SPRINTTRAINING Wieder einmal abgehängt, weil andere beim Zielsprint schneller waren? Lassen Sie sich nicht entmutigen. Schnellsein kann man lernen. Wir verraten Ihnen, worauf Sie beim Sprinten achten müssen und wie Sie durch gezieltes Training Ihre Endschnelligkeit steigern „GIB “ ALLES! TEXT: MARC ELLERICH FOTOS: MICHAEL REUSSE um Sprinter wird man geboren, zum Ausdauersportler wird man gemacht.“ So schreibt der Sportwissenschaftler Manfred Letzelter in seinem Standardwerk „Trainingsgrundlagen“* über das Schnelligkeitstraining. Vermeintlich schlechte Nachrichten also für alle Hobbysprinter. Siegen wirklich stets die „besseren“ Gene, wenn sich der Gegner im Sprint den entscheidenden Vorsprung verschafft? Sind damit alle Ambitionen erledigt, einmal in einem C-Klasse-Rennen beim Finish zu siegen? Oder den Kumpels beim berühmt-berüchtigten OrtsschildSprint endlich einmal das Nachsehen zu geben? Und überhaupt: Ist die Arbeit an der eigenen Spurtfähigkeit also eine müßige Trainingsform, die man besser jenen überlässt, denen die Natur das Talent dazu in die Wiege gelegt hat? Z * Manfred Letzelter: Trainingsgrundlagen. Reinbek 1994 112 TOUR 6/ 2005 Mitnichten. Sprinten ist erlernbar. Und die eigene Schnelligkeit im Spurt deutlich steigerbar – zumindest in den Grenzen, die einem der eigene Körper lässt. Entmutigen lassen sollten sich Hobbysportler jedenfalls nicht. Denn bestimmte körperliche Fähigkeiten, die für die Endschnelligkeit maßgeblich sind, lassen sich durchaus trainieren. „Die höhere Sprintfähigkeit erreicht man durch Training der Motorik und die Steigerung der Maximal- und Schnellkraft“, sagt Andreas Petermann, ehemaliger Trainingswissenschaftler am Leipziger Institut für angewandte Trainingswissenschaft und heute Sportlicher Leiter des Profi-Teams Wiesenhof. Sprinttraining zielt deshalb darauf ab, die „eingeschlafene“ Motorik des Körpers aufzuwecken, die Koordination der beteiligten Muskelgruppen zu verbessern und so die eigene Sprintkraft und -ausdauer zu erhöhen. Natürlich lassen sich obendrein auch Sprinttechnik und -taktik verbessern. Und einen weiteren nützlichen Effekt des Sprinttrainings kennt der Trainingswissenschaftler: „Neben der Schnelligkeit wird auch die Fähigkeit erhöht, sich im Wettkampf auszubelasten.“ Genetisch bedingt – und damit durch Sprinttraining gar nicht oder nur kaum beeinflussbar – sind beim Menschen unter anderem die Verteilung zwischen schnell und langsam zuckenden Muskelf aser n in der Muskulatur, deren Elastizität, die Leitgeschwindigkeit der Nerven, aber auch die Willenskraft. Hinzu kommt: „Im Erwachsenalter lässt sich die reine Schnelligkeit der Bewegungsabläufe nicht mehr verbessern“, sagt Andreas Petermann. Sprinttraining ist sehr intensiv. Die Intensität des Sprinttrainings liegt ausschließlich im Spitzenbereich (SB), also auf dem Niveau maximaler körperlicher Anstrengung. Oder, wie es Petermann ausdrückt: „Schnelligkeitstraining zielt auf maximale Bewegungsgeschwindigkeiten ab, und damit auch auf maximale Kraftanstrengung. Das bedeutet für die Intensität nur eines: Gib alles!“ Unvorbereitet sollte deshalb kein Hobbyathlet ein derart intensives Training absolvieren, wobei Vorbereitung in diesem Fall dreierlei meint: Zum einen eine gründliche medizinische Untersuchung, um Organerkrankungen, vor allem solche des Herzens, ausschließen zu können. Zum anderen sollten Sie sich in Winter und Frühjahr eine solide Grundlagenausdauer antrainiert haben, ab Ende April am besten sogar einige Male im Entwicklungsbereich (EB = Trainingsbereich an bzw. knapp über der aerob-anaeroben Schwelle; siehe Heft 5/2005) trainiert haben. Beides hilft dabei, die hohe Belastung des Sprinttrainings zu bewältigen. Und schließlich sollten Sie sich vor jedem Sprinttraining gründlich, also nicht unter einer halben Stunde im unteren Grundlagenbereich (GA 1), aufwärmen. Eine solide Grundlage ist auch generell nötig, daher ist der Frühsommer am besten für einen Sprinttrainingszyklus geeignet. Im Mai oder Juni geht es voll zur Sache: „Auf dem Rad habe ich zwei grundlegende Möglichkeiten, etwas für meine Schnelligkeit zu tun“, erklärt Petermann: „Einmal durch alaktazides Training mit weniger als sechs Sekunden je Belastung. Dann durch laktazides Training mit einer Belastungsdauer von sechs bis maximal 20 Sekunden.