Handout 2015 - Regula Gerber Jenni

Kinderbelange im Scheidungsrecht
8. Mai 2015
Weiterbildung Universität Freiburg
Mitwirkungsrechte des Kindes
Elterliche Sorge
Übersicht
• Kindesinteresse, Kindeswohl, Kindeswille
• Die Anhörung des Kindes
• Die Vertretung des Kindes
• Die elterliche Sorge
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1
Partizipation
• Unmittelbare: Das Kind meldet sich persönlich
zu Wort (Anhörung, Mediation, Beratung,
Gutachten)
• Stellvertretende: Delegierte Fachperson bringt
Kindesinteressen nach Absprache mit dem Kind
ein
• Indirekte: Gericht / KESB bringt Perspektive des
Kindes aktiv und kontinuierlich ein
FamKomm Scheidung/Schreiner, Anh. Psych N 98 ff.
Erfassen der Kindesinteressen
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Anhörung: ZPO 298, ZGB 314a, BG-KKE 9
Vertretung: ZPO 299 ff., ZGB 314abis, BG-KKE 9
Beistandschaft: ZGB 308, 306 II
Aufklärung, Vertrauensperson, Beteiligung: PAVO 1a
Mitteilung / Entscheideröffnung: ZPO 301
Ermahnung, Weisung: ZGB 307 III
Mediation: ZPO 297 (218), ZGB 314 II, BG-KKE 4, 8
Gutachten: ZPO 183 ff.
Verfahrensgrundsätze: ZPO 296, ZGB 446
2
Art. 296 Abs. 1 ZPO: Untersuchungsmaxime
BGer 5A_720/2013
• Verpflichtung des Gerichts, von sich aus alle entscheidwesentlichen Elemente zu berücksichtigen
• Beweiserhebung unabhängig von den Anträgen der Parteien
• Keine Vorschrift an das Gericht, wie Sachverhalt abzuklären
ist und Beweismittel zu erheben sind Verzicht auf ein
Gutachten verstösst nicht gegen Bundesrecht, wenn
massgeblicher Sachverhalt sich auf andere Weise abklären
lässt (in einem Eheschutzverfahren muss nicht zwingend ein
Gutachten eingeholt werden)
• Untersuchungsmaxime schliesst vorweggenommene
Beweiswürdigung nicht aus: Verfügt das Gericht über
genügende Grundlagen für eine sachgerechte Entscheidung,
kann es auf weitere Beweiserhebungen verzichten
Art. 12 KRK: Recht, gehört zu werden
•
Recht des Kindes, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden,
seine Meinung in allen es berührenden Angelegenheiten
(namentlich in Gerichts- und Verwaltungsverfahren) frei zu äussern.
•
Recht auf angemessene, alters- und entwicklungsgemässe
Berücksichtigung seiner Meinung.
•
Rechtliches Gehör, unmittelbar, durch Vertreter, geeignete Stelle.
Zu Art. 12: Allg. Bemerkung (General Comment) des UN-Kinderrechtsausschusses vom 20.7.2009 www.netzwerk-kinderrechte.ch Internationales Kinderrechtsausschuss
Vgl. auch Leitlinien des Ministerkomitees des Europarates vom 17.11.2010
für eine kindgerechte Justiz www.coe.int/t/dghl/standardsetting/childjustice/Source/GuidelinesChildFrien
dlyJustice_DE.pdf
14.3382 – Postulat WBK-NR: Bilanz über die Umsetzung des Rechts auf
Anhörung nach KRK 12 (8.9.2014: NR nimmt Postulat an)
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Kindeswohl
G ist die für die Persönlichkeitsentwicklung
eines Kindes oder Jugendlichen günstige
Relation zwischen seiner Bedürfnislage und
seinen Lebensbedingungen G
Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie,
München 2015, 70.
Kindeswohl: eine Arbeitsdefinition
Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist
dasjenige, welches die an den Grundbedürfnissen
und Grundrechten von Kindern orientierte, für das
Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt.
