Effizientes Trade-Compliance-Management

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Ausgabe 9 | 11. November 2015
Effizientes Trade-Compliance-Management
Trade-Compliance ist in den meisten international tätigen Großunternehmen heute als Topmanagementaufgabe voll anerkannt.
Eine heiße Frage bleibt jedoch, wie das Thema inhaltlich und organisatorisch am besten umgesetzt werden kann. Ergänzend hierzu
sind die Aus- und die Weiterbildung wichtige Themen. Das Beispiel der Infineon AG zeigt, wie eine kosteneffiziente Trade-Compliance-Management-Organisation aufgebaut werden kann.
Immer mehr Unternehmen legen Wert
darauf, als positiver Teil der Gesellschaft
wahrgenommen zu werden. Dazu gehört,
stets rechtskonform zu handeln. Das
Trade-Compliance-Management stellt
das Einhalten von Gesetzen und Vorschriften im Außenhandel sicher. Es weist
zahlreiche Berührungspunkte mit anderen Managementsystemen und Regelwerken wie zum Beispiel Corporate
Governance, Risiko-, Qualitäts-, Umweltund Nachhaltigkeitsmanagement auf.
Unternehmen stehen daher vor der Frage,
Der Handel mit Halbleiter­pro­dukten erfordert ein ­
zuverlässiges Compliance-­
management.
welchem Unternehmensbereich sie das
Thema Trade-Compliance zuordnen sollen, z.B. der Rechtsabteilung, Finanzen/
Controlling, dem Politik- und Regulierungsmanagement oder dem SupplyChain-Management. Und sie müssen entscheiden, wie sie Import- und Exportkontrollen am besten organisieren können.
Die Erfahrung zeigt, dass die organisatorische Zuordnung des Trade-ComplianceManagements in den einzelnen Firmen
stark von den handelnden Personen
abhängt. Ausschlaggebend ist
dabei, dass das Management
überzeugt hinter dem
Thema steht. Um genau
diese Sensibilisierung
der Geschäftsführung
zu erreichen, bedarf es
immer Personen im
Unternehmen, die das
Thema vorantreiben.
Die sehr rechtsbezogene
Aufgabe kann sowohl in
der Rechtsabteilung als auch
im Finanzbereich oder anderen Zentralfunktionen, wie dem
Supply-Chain-Management, gut aufgehoben sein, aber weniger gut in erfolgsabhängigen Funktionen wie Vertrieb und
Marketing.
Zentral oder dezentral?
Im nächsten Schritt muss jedes Unternehmen individuell für sich entscheiden, welcher Grad der Zentralisierung für seine
Trade-Compliance-Organisation zielführend ist. Firmenholdings mit unabhängigen Tochtergesellschaften brauchen eine
andere Organisationsform als stark zen­
tralisiert geführte Unternehmen.
Wichtig ist, dass für jeden Geschäftsbereich und für jede Regional- und Länderorganisation die Verantwortlichkeiten klar
definiert werden. Für alle Firmenteile
weltweit sollten die gleichen Standards
für die Implementierung von Kontrollprozessen, ihre Ausführung sowie die Ausund Weiterbildung der Mitarbeiter gelten.
Es sollten überall die gleichen, homogenen Prozesse angewandt und die gleichen Kommunikationswege eingehalten
werden.
Kai Schwab
Sales Director Germany,
Amber Road
[email protected]
Awareness – Kommunikation –
Training
Die Geschäftsführung und der zentrale
Trade-Compliance-Verantwortliche sind
für die Festlegung der Standards verantwortlich. Sie sollten die Risiken von TradeCompliance-Verstößen in der eigenen
Organisation präventiv analysieren, Handlungsbedarfe identifizieren und notwendige Systemänderungen und Kontrollmechanismen installieren.
Eine wichtige Aufgabe des Trade-Compliance-Verantwortlichen ist es, Dokumente
und Entscheidungen der Behörden,
Gerichtsverfahren und die neuesten Handelsnachrichten zu untersuchen, aufzubereiten und seinen Mitarbeitern in den verschiedenen Geschäftsbereichen zur Verfügung zu stellen. Eine kontinuierliche
Schulung stellt sicher, dass die Mitarbeiter
auf dem neusten Stand sind, um mögliche
Probleme rechtzeitig zu erkennen. Darüber hinaus ist zu empfehlen, mit den lokalen Behörden eine gute Beziehung zu
pflegen.
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© Zoonar RF/Zoonar/Thinkstock/Getty Images
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Wann ist der Einsatz
von IT-Systemen sinnvoll?
Die Entscheidung einer Automatisierung
der Trade-Compliance durch IT-Systeme
im Unternehmen hängt von vielen Faktoren ab. Diese sind:
➤➤ Anzahl der Geschäftspartner wie z.B.
Kunden, Lieferanten und Finanzinstitute
➤➤ Menge von Geschäftstransaktionen
wie z.B. Bestellungen und Kundenaufträgen
➤➤ Anzahl und Komplexität der Endverbleib- und Verwendungszweckkon­
trollen
➤➤ Menge der Kauf- und Verkaufsprodukte, für die beispielsweise eine Klassifizierung, Tarifierung und Ursprungsbestimmung erfolgen muss
➤➤ Umfang der benötigten Allgemeinund Individualgenehmigungen
➤➤ Anzahl firmeninterner Lieferungen
Eine manuelle Abwicklung der Importund Exportkontrolle ist durchaus möglich,
falls die Anzahl und Komplexität der zuvor
genannten Faktoren begrenzt ist und das
Team die notwendige personelle Besetzung hat. Bei dieser Besetzung sind auch
Vertretungen zu berücksichtigen.
