Trauansprache Liebe …, lieber … ich habe nachzurechnen versucht

Trauansprache
Liebe …, lieber …
ich habe nachzurechnen versucht, wie lange Ihr Euch nun schon kennt. Ich bin
auf vier Jahre gekommen. Seither wohnt ihr zusammen, habt eine Wohnung eingerichtet und einen eigenen Hausstand gegründet. Alles sehr geschmackvoll und
so gut wie perfekt. Wer zu Euch kommt, sieht sofort, dass Ihr nicht nur vorübergehend zusammengezogen seid, sondern Euch auf Dauer eingerichtet habt. Man
merkt: Die gehören zusammen, die sind ein festes Paar.
Wozu also noch heiraten? Könnte das nicht auch so weitergehen? Was ist dran
an einer Ehe, dass nicht nur Ihr, sondern auch andere junge Leute darauf aus
sind, zu heiraten und eine Ehe mit Trauschein zu führen? Um sich zu lieben und
einander gern zu haben, muss man nicht verheiratet sein – wie Ihr beide hinlänglich bewiesen habt. Wozu also Ehe?
Dietrich Bonhoeffer, ein bekannter Theologe und Widerstandskämpfer, von den
Nazis verhaftet und ins Gefängnis geworfen, schrieb an einen guten Freund, den
er hatte trauen sollen:
„Ehe ist mehr als eure Liebe zueinander. Sie hat höhere Würde und Gewalt, denn
sie ist Gottes heilige Stiftung, durch die er die Menschen bis an das Ende der Tage
erhalten will. In eurer Liebe seid ihr beide nur allein auf der Welt, in der Ehe seid
ihr ein Glied in der Kette der Geschlechter, ... in eurer Liebe seht ihr nur den Himmel eures eigenen Glückes, durch die Ehe seid ihr verantwortlich in der Welt und
die Verantwortung der Menschen hineingestellt, eure Liebe gehört euch allein
und persönlich, die Ehe ist etwas Überpersönliches, sie ist ein Stand, ein Amt.
... Wie ihr den Ring erst euch selbst gegeben habt und ihn noch einmal aus der
Hand des Pfarrers empfangt, so kommt die Liebe aus euch, die Ehe von oben,
von Gott. ... Nicht eure Liebe trägt die Ehe, sondern von nun an trägt die Ehe
eure Liebe.“
Das sind merkwürdige Aussagen und Formulierungen. Sie muten uns seltsam an.
Ich weiß nicht, ob wir damit noch etwas anfangen können. Die Zeit, in der man
der Ehe eine höhere Würde zur Erhaltung der Menschheit zuerkannte, scheint
vorüber zu sein: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind ihr gleichgestellt. Lebensgemeinschaften ohne Trauschein haben die gleichen Rechte.
Der Gedanke, dass nicht die Liebe die Ehe trägt, sondern die Liebe von der Ehe
getragen wird, scheint uns vollends fremd zu sein: Die meisten Ehen werden nur
noch auf Zeit geschlossen.
Es ist der Ehe wie vielen anderen festen Lebensordnungen und Institutionen ergangen: Sie haben ihre stützende und tragende Funktion für das Zusammenleben
der Menschen verloren und sind - wenn nicht in Auflösung begriffen – einem
grundlegenden Wandel unterworfen.
Wir dürfen diese Entwicklung nicht nur negativ sehen. Der gesellschaftliche Wandel
hat uns ein Ausmaß an Freiheit beschert, über den unsere Eltern und Großeltern
nur ungläubig den Kopf geschüttelt hätten. Ihnen war weitgehend vorgegeben,
wie sie Leben zu führen und zu gestalten hatten. Zusammenzuleben und nicht
verheiratet zu sein, das war fast undenkbar, das war die große Ausnahme. Das
konnte sich eigentlich nur Künstler und gesellschaftliche Außenseiter erlauben.
Das ist heute nichts Besonderes mehr. Wir können darüber entscheiden, auf welche Weise wir zusammenleben und wie wir unsere Beziehung gestalten. Nicht
der Stand der Ehe bestimmt die Form, wie wir zu leben haben, sondern wir bestimmen darüber, welche Form unser Zusammenleben hat. Wir haben die Freiheit
dazu. Man kann sogar sagen, dass wir aufgrund der gewonnenen Freiheit geradezu gezwungen sind, unser Leben selber zu entwerfen, planen und gestalten. Wir
sind gleichsam zum Planungsbüro unseres Lebens geworden.
