ORIGINALBEITRAG M. Van Steenkiste1, M. Tuka2 Förderung des Angebots von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Geschäften – Evaluation einer Intervention Das Ziel dieser Untersuchung war, die Effektivität einer Intervention zur Förderung des Angebots von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Geschäften zu messen. Dazu wurden alle türkischen Geschäfte im Kreis innerhalb von zwei Jahren (2002 – 2003) viermal besucht. Bei jedem Besuch wurde aufgezeichnet, welche Salzsorten die Geschäfte im Sortiment hatten. Anschließend fand ein Gespräch mit dem Inhaber des Geschäftes statt, in dem die Ziele der Aktion erklärt wurden. Entsprechendes Informationsmaterial wurde bei dieser Gelegenheit überreicht. Beim ersten Besuch hatten nur vier (29 %) der 14 Geschäfte, die über die gesamte Beobachtungszeit den Inhaber nicht wechselten, fluoridhaltiges Speisesalz im Sortiment. Beim Zweitbesuch war diese Zahl bereits auf acht (57 %), beim Drittbesuch auf elf (79 %) und schließlich beim letzten Besuch auf zwölf (86 %) angestiegen. Die Zahl der Geschäfte, in denen kein Speisesalz oder ausschließlich Speisesalz ohne jeglichen Zusatz verkauft wurde, ging mit jedem Besuch zurück und fiel beim letzten Besuch sogar auf Null. Die Untersuchung zeigt, dass die Zahl der türkischen Lebensmittelgeschäfte mit fluoridhaltigem Speisesalz im Sortiment innerhalb von zwei Jahren deutlich gesteigert werden konnte. Die Aktion ist auch ein Beispiel einer erfolgreichen Verhältnisprävention und weist somit 1 2 108 Gesundheitsamt des Landratsamts Rems-Murr-Kreis Arbeitsgemeinschaft für Zahngesundheit im Rems-Murr-Kreis neue Perspektiven für die Mundgesundheitsförderung auf. Die zur Evaluation der Aktion erfassten Daten erwiesen sich als geeignet, um die Effektivität der Intervention zu belegen. Dies zeigt, dass ergänzend zu den mundgesundheitlichen Daten auch spezifische, aktionsbezogene Kennzahlen erfasst werden müssen, um den Effekt von Prophylaxeprogrammen nachzuweisen. Schlüsselwörter: Mundgesundheitsförderung, Migranten, Fluoride, Salzfluoridierung, Evaluationsmethoden Einführung Fluoridiertes Speisesalz ist seit 1991 auf dem deutschen Markt erhältlich, zunächst als Import aus Frankreich, später auch aus eigener Herstellung [5]. Fluoridhaltiges Speisesalz wird in Deutschland ausschließlich in Kombination mit Jodsalz angeboten, so dass es nicht nur Karies, sondern auch Schilddrüsenvergrößerungen vorbeugt [5, 8]. Kurzfristig gesehen ist die regelmäßige Anwendung von Fluoriden die effektivste und effizienteste Strategie zur Kariesprophylaxe. Fluoride sind vor allem dann effektiv, wenn sie ein Leben lang täglich in geringen Konzentrationen verwendet werden [1, 4, 9]. Die häuslichen Fluoridierungsmethoden sind daher den professionellen Anwendungen vorzuziehen [4, 9, 18]. Fluoridhaltige Zahnpasten und die Salzfluoridierung entsprechen am besten dem Anforderungsprofil eines Massenprophylaktikums, denn sie können sehr kosteneffektiv breiten Schichten der Bevölkerung zugänglich gemacht werden [1, 2, 7]. © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Eine im Rems-Murr-Kreis durchgeführte Studie zeigt aber, dass im Vergleich zu den deutschen auffallend wenige türkische Familien zu Hause fluoridhaltiges Speisesalz verwenden [16]. Zur weiteren Reduktion der Kariesprävalenz in dieser Risikogruppe ist es von Bedeutung, diese sehr effiziente Kariesprophylaxemaßnahme insbesondere in türkischen Familien zu verbreiten [15, 16]. