Wenn man auf zweistellige Millionen-Investments aus ist, wird - i-net

Stefan Zanetti
«Wenn man auf zweistellige Millionen-Investments
aus ist, wird es in Europa immer sehr eng bleiben»
Mit der preisgekrönten Erlenapp hat das Unternehmen qipp sich national und international
einen Namen gemacht. Der Erfolg kam für das Internet of Things-Startup mit seiner
«Allthings»-Plattform kam allerdings in einem anderen Markt als zunächst gedacht. Im
Interview erzählt Stefan Zanetti, Gründer und CEO von qipp, welche Hürden das Basler
Startup nehmen musste und wagt einen Blick in die Zukunft von qipp.
qipp konnte in den vergangen Monaten eine Menge Startup-Preise einheimsen. Bringt
das auch geschäftlich etwas, oder tun die Auszeichnungen einfach nur dem Ego gut?
Stefan Zanetti: Wir hätten natürlich nicht an den Wettbewerben mitgemacht, wenn wir
nicht überzeugt gewesen wären, dass diese uns weiterbringen. Es gibt dazu zwei
Überlegungen. Erstens ist unsere Geschäftsidee ziemlich abstrakt. Um Erfolg zu haben,
müssen wir diese in eine gute Story verpacken. Wettbewerbe zwingen einen dazu, die
eigene Geschichte auf den Punkt zu bringen. Zweitens schaffen Preise nebst Publicity vor
allem auch Vertrauen. Es ist wie eine Drittmeinung, die attestiert, dass wir mit einer
vielversprechenden Geschäftsidee unterwegs sind. Besonders bei Investoren haben uns die
Auszeichnungen Türen geöffnet.
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Dabei ist die Idee von qipp über die Zeit auch gereift. Was hat sich geändert?
Ich würde das anders formulieren. Die Grundidee ist immer noch die gleiche: Wir wollen
mit unserer «Allthings»-Plattform die physische Welt mit digitalen Diensten ausrüsten. Was
sich stark verändert hat ist der Marktfokus. Wir dachten zuerst, dass qipp vor allem für
Hersteller hochwertiger Güter interessant sein könnte. So erlaubt es unsere Technologie,
Produkte wie Uhren, Fahrräder oder Küchengeräte mit digitalen Services auszustatten, so
dass die Anbieter ihre Produkte direkt mit Mehrwertdienstleistungen ausliefern können.
Diese Idee ist weiterhin zielführend und wurde von Herstellern auch gut aufgenommen. Nur
leider bewegt sich dieser Markt zu langsam und die Verkaufszyklen sind viel zu lange für ein
Startup wie wir, das sehr schnell konkrete Ergebnisse vorweisen muss.
Man hatte also zwar das richtige Produkt, war aber zu früh am Markt?
Ja, die zuerst anvisierten Hersteller waren schlicht nicht reif für unsere Story. Aber zum
Glück bekam eine andere Branche Wind von unserem Produkt: Die Immobilienbranche.
Dabei war es vor allem die Initiative eines Partners, nämlich des Totalunternehmers
Losinger Marazzi, welcher für die Erlenmatt-Siedlung neue Wege gehen wollte. Und so
entwickelten wir auf «Allthings» die Erlenapp. Jeder, der in der Erlenmatt eine Wohnung
bezieht, erhält Zugang zu dieser App. Darin sind alle Services zur Wohnung und Siedlung
enthalten: Von der Dokumentation der Wohnung, über ein lokales soziales Netzwerk zum
Austausch unter Nutzern, von Schadenmeldemasken bis zur Energiedaten-Visualisierung.
Bisher haben 92 Prozent der Wohnungen die App geladen und benutzen sie im Schnitt
jeden zweiten Tag. Das ist natürlich ein grossartiger Wert.
Das ist also jetzt der Durchbruch?
Seit wir die Erlenapp lanciert haben, können wir uns tatsächlich vor lauter Anfragen kaum
mehr wehren. Diese kommen einerseits aus dem Immobiliensektor, andererseits aber auch
aus anderen Branchen.
Wie gehen Sie mit dem Ansturm um?
Im Moment arbeiten wir auf zwei Ebenen. Neben dem weiteren Rollout von ImmobilienApps arbeiten wir mit Hochdruck an der Veröffentlichung der API, welche die «Allthings»Plattform dann für Drittanbieter auch ausserhalb der Immobilienbranche öffnet.
Funktioniert dieser Spagat auf Dauer? Wird man sich nicht irgendwann entscheiden
müssen: «World Leading Immo-App» oder horizontale Plattform für Internet of ThingsAnwendungen?
Das ist eine berechtigte Frage. Tatsächlich ist der Immobilienmarkt riesig. Dabei geht es ja
nicht nur um den Wohnungsmarkt, sehr attraktiv ist natürlich auch der Office-Bereich, nicht
zuletzt aufgrund neuer Arbeitsformen wie Shared Desk oder Co-Working, die mehr und
mehr Einzug halten. Es gibt im Immobilienbereich ein riesiges Potenzial für
Mikroapplikationen, die dann von Drittparteien über unsere Plattform angeboten werden
können. Dabei zeigt sich, wie entscheidend der lokale Graph ist. Sei es, dass man
überzählige Nahrungsmittel im Kühlschrank loswerden will, bevor man in die Ferien geht,
oder dass die Quartierbeiz zum Grillspass einlädt.
