Ratschläge für Angehörige von Angstpatienten - Angst

Ratschläge für Angehörige von Angstpatienten
Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben. Machen wir uns von
dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.
(Christian Morgenstern)
Die folgenden Fragen und Anregungen sollen Ihnen, wenn Sie Angehöriger sind, Hilfestellungen bieten, wie Sie mit
Ihrem ängstlichen Partner (bzw. Elternteil oder Kind) besser umgehen können. Die einzelnen Punkte beziehen sich
auf eine angstkranke Frau. Dieselben Hinweise gelten auch für einen angstkranken Mann.
Analysieren Sie, ob Sie vielleicht die Angstsymptomatik Ihrer Partnerin verstärken
1. Überlegen Sie, ob Sie bislang in irgendeiner Form bewusst und/oder unbewusst die Angstsymptomatik
Ihrer Partnerin unterstützt haben.
2. Haben Sie sich den angstbedingten Wünschen Ihrer Partnerin gefügt, um Streit zu vermeiden (z.B. keine
Ausflüge allein machen, weil die Partnerin aus Angst nicht allein zu Hause bleiben möchte)?
3. Haben Sie gelernt, die Ängste Ihrer Partnerin als unveränderlich hinzunehmen und damit eine neue
Lebensaufgabe zu entwickeln, für sie da zu sein?
4. Haben Sie irgendein Interesse daran, dass Ihre Partnerin nicht zu selbständig wird, wenn sie alle ihre
Ängste verliert?
5. Haben Sie selbst Ängste, die den Ängsten Ihrer Partnerin ähnlich sind?
6. Haben Sie früher Ängste gehabt, die Sie vielleicht dadurch verloren haben, dass Sie durch die Beziehung zu
einer ebenfalls eher ängstlichen Partnerin an Stärke gewinnen konnten?
7. Haben Sie Probleme, Dinge ohne Ihre Partnerin zu tun? Machen Sie Ausflüge und bestimmte Aktivitäten
auch allein, wenn Ihre Partnerin wegen ihrer Ängste nicht daran teilnehmen möchte? Können Sie sich zu
Hause ohne Partner wohlfühlen?
8. Wären Sie bereit, auf Wunsch Ihrer Partnerin oder eines Psychotherapeuten an einer Therapie
teilzunehmen, oder legen Sie großen Wert darauf, dass Ihre Partnerin eine rein individuelle Störung hat,
die nichts mit Ihrer Beziehung zu tun hat?
Fragen Sie sich, was sich ändern würde, wenn Ihre Partnerin keine Ängste mehr hätte
1. Welche Folgen hätte es für Sie, wenn Ihre Partnerin keine Ängste mehr hätte?
2. Welche Auswirkungen hätte eine Angstfreiheit Ihrer Partnerin für die Beziehung?
3. Was würde sich vielleicht hinsichtlich der ganzen Lebensgestaltung ändern (z.B. andere Arbeit, mehr soziale
Aktivitäten)?
4. Angenommen, Ihre jetzt nicht berufstätige Partnerin möchte nach der Überwindung der Angststörung
(wieder) berufstätig werden, wie stehen Sie dazu?
5. Stellen Sie sich vor, Ihre Partnerin wäre bereits in drei Wochen frei von allen lebenseinengenden Ängsten,
was würde dies für Ihre Beziehung bedeuten? Was wäre endlich möglich? Welche Konflikte und Gefahren
könnten drohen?
Unterstützen Sie das Angstbewältigungstraining Ihrer Partnerin
1. Sagen Sie Ihrer Partnerin von Anfang an klar und bestimmt, dass Sie unbedingt eine Beseitigung ihrer
Ängste wünschen, zumindest soweit Sie selbst dadurch betroffen sind. Lassen Sie sie jedoch die Art der
Angstbewältigung selbst auswählen: eigenständig mit Hilfe von Selbstbehandlungsliteratur - gemeinsam
mit Ihnen - Psychotherapie allein oder mit Ihnen.
