Predigt zu Matthäus 2,1-12 - Kirchgemeinde Albisrieden

Predigt zu Matthäus 2,1-12
Albisrieden, 3. Januar 2016
Pfarrer Rudolf Wöhrle
Als Jesus in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes zur Welt gekommen
war, da kamen Sterndeuter aus dem Morgenland nach Jerusalem und fragten: Wo ist
der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und
sind gekommen, ihm zu huldigen. Als der König Herodes davon hörte, geriet er in
Aufregung und ganz Jerusalem mit ihm. Und er liess alle Hohen Priester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der
Messias geboren werden solle. Sie antworteten ihm: In Bethlehem in Judäa, denn so
steht es durch den Propheten geschrieben: "Und du, Bethlehem, Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas; denn aus dir wird ein Fürst
hervorgehen, der mein Volk Israel weiden wird." Darauf rief Herodes die Sterndeuter
heimlich zu sich und wollte von ihnen genau erfahren, wann der Stern erschienen
sei. Und er schickte sie nach Bethlehem mit den Worten: "Geht und forscht nach
dem Kind! Sobald ihr es gefunden habt, meldet es mir, damit auch ich hingehen und
ihm huldigen kann." Auf das Wort des Königs hin machten sie sich auf den Weg, und
siehe da: Der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her, bis er über
dem Ort stehen blieb, wo das Kind war. Als sie den Stern sahen, überkam sie grosse
Freude. Und sie gingen ins Haus hinein und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter;
sie fielen vor ihm nieder und huldigten ihm, öffneten ihre Schatztruhen und brachten
ihm Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Weil aber ein Traum sie angewiesen hatte, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim
in ihr Land.
Matthäus 2,1-12
In drei Tagen, am 6. Januar ist das Fest der heiligen drei Könige. Wir essen Dreikönigskuchen und hoffen, dass wir auf den versteckten kleinen König beissen. Jeder
fühlt sich gerne einmal ein wenig als König. Das ist ein schöner Brauch, und es gibt
ja viel volkstümliches Brauchtum zum Dreikönigstag.
Mit der Bibel hat das allerdings nur wenig zu tun. In unserem Text steht nichts von
Königen, sondern von Magoi, was man vielleicht noch am besten mit ‚Weise’ übersetzt – die Weisen aus dem Morgenland. Gemeint sind gelehrte, kundige Menschen,
die als Berater persischer Könige amteten. Die Geschenke der Weisen passen ins
Bild: Gold, Weihrauch und Myrre galten in der Antike als Luxusgüter. Weihrauch und
Myrre sind Harze von Pflanzen. Sie wurden für religiöse Kulte und als Kosmetika
eingesetzt und waren im antiken Orient überaus kostbar. Die Dreizahl der Weisen
kommt wohl von diesen drei genannten Geschenken. Im Text heisst es aber nicht, es
seien drei Weise gewesen. Die Namen Caspar, Melchior und Balthasar tauchen erst
im 6. Jahrhundert n. Chr. auf. In der Kunst wird Balthasar etwa seit dem 15. Jh. als
Afrikaner dargestellt.
Da kommen also - so erzählt Matthäus - Weise von Osten nach Jerusalem und fragen nach dem neugeborenen König der Juden. Sie hätten seinen Stern aufgehen
sehen und wollen ihm huldigen. Und der jüdische König Herodes sei über diese
Nachricht zutiefst erschrocken und mit ihm ganz Jerusalem. Später im Matthäusevangelium, vor der Kreuzigung von Jesus, schreien die Bewohner Jerusalems:
„Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Matthäus 27, 25). Matthäus erzählt
ja auch vom sogenannten Kindermord in Bethlehem durch Herodes. Wir sind gewohnt in diesen Kindermord hinein eine Gegenüberstellung zu lesen: Da ist Jesus,
der sanftmütige, wahre König auf der einen, und Herodes, der brutale, machtgierige
König auf der anderen Seite. Die Pointe bei Matthäus ist aber wohl eine andere, abgründigere: In der Absicht das Jesuskind zu töten, bringt der jüdische König Herodes
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die Kinder seines eigenen Volkes um. Der Kindermord in Bethlehem ist bei Matthäus
ein Zeichen der kompletten Verirrung der Juden und gewissermassen die vorweggenommene Selbstbestrafung der Juden für die Ablehnung von Jesus und seine spätere Hinrichtung am Kreuz. Matthäus versucht, damit fertig zu werden, dass ein Volk
Jesus als Messias mehrheitlich abgelehnt hat, dass dafür aber Weise aus dem Osten, Heiden, kommen, um ihn zu ehren. Am Ende des 1. Jahrhunderts, als Matthäus
sein Evangelium schrieb, waren es mehr und mehr Heiden, die sich dem ChristusGlauben zuwenden.
