkingfälle tödlich.
2 Auch das Bundesgericht erwähnt die Wiederholung als massgebendes Merkmal:
„Charakteristisch ist stets, dass viele Einzelhandlungen erst durch ihre Wiederholung und
ihre Kombination zum stalking werden.» (BGE 129 IV 262 ff.).
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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Unterschiede in der Erscheinungsform des Stalking ergeben sich somit
hauptsächlich hinsichtlich der folgenden Dimensionen:
 Beziehungskonstellationen (aktuelle, ehemalige oder gewünschte/fantasierte
Paarbeziehung, aktuelles oder ehemaliges Arbeitsverhältnis, Bekannten- bzw.
Freundeskreis, unbekannte Personen, Personen des öffentlichen Lebens
usw.)
 Zielsetzung (Beziehungsaufnahme, Einschüchterung, Verhaltensänderung,
Verletzung, Vernichtung des Opfers usw.)
 Schweregrad (unerwünschte Kontakte, Kontrollverhalten, Identitätsdiebstahl,
Verleumdung, Drohung, Sachbeschädigung, körperliche Angriffe usw.)
 Kommunikationsmittel (physische Präsenz bzw. Annäherungsversuch, Spuren
hinterlassen,
Briefe,
Nachrichten,
elektronische
Kommunikation,
Veröffentlichungen usw.)
 Tätertypologie (Zurückgewiesene, Rachsüchtige, Beziehungssuchende usw.)
Gemeinsamkeiten sind die einseitige Kontaktaufnahme bzw. Annäherungsversuche
der Tatperson, die Wiederholung der Bedrohung/Belästigung und die dadurch
ausgelöste Angst der Opfer.
11.2 Folgen von Stalking
Die Folgen von Stalking bei den Opfern sind – abhängig von der Art, Intensität und
Dauer der Belästigung und Bedrohung, aber auch von der Person des Opfers – sehr
unterschiedlich. Häufig sind psychische Beeinträchtigungen wie Schlaf- und
Konzentrationsstörungen, Hilflosigkeitsgefühle, Angstzustände und Verminderung
des Selbstwertgefühls, aber auch körperliche Verletzungen durch die Tatperson und
Suizidversuche können die Folge sein. Soziale Einschränkungen wie Wechsel des
Wohn- und Arbeitsorts und soziale Isolation sind ebenfalls häufige Reaktionen auf
Stalking (vgl. z.B. Wondrak et al. 2005).
11.3 Verbreitung von Stalking
Bei einer grossangelegten Befragung von 16 000 Personen in den USA (Tjaden und
Thoennes 1998), gaben 8% der Frauen und 2% der Männer an, mindestens einmal
eine Form von Stalking erlebt zu haben, bei der sie ernsthaften Schaden für sich
oder ihre Angehörigen fürchteten.
In einer Befragung von 22 000 Britinnen und Briten (Walby u. Allen 2004, zitiert nach
Hoffman 2006) gaben 19% aller Frauen und 12% der Männer an, einen Vorfall mit
mindestens zwei Belästigungen erlebt zu haben, der bei ihnen Angst oder Sorge
auslöste. Eine erste ähnliche Befragung von rund 700 Personen in Deutschland
(Dressing et al. 2005, zitiert nach Hoffman 2006) ergab, dass knapp 12% schon
einmal von Stalking betroffen waren.
Hoffman (2006) fasst die Ergebnisse der verschiedenen Studien wie folgt
zusammen: «Das Erlebnis einer – wenn überhaupt – höchstens punktuell
belastenden Qualität erfährt immerhin etwa jeder 4. Bürger, wobei sicherlich auch
hier kritisch hinterfragt werden muss, ob es sich um genuines Stalking handelt. Jeder
8. Bürger wird einmal Opfer eines mittelschweren Falls, der von einer gewissen
Dauer bzw. einem Gefühl der Furcht begleitet wird. Etwa jede 20. Person wird zu
einem fortwährenden Ziel von Stalking und hat Angst um die eigene Sicherheit oder
die vertrauter Menschen aus dem sozialen Nahbereich. Dabei sind die Geschlechter
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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jedoch nicht gleich betroffen. Frauen werden im Durchschnitt etwa zwei- bis viermal
häufiger Opfer von Stalking als Männer.» (Hoffman 2006, S. 11). Täter sind in etwa
80% der Fälle Männer (EBG 2015).
