Beschwerdebearbeitung – Anforderungen der Aufsicht

wissenschaft aktuell
TEXT Dr. Stephan Korinek, Mag. Sophie Unger-Korab
Dr. Stephan Korinek,
Abteilungsleiter in
der FMA1
Mag. Sophie
Unger-Korab, FMA1
Beschwerdebearbeitung –
Anforderungen der Aufsicht
Die Bearbeitung von Kundenbeschwerden – von jeher eine Aufgabe der Versicherungsunternehmen – ist nun durch Leitlinien von EIOPA geregelt. Im Folgenden werden die neuen Anforderungen dargestellt, erste Praxiserfahrungen berichtet und Erwartungen der FMA offen gelegt.
Diese relativ kurzen und gut lesbaren
7 Leitlinien fordern Folgendes:5
1. Einleitung
Die Beschwerdebearbeitung durch
Versicherungsunternehmen stellt eine
Selbstverständlichkeit dar2 und wird
von der FMA als notwendiger Teil des
ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs
angesehen. Sie ist wichtiger Teil des
effektiven Versichertenschutzes. Deshalb ist es der FMA ein Anliegen, dass
die Beschwerdebearbeitung in Versicherungsunternehmen tatsächlich
funktioniert.
auch wertvolle Hinweise für mögliche
Compliance-Verstöße liefern.
Das grundlegende Ziel des Beschwerdemanagements ist, die Kundenzufriedenheit wiederherzustellen und Produkte sowie Services zu optimieren.3 Versicherungsunternehmen sollen aus der
Beschwerdebearbeitung auch Erkenntnisse für mögliche interne Verbesserungen gewinnen.4 Die Auswertungen aus
dem Beschwerdemanagement können
Bereits 2012 hat EIOPA Leitlinien zur
Beschwerdebearbeitung durch Versicherungsunternehmen herausgegeben (EIOPA-BoS-12/069 DE) und damit
verdeutlicht, was innerhalb des Versicherungsbinnenmarktes als ordnungsgemäße Beschwerdebearbeitung angesehen wird.
1
2
3
4
5
Somit erhält das Thema „Beschwerdemanagement“ sowohl im Sinne der
Kundenorientierung, aber vor allem
auch durch den aufsichtsrechtlichen
Druck erhebliche Brisanz.
2. Neue Anforderungen –
EIOPA Leitlinien
1. Beschwerdemanagement-Policy
erstellen und implementieren.
2. Beschwerdemanagementfunktion einrichten
3. Beschwerden registrieren
4. Aufsichtsbehörde über die erhaltenen Beschwerden und deren
Bearbeitung informieren
5. Interne Weiterverfolgung der Beschwerdebearbeitung (Analyse,
Grunduraschen, Korrektur)
6. Kundeninformation
7. Verfahren für Beantwortung von
Beschwerden
Der Beitrag basiert auf dem am 20.10.2015 in Wien gehaltenen Vortrag von Dr. Korinek und spiegelt die persönliche Meinung der Autoren wider.
Vgl Eltner, EIOPA: Leitlinien als Ausweg? VR 2013, H 5, 5 (6).
Wedekind, Beschwerdemanagement im Fokus – Regulierung bringt frischen Wind, Zeitschrift für Versicherungswesen 2015, 144. Zur Auswirkung
des Ziels Kundenzufriedenheit auf die Beschwerdebearbeitungsorganisation siehe Fleck/Herrig, Das „neue“ Beschwerdemanagement – ein Erfahrungsbericht aus der Praxis, Zeitschrift für Versicherungswesen 2015, 88 (90 f).
Vgl Wedekind, Zeitschrift für Versicherungswesen 2015, 146.
