Dr. Gertraud Battisti, Psychologin, Lehrauftragte an Freien

Weiterentwicklung der
familienergänzenden
Kinderbetreuung in Südtirol
Arbeitsgruppe 2014/2015
Gerda Fulterer, Gertraud Girardi Battisti, Christa Ladurner,
Gerhard Mair, Gudrun Schmid
Prämissen
• Familien erbringen Leistungen, die der gesamten
Gesellschaft zugute kommen.
• Gesellschaft darf nicht nur von ihr profitieren, sondern
muss in die Familie auch investieren.
• In den meisten nord- und mitteleuropäischen Ländern
gibt es für die Familien eine gesellschaftspolitische
Anerkennung.
• Diese Anerkennung kann / soll vielfältig sein.
• „In Italia la famiglia è centrale nelle retoriche, ma
assente nelle politiche“ (Barbara Poggio, Universität
Trient)
• Jede Familie hat mit jedem Kind und jeder
Entwicklungsphase unterschiedliche Bedürfnisse und
braucht entsprechende Antworten.
• Kinderbetreuung muss Bildung und Erziehung
mitdenken, wie auch das Recht des Kindes auf
Beziehung, Pflege und Zuwendung.
• Familie braucht Rahmenbedingungen, die in Bezug
stehen zu ihrer Formenvielfalt und ihren individuellen
Bedürfnissen.
• Die Entscheidungen der Eltern und die Wahl, die sie
treffen für die Betreuung ihrer Kinder, dürfen nicht
gegeneinander ausgespielt werden.
Kleiner Streifzug durch die
Geschichte
• Betreuung von Kleinkindern außerhalb der Familie ist nicht
eine Erscheinung der modernen Gesellschaft.
• Es ist ein 4000 Jahre altes Thema und beschreibt die
Geschichte der „Bemutterung“ als Pendelbewegung.
• Griechenland in der archaischen Zeit : großes Ansehen für
Frau als „Ehefrau, Mutter, Vorsteherin des Hauswesens“, alle
anderen Bereiche besetzte der Mann. (800 – 500 v. Chr.)
• Hellenistische Zeit: Stillen und Kinderpflege galten als niedere
Tätigkeiten und wurden Sklavinnen überlassen. (350 – 30 v.
Chr.)
• Wende mit Christentum (Kaiser Konstantin / Kaiser
Theodosius): Familie und alles Leben werden unter Schutz
gestellt, besonders Kinder. (300 – 400 n. Chr.)
• Hochmittelalter: Ammenwesen an den Königshöfen in
Mode, etwas später auch unter Händlern und
Handwerkern. (11. bis 13. Jahrh. Ammenwesen bis 14.
Jahrh.)
• Jaques Rousseau mit seinem „zurück zur Natur“,
propagierte dann wieder die natürliche Mutter. (18.
Jahrh.)
• Im gehobenen Bürgertum des 19. Jahrhunderts wurde
die „Mutter“ vom Ideal der „Dame“ abgelöst.
Kindermädchen übernahmen die Betreuung.
• Deutscher Nationalsozialismus / italienischer
Faschismus: Mutter wird glorifiziert.
• Das Altes Ägypten hatte ein ausgewogenes Gleichgewicht:
Frauen konnten Handel treiben, Verträge abschließen, Erbe
antreten.
• Frauen stillten Kinder selber, ließen sich aber gelegentlich
unterstützen durch Ammen. (ca. 2700 – 300 v. Chr.)
• Ein stabiles Modell, das 2500 Jahre andauerte.
• (vgl. Harsch, H. 2008)
Ausbau der familienergänzenden
Betreuungsangebote
• Ziele:
• Antwort auf die Bedürfnisse und Notwendigkeit der Familien
nach familienergänzender Betreuung
• Gewährleistung dieser Betreuung als gesellschaftlichen Auftrag
• Anerkennen der unterschiedlichen Bedürfnisse im ländlichen und
im städtischen Raum.
• Kulturelle Unterschiede (deutsch / italienisch / ladinisch, andere
Kulturen.
• Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
(Armutsvermeidung)
• Möglichst frühe Chancengleichheit von Kindern (Prävention,
frühkindliche Förderung...)
Herausforderungen
Aspekte
Aufbauarbeit
Bildung und Betreuung relativ
junges Feld, das erst in größerem
Umfang gefördert werden muss
Unsicherheiten
Familienergänzende Betreuung
versus häusliche Betreuung wird
polarisierend diskutiert und nicht
als Ergänzung gesehen.
Unsicherheiten auf Seiten der
Eltern
Bedarfsplanung
Künftig benötigen 30% der Kinder
bis zu 3 Jahren einen
Betreuungsplatz
Herausforderungen
Aspekte
Angebotspluralismus
Im Betreuungsangebot unter 3
Jahren hat sich pluralistisches
Angebotssystem entwickelt.
Gut, weil so flexibel und
individuell auf die Bedürfnisse
der Familien eingegangen
werden kann.
Partner / Trägerschaft
Aufbau von Partnerschaften mit
alten/ neuen Akteuren
Verwaltungstechnische Abläufe
sind mit hohem Bürokratismus
verbunden
Kooperation
Entwicklungsprozess erfordert
intensive Kooperation:
Gemeinden, Träger, Eltern.