(Jörg Maywald, Kinder haben Rechte! Kinderrechte kennen –
umsetzen – wahren, Weinheim/Basel 2012, S. 104)
BGE 132 III 359 (E.4.4.2): Das Kindeswohl hat Verfassungsrang und gilt als oberste Maxime des
Kindesrechts in einem umfassenden Sinn
(Art. 11 Abs. 1 BV).
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Kindeswille: Stadien der Willensbildung
Präintentionale Phase:
Das Woher des Willens
Intentionale Phase:
Das Wohin des Willens
• Bedürfnishintergrund
• Unbehagen, Leidensdruck,
diffuse Wünsche nach
Veränderung
• Unreflektiertes Beharren
• Zielintensionen (Absichten)
• Mittelintentionen (Vorsätze)
Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie
München 2015, 82
Kindeswille: Mindestanforderungen
Prüfkriterien für Diagnose und Prognose Kindeswille
• Zielorientierung
• Intensität
• Stabilität
• Autonomie
Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, München 2015, S. 84
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Anhörung: BGE 131 III 553 (2005)
• Anhörung ist höchstpersönliches Recht und dient
der Sachverhaltsermittlung
• Setzt Gesprächsfähigkeit / verbale
Äusserungsfähigkeit voraus, nicht Urteilsfähigkeit
i.S. von ZGB 16 (vgl. auch BGer 5A_557/2013)
• Anhörung grundsätzlich ab 6. Altersjahr
• Loyalitätskonflikt rechtfertigt Verzicht auf
Anhörung nicht
Anhörung und Urteilsfähigkeit
BGer 5A_554/2014 (ZKE 2015, S. 155 f.)
Weder ZGB 314a I noch ZPO 298 setzen die Urteilsfähigkeit
des Kindes voraus. Anhörung ab 6 Jahren, auch wenn in der
Kinderpsychologie davon ausgegangen wird, formallogische
Denkoperationen seien erst im Alter von 11-13 Jahren möglich,
in dem sich die sprachliche Differenzierungs- und Abstraktionsfähigkeit entwickelt habe.
Die Anhörung eines jüngeren Kindes – das noch nicht in der
Lage ist, einen festen Willensentschluss zu formulieren oder
seine Meinung unabhängig von den verschiedenen Einflüssen
zu äussern – dient dem Richter vorab als zusätzliche Quelle zur
Sachverhaltsabklärung, indem er seinen Entscheid auf einen
persönlichen Eindruck zu stützen vermag.
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Antizipierte Beweiswürdigung rechtfertigt
Verzicht auf Anhörung nicht
BGer 5A_821/2013, E. 4. (FamPra.ch 2014, S. 1115 ff.)
Während bei älteren Kindern der persönlichkeitsrechtliche Aspekt im Vordergrund steht und das Kind
ein eigenes Mitwirkungsrecht hat, ist die Anhörung bei
kleineren Kindern im Sinn eines Beweismittels zu
verlangen.
Soweit aber entsprechende Anträge vorhanden sind,
besteht unter Vorbehalt der vom Gesetz genannten
wichtigen Gründe eine Verpflichtung zur Durchführung
der Anhörung. Das bedeutet, dass der Antrag auf
Kindesanhörung nicht aufgrund einer antizipierten
Beweiswürdigung abgewiesen werden kann.
Anhörung: Keine Ausübung des
Persönlichkeitsrechts für junge Kinder?
BGer 5A_473/2013: Vor Eintritt der Urteilsfähigkeit des Kindes
muss Anhörung als ein der Abklärung des Sachverhaltes
dienendes Beweismittel ausdrücklich beantragt werden.
BGer 5A_754/2013: Vorwurf der Nichtanhörung scheitert bereits
daran, dass der Beschwerdeführer nicht darlegt, ob und wann
er im kant. Verfahren einen entsprechenden Beweisantrag
gestellt hätte. Bei jüngeren Kindern dient Anhörung (ab 6 Jahren
möglich) ausschliesslich der Sachverhaltsabklärung und muss
deshalb i.S. eines Beweismittels ausdrücklich angerufen
werden.
Aber BGer 5A_402/2011 (ZKE 2012, 136): Aufgrund der
Offizialmaxime ist das Kind immer anzuhören.
