Den Frauen eine Stimme

Den
Frauen
»Erlittene
Traumata schwelen
schambesetzt im
Verborgenen«
eine
Stimme
Die Ärztin Monika Hauser
gründete Medica Mondiale
MENSCHEN |
eve X.XX | 24
Feministisch, engagiert, radikal:
Die Frauenrechts- und Hilfsorganisation
Medica Mondiale unterstützt Frauen
und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten. Seit 22 Jahren ist Monika
Hauser ihr Sprachrohr.
Frau Dr. Hauser: Männer in Kriegen, Frauen in Kriegen. Wo liegen die Unterschiede? Die Geschlechterstereotype sind hier in dramatischer Weise verstärkt:
Männer sind die Helden mit der Waffe, die töten und vergewaltigen, die sich alles nehmen können. Frauen sind
die Schwachen, die vergewaltigt werden. Wir arbeiten
daran, diese Geschlechterrollen aufzubrechen.
Das Arbeitsfeld von Medica Mondiale ist die »sexualisierte Gewalt«. Was bedeutet das konkret? Vor allem
haben wir es mit Vergewaltigungen und Zwangsprostitution zu tun. Zum Beispiel werden Frauen in Lagern
versklavt, um Soldaten zu Diensten zu sein. Auch Blauhelmsoldaten missbrauchen ihre Macht, indem sie vor
Ort junge Mädchen kaufen. Sexualisierte Gewalt ist auch,
wenn Frauen nackt auf Tischen tanzen müssen, sie an
Hundeleinen vor Soldaten herumgeführt werden. All das
ist Machtausübung mit sexuellen Mitteln. Die Frauen
werden erniedrigt, gepeinigt, ihre Würde wird regelrecht
mit Füßen getreten.
Verbrechen, die nicht neu sind ... Keineswegs. Bekannt
ist das Beispiel der »Comfort Women«, der »Trostfrauen«,
ein euphemistischer Ausdruck für koreanische Mädchen
und Frauen, die für die japanischen Kriegsbordelle der
kaiserlichen Armee des Zweiten Weltkrieges zwangsprostituiert wurden. Allein dort waren 200.000 Frauen
betroffen. Durch Krankheit oder Unterernährung gestorbene Frauen sind hier nicht mal mit erfasst.
In welchen aktuellen Konflikten zeigt sich sexualisierte
Gewalt besonders? Praktisch überall. Aktuell in Syrien
oder im Irak wird sie als Mittel der Kriegsführung systematisch angewandt. Ich finde es unzulässig, dass immer
nur der IS oder die nigerianische Boko Haram genannt
werden. Auch Assads Schergen in den Gefängnissen
Syriens gehören dazu. Hier ist die Gefahr, vergewaltigt zu
werden, extrem hoch. Schlepper üben auf der Flucht
sexualisierte Gewalt gegen Frauen aus, auch Mitflüchtlinge oder Ordnungskräfte werden zu Tätern. Die ganze
Flüchtlingsroute Syrien, Türkei, Serbien, Kroatien ist ein
Gefahrengebiet. Die Medien konzentrieren sich auf solche Brennpunkte, aber in Wirklichkeit sind Frauen an vielen Orten auf der Welt von Gewalt betroffen.
Mit dieser Lebenswirklichkeit sind Sie persönlich
schon sehr früh konfrontiert worden. Ja, ich bin als
25 |
eve 6.15 | MENSCHEN
Feier | Das Frauenzentrum in
Fish Town, Liberia, wird eröffnet.
Aktion | Kampagne mit Prominenten in der Kölner Innenstadt.
Südtiroler Migrantin in der Ostschweiz aufgewachsen
und mit 17 in einen Kibbuz gegangen, weil mich die
Geschichte des Zweiten Weltkrieges immer schon interessiert hat. Ich selbst war ein gutes Beispiel dafür, was
wir heute transgenerationelles Trauma nennen, die unbewusste Weitergabe von Traumata und Schuldverstrickungen an nachfolgende Generationen. So bin ich Teil
der nie bewältigten Gewalt, die meine Mutter, meine
Großmutter und Tanten im Krieg und im Alltag erlebt
haben. Das hat mich in Bewegung gesetzt.
