Brief soziale Netzwerke - Soziale Berufe aufwerten

Streikende Kolleginnen und Kollegen
im Sozial- und Erziehungsdienst
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An
alle Eltern,
alle Bürgerinnen und Bürger,
alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
alle Arbeitgeber,
alle Verbände und Organisationen,
alle Parteien
2. Juni 2015
Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst, tätig in kommunalen KiTas, an
Ganztagsschulen, in der Jugendhilfe, in Behindertenwerkstätten und vielen anderen
Einrichtungen der sozialen Arbeit, wenden sich mit diesem Schreiben an Sie.
Wir wussten im Vorfeld nicht, wie schwierig diese Tarifauseinandersetzung wird und wie
ignorant sich die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber uns gegenüber verhält.
Aber genau diese tatsächlich schwierige und ungerechte Situation bringt uns Menschen im
sozialen Bereich zum Handeln.
Wir befinden uns mittlerweile in Woche 4 eines bundesweiten Streiks des Sozial- und
Erziehungsdienstes.
Mit diesem Streik treffen wir leider genau die, die es nicht verdient haben die Kinder und ihre
Familien.
Wir können aber keine Tarifauseinandersetzung führen, ohne dass sie spürbar ist und in der
Öffentlichkeit diskutiert wird.
Wir stehen da, wo wir jetzt stehen, weil wir uns in den letzen 20 Jahren immer wieder aus
Verantwortung gegenüber den Kindern und Ihren Familien auf einen Arbeitskampf, wie er jetzt
bundesweit stattfindet, nicht eingelassen haben.
Es schlagen also zwei Herzen in unserer Brust.
Ein Herz schlägt für die Kinder und ihre Familien, ein anderes dafür, unsere berechtigten
Forderungen durchzusetzen. Unser Streik der letzten Wochen kann nicht umsonst gewesen sein.
Sie, die Eltern kennen uns. Sie wissen, was wir täglich vor Ort leisten. Sie vertrauen uns ihr
kostbarstes Gut an, vertrauen auf unsere fachliche Kompetenz in allen Situationen.
Sie wissen, dass ihre Kinder bei uns in guten Händen sind, dass wir ihnen Trost spenden, sie
auffangen, mit ihnen lachen, sie fordern und fördern auf ihrem Weg ins Leben.
Sie wissen auch, dass wir für Sie verlässliche Partner sind, die Ihnen nicht nur in
Erziehungsfragen zur Seite stehen.
Am schwersten ist es für Sie, der Herausforderung zu trotzen, keine Betreuung für Ihre Kinder
zu haben und die Tage zu organisieren. Andere von Ihnen sind verzweifelt, da sie nicht wissen,
wie sie die Zeit überbrücken sollen.
Diese Situation bedauern wir außerordentlich.
Viele von Ihnen unterstützen uns in unserem Arbeitskampf durch Solidaritätsbekundungen auf
unseren Unterschriftenlisten oder mit Aktionen. Es gibt Schreiben von Eltern an die
kommunalen Arbeitgeber, die Bürgermeister…
Streikende Kolleginnen und Kollegen
im Sozial- und Erziehungsdienst
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Mit unserem Streik haben wir eine gesellschaftspolitische Diskussion losgetreten:
 Was sind Kinder und ihre Familien einem Land wie Deutschland wert?
 Was sind dieser Gesellschaft die Menschen wert, die Kindern hoch engagiert einen
Ort zum sozialen und ganzheitlichen Lernen bieten?
 Was sind diejenigen wert, die in Kindertagesstätten und anderen sozialen
Einrichtungen arbeiten und es somit ermöglichen, dass Eltern mit einem ruhigen
Gefühl zur Arbeit können?
 Was ist es wert, dass sich Arbeitgeber auf Mitarbeiter_innen verlassen können, die
ihre Kinder gut versorgt wissen?
 Was ist es dem Staat wert, dass er in seiner Vielfältigkeit nur reibungslos
funktionieren kann, wenn das System „Sozial- und Erziehungsdienst“ funktioniert?
Nicht nur Banken sondern auch wir sind systemrelevant!!!