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Verzicht auf Anhörung, wenn @
G wenn das Kind bereits mehrmals befragt worden ist (Gutachten),
und eine neue Befragung es nur belasten, aber nichts Neues
hervorbringen würde (BGE 133 III 553; BGer 5A_869/2013 [= ZKE
2014, 350 f.])
G wenn das Alter des Kindes die Kooperation eines Elternteils
voraussetzt, dieser aber dazu nicht bereit ist (BGer 5A_144/2012)
G wenn es bereits einer spezialisierten Fachperson nicht gelingt,
die Kinder anzuhören (BGer 5A_485/2012)
G im zweitinstanzlichen Verfahren, wenn sich die tatsächlichen
Verhältnisse seit der letzten Anhörung nicht wesentlich verändert
haben (BGer 5A_911/2012, FamPra.ch 2013, 531)
G im Vollstreckungsverfahren (BGer 5A_754/2013; Ausnahme
5A_388/2008, weil der materielle Entscheid mehrere Jahre
zurückliegt)
Delegation
• Voraussetzungen der Delegation: Drittperson ist
unabhängige, qualifizierte Fachperson, Kind ist zu
entscheidrelevanten Punkten befragt worden, Ergebnis ist
aktuell (BGE 133 III 553; bestätigt in BGer 5A_148/2014)
• Gericht soll Anhörung idR selber vornehmen (Vorteil der
Unmittelbarkeit), keine systematische Delegation an
Dritte, aber auch keine unnötige Beschränkung des
gesetzlichen Spielraums (BGer 5A_397/2011)
• Übertragung an geeignete Drittperson, namentlich bei
heftigen familiären Konflikten oder Uneinigkeit bezüglich
Kinderzuteilung (BGer 5A_465/2012; ZKE 2012, 495 f.)
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Anhörung und Protokollierung
BGer 5A_361/2010: Keine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruchs, wenn den Eltern der
Inhalt der Kindesanhörung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nur summarisch mitgeteilt wird.
BGer 5A_859/2009: Für Anhörung durch Drittpersonen
bestehen keine Vorschriften formeller Natur, etwa die
Pflicht, über die Anhörung ein eigentliches Protokoll zu
erstellen.
BGer 5A_701/2011 (FamPra.ch 2012, S. 821 ff.): Stellt
das Gericht bei seinem Entscheid nicht auf die Aussagen der Kinder ab, ist es zulässig, die Parteien nicht
über die Aussagen der Kinder zu informieren.
Anhörung und Berücksichtigung des
Kinderwillens
BGer 5A_428/2014: Die vom urteilsfähigen Kind
geäusserte Meinung ist in der Entscheidfindung zu
berücksichtigen. Berücksichtigen bedeutet allerdings
nicht, dass der Wille des Kindes einen besonderen
Vorrang geniesst (ergibt sich auch nicht aus Art. 12
KRK). Der Wille des urteilsfähigen Kindes stellt mithin
ein von mehreren Beurteilungskriterien dar, die das
Gericht in die sprichwörtliche Waagschale werfen und in
seine Entscheidung einbeziehen muss. Namentlich
kommt dem (urteilsfähigen) Kind kein freies Wahlrecht
zu, wo und bei wem es leben möchte.
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Rolle der Prozessbeiständin
BGer 5P.84/2006
Die Prozessbeiständin handelt unabhängig von
Behörden und Gericht aus eigenem Recht für das
Kind. Sie hat namentlich dafür zu sorgen, dass die
Anliegen des Kindes und eine Beurteilung der
Situation aus der Sicht des Kindes in den Prozess
eingebracht werden. Ihre Sachdarstellung ist
insofern eine wertvolle Entscheidungshilfe in der
Urteilsfindung, als sie sich dazu eignen kann,
Unsicherheiten zu beseitigen und die subjektive
Meinung des Kindes klarzustellen.
Prozessbeistandschaft
BGer 5A_153/2013, ZKE 2013, 464
Ob das Kind durch einen Beistand vertreten werden
muss, prüft das Gericht von Amtes wegen, insbes. in
den Fällen gemäss Art. 299 ZPO. Selbst in diesen ist
indes nicht automatisch ein Vertreter zu ernennen oder
formell über die Bestellung eines solchen zu entscheiden; das Gericht trifft insoweit einen Ermessensentscheid über eine Option.
