Frank Stella

Freitag, 26.&6.&2015*5. Jahrgang*
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PLATZ
Steinwüsten statt Orte der
Begegnung – Basels Planer
tun sich schwer mit Plätzen.
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6
FOTO: HANS-JÖRG WALTER
FÜR
MEHR
Wohnen
Die Mieten müssten sinken – doch die
Mieter kämpfen nicht für ihr Recht.
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14
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Frank Stella
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INHALT
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Antonio Loprieno!FOTO: BASILE BORNAND
Der abtretende Rektor der Uni Basel über die drohenden Baselbieter Finanzkürzungen,
die Zuwanderungs-Initiative und die Rückständigkeit der Geisteswissenschaften.
Mieten!FOTO: LIVIO MARC STÖCKLI
Die Mieten sollten sinken. Aber Mieter
halten sich zurück mit Forderungen.
Wimbledon!FOTO: REUTERS
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Die Tennis-Schweiz ist vom Erfolg
verwöhnt. Das wird nicht so bleiben.
Eidgenössische Wahlen
Der Wahlkampf im Baselbiet
kommt in Fahrt. Die Grüne
Maya Graf bangt um ihren
Nationalratssitz und Christoph
Buser (FDP) will ins Stöckli.
TagesWoche
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Rasenthiran Velayutham
Bestattungen
Kulturflash
Sie, er, es
Impressum
Kultwerk
Wochenendlich
Zeitmaschine
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S. 4
S. 40
S. 41
S. 43
S. 43
S. 44
S. 45
S. 46
EDITORIAL
PORTRÄT
Auf die Plätze, fertig, los!
Dani Winter
Redaktionsleiter
Rasenthiran Velayutham
P
latz zum Versauen gibt es im engen Basel
wahrlich nicht. Umso erstaunlicher ist es,
wie lieblos viele Plätze gestaltet sind.
Oder trifft es mutlos besser?
Manche Plätze erkennt man nur am Strassenschild. Wer käme schon auf die Idee, beim
Holbeinplatz von einem Platz zu sprechen?
Oder beim Erasmusplatz, der, notabene, nicht in
den 1960er-Jahren verbrochen wurde – ihn hat
man in diesem Jahrtausend neu gestaltet. Haben
Sie nicht gemerkt? Eine lässliche Sünde, man
braucht schon ein geschultes Auge, um es zu
erkennen. Ampereplatz: Nie gehört? Kein Wunder, es ist der unscheinbare Platz vor der Voltahalle, der so heisst.
Ob Messe-, Münster- oder Marktplatz: Nirgends kollidieren die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen so heftig wie bei der Gestaltung dieser Flächen. Mal sind es kommerzielle
Gründe, mal steht der Wunsch nach Sauberkeit
und Ruhe im Vordergrund – und dann kommen
auch noch jene, die ein Bedürfnis nach mehr
Freiraum anmelden. Darum macht man als
Stadtplaner am besten: gar nichts.
Vielleicht ist es auch besser so. So wird
wenigstens nichts Intaktes zerstört. Denn auch
das gibt es: schöne, romantische, lauschige,
mehr oder weniger frequentierte Plätze, die prima funktionieren. Bei anderen – dem Aeschenplatz zum Beispiel, um nur einen zu nennen –
weiss jeder Stadtplaner, dass akuter Handlungsbedarf besteht. Doch dieses verworrene Geflecht traut sich offenbar keiner anzurühren.
Wir haben uns auf Basels Plätzen umgesehen, sind ihrer Geschichte und ihren Geschichten nachgegangen, um herauszufinden,
was einen guten Platz ausmacht. Überraschendes Fazit dieser Untersuchung: Am besten funktionieren die Plätze, die eigentlich keine sind.
Das Rheinufer etwa. Oder die Rheingasse.
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×
von Jeremias Schulthess
Er hat einen der schlimmsten Jobs in
Basel: Rasenthiran Velayutham putzt
an Wochenenden die Toiletten bei
McDonald’s am Barfüsserplatz.
R
asenthiran Velayutham steht
neben der jungen Frau, die mit
ihrem Kopf im Mülleimer hängt.
Es ist kurz vor zwei Uhr nachts
im McDonald’s am Barfüsserplatz. Zwei Minuten zuvor hat die Frau in den Mülleimer
im zweiten Stock des Restaurants erbrochen, jetzt sucht sie nach ihrem Ohrring.
Wie dieser aussehe, will Velayutham wissen, das Mädchen antwortet nicht. Dann
geht er auf die Frauentoilette und kommt
mit einem silbernen Ring zurück. Velayutham legt den Ring auf das Tablett über
dem Mülleimer und schüttelt den Kopf.