Das ist nicht einfach. Es ist so vieles möglich. Wofür soll man sich entscheiden?
Nicht allen gelingt es, die richtige Wahl zu treffen. Die Erwartungen an ein glückliches Leben sind so hoch angesetzt, dass sie sich kaum erfüllen lassen. Viele Beziehungen scheiterten daran, weil zu viel von ihr erwartet wird.
Theodors Fontane erzählt in seinem Roman Stine, dass sich der Junge Graf Waldemar in die junge Wäscherin verliebt. Er liebt sie so sehr, dass er sie heiraten will.
Seine Familie ist dagegen. Sie gibt der Ehe aus Standesgründen keine Chance.
Aber Waldemar ist nicht bereit, seinen Plan aufzugeben. Er überwirft sich mit seiner
Familie. Er stellt sich gegen die ganze Gesellschaft. Er will die Standesunterschiede
nicht länger akzeptieren. Er ist bereit, seinen Namen aufzugeben. Er ist bereit,
auf sein Erbe verzichten. Stine muß nur bereit sein, mit ihm auszuwandern und
nach Amerika zu fahren. Er ist überzeugt: Ihre Liebe ist unabhängig von allen
gesellschaftlichen Vorgaben, ihr Glück braucht keine andere Quelle als ihre Zuneigung zueinander. Gegen alle gesellschaftlichen Schranken und Hindernisse will er
mit ihr wieder bei „Adam und Eva“ anfangen.
Was kann eine junge Frau sich anderes wünschen, als einen Mann, der bereit ist,
aus lauter Liebe, alles aufzugeben, weil sie sein „Ein und Alles“ ist.
Stine aber entzieht sich dem Grafen mit einer einzigen Frage:
„Und für alles, was dann fehlt, soll das Herz aufkommen?“
Ich muß Euch die Entgegnung Stines auf das Werben des Grafen nicht lange erläutern. Ihr seid beide lange genug zusammen und kennt euch beide gut genug,
dass ihr die Entscheidung Stines gut nachvollziehen könnt: Kein Herz so stark ist,
dass es für alles, was fehlt, aufkommen kann. Keine Liebe so groß, dass sie alle
Wünsche erfüllen kann.
Keine Frau kann ihrem Ehemann sein „Ein und Alles“ sein, auch wenn er sie
in den Himmel hebt und anbetend vor ihr auf die Knie fällt. Ebenso wenig der
Mann seiner Frau.
Wer – wie Ihr beiden – gewillt ist die Beziehung zueinander in einen größeren
Sinnzusammenhang zu stellen, braucht den anderen nicht zu vergöttern und
seine Zuneigung und Liebe nicht über alles zu stellen.
Der Segen, den ihr heute hier in der Kirche empfangt, und die Fürbitte, die wir
für Euch halten, besagt ja nichts anderes als:
Ihr braucht nicht Euer „Ein und Alles“ sein. Ihr müßt nicht für alles und jedes
gerade stehen. Es hängt nicht alles von Eurer Liebe ab.
Anstatt Euch zu übernehmen und zu viel von einander zu erwarten, vertraut darauf, daß es gute Mächte gibt, die das Leben erhalten und bewahren, die ihm
Bestand geben. Sie sind auch in Regeln, Richtlinien,Verhaltensweisen zu spüren,
die Hilfestellung und Orientierung geben, wie eine Ehe erfolgreich zu führen ist.
Ihr müsst sie nicht von neuem erfinden. Sie haben sich über Jahrhunderte bewährt. Euer Trautext spricht davon:
9 Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.
10 Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern
mit Ehrerbietung zuvor.
11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt.
Seid brennend im Geist.
Dient dem Herrn.
12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
13 Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft.
14 Segnet, die euch verfolgen, segnet, und flucht nicht.
15 Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.
16 Seid eines Sinnes untereinander.
Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen.
Haltet euch nicht selbst für klug.
17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber
jedermann.
18 Ist‘s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
Wie gesagt, das sind Hilfestellungen, Orientierungshilfen. Keine Vorschriften,
die man sklavisch einhalten muss. Aber dann und wann, können sie durchaus
hilfreich sein. Und wenn es trotzdem kracht, seid gewiß: Der Segen Gottes,
der auf Eurer Ehe liegt, wird deshalb nicht von ihr genommen. Das macht ihre
besondere Würde aus. Sie wird eure Liebe tragen und zu einem erfüllten Leben
führen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere
Herzen bei Jesus Christus, unserem Herrn.