Albana Kelmendi Sternschnuppenzauber

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Albana Kelmendi
Sternschnuppenzauber
Roman
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© 2015 Albana Kelmendi
Umschlag, Illustration: Albana Kelmendi, Aurora Kelmendi
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback
Hardcover
e-Book
978-3-7323-7448-9
978-3-7323-6803-7
978-3-7323-6804-4
Printed in Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors
unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige
Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche
Zugänglichmachung.
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Die Autorin
Albana
Kelmendi
wurde
1995
in
Oberhausen geboren. Ihre Eltern stammen
ursprünglich aus dem Kosovo. Aktuell lebt
und studiert Albana in Bochum. Bereits in
sehr jungen Jahren hat sie das kreative
Schreiben für sich entdeckt und daran
festgehalten. Außerdem beschäftigte sich
stets ein großer Teil ihrer Kindheit und Jugend mit Büchern und dem Lesen.
Dabei hat es ihr das Fantasy-Genre besonders angetan.
Sternschnuppenzauber ist ihr Debütroman.
[email protected]
www.albana-kelmendi.jimdo.com
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Für meine Eltern Drita & Dukagjin Kelmendi
Meine Liebe zu euch füllt alle Dimensionen dieses Universums und
ragt über die Unendlichkeit hinaus.
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Eins
Als ich klein war, habe ich gedacht, die Welt bestünde bloß aus zwei Orten.
Der Ort, in dem ich lebte und der für den Rest der Welt. Und überall gab es
Eis und Zuckerwatte. Ich dachte, ich könne diesen anderen Ort mal besuchen,
wenn ich alt genug dafür war und hätte damit die ganze Welt gesehen und alle
Menschen kennengelernt, die es gab. Doch irgendwie sterben Illusionen mit
zunehmendem Alter und die Fantasie, die ich damals für diese Welt aus zwei
Orten voller Eis und Zuckerwatte aufbringen konnte, hatte sich alsbald in
Schwachsinn gewandelt.
Heute bin ich das letzte Mal Kind – zum Glück versteht sich. Fest
entschlossen und mit schnell schlagendem Herzen denke ich an mein neues,
erwachsenes Leben, das schon bald beginnt. Mein neues Ich, das auf mich
wartet.
Morgen bin ich endlich achtzehn. Und mein letzter, lächerlicher Kind-Tag
hat doch tatsächlich etwas Magisches an sich. Ich trage ihn wie ein zuckersüßes
Verbot auf der Zunge und starre im Sekundentakt auf die Uhr. Womöglich
schiebe ich meine heutigen Taten das letzte Mal auf meinen wahnsinnig
ausgeprägten jugendlichen Leichtsinn. Diese Ausrede werde ich ziemlich
vermissen!
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9!
Okay, Rida, noch acht Stunden bis Mitternacht, aber nur noch drei Stunden
bis zu unserer abgefahrenen, super, sensationellen Geburtstagsparty. Das
Adrenalin schwirrt in großen Mengen rasant durch meinen viel zu kleinen
Körper.
Fast, aber wirklich nur fast, und in einem merkwürdigen Moment der
Schwäche, glaube ich, dass mein kindlicher Gedanke wieder zum Greifen nah
ist.
Zwei Orte.
In acht Stunden werde ich endlich vom Ort der Kindheit in den des
richtigen Lebens katapultiert. Meine Güte, allein diese Tatsache ist eine
fantastische Party wert.
Ich werde achtzehn, ich werde Auto fahren, in jeden Kinofilm dürfen, in
alle Clubs kommen, studieren, vielleicht sogar ausziehen.
Es gibt nur eine Sache, die ich vehement ignoriere. Eine Aufgabe, die mir
und allen anderen Achtzehnjährigen bevorsteht.
„Ich darf meinen Wunsch einlösen.“, spreche ich zu meinem Spiegelbild
und rolle genervt mit den Augen. Ach, wen interessiert das schon? Okay,
zugegeben, ganz vielleicht ist die Wunscheinlösung, die mich zwangsweise
erwartet, wirklich die größte meiner Aufgaben mit achtzehn, aber ich weigere
mich daran zu denken.