Im Zuge der Geschichte des christlichen Glaubens ist wegen der negativen Sicht des
Judentums vieles passiert, was aus unserer heutigen Sicht nicht hätte passieren dürfen. Weil wir lange nicht immer so sanftmütig und friedfertig sind wie der neue König
von Bethlehem, insbesondere wenn es um Machtkonflikte geht, im Grossen wie im
Kleinen, darum sollten wir zumindest selbstkritisch sein und uns immer wieder selber
die Frage nach unserer eigenen Motiven stellen, auch den religiösen.
Um dem schönen, erfreulichen Aspekt dieser Geschichte besonders Rechnung zu
tragen, ist es interessant, einen ganz ungewohnten Text aus dem Alten Testament
anzuschauen: Den Besuch der Königin von Saba bei Salomo. Die Ähnlichkeit der
Geschichten ist offensichtlich: Hier wie dort besuchen Würdenträger aus der Fremde
den König der Juden. Die Königin von Saba verkörpert das antike Herrscherideal: Sie
ist unendlich reich und sehr weise. Die Königin von Saba ist gleichsam der Inbegriff
der Weisheit. Sie ist aber zugleich auch die Repräsentantin einer fremden Kultur. Die
Königin von Saba besucht Salomo, um seine Weisheit zu prüfen. Mit sich führt sie
ausgewählte Kostbarkeiten, Zeichen ihrer majestätischen Macht und prachtvollen
Schönheit. Ein bisschen Bange könnte es einem da schon werden: Hält der Weise
Israels dem Vergleich mit der gesammelten Weisheit des antiken Orients stand? Und
es heisst: "Salomo beantwortete ihr alle ihre Fragen; nichts war dem König verborgen, es gab nichts, auf das er ihr keine Antwort hätte geben können." Ja, ihre Erwartungen seien bei Weitem übertroffen worden. Mehr noch: Die Königin von Saba sei
von den Bauten, dem Hofzeremoniell und dem Essen und auch vom Tempeldienst
derart hingerissen gewesen, dass ihr der Atem stockte.
Alles Fremde, Unheimliche, möglicherweise Feindliche fällt von der Königin ab. Sie
offenbart Salomo ihre vorbehaltslose Bewunderung. Alle ihre Schätze bringt sie Salomo dar und dieser seinerseits lässt es ihr an nichts fehlen. Alle herrliche Grossartigkeit der Königin von Saba – man beachte die ausführliche Beschreibung der Geschenke – dient nur als Mittel Vergleichs. Dargestellt werden soll schliesslich die
Grösse, Weisheit und Demut Salomos, die – wie es heisst – Gott zur Ehre dient. Dies
ist wohl die eigentliche Pointe der Geschichte: Was zeichnet die Weisheit des kleinen
Israels, gegenüber der Weisheit der antik-orientalischen Hochkulturen aus? Es sei
die Treue dem biblischen Gott gegenüber, die zur wahren Weisheit führe. So anerkennt und bekennt die fremde Königin schliesslich: „Gepriesen sei der HERR, dein
Gott, der Gefallen an dir gefunden hat und dich auf den Thron Israels gesetzt hat!
Weil der HERR Israel für alle Zeiten liebt, hat er dich als König eingesetzt, damit du
Recht und Gerechtigkeit übst.“
Und nun schauen wir auf unseren Predigttext: Eben sei dieser Jesus in Bethlehem
geboren worden. Er sei ein Nachfolger des Königs David und Salomo, so steht es im
Stammbaum am Anfang des Matthäusevangelium. Und es kommen Weise aus dem
Morgenland. Es ist zwar wörtlich nicht von 'Weisen’ die Rede, sondern von 'Magiern'.
Wir sollten nun nicht gleich an einen Zirkuszauberer denken, sondern eher an die
Königin von Saba. Gemeint sind hier Gelehrte, die alles Wissen der damaligen Zeit
studiert haben und die Schriften kennen. Dafür verehrte man sie im ganzen Orient –
auch bei den Juden. Zugleich sind sie aber eben auch Fremde und ihre Weisheit hat
etwas Fremdes. Vorstellungen anderer Religionen und Astrologie sind im Spiel. Und
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offenbar wissen sie den Aufgang eines neuen Sterns zu deuten und bringen diesen
neuen Stern nun zusammen mit einem neuen König von Israel. Woher wissen sie all
das? Die Astrologie war eigentlich in Israel und also auch im Christentum fremd.
Deshalb wohl bleibt Matthäus hier in seiner Erzählung sehr vage.