Angebot Kinderbetreuung 2014
• Kinder 0-3 Jahre
• 13 Kinderhorte
• 50 Kitas in 35 Gemeinden
• 16 Betriebskitas (6 mit gemischter Nutzung durch
Betriebe/Gemeinde)
• 190 Tagsemütter
• Über 3.800 betreute Kinder
• Außerschulische Betreuungsangebote 2014 /Kinder 3 – 14
Jahre (Gemeinde, Schule, priv. Körperschaften)
• 243 Projekte Sommerbetreuung
• 84 Projekte Nachmittagsbetreuung
• Über 50.000 Kinder
• Kleinkinder in Betreuung (0-3 Jahre) / Betreuungsquote
• Südtirol 19% (einschl. Tagesmütter 25%)
• Barcelona-Ziele: 33% (Kinder zw. 9 Monaten und 3 Jahren)
• Geburtenziffer Südtirol: 1,60
• Vergleich Nachbarländer:
• Österreich 23% (Tirol 23,3%, Wien 41, 8%)
• Geburtenziffer 1,44
• Deutschland 32,3% (Bayern 27,1%, Sachsen Anhalt 58,3%)
• Geburtenziffer 1,38
• Frankreich 44%
• Geburtenziffer 2,01
Leitlinie1: Platzangebot nach
Bedarf
Planungssicherheit soll gewährleistet werden.
Ziele:
•Einheitliches Mindestangebot in jeder Gemeinde (Ziel 33%)
•Einheitliche Kriterien für Rangordnung
•Zusätzlich Angebot nach Bedarf
•Bedarfserhebung anhand statistischer Daten in definierten
Zeitabständen
•Land bietet Support
•Vorteile: keine Wartelisten, Planungssicherheit, individuelle
Lösungen nach Situation
Leitlinie 2: Qualität der
Kinderbetreuung
• Bedeutung der ersten 3 Lebensjahre für die spätere
Entwicklung muss auf gesellschaftlicher, aber auch politischer
Ebene bewusster gemacht werden:
• Kultur der Erziehung, Betreuung und Bildung von 0-3
entwickeln
• Investitionen in die frühkindliche Bildung „rechnet“ sich durch
ersparte Folgekosten.
Leitlinie 2
• Ziele
• Errichtung Kompetenzstelle mit Fachpersonen (Familienagentur)
• Festlegung einheitlicher Richtlinien und Kriterien
• Betreuungsschlüssel (1:3 bis 1 Jahr, 1:5 ab 1 Jahr)
• Gruppengröße (Beispiel: max. 10 Kinder)
• Infrastruktur (mit Förderung von Investitionen wie Kindergarten)
• Vorteile:
•
•
•
•
•
Altersgerechte Betreuung und Förderung
Kontinuität der Betreuung bis zum 3. Lebensjahr
Längerfristige Vorteile für kindliche Entwicklung
Akzeptanz von Betreuungsstrukturen
Akkreditierung und Vergabe nach Standards
Leitlinie 3: Qualität Arbeitsplätze
• Angemessene Entlohnung stärkt Motivation und
Zufriedenheit.
• Verringert Fluktuation, erhöht Kontinuität als
Qualitätsmerkmal
• Ziele:
•
•
•
•
•
Angemessene Entlohnung / Rentenversicherung
Definierte Betreuungsschlüssel und Gruppengrößen
Einheitliche Ausbildungsstandards
Weiterbildung
Zusatzpersonal für Kinder mit erhöhtem Betreuungsbedarf
• Vorteile: weniger Fluktuation, qualifiziertes Personal,
Entlastung / bessere Absicherung der Mitarbeiter
Leitlinie 4
ergänzende Betreuung 4 – 14
Jahre
• Das Angebot der außerschulischen Kinderbetreuung hat sich
•
•
•
•
in den vergangenen Jahren vielfältig entwickelt.
Große Qualitätsunterschiede ergeben Handlungsbedarf.
Rahmenbedingungen machen es schwer qualitativ gute
Dienste zu bieten.
AnbieterInnen geben ihr Bestes
Ziel:
• Einheitliche Qualität für Sommer- und Nachmittagsbetreuung
• Ausbau des Angebots und Abstimmung mit
Bildungseinrichtungen
• Angemessene Räumlichkeiten und Material
• Zusatzqualifikation für Tagesmütter für 4 – 14 Jährige
• Ausbau Sommerkindergarten
Leitlinie 5: Finanzierung
• Kleinkindbetreuung muss stabiles, qualitativ hochwertiges,
abgesichertes Grundangebot sein, wie der Kindergarten.
• Es ist dies eine wichtige Investition in die Zukunft und bedarf
einer Aufstockung der Finanzmittel.
• Ziele:
• Angemessene Finanzierung aller Formen von
Kinderbetreuungsdiensten durch Land und Gemeinden
• Möglichst geringe, planbare Kosten für die Familien
• Berücksichtigung sozioökonomischer Notlagen
• Finanzielle Planungssicherheit für alle
• Neues Abrechnungsmodell mit weniger Bürokratie
• Maßnahmen: Derzeit Ausarbeitung eines neuen
Finanzierungsmodells für Kleinkindbetreuung
Abschließende Gedanken
• Kinder brauchen in jedem Alter Lebensorte, an denen sie sich
wohlfühlen. Innerhalb und außerhalb der Familie.
• Aufmerksame Erwachsene, die sie begleiten, die das, was sie
ausdrücken feinfühlig aufnehmen und ihnen das geben, was
für sie wichtig ist. Erwachsene, die sich für sie, ihre Gefühle
und Überlegungen interessieren.
• Sie brauchen andere Kinder – Gleichaltrige, Jüngere, Ältere –,
um sich kennen zu lernen, sich zu messen mit anderen Regeln
und Rahmenbedingungen und um so soziale Kompetenzen zu
entfalten.
• Eltern und die gesamte Familie brauchen diese
Aufmerksamkeit, Zuwendung und Anerkennung für das, was
sie leisten, so gut sie können.