Zur Entschädigung: BGer 5A_168/2012 (= ZKE 2012,
503); BGer 5A_701/2013 (= FamPra.ch 2014, 493 ff.)
BGer 5A_286/2014 und 5A_380/2014, beide 30.9.2014
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Kindesvertretung nach ZPO 299 im Verfahren
vor Bundesgericht
BGer 5A_768/2011: Nichteintreten auf Antrag der Beiständin an
das BGer, den Kindern eine Vertretung nach ZPO 299 zu bestellen
ZPO regelt nur Verfahren vor den kantonalen Instanzen. Im
Verfahren vor BGer findet sie keine Anwendung. Das auf das
dieses Verfahren anwendbare Bundesgerichtsgesetz sieht eine
entsprechende Vertretung des Kindes nicht vor.
BGer 5A_473/2013: BGer als dritte Instanz bestellt dem Kind nur
ganz ausnahmsweise von Amtes wegen eine Vertretung (Beispiel:
BGer 5A_537/2012). Deshalb und auch zur Vereinfachung der
Dinge rechtfertigt es sich, das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege gutzuheissen, unter Bezeichnung von Rechtsanwältin
Y als unentgeltliche Vertreterin von X (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
Kindesvertretung: neuste Entwicklungen
BGer 5A_827/2013: Rückweisung der Sache zur weiteren Abklärung und Neuentscheidung – und (E. 4.1.):
«Im weiteren Verfahren vor der Kindesschutzbehörde
wird ausserdem zu prüfen sein, ob dem Kind ein Prozessvertreter gemäss ZGB 314abis zu bezeichnen ist.»
Revision Kindesunterhalt: Kindesvertretung ist auch für
Fragen des Kindesunterhalts zuständig (Art. 299 f. ZPO
werden ergänzt)
Revision Adoption: Neuer Art. 268ater (Vertretung des
Kindes in Analogie zu Art. 299 ZPO)
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Anhörungsrecht der Eltern vor Erlass des
Entscheides über die Einsetzung eines
Prozessbeistandes des Kindes
Art. 299 Abs. 1 ZPO: Anhörungsrecht der Eltern vor
Erlass des Entscheides über die Einsetzung eines
Prozessbeistandes des Kindes: Der Gehörsanspruch
der Eltern im Zusammenhang mit der Ernennung eines
Kinderprozessbeistandes umfasst auch das
Anhörungsrecht der Eltern zur Person des Beistandes.
ZH Obergericht PC120043, in: FamPra.ch 2013, 831 ff.
Rückwirkung des neuen Rechts
SchlT ZGB 12 Abs. 4 und 5: Geschiedene (5 Jahre nach
Scheidung) oder unverheiratete Eltern ohne elterliche Sorge
können ohne die Zustimmung des anderen Elternteils die
gemeinsame elterliche Sorge innerhalb eines Jahres seit
Inkrafttreten des neuen Rechts beantragen.
BGer 5A_92/2014, 5A_724/2014: Nach ZGB SchlT 12 I ist
das neue Recht, soweit es die Wirkungen des Kindesverhältnisses betrifft, an sich sofort anwendbar. Für hängige
Scheidungsverfahren sieht ZGB SchlT 7b allerdings vor,
dass das neue Recht nur von den kantonalen Instanzen
anzuwenden ist (Abs. 2), während das Bundesgericht
hängige Verfahren nach altem Recht beurteilt (Abs. 3).
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12
BGer 5A_92/2014 E. 2.1.
«G die vorliegende Rechtsänderung (G), welche keine
kategorische Beibehaltung des gemeinsamen
Sorgerechtes im Scheidungsfall stipuliert, sondern bei
Gefährdung des Kindeswohls die Alleinzuteilung
vorsieht.»
ZGB 301 Abs. 1bis
Inhalt der elterlichen Sorge, unter anderem @
G kann der Elternteil, der das Kind betreut, allein
entscheiden, wenn:
1. Die Angelegenheit alltäglich oder dringlich ist;
2. Der andere Elternteil nicht mit vernünftigem
Aufwand zu erreichen ist.