“ ENERGIE FÜR DEN ANTRITT Diese Zweiteilung ist vor allem durch die energetischen Abläufe in der Muskulatur begründet. In den ersten acht bis zehn Sekunden eines Sprints, also in der Beschleunigungsphase, zehrt die Muskulatur von energiereichen Phosphaten. Diese Art der Energiebereitstellung funktioniert ohne Verbrauch von Sauerstoff (anaerob), Milchsäure wird nicht gebildet (alaktazid). Vorteil dieses anaerob-alaktaziden Energiestoffwechsels: Er garantiert eine maximale Intensität der Muskelkontraktionen. Für den Sprint bedeutet das eine explosive, hohe Kraftentfaltung. Allerdings sind die energiereichen Phosphate sehr schnell erschöpft. Beim alaktaziden Sprinttraining werden durch ständiges Entleeren und Auffüllen die Phosphatspeicher vergrößert. Natürlich werden auch Kraft und muskuläre Koordination trainiert. Das Ergebnis ist ein wuchtiger Antritt. Und: Das maximale Tempo kann länger aufrechterhalten werden. Das ist nicht unwichtig, behält man den zweiten Teil eines Sprints im Blick: In dieser Phase ist die Motorik, sprich eine sehr hohe Tretfrequenz, bei hohem Krafteinsatz gefragt. Ziel ist es, das maximale Tempo möglichst bis zum Zielstrich durchzuhalten, weshalb man zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr von reiner Schnelligkeit sondern von Sprintausdauer spricht. Das hat ebenfalls energetische TRAININGSPLAN Neun Tage, die Sie schneller machen Diesen Zyklus können Sie – abhängig von Ihrem Rennkalender – bis zu drei Mal im Jahr in Ihren Trainingsplan einbauen und im Winter zum Beispiel mit allgemeinem Krafttraining kombinieren. Wichtig sind allerdings stets eine gute Grundlagenausdauer, ein guter Erholungszustand und – wegen der hohen Intensität des Sprinttrainings – die dementsprechende physische und psychische Frische. Tag Umfang Samstag 20 km KB km gesamt Stunden gesamt 62 2:20 Sonntag Montag 50 km GA1 mit 5 Antritten über max. 6 Sek. alle 5 Min. nach der ersten halben Std. 50 1:50 20 km KB 20 0:50 + 2 km EB + 2 km EB + 30 km GA1 mit 3x200 m Sprints alle 20 Min. + 10 km KB + 30 km GA1 mit 3x200 m Sprints alle 20 Min. + 10 km KB Dienstag 20 km KB 62 2:20 Mittwoch 60 km GA1 mit 5 Antritten über max. 6 Sek. alle 5 Min. innerhalb der zweiten Std. 60 2:10 Donnerstag 30 km KB 30 1:10 Freitag Frei – – + 2x2 km EB + 40 km GA1 mit 5x200 m Sprints alle 20 Min + 10 km KB Samstag 20 km KB Sonntag 80 km GA1 mit 5 Antritten über max. 6 Sek. alle 5 Min. innerhalb der zweiten Std. KB GA 1 EB SB = = = = 75 2:40 80 2:50 439 16:10 Kompensationsbereich (bis zu 70 % der HF an der ANS; bis zu 60 % der Wattleistung an der ANS) Grundlagenbereich 1 (bis zu 85 % der HF an der ANS; bis zu 77 % der Wattleistung an der ANS Entwicklungsbereich (bis zu 105 % der HF an der ANS; bis zu 115 % der Wattleistung an der ANS) Spitzenbereich (maximale Ausbelastung) TOUR 6/ 2005 113 SPRINTTRAINING Gründe: Nach circa fünf Sekunden gewinnt der Körper seine Energie aus der anaeroben Glykolyse. Dabei wird Glukose (Einfachzucker) verbrannt. Vorteil: Die Energie daraus steht länger zur Verfügung – je nach Lehrmeinung zwischen 20 Sekunden und einer Minute. Nachteil: Aufgrund der hohen Intensität entsteht in der Muskulatur eine sehr hohe Laktatkonzentration (ein Abfallprodukt der Milchsäure). Die Muskulatur übersäuert, maximale Leistung ist nicht mehr möglich. Ziel des laktaziden Sprinttrainings ist es deshalb – neben der Motorikschulung – die Laktattoleranz der Muskeln zu verbessern. TECHNIKTRAINING Drei Tricks, wie Sie mit Technik Sprinten ist nicht nur eine Sache der Kraft, des Willens und schneller Beine. Trainingsplaners, Inhaber des Trainingsdienstleisters www.2PEAK.com und 1. PHASE: DER ANTRITT ZIEL: HOHE TRITTFREQUENZ Das Sprinttraining selbst ist weniger kompliziert, als die komplexen energetischen Prozesse, die ihm zugrunde liegen. Zunächst: Ignorieren Sie Ihren Pulsmesser! Er nützt ihnen nichts, denn das Herz reagiert bei