Ohne diese Tatsache stelle ich mir mein Leben mit achtzehn nämlich
wahnsinnig und unbeschreiblich toll vor – wie eben Unmengen an Eis und
Zuckerwatte.
Obwohl der Wunsch, der mir offen steht und von einem der Wunschboten
unserer Stadt erfüllt wird, gar keine so schlechte Sache ist. Das weiß ich
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eigentlich. Schließlich wird wahrhaftig einer meiner Wünsche in Erfüllung
gehen – so seltsam das auch klingen mag.
Ist das nicht ein mega Willkommensgeschenk in die Erwachsenenwelt?
Naja, wie dem auch sei. Das interessiert mich nun wirklich nicht. Ich muss
mich wichtigeren Dingen zuwenden. Meiner Kleiderwahl zum Beispiel. Rotes
oder blaues Kleid?
Beide – verdammt kurze – Kleider liegen auf dem Bett vor mir und weil
ich mich nicht entscheiden kann, greife ich prompt nach meinem Smartphone.
Das Ding ist mein zweites Ich und erledigt alles, was ich nicht kann. Also nicht
ganz so viel, aber einiges.
Ich lese kurz ein paar Sätze auf verschiedenen Internetseiten und
entscheide mich dann schnell für Lebensfreude, Vitalität und Energie. Blau ist
mir definitiv zu ruhig und ich bin absolut und unumstritten der festen
Überzeugung, dass mein achtzehnter Geburtstag – oder irgendein anderer
achtzehnter Geburtstag – kein ruhiger Anlass sein braucht. Alles klar, Rida, wir
rocken das heute.
Ich halte mir das rote Stück Stoff, denn mehr als das ist es wirklich nicht,
an den Körper und betrachte mich im Spiegel. Meine langen, dunkelbraunen
Haare reichen mir mittlerweile fast bis zum Hintern. Ich werde sie offen
tragen, denn die Leute mögen es, wenn ich das tue.
Doch der Blick in den Spiegel verrät mir heute nicht nur etwas über die
Länge meiner Haare. Nein, heute sehe ich so viel mehr darin. Ich sehe mich
anders. Ich sehe fast schon durch mich hindurch. Irgendwas ist ungleich und
diese Tatsache macht mir Angst.
Doch ich weiß mich schnell abzulenken. Ich frage mich, wie Lisaj aussehen
wird. Meine beste Freundin, die mich seit der ersten Klasse Tag für Tag
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begleitet. Ich frage mich, ob ihr in ihren 15-Zentimeter Hacken erneut alle
Herren der Schöpfung hinterher rennen werden. Sie tun es immer, denn der
Engel mit den blonden Locken kann jeden um den Finger wickeln. Ja, sogar
mich.
Lisaj ist die Schwester, die ich nie hatte. Die Zwillingsschwester genau
genommen, denn – wie der Zufall es will – haben wir am selben Tag
Geburtstag.
Klar, dass wir da die wichtigste Party unseres Daseins gemeinsam feiern.
Das ist ja wie ein unausgesprochenes Selbstverständnis – für uns und unsere
Freunde. Sie erwarten eine riesige, hammermäßige Party und genau die würden
wir ihnen definitiv geben. Zweihundertvierunddreißig geladene Gäste,
gemietete Räumlichkeiten eines alten Fabrikgebäudes zwei Straßen weiter und
nur noch zwei Stunden und fünfundfünfzig Minuten.
Und ich weiß, dass diese Party anders enden wird, als wir es erwarten.
Ich weiß nur noch nicht wie.
Lisaj und Papa warten draußen am Auto auf mich, sodass wir gemeinsam
die letzten Getränkekisten rüber fahren können. Außerdem fehlt es unserem
Partyraum noch an Dekoration.
Die Gesichtsausdrücke der beiden Personen, die da auf mich warten, sind
ein purer Gegensatz an sich. Während meine Freundin freudig lächelt, sieht
Papa entnervt in meine Richtung. Er hasst es, dass wir diese Party feiern. Vor
ein paar Wochen habe ich mühsam einen Haufen Überzeugung ausgraben
müssen, um meinen Eltern – primär Papa – erklären zu müssen, wie wichtig
diese Party für mich ist. Und verdammt, sie ist mir wirklich wichtig.