Im Detail wird auf die veröffentlichten Leitlinien verwiesen; aufrufbar zB über die websites von EIOPA und FMA.
www.versicherungsrundschau.at
versicherungsrundschau
ausgabe 11/15
19
wissenschaft aktuell
BESCHWERDEBEARBEITUNG – ANFORDERUNGEN DER AUFSICHT
… in Prozent
Die Leitlinien gehen also davon aus,
dass bei einem ordnungsgemäßen und
effektiven Beschwerdemanagement
2013
a) die Kunden über Beschwerdemöglichkeiten und die Vorgehensweise zu informieren sind,
b) die Beschwerden fair zu bearbeiten und Konsequenzen aus
ihnen zu ziehen sind und
2014
c) eine Informationspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde deren
Kontrolle erleichtert.
3. Die „Umsetzung“ dieser Leitlinien
in Österreich
Die FMA hat gemäß Art. 16 Abs 3
EIOPA-Verordnung Nr 1094/2010 (EU)
„alle erforderlichen Anstrengungen“ zu
unternehmen, um diesen Leitlinien
nachzukommen. Deshalb sieht die FMA
eine den Leitlinien entsprechende Beschwerdebearbeitung als notwendig für
einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb iSv § 275 Abs. 1 Z 3 VAG 2016
(bisher: § 104 Abs. 1 VAG) an, sodass
eine explizite Umsetzung nicht nötig
ist.6 Denn schon vor den EIOPA-Leitlinien hätte die FMA ein nicht funktionierendes Beschwerdewesen auf Basis des
§ 104 VAG beanstanden können, weil
die Beschwerdebearbeitung eine
Selbstverständlichkeit für Versicherungsunternehmen darstellt (siehe oben
1.) und so zu den allgemein anerkannten Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs gezählt werden
kann. Neu ist die Konkretisierung durch
die EIOPA-Leitlinien: Da den Versicherungsunternehmen in der konkreten
Ausgestaltung7 genügend Spielraum
gegeben ist, sodass uE auch die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Erwerbsausübungsfreiheit gewahrt wurde, sind die Leitlinien via Art. 16 Abs 3
EIOPA-Verordnung für die FMA und
damit indirekt auch für die Versicherungsunternehmen maßgeblich.
6
7
Grafik 1
Weder das VAG 1978 noch das VAG
2016 enthält eine spezielle gesetzliche
Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung an die Aufsichtsbehörde. Die ist
auch nicht notwendig, denn gemäß
§ 272 Abs. 1 VAG 2016 (bisher § 100
Abs. 1 VAG) kann die FMA von den Versicherungsunternehmen jederzeit Auskunft über Angelegenheiten der Geschäftsgebarung und die Vorlage entsprechender Unterlagen verlangen.
Diese Reporting-Verpflichtung der
Versicherungsunternehmen ist gem
§ 272 Abs 1 VAG 2016 (bisher § 100
Abs 1 VAG) durchsetz- und erzwingbar (erforderlichenfalls Bescheid).
4. Auswertung der Beschwerdeberichte für die Geschäftsjahre 2013
und 2014
Im Rahmen der Reporting-Verpflichtung
der Versicherungsunternehmen gemäß
gemäß § 272 Abs 1 VAG 2016 (bisher
§ 100 Abs 1 VAG) und im Sinne der
Umsetzung der EIOPA-Leitlinien zur
Beschwerdebearbeitung (EIOPA-BoS-
12/069 DE) fordert die FMA (entsprechend einer Übereinkunft“ mit dem
VVO), dass die Versicherungsunternehmen jährlich bis zum 31.1. über die
erhaltenen Beschwerden aus dem Vorjahr und deren Bearbeitung an die FMA
zu berichten haben. Die Meldung an die
FMA hat bisher gut funktioniert.
Die Auswertung der letzten Beschwerdeberichte aus 2013 und 2014 hat
ergeben, dass die Gesamtzahl der
Beschwerden jeweils bei rund 23.000
pro Jahr lag und dass etwa ein Drittel
der Beschwerden auf Kfz-Versicherungen entfiel (siehe Grafik 1).