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens müssen die Betroffenen über die gesundheitlichen Vorteile des fluoridhaltigen Speisesalzes informiert sein und zweitens sollten sie dieses Salz beim Einkauf in ihrem gewohnten Geschäft auch tatsächlich vorfinden. Die erste Voraussetzung bedarf einer gesundheitserzieherischen Maßnahme, die sich in erster Linie an die unmittelbaren „Verbraucher“ – die türkischen Familien – richtet. Dieser klassische verhaltenspräventive Ansatz ist unter dem Leitsatz „Developing personal skills“ in der OttawaCharta aufgenommen [20]. Das Ziel ist, die Menschen in die Lage zu versetzen, auf Basis von Information und Verständnis eine bewusste Entscheidung (informed decision) zu treffen [3]. Die zweite Voraussetzung bezieht sich auf das Umfeld, in dem die Betroffenen leben, und wird auch als Verhältnisprävention bezeichnet. Hier geht es darum, die Lebenswelt der Menschen so zu gestalten, dass gesundheitsfördernde Entscheidungen einfacher umzusetzen sind [12, 13]. Dieser Ansatz – von Milio [11] als „Making the healthier choice the easier choice“ umschrieben – findet sich ebenfalls in der Ottawa Charta wieder (creating supportive environments) [20]. Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 27 (2005) 3 M. Van Steenkiste et al.: Förderung des Angebots von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Geschäften Um die Anwendung von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Familien zu fördern, wurden diese beiden Ansätze aufgegriffen: • Zum einen wurden den türkischen Schülern bei den zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen in den Schulen Informationsschreiben für die Eltern mitgegeben. Die Informationen wurden auch über die türkischen Lehrer, die in den Grund- und Hauptschulen den türkischsprachigen Heimatunterricht versorgen, an die Eltern verteilt. Durch die Nutzung dieser Kontakte konnte eine breite, nahezu flächendeckende Streuung der entsprechenden Informationen in die Zielgruppe erreicht werden. • Zum anderen wurde das Angebot von fluoridhaltigem Salz in den türkischen Lebensmittelgeschäften des Kreises gefördert. Hierdurch sollte sichergestellt werden, dass die sensibilisierten Eltern das empfohlene Salz auch tatsächlich in ihrem gewohnten Geschäft kaufen konnten. Dieser Teil der Intervention wird in dieser Studie beschrieben und ausgewertet. Bei der Gestaltung des Informationsmaterials wurde auch darauf geachtet, alle gesundheitlichen Vorteile des fluoridhaltigen Speisesalzes – nämlich die Vorbeugung von Karies und Schilddrüsenvergrößerungen – darzustellen. In den Gesundheitswissenschaften wird allgemein kritisiert, dass die Aufgliederung des Körpers nach Körperteilen und Fachbereichen und die Übertragung dieser Denkweise auf die Prävention wenig effektiv ist [13,14]. Zur Evaluation der Intervention sollte bereits in der Planungsphase festgelegt werden, welche Daten zu diesem Zweck erfasst werden sollen [3]. Im Hinblick auf den fehlenden Nachweis der Effektivität vieler Prophylaxeprogramme [10] stellen Watt et al. [17] fest, dass häufig falsche Evaluationsmethoden angewandt werden. So wird häufig versucht, den Erfolg eines Programms am individuellen Verhalten oder an klinischen Kennzahlen zu messen. Der Erfolg vieler Aktivitäten in der Mundgesundheitsförderung lässt sich aber kurzfristig nicht an z. B. DMFT-Scores ablesen. Die Autoren schlagen deshalb eine Reihe von Kennzahlen vor, die zur Evaluation der Mundgesundheitsförderung verwendet werden können. Das vorgeschlagene Schema umfasst gesundheitliche und soziale Ergebnisse (Lebensqualität, Behinderung, Prävalenz), intermediäre Gesundheitser- Abbildung 1 Erfassungsbogen Figure 1 Registration form gebnisse (Lifestyle, Effektivität gesundheitlicher Dienstleistungen, gesunde Lebenswelten usw.), gesundheitsfördernde Ergebnisse (gesundheitliche Kompetenzen und Fertigkeiten, gesundheitspolitische und organisatorische Änderungen) und gesundheitsfördernde Aktionen (Änderung von Curricula, Ermöglichen, Advocacy usw.). Zur Evaluation der hier thematisierten Intervention in den türkischen Geschäften bieten sich Kennzahlen an, die Veränderungen der Lebenswelt der Zielgruppe messen (intermediäre Gesundheitsergebnisse). Auch Ewles und Simnett [3] nennen Veränderungen im Vorhandensein von gesundheitsfördernden Produkten als mögliches Ergebnis für die Evaluation einer Aktivität. Das Ziel dieser Untersuchung ist, die Effektivität der Intervention zur Förderung des Angebots