maximaler Intensität viel zu träge. Viel wichtiger sind die Pausen zwischen den Sprints. Trainiert wird in beiden Fällen nach der Wiederholungsmethode. Dabei wird dem Körper Zeit zur vollständigen Erholung gegeben. Im reinen Schnelligkeitstraining sind die Pausen allerdings wesentlich kürzer (fünf Minuten) als im laktaziden Sprinttraining (bis zu 25 Minuten). Entsprechend seiner Trainingsabsicht sucht man sich die Strecke. Möglichst verkehrsarm und windgeschützt sollte sie auf alle Fälle sein. Für alaktazides Sprinttraining bieten sich ebene oder leicht ansteigende Strecken an (Kraft!). Für laktazides Training, das ja auch die Motorik schult, wählt man am besten ebene oder leicht abfallende Strecken. Andreas Petermann empfiehlt für beide Trainingsformen eine Übersetzung von 53/17 oder 53/16. „Kette rechts und mit dem 11er-Ritzel zu spurten, empfehle ich Hobbysportlern nicht. Dazu fehlt ihnen die Kraft. Vielmehr sollten Sportler üben, maximale Tretfrequenzen bis zu 150 Umdrehungen zu bewältigen.“ Denn wer die eines Tages tatsächlich zu treten vermag, sollte spätestens dann in der Lage sein, Mutter Natur, aber vor allem natürlich seinen Q Gegnern, im Sprint ein Schnippchen zu schlagen. 114 TOUR 6/ 2005 Das Training des Sprintantritts beginnt man am besten bei fünf bis sechs km/h rollend in Unterlenkerhaltung. Mit dem ersten wuchtigen Tritt geht man aus dem Sattel. Sprinttraining findet grundsätzlich im Spitzenbereich statt, das bedeutet maximale Ausbelastung. Beim Techniktraining ist das anders: Hier soll unter submaximalen Bedingungen der optimale Bewegungsablauf geübt werden. Die exakte Ausführung der Bewegung steht im Mittelpunkt. Für die Startphase des Sprints heißt das: Achtung auf den Körperschwerpunkt! Zu Beginn ist der Oberkörper weit über den Lenker gebeugt, dann rückt der Schwerpunkt sukzessive in Richtung Sattel. Allerdings darf er nicht zu weit über dem Sattel liegen, da die Arme sonst unnötige Haltearbeit verrichten. Beim Treten wird die Zugphase betont. Bereits in dieser Phase ist eine hohe Frequenz wichtig. Beim Techniktraining wird deshalb der Gang (53/17 oder 53/16) mit möglichst hoher Drehzahl gefahren, ohne zu schalten. Anfangs kann man das mit kleineren Gängen üben. Speed machen Gute Sprinter haben auch eine gute Technik. An der sollte also immer wieder feilen, wer eines Tages richtig schnell sein will. Georg Ladig, Autor des TOURehemaliger Bundesligafahrer zeigt Ihnen, worauf Sie beim Sprint achten müssen. Ein Tipp: Anfangs üben Sie die drei Phasen des Sprints besser getrennt. 2. PHASE: DAS D-ZUG-TEMPO 3. PHASE: DER TIGERSPRUNG Der Fahrer setzt sich, sobald er im Stehen nicht mehr schneller zu treten vermag. Denn auch in dieser Phase ist eine maximal hohe Tretfrequenz gefragt. Üben lässt sich das anfangs, indem man bergab eine leichte Übersetzung (42:15) mit maximal möglicher Frequenz tritt. Erst später sollte man es mit größeren Gängen versuchen. Weiterhin wichtig in dieser Phase des Sprints: Eine aerodynamische Position, der Schutz des eigenen Lenkers vor Rempeleien durch seitlich ausgestellte Arme. Und, für den Ernstfall: die Gegnerbeobachtung. Dazu genügt ein Blick drei bis vier Meter unter den Armen hindurch. Achtung: Anfangs besser alleine, langsam und auf verkehrsarmer Straße üben, da man dabei leicht ins Schlingern geraten kann. Der Tigersprung ist der krönende Abschluss jeden Sprints. Ziel ist es, das eigene Vorderrad durch eine Verlagerung des eigenen Körperschwerpunkts hinter den Sattel so weit wie möglich nach vorne zu schieben. Dazu wird der Lenker am hinteren, unteren Ende gefasst. Der letzte Tritt vor der Linie wird bis zur Beinstreckung durchgedrückt (beidseitig üben!). Gleichzeitig schiebt man das Rad mit gestreckten Armen unter dem Körper hindurch möglichst weit nach vorne. Der Kopf wird dabei ruckartig in Richtung Brust geschoben. Der Po rückt hinter den Sattel. Vorsicht: Die schnelle, ruckartige Bewegung bedarf gründlicher Übung. Deshalb besser langsam beginnen und auf eine gerade Fahrlinie achten. „GIB ALLES!“ TOUR 6/ 2005 115
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