„Männer sind etwas sonderbar …“

April 16 | #539
Das Kommunale Kino Wiens, Akademiestraße 13, 1010 Wien
Athina Rachel Tsangari, „Chevalier“, ab 6. Mai im Stadtkino im Künstlerhaus
Nicolas Steiner, „Above and Below“, ab 15. April im Stadtkino im Künstlerhaus
Mirlan Abdykalykov, „Nomaden des Himmels“, ab 22. 4. im Stadtkino im Künstlerhaus
„Männer sind etwas sonderbar …“
Heißt es schon bei Herbert Grönemeyer. In Chevalier treiben sich sechs Vertreter ihrer Spezies auf
einem Boot herum – und wollen „den Besten in Allem“ unter sich finden. ALEXANDRA ZAWIA
W
as ist ein Mensch wert? - Das ist eine Frage, die
der Kapitalismus nicht stellt. In der Matrix von
Wettbewerbsdenken und Effizienzstrategien interessiert aber doch: Was kann ein Mann? - und das besonders
dann, wenn Machtgefüge rundum schwanken und vor allem
staatliche Kompetenzen versagen.
Die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari sperrt
in ihrem neuen Spielfilm Chevalier sechs Männer für die Dauer
eines mehrwöchigen Boottrips auf eine Yacht: Der ältere, gut
situierte Gentleman, ein Arzt und von den anderen deswegen
nur als „Doktor“ bezeichnet (Yorgos Kentros), der Thirtysomething, etwas babyspeckige und kindlich-kindische Dimitris
(Makis Papadimitriou), sein älterer Bruder Yannis (Yorgos Pirpassopoulos), der auch der Schwiegersohn des Doktors ist, der
gutaussehende und sportliche Christos (Sakis Rouvas) und die
beiden Arbeitskollegen Josef Nikolaou (Vangelis Mourikis) und
Yorgos (Panos Koronis).
Das Erholungsziel dieser von vornherein gruppendynamisch
etwas sperrigen Truppe vernebelt zusätzlich, als der Bootsmotor streikt. Weil die Reparatur sich hinzieht, kriecht den Männern die Langeweile schnell in die Glieder, also beginnen sie
folgendes Spiel: In den nächsten Tagen solle jeder von jedem
dahingehend bewertet werden, was ihn zum Besten der Gruppe, „den Besten in Allem“ macht: Aussehen, Charaktereigenschaften, sonstige Fähigkeiten, wie zum Beispiel ein Ikea-Regal
zusammenbauen, die Partnerin über Skype anrufen und ihr
dabei maximale Liebesgeständnisse abringen oder die längste
Erektion – am besten vorm Spiegel mit sich allein - zu halten (die Staatsgewalt als einheitliche Potenz!). Aber auch Kleidungsstil, Blutfettwerte und Cholesterinspiegel gilt es nun im
besten Licht zu präsentieren; es wartet die Ehrung durch einen
Ring, die Verleihung des Titels „Chevalier“ und die ApprobatiFortsetzung auf Seite 2 »
Inhalt
Nur noch Blasen
Über den Markt und die Macht: Kathrin Röggla zu
Daniel Hoesls WINWIN – derzeit im Stadtkino.
3
Fortschritt und Tradition
Die Geschichte einer Nomadenfamilie vor
der malerischen Bergkulisse Kirgisiens.
5
Überblick
Welche Highlights des österreichischen Kinos
uns dieses Jahr noch im Stadtkino erwarten.
Zulassungsnummer GZ 02Z031555
Verlagspostamt 1150 Wien / P.b.b.
6
Athina Rachel Tsangari, „Chevalier“
02
StadtkinoZeitung
» Fortsetzung von Seite 1
on des übersteigerten und sozial immer noch
permanent bestätigten Selbstbildnis.
Tsangari, die mit Attenberg (2010) von einer
jungen Frau mit Menschenphobie und (so
schlägt es der Film vor) in der griechischen
Gesellschaft eingeschriebenem Vaterkomplex
und seinen tiefgreifenden patriarchalischen
Strukturen erzählte, realisierte zuletzt mit dem
Kurzfilm The Capsule die Beobachtung einer
ausschließlich weiblich besetzten Gruppe unter besonderen Rahmenbedingungen. Chevalier
setzt ihr Interesse fort, „gleichgeschlechtliche
Interaktionen zu dokumentieren“, wie sie selbst
sagt: „Wie sich ein Mensch in einer Gesellschaft
formt, wie er beeinflusst wird, wie wir miteinander umgehen.“ Es seien bei weitem nicht
Themen wie die Wirtschaftskrise oder ein so
genanntes „Neues griechisches Kino“, mit dem
sie identifiziert werden wolle. „Mit meinen Filmen bewege ich mich stets einen Schritt weg
vom Naturalismus“, so Tsangari. „Das ist natürlich beeinflusst von Griechenland, der philosophischen Tradition, der griechischen Mentalität
und dem sarkastischen Humor, dem griechischen Faible für Fatalismus und für Zwecklosigkeit. Aber nicht von der Wirtschaftskrise, die
wir als griechische Filmemacher jetzt geradezu
pflichtgetreu künstlerisch exportieren sollen.
Das will keiner von uns.“
Chevalier spielt seine Allegorie auf ein marodes System dementsprechend zweideutig und
sehr zurückhaltend durch: Von vermeintlich
autarken Subjekten werden die Männer nicht
zuletzt durch die gegenseitige Beurteilung zu
einem Reglement unterworfenen Objekten,
die sich damit nicht nur der Entsprechung von
Stereotypen hingeben sondern auch in einem
System manövrieren, das sie - kaum haben sie
es selbst etabliert - auch schon wieder zu korrumpieren und zu unterwandern suchen.
Ursprünglich in einem Haus geplant, verlegte
Tsangari die Geschichte auf ein Boot, „weil es
dort keine Fluchtmöglichkeiten gibt, zudem ist
das Meer ein eigener Organismus, in dem man
sich organisieren muss und darin stellt die Yacht
ein übereingekommenes Gefängnis dar, durchaus auch ein materialistisches.“ Das Boot wird
zusehends auch zum Gemeinschaftskörper und
assoziativ sei sie auch an das Schreiben herangegangen: „Ich hatte zwei Ausgangsbilder im
Kopf: Körper, die plötzlich im Meer auftauchen
und man nicht gleich sagen kann ob es sich um
Fische, Säugetiere oder Menschen handelt. Und
dann das Bild von Menschen, die einander gegenseitig eine zweite Haut abziehen.“
Auch wenn Tsangari sich einer Einordnung
verwehrt, gehört sie wie etwa Yorgos Lanthimos zur jungen Generation von griechischen
Filmemachern zwischen Anfang 20 bis Mitte
40, die sich in ihren Arbeiten deutlich von etwa
der Melancholie und dem Symbolismus eines
Theo Angelopoulos absetzen und einen Aufbruch weg von den klassischen Formaten und
Konventionen wagen.
