-1- Berlin, 30. November 2015 Fachtag „Langzeitfolgen von Kriegsvergewaltigungen: Herausforderungen für Gesellschaft, Politik und Fachwelt“ von medica mondiale e.V. Eröffnungsvortrag von Dr. Monika Hauser, Gründerin und geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondiale e.V. Dankworte an BMFSFS/ Frau Staatssekretärin Ferner für die Finanzierung und für die Kooperation. Ende 1992 ging ich nach Zenica in Zentralbosnien, um zu sehen, wie ich als junge Gynäkologin hilfreich sein kann in der Unterstützung von im Krieg vergewaltigten Frauen und Mädchen. Aus diesem Engagement entstanden die beiden Frauen-Organisationen Medica Zenica und medica mondiale mit Sitz in Köln, die nun seit 23 Jahren unermüdlich Frauen vor Ort fachlich begleiten. Anschließend haben wir weitere Organisationen im Kosovo und Albanien, in Afghanistan und Liberia aufgebaut, damit traumatisierte Frauen vor Ort kompetente, empathische und langfristige Unterstützung erhalten. Wie wichtig ein ganzheitlicher Arbeitsansatz ist, damit meine ich die Verschränkung von psychosozialer Begleitung und politischer Menschenrechtsarbeit, zeigte sich auch auf einer Konferenz vor 2 Jahren in Zenica, die wir zusammen mit den bosnischen Kolleginnen anlässlich unseres 20. Geburtstag durchführten. Bei dieser Konferenz wurde deutlich, welchen langwährenden psychischen und sozialen Folgen die Überlebenden und oft auch ihre Familien ausgesetzt sind, und dass kein Weg an der gesellschaftlichen Anerkennung des Leids vorbeigeht. Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn die Verantwortlichen in der Politik und im Gesundheitssystem nicht Verantwortung übernehmen. Heute bestimmen auch die Gewalt im Nahen Osten und die Bewegungen Zufluchtsuchender weltweit unsere Arbeit. Seit diesem Frühling führen wir im Nordirak in Kooperation mit dem kurdischen Gesundheitsministerium Fortbildungen für medizinisches und psychologisches Personal durch, damit sie ihren vielfach traumatisierten Patientinnen in einer trauma-sensiblen medica mondiale e.V. – Hülchrather Straße 4 – 50670 Köln –www.medicamondiale.org -2- Haltung begegnen können, und auch erfahren, wie sie sich selbst in dieser extrem belastenden Arbeit schützen können. Und um unseren Beitrag zur aktuellen Situation hierzulande zu leisten, haben wir diesen Spätsommer Deutschland zum Projektland erklärt. Viele von Ihnen/Euch haben ja in ihrer täglichen Arbeit auch mit geflüchteten Menschen hierzulande zu tun, und wissen um die massiven Heraus- und Überforderungen der ehren- und hauptamtlichen Helferinnen und Helfer. Wir werden immer wieder angefragt wegen Trainings und kennen daher den Bedarf – auch mit dieser Veranstaltung heute möchten wir hilfreiche und weiterführende Antworten geben! Wir betrachten sexualisierte Gewalt als ein Kontinuum. Das heißt, diese Form der Gewalt verstetigt sich in Friedenszeiten, verschärft sich in bewaffneten Konflikten und setzt sich in Post-Konflikt-Kontexten fort. Um also geschlechtsspezifische Gewalt in bewaffneten Konflikten zu verhindern, muss letztlich die alltägliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Friedenszeiten überwunden und Geschlechtergleichberechtigung verwirklicht werden. Auch nach bewaffneten Konflikten endet das Leid von Überlebenden meist nicht. Sie werden von ihrer eigenen Umgebung stigmatisiert, sozial ausgegrenzt, und oft genug re-traumatisiert. Die zerstörerischen Folgen von Kriegsvergewaltigungen manifestieren sich auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene langfristig und verhindern die Konsolidierung friedensfähiger Nachkriegsgesellschaften. Wir wissen, welche zerstörerischen Auswirkungen die kaum verarbeiteten Vergewaltigungen im und am Ende des 2. Weltkriegs auf die deutsche Nachkriegs-Gesellschaft