von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Geschäften zu messen. Material und Methode Zunächst wurde in Zusammenarbeit mit den Kontaktpersonen in der türkischen Gemeinschaft eine Liste der türkischen Lebensmittelgeschäfte im Kreis erstellt. Als türkische Geschäfte wurden Geschäfte mit türkischem Inhaber definiert, in denen vorwiegend aus der Türkei und dem Mittelmeerraum importierte Lebensmittel angeboten wurden. Ausschlaggebend für die Auslegung dieser Definition war die Sichtweise der zahlreichen Kontaktpersonen in der türkischen Gemeinschaft (z. B. türki- Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 27 (2005) 3 sche Gemeinden, türkische Lehrer für den heimatlichen Unterricht, Moscheen), die zu dieser Frage konsultiert wurden. Anschließend wurde das notwendige Informationsmaterial für die Aktion entwickelt. Da die Zahl der ermittelten Geschäfte recht klein war, wurde das Informationsmaterial selbst gestaltet. Um die Kosten zu drücken, wurde auf die Zusammenarbeit mit einer Werbeagentur, einem Graphiker und einer Druckerei verzichtet. Eine türkische Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft übersetzte die Informationen ins Türkische. Zum Aushängen in den türkischen Geschäften wurden Kleinposter, in denen die Kunden auf die Vorteile des fluoridierten Jodsalzes hingewiesen wurden, gedruckt. Zum Ausstellen auf der Ladentheke wurden Kartonständer mit entsprechenden Informationen beklebt und mit Salzproben – kleine Tütchen und Döschen – gefüllt. Die Firma Südsalz stellte die Salzproben kostenlos zur Verfügung. Schließlich wurde auch noch ein Brief für die Inhaber des Geschäftes aufgesetzt, in dem diese um Unterstützung für die Aktion gebeten wurden. Zum Monitoring des Projektes wurde ein Erfassungsbogen entworfen (Abb. 1). In diesem Bogen konnten Einzelheiten zur Identifikation des Geschäftes sowie die vor Ort vorgefundenen Salzsorten und Salzmarken bei den verschiedenen Besuchen eingetragen werden. Bei den Salzsorten waren auch Mehrfachmarkierungen möglich. Ebenfalls vermerkt wurde, ob der Inhaber des Geschäftes das Informationsmaterial angenommen hatte. 109 M. Van Steenkiste et al.: Förderung des Angebots von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Geschäften Abbildung 2 Prozentuale Aufteilung der Geschäfte, die über die gesamte Beobachtungszeit den Inhaber nicht wechselten, nach Salzsortiment. (kein Salz = kein Salz im Angebot; Salz ohne Zusatz = ausschließlich zusatzfreies Salz im Angebot; Jodsalz = Jodsalz und eventuell Salz ohne Zusatz im Angebot; F-Jodsalz = fluoridhaltiges Jodsalz und eventuell andere Salzsorten im Angebot). Figure 2 Proportional distribution of the shops that did not change ownership during the total period of observation by salt assortment (kein Salz = no salt; Salz ohne Zusatz = only salt without supplements; Jodsalz = salt with iodine and possibly salt without supplements; F-Salz = fluoride containing iodine salt and eventually other salt varieties). 1. Besuch N = 14 2. Besuch N = 14 3. Besuch N = 14 4. Besuch N = 14 Kein Salz 2 3 1 0 Salz ohne Zusatz 3 1 1 0 Jodsalz 1 0 1 1 Salz ohne Zusatz + Jodsalz 4 2 0 1 F-Jodsalz 4 4 6 6 Salz ohne Zusatz + F-Jodsalz 0 2 2 3 Jodsalz + F-Jodsalz 0 0 0 0 Salz ohne Zusatz + Jodsalz + F-Jodsalz 0 2 3 3 29 % 57 % 79 % 86 % Salztyp im Sortiment % Geschäfte mit F-Jodsalz Tabelle 1 Kombination der Salzsorten in den 14 Geschäften, die über die gesamte Beobachtungszeit (4 Besuche) den Inhaber nicht wechselten. Table 1 Combination of salt varieties in the 14 shops that did not change ownership during the total period of observation (4 visits). 1. Besuch N = 17 2. Besuch N = 20 3. Besuch N = 18 4. Besuch N = 19 Kein Salz 3 3 2 0 Salz ohne Zusatz 3 1 1 0 Jodsalz 1 0 1 1 Salz ohne Zusatz + Jodsalz 2 4 0 3 F-Jodsalz 7 7 8 9 Salz ohne Zusatz + F-Jodsalz 0 2 2 3 Jodsalz + F-Jodsalz 1 0 0 0 Salz ohne Zusatz + Jodsalz + F-Jodsalz 0 3 4 3 47 % 60 % 78 % 79 % Salztyp im Sortiment % Geschäfte mit F-Jodsalz Tabelle 2 Kombination der Salzsorten in allen Geschäften, einschließlich denen, die den Inhaber wechselten, neu eröffnet oder im Laufe der Studie aufgegeben wurden. Table 2 Combination of salt varieties in all shops, including those that changed ownership, were opened or closed during the period of observation. 