Die Bewegung wurde 1992 im Bosnienkrieg ganz konkret. Die Geburtsstunde von Medica Mondiale. Damals
las ich vom Leid der Frauen und wollte helfen. Die klassischen Organisationen haben mich abgewiesen: »Den
muslimischen Frauen kann man nicht helfen«, hieß es.
Das hat mich sehr wütend gemacht. Auch die Untätigkeit
der internationalen Politik war skandalös. Vor Ort war
meine Unterstützung sehr willkommen.
Im Mai haben Sie eine Studie veröffentlicht, die sich
mit den Spätfolgen von Kriegsvergewaltigungen und
den Bewältigungsstrategien befasst. Was war das
Ergebnis? »We are still alive« heißt die Studie. Sie zeigt,
eve VIDEO
Monika Hauser
im Kurzinterview
eve-magazin.de/
0615/Hauser
dass fast 60 Prozent der Überlebenden auch nach
20 Jahren noch an posttraumatischen Belastungsstörungen, zum Beispiel Somatisierungen und Angststörungen,
leiden. Andere haben Schlafprobleme, depressive Stimmungslagen oder gynäkologische Probleme. Für 70 Prozent der Betroffenen ist die erlittene Vergewaltigung nach
wie vor lebensbestimmend. Andererseits zeigt die Studie
auch, dass Stabilisierung und neue Kraft bei entsprechender Hilfe möglich ist.
S T E C K B R IE F
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Dr. Monika Ha
Alter: 56 Jahre
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Wohnort: Brüh
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Anerkennung en gros | Geschäftsführungskolleginnen
Christiane Overkamp und Monika Hauser mit zahlreichen
Preisen und Auszeichnungen als ambivalente Ehre.
In welchen Regionen ist Medica Mondiale heute tätig?
Wir arbeiten mit Hunderten Mitarbeiterinnen und einem
Etat von rund fünf Millionen Euro in Deutschland, dem
Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Irak, Liberia, Afghanistan
und den Ländern um die großen afrikanischen Seen, also
Burundi, Uganda, Ruanda und dem Kongo.
In den vergangenen Jahren wurden Sie mit Preisen
reich bedacht: »Frau des Jahres«, Gustav-Heinemann-Bürgerpreis, Alternativer Nobelpreis und viele
mehr. Was brachte das Medienecho? Aufmerksamkeit,
natürlich. Kurzfristig. Das ist gut. Aber Medien berichten
nicht kontinuierlich. Die Gesellschaft nutzt Preisvergaben
auch als Alibi und delegiert das Problem: Hier hast du
einen Preis, aber bitte mach die Arbeit auch.
Wenn Sie eine gemeinsame Wurzel für Krieg und
Gewalt benennen sollten: Ist es Macht, Nationalismus
oder Religion jeder Couleur? Es geht immer um Macht.
Viele Männer fühlen sich ohnmächtig und müssen das
überspielen. Die patriarchalen Strukturen erlauben es
Männern nicht, ihre Gefühle zu zeigen. Autos, Geld und
auch Krieg müssen diesen Leerraum füllen. Dazu lässt
sich die Religion prima instrumentalisieren: In allen Religionen gibt es Fundamentalismen. In dramatischer Weise
sehen wir das aktuell im Irak, Syrien, aber auch in der
katholischen Kirche.
Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft? Dass es mehr
Organisationen gibt wie die unsere und Geschlechtergerechtigkeit sich durchsetzt. Vor allem aber fordere ich
von der westlichen Politik, dass sie ihre Verantwortung
endlich übernimmt. jre
www.medicamondiale.org
MENSCHEN |
eve 6.15 | 26