Solches erlebe er jedes Wochenende,
sagt er und lächelt. Velayutham arbeitet als
Reinigungskraft bei McDonald’s, immer
freitags und samstags von 17 bis 2 Uhr. Er
fegt hinter dem Partyvolk her, wischt das Erbrochene von den Tischen, putzt in den Toiletten den Urin vom Boden. Das Schlimmste seien weggeworfene Tampons auf dem
Boden des Frauenklos, erzählt Velayutham.
Dann ist es wieder da, sein Lächeln.
Weiterlesen, S. 6
«Vergebene
Chancen»,
tageswoche.ch/
+jvvc3
Putzen für den Familiennachzug
Im Fast-Food-Restaurant am Barfi treffen jedes Wochenende Welten aufeinander.
Hier die Partygänger, die einen Zwischenstopp einlegen, um ihre Blase oder ihren
Magen zu entleeren, dort der Angestellte,
der Toiletten putzt, um seine Familienangehörigen in die Schweiz zu holen.
Seit 2007 lebt der Tamile in der Schweiz.
Er flüchtete vor dem Regime in Sri Lanka,
kam über Katar in die Schweiz und wurde
vorläufig aufgenommen. Etwa 20)000 Franken habe er für seine Flucht bezahlt, sagt
Velayutham. 2009 wurde sein Asylantrag abgelehnt. Da die Lage in Sri Lanka aber angespannt blieb, durfte Velayutham als vorläufig Aufgenommener in der Schweiz bleiben.
Später erhielt er eine B-Niederlassungsbewilligung, seine Situation wurde als Härtefall eingestuft. Das heisst: Er wurde zwar
nicht als Flüchtling anerkannt, weil er aber
genug verdiente, um sich selbst über die
Runden zu bringen, durfte er bleiben. Seine
Aufenthaltserlaubnis wird jedes Jahr neu geprüft, wenn er keine Arbeit mehr hat, wird
der B-Ausweis nicht erneuert.
Der 46-Jährige wohnt in Möhlin und arbeitet neben seiner Stelle bei McDonald’s in
einem Altersheim in Tecknau, ebenfalls als
Reinigungskraft. Er sei dankbar, eine Stelle
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Eine Rückkehr nach Sri Lanka wäre zu riskant: Rasenthiran Velayutham ist dankbar, in der Schweiz einen Job zu haben.
FOTO: B. BORNAND
und einen Lohn zu haben, sagt Velayutham. nur deshalb die Toiletten putzen, weil er
Seine Frau lebt noch in Sri Lanka, er hat
Von der Sozialhilfe sei er nur kurze Zeit ab- eine dunkle Hautfarbe habe. «In solchen sie sieben Jahre lang nicht gesehen. Seit MoMomenten lächle ich äusserlich, innerlich naten sei sie so krank, dass er den Besuch in
hängig gewesen, das ist ihm wichtig.
Beim Gespräch, das wir auf der Integrati- bin ich aber wütend.»
seine Heimat wagen wollte. Im April hatte er
onsstelle Freiplatzaktion führen, ist ein
einen Flug gebucht, kurz vor Abflug sagte er
Angst vor der Rückkehr
Übersetzer dabei. Velayutham spricht nur
jedoch ab. Er hatte gelesen, dass Landsleute
wenig Deutsch. «Kein Problem» und «DanEr erlebe aber auch positive Momente, in Colombo verhaftet worden waren. Die
ke vielmol» gehen ihm leicht über die Lip- sagt Velayutham. Etwa wenn sich Jugend- Angst war stärker als der Wunsch, seine Frau
pen, lange Sätze fallen ihm schwer. Auf- liche auf der Restauranttoilette bei ihm be- wiederzusehen. Er wird nun weiter die Bögrund der Sprachbarriere fühle er sich noch danken und ihm Trinkgeld anbieten. Dieses den und Toiletten wischen. So kann er sei«sehr eingeschränkt», wie ein sechsjähriger nimmt er nicht an, denn Trinkgeld fliesst bei ner Frau immerhin Geld zukommen lassen.
Bub, sagt er lachend. Obwohl er fast alles McDonald’s als Spende an Kinderprojekte.
Um 2 Uhr hat Velayutham Feierabend.
verstehe, könne er sich kaum unterhalten.
Dass alles bestimmten Regeln folge, je- Während die Partygänger in der SteinenvorWelche negativen Erfahrungen hat des Tram pünktlich abfahre und die Ange- stadt ihre Cocktails schlürfen, eilt er zum
Velayutham in der Schweiz gemacht? Er stellten im Coop ihn mit einem freundli- Bahnhof. Um 3