Der relativ geringe Anteil der Krankenversicherungs-Beschwerden 2013 hat
damit zu tun, dass in diesem Jahr ein
maßgebliches Unternehmen die Krankenversicherung noch unter der Kategorie Sonstige meldete. Der Rückgang
der Kfz-Beschwerden ist auch damit zu
erklären, dass es 2013 massive Beschwerden über ein Versicherungsunternehmen hinsichtlich dessen ItalienGeschäfts gegeben hatte.
Kritisch zur Regulierung über Leitlinien und zur „Implementierung“ über § 104 VAG B. Raschauer, „Leitlinien“ europäischer Agenturen, ÖZW 2013,
34 ff. Die BaFin hat mit Sammelverfügung und Rundschreiben im September 2013 „umgesetzt“; vgl dazu Fleck/Herrig, Zeitschrift für Versicherungswesen 2015, 88 ff.
Siehe zur Beschwerdemanagement-Policy unten 7.
20
versicherungsrundschau
ausgabe 11/15
www.versicherungsrundschau.at
wissenschaft aktuell
TEXT Dr. Stephan Korinek, Mag. Sophie Unger-Korab
2013
2014
3%
7%
10%
29%
32%
55%
64%
Sonstiges
Beratung & Vertrieb
AVB & Schaden
Vertragsverwaltung
Grafik 2
Hauptursache der Beschwerden ist
jedenfalls die Unzufriedenheit mit der
Vertragsverwaltung (siehe Grafik 2).
Hervorzuheben ist, dass die Kundenzufriedenheit über die Beschwerdeerledigung von 64 % im Jahr 2013 auf 86 %
im Jahr 2014 gestiegen ist. Hier die Prozentsätze der Fälle, in denen das Versicherungsunternehmen den Kundenwunsch zur Gänze / zum Teil / gar nicht
erfüllt (siehe Grafik 3):
Ein derartiges Reporting, wie das oben
Geschilderte, ist für die FMA eine interessante Informationsquelle. Dabei soll
betont werden, dass keineswegs eine
„positive Erledigung“ (aus Perspektive
des Kunden) in einer überwiegenden
Anzahl oder gar zur Gänze als ideal
angesehen wird. Umgekehrt: Es widerspreche der Lebenserfahrung, alle Beschwerden als berechtigt anzusehen.
Wären tatsächlich alle Beschwerden
berechtigt, stellte sich die Frage, ob das
2013
2014
7%
15%
21%
64%
86%
negativ
mittel
Grafik 3
8
Versicherungsunternehmen Beschwerdeführer besser behandelt als sonstigen
Kunden. Wie auch immer: kombiniert mit
der Information über die Beschwerdeanzahl ist es eine für die FMA entscheidende Information und ermöglichte der FMA,
bspw. bei Auffälligkeiten Stichprobenüberprüfungen vorzunehmen.
positiv
7%
Die FMA sah sich auch veranlasst,
nochmals mit einzelnen Versicherungsunternehmen in Kontakt zu treten, weil
es offenbar ein zu differierendes Verständnis für den Begriff „Beschwerde“
gab und dadurch das Beschwerdeaufkommen je Versicherungsunternehmen
stark von einander abwich.
5. Drei Maßnahmen der FMA zur
Verbesserung der Aussagekraft der
Beschwerdeberichte:
(1) Um den Prozentsatz unter der Kategorie Sonstige zu verringern, sind ab
dem Berichtsjahr 2016 auch folgende Versicherungszweige separat
zu erfassen: Unfall, Reise, Haushalt8.