110 Sämtliche bekannten türkischen Geschäfte wurden viermal von zwei Mitarbeiterinnen – einer türkischen und einer deutschen – besucht. Der erste Besuch fand im Februar 2002, der zweite im Oktober 2002, der dritte im Februar 2003 und der vierte im November 2003 statt. Bei jedem Besuch notierten die Mitarbeiterinnen, welches Salz sie im Geschäft vorfanden. Anschließend fand ein Gespräch mit dem Inhaber des Geschäftes statt, in dem die Ziele der Aktion erklärt wurden. Bei den vier Besuchen wurden insgesamt 22 verschiedene türkische Geschäfte aufgesucht, doch zu keinem Zeitpunkt existierten alle diese Geschäfte gleichzeitig. Die Zahl der türkischen Geschäfte schwankte im Laufe der Beobachtungszeit. Es kamen neue Geschäfte dazu, andere wurden aufgelöst oder wechselten den Inhaber. Nur 14 Geschäfte blieben während der Dauer der Studie in gleicher Hand. Ergebnisse Nur vier (29 %) der 14 Geschäfte, die über die gesamte Beobachtungszeit den Inhaber nicht wechselten, hatten beim ersten Besuch fluoridhaltiges Speisesalz im Sortiment (Abb. 2). Beim Zweitbesuch war diese Zahl bereits auf acht (57 %), beim Drittbesuch auf elf (79 %) und schließlich beim letzten Besuch auf zwölf (86%) angestiegen. Werden aber bei jedem Besuch alle aufgesuchten Geschäfte berücksichtigt, war der Anteil jener mit fluoridhaltigem Speisesalz zu Anfang deutlich höher (47 statt 29 %) und zum Schluss aber deutlich niedriger (79 statt 86 %) als in diesen 14 Geschäften (Tab. 2). Die Zahl der Geschäfte, in denen kein Speisesalz oder ausschließlich Speisesalz ohne jeglichen Zusatz verkauft wurde, ging mit jedem Besuch zurück und fiel beim letzten Besuch sogar auf Null (Tab. 1 und 2). Die Zahl der Geschäfte, in denen andere Salzsorten in Kombination mit fluoridhaltigem Speisesalz verkauft wurden, nahm dagegen im Laufe der Beobachtungszeit deutlich zu. In sechs der 22 aufgesuchten Geschäfte wurden auch aus der Türkei (Baktat) oder Griechenland (Kalas) importierte Salzmarken aufgezeichnet, die weder mit Jod noch mit Fluorid angereichert waren. In den übrigen Geschäften standen handelsübliche deutsche Salzmarken zur Auswahl (Tab. 3). Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 27 (2005) 3 M. Van Steenkiste et al.: Förderung des Angebots von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Geschäften Salzmarke im Sortiment Anzahl der Geschäfte Bad Reichenhaller (Südsalz, München) 15 Apti (Handelsmarken, Offenburg) 8 Alpenländer (Aldi Einkauf, Essen) 6 Aro (Goldhand Vertriebsgesellschaft, Düsseldorf) 5 Safrisalz Bad Friedrichshaller (Südwestdeutsche Salzwerke, Heilbronn) 5 Kalas (Kalas SA, Athen) 5 Baktat (Baktat, Çorum) 4 Salz (Südsalz, München) 2 Feine Prise (Esco, Hannover) 2 Classic (Kaufland, Konstanz) 1 Tabelle 3 Aufgezeichnete Salzmarken in allen Geschäften. Table 3 Recorded salt trade marks. Die Aktion wurde von den Geschäftsinhabern sehr positiv angenommen. Kein Geschäftsinhaber verweigerte die Kooperation. In fast allen Geschäften hingen zuletzt immer noch die Poster aus, die beim vorherigen Besuch verteilt worden waren. Die Nachfrage nach Probepackungen, insbesondere der kleinen Salzdöschen, war groß. Diskussion Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass die Zahl der türkischen Lebensmittelgeschäfte im Kreis mit fluoridhaltigem Speisesalz im Sortiment innerhalb von zwei Jahren deutlich gestiegen ist. Da keine Kontrollgruppe zur Verfügung stand, ist zu erwägen, ob die beobachteten Veränderungen auch ohne Intervention eingetreten wären. Dies ist aber äußerst unwahrscheinlich, da die Veränderungen sehr gezielt in die gewünschte Richtung verliefen. Auch ist nicht plausibel zu erklären, weshalb die Inhaber der türkischen Geschäfte sich gerade jetzt