Wenn die Arbeitgeber sagen, wir hätten in den letzten 6 Jahren eine Lohnsteigerung von 33 %
erhalten, dann verschweigen sie, dass Berufsanfängerinnen 2005 durch eine Überleitung in einen
anderen Tarif bis zu 400,- € im Monat verloren haben. Erst in den Tarifverhandlungen 2009 ist
es der Gewerkschaft gelungen, diese Ungerechtigkeit in der Bezahlung unserer jungen
Kolleginnen und Kollegen auszugleichen. Nur wenn man diesen Ausgleich der Ungerechtigkeit
mit den Lohnsteigerungen der normalen Lohnrunden für den öffentlichen Dienst addiert, nur
dann errechnen sich diese propagierten 33% und das auch nur für Berufsanfängerinnen und
Berufsanfänger.
Es gab jedoch keine Aufwertung - die wollen wir jetzt!
Viele von Ihnen fragen sich „Worum geht es hier eigentlich?“
Zur Erklärung:
Die Eingruppierung nach Tätigkeitsmerkmalen erfolgt für den Sozial- und Erziehungsdienst in
der sogenannten S-Tabelle für den öffentlichen Dienst.
In den letzten 25 Jahren hat sich Grundlegendes in unserem frühkindlichen Bildungssystem
geändert. Der Kindergarten hat sich zur ganztägigen Bildungseinrichtung entwickelt.
Aber die letzte Bewertung und Änderung der so genannten Tätigkeitsmerkmale erfolgte 1991,
d.h. die Grundlage unserer heutigen Bezahlung sind Tätigkeiten, die vor fast 25 Jahren festgelegt
worden sind.
Deshalb fordern wir jetzt eine Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst mit
einer Neubewertung dieser Tätigkeitsmerkmale.
Streikende Kolleginnen und Kollegen
im Sozial- und Erziehungsdienst
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Eine Erzieherin verdient im Saarland nach einer 4 jährigen Ausbildung, mit dem Abschluss
Fachhochschulreife, nach sieben Jahren in Vollzeit-Berufstätigkeit 1727,88 € netto.
Das Durchschnitts-Netto-Einkommen in Deutschland lag 2013 zwischen 2048,- € und 2414,- €.
Wenn davon gesprochen wird, dass wir eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 10 % fordern,
dann fordern wir den Anschluss an den Durchschnittsverdienst in Deutschland.
In Deutschland verdienen Frauen immer noch bis zu 22 % weniger als Männer. Im Sozial- und
Erziehungsdienst arbeiten über 95 % Frauen. Wären die Berufsfelder im Sozial– und
Erziehungsdienst nicht die typischen Frauenberufe, hätten wir mit Sicherheit eine andere
Entlohnung.
Ein typischer Frauenberuf könnte nun endlich Aufwertung erfahren und müsste nicht wie
bisher ein Weg in die Altersarmut sein.
Nur mit einem guten Tarifabschluss kann es gelingen künftig junge Menschen, auch Männer, für
diese Berufe zu gewinnen.
Seit Montag sind die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber und ver.di wieder im Gespräch. Wir
hoffen alle, dass sich die Arbeitgeber ihrer Verantwortung bewusst sind und ein annehmbares
Ergebnis am Ende dieser Gespräche stehen wird. Bis es zu einem Ergebnis gekommen ist
werden wir unseren Streik fortsetzen. Ein Aussetzen des Streikes würde von den Arbeitgebern
als Zeichen der Schwäche und Resignation gewertet. Der bisherige Streik darf nicht umsonst
gewesen sein, da er die Bewertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst für die nächsten
Jahre prägt.
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
bieten Sie betroffenen Eltern in Ihrem Bekanntenkreis oder in Ihrer Nachbarschaft Unterstützung
an, schaffen Sie Netzwerke o.ä.- Vieles ist möglich!
Liebe Arbeitgeber,
unterstützen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser schwierigen Situation. Auch Sie
können Einfluss auf die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber nehmen!
Liebe Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
melden Sie sich bei der VkA zu Wort, wie es schon einige von Ihnen getan haben und setzen Sie
ein richtungsweisendes Signal - Sie haben den Einfluss!
Liebe Kinder und Eltern,
wir bedanken uns ganz herzlich, dass Ihr solange durchhaltet. Wir wissen wie schwer das für
Euch ist. Bitte haltet noch ein wenig mit uns gemeinsam aus.
Ihr habt uns bald wieder!
Für alle Kolleginnen und Kollegen im Sozial- und Erziehungsdienst und für
die Gewerkschaft verdi