Auch die Altersgruppen sind unterschiedlich betroffen. Die jüngere Generation hat
deutlich häufiger Stalking erlebt als die ältere, was ein Hinweis darauf sein könnte,
dass Stalking tatsächlich zunimmt. Dies wird unter anderem mit gesellschaftlichen
Entwicklungen wie mehr Trennungen, neue Kommunikationsformen, Verminderung
der sozialen Kontrolle usw. erklärt (vgl. Hoffman 2006).
In der Schweiz ist Stalking kaum erforscht. Repräsentative Untersuchungen für die
Schweizer Bevölkerung existieren nicht. Im Rahmen einer Online-Befragung von
mehr als 500 Schweizer Polizisten gaben 4% der Männer und 10% der Frauen an,
schon einmal Opfer von Stalkingverhalten geworden zu sein. Dabei wurde Stalking
analog zu Dressing et al. (2005) definiert als mehrfache einseitige Kontaktaufnahmen
bzw. Annäherungsversuche, die mindestens zwei Wochen dauern und bei der
betroffenen Person Furcht auslösen. Diese Zahlen weisen darauf hin, dass Stalking
auch in der Schweiz ein nicht vernachlässigbares Phänomen darstellt (Guldimann et
al.).
Da Stalking in der Schweiz kein eigenständiger Straftatbestand ist (vgl. unter 12),
gibt es dazu auch keine Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik.
12 Rechtliche Situation
12.1 Strafrecht
Das Schweizer Strafrecht kennt – anders als etwa das deutsche oder österreichische
– keinen speziellen Straftatbestand für Stalking. Einzelne Stalkinghandlungen
können als Delikte wie Drohung (Art. 180 StGB), Nötigung (Art. 181), Missbrauch
einer
Fernmeldeanlage
(Art. 179septies),
Hausfriedensbruch
(Art. 186),
Sachbeschädigung (Art. 144), Ehrverletzungen (Art. 173 ff.), Körperverletzungen
(Art. 122 f.) und Vergewaltigung (Art. 190) geahndet werden. Nicht erfasst werden
somit Handlungen, die die Tatbestandsvoraussetzungen keines dieser Delikte
erfüllen, aber als wiederholte Belästigungen oder Bedrohungen bei den Opfern Angst
auslösen und zu andern Beeinträchtigungen führen können.
12.2 Zivilrecht
Eine Person, die über längere Zeit verfolgt und belästigt wird, kann in einem
zivilrechtlichen Verfahren Unterlassungsansprüche geltend machen. Seit am 1. Juli
2007 die zivilrechtliche Gewaltschutznorm in Kraft trat, sieht Art. 28b Abs. 1 Ziff. 1-3
ZGB verschiedene Schutzmassnahmen wie Annäherungs-, Orts- und
Kontaktaufnahmeverbot vor. Dazu muss das Opfer einen Antrag beim Gericht stellen
und die wesentlichen Beweise für seine Vorwürfe selbst beibringen. Ausserdem
muss es sich auf ein langes Verfahren gefasst machen, ausser die Schutzanordnung
wird als vorsorgliche oder superprovisorische Massnahme verfügt. Bei verheirateten
Personen können die Massnahmen auch im Rahmen des Eheschutzes beantragt
werden. Dann wird der Sachverhalt vom Gericht festgestellt.
Anwendung und Wirksamkeit von Artikel 28b ZGB wurden vom Bundesamt für Justiz
2015 evaluiert. Über die vorgeschlagenen Massnahmen zur Verbesserung des
Schutzes gewaltbetroffener Personen in Zivil- und Strafrecht hat der Bundesrat am 7.
Oktober 2015 das Vernehmlassungsverfahren eröffnet.
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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12.3 Kantonale Gesetzesbestimmungen
Verschiedene
Kantone
haben
betreffend
häusliche
Gewalt
eigene
Gewaltschutzgesetze (GE, NE, OW und ZH) oder polizeirechtliche Bestimmungen
erlassen, die je nach Ausprägung auch auf Stalking angewendet werden können.