Dies ist nicht etwa das Ergebnis einer poli-
Männer im Wettstreit. Wer ist der Beste?
tisch-ökonomischen Initiative; die Filme werden unter schwierigen Bedingungen und weitgehend ohne staatliche Förderung produziert,
dafür aber in enger Zusammenarbeit untereinander.
Auch formal und thematisch gibt es zumindest wiederkehrende Aspekte in diesen oft geradezu fieberhaft unlogischen, bis ins Groteske
gesteigerten interessanten Arbeiten: die Ver-
„Mit meinen Filmen
bewege ich mich stets
einen Schritt weg vom
Naturalismus.“
nachlässigung logischer Verkettungen und kausaler Zusammenhänge etwa; eine gar spastische
Physikalität; konvulsive Sexualität; dürftige und
geschädigte Beziehungen.
Chevalier nimmt sich dabei ebenso soziokulturell sezierend wie Attenberg, aber politisch
deutlich weitgreifender aus. Seinen ironischen
Humor bezieht der Film nicht nur aus der Thematisierung männlichen Konkurrenzdenkens,
sondern auch aus der Implikation, dabei über
hierarchische Systeme ganz allgemein zu sprechen - und darüber, wie man ihre Schwachstellen für sich ausnützen kann, hat man einmal
verstanden, wie man die Ehre, den Stolz und die
Macht eines anderen peu a peu dekonstruieren
kann, um es auf sich selbst zu übertragen. Die
Männer versuchen in Wahrheit nichts anderes,
als ihre angenommene Dominanz zu bestätigen und diese vor sich selbst so wie nach außen
moralisch und ethisch zu rechtfertigen. Dabei
gleicht ihr Spiel selbst eher dem modernen
Evaluationswahn als einem archaischen Arenakampf. Hier werden Notizbücher gezückt,
feinsäuberliche Eintragungen über heimliche
Beobachtungen gemacht. Das ist kein simples,
kein rein physisches Kräftemessen, es ist eine
biographische Bilanzierung, die Wertung und
„Ins-Aus-Wertung“ anderer Menschen.
In diesem Film, der mehr darüber funktioniert, was er erzählt, denn wie er es visuell umsetzt, interessiert Tsangari sich ganz klar nicht
vorrangig für das, was man sehen könnte, sondern dafür, was sie nicht zeigen muss; das offenbart sich auch im deutlichen Verweigern einer
konventionellen Schnitt-Logik.
„Im Übrigen glaube ich nicht, dass eine Männergruppe von einer Frauengruppe so unterschiedlich funktioniert. Dieser Film ist in Wahrheit mit einer besonderen Liebe für Männer
gemacht“, so Tsangari. Geschlechter-Stereotypen kehrt sie in diesem Film doch sehr amüsant um: So lange etwas Teil eines Wettbewerbs
ist, tun diese Männer offenbar alles, um sich darin zu messen und dabei zu gewinnen, sei dies
auch Fensterputzen oder Geschirrabwaschen.
Da muss – oder darf? – Dimitris etwa einmal
die Soft-Ballade Lovin’ You von der Samt-undSeide-Sängerin Minnie Riperton zum Playback
performen, während Yannis dabei Dinner-Kerzen in der Luft wiegt. Der Humor dieser Szene
liegt nicht vordergründig darin, dass sich die
beiden Männer hier in einen geradezu sinnbildlich weiblichen Song einfühlen, sondern darin,
dass sie sich derart weit aus ihrer Komfort-Zone
wagen, nur weil sie denken, das würde ihnen
Bonuspunkte und sie dem Sieg näher bringen.
Tatsächlich sind sie in diesem Moment überzeugt, zu allem in der Lage zu sein, und ihre
Sache dann auch noch gut zu machen.Tsangari
lädt hier natürlich gerade Männer ein, hinter
diese Illusion zu blicken. •
Athina Rachel Tsangari
Chevalier
(Griechenland 2015)
Regie Athina Rachel Tsangari
Drehbuch Efthimis Filippou, Athina Rachel
Tsangari
Darsteller Makis Papadimitriou, Nikos Orfanos, Sakis Rouvas, Vangelis Mourikis, Yorgos
Kentros, Yiannis Drakopoulos, Yorgos Pirpassopoulos, Panos Koronis, Kostas Philippoglou
Kamera Christos Karamanis
Schnitt Matt Johnson, Yorgos Mavropsaridis
Musik Paradox Paradise, Jan Miserre,
John Gürtler, Lars Voges
Ton Leandros Ntounis, Kostas Varybopiotis
Produktion Faliro House, Haos Film
Verleih Stadtkino Filmverleih
Länge 99 Min.
Format DCP / Farbe
Ab 6. Mai im Stadtkino
im Künstlerhaus
Wir unterstützen auch
das Stadtkino Wien.
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Daniel Hoesl, „WINWIN“
StadtkinoZeitung
03
Nur noch Blasen
Wie bringt man Menschen dazu, sich völlig in die Hände von Schaumschlägern und
Gaunern zu begeben, und das im großen Stil? Über den Markt und die Macht:
Hinweise zu Daniel Hoesls „WINWIN“. KATHRIN RÖGGLA
E
r ist ein Alptraum, dieser Film. Für eine
Farce zu grimmig, für eine Tragödie zu
heldenlos, für einen Wirtschaftskrimi
zu abstrakt, zu kadriert, in Farbe gebracht. Es
gibt im Grunde niemanden darin, in den man
sich wirklich einfühlen möchte. Am ehesten
noch in den abgesägten Familienunternehmer,
aber der verliert sich auffällig viel im Gebüsch,
an den Seeufern, den Waldeinsamkeiten, die es
ja bekanntlich gar nicht mehr gibt.
Silent Hill lässt grüßen. Doch Silent Hill
hatte Monster, die bedrohlich waren, amorphe Wesen mit plötzlichen Zähnen, die aus
irgendwelchen Wänden kamen, hier kommen keine Wesen aus den Wänden, hier sind
wir es selbst, oder wer ist das, in dessen Gesichter geblickt wird in den vielen Verhandlungsrunden des Films – wo eigentlich? Der
Verhandlungsort wirkt aseptisch, ein schalltoter, ja nahezu umgebungstoter Raum, in
dem nicht einmal die eigene Atmung zu hören ist und sowieso nichts von der Welt zu
sehen ist, um die es ja eigentlich geht. Und
das ist auch gut so, denn dann würden wir
sehen, was hier verschachert wird.