2. Anerkennen und loben Sie jedes eigenständige Bemühen Ihrer Partnerin, mit angstmachenden
Situationen umzugehen.
3. Übergehen Sie geduldig die klagenden und deprimierten Äußerungen Ihrer Partnerin, statt sie durch
übermäßige Beachtung und Zuwendung zu verstärken.
4. Unterstützen Sie ein Angstbewältigungstraining durch möglichst attraktive Ziele, wo Ihre Partnerin auf
jeden Fall gerne hingehen würde, wenn sie sich nur irgendwie dazu überwinden könnte.
5. Planen Sie in einem bestimmten zeitlichen Abstand Urlaubsreisen, die Ihre Gattin auch gerne
mitmachen würde, derzeit aus Angst vor dem Fliegen, der weiten Entfernung u.a. jedoch nicht zu
unternehmen wagt.
6. Übernehmen Sie keine Aufgabe, die Ihre Partnerin bereits selbst erledigen kann bzw. könnte. Ihre
Zurückhaltung bewirkt, dass Ihre Partnerin rasch selbständig und selbstbewusst wird.
7. Überlegen Sie, ob Sie Ihrer Partnerin durch Ihre Unterstützung wirklich helfen, angstfreier und
eigenständiger zu werden oder ob Sie damit nicht eher ihre Bequemlichkeit unterstützen. Ist es wirklich
Angst, wenn Ihre Partnerin nicht mit dem öffentlichen Verkehrsmittel in die Arbeit fahren kann oder ist
es einfach nur bequemer, von Ihnen mit dem eigenen Auto dorthin gebracht zu werden? Nicht alles,
was man nicht allein tun möchte, hängt mit Angst zusammen. Im Rahmen der Angstzustände hat Ihre
Partnerin oft nur gelernt, dass es einfach und angenehm ist, sich auf die Hilfe anderer verlassen zu
können.
8. Fragen Sie Ihre Partnerin, wo sie zur besseren Angstbewältigung Ihre Hilfe wünscht (z.B. Begleitung in
anfangs allein nicht bewältigbar erscheinenden Situationen) und überlegen Sie gemeinsam, wo dies
eher schädlich wäre (z.B. Begleitung in Situationen, wo Ihre Partnerin zwar ein ungutes Gefühl hat,
jedoch bereits auf Bewältigungserfolge zurückblicken kann).
9. Selbst wenn Sie gemeinsame Übungen planen, überlegen Sie, wie Ihre Partnerin dabei zumindest
zeitweise allein üben kann (z.B. allein in das gefürchtete Geschäft hineingehen; gemeinsame Fahrt mit
einem öffentlichen Verkehrsmittel, jedoch ohne Nebeneinandersitzen; im Kino ebenfalls getrennt
voneinander sitzen; eine Viertelstunde vor Ihnen allein in ein Lokal gehen).
10. Sagen Sie Ihrer agoraphobischen Partnerin nicht, was sie tun soll, sondern unterstützen und ermutigen
Sie sie bei der Erreichung der selbst gesteckten Ziele. Kontrollieren und diktieren Sie Ihre Partnerin
nicht, sondern bieten Sie Hilfe zur Selbsthilfe im gewünschten Ausmaß an.
11. Schlagen Sie spontan gemeinsame Aktivitäten ohne lange vorherige Planungen vor, weil dadurch rasch
Erfolgserlebnisse vermittelt werden können. Lange Planungen verstärken nur die Erwartungsängste und
die Vermeidungstendenz Ihrer Partnerin, weil sie viel Zeit zum Nachdenken hat.
12. Achten Sie darauf, dass Ihre Partnerin angstmachende Situationen möglichst oft auch ohne Ihre
Begleitung aufsucht und bei Angst vor dem Alleinsein zu Hause in zunehmendem Ausmaß allein in der
Wohnung verbleibt. Vereinbaren Sie, wann und wie oft Ihre Partnerin mit Ihnen telefonischen Kontakt
aufnehmen darf, um der Gefahr vorzubeugen, ständig angerufen zu werden, weil Ihre Partnerin das
zeitweise Alleinsein nicht ertragen kann.