(2) Ab dem Berichtsjahr 2016 sind die
Beschwerden nach folgenden
Beschwerdegründen zu unterscheiden:
Art der Schadensbearbeitung/
Verzögerungen
Höhe der Versicherungsleistung
Deckungsfragen
Kündigung, Vertragsänderungen,
-verlängerungen
Beitragszahlungen, Mahnverfahren (inkl. Beitragsänderungen,
Prämienanpassungen)
Werbung/Beratung/Antragsaufnahme
Sonstiges
Sinnvollerweise Haushalts- und Eigenheim-Versicherungen.
www.versicherungsrundschau.at
versicherungsrundschau
ausgabe 11/15
21
wissenschaft aktuell
BESCHWERDEBEARBEITUNG – ANFORDERUNGEN DER AUFSICHT
(3) Um auch in Hinkunft einheitliche Ergebnisse beim Reporting über das
Beschwerdeaufkommen zu erhalten, kommunizierte die FMA deutlich
an die Versicherungsunternehmen,
was unter einer „Beschwerde“ zu
verstehen ist.
Ausgangspunkt ist die Definition in
Punkt 7 der EIOPA-Leitlinien: Punkt 7
der EIOPA-Leitlinien: „Jede von einer
Person gegenüber einem Versicherungsunternehmen geäußerte Unzufriedenheit im Hinblick auf den Versicherungsvertrag oder eine ihr gebotene
Dienstleistung“.
Es geht darum, dass der Kunde sein
Interesse angemessen wahrnehmen
kann und bspw nicht in einem Call-Center ständig „vertröstet“ wird oder – um
es bildlich auszudrücken – gegen eine
Wand läuft. Es geht also bei Beschwerden nicht um reine Schadensmeldungen, Ersuchen um Vertragserfüllung
oder bloße Rückfragen im Rahmen der
Schadenbearbeitung. Allerdings sind
auch geäußerte Unzufriedenheit über
die Schadenbearbeitung (bspw keine
ausreichende oder befriedigende Würdigung vorgelegter Kostenvoranschläge) oder Beschwerden über die Organisation als „Beschwerde“ im Sinne der
Leitlinien anzusehen.
Folgebeschwerden zu ein und demselben Sachverhalt sind grundsätzlich als
einheitliche Beschwerde zu behandeln.
Versicherungsunternehmen, im Rahmen der Beschwerdebearbeitung, Kunden ausreichend informieren, Beschwerden zügig bearbeiten und die
Konsequenzen daraus ziehen.
Auch hier galt es im Sinne des § 272
Abs 1 VAG 2016 (bisher § 100 Abs 1
VAG) durch die FMA zu hinterfragen, ob
Versicherungsunternehmen insbesondere die Leitlinie 6 der EIOPA-Leitlinien
zur Beschwerdebearbeitung (EIOPABoS-12/069 DE) richtig umsetzen. Versicherungsunternehmen haben gemäß
Leitlinie 6, den Beschwerdeführer nach
22
versicherungsrundschau
ausgabe 11/15
Um dem nachzukommen, ersuchte die
FMA auch hier erneut um ein entsprechendes Reporting durch die Versicherungsunternehmen und versendete
Fragebögen mit gezielten Fragen zur
Beschwerdebearbeitung.
Wird eine Eingangsbestätigung bei Einlagen von
Beschwerden versandt?
17,5%
22,5%
60,0%
ja
nein
teilweise
Grafik 4
Sind interne Fristen für die Bearbeitung vorgesehen?
Welche?
6. Kundeninformation zur
Beschwerdemöglichkeit durch VU
Selbstverständlich hat die FMA im Sinne ihrer Aufsichtsfunktion aber nicht nur
die Höhe des Beschwerdeaufkommens
bei den einzelnen Versicherungsunternehmen überprüft. Im Rahmen der
EIOPA-Leitlinien zur Beschwerdebearbeitung (EIOPA-BoS-12/069 DE) wurden weitere Anforderungen an die FMA
gestellt. Insbesondere sollte die FMA
sicherstellen, dass Versicherungsunternehmen eine Beschwerdemanagement-Policy erstellen und eine Beschwerdemanagementfunktion dementsprechend einrichten. Aufgabe der
FMA ist es ua, zu gewährleisten, dass
Eingang der Beschwerde über ihr Verfahren zur Beschwerdebearbeitung aufzuklären, diese Informationen auf leicht
zugängliche Weise zu veröffentlichen
(z.B. auf ihrer Website) und aktuell zu
halten, sowie den Beschwerdeführer
über die Weiterbearbeitung der Beschwerde umfassend zu informieren.
