Prof. Dr. Burkhard Schöbener WS 2015/16 ÜBUNG IM EUROPARECHT – Schwerpunkt (Wahlbereich) Völker- und Europarecht – Fall 1: Ausländerklauseln im Profisport Grundfall: Der italienische Basketballverein Avanti Verona, der in der italienischen Profiliga spielt, steht nach der Hälfte der laufenden Saison auf einem Abstiegsplatz. Verona will sich daher verstärken und den spanischen Spieler S verpflichten. Nach den Statuten des italienischen Basketballverbandes darf ein Verein jedoch nicht mehr als drei Ausländer in einem Spiel einsetzen. Verona hat bereits drei französische Spieler unter Vertrag, die in jedem Spiel eingesetzt werden und die der Verein unter keinen Umständen abgeben möchte. Der Manager von Avanti Verona ist der Ansicht, dass die Ausländerklausel des italienischen Basketballverbandes eine unzulässige Beschränkung der nach Europäischem Unionsrecht gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt. Der italienische Basketballverband vertritt dagegen die Meinung, dass das Unionsrecht im Bereich des Sports gar keine Anwendung finde oder dass zumindest für den Bereich des Sports besondere Regeln gelten müssten. Verstößt die Ausländerklausel des italienischen Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEU)? Basketballverbandes gegen die Abwandlung 1: Der spanische Basketballverband hebt seine Ausländerklausel – die ebenfalls den Einsatz von ausländischen Spielern auf drei pro Begegnung begrenzte – auf, nachdem ihm im Hinblick auf die unionsrechtliche Zulässigkeit Bedenken gekommen sind. Daraufhin treffen die Vereine der spanischen Profiliga eine Absprache, dass sie auch weiterhin auf einen Einsatz von mehr als drei Ausländern pro Spiel verzichten wollen. Ist die Absprache der Vereine mit Art. 101 AEU vereinbar? Vgl. dazu auch Art. 1 VO 1/2003 (Anlage 1) Abwandlung 2: Die Kommission ist der Ansicht, dass die Vereinbarung der spanischen Vereine gegen das Unionsrecht verstößt; sie will daher gegen die Vereine vorgehen. Um schriftliche Unterlagen über die Vereinbarung der Vereine als Beweisstücke zu sichern, durchsucht die Kommission die Vereinsräume einiger Basketballclubs. Die Kommission stützt ihre Maßnahme auf Art. 20 der EG-Verordnung 1/2003 (vgl. Anlage 1), der den Bediensteten der Kommission u.a. die Befugnis einräumt, bei Nachprüfungen „alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu betreten“, „die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, zu prüfen“ sowie „Kopien oder Auszüge gleich welcher Art aus diesen Büchern und Unterlagen anzufertigen oder zu erlangen“. Die Vereine sind der Ansicht, dass die 2 Durchsuchungsmaßnahmen der Kommission wegen Verstoßes gegen die europäischen Grundrechte rechtswidrig seien. War die Durchsuchung der Vereinsräume der Basketballclubs rechtmäßig? Abwandlung 3: Noch vor Durchsuchung der Vereinsräume der spanischen Mannschaften und einer näheren rechtlichen Begutachtung des Falles hatte sich der in der Kommission für den Bereich des Wettbewerbs zuständige Kommissar K mit der folgenden Aussage zu Wort gemeldet: „Ich habe noch nie einen Fall mit so vielen Verstößen gegen das europäische Kartellrecht gesehen, und ich habe schon sehr viele Fälle gesehen.“ Die Vereine der spanischen Profiliga sehen hierin eine unzulässige „Vorverurteilung“; der Basketballverein Real Malaga verklagt die Kommission vor dem EuG auf Schadensersatz. Seinen Schaden sieht der Verein in Einnahmeverlusten, die auf der Kündigung lukrativer Werbeverträge durch mehrere spanische Großunternehmen beruhen. Die Großunternehmen haben ihre Kündigung ausdrücklich damit begründet, der Verstoß ihres Werbepartners gegen das europäische Kartellrecht führe bei ihnen zu einem nachhaltigen Imageschaden, dem man nur durch die Kündigung der Werbeverträge entgehen könne. Hat die Klage von Real Malaga Aussicht auf Erfolg? Abwandlung 4: Igor Simutenkov (S) ist russischer Staatsangehöriger. Er wohnt in Spanien und ist im Besitz einer Aufenthalts- und einer Arbeitserlaubnis. Beschäftigt ist er als Berufsfußballspieler bei CD Teneriffa; vom spanischen Fußballverband wurde ihm eine Verbandslizenz als nicht unionsangehöriger Spieler erteilt. S stellt beim spanischen Fußballverband den Antrag, diese Lizenz zu ersetzen durch eine Verbandslizenz, die mit derjenigen identisch ist, über die Unionsspieler verfügen. Er