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Als ich die wenigen Treppen unserer Veranda nach unten nehme und zu
ihnen renne, fällt mir Lisaj um den Hals.
„Na, alles klar? Aufgeregt?“, sagt sie in ihrer lieblichen Klangfarbe.
„Ach, geht.“, lüge ich lächelnd und entwinde mich schnell ihrer
Umarmung, bevor sie meine Lüge entlarven kann.
Irgendwas in der Luft zwischen und um uns kribbelt eigentümlich, doch
ich gebe mir keine Mühe herauszufinden, was das ist.
Die gesamte Autofahrt über schweigen wir. Ich würde zwar liebend gern
mit Lisaj über die bevorstehende Party sprechen, aber ich halte Papa
weitestgehend davon ab mit uns in ein solches Gespräch zu steigen.
Die Liebe zu meinen Eltern ist unendlich. Sie passt in keine Beschreibung
dieser Welt, aber doch ist es oft genug so, dass ich mich wie eine richtig miese
Tochter fühle. Sie hätten was Besseres verdient, eine bessere Kopie meiner
Selbst, die zu ihnen passt, aber in all meiner Komplexität erkenne ich nicht,
wie ich etwas an mir ändern kann.
Ich lüge sie sogar an. Sie haben zum Beispiel keine Ahnung, wie viel
Alkohol in dem Fabrikgebäude tatsächlich versteckt ist. Doch Alkohol bleibt
auf ewig ein Streitpunkt und geht zu einhundert Prozent auch die tollsten
Eltern dieser Welt nichts an.
Ich fühle mich also auch in diesem Moment, neben ihm im Auto, wie die
richtig miese Tochter, die ich nun mal zu sein scheine, aber Mama und Papa
würden die Wichtigkeit der Menge niemals verstehen. Demnach bin ich
praktisch mehr als gezwungen sie anzulügen und darf nicht daran denken. Jetzt
ist die Party wichtig. Ich bin in diesem Moment wichtig, oder nicht? Die Party,
ich und die Tatsache, dass am Tag danach jeder darüber reden wird. Perfekt.
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Ups, offensichtlich bin ich nicht nur eine richtig miese Tochter, sondern
auch ein absolut fragwürdiger Mensch. Halleluja, was ist denn heute los in
meinem Kopf?
Nach wenigen Minuten Fahrzeit erreichen wir das Fabrikgebäude. Wir
steigen aus dem Auto in die frühabendliche Sonne hinein. Papa wartet nicht
lange und geht als erster durch die große, hohe Tür ins Gebäude. Die graue
Außenfassade ist von unzähligen Lichterketten und bunten Girlanden
bedeckt. Kurz versinke ich in die funkelnde Atmosphäre.
Ich sehe wie Papa außer Hörweite gerät, dann drehe ich mich schlagartig
zu Lisaj und sehe sie bittend an. „Das muss eine unvergessliche Nacht werden,
ja?“
Ihr Lachen hallt unsicher in meinem Bewusstsein. „Hast du etwa Zweifel
daran?“
Daraufhin zucke ich bloß leicht mit den Schultern und schlucke. „Nein,
eigentlich nicht. Ich habe nur ein komisches Gefühl.“
„Du hast ganz oft komische Gefühle.“, neckt sie mich. „Komm schon,
beruhig dich.“
Doch sie versteht es nicht. Meine beste Freundin versteh mich nicht. Den
ganzen Tag über habe ich bereits wie hinter Nebel gelebt. In der Magengegend
hat mich ein seltsames Gefühl heimgesucht und nicht mehr losgelassen. Meine
typische Gelassenheit trage ich am heutigen Tage nicht bei mir und ich weiß
auch nicht, wann sie vorhat mich wieder Heim zu suchen.
José, unser schwuler Freund und Barkeeper des heutigen Abends, steht
bereits hinter der Theke. Galant springt er über diese auf unsere Seite. Dabei
ist seine Hose viel enger als all meine Hosen zusammen und die Möglichkeit
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ausführender Turnaktivitäten scheint gegen Null zu laufen, doch er sieht dabei
trotzdem gut aus. Unfair.
