Haftung eines Forenbetreibers für beleidigende

10. Juli 2015
Haftung eines Forenbetreibers für beleidigende Äußerungen durch
Forennutzer verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
Von Dr. Thomas Nägele und Dr. Simon Apel
Die Große Kammer des Europäischen
Gerichtshof
für
Menschenrechte
(EGMR) hat am 16. Juni 2015 in
Straßburg auf die Beschwerde eines
estnischen Nachrichtenportals hin entschieden, dass eine Haftung einer
Nachrichtenagentur für beleidigende
Äußerungen durch Nutzer ihrer Kommentarspalten nicht gegen die in Art.
10 der Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten
(sog. "Europäischen Menschenrechtskonvention", EMRK) gewährleistete
Meinungsfreiheit
verstößt
(Az.
64569/09, in englischer Sprache abrufbar
unter
http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pag
es/search.aspx?i=001-155105).
Die
Entscheidung dürfte für die deutsche
Rechtslage keine großen Veränderungen bringen. Trotzdem müssen auch
Forenbetreiber in Deutschland schon
jetzt Vorsicht walten lassen.
I. Zum Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin, Betreiberin
eines großen estnischen InternetNachrichtenportals, war von estnischen Zivilgerichten zu Schadensersatz iHv. € 320,00 verurteilt worden,
weil in von ihr betriebenen Kommentarspalten zu von ihr veröffentlichten
Artikeln anonyme Nutzer schwerwiegende beleidigende Äußerungen und
Drohungen gegen einen Dritten veröffentlicht hatten. Diese hatte die Beschwerdeführerin, da ihre Filtersysteme versagt hatten, erst auf Hinweis
dieses Dritten etwa sechs Wochen
später entfernt. Gegen diese Verurteilung wendete sich die Beschwerdeführerin an den EGMR, weil sie in ihr eine
Verletzung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) sah.
Nachdem der EGMR diese Beschwerde bereits 2013 in einer Kammerentscheidung abgewiesen hatte, hat die
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Beschwerdeführerin die Große Kammer des EGMR angerufen.
II. Zum Urteil
Die Große Kammer bestätigte nun die
Entscheidung der Kammer. Die Haftbarmachung der Beschwerdeführerin
für die beleidigenden Kommentare in
ihren Foren durch die estnischen Gerichte stelle eine gerechtfertigte Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung der Beschwerdeführerin dar (Art. 10 Abs. 2 EMRK). Insbesondere seien die "extrem" beleidigenden Kommentare zu Artikeln ergangen, die die Beschwerdeführerin
im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit zuvor publiziert hatte, die Entfernung der Beleidigungen durch die Beschwerdeführerin habe zu lange gedauert und der ausgeurteilte Schadensersatz in Höhe von lediglich €
320,00 sei in keiner Weise überzogen.
III. Praxishinweis
Der EGMR hat sein Urteil ausdrücklich
auf den zu entscheidenden Fall und
somit auf die Verantwortlichkeit eines
kommerziellen Nachrichtenportals für
gegen Dritte gerichtete, klar beleidigende und bedrohliche Nutzerreaktionen auf dort publizierte Meldungen
begrenzt. Die getroffenen Wertungen
lassen sich somit nicht ohne Weiteres
auf andere Portale im Internet (etwa
klassische Meinungsforen) übertragen,
auf denen Nutzer Beiträge veröffentlichen können. Unabhängig davon
müssen Forenbetreiber schon nach
geltendem deutschen Recht darauf
achten, dass in ihren Foren keine beleidigenden Kommentare abgegeben
werden: Auch wenn sie nicht zu einer
Vorabkontrolle aller Beiträge verpflichtet sind, müssen sie auf entsprechenden Hinweis beleidigende Kommentare entfernen. Darüber hinaus können
Forenbetreiber verpflichtet sein, durch
technische Hilfsmittel (etwa wirksame
Filter) konkrete Foren, in denen erhebliche Rechtsverletzungen aufgrund objektiver Anhaltspunkte zu erwarten
sind, proaktiv von der Veröffentlichung
beleidigender Inhalte frei zu halten.
Eine Haftung auf Schadensersatz
kommt allerdings nur in Betracht, wenn
die Betreiber als Gehilfen oder Mittäter
der Äußernden zu qualifizieren sind,
wofür hohe Hürden bestehen.
Auch wenn die weitere Entwicklung
abzuwarten ist, dürften sich die Auswirkungen der Entscheidung des
EGMR auf das deutsche Recht in
Grenzen halten. Lediglich eine Haftung
der Portalbetreiber auch auf Schadensersatz könnte im Lichte der
EGMR-Entscheidung künftig auch für
deutsche Gerichte näher liegen. Wegen der engen inhaltlichen Begrenzung des EGMR-Urteils gilt aber auch
dies allenfalls für die Betreiber von
kommerziellen
Nachrichtenportalen
und bei besonders gravierenden Nutzerreaktionen. Zudem lässt sich weiterhin gut vertreten, dass nach deutschem Recht §§ 7, 10 TMG (Haftungsprivilegierung für sog. "HostProvider", die Informationen für einen
Nutzer speichern) einer Schadensersatzhaftung
des
Forenbetreibers
grundsätzlich entgegenstehen (so
Lauber-Rönsberg, GRUR-Prax 2015,
299).
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Fachanwalt für
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Dr. Simon Apel
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