12,5%
ja
nein
87,5%
Grafik 5
www.versicherungsrundschau.at
wissenschaft aktuell
TEXT Dr. Stephan Korinek, Mag. Sophie Unger-Korab
Werden diese Fristen dem Beschwerdeführer mitgeteilt?
50,0%
50,0%
45,0%
40,0%
35,0%
30,0%
25,0%
20,0%
15,0%
10,0%
5,0%
0,0%
37,5%
7,5%
ja
nein
teilweise
5,0%
nur auf
Nachfrage
Grafik 6
Anhand der Grafiken ist erkennbar, dass
den Anforderungen der Leitlinie 6 durch
die Versicherungsunternehmen im Großen und Ganzen entsprochen wird.
Dennoch sah die FMA teilweise Optimierungsbedarf und kommunizierte
daher an sämtliche Versicherungsunternehmen, wie eine Beschwerdebearbeitung und Kommunikation mit dem
Beschwerdeführer in Hinkunft zu sein
hat.
Insbesondere haben Versicherungsunternehmen dem Beschwerdeführer eine
(automatische) Eingangbestätigung
mit Informationen zur Bearbeitungsdauer und Weiterbearbeitung zu
übermitteln. Diese und nähere Informationen zur Beschwerdebearbeitung sind
gemäß Leitlinie 6 lit b auf leicht zugängliche Weise zu veröffentlichen. Sofern
dies über eine Website passiert, ist ein
entsprechender – leicht auffindbarer –
Link/Button auf der ersten, zumindest aber auf der zweiten Ebene der
Website des Versicherungsunternehmens einzurichten.
Diese Informationen zur Beschwerdebearbeitung sind nicht nur gemäß Leitlinie 6 lit b auf leicht zugängliche Weise
zu veröffentlichen, sondern auch gemäß Leitlinie 6 lit c aktuell zu halten
und in klarer, eindeutig verständlicher
Sprache zu veröffentlichen sind. Diese
Informationen haben auch folgenden
Mindestinhalt aufzuweisen:
Identität und Kontaktdaten der
zuständigen Abteilung im Versicherungsunternehmen
Angaben wann eine Beschwerde
anerkannt wird
Ungefähren Bearbeitungszeitraum
und
Angaben zu zuständigen Behörden, Ombudsstellen oder Möglichkeiten eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens
Hervorzuheben ist, dass sämtliche Versicherungsunternehmen mittlerweile
ihre Websites entsprechend diesen
Erfordernissen adaptiert haben.
7. Beschwerdemanagement-Policy
Basis der Beschwerdebearbeitung
nach den hier skizzierten Vorgaben soll
die vom Vorstand zu beschließende9
Beschwerdemanagement-Policy sein
(vgl Leitlinie 1). Die konkrete Ausgestaltung der effektiven Beschwerdebearbeitung obliegt den Versicherungsunternehmen. Selbstverständlich sind
Versicherungsunternehmen bei der
Ausgestaltung der Policy an geltendes
Recht gebunden. Es bleibt den Versicherungsunternehmen aber unbenommen, weitere den Kunden bzw. Beschwerdeführer begünstigende, über
gesetzliche Mindestanforderungen hinausgehende Maßstäbe bei der Beschwerdebearbeitung zu Grunde zu
legen.10 Dabei sollte das Versicherungsunternehmen auch bedenken,
dass es mit dieser Policy sich gewissermaßen selbst nicht nur seinen Handlungs- sondern auch seinen Überprüfungsmaßstab setzt: auf diese Policy
beziehen sich sowohl die interne Überprüfung (der interne Revision, ordnungsgemäße Handhabung bei der
jeweiligen Schlüsselfunktionen) als auch
die externe Kontrolle durch die FMA.11
Entscheidend ist, dass die Policy implementiert ist; ihre Erstellung allein ist
selbstredend unzureichend. Wesentlich
ist daher auch, dass die Policy allen
betroffenen Mitarbeiter über geeignete
interne Wege zugänglich gemacht ist
(wie dies Leitlinie 1 ausdrücklich vorsieht).