Vielleicht ist WINWIN von Daniel Hoesl
aber auch ein Zauberwürfel, in den man keinen Einstieg findet und der auf ewig verdreht
bleiben muss. In keine Symmetrien, Harmonien zu bringen, als die wir gesellschaftliche
Verhältnisse gerne imaginieren. „Voran, voran“ ist sein Schlachtruf ohne Ausrufezeichen, beinahe phlegmatisch von irgendeiner
Ministerin (welche war das noch? – egal!)
dahergesprochen, während sich ihre störrische Kabinettschefin um sie windet, trockene Widerspruchssätzlein absondernd.
Aseptische Mienen werden durch aseptische Szenarien geführt, ein Mythos, der unter den Rasenmäher gekommen ist und nun
mit Stoppelrasen daherkommt oder sich unter
drei Meter Plexiglas abspielt, sodass man nicht
weiß, sieht man nur noch Wellen im Kunststoff oder doch menschliche Bewegungen. Er
ist ein Spiegel, der auf Hochglanz bringt und
Schrecken zurücklässt, jedenfalls beschreibt er
eine verlassene Stelle inmitten unserer Gesellschaft, die über das Leben, die Prosperität, den
gesellschaftlichen Reichtum entscheidet.
Dabei kommt er ganz ohne Spleens aus, die
man Investmentjunkies durchaus zuschreiben
könnte, irgendwelche Vorlieben für irgendwelche Unternehmen, er bleibt bei den Leerformeln, in absolut werbesprachlich organisierten
Bildern, denen man wünschte, sie könnten,
wenn sie schon keine Unterschiede machen,
doch wenigstens ausfasern.
Im Gegenteil, während sie uns diesen Gefallen nicht tun, halten sie Gesichter starr in ihrem Mittelpunkt, Gesichter, die auf Menschen
draufhocken wie eine Krankheit. Gesichter,
die alles plausibel machen, auf personal effectiveness trainierte Visagen, die nur konterkariert werden durch das „Kommt er“, „Da hat
er ja“, die dritte Person Singular, mit der die
Ministerin um sich wirft, bevor sie die rituell durchgeführte Handtaschennummer hinter
sich bringen möchte, ein Vorspiel der Habgier,
die dem Diktat der ersten Person Singular fast
irrtümlich eine figürliche Anmutung verpasst.
Ist der Film ein Skandal? Zu sagen, dass in
Österreich diese Dinge an der Tagesordnung
sind, dass Konsequenzlosigkeit für die Vernichtung gesellschaftlicher Vorsorgesysteme es mit
Ländern wie Luxemburg, Kolumbien und den
USA verbindet, dass es eine Bananenrepublik
ist ohne Bananen, wäre vielleicht das einfache
Schlusswort zu WINWIN gewesen.
Ausgesprochen wird es aber bereits in der
Mitte, es eignet sich auch filmisch nicht mehr
zur abschließenden Verurteilung des Geschehens, zu wirkungslos hat die Medienindustrie
in den vergangenen Jahren auf diese Karte
Würden Sie diesen Menschen Ihr Geld anvertrauen? WINWIN ist derzeit im Stadtkino im Künstlerhaus zu sehen.
der Erregung gesetzt, zu sehr ist Kunst bereits
einzig in Markt zu übersetzen. Das Drastische
findet sich auch weniger in den Inhalten der
fast wie aufgesagt wirkenden Sätze als in der
Art und Weise, wie gespielt wird, wie die Bildränder sich zu der Bildmitte verhalten, wie
Schauplätze sich werbeästhetisch aneinanderfügen und unsere Fantasie längst schon werden
konsumiert haben.
Scheinbar krass voneinander zu unterscheiden, stellen das barocke Ministerium eher einen Unort des politischen Handelns, die leere
Büroetage irgendeines Donauturms eher einen
Es ist immerhin die feindliche Übernahme
eines ganzen Landes, einer ganzen Öffentlichkeit, einer ganzen gesellschaftlichen Situation, um die es hier geht. Ist alleine die
verzweifelte Hoffnung an eine wirtschaftliche
Teilhabe ausreichend? Stecken noch andere
Träume drinnen?
Diese hier sehen allzu blass aus, sie sind
zweidimensional, supereffektiv und bestehen
aus dem Gespinst des amerikanischen Spirits –
das hauptsächlich die größte Lüge verkünden
kann: „I am totally with you!“ Vielleicht sind
es auch keine Träume, die da verkauft werden,
Ist der Film ein Skandal? Zu sagen, dass in
Österreich diese Dinge an der Tagesordnung
sind, wäre vielleicht das einfache Schlusswort
zu WINWIN gewesen.
Unort der Mehrwertproduktion, die Menagerie im Naturkundemuseum eher einen Unort
der Verschwörung dar. Negationsorte, durchgestrichene Tatorte. Nur noch Blasen, surfaces
irgendwelcher Dienstleister des Optischen.
Und am Ende bleibt das Unternehmeranwesen, in dem man nur noch einzig Bücher nach
Farben sortieren kann,Tee trinkt und mit Geistern tanzt.
Die Frage, die immer wieder zu stellen ist,
ist eine alte, machtpolitische: Wie bringt man
Menschen dazu, ihre Unternehmen, ihre öffentlichen Güter herzuschenken beziehungsweise sich völlig in die Hände von Schaumschlägern und Gaunern zu begeben, und das
im großen Stil?
sondern es handelt sich um einen Schuldenübernahmedeal, wie man ihn ja oft genug
vorgeführt bekam. Es sind Angstschulden, die
zu handlichen Paketen geschnürt werden, die
allerdings die Eigenschaften haben, sich beim
Auspacken unglaublich zu extrahieren. Das
Kaninchen vor der Schlange wird irgendwann
zum Teil der Schlange, das ist klar.
Aber vielleicht ist auch alles ganz anders,
vielleicht handelt es sich doch um eine Geschichte einer geniale Fälscherbande, der
einzig noch möglichen Helden unserer Zeit,
die uns vorführen wollen. Schließlich häufen
sich die Fälschungen, beauftragt oder selbst
durchgeführt, an die umso mehr vom Publikum festgehalten wird, selbst wenn sie offen-
WINWIN – können alle!
Sondervorstellung am 10.4. ab 19 Uhr
im Stadtkino im Künstlerhaus
A
nschließend an den Film: Podiumsgespräch zu alten Gelderscheinungen, künstlerischen
Not-Wendigkeiten, überfälligen Gemeinwohlbankgründungen und neuen Kapitaltherapien
mit Daniel Hoesl (Regisseur von WINWIN), Christine Tschütscher (Vorständin Projekt Bank für
Gemeinwohl), Oliver Tanzer (Autor des Bestsellers Lilith und die Dämonen des Kapitals). Moderation: Alexander Tschernek (Ö1, WINWIN-Darsteller & Experte für Geist und Geld und Gutesleben).