Demgegenüber ist bei Unternehmen mit
großem Geschäftsvolumen und komplexen internationalen Herstellungsprozessen eine IT-Unterstützung unerlässlich.
Eine nahtlose Integration der Trade-Compliance-Lösung in Enterprise-ResourcePlanning(ERP)-Systeme ist in jedem Fall
empfehlenswert. Nur so können Kontrollen schnell und unkompliziert durchgeführt, eine maximale Wirksamkeit und ein
optimaler Nutzen aus der Automatisierung der Geschäftsprozesse erreicht werden. Von Insellösungen einzelner Abteilungen ist abzuraten.
Vor allem das Durchleuchten von Geschäftspartnern vor der Aufnahme von
Geschäftsbeziehungen unter Berücksichtigung von Sanktionen und Embargos
muss schnell und nachhaltig vollzogen
werden. Der Umfang geltender Einschränkungen ist sehr groß und laufenden
Änderungen unterworfen. Ein zuverlässiges Screening kann daher nur mit Hilfe
automatisierter Prozesse erfolgen.
Beispiel: Infineon Technologies AG
Seit der Ausgründung aus dem Siemens-Konzern 1999/2000 hat der international tätige Halbleiterproduzent Infineon Technologies AG eine kosteneffiziente Trade-Compliance-ManagementOrganisation aufgebaut. Die Organisation ist im Finanzbereich angesiedelt. Ein kleines Team in der
Firmenzentrale wird von Teams in den Regionen Amerika, im Asien-Pazifik-Raum und in Europa in
einem globalen Netzwerk von Exportcompliancebeauftragten unterstützt. Die Kommunikation
von Neuigkeiten aus den Märkten in die Zentrale erfolgt regelmäßig. Im Gegenzug informiert die
Zentrale über Gesetzesänderungen und macht beispielsweise auf anstehende politische Veränderungen in Bezug auf Sanktionen oder Gesetzesänderungen aufmerksam. Die Firmenzentrale berät
zudem die regional Verantwortlichen bei Einzelfallprüfungen. Die Exportfreigabe erfolgt jedoch
regional bzw. auf nationaler Ebene.
Regelmäßig werden regionale und globale Workshops organisiert. Damit wird sichergestellt, dass
alle Regionen den gleichen Wissensstand und homogene Prozesse etabliert haben sowie gleichhohe Standards einhalten.
Bei allen Export- und Importkontrollen wird die Organisation von einem modular aufgebauten,
stabilen IT-System unterstützt. Dieses ist in das firmeneigene ERP-System integriert.
Herstellung und Verkauf von Halbleitern sind ein Massengeschäft mit komplexen globalen Lieferketten im Herstellungsprozess. Einige Endprodukte haben – abstrakt gesprochen – bereits viermal
die Welt umflogen, bevor sie zum Endabnehmer versandt werden. Risikomanagement und rechtskonformes Handeln sind unter diesen Umständen zwingend notwendig.
Bei einigen Produkten gibt es zudem Abweichungen bei der Produktklassifizierung zwischen Zielund Fertigungsstandorten. Dies erhöht den Komplexitätsgrad. Darüber hinaus gelten manche
Halbleiter als Dual-Use-Produkte, was zusätzliche Anforderungen an das Compliancemanagement
stellt. Ohne ein ausgefeiltes IT-System wäre eine nahtlose Abwicklung der Exporte nicht möglich.
Management of Exceptions
In den meisten Unternehmen stellt ein
erfolgreiches Trade-Compliance-Management-System das Rückgrat in der Abwicklung der Handelstransaktionen dar. Ein
solches System zeichnet sich dadurch aus,
dass es global eingesetzt werden kann. Es
stellt zum Beispiel sicher, dass weltweit im
Konzern die gleichen Prozesse bei Exportkontrollen eingehalten werden und die
Freigabe von Sendungen sowohl zentral
als auch dezentral erfolgen kann. Die Prüfung von Ausfuhrvorgängen erfolgt auf
der Grundlage von nationalem Exportrecht und US-Reexportrecht. Nur Sonderfälle müssen per Einzelbearbeitung in
Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden gelöst werden. Statt sich um jedes
Detail zu kümmern, betreibt das Unternehmen ein „Management of Exceptions“:
Die Software informiert die Verantwortlichen, sobald ein Problem auftritt. Dadurch
wird das Fehlerrisiko minimiert, und die
Exportkontrollen können so durchgeführt
werden, dass es zu keinen Verzögerungen
in der Lieferkette kommt.
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Ein weiterer bedeutender Aufgabenbereich des Trade-Compliance-Verantwortlichen ist die Fehleranalyse. Auf der Basis
von Fehlermustern kann er notwendige
Maßnahmen ergreifen, damit Fehler
zukünftig vermieden und Möglichkeiten
von Ordnungswidrigkeiten oder gar einer
persönlichen Haftung oder Unternehmenshaftung verringert werden. Dazu
gehören die kontinuierliche Optimierung
des Trade-Compliance-Management-Systems, das Anpassen von Arbeitsvorschriften und -prozessen sowie der IT-Programme. Diese detailorientierte Herangehensweise hat sich bei vielen Firmen
bestens bewährt.
Ausgabe 9 | 11. November 2015