Diese fremden Weisen, ehrwürdig und unheimlich zugleich, tragen kostbare Geschenke mit sich. Sie wollen den neuen König Israels besuchen. Woher wissen sie
um die Grösse und Erhabenheit dieses neuen Königs? Ist es der Stern allein? Könnten es nicht auch die Schriften sein, die sie kennen: Sie wissen von König Salomo
und der Königin von Saba. Und so suchen unsere Weisen aus dem Morgenland den
neuen König von Israel; nicht den dumpfen, hintertriebenen König Herodes, sondern
den wahren König nach der Weise Salomos. Und als sie das Kind finden, werfen sie
sich vor ihm nieder, bringen ihre Geschenke dar und huldigen ihm, wie es die Königin
von Saba damals vor Salomo tat. So wird uns dieses Jesus-Kind, bevor es nur ein
einziges weises Wort gesprochen hat, von Matthäus präsentiert als der neue König
aus dem Geschlecht Davids und Salomos.
Matthäus hat sein Evangelium besonders für eine jüdische Hörerschaft bzw. Leserschaft geschrieben. Für dieses Publikum ist es natürlich nicht ohne Stachel, wenn erzählt wird, dass der neugeborene König der Juden oder Israels nicht etwa von den
Schriftgelehrten des eigenen Volkes, also nicht von Leuten mit dem richtigen Parteioder Gesangbuch entdeckt wird, sondern von Andersgläubigen, Astrologen, Wahrsagern irgendwo aus einem fernen Land im Osten, in dem das berühmt-berüchtigte
Babylon, das "Sündenbabel" lag. Damit soll gesagt sein: Glaubt nicht, wenn ihr die
richtige Mitgliedskarte habt oder wenn ihr einer Kirche angehört, die sich für allein seligmachend hält, dass ihr dann schon die ewige Seligkeit gepachtet und das Recht
auf eurer Seite hättet. Ihr braucht auch die Weisen aus der Fremde. Wehrt also nicht
gleich alles ab, was euch fremd scheint, um euch herum und auch in euch selbst.
Tretet mit dem Fremden in Kontakt. Prüft es im Einzelfall, bevor ihr urteilt. Denn wer
sich für Gott interessiert, der ist nie fertig, der ist lebenslang immer unterwegs. Immer
wieder müssen wir uns auf unserem Lebensweg neu orientieren, den richtigen Leitstern herausfinden unter all den Irrlichtern, die uns auf Holzwege bringen wollen, die
uns ablenken wollen von der Tatsache, dass Gott uns am ehesten in der Einfachheit,
Armut und Anmut eines Kindes begegnet.
Die Geschenke, die die Fremden bringen, haben auch symbolischen Charakter und
passen zu den Namen, die man den drei Königen dann gegeben hat: Kaspar ist persisch und heisst "Schatzmeister". Er schenkt das Gold für den König Jesus Christus,
den Herzens-König, der uns in all seinen Lebensäusserungen die Liebe zeigt. Melchior ist hebräisch und heisst "König des Lichts". Er schenkt Weihrauch für den
Priester Jesus Christus, der uns mit Gott verbindet und sein Licht in die Welt bringt.
Balthasar ist babylonisch und heisst "Gott schütze das Leben". Er schenkt die bittere
heilende Myrrhe für den Heiler Jesus Christus, der uns von Belastendem und KrankMachendem befreit. Die Myrrhe weist auch auf seine Menschheit, seine Leiblichkeit
und damit seine Sterblichkeit hin. Mit Balsam und Myrrhe hat man Leichname gesalbt.
Andererseits sind es doch eigentlich überflüssige Luxus-Geschenke. Brot und Käse
und Wolle von den Hirten wären uns sympathischer. Gold, Weihrauch und Myrrhe
kann man nicht essen und sich damit nicht kleiden. Aber in diesen Geschenken, in
denen mehr als das bloss Nützliche liegt, schwingt die Wahrheit mit: Der Mensch lebt
nicht vom Brot allein. Zum Menschsein gehört mehr als essen und trinken. Zur Menschenwürde gehört Wertschätzung, gehört das Sich-geliebt-Fühlen und -Wissen und
auch das Sich-schön-Machen.
So können wir die drei Weisen als Vorbild für uns selber nehmen. Wir können wie sie
dem Stern des Geistes nachgehen und uns selbst als Geschenk darbringen.
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Dazu zum Abschluss ein Gedicht von Karl Rahner:
Es leuchtet der Stern.
Viel kannst du nicht mitnehmen auf den Weg.
Und viel geht dir unterwegs verloren.
Lass es fahren.
Gold der Liebe,
Weihrauch der Sehnsucht,
Myrrhe der Schmerzen
hast du ja bei dir.
Er wird sie annehmen.
Lesung:
Lieder:
1. Könige 10,1-9
430,1.4-7 / 531,1-3 / 520,1-4 / 426,1-3 / 554,6
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