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qipp positioniert sich also so gesehen als Verkaufs- und Servicekanal?
Ich könnte mir gut vorstellen, dass vergleichbare Apps wie die Erlenapp künftig von
Städten, Gemeinden oder Quartieren als Grundinfrastruktur angeboten wird. Gleichzeitig
muss man aber auch aufpassen, sich nicht zu sehr in die Breite treiben zu lassen. Denn
möglich ist vieles, aber nicht alles ist wirklich sinnvoll. Deshalb wird es wichtig sein, den
skalierbaren Kern in den kommenden Monaten zusammen mit unseren Partnern noch
genauer herauszuschälen.
Sie waren verschiedentlich im Silicon Valley. Wird qipp irgendwann ins ICT-Mekka
übersiedeln müssen? Oder anders gefragt: Können Sie ihre Ambitionen auch in Basel
ausleben?
Sofern der Erfolg anhält, wird der Tag kommen, an dem wir ins Silicon Valley müssen. Aber
wir können und wollen diesen Schritt nicht sofort machen. Es ist uns auch bewusst, dass es
Hotspots wie London oder Berlin gibt, wo derzeit die Post abgeht und ein europäisches
Startup-Ökosystem entstanden ist. Aber von diesem kann man auch profitieren, wenn man
ab und zu dahin reist und sich aktiv vernetzt. Man braucht nicht unbedingt den Hauptsitz
dort zu haben. Ein ICT-Off-Standort wie Basel hat umgekehrt auch Vorteile. Wenn man zum
Beispiel sieht, wie sich in London und Berlin die Firmen gegenseitig Entwickler-Talente
abjagen, dann möchte man da nicht unbedingt mitmischen müssen. Ich kann hier auf
Mitarbeitende zählen, die vor allem von der qipp-Idee überzeugt sind und es spannend
finden, diese weiterzuentwickeln. Es gibt auch Top-Entwickler, die nicht zwingend am
hipsten Ort der Welt leben wollen.
Ist das nicht etwas zu defensiv gedacht?
Wenn man auf grosse ICT-Investments in zweistelliger Millionenhöhe aus ist, dann wird es
in Europa immer sehr eng bleiben und man wird sein Glück auch im Silicon Valley suchen.
Nur wartet dort niemand auf ein Unternehmen aus Europa und umgekehrt investiert kein
US-Venture-Capitalist massgeblich ausserhalb der USA. Der Aufbau eines Startups in
Europa unterscheidet sich fundamental vom Aufbau eines Startups in den USA. Nehmen
Sie Nextdoor. Dieses Startup macht in den USA etwas Ähnliches wie wir, aber die
Vorgehensweise ist ganz anders. Es geht zunächst darum, Gebiete zu erobern.
Geschäftsmodell und Umsatz spielen keine Rolle. Denn sobald man die Massen auf der
Plattform hat, entwickeln sich diese dann von alleine. In Europa kann man nicht so
vorgehen. Man muss von Anfang an Geld verdienen. Das funktioniert aber nur, wenn man
seinen Markt kennt, und den kennt man nun mal dort am besten, wo man auch zu Hause
ist.
Sie können also qipp selber finanzieren?
Ich habe bereits zwei Firmen aufgebaut, die komplett organisch finanziert waren. Auch
qipp ist bis heute selbstfinanziert und liesse sich auch organisch weiter entwickeln. Die
Frage aber, ob wir dann nicht riskieren, ein grosses Potenzial zu verpassen. Aus diesem
Grund werden wir im Herbst unsere erste externe Finanzierungsrunde machen.
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Wie hoch ist denn der Kapitalbedarf?
Wir werden eine erste Runde unter Business Angels, Freunden und Mitarbeitern
durchführen und uns erst dann öffnen. Und wir brauchen zusätzliche Mitarbeiter, um die
derzeit stark wachsende Nachfrage zu bedienen. Damit können wir dann aber schon bald
neue Umsätze generieren, die wir für den Ausbau unserer Plattform einsetzten wollen, um
Drittanbieter einbinden zu können.
Video zur Funktionsweise von qipps Erlenapp
Stefan Zanetti ist Gründer und CEO von qipp, dem dritten Unternehmen, das er nach
synesix (2005) und careware (2006) gegründet hat. Bei qipp konzentriert sich Zanetti aufs
Business Development und das Key Account Management. Alle von ihm gegründeten
Firmen sind profitabel und kommen gänzlich ohne externe Finanzierung aus. Sie
erwirtschaften Umsätze von 2 bis 6 Millionen Franken pro Jahr und beschäftigen zwischen 8
und 20 Personen.
www.qipp.ch
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