hatten und haben. Die meisten Frauen konnten nie darüber sprechen und gaben ihr unbewältigtes Trauma vielfach an ihre Kinder weiter! Und die rückkehrenden Soldaten fragten ihre Frauen, Schwestern, Mütter nicht, was sie denn erlebt haben, weil auch sie nicht gefragt werden wollten: Was hast du denn getan? Jahrzehntelang wurden die Folgen wie Beziehungs- und Bindungsunfähigkeit, neue Gewalt, Medikamenten- und Alkohol-Abusus nicht in einen Zusammenhang zu Schuld und Leid im Kontext des Nationalsozialismus und 2. Weltkriegs gestellt! Und dies obwohl die BRD mit der materiellen Unterstützung des Marschallplans im aufkommenden Ost-West-Konflikt in einer Sondersituation war, in welcher heute weder BiH, noch Kosovo, oder Afghanistan sind! Erst in den letzten Jahren wurde das Leid auch der Kriegskinder und -enkel zunehmend zum Thema. Die Bilder heute von Flüchtlingen reaktivieren bei vielen Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, eigene Erfahrungen von Hilflosigkeit, schierer Verzweiflung und medica mondiale e.V. – Hülchrather Straße 4 – 50670 Köln –www.medicamondiale.org -3- Heimatlosigkeit. Dies gilt auch für die jüngeren Generationen, die die Kriegserzählungen kennen oder auch nur eine Ahnung davon haben. Ich zitiere hier die Kölner Autorin Sabine Bode, die sagt: Die intellektuelle Aufarbeitung der Kriegsgewalt ist vielfach geschehen, was fehlt ist die emotionale. Gibt uns das aktuelle Flüchtlingsdrama die Chance dazu? Viele der nach Deutschland geflüchteten Frauen und Mädchen haben in ihrer Heimat Gewalt erlebt, und viele erneut auf ihrer Flucht. Unerträglich ist, dass sich sexualisierte Gewalt auch in Deutschland fortsetzt: In den völlig überfüllten Flüchtlingsunterkünften sind die Frauen und Mädchen weiterer Gewalt ausgesetzt: sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, Zwangsprostitution. Aufgrund der Residenzpflicht und Wohnsitzauflagen haben die Frauen noch dazu kaum Möglichkeiten, der Gewalt auszuweichen. Gleichzeitig sind die wenigen qualifizierten Beratungseinrichtungen völlig überlastet; in den letzten Jahren wurden sogar noch Ressourcen gekürzt! Um diesen Frauen, deren Leid wir präventiv nicht verhindert haben, eine echte Lebensperspektive zu bieten, tut Aufklärung in Öffentlichkeit und Politik not! Denn dann kann auch verstanden werden, dass für Menschen mit solchen komplexen Trauma-Folgen BiH/Kosovo eben nicht als "sichere Herkunftsländer" betrachten werden können! Die Erfahrungen von sexualisierter Gewalt bringen langfristige und massive Folgen für die Einzelnen und die ganze Gesellschaft mit sich, das hat die Studie, die wir Ihnen heute vorstellen wollen, mehr als deutlich bestätigt Das bosnische Gesetz des „Status des zivilen Kriegsopfers“ von 2006, das im Krieg vergewaltigte Frauen den Veteranen gleichstellen soll, ist einmalig und eine von Frauenaktivistinnen hart erkämpfte Errungenschaft. Es soll modellhaft Überlebende unterstützen und sie gesellschaftlich integrieren. Es könnte Gerechtigkeit wie auch eine positive Erinnerungskultur beflügeln – ist aber leider praktisch hochproblematisch, da es ohne begleitende Aufklärungsmaßnahmen vielmehr die Tabuisierung und Ausgrenzung der Frauen befördert! Dazu und zu den Folgen sowohl auf der gesundheitlichen und der sozialen Ebene werden Ihnen meine Kolleginnen gleich mehr berichten. Mittlerweile bestätigen auch mehrere Berichte das massive Vorkommen von sexualisierter Gewalt gegen Männer und Jungen in vielen Kriegskontexten und auch auf der Flucht. Da dies die patriarchalen Geschlechterstereotypien in Frage stellt, ist es gesellschaftlich völlig tabuisiert. Nur in wenigen Fällen erhalten Männer wirkliche Bearbeitungsmöglichkeiten, Unbearbeitet kann diese Erfahrung gemäß patriarchaler Verhaltens-Schemata zu