Tickets ab sofort unter [email protected] bzw. an der Kinokassa erhältlich.
sichtlich sind, weil es im Grunde auch gar
nicht mehr um die Sachen selbst, ob Künstlerbilder oder Unternehmen, geht, sondern
um das reine Spektakel der Glaubwürdigkeit.
„Ei, solches Volk muss untergehen!“ lautet
die Schlusszeile des Liedes auf der Höhe
ihres Erfolgs.
Ja, vielleicht sind es Revoluzzer, die uns
konfrontieren und einzig daran scheitern,
dass es eben keinen Skandal gibt, keine Bestrafung. Die selbst an der Konsequenzlosigkeit ihres Tuns am meisten leiden und es nicht
fassen können, dass sie nach der Hausdurchsuchung nicht befragt werden. „An einem
leeren Raum ist wirklich nichts auszusetzen“,
ist der Kommentar des Untersuchungsleiters, der Staatsanwalt will nicht klagen, weil
er seinen Beruf ernst nehme, und der Anwalt
möchte auch noch auf das Ende des Kasperltheaters hinaus: „Euch gibt's ja gar net.“ Wer
führt hier wen vor?
Vielleicht sind es aber doch nicht unbedingt
kriminelle Energien, die den Film zusammenhalten, sondern wir wohnen mehr einem
religiöser Vorgang bei. Eine sakrale Übung,
weniger von Samurai-Kriegern vollzogen,
sondern mehr von neoapostolischen, in
Pfingstzungen predigenden Eintagesgeistern,
vier Wesen in gut angerührter amerikanischösterreichischer Mischung, als Fälscher unseres Verhältnis zur Welt. Oder sind es Hohepriester einer Religion, voller Markthysterie
in einer sich auflösenden Gesellschaft. Priester, die längst schon angekommen sind in
ihrer Zweidimensionalität, die wir noch erreichen müssen, und die ihr Squash gegen die
Fenster mit dem berühmten Stadtpanorama
spielen, Tennisbälle in die Fresse der Öffentlichkeit knallen, als präzise Meditation.
Einzig wenn diese misslingt, etwa in einer
der Einübungsszenen des Hauptgespenstes
Niklas, öffnet sich ein Spalt. Auch diese Gestalten müssen noch lernen, das hätte man
nicht gedacht. Das ist der einzige Moment der
Hoffnung – diese Lernprozesse müssen unterbrochen werden, ruft man leichthin, sonst fährt
der Karren an die Wand.
Das sagt sich leicht, von Österreich aus gesehen, von Griechenland aus sieht die Sache
schon ganz anders aus. Was bei uns noch als
Einübung ins Spektakel sich erzählen lässt, als
Inszenierung eines falschen Todes, ist dort das
gestrige Spektakel der anderen und das reale
eigene Elend. Insofern:Wollen wir diesen Film
beschreiben? Wollen wir das? Nein, aber sicher
nicht. Also:Voran, voran!
•
Zuerst erschienen in „Die Presse“, 26.3.2016
Nicolas Steiner: „Above and Below“
04
StadtkinoZeitung
Vom Mars. Auf die Erde.
Unter die Oberfläche.
„Above and Below“ ist eine raue Achterbahnfahrt mit Überlebenskünstlern in einer Welt voller
Herausforderungen und Schönheit. Ein Statement des Regisseurs Nicolas Steiner.
D
rubär und Drunnär“ wäre wohl das
Walliserdeutsche Pendant zu Above
and Below. Und wenn ein Walliser
diesen Ausdruck benutzt, dann haben entweder die Trauben bei der Ernte die nötigen
Öchsle Grad nicht erreicht oder ein chaotisches Leben steht an. Das muss sich nicht
nach außen zeigen, aber innen drin, da ist es
„Drubär und Drunnär.“ Diese Befindlichkeit
fand ich als Ausgangslage für meinen Diplomfilm durchaus adäquat.
In Above and Below habe ich mich auf die Suche nach Helden in eher ungewohnten Lebensräumen gemacht - Zufluchtsorte und Schutzgemache. Es ging um das Oben und Unten.
Um hell und dunkel. Da herrscht die Sonne
und schmilzt alles unter ihr. Dort herrscht die
Dunkelheit, die ein schützendes Dach bildet und
Licht kommt nur spärlich vor. Licht kann töten,
Schatten ebenso. Ein vorsichtiger Versuch eines
Rück- und Vorausblicks, wie der Mensch existiert, atmet und sich anpasst.Vom zu erobernden
All in den abgerissenen Militärbunker und
schlussendlich gestrandet in den Katakomben
der vom Menschen erschaffenen paradiesischen
Glitzer- und Glamourhölle: Ein dreijähriger Trip,
den ich mit April, David, Rick & Cindy, Lalo
„der Pate“ und einem unersetzlichen Team erleben durfte: Das war für mich Above and Below.
Vom Mars. Zur Erde. Unter die Oberfläche –
dieses Konzept kristallisierte sich in meiner Recherche sehr bald heraus. Auf der Suche nach
möglichen Protagonisten, bin ich auf drei Begriffe gestoßen, die mich bereits für eine analoge
Fotoserie während meines Studienaufenthaltes
in Kalifornien, beschäftigten: Cowboys, Ghosts
and Aliens. Nicht direkt verbaliter, sondern in
ihrer gedanklichen Übersetzung.Vermutlich aus
Sicht eines Auswärtigen und Fremden, vielleicht
auch als amerikanische Selbstwahrnehmung,
die sich entweder in die Vergangenheit zu den
Cowboys, oder die Zukunft zu den Aliens orientiert. Dazwischen hängen die Ghosts – eine
denkbare Metapher für eine gewisse Orientierungslosigkeit dieses großen, faszinierenden
Landes, dessen Gesellschaftsschere sich kontinuierlich weiter öffnet. Ich fühlte mich von Beginn
weg angezogen und irritiert, dadurch ergab sich
ein fruchtbares Spannungsfeld für diesen Film.
Die Lebensweisen und Geschichten dieser
Helden haben mich zutiefst fasziniert. Die Gespräche in ihren Wohnzimmern verblüfft. Der
tägliche Überlebenskampf angestachelt, ihnen
eine Stimme und ein Gesicht zu geben. Anfangs wohl das einzige, was ich Ihnen wirklich
bieten konnte. Ich kann mich identifizieren
mit ihrer Suche und der Flucht, auf der sie sich
befinden. Ihre Tatkraft, eine Vergangenheit zu
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(c) Iris Janke
Österreichische Erstaufführung /
Ab 18 Jahren
30.03.16 11:05
Grenzen ausloten und überschreiten.
meistern, die sie womöglich in ihre Situation
getrieben hat. Ich war neugierig auf das Wissen
und Erleben, dass sie mir voraus hatten. Dieser Film stellte für mich auf allen Ebenen den
richtigen Abschlussfilm dar, weil ich darin eine
große Herausforderung und einen Reifeprozess erkennen konnte.
