Koffer, Bücher, Bilder erzählen vom Leben in Gefangenschaft

Nordkurier / Neubrandenburger Zeitung (2015-08-31) = Nr. 202, S. 17
Koffer, Bücher, Bilder erzählen
vom Leben in Gefangenschaft
Von Anke Brauns
Der eine hat sich sogar eine
Erinnerungstafel an seine
Zeit im Lager angefertigt,
der andere, an Entkräftung
gestorben, liegt verscharrt
im Massengrab.
Kriegsgefangenschaft hat
viele Gesichter. Das
Regionalmuseum zeigt sie in
einer Sonderausstellung.
Der alte
Mann mit dem weißen Bart
sitzt am Tisch und spielt
Schach mit seinem Enkel Nikolai. Auch die anderen Fotos
aus dem Leben von German
Matwejew zeigen ihn im Kreis
von Familie und Freunden,
bei der Arbeit in der Ölwirtschaft im Ural. Das sieht nach
einem glücklichen, erfüllten
Leben aus. In der schlimmsten Zeit seines Lebens sind
wohl kaum Fotos entstanden.
1941 musste er sein Studium
abbrechen, wurde zur Roten
Armee eingezogen und geriet wenige Monate später in
Kriegsgefangenschaft, bis Mai
1945 durchlief er mehrere Lager und hatte Glück; er überlebte. Auch das Lager Stalag II
A in Neubrandenburg.
Die Eckdaten seiner Lebensgeschichte und der anderer Kriegsgefangener kann
man jetzt in einem geförderten Projekt des Museumsvereins unterm Dach des
Regionalmuseums im Franziskanerkloster
nachvollziehen. Dort wird heute um
19 Uhr die Ausstellung „Gefangen im Krieg“ eröffnet.
Und die beleuchtet nicht nur
das Schicksal sowjetischer
Kriegsgefangener in Mecklenburg-Vorpommern zwischen
1941 und 1945.
NEUBRANDENBURG.
Koffer eines französischen
Kriegsgefangenen
Der Literaturwissenschaftler
Carsten Gansel entwickelte
für den zweiten großen Teil
der Ausstellung den Inhalt.
Zahlreiche Fotos, Plakate
und andere Zeitdokumente
machen neben den Texten
die Zeit deutscher Kriegsgefangener in sowjetischen
Lagern zwischen 1941 und
1956 erlebbar. Dabei liegt ein
Schwerpunkt auf der kulturellen Arbeit der Gefangenen,
als eine Möglichkeit der Umerziehung - ein bisher weitgehend unbekanntes Kapitel
(der Nordkurier berichtete).
Während Gansel für diesen
Ausstellungsteil viele Dokumente in russischen Archiven
fand, konnte das Museum
für den Teil über die sowjetischen Kriegsgefangenen in
Mecklenburg-Vorpommern
unter anderem auf Objekte
zurückgreifen, die Marco
Klappstein vom Museumsverein der Einrichtung bereits
übergeben hat oder jetzt erstmals für die Ausstellung zur
Verfügung stellt. Zum Beispiel einen Koffer eines französischen Kriegsgefangenen
mit dem Aufdruck Stalag II
A oder die Erinnerungstafel
einer seiner Landsmänner an
seine Kriegsgefangenschaft in
Neubrandenburg.
Die Historikerin Natalja
Jeske, die sich mit den Lagern
in Neubrandenburg-Fünfeichen befasst hat, steuerte
zu diesem Teil den wesentlichen inhaltlichen Beitrag zu.
Die Kirchgemeinde Burg Stargard lieh dem Museum für
die Ausstellung außerdem
Bücher, die sich wahrscheinlich in der Lager-Bibliothek
der holländischen Offiziere
befanden.
Dokumentiert wird zusätzlich die Lebensgeschichte von
Horst Sobiech, der als deutscher Soldat in sowjetischer
Kriegsgefangenschaft war.
Seine Familie hat sie zusammengetragen und sich nach
einem Zeitungsaufruf beim
Museum gemeldet. Und
auch das Schicksal des belgischen Malers Albert Bocksta-
el, dem im Museum bereits
eine Ausstellung gewidmet
wurde, spielt unterm Dach
des Franziskanerklosters eine
Rolle. „Beispielhaft dafür,
dass man auch Glück haben
kann. Er geriet im Mai 1940
in Kriegsgefangenschaft und
war schon Weihnachten 1940
wieder zu Hause“, erklärt
Rolf Voß, der auch noch auf
die Zeichnungen eine Etage
tiefer verweist, die ebenfalls
zur Ausstellung gehören. Es
sind eindrucksvolle Pastellzeichnungen von Jorg Brücke, die das zerstörte Neubrandenburg zeigen.
Von der Vergangenheit
in die Gegenwart
Rolf Voß hat zudem Zeitungsausschnitte über Kriegsgefangene heute gesammelt, die
den Bogen in die Gegenwart
schlagen sollen. Gefangene
in Guantanamo, Geiseln in
Syrien, Gefangene im Krieg
zwischen Russland und der
Ukraine. Das zeige auch, worauf man in der Ausstellung
das Hauptaugenmerk legen
wolle, so Voß. „Was wir hier
zeigen, wollen wir nie wieder haben und trotzdem ist
es Alltag.“
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Museumsleiter Rolf Voß zeigt einen Koffer eines französischen
Kriegsgefangenen mit dem Aufdruck Stalag II A und eine
Erinnerungstafel eines Franzosen an seine Kriegsgefangenschaft in Neubrandenburg.
FOTO: A. BRAUNS