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ZGB 301a
Bestimmung des Aufenthaltsortes
Elterliche Sorge umfasst das Aufenthaltsbestimmungsrecht für
das Kind Zustimmung des andern sorgeberechtigten
Elternteils bzw. Entscheid des Gerichts oder der KESB
• für Umzug ins Ausland oder
• bei Umzug innerhalb der Schweiz, wenn dies erhebliche
Auswirkungen auf die Sorgerechtsausübung und den
persönlichen Verkehr / Betreuung hat (vgl. BGer 5A_784/2014)
Informationspflicht (rechtzeitig) für den alleinsorgeberechtigten Elternteil bei Wechsel des Aufenthaltsortes des Kindes
Informationspflicht desjenigen Elternteils, der seinen eigenen
Wohnsitz wechseln will
Anpassung der Regelung der Kinderbelange
(Vgl. Gloor / Simoni, 2014)
BE OG Entscheid 2013-8365: Art. 301a ZGB
(FamPra.ch 2015, S. 249 ff.)
Kein Vetorecht des ebenfalls sorgeberechtigten, aber nicht
hauptbetreuenden Elternteils gegen eine Übersiedlung des
hauptbetreuenden Elternteils mit dem Kind ins Ausland.
Abzuwägen sind im Licht des Kindeswohls die Übersiedlung
mit dem hauptbetreuenden Elternteil ins Ausland und der
Verbleib beim bisher nicht hauptbetreuenden Elternteil in der
Schweiz, was voraussetzt, dass dieser eine Alternative
anbietet.
Dem umzugswilligen hauptbetreuenden Elternteil kann nicht
vorgeschrieben werden, mit dem Kind in der Schweiz zu
verbleiben, selbst wenn dies die für das Kind beste Lösung
wäre. Damit würde das Selbstbestimmungsrecht des
umzugswilligen Elternteils übermässig beeinträchtigt. Vorbehalten bleiben Fälle einer eigentlichen Kindesgefährdung.
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BGE 141 IV 10
Jeder Elternteil, der das Recht hat, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, ist grundsätzlich berechtigt, diesen zu verändern, ohne eine
Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB zu
begehen. Widerspricht die Verbringung des Kindes
an einen anderen Ort massiv dessen Interessen
und Wohl, lässt sich die Tat nicht mehr mit dem
Aufenthaltsbestimmungsrecht rechtfertigen
(Präzisierung der Rechtsprechung; E. 4.5).
(Zusammenfassung in ZKE 2/2015, S. 156 f.; vgl. auch ÜR 135-14
und 141-14 in ZKE 6/2014 und BGer 5A_784/2014)
BGer 5A_112/2014 E. 2.1. (11. Juli 2014)
Für Obhutszuteilung gelten grundsätzl. gleiche Kriterien
wie im Scheidungsfall. Kindeswohl hat Vorrang vor allen
anderen Überlegungen, insbes. vor Wünschen der Eltern.
• Erziehungsfähigkeit
• (Persönliche) Betreuung
• Stabilität der örtlichen und familiären Verhältnisse
• Wunsch des Kindes
• Bereitschaft eines Elternteils, mit dem anderen in Kinderbelangen zusammenzuarbeiten, insbes. Beziehung
zum andern Elternteil zuzulassen und aktiv zu fördern
• Geschwister nach Möglichkeit nicht zu trennen
• persönliche Bindung und echte Zuneigung
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ZGB – Kindesunterhalt: Art. 298 Abs. 2bis, ter
Änderung vom 20. März 2015; Referendumsfrist bis 9. Juli 2015
Es [das Gericht] berücksichtigt beim Entscheid über
die Obhut, den persönlichen Verkehr oder die
Betreuungsanteile das Recht des Kindes,
regelmässige persönliche Beziehungen zu beiden
Elternteilen zu pflegen.
Bei gemeinsamer elterlicher Sorge prüft es im
Sinne des Kindeswohls die Möglichkeit einer
alternierenden Obhut, wenn ein Elternteil oder das
Kind dies verlangt.