Die positiven Erinnerungen der Dreharbeiten ließen mich vor allem in der zähen Postproduktionsphase weiterhin ans Projekt glauben. Die Emotionen waren immer da. Wenn
du 2,5 Monate praktisch ohne Unterbruch
drehst, die Außentemperaturen innerhalb weniger Tage von brütender Hitze in einen Kälteschock Blizzard purzeln, du im low-budget Bereich arbeitest und gleichzeitig eigentlich noch
Weihnachten ist, dann musst du schon sehr,
sehr gute Freunde und besessene, leidenschaftliche sowie kreative Filmhandwerker um dich
herum haben, die das mittragen. Mit meinen
besten Kumpels auf einer verlassenen Goldmine zu stehen, bepackt wie Gebirgssherpas
und völlig erschöpft, aber begeistert über die
weite Wüste Kaliforniens zu blicken und dabei
zu erkennen, wie privilegiert man sich schätzen muss, so was überhaupt zu tun, hat uns alle
gestärkt und noch mehr zusammengeschweißt.
Die Erfahrungen in der stockdunklen Welt unter der Welt haben unsere Sinne geschärft. Das
Gefühl nie zu wissen, was oder wer auf einen
zukommt prägte sich bis in unseren Schlaf ein.
An jedem Ort, mit jedem Protagonisten, gerate
ich noch heute ins Schwärmen, wenn ich über
die Dreharbeiten nachdenke. Eine nachhaltige
Lebensschule.
Obwohl ich in der I-Phone und Stream
Generation lebe und aufwuchs, sehe ich die
Stärken dieses Projekts in einem Glauben an
das gute alte Kinoerlebnis. Ich habe versucht,
weder einen belehrenden Endzeit-Dokumentarfilm-Thriller, noch eine sozialkritische Dokumentarfilmstudie über Obdachlose in den
USA zu machen. Da wollte ich nicht hin.Trotz
aller Tragik halte ich am lebensbejahenden In-
halt und guten Antrieb des Menschen fest. Ich
habe alle meine künstlerischen Freiheiten eines
Abschlussfilms genutzt, mich auszutoben und
auch das Risiko einzugehen, zu scheitern. Ich
habe versucht, meine DNS als Filmemacher zu
verfeinern.
Glücklicherweise überwiegen am Ende
eines langen Prozesses die Freude und der Vorausblick. Auseinandersetzungen, Tränen, unzählige Nachtschichten und lange Durststrecken gehörten dazu und spiegeln sich in der
Achterbahn, die immer einen Platz im Film
gefunden hat. Ich glaube, jeder von uns kann
von sich behaupten, dass wir das Letzte rausgekitzelt haben für unsere Vision dieses Films.
Wir haben Grenzen ausgelotet und sie mehrmals überschritten. Ich bin allen dankbar, die
an diesem Projekt mitwirkten, die den Film
zeigen wollen und ihn weitervermitteln. Wir
bleiben Abenteurer und das soll auch dieser
Film sein. Ein Tête-à-tête von Oben nach
Unten mit Blick nach Vorne.
•
Nicolas Steiner
Above and Below
(Deutschland, Schweiz, USA 2015)
Regie und Drehbuch Nicolas Steiner
Darsteller Edward "Lalo the Godfather"
Cardenas, Cynthia "Cindy" Goodwin,
Richard "Rick" F. Ethredge, April Davis u.a.
Kamera Markus Nestroy
Schnitt Kaya Inan
Musik Paradox Paradise, Jan Miserre,
John Gürtler, Lars Voges
Ton Bertin Molz, Tobias Koch
Produktion maximage GmbH
Verleih abc Films
Länge 118 Min.
Format DCP / Farbe
Ab 15. April im Stadtkino
im Künstlerhaus
Impressum Telefonische Reservierungen von Mo. bis Do. 8.30-17 Uhr, Fr. 8.30-14 Uhr
unter 522 48 14 – während der Kassaöffnungszeiten: Stadtkino im Künstlerhaus Akademiestraße 13, 1010 Wien, Tel. 712 62 76 / Filmhaus Kino am Spittelberg Spittelberggasse
3, 1070 Tel. 522 48 16. Online www.stadtkinowien.at Herausgeber, Medieninhaber
Stadtkino Filmverleih und Kinobetriebsgesellschaft m.b.H., Spittelberggasse 3/3, 1070 Wien
Graphisches Konzept Markus Raffetseder Redaktion Claus Philipp, Florian Widegger
Druck Druck Styria GmbH & Co KG, Styriastraße 20, 8042 Graz Offenlegung
gemäß Mediengesetz 1. Jänner 1982 Nach § 25 (2) Stadtkino Filmverleih und Kinobetriebsgesellschaft m.b.H. Unternehmungsgegenstand Kino, Verleih, Videothek Nach § 25 (4) Vermittlung von Informationen auf dem Sektor Film und Kino-Kultur. Ankündigung von Veranstaltungen des Stadtkinos. Preis pro Nummer 7 Cent / Zulassungsnummer GZ 02Z031555
Verlagspostamt 1150 Wien / P.b.b.
StadtkinoZeitung
Mirlan Abdykalykov, „Nomaden des Himmels“
05
Fortschritt und Tradition
Ein neuer Film lädt ein zum Träumen und Staunen in der malerischen
Berglandschaft Kirgisiens. Neue Zeiten brechen an.
E
s gibt immer noch Orte auf dieser Welt,
wo die Menschen in Harmonie mit Natur und Naturmythologien leben. Eine
Nomadenfamilie lebt zurückgezogen mit ihren
Pferden in der berauschenden, von Bergschluchten geprägten Landschaft Kirgistans: ein alter
Hirte und seine Frau, ihre Schwiegertochter
Shaiyr und ihre kleine Enkelin Umsunai. Shaiyrs Ehemann ist vor vielen Jahren in einem Fluss
ertrunken. Umsunai vermisst ihren Papa und
glaubt fest daran, dass er – wie es in einer der
schönsten Legenden der Nomaden erzählt wird
– in einen Steinkauz verwandelt wurde, der seine
Kreise über den Gipfeln zieht. Shaiyr entschied
sich, bei der Familie ihres Mannes zu bleiben,
denn sie liebt das wunderschöne Land.
