Landbote 20150716

Lautlos, freihändig und ziemlich schnell
Elektro-Einräder und Stehroller gehören in New York und Paris schon zum
Stadtbild. Nun sollen sie auch in Winterthur Einzug halten. Drei
Jungunternehmer haben hinter dem Hauptbahnhof ein Fachgeschäft für EMobilität eröffnet.
Yannick Graf (links) auf einem Elektro-Einrad und Jonas Högger auf einem
Personaltransporter von Ninebot: «Warum sollten Stehräder in Zukunft nicht auch in der
Schweiz zum Alltag gehören?» Bild: Marc Dahinden
Von Manuel Fasol 05:45
Wer schon einmal jemanden auf einem futuristisch anmutenden Elektro-Einrad durch die
Stadt hat flitzen sehen, wähnte sich möglicherweise in einem Science-Fiction-Film. Die
Chance, dass ein Steven-Spielberg-Streifen Realität wurde, ist allerdings gering.
Wahrscheinlicher ist, dass das Gefährt aus dem neuen «Fachgeschäft für urbane Mobilität»
namens Stehrad stammt. In dem kleinen Geschäft bei der Esse-Bar gleich hinter dem
Hauptbahnhof findet man seit Anfang Juli Fahrzeuge wie Elektro-Einräder, E-Trottinetts oder
E-Longboards. Der Laden ist zweckmässig eingeräumt: Gleich beim Eingang steht ein
Schreibtisch mit Computer, dahinter ein fein säuberlich gestapelter Turm Holzpaletten. Die
Elektrofahrzeuge sind rund um die Paletten und gleich vor dem Eingang ausgestellt. Der
kleine Platz vor dem Laden dient als Teststrecke für interessierte Kunden.
Gegründet wurde die Firma Stehrad von Gregor Matter (50), Yannick Graf (27) und Jonas
Högger (27). Matter, der Vater von Grafs Freundin, war der Ausgangspunkt für die
Geschäftsidee. Als Teambildungsmassnahme für seine Firma beschaffte er drei ElektroEinräder und veranstaltete Ausfahrten für seine Mitarbeiter. Als er Graf davon erzählte, kam
auch der auf den Geschmack und begann mit seinem Jugendfreund Högger, sich mit den
elektrischen Fahrzeugen zu beschäftigen.
«Wir merkten, dass man nur im Internet zu den Geräten kommt; niemand konnte uns
vernünftig Auskunft geben, und nur wenige boten Probefahrten an. Also entschlossen wir uns,
das Ganze selber in die Hand zu nehmen. So entstand die Idee, verschiedene Fahrzeuge und
einen Reparaturservice in einem Geschäft anzubieten», sagt Högger. Auch eine Vermietung
und eine Occasionsplattform soll es bald geben, diese seien aber noch in Planung. «Wer ein
Gerät für ein paar Tage testen will, kann das gerne auch jetzt schon machen», sagt Graf.
Aus eigenem Sack finanziert
Die Elektrofahrzeuge sind keine Schnäppchen. Die Preise bewegen sich zwischen 850
Franken (für ein E-Longboard) und 4500 Franken (Segway von Ninebot). Seit der Eröffnung
hätten sie schon ein halbes Dutzend Geräte verkauft, sagt Högger. «Oft kommen Leute
vorbei, die schon ein Gerät haben, und erkundigen sich nach Accessoires wie Lampen oder
Schläuchen.»
Alle drei Gründer kommen aus technischen Berufen, was ihnen bei Servicearbeiten
zugutekommt. Spezielles Wissen über ihre Elektrofahrzeuge haben sie sich in Schulungen
angeeignet, die direkt von den Importeuren angeboten werden. Allerdings seien die Geräte
nicht sehr wartungsintensiv, sagt Högger. «Hin und wieder muss ein Pneu gewechselt werden.
Die Elektromotoren sind aber sehr zuverlässig, und die Batterien kann man im Durchschnitt
1500-mal aufladen.»
Finanziert haben die Jungunternehmer ihre Firma aus eigener Tasche. «Wir haben alle einen
100-Prozent-Job und betreiben Stehrad als Hobby», sagt Graf. Geöffnet ist das Geschäft
jeweils Donnerstag und Freitag von 18 bis 21 Uhr und am Samstag von 12 bis 18 Uhr. Geräte
für den Service können jederzeit auch beim Velohändler gleich nebenan abgegeben werden.
Die Akkus der Elektro-Einräder und Stehroller haben eine Reichweite von bis zu 40
Kilometern. Gesteuert werden die Fahrzeuge durch Gewichtsverlagerung: Lehnt sich der
Fahrer nach vorn, nimmt er Tempo auf, lehnt er sich wieder zurück, bremst das Gerät ab. Es
braucht etwas Übung, bis man sich an diese Art der Steuerung gewöhnt hat; hat man den Dreh
aber einmal raus, ist man überraschend wendig und schnell. Mit bis zu 21 Kilometern pro
Stunde erwischt man den Zug auch noch, wenn man einmal ein paar Minuten zu spät
aufgestanden ist.
Zulassung mit Töffliausweis
Weil die Fahrzeuge auf Schweizer Strassen noch neu sind, ist ihre Strassenzulassung noch
nicht gänzlich geklärt. Das Bundesamt für Strassen (Astra) stellt in einer
Verordnungsänderung von Anfang Juni 2015 «stehrollerartige Fahrzeuge» den Elektrobikes
gleich. Demnach dürfen selbstbalancierende Fahrzeuge ab 14 Jahren mit dem Führerausweis
für Motorfahrräder («Töffliausweis») und ab 16 Jahren ohne Ausweis gefahren werden.
Noch ist es schwer vorstellbar, dass die Strassen in Zukunft voll mit diesen Geräten sein
sollen, doch inzwischen begegnet man den leisen Flitzern immer wieder. Brauchen wir in
Zukunft nicht mehr zu Fuss zu gehen? Wenn es nach den Gründern von Stehrad geht, wohl
eher nicht. «In Städten wie New York oder auch Paris sind Stehräder bereits sehr verbreitet.
Warum sollten sie nicht auch in der Schweiz Einzug halten?» (Landbote)
Landbote 16.7.2015