Entkopplung ohne Absturz

Editorial NL
Prof. Dr. Klaus Böhme, Chefredakteur
Summe hätte die deutsche Landwirtschaft
bei Einführung einer regionalen Flächenprämie im Falle der Nicht-Einbeziehung
dieser Flächen nämlich verzichten müssen. Die EU-Entscheidung dürfte auch die
Mehrheit der Länder stärken, die für ein
Regionalmodell am Ende einer mehrjährigen Übergangsphase eintreten.
Die deutsche „Entkopplungs-Kommission“ hat für die Zeit bis voraussichtlich
2012 ein schrittweise zu veränderndes
Kombinationsmodell als Übergang vorgeschlagen. Kombiniert werden sollen Flächenprämie, Betriebsprämie und Grünlandprämie. Das Motto heißt: So viel
Entkopplung
ohne Absturz
I
m Sturzflug, im Gleitflug oder gar im
Looping – wie sollen denn nun die
Prämien für die deutschen Landwirte
entkoppelt werden? Wer damit gerechnet hatte, nach dem Treffen der Agrarminister Ende September in Rostock etwas klarer zu sehen, sah sich enttäuscht.
Nur über das Ziel wurde man sich auf der
Agrarministerkonferenz einig: Am Ende
soll eine bundeseinheitliche Regelung
stehen. Aber es wurde deutlich, dass der
Weg dorthin steinig sein wird.
Einen großen Stolperstein hatte allerdings
der EU-Sonderausschuss Landwirtschaft
wenige Stunden vor dem Rostocker Ministertreffen schon aus dem Weg geräumt:
Wer ein Regionalmodell an Stelle der Betriebsprämie einführen will, kann die einheitlichen Hektarprämien auch für Obst-,
Gemüse- und Kartoffelflächen zahlen
(siehe S. 23). Damit ist ein 90 Millionen
Euro schwerer Hinderungsgrund für das
Regionalmodell aus dem Weg. Auf diese
Flächenprämie wie möglich und schnelle
Überführung der Betriebsprämien in eine
einheitliche, regionale Flächenprämie.
Die Prämienrechte für Ackerflächen sollen aus den bisherigen Prämien der Feldfrüchte umgerechnet auf die regionalen
Anbauflächen berechnet werden. In die
Betriebsprämie würden die bisher dem
Betrieb gewährte Sonderprämie für Bullen, die Schlachtprämie für Kälber, die
Mutterschafprämie, ein Teil (mindestens
75 Prozent) der Mutterkuhprämie und
später auch die Milchprämie einbezogen.
Schließlich soll sich aus den übrigen Tierprämien eine Prämie je Hektar Grünland
ergeben.
Neben diesem Vorschlag gibt es noch eine
unübersehbare Zahl von Varianten für den
Übergang zur entkoppelten Prämie, die
von den Ländern und ihren Forschungsanstalten, dem Berufsstand und verschiedenen Wissenschaftlern entwickelt und
geprüft wurden und werden.
Das bemerkenswerteste Modell der letzten Zeit ist sicher das des Gleitfluges,
entwickelt von Professor Isermeyer. Er
schlägt vor, im Jahr 2005 für alle landwirtschaftlichen Flächen mit Ausnahme
der Dauerkulturen Prämienrechte zu vergeben. Der Nennwert dieser Rechte soll
sich aus einer Flächen- und einer Betriebskomponente errechnen, die gleitend
bis 2015 zu einer „regionalen Einheitsprämie“ entwickelt werden. Der Nennwertverlauf wird bereits bei Ausgabe des
Rechtes bis 2015 fixiert und berücksichtigt z. B. die Einbeziehung der Milchprämie ab 2008.
Das „isermeyersche Gleitflug-Modell“
würde bei Erreichen des Zieles „regionale
Einheitsprämie“ in zehn Jahren langfristige Planungssicherheit mit einem schrittweisen, vorhersehbaren Abbau der derzeitigen Ungleichbehandlung der Landwirte
verbinden. Und es hätte den Vorteil, dass
die ausgeteilten Rechte von Beginn an
handelbar sind. Es wäre ein tatsächlicher,
marktwirtschaftlicher Fortschritt. Natürlich ist auch dieser Vorschlag kein Idealmodell, aber die Vorzüge gegenüber anderen Lösungen sind bestechend.
Viel bleibt in den nächsten Monaten zu
tun. Der Fallschirm für Härtefälle muss
geschneidert werden, für die Verwaltung
der Prämien muss eine einfache Lösung
gefunden und regionale Überspitzungen
müssen abgebrochen werden. Vieles ist
noch mit den Gremien der EU abzustimmen.
Überhastete, nicht ausreichend durchdachte Lösungen würden sich über einen
langen Zeitraum auswirken und wären
kaum mehr zu reparieren. Außerdem muss
bei der Suche nach einem pragmatischen
Kompromiss und vor allem auch bei der
Wahl des Einstiegstermins in die Entkopplung geprüft werden, wie die deutschen Landwirte am Ende im Vergleich zu
ihren europäischen Berufskollegen dastehen. Die notwendige Zeit sollte man sich
auf jeden Fall lassen. Eines muss allerdings gesichert sein: Bei der Entkoppelung darf niemand plötzlich abstürzen und
den Landwirten sollten auch keine unnötigen Loopings zugemutet werden.
Neue Landwirtschaft 10 · 2003
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