„Habt ihr über Nacht euer Modebewusstsein verloren? Das hier ist eine
Party, keine Sonntagspredigt.“, sagt er lachend. José kann immer und überall
viel erzählen, aber er ist ein Mensch-gewordener positiver Hafen. Ich habe ihn
verdammt gern.
Er ist mehr als einen Kopf größer als ich und überragt sogar meinen Papa.
Ich kann mir ein Leben ohne ihn und Lisaj nicht vorstellen, aber in so vielen
stillen Momenten meines jungen Lebens sucht mich genau diese Angst Heim.
Wieso ist sie am heutigen Tage derart groß? Als José den Arm um meine
Schultern legt, fühle ich mich wie ein kleines Kind. Bevor er mit Papa die
Getränkekisten schleppen geht, gibt er uns noch schnell freundliche
Anweisungen.
„Die Technikmenschen haben mich grade angerufen. Die sind in zwei
Minuten da. Rida macht ihnen die Hintertür auf, während Mr. Devaney und
ich wie zwei richtige Männer Kisten schleppen gehen. Lisaj, du wartest hier.“
Als wir ihn etwas kritisch ansehen, fährt er seine kurze Rede fort. „Mädels,
jetzt hört auf euch so einen Kopf zu machen. Das ist nur eine Party und ich
habe alles im Griff.“, erklärt er gelassen. „Ihr müsst nur tanzen und gut
aussehen. Das könnt ihr doch an den anderen 364 Tagen des Jahres auch, also
hört auf Onkel José und tut, was er euch sagt.“ Damit drückt er mir die
Schlüssel in die Hand und verschwindet im Galopp aus dem Raum. Und ich
meine wirklich im Galopp. Er ist so verrückt.
Als ich seine Anweisung befolgen möchte, merke ich, dass die Hintertür
klemmt. Und obwohl an Josés Schlüsselbund gerade mal magere drei Schlüssel
hängen, werden sie mir zum Verhängnis. Ich finde den richtigen nicht auf
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Anhieb und tue mich schwer. Kaum habe ich nicht aufgepasst, schwingt die
Tür im nächsten Moment schnell und unkontrolliert auf. Ich kann sie nicht
aufhalten und dann ist es bereits passiert.
„Oh.“, sage ich erschreckt, als sie unbequem mit einem dumpfen Geräusch
gegen den Arm eines kleines Mannes knallt und an ihm abprallt.
Der Mann schreit auf und hält sich den Arm fest. Er hat einen
vernichtenden Blick aufgesetzt, seine buschigen Brauen ziehen sich zusammen
und dann fällt ihm die Kabeltrommel aus der Hand und entwindet sich die
Straße runter. Erst bleibe ich vor Schreck angewurzelt stehen und weiß nicht,
was ich tun soll, doch dann meldet sich mein Gehirn mit der glorreichen Idee
zurück das Kabel aufzusammeln.
„Tut mir leid.“, murmle ich mehrmals hintereinander und umlaufe den
Mann, der aus dem Augenwinkel aussieht wie erst Ende Zwanzig trotz
Kahlkopf. „Sorry, echt.“
Er
reagiert
nicht
auf
meine
Worte,
sieht
mich
bloß
durch
zusammengekniffene Augen böse an und hält sich immer noch den Arm.
Fängt ja gut an, denke ich. Es ist bestimmt von Vorteil den Tontechniker
noch vor der Party außer Gefecht zu setzen. Ich brodle innerlich und renne
viel zu hektisch dem Kabel hinterher, bis ich schlussendlich fast sein Ende
erreiche. Ich hocke auf der Straße und muss kurz später bemerken, wie die
Sonne verschwindet und ich im Schatten einer zweiten Person stehe. Nein,
eigentlich knie ich in seinem Schatten.
Abrupt blicke ich hinauf. Dann sehe ich in hübsche, schlanke Hände, die
das Ende des Kabels samt Trommel halten und ich sehe in ein Gesicht mit
strahlend himmelblauen Augen und einem süßen, verwirrten Lächeln.
