Schiffbau wie damals – Nietarbeiten auf MS BLEICHEN

Schiffbau wie damals – Nietarbeiten auf MS BLEICHEN
Der historische Stückgutfrachter MS BLEICHEN durchläuft gegenwärtig auf der zur Lürssen
Gruppe gehörenden Hamburger Norderwerft Repair GmbH eine Grundrestaurierung, bei der
auch eine Anzahl von genieteten Außenhautplatten im Achterschiff erneuert werden mussten. Hinter den Wandverkleidungen der Mannschaftskabinen waren Teile der Außenhaut im
Lauf der Jahrzehnte unbemerkt von innen her dünn gerostet. Dies alles ist bei einem fast 60
Jahre alten Frachtschiff nichts Ungewöhnliches und wäre keine Meldung wert - dass heutzutage aber rund 20 Meter wasserdichte Nietnähte in aufwändiger Handarbeit wieder hergestellt werden, ist außergewöhnlich.
Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Die BLEICHEN ist ein eingetragenes Denkmal, und
die im Sichtbereich liegenden Nietnähte sind optisch sehr dominant, ihr Fehlen würde das
Erscheinungsbild deutlich beeinträchtigen. Und so werden die fehlenden Nietnähte nun formmaterial- und handwerksgerecht so erneuert, wie es von einer denkmalgerechten Restaurierung erwartet wird. Möglich geworden ist dieser Aufwand durch eine Bundes-Zuwendung aus
dem BKM-Haushalt (der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien).
Als die BLEICHEN 1958 auf der Nobiskrug-Werft in Rendsburg erbaut wurde, befand sich
der Schiffbau in einem tief greifenden Wandlungsprozess. Das Elektroschweißen war auf
dem Vormarsch, aber es gab in der konservativen Reederschaft noch viele Vorbehalte dagegen, und so hat man bestimmte Teile an den Neubauten immer noch genietet, so wie seit
Altväter-Zeiten. Bei der BLEICHEN waren es die Längsnähte der gesamten Außenhaut, und
auch jeder dritte Spant wurde noch mit der Außenhaut vernietet, alles andere wurde geschweißt. Man versprach sich davon eine größere Elastizität des Schiffskörpers in den starken Beanspruchungen durch Seegangs-bedingte Verformungen. Bei BLEICHEN kam hinzu,
dass sie ein verkappter Eisbrecher war, der sich seinen Weg durch die zugefrorene finnische
Bottensee bahnen musste, um rollenweise Zeitungspapier von den dort liegenden Papierfabriken abzuholen, ihre Hauptbeschäftigung. Die bei der Eisfahrt auf den Schiffskörper einwirkenden Kräfte waren enorm, daher die starke Bauweise.
Eine zeittypische Besonderheit bei Nietverbindungen der jüngeren Vergangenheit sind die
auffälligen Überlappungen der Längsnähte, wobei der Saum der außen liegenden Platte eine
nahtparallele Verformung erhielt, die vorher an einer mächtigen Schiffbaupresse hergestellt
wurde. Diese auffällige Verformung nannte man „Joggelung“, den Herstellungs-Vorgang
„joggeln“, ein alter, aus dem englischen abgeleiteter Fachbegriff. Bei der BLEICHEN mit ihrer
starken Außenhaut (12-15 mm) sticht eine solche gejoggelte Naht sehr ins Auge, zumal die
Nietreihen hier doppelt angeordnet sind. Pro laufenden Meter werden 22 Niete gebraucht,
bei rund 20 Meter Gesamtlänge plus Spantvernietungen kommt man auf knapp 500 Niete
(das Niet, die Niete – Nieten sind das, was man auf der Jahrmarkt-Tombola zieht…). Der
Durchmesser eines Niets berechnet sich aus der Gesamtdicke der beiden zu verbindenden
Platten, hier 22 Millimeter.
Woher bekommt man heute noch Niete 22 x 40 mm, und dann in dieser Anzahl? Wenn Sie
heute „Niete“ googeln, finden Sie tausendfache Einträge, aber dabei landet man bei Nieten
für Gürtel, Lederklamotten oder Piercings, ernst zu nehmende Schiffbauniete sind völlig aus
dem Markt. Nach vielem Herumfragen auf alten Werften gelang es der Stiftung schließlich, in
Südnorwegen noch einen Restbestand solcher Niete aufzutreiben, die jetzt gerade one-byone im Schiffskörper der BLEICHEN verschwinden.
Pressekontakt: Stiftung Hamburg Maritim, Ursula Wöst, Australiastraße Schuppen 52 A, 20457 Hamburg,
Tel: 040 – 75 11 469 10, mailto: [email protected].
Schaut man heute beim Nieten zu, dann verwundert nicht nur, wie elend laut so ein Presslufthammer ist, sondern auch wie flott das geht. Ist der hellrot glühende Nietschaft erstmal
von innen durch das Loch geschoben, dauert es kaum mehr als eine Minute, bis das Niet
gestaucht und nur noch eine flache Wölbung zu sehen ist (der „Schließkopf“). Aber die Nietkolonne besteht nicht nur aus dem Nieter draußen, im Schiffsinneren sind noch weitere drei
Mann am Arbeiten. Einer kümmert sich an der Esse um das Vorwärmen der Niete (der „Nietenkocher“), früher wurde die Esse mit Schmiedekohle betrieben, heute benutzt man einen
Gasofen. Ein zweiter Mann hat die Aufgabe, mit einer speziellen Schmiedezange das glühende Niet aus dem Ofen zu nehmen und es auf dem schnellsten Weg in das vorbestimmte
Nietloch zu stecken. Sofort darauf setzt der „Gegenhalter“ seinen „Dolly“, ein 20-kgGegengewicht, auf den Nietkopf, und schon beginnt von außen das Hämmern des PressluftNiethammers. Die Verständigung durch die geschlossene Bordwand funktioniert nur mit
Klopfzeichen, die man auch mit Gehörschutz („Micky-Mäusen“) wahrnimmt, die hier jeder
trägt.
Vormann der Nieter-Truppe ist Jonny Lührs (64), von Haus aus Maschinenbau-Ingenieur und
auf die technische Instandsetzung historischer Maschinen und Dieselmotoren spezialisiert.
Er hat schon bei der Restaurierung der denkmalgeschützten Süderelbbrücke mitgewirkt und
dort viele tausend Niete geschlagen. Der Rest der Truppe ist ehrenamtlich aktiv im Umkreis
des Hafenmuseums. Auch ein Teil der Nietgerätschaften stammt von dorther – großer Dank
ans Hafenmuseum!
Joachim Kaiser
7.1.2016
Fotos vom Nieten auf der BLEICHEN unter http://www.stiftung-hamburgmaritim.de/downloads/index.php?kat_id=24
Pressekontakt: Stiftung Hamburg Maritim, Ursula Wöst, Australiastraße Schuppen 52 A, 20457 Hamburg,
Tel: 040 – 75 11 469 10, mailto: [email protected].