BGer 5A_345/2014: Alternierende Obhut
Zusammenfassung in ZKE 2014, S. 522
Bei der aO verfügen die Eltern über das gemeinsame
Sorgerecht, teilen aber Kinderbetreuung abwechselnd
für mehr oder weniger gleichlange Zeiträume auf. Auch
bei Einvernehmen der Eltern ist die aO auf ihre Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl zu prüfen und hängt damit
von den konkreten Umständen (Alter des Kindes, jeweilige Entfernung zwischen elterlichen Wohnungen
und Schule, elterliche Kooperationsfähigkeit.) Das
Gericht, das aO angeordnet hat, ging davon aus, dass
angesichts der Aufteilung der Betreuung während der
letzten 6 Monate eine solche faktisch bereits bestehe.
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BGer 5A_972/2013: Obhutszuteilung
(Eheschutz); FamPra.ch 2014, S. 1024
Bei der Obhutszuteilung steht nicht im Vordergrund, welche Betreuungsanteile ein Elternteil in der Vergangenheit
hatte, sondern wozu er diesbezüglich in Zukunft bereit und
in der Lage ist. Sind beide Eltern gewillt und fähig sowie in
gleicher Weise in der Lage, persönlich für das Kind zu sorgen, kommt es bei der Obhutszuteilung entscheidend auf
die Stabilität der örtlichen und familiären Verhältnisse an.
(G) Derjenige Elternteil verdient den Vorzug, der in der
Lage ist, das Kind – ohne dass dieses gefährdet wird –
weitgehend persönlich und in der bisherigen Umgebung
zu betreuen.
Erziehungsfähigkeit
BGer 5A_905/2011, ZKE 2012, 325: Obhutszuteilung im Eheschutzverfahren: Informiert ein Elternteil seine Kinder wissentlich
falsch über die gerichtliche Obhutsregelung und bezieht sie in den
ehelichen Konflikt ein, so sind Zweifel an seiner Erziehungsfähigkeit gerechtfertigt.
BGer 5A_157/2012, FamPra.ch 2012, 1094: Werden die Kinder
durch einen Elternteil offensichtlich manipuliert, ist es nicht
willkürlich, dessen Erziehungsfähigkeit als eingeschränkt zu
beurteilen. Wird die Erziehungsfähigkeit als wichtigstes Zuteilungskriterium verneint, rücken die anderen Kriterien in den Hintergrund.
Es kann nicht zum Wohl der Kinder sein, diese der Obhut
desjenigen Elternteils anzuvertrauen, dessen Erziehungsfähigkeit
bezweifelt wird.
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17
Kooperationsfähigkeit und Bereitschaft zur
Berücksichtigung hiesiger Anschauungen:
BGer 5A_138/2012, ZKE 2012, 493
Der Vater, der in seinen Erziehungsvorstellungen stark durch
seine Herkunft aus dem Kosovo geprägt ist, fördert die
Entfremdung des Sohnes von der Mutter. Diese ist jedoch
bereit, mit Dritten zusammenzuarbeiten und auf die hiesigen
Anforderungen und Anschauungen im schulischen und im
allgemeinen kulturellen Umfeld Rücksicht zu nehmen. Dies
kann dem Wohl des Kindes (geb. 2004), das in der Schweiz
aufwächst und hier zur Schule geht, hier seinen Freundeskreis aufbaut und sich dereinst dem hiesigen Arbeitsmarkt
wird stellen müssen, nur dienlich sein.
Stabilität der Verhältnisse bei schwieriger
elterlicher Kooperation: BGer 5A_354/2010
Manipulativ-intrigantes, verantwortungsloses Verhalten
beider Eltern bezüglich Kinder Festhalten am Status Quo
ist grundsätzlich sachgerechter, zumal Obhutsumteilung
schon per se heikel ist. Und: Je länger ein Verfahren dauert,
desto problematischer wird eine Umteilung gegen den
Kindeswillen und desto mehr gewinnt die Stabilität der
Verhältnisse an Bedeutung (bestätigt in BGer 5A_452/2013).