neuer Gewalt an Schwächeren führen! medica mondiale e.V. – Hülchrather Straße 4 – 50670 Köln –www.medicamondiale.org -4- Als politisches Instrument ist für uns die UN Resolution 1325 aus dem Jahre 2000 sehr wichtig: Hier wird die Relevanz der Partizipation von Frauen am Wiederaufbau ihrer zerstörten Länder betont – völlig richtig, aber dafür ist eine ganzheitliche Unterstützung der traumatisierten Überlebenden unerlässlich! Doch nicht nur sind solche Einrichtungen wie Medica Zenica immer noch viel -zu wenige, sie müssen auch immer wieder um ihr finanzielles Überleben kämpfen! Weiter betont die Resolution, wie wichtig die Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen ist - auch das sehen wir genauso! Doch Frauenrealitäten kommen nur dort vor, wo Frauen auch maßgeblich beteiligt sind. Doch hier fehlt nach wie vor der politische Wille, eine inklusive Kultur zu fördern. Das gilt für die Regierungen sogenannter fragiler Staaten wie auch für ihre westlichen Geldgeber. Eine Globale Studie zur bisherigen Implementierung dieser Resolution betont die Wichtigkeit, Straflosigkeit endlich zu beenden. Das sehen wir auch als ein Haupthindernis, dass Frauen überhaupt Gerechtigkeit erfahren können. Die Verurteilung von Tätern liegt sowohl bei Internationalen Kriegsverbrechertribunalen als auch in nationalen Vergewaltigungsprozessen (wie auch in Deutschland!) unter 10%! Weder juristisches Konzept noch Gestaltung des Gerichts-Settings sind auf die Überlebenden ausgerichtet. Die Studie betont auch explizit die präventive Wirkung, wenn Frauen, ihre Familien und die Community beteiligt werden. Nur so ist eine individuelle als auch kollektive Bearbeitung der Traumata möglich, nur so können gemeinschaftliche Heilungsprozessen in Gang kommen. Das bedeutet eine Befriedungsarbeit, die statt transgenerationaler Trauma-Weitergabe neue, absehbare Gewaltspiralen unterbricht, und stattdessen die für eine gesunde Gesellschaft unerlässlichen Versöhnungsprozesse fördert. Das Gegenteil jedoch ist heute die globale Realität: ein patriarchaler Militarisierungskreislauf von Gewalt und Gegengewalt, der von Israel/Palästina über Afghanistan, Irak, Syrien, bis hin zu den involvierten westlichen Staaten verläuft, die wieder einmal nicht viel mehr anzubieten haben als eine militärische Antwort mit Bombenattacken - im transgenerationalen Kontext auch zu sehen als Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs und des 11. September 2001! Dies alles macht mehr als deutlich, dass unsere fachliche Antwort einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz braucht, dass sie emanzipatorisch und auf die eigenen Ressourcen der Frauen ausgerichtet wird, dass Projekte langfristig und nachhaltig angelegt werden und dass wir uns politisch einmischen müssen. Alleine schon zur Burnout Prävention! Schluss. Die Aufarbeitung sexualisierter Kriegsgewalt und der Umgang mit ihren Folgen sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Diese Aufgabe darf nicht allein auf den Schultern der Betroffenen oder der sie unterstützenden Frauenorganisationen lasten. Gerade auch Politik medica mondiale e.V. – Hülchrather Straße 4 – 50670 Köln –www.medicamondiale.org -5- und therapeutische Fachwelt müssen noch mehr verstehen und anerkennen, welche langfristigen und zerstörerischen Folgen die komplexen Traumastörungen sexualisierter Gewalterfahrungen nach sich ziehen. Wir alle haben die Verantwortung, genügend äußere Sicherheit herzustellen. Nur so können überlebende Frauen wieder ins Leben zurückkehren und eigene innere Sicherheit zurückgewinnen! Ich wünsche Ihnen und uns allen eine konstruktive Tagung mit vielfältigen Erkenntnissen! medica mondiale e.V. – Hülchrather Straße 4 – 50670 Köln –www.medicamondiale.org
© Copyright 2024 ExpyDoc