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„Alles okay bei dir?“ Seine Stimme dringt ganz deutlich in mein Ohr. Es
ist eine klare, feste Stimme, die mich fast hypnotisiert. Ich hocke noch immer
vor dem Jungen mit den dunkelblonden Haaren und versuche zu nicken, aber
irgendwelche wichtigen Funktionen meines Gehirns setzen aus. Irgendwas an
ihm lässt mich inne halten, lässt mich anders atmen und dann schüttle ich
schnell benommen den Kopf. Halleluja, Rida, chill mal.
„Hast du dir wehgetan?“, will er weiter wissen und sieht mich fragend an.
Seine Stirn runzelt sich in schmale, regelmäßigen Falten – so, als wären sie
gezeichnet.
„Ne, ne.“, sage ich leise und erinnere mich daran, dass ich mich zu erheben
habe. „Ich habe die Tür... Sie ist aufgeschwungen.“
Dann richte ich mich endlich auf und lasse die blauen Augen vor mir nicht
mehr los. Meine Bewegungen werden vollständig gehemmt. Ich bemerke den
Blaumann, den er trägt. Somit gehört er also zu dem Kahlköpfigen, der im
nächsten Moment unerwartet neben uns steht – noch immer den bösen Blick
aufgesetzt.
Flucht ist an dieser Stelle wohl das richtige Stichwort, aber meine Beine
spielen leider nicht mit. Sie heften sich wie Kaugummi an den Boden. Und
meine Augen an das Gesicht des Jungen. Was ist denn mit mir los?
„Entschuldigung.“, beginne ich hektisch und sammle mich langsam wieder.
„Das war keine Absicht, ich hatte bloß Schwierigkeiten mit der Tür.“, versuche
ich mich zu erklären und stolpere über meine eigenen Worte.
„Schon okay.“, schnauft der Kahlkopf verächtlich und sieht mich nicht
weiter an. Unsicherheit legt sich in mein Handeln. Mein Gegenüber, der
deutlich Jüngere von beiden, der mit diesen wahnsinnigen Augen, sieht mich
noch immer solcherart seltsam an.
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17!
„Ihr müsst die Techniker sein.“, stelle ich mit peinlicher Verspätung fest.
„Ich wollte euch die Tür aufmachen.“
„Das hast du geschafft.“, sagt der Ältere schnell.
Die Situation ist irgendwie verwirrend. „Ich bin übrigens Rida.“ Dann halte
ich ihm das Kabelstück hin und versuche zu lächeln.
„Na, dann Rida, zeig uns mal, wo wir hin müssen.“ Sein Tonfall erklärt mir,
dass er meine Entschuldigung nicht annehmen will und es auch in naher
Zukunft nicht wird. Ich nicke schließlich lediglich vor mich hin und belasse es
dabei. Daraufhin dirigiere ich die beiden in den Partyraum und bin froh Lisaj
zu entdecken.
Sie reicht beiden die Hand und stellt sich höflich vor. Ihr Blick bleibt
beeindruckt an dem dunkelblonden Jungen hängen, aber das ist ihr bei diesem
Anblick auch einfach nicht zu verdenken. Alles klar, ab hier übernimmt
definitiv sie und vielleicht ist das auch besser so. Ich muss derweilen mein
klares Denken wieder auf Vordermann bringen.
„Pete Becker.“, stell mein Türopfer sich vor. „Das ist Niro.“ Er zeigt auf
den Jungen, der Lisaj freundlich anlächelt. Keine Ahnung wieso, aber etwas
zieht sich in mir zusammen. Kann er nicht vielleicht wieder mich ansehen? Ich
merke, wie ich zu spinnen beginne und reguliere schnell meinen Atem.
Niro. Das ist ein hübscher Name.
„In zwei Stunden sollte alles so weit stehen.“, erklärt Lisaj. „Das DJ-Pult
soll hier hin, die Musik muss die gesamte Etage erfüllen. Um eure Bezahlung
kümmern wir uns morgen früh beim Abbau, richtig?“
Pete nickt und würdigt mich weiterhin keines Blickes. Das war ein
Versehen, verdammt nochmal! Er und Niro lassen uns im Zentrum des
Raumes stehen und vertiefen sich schnell in ihre Arbeit. Ich sehe ihnen kurz
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hinterher, natürlich viel eher Niro als Pete und bin abgelenkter, als ich zugeben
mag.