begründet seinen Antrag damit, dass nach den Verbandsregeln in einem Pflichtspiel höchstens drei Nicht-EU-Bürger gleichzeitig eingesetzt werden dürfen; aufgrund der bisherigen Lizenz komme er deshalb nur selten zum Einsatz. Die Verweigerung einer Verbandslizenz, durch die er Unionsangehörigen gleichgestellt werde, verstoße gegen die einschlägigen Vorschriften des Abkommens über Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits („Partnerschaftsabkommen“; vgl. Auszüge in Anhang 2). Der spanische Fußballverband bestreitet, an das Partnerschaftsabkommen gebunden zu sein; außerdem könne sich S weder auf dieses Abkommen berufen noch trage das Abkommen nach seinem Inhalt das Begehren des S, weil das Diskriminierungsverbot nur „vorbehaltlich der in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften, Bedingungen und Verfahren“ anzuwenden sei. Hat S einen Rechtsanspruch darauf, mit Berufsfußballspielern aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union (= „Unionsspieler“) gleichgestellt zu werden? ----------------------------------------------------------- ANHÄNGE: s. Rückseite 3 ANHANG 1: EG-Verordnung 1/2003, sog. Kartellverordnung (Auszug) Artikel 1 Anwendung der Artikel 101 und 102 des Vertrags (1) Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 des Vertrags, die nicht die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 des Vertrags erfüllen, sind verboten, ohne dass dies einer vorherigen Entscheidung bedarf. (2) Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 101 Absatz 1 des Vertrags, die die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 des Vertrags erfüllen, sind nicht verboten, ohne dass dies einer vorherigen Entscheidung bedarf. (3) Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 102 des Vertrags ist verboten, ohne dass dies einer vorherigen Entscheidung bedarf. Artikel 5 Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sind für die Anwendung der Artikel 101 und 102 des Vertrags in Einzelfällen zuständig. Sie können hierzu von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde Entscheidungen erlassen, mit denen - die Abstellung von Zuwiderhandlungen angeordnet wird, einstweilige Maßnahmen angeordnet werden, Verpflichtungszusagen angenommen werden oder Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen verhängt werden. Sind die Voraussetzungen für ein Verbot nach den ihnen vorliegenden Informationen nicht gegeben, so können sie auch entscheiden, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden. Artikel 20 Nachprüfungsbefugnisse der Kommission (1) Die Kommission kann zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle erforderlichen Nachprüfungen vornehmen. (2) Die mit den Nachprüfungen beauftragten Bediensteten der Kommission und die anderen von ihr ermächtigten Begleitpersonen sind befugt, 4 a) alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu betreten; b) die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, zu prüfen; (…) ANHANG (Auszug) 2: Partnerschaftsabkommen Europäische Gemeinschaften/Russland Artikel 23 Absatz 1 (unter Titel IV dieses Abkommens mit der Überschrift „Bestimmungen über Geschäftsbedingungen und Investitionen“, in Kapitel I mit der Überschrift „Arbeitsbedingungen“): „Vorbehaltlich der in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften, Bedingungen und Verfahren stellen die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten sicher, dass den Staatsangehörigen Russlands, die im Gebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig beschäftigt sind, eine Behandlung gewährt wird, die hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bewirkt.“ Artikel 27: „Der Kooperationsrat spricht Empfehlungen für die Durchführung der Artikel 23 und 26 aus.“ Artikel 48 (ebenfalls unter Titel IV, s.o.) „Für die Zwecke dieses Titels sind die Vertragsparteien durch dieses Abkommen nicht daran gehindert, ihre Gesetze und sonstigen Vorschriften über Einreise und Aufenthalt, Arbeit, Arbeitsbedingungen, Niederlassung von natürlichen Personen und Erbringung von Dienstleistungen anzuwenden, sofern sie dies nicht auf eine Weise tun, durch welche die Vorteile, die einer Vertragspartei aus einer Bestimmung dieses Abkommens erwachsen, zunichte gemacht oder verringert werden.“
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