13. Wenn Ihre Partnerin bei Aktivitäten in Ihrer Anwesenheit eine Panikattacke bekommt, ermutigen Sie
sie, die angstbesetzte Situation nicht zu verlassen, bevor die Angst abgeklungen ist. Bringen Sie Ihre
Partnerin weder nach Hause noch zu einem Arzt oder in ein Krankenhaus, sondern ermutigen Sie sie
durchzuhalten, bis der Anfall vorbei ist, ohne dass eine Flucht aus der jeweiligen Situation erfolgt.
Ermutigen Sie sie, höchstens ein wenig Luftschnappen zu gehen und dann wieder gestärkt in die
angstmachende Situation zurückzukommen, um das Erfolgserlebnis des Durchhaltens genießen zu
lernen. Fragen Sie Ihre Partnerin in dieser Zeit nicht ständig nach ihrem Befinden, weil Sie sie dadurch
auf ihre Symptomatik fixieren, sondern lassen Sie sie etwas in Ruhe oder suchen Sie nach
Ablenkungsmöglichkeiten (z.B. ein anderes Gesprächsthema).
14. Ermutigen Sie Ihre Partnerin, zu ihren Ängsten zu stehen und diese öffentlich bekannt geben zu lernen,
wenn dadurch der innere Druck und das Versteckenspielen vor der Umwelt reduziert werden können.
Die Angst vor sozialer Kritik bei Bekannt werden der Ängste kann am besten durch Ihre emotionale
Unterstützung überwunden werden.
Was Sie bei anderen Ängsten Ihrer Partnerin tun können

Wenn Ihre Partnerin an einer reinen Panikstörung (ohne Agoraphobie) leidet, lassen Sie Ihre Partnerin
zeitweise auch allein. Die irrationale Angst, ohne Ihre Anwesenheit und Hilfe im Falle einer
Panikattacke vielleicht sterben zu müssen, führt ansonsten zu einer immer größeren Abhängigkeit von
Ihnen. Achten Sie darauf, dass Sie aus diesem Grund auch nicht jede Minute des Tages über das
Telefon oder das Handy erreichbar sind. Vereinbaren Sie Zeiten, in denen Sie Ihre Gattin keinesfalls
anrufen soll, damit sie lernt, auf sich selbst gestellt zurechtzukommen. Lassen Sie sich nicht ständig
durch Anrufe bei der Arbeit stören.

Wenn Ihre Partnerin unter einer Sozialphobie leidet, reduzieren Sie deswegen weder Einladungen von
Bekannten und Verwandten in Ihrer Wohnung noch schränken Sie Ihre außerhäuslichen sozialen
Aktivitäten ein. Laden Sie Ihre Partnerin immer wieder zu sozialen Aktivitäten ein, zwingen Sie sie
jedoch nicht dazu, sondern nehmen Sie alleine an den geplanten Treffen mit anderen Leuten teil.

Wenn Ihre Partnerin unter einer generalisierten Angststörung mit vielen verschiedenen Ängsten
leidet, sagen Sie ihr klar und bestimmt Ihre Meinung dazu, geben Sie jedoch nicht immer wieder
dieselben Antworten auf die gleichen Fragen. Dies wird Sie mit der Zeit immer mehr ärgern und Ihre
Partnerin von Ihrer Beruhigung abhängig machen. Sagen Sie Ihrer Partnerin z.B. "Du weißt, wenn ich
Dich jetzt wieder beruhige, wird es nur so lange halten wie zuletzt. Meine Meinung kennst Du ja. Wenn
Du Dich sorgst, tue etwas dagegen, reden allein hilft Dir nicht."
Autor: Dr.Hans Morschitzky