spontan für den Verkauf von fluoridhaltigem Speisesalz, das bereits über zehn Jahre im Handel ist, entschließen sollten. Außerdem weisen Watt et al. [17] und Treasure [14] darauf hin, dass zur Evaluation der Mundgesundheitsförderung randomisierte, kontrollierte Studien nur selten anzuwenden sind. Es ist deshalb anzunehmen, dass die beobachteten Veränderungen auf die Intervention zurückzuführen sind. Die relativ große Zahl von Neueröffnungen, Schließungen und Änderungen des Inhabers bei den türkischen Geschäf- ten sind wahrscheinlich auf die derzeitige schlechte wirtschaftliche Lage zurückzuführen. Da die Intervention eine Verhaltensänderung bei den Inhabern der Geschäfte anstrebte, ist es sinnvoll, den Erfolg der Intervention nur an den 14 Geschäften zu messen, die über die gesamte Beobachtungszeit den Inhaber nicht gewechselt haben. Der Effekt der Intervention war bezogen auf diese 14 Geschäfte deutlich größer als in der Gesamtgruppe. Die Tatsache, dass allein schon beim letzten Besuch drei Geschäfte, die zuvor fluoridhaltiges Salz im Sortiment hatten, aufgegeben und drei mit ausschließlich Jodsalz im Angebot eröffnet worden waren, zeigt, dass diese differenzierte Auswertung zur korrekten Bewertung der Effektivität der Maßnahme angezeigt ist. Die Tatsache, dass die Zahl der Geschäfte ohne Speisesalz sowie jener mit ausschließlich zusatzfreiem Speisesalz im Sortiment kontinuierlich abnahm, deutet auf eine gezielte Entscheidung der Händler hin. Die Feststellung, dass andere Salzsorten im Laufe der Beobachtungszeit zunehmend in Kombination mit fluoridhaltigem Speisesalz angeboten wurden, lässt vermuten, dass viele Händler aufgrund der Aktion ihr vorhandenes Salzsortiment einfach um die fluoridhaltige Variante erweitert haben. Aus dem Grund ist es auch wichtig, dass zusätzlich zu der Aktion in den Geschäften die türkischen Familien mit den notwendigen Informationen versorgt werden. Letztendlich ist es die Entscheidung der Eltern, beim Kauf von Speisesalz die „richtige“ Wahl zu treffen. Dies zeigt auch, warum kombinierte Strategien mehr Erfolg versprechen als isolierte. Die Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 27 (2005) 3 Verhaltensänderung ist erst möglich, wenn das Umfeld darauf ausgerichtet ist. Die hier angewandte Kombination von Verhältnis- und Verhaltensprävention bietet neue Perspektiven für die Mundgesundheitsförderung, die häufig als reine Verhaltensprävention verstanden wird. Diese Untersuchung zeigt, dass die zur Evaluation der Aktion erfassten Kennzahlen messbar waren und in zeitlicher Verbindung zur Intervention standen. Dadurch konnte die Effektivität der Intervention direkt anhand einer konkreten Veränderung der Lebenswelt der Zielgruppe belegt werden. Ob sich die verschiedenen Bemühungen zur Förderung der Salzfluoridierung auch im Verhalten der Zielgruppe spiegeln, kann durch regelmäßige Befragungen überprüft werden. Die Ergebnisse dieser Befragungen können dazu beitragen, Veränderungen im Mundgesundheitszustand, die bei regelmäßigen epidemiologischen Untersuchungen festgestellt werden, zu interpretieren und zu erklären. Die regelmäßige Erfassung mundgesundheitlicher Daten allein reicht aber für die Evaluation der Prophylaxeprogramme nicht aus. Die Tatsache, dass diverse Interessensgruppen aus standespolitischen Gründen die Erfolge der Prophylaxe in Deutschland immer wieder für sich beanspruchen [6, 19], zeigt, dass mehr Transparenz bei der Auswertung der Prophylaxeprogramme notwendig ist. Dies ist möglich, indem – wie hier demonstriert – die Effektivität einzelner konkreter Aktivitäten nachgewiesen werden kann. Hierzu können – wie von Watt et al. [17] und Ewles und Simnett [3] vorgeschlagen – eine Reihe von praktischen Kennzahlen verwendet werden. Der schlichte Hinweis auf allgemeine Trends in der Mundgesundheit kann jedoch nicht als Effektivitätsnachweis von Prophylaxemaßnahmen gewertet werden. In etwa einem Viertel der Geschäfte wurden importierte Salzmarken verkauft, die