Doch dann taucht der Meteorologe Ermek
auf, der seine Mess-Station direkt neben Shaiyrs
Zuhause aufbaut. Die beiden verlieben sich und
das alte Hirtenpaar ahnt, dass Shaiyr mit dem
Gedanken spielt, ein neues Leben in der Stadt
zu beginnen. Als Shaiyrs Sohn, der in der Stadt
studiert, die Familie in der Bergschlucht besucht,
bestürmt er die Nomaden mit Geschichten aus
dem modernen Leben. Und schließlich tauchen
in der Nähe die ersten Baumaschinen auf, die ein
anderes Zeitalter ankündigen.
Erzählt im sanften Rhythmus des Nomadenlebens, nimmt uns Regisseur Mirlan Abdykalykov
mit auf eine Zeitreise in das so leicht verwundbare Herz einer Familie. In weit ausgreifenden
Bildern von großer Sinnlichkeit verwebt der
Film eine Welt der gelebten Traditionen mit dem
leisen Anbruch einer neuen Zeit. Abdykalykov
kommt selbst aus einer kirgisischen Kino-Fami-
Traditionen
bewahren und im
Wandel der Zeiten
weitergeben.
lie – sein Vater Aktan Arym Kubat zählt zu den
bekanntesten Regisseuren des Landes (und hat
das Stadtkino-Publikum bereits 2011 mit seinem
Film Svet-Ake: Der Dieb des Lichts verzaubert).
Bevor Abdykalykov, der selbst in einem Dorf
aufgewachsen und eigentlich eine Karriere als
Journalist anstrebte, zum ersten Mal für seinen
Kurzfilm 2010 hinter die Kamera trat, war er in
den Filmen seines Vaters als Schauspieler zu sehen: „Da meine Eltern ständig arbeiteten, wurde
ich in meiner Kindheit von meinen Großeltern aufgezogen. Als Hüter von Traditionen und
Bräuchen gaben sie an mich ihr Wissen, ihre Erfahrung und zuallererst das Bewusstsein weiter,
wie wichtig es ist, Traditionen zu bewahren und
im Wandel der Zeiten weiterzugeben. Kirgistan
ist ein kleines Land und in Zeiten der Globalisierung besteht die Gefahr, dass es verschwinden
könnte, wenn wir nicht sein einzigartiges Gesicht
erhalten: unsere Kultur, Sprache und Identität.
Ich möchte in meinem Film von dem Konflikt
zwischen der modernen Welt und den langsam
Stadt für junge Menschen mit sich bringt, wird
selbst dem alten Tabyldy bewusst: Die Zeiten
haben sich geändert – für nachfolgende Generationen ist das harte Nomadenleben nicht
mehr attraktiv genug. Dass die Veränderung
nicht zu stoppen ist, zeigt sich auch durch die
geplante Eisenbahn, mit der das Gebiet nun erschlossen werden sollte. Und wie im klassischen
amerikanischen Western stellt man sich unweigerlich die Frage, welchen Preis die Bewohner
für den ach so unvermeidbaren Fortschritt an
der untamed frontier bezahlen müssen …
Nomaden des Himmels wurde 2015 von Kirgistan als Beitrag für den Auslands-Oscar eingereicht.
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Mirlan Abdykalykov
Nomaden des Himmels
(Kirgisien 2015)
Langsam hält die Moderne Einzug in der unberührten Natur.
schwindenden Traditionen erzählen und von der
dringenden Notwendigkeit, sie zu erhalten. Ich
möchte von der Reinheit der menschlichen Beziehungen, der Liebe und der Familienformen
erzählen, wenn die Traditionen an erster Stelle
gesetzt werden.“
Dabei stoßen Tradition und Fortschritt in Abdykalykovs Film beinahe zärtlich aneinander, als
die selige Ruhe der Nomadenfamilie mit dem
Auftauchen des Meteorologen aus dem Rhythmus gebracht wird.Was es bedeutet, eine Kultur
davor zu bewahren, derVergessenheit anheim zu
fallen, ist eines der Hauptthemen von Nomaden
des Himmels. Die Familie und insbesondere ihr
Umgang miteinander ist es, was ihn auszeichnet. Tabyldy Aktanov als Großvater steht ihr
nicht nur vor, er ist es auch, der sie zusammenhält – und dem Regisseur deshalb ganz besonders am Herzen liegt. Er hat ein feines Gespür
für gewisse Stimmungen in der Familie und
dafür, was die einzelnen Familienmitglieder beschäftigt.Wenn etwa die Enkelin wieder einmal
Trauer über ihren verlorenen Vater überkommt,
erzählt er ihr die Sage (mündliche Weitergabe als älteste Kulturtechnik) von einem Jäger,
der bei seinem Tod in einen Adler verwandelt
wurde. Nun hält Umsunai einen immer wieder
durch das Tal ziehender Vogel für ihren Vater …
Obwohl sie sich von ihrer Schwiegermutter
nicht alles gefallen lässt, so ist Shaiyr meistens
ruhig und entspricht hier dem Rollenbild als
Schwiegertochter. Streit und Versöhnung wechseln sich im Film ständig ab und auch wenn der
Erzählstil so einfach ist wie manche der Sätze,
die die exemplarisch agierenden Charaktere
von sich geben, so offenbart der Film keine einfachen oder gar gefälligen Lösungen, sondern
geht in die Tiefe. Formal ist Nomaden des Himmels ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes
friedlich: Zu entspannenden Flötenklängen
empfängt er seine Zuschauer zu Beginn, nimmt
sie in ruhigen Einstellungen mit in die atemberaubenden Berglandschaften in der Nähe des
im Tianshan-Gebirge gelegenen Yssykköl-Sees,
des zweitgrößten Gebirgssees der Erde. Es wäre
allerdings ungerecht, den Film als reines Naturspektakel abzutun, als Entschleunigungs-Kino
für uns gestresste Zivilisationsopfer.
Dazu sind Abdykalykovs Figuren dann doch –
bei aller Abgeschiedenheit und aller Vergangenheitspflege – Menschen, die im Hier und Jetzt
leben. Als Shaiyrs Sohn eines Tages zu seiner
Familie zurückkehrt und von den angenehmen
Seiten berichtet, die das Leben in der großen
Regie und Drehbuch Mirlan Abdykalykov
Darsteller Taalaikan Abazova, Tabyldy Aktanov, Jibek Baktybekova, Jenish Kangeldiev,
Anar Nazarkulova, Myrza Subanbekov
Kamera Talant Akynbekov
Schnitt Murat Ajiev, Eldiar Madakim
Produktion Aitysh Film
Verleih Stadtkino Filmverleih
Länge 81 Min.
Format DCP / Farbe
Ab 22. April im Stadtkino
im Künstlerhaus
50 STUNDEN AM
STÜCK, 4.000 KM DURCH
EUROPA. IN EINEM
ALTEN GRÜNEN
MERCEDES-SPRINTER,
DER 1,2 MIO. KILOMETER
AUF DER UHR HAT.