Kinder sind seit rund 23 Monaten beim Vater Stabilität
darf priorisiert werden, trotz besserer Eigenbetreuungskapazität der Mutter und eventueller personeller Änderung
im väterlichen Betreuungsumfeld.
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Persönliche Betreuung
BGer 5A_319/2013: Ist Erziehungsfähigkeit bei beiden Elternteilen
gegeben, sind vor allem Kleinkinder und grundschulpflichtige
Kinder demjenigen Elternteil zuzuteilen, der die Möglichkeit hat und
dazu bereit ist, sie persönlich zu betreuen (FamPra.ch 2014,177ff.).
BGer 5A_458/2013: Die zeitliche Verfügbarkeit und damit die
Möglichkeit der persönlichen Betreuung kann hinter das Kriterium
der Stabilität der örtlichen und familiären Verhältnisse zurücktreten,
soweit Eltern ungefähr gleiche erzieherische Fähigkeiten haben.
BGer 5A_22/2010: Neben zeitlicher Verfügbarkeit ist auch Qualität
der Betreuung zu berücksichtigen. Persönliche Betreuung ist vor
allem eine aktive Betreuung, insbesondere dann, wenn das Kind
noch nicht schulpflichtig und tagsüber zu Hause ist. Blosse Erreichbarkeit oder Anwesenheit im Alltag ist kein Betreuungskonzept.
Geschwister
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•
BGer 5A_183/2010: Geschwister nach Möglichkeit nicht
trennen;
aber Trennung möglich, wenn •
G aufgrund grossen Altersunterschieds von unterschiedlichen
Bedürfnissen, insbes. von emotionalen Bindungen und
Wünschen auszugehen ist (BGer 5A_444/2008);
•
G wenn zwischen Vater und 12jähriger Tochter Konflikte
bestehen und diese wiederholt geäussert hat, sie wolle bei der
Mutter wohnen, und die Parteien diese Situation bereits vor dem
angefochtenen Urteil selber herbeigeführt haben (BGer
5A_452/2013; ZKE 2014, 153 f.).
•
Trennung der Geschwister in Bezug auf das Sorgerecht ist nicht
bundesrechtswidrig (BGer 5A_653/2013; ZKE 2014, 161 f.).
19
Umteilung des Obhutsrechts: BGE 138 III 565 (Grundsätze für die
Behandlung des Gesuchs um Aufschub der Vollstreckung eines
die Obhut regelnden erstinstanzlichen Massnahmeentscheides)
Verbleibt das Kind (das mit dem nichthauptbetreuenden
Elternteil die Familienwohnung verlassen hat) gestützt auf das
erstinstanzliche Urteil beim hauptbetreuenden Elternteil, ist der
Berufung des nichthauptbetreuenden Elternteils die
aufschiebende Wirkung in der Regel zu verweigern. Wenn aber
das erstinstanzliche Gericht in Abweichung der bisherigen
hauptsächlichen Betreuung des Kindes durch einen Elternteil
die Obhut dem anderen zuweist, gebietet im Zweifel das Wohl
des Kindes den bisherigen Zustand aufrechtzuerhalten bzw.
wieder herzustellen und das Kind vorerst bei der bisherigen
Hauptbezugsperson zu belassen. (Vgl. auch ZKE 2014, S. 524)
Umteilung des Sorgerechts
(ZGB 134 I gilt wie bisher)
Neuregelung der eS, wenn dies wegen wesentlicher
Veränderung der Verhältnisse zum Wohl des Kindes
geboten ist Neuzuteilung nur dann, wenn Kindeswohl
durch Beibehaltung der bisherigen Regelung ernsthaft
bedroht ist. Die Veränderung der Verhältnisse muss die
Änderung der Sorgerechtsregelung zwingend gebieten,
weil die aktuelle Regelung dem Kind mehr schadet als
eine Änderung derselben und der damit verbundene
Verlust an Kontinuität in der Erziehung und den
Lebensumständen (BGer 5A_29/2013). (Vgl. auch ÜR
135-14 in ZKE 6/2014; zur Umteilung der Obhut vgl.
BGer 5A_148/2014)
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