9
Leitlinie 1 spricht von „Führungsebene des Versicherungsunternehmens“; § 107 Abs 3 VAG 2016 verlangt hinsichtlich (unternehmensinterner) Leitlinien (sog Policies) die schriftliche Genehmigung durch den Vorstand.
10 Fleck/Herrig, Zeitschrift für Versicherungswesen 2015, 90.
11 Vgl Korinek, Der Weg zu Solvency II – Governance, Schlüsselfunktionen, VR 2015 H 1-2, 37 (40).
www.versicherungsrundschau.at
versicherungsrundschau
ausgabe 11/15
23
wissenschaft aktuell
BESCHWERDEBEARBEITUNG – ANFORDERUNGEN DER AUFSICHT
8. Resümee
Aufgrund des unmittelbar anwendbaren
Art. 16 Abs. 3 EIOPA-Verordnung hat
die FMA bei der Gesetzesauslegung
den Leitlinien möglichst nachzukommen. Dieser Verpflichtung entspricht die
FMA durch ihre Auslegung, dass die
Beschwerdebearbeitung durch Versicherungsunternehmen entsprechend
den EIOPA-Leitlinien zum ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb (§ 275 Abs 1
Z 3 VAG 2016) gehört.
Versicherungsunternehmen haben ihr
Beschwerdemanagement entsprechend
ihrer Beschwerdemanagement-Policy
zu implementieren. Bei Erstellung dieser
Policy sollten die Versicherungsunternehmen bedenken, dass die Beschwerdemanagement-Policy den internen und
externen Prüfungsmaßstab darstellt.
Die Informationen über das Beschwerdemanagementverfahren sind auf leicht
auffindbare Weise zu veröffentlichen,
diese Informationen sind aktuell und
verständlich halten. Die Beschwerdeführer sind mittels einer (automatischen)
24
versicherungsrundschau
ausgabe 11/15
Eingangsbestätigung über die Bearbeitungsdauer und Weiterbearbeitung zu
informieren.
Die Beschwerdebehandlung muss
nachvollziehbar sein, insbesondere ist
auf Beschwerden adäquat auch intern
zu reagieren (bspw. sollen Fehlerquellen
behoben und durch unternehmensinterne Maßnahmen die Beschwerdewahrscheinlichkeit verringert werden),
und es sind aussagekräftige Beschwerdeberichte an die FMA zu verfassen.
Die FMA sieht ihre Aufgabe im Bereich
Beschwerdewesen va darin, auf das
Funktionieren der versicherungsinternen Beschwerdemechanismen zu achten; sie kann daher bspw. bei Auffälligkeiten reagieren oder Stichprobenkontrollen iZm Beschwerdebearbeitung von
Versicherungsunternehmen vorneh-
men. Auch können weitere Schwerpunktaktionen, wie zuletzt über die
Kundeninformation (Leitlinie 6), folgen.
Eine faire Beschwerdebearbeitung ist
wesentlich für einen angemessenen
Versichertenschutz; nicht gefordert ist
aber, dass alle Beschwerden aus Sicht
der Kunden positiv bearbeitet werden –
ein solches Verhalten könnte sogar den
Verdacht aufkommen lassen, „erst auf
Zuruf“ ordnungsgemäß vorzugehen oder
Beschwerdeführer systematisch besser
zu behandeln als Nicht-Beschwerdeführer, was den anerkannten Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs (§ 275 Abs 1 Z 3 VAG 2016)
widerspräche.
www.versicherungsrundschau.at