Juan Moreno
dérive N°63: Korridore der Mobilität – Knoten, Akteure, Netzwerke, S. 36
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CinéClub Lycée Francais
Am 11. Mai um 19 Uhr
im Filmhaus Kino am Spittelberg
Diesmal zeigen wir Christian Petzolds vielfach ausgezeichneten letzten Kino-Spielfilm
Phoenix in deutscher Originalfassung mit
englischen Untertiteln. Flankiert wird die
Vorstellung von weiteren Kurzfilmen, die die
Mitglieder des CinéClub Lycée Francais in
den letzten Monaten gedreht haben. Darunter:
Under your skin von Cordula Rieger über eine
Emotion, die mit gezwungenem Lächeln überspielt wird. Tickets sind ab sofort reservierbar.
Zeitschrift für Stadtforschung
www.derive.at
06
Ausblick: Österreichische Filme im Stadtkino
StadtkinoZeitung
Österreichische Filme –
2016 noch im Stadtkino
Nach einem fulminanten wie vielseitigem Auftakt ins Jahr mit Daniel Hoesls bitterböser Satire
„WINWIN“ oder Angela Summereders vielschichtigem und geheimnisvollen Doku-Spielfilm
„Aus dem Nichts“ ist es jetzt an der Zeit, einen Blick nach Vorne zu wagen: Was bringt uns das
Jahr 2016 noch an hochkarätigen österreichischen Filmen ins Programm des Stadtkinos?
F
ilmemacher Sigmund Steiner – selbst Bauernsohn – portraitiert in seinem essayistischen
Dokumentarfilm Holz Erde Fleisch drei Bauern bei der Arbeit im Wald, auf dem Feld und
auf der Alm. Eine Frage bestimmt alles: werden ihre Kinder eines Tages ihren Besitz übernehmen oder stirbt der Bauernberuf mit ihnen aus? Und wieso haben sie sich einst entschieden,
die Arbeit ihrer Väter fortzuführen? Obwohl keiner dieser drei Männer Sigmund Steiners
Vater ist, gestaltet sich Holz Erde Fleisch als sensible Auseinandersetzung des Filmemachers mit
der eigenen Vater-Sohn-Geschichte.
Die Problematik des Bauernsterbens wird oft als politische oder infrastrukturelle Angelegenheit verhandelt, aber in Generationenfragen geht es immer auch um persönliche Freiheit und
Emanzipation. Im bäuerlichen Leben ist die Weitergabe des Familienbetriebs mit vielen Erwartungen und Loyalitätskonflikten verbunden. In die Fußstapfen der Eltern zu treten, kann beides
bedeuten: die Sicherheit, den eigenen Platz im Lauf der Dinge zu kennen einerseits und die
Verantwortung, die mit der Einschränkung der eigenen Bedürfnisse einhergeht andererseits. (…)
Für mich behandelt Holz Erde Fleisch am Beispiel der Bauern ein größeres Thema: wie können
wir mit den Erwartungen unserer Eltern umgehen und wie werden wir mit unseren eigenen
Kindern verfahren? Und vielleicht ist es ein Film speziell Männer betreffend, die sich die Frage
stellen, welche Väter sie sein oder werden wollen.
Regiestatement
HOLZ ERDE FLEISCH
(Regie: Sigmund Steiner, Kinostart: 3. Juni 2016)
Bester Dokumentarfilm, Diagonale – Festival des österreichischen Films 2016
Zum Auftakt einer Reihe, in der wir monatlich neue österreichische Filme vor ihrem Kinostart
(oder solche, die noch keinen Kinostart haben) im Stadtkino im Künstlerhaus präsentieren, zeigen
wir am Mittwoch, 6. April um 19.30 Holz Erde Fleisch als Wien-Preview. Tickets sind an
der Kinokassa bzw. unter [email protected] erhältlich.
•
K
ati ist 15 Jahre alt und leidet unter Asthma. Zusammen mit ihrer kleinen Schwester verbringt
sie viel Zeit bei ihrer Großmutter auf dem Land. Die Natur und die saubere Luft tun ihrer
Lunge gut. Aber etwas Unheimliches, Unausgesprochenes umgibt diesen Ort.Visionen plagen das
Mädchen. Die Großmutter hat das Gefühl, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Es könnte der
letzte gemeinsame Sommer mit ihren Enkelinnen sein. Sie möchte sich langsam von ihnen verabschieden. Aber gibt es überhaupt so etwas wie einen guten, sanften Tod?
Filmfest Hamburg
Es ist der Körper, den man ertasten, den man spüren, mit dem man fühlen kann und der die
Grenze ist, der Schutz, für alles, was innen liegt und unbe„greif“lich bleibt. Der menschliche wie
der tierische Körper als physische Behausung, der etwas innewohnt und die oft sichtbar zeigt,
worüber man nicht zu sprechen vermag – das ist ein durchgängiges Motiv, das sich durch das
kurze OEuvre von Peter Brunner zieht. Was den Menschen menschlich macht, ist auch eine der
Fragen, die Brunner in Jeder der fällt hat Flügel (in dem er u. a. den Tod seiner demenzkranken
Großmutter verarbeitet) stellt. Eine sensuelle, haptische, lyrische, gar fantastische Annäherung an
das Wesen von Liebe, Angst und Urvertrauen.
Diagonale-Katalogtext, Alexandra Zawia
JEDER DER FÄLLT HAT FLÜGEL
(Regie: Peter Brunner, Kinostart: voraussichtlich September 2016)
Wir präsentieren den Film als Wien-Preview am Mittwoch, 4. Mai um 19.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus.Tickets sind auch für diese Veranstaltung ab sofort reservierbar.
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A
Foto: © Ulrich Seidl Filmproduktion
frika. In den Weiten der Wildnis, dort, wo es Buschböcke, Impalas, Zebras, Gnus und
anderes Getier zu Tausenden gibt, machen sie Urlaub. Deutsche und österreichische Jagdtouristen fahren durch den Busch, sie liegen auf der Lauer, sie gehen auf die Pirsch. Dann
schießen sie, weinen vor Aufregung und posieren vor ihren erlegten Tieren. Ein Urlaubsfilm
über das Töten, ein Film über die menschliche Natur.
•
SAFARI
(Regie: Ulrich Seidl, Kinostart voraussichtlich September 2016)
Ausblick: Österreichische Filme im Stadtkino
StadtkinoZeitung
07
D
as Abbild des Menschen als Mosaik in einer Art Tempel – das erste Bild von Homo Sapiens zeigt
den historisch nicht einzuordnendenVersuch, ein zeitloses Portrait der Nachwelt zu hinterlassen.