Einzelne Kantone (z.B. AR, SG) haben eine explizite Bestimmung zu Stalking
eingeführt, was es der Polizei erleichtert, in diesen Fällen sofort ein Annäherungsund Kontaktverbot zu verfügen. In verschiedenen Kantonen (z.B. Solothurn, Zürich,
Bern) verfügen die Polizeidienste über eigentliche Gewaltschutzstellen mit
spezialisierten Beamtinnen und Beamten, die besondere Bedrohungslagen v.a. im
Bereich häusliche Gewalt und Stalking bearbeiten, Bedrohungsanalysen vornehmen
und zusammen mit anderen Stellen im Fallmanagement mitwirken.
12.4 Opferhilfe und Beratung
Nach dem Opferhilfegesetz OHG haben Opfer, die durch eine Straftat in ihrer
körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden
sind, Anspruch auf Unterstützung, d.h. insbesondere Beratung und finanzielle Hilfe
(Art. 1 OHG).
Die Gewaltberatungs- und Opferhilfestellen in der Schweiz beraten auch Stalkingopfer. Diese Beratung erfordert besondere Fachkenntnisse. Es geht darum, die
unterschiedlichen Stalkingsituationen und die davon ausgehenden Bedrohungen
richtig einzuschätzen und den Betroffenen Hinweise zu geben, wie sie wieder
Kontrolle über die Situation gewinnen und sich gegen die Belästigungen wehren
können. Verschiedene Beratungsstellen wie auch Polizeidienste stellen spezielle
Tipps, Merkblätter, Broschüren und Informationsmaterialien zu Stalking und zum
Umgang mit Stalkern/Stalkerinnen zur Verfügung. Eine spezialisierte Beratungsstelle
zu Stalking gibt es seit Kurzem in der Stadt Bern.3 Stalkerinnen und Stalker, die ihr
Verhalten ändern möchten, können Angebote der Beratungsstellen für
gewaltausübende Personen in Anspruch nehmen. 4 Auch Lernprogramme für
gewaltausübende Personen stehen Stalker/-innen offen.
12.5 Internationales Recht
Verschiedene internationale Übereinkommen (insbesondere CEDAW und EMRK)
verpflichten die Schweiz als Vertragsstaat, Gewalt gegen Frauen und häusliche
Gewalt zu bekämpfen. Stalking wird dabei jedoch nicht explizit erwähnt und lediglich
am Rand als Form häuslicher Gewalt erfasst.
Ausdrücklich von Stalking bzw. von Nachstellung spricht das Übereinkommen des
Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und
häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Wie vorne (unter 11.1) erwähnt, ist die
entsprechende Bestimmung weit gefasst und umfasst auch Stalkingformen
ausserhalb von aktuellen oder aufgelösten Paarbeziehungen (und auch Stalking
gegen Männer).
Artikel 34 der Istanbul-Konvention verpflichtet die Vertragsparteien zu
gesetzgeberischen und sonstigen Massnahmen um sicherzustellen, dass
Nachstellungen unter Strafe gestellt werden. Die Staaten können gemäss Artikel 78
Absatz 3 jedoch auch erklären, dass sie sich das Recht vorbehalten, wirksame,
verhältnismässige und abschreckende nichtstrafrechtliche Sanktionen vorzusehen.
3 Fachstelle Stalking-Beratung des Amtes für Erwachsenen- und Kindesschutz
(http://www.bern.ch/stadtverwaltung/sue/afek/mandatcenter/stalking)
4 Siehe: http://www.fvgs.ch/beratungsstellen.html
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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Zur Verbesserung des Opferschutzes müssen die Vertragsstaaten sicherstellen,
«dass angemessene Kontakt- und Näherungsverbote oder Schutzanordnungen für
Opfer aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von
Gewalt zur Verfügung stehen» (Art. 53 Abs. 1). Die Konvention sieht zudem
präventive Massnahmen wie Interventions- und Behandlungsprogramme für
Täterinnen und Täter vor (Art. 16).
Die Schweiz hat das Übereinkommen am 11. September 2013 unterzeichnet. Die
Vernehmlassung zur Ratifikation wurde am 7. Oktober 2015 eröffnet.
Ausschreibung: Forschungsbericht über Massnahmen zur Bekämpfung von Stalking
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