weder mit Jod noch mit Fluorid angereichert sind. Hierdurch könnten die Vorteile der Salzfluoridierung an jenen Migranten, die traditionell diese Produkte kaufen, vorbeigehen. Diese Erkenntnisse sollten in der Gesundheitserziehung aufgegriffen werden. Bei Evaluation einer Intervention sollte auch die Reaktion der Kunden – hier die Inhaber der türkischen Geschäfte – berücksichtigt werden. Bei dieser Aktion fällt auf, dass kein Inhaber die Mitarbeit ablehnte oder sich weigerte, das Informa- 111 M. Van Steenkiste et al.: Förderung des Angebots von fluoridhaltigem Speisesalz in türkischen Geschäften tionsmaterial anzunehmen. Im Gegenteil, die Inhaber der türkischen Geschäfte waren der Aktion gegenüber sehr aufgeschlossen. Häufig wurden die Mitarbeiterinnen bei den nachfolgenden Besuchen wiedererkannt, sehr freundlich empfangen und sogar mit Obst beschenkt. Die Aktion machte den Mitarbeiterinnen deutlich Spaß. Auch aus dieser Sicht ist die Aktion als voller Erfolg zu bezeichnen. Schließlich ist zu vermerken, dass die Intervention mit einfachen Mitteln und geringem finanziellen Aufwand durchgeführt wurde. Dies zeigt, dass auch preiswerte, bescheidene Aktionen zum Erfolg führen können. Schlussfolgerungen und Empfehlungen Diese Untersuchung zeigt, dass die Zahl der türkischen Lebensmittelgeschäfte mit fluoridhaltigem Speisesalz im Sortiment innerhalb von zwei Jahren deutlich gesteigert werden konnte. Die Intervention ist ein praktisches Beispiel für die häufig vernachlässigte Verhältnisprävention und bietet somit neue Perspektiven für die Mundgesundheitsförderung. Die zur Evaluation der Aktion erfassten Daten erwiesen sich als geeignet, um die Effektivität der Intervention nachzuweisen. Da die Erfolgskontrolle der Mundgesundheitsförderung in Deutschland vielerorts ausschließlich auf der Auswertung mundgesundheitlicher Daten basiert, fehlt der eigentliche Nachweis über die Effektivität der Programme. Deshalb sollten ergänzend zu den mundgesundheitlichen Daten auch spezifische, aktionsbezogene Kennzahlen erfasst werden, um den Effekt von Prophylaxeprogrammen zu belegen. Literatur SUMMARY 1. The promotion of fluoride containing salt in Turkish shops – Evaluation of an intervention The aim of this study was to measure the effectiveness of an intervention promoting the availability of fluoride containing salt in Turkish shops. To meet this aim all Turkish shops in the district were visited four times in period of two years (2002 – 2003). At each visit it was recorded which types of salt were sold. Afterwards a talk with the owner of the shop took place to explain the purpose of the intervention. At this occasion suitable information material was distributed. At the first visit only 4 (29 %) of the 14 shops, that did not change ownership during the period of observation, were found to have fluoride containing salt in their assortment. At the second visit this number had increased to 8 (57 %), at the third visit to 11 (79 %) and at the last visit to 12 shops (86 %). The number of shops in which no salt or only salt without any supplements was sold decreased at each visits and had fallen to zero at the last visit. This study shows that the number of Turkish shops with fluoride containing salt in their assortment could be clearly increased in a period of two years. The intervention is an example of successful environment related prevention and opens new perspectives for oral health promotion in Germany. The recorded data were appropriate to demonstrate the effectiveness of the intervention. This shows that in addition to data on oral health more specific action related date must be recorded to demonstrate the effect of prevention programs. Keywords: oral health promotion, migrants, fluoride, salt fluoridation, evaluation methods 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 佥 Burt BA: Prevention policies in the light of the changed distribution of dental caries. 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