Aber der ‚Tempel‘ ist verlassen und die Natur nimmt Raum. In keinem weiteren Bild von Homo
Sapiens wird es noch Ab-Bilder von Menschen geben. Ihre Spuren werden dadurch umso deutlicher
sichtbar. In einer Montage von präzise komponierten, unbewegten Einstellungen erforscht der Film
die Räume, die der Homo Sapiens für sich und seine Lebensweise entwickelt hat:Von der Fortbewegung zum Wohnen, vom Gesundheitssystem zur Erziehung, von der Kommunikation zur Unterhaltung, von der Religion zur Bestattung der Toten. Plätze auf der Erde, die wir heute schon wieder verlassen, aufgegeben oder vergessen haben. Kleine, intime Räume wie Wohnungen oder Häuser ebenso
wie riesige Industriekomplexe oder Orte des öffentlichen Lebens, in unterschiedlichen Stadien schon
wieder von der Natur zurückerobert. Oft bewegt der Wind die Blätter von Pflanzen oder Teile von
sich auflösenden Gebäuden. Bisweilen regnet oder schneit es, was im Inneren eines Gebäudes eine
völlig neue Wirkung zeitigt.Viele dieser Orte sind auch von Tieren, meist Vögeln, bewohnt.
HOMO SAPIENS
(Regie: Nikolaus Geyrhalter, Kinostart: Herbst 2016)
Der neue Film von Nikolaus Geyrhalter begeisterte auf der Berlinale im Februar Zuschauer und
Kritiker gleichermaßen. Er zeichnet in einer leeren, von der Natur zurückeroberten, aber doch einst
von Menschen gemachten Welt ein unbehagliches Szenario: er ist sowohl Science-Fiction als auch
Dokument, zugleich Postapokalypse und Gegenwart - „der Angriff der Gegenwart auf das Ende
der Zeit.“ (Profil)
•
U
DIE GETRÄUMTEN
(Regie: Ruth Beckermann, Kinostart voraussichtlich Dezember 2016)
Bester Spielfilm & Bester Schnitt, Diagonale – Festival des österreichischen Films 2016
m Liebe und Hass, um richtige und falsche Worte, geht es in dem Film Die Geträumten.
Die dramatische, rauschhafte, aber auch unendlich traurige Liebesgeschichte zwischen
Bachmann und Celan beginnt 1948, als sie 22 und er 27 Jahre alt ist, und sie endet mit dem
Suizid Celans 1971 in Paris. Für Ingeborg Bachmann ist es die große Liebe ihres Lebens, und
doch hört sie nie auf, in ihm den Fremden zu sehen und ein bisschen wohl auch zu fürchten:
einen Juden aus Czernowitz, dessen Eltern im Holocaust umgekommen sind, während sie
selbst nichts dergleichen erlebt hat. Sie liebt ihn und stößt an Grenzen, an ihre eigenen und
an seine. Es geht nicht immer nett zu in diesen packenden Briefen. In einem Moment des
Zweifels fragt sie: „Sind wir nur die Geträumten?“
Zwei junge Schauspieler, Anja Plaschg und Laurence Rupp, treffen sich in einem Filmstudio,
um daraus zu lesen. Die dramatisch schwankenden Gefühle der Briefe – zwischen Rausch
und Verlustangst, Entzücken und Erschrecken, Nähe und Fremdheit – gehen auf die Schauspieler über. Aber sie amüsieren sich auch, streiten, rauchen, reden über Tattoos und Musik.
Ob die Liebe damals oder die Liebe heute, ob Inszenierung oder Dokumentation: Wo die
Ebenen verschwimmen, schlägt das Herz des Films.
Der ORF nannte den Film „ein eindrückliches Kammerspiel“, die Süddeutsche Zeitung lobte
bereits anlässlich der Berlinale-Uraufführung die „hervorragenden Schauspieler“ und „konzentrierte Bildsprache.“ Am Schönsten hat es jedoch Rainer Kienböck auf dem Blog Jugend
ohne Film formuliert: „Selten hat mich ein Film so bewegt wie diese Lesestunde, die mit einfachsten Mitteln maximale Wirkung erzielt. Mit Die Geträumten hat Beckermann brennende,
poetische Energie auf die Leinwand gebracht.“
•
Thomas Arzt
Totes
Gebirge
EDITION FILMMUSEUM 98
APICHATPONG WEERASETHAKUL
Regie Stephanie Mohr
Maria Köstlinger, Susa Meyer,
Stefan Gorski, Ulrich Reinthaller,
Roman Schmelzer, Peter Scholz
Mit
MYSTERIOUS
OBJECT AT NOON
»Fabelhafte Inszenierung.
Tolle Lieder.«
(Österreich)
»Stephanie Mohr inszeniert
das geheimnisvolle neue
Stück von Thomas Arzt
im Theater in der
Josefstadt mit hoher
Energie und einem
fein abgestimmten
Ensemble.«
Mit dieser Edition liegt zum ersten Mal die vom Filmmuseum und der
Film Foundation aufwändig restaurierte
Fassung von Apichatpong Weerasethakuls genreübergreifendem
Langfilmdebüt Mysterious Object at Noon (2000) auf DVD vor.
Zum Bonusmaterial gehören drei vom Regisseur persönlich ausgewählte
Kurzfilme – thirdworld (1997), Worldly Desires (2005) und Monsoon
(2011) – sowie exklusiv auf dieser DVD die 2009 erschienene und
inzwischen vergriffene Buchpublikation Apichatpong Weerasethakul
von Filmmuseum und Synema als PDF im ROM-Bereich.
(Die Presse)
UFF
URA
„… a film unlike any other …“ Elvis Mitchell, New York Times
ÜHR
UNG
Laufzeit: 85 Minuten (+63 Minuten Bonusmaterial), deutsche und englische Untertitel
All Regions, 16:9/4:3 PAL
DVD-Rom-Bereich mit 256-seitigem Buch als PDF (in englischer Sprache)
20-seitiges Booklet mit einem Text über Mysterious Object at Noon
von James Quandt (erstmals in deutscher Übersetzung)
sowie Informationen zur Restaurierung
PREIS: €19,90 - ERHÄLTLICH IM FILMMUSEUM,
STADTKINO IM KÜNSTLERHAUS, FILMHAUS KINO
AM SPITTELBERG UND AUF WWW.FILMMUSEUM.AT
ODER WWW.EDITION-FILMMUSEUM.COM
Trailer zu sehen auf
www.josefstadt.org
Karten und Info unter:
T +43 1 42700-300
INSERAT_Totes_Gebirge_fin.indd 1
01.02.16 11:31
AB 3. JUNI IM KINO