Zeitgleich kommt José mit zwei Kisten Cola herein. „Das sind die letzten.
Es ist vollbracht, Ladies.“
Hinter ihm steckt Papa den Kopf durch die Tür. „Rida, ich fahre jetzt
wieder. Sollte noch etwas sein, könnt ihr mich anrufen. Bis später.“
Ich laufe zu ihm und drücke ihn kurz. „Danke. Bis gleich.“, sage ich
schlicht.
„Benehmt euch, ja?“ Sein Blick versucht sich in mein Gewissen zu bohren,
aber ich verschließe jegliche Wege dorthin. Dennoch nicke ich und weiß
ziemlich genau, dass ich das nicht ernst meine.
Der Raum gewinnt zunehmend an Atmosphäre und mit jedem Herzschlag
ergreift die Freude in mir Überhand, obwohl am Rand doch versteckt ein fader
Beigeschmack bleibt, den ich mit keinem positiven Gedanken dieser Welt
wegspülen kann. Lisaj und ich sind mucksmäuschen still, als ich die weißen
Stehtische in allen Ecken mit einer Tischdecke versehe und sie und José die
Decke mit fallenden Girlanden bekleiden. Eine große pinkfarbene 18 aus
glänzendem Papierstoff klebt die Thekenwand zu und dann ruft Lisaj meinen
Namen.
„Sieh dir das an. Ist das nicht der Wahnsinn?“
Ich stehe am anderen Ende des Raumes und drehe mich zu ihrer
quiekenden Stimme um.
„Das ist richtig schön geworden.“, sage ich mit einem milden Lächeln im
Gesicht. Ich weiß nicht, ob ich es wirklich richtig schön finden soll. Es ist, als
habe ich keine Meinung zu der Zahl dort oben, obwohl es genau das ist,
!
19!
worum es hier überhaupt geht. Dennoch verschwimmt meine Gleichgültigkeit
in dem Pink vor mir. An jedem anderen Tag hätte ich meiner besten Freundin
kreischend zugerufen, wie toll sie war, das hinbekommen zu haben, doch
heute... Vielleicht bin ich krank? Vielleicht habe ich mich auf dem Weg hierher
irgendwo verloren. Ich muss eine Aspirin schlucken, wenn ich zu Hause bin.
Definitiv. Am besten noch etwas stärkeres.
Lisaj scheint nichts von meinem Kranksein zu bemerken und verschmilzt
wieder in das Gespräch mit José. Das komische Gefühl bleibt aber wie
Sekundenkleber an mir heften. Heute ist ein Tag, der von Gegensätzlichkeit
erfüllt ist. Es ist seltsam wie genau ich das spüre.
„Wow, das ist ganz schön pink.“ Eine Stimme neben mir reißt mich mit
einem Mal aus dem kleinen Gedankengang. Ich sehe zu Pete hinauf und ziehe
fragend eine Augenbraue in die Höhe.
Er schwingt lässig einen Schraubenzieher in der Hand und betrachtet die
Papier-Achtzehn. „Ich mein, ist das hier so ein Mädchen-Sleepover oder
werden auch männliche Gäste anwesend sein? Bei dem Anblick weiß ich
nämlich wirklich nicht, wie lange die es hier aushalten werden.“
„Keine Sorge, es sind nur weibliche Gäste geladen.“, grinse ich ihn
sarkastisch an und rolle mit den Augen. Dieser Mann treibt mich mit seiner
alleinigen Anwesenheit in den Wahnsinn. In diesem Leben werden wir keine
Freunde mehr. Im nächsten und übernächsten aber auch nicht. Dafür würde
ich höchstpersönlich für sorgen.
„Schade, ich wollte fragen, ob ich noch länger hier bleiben darf.“, sagt er
und lacht hässlich. „Um mir euren Kindergarten anzusehen.“ Pete muss in
schlechten Witzen gebadet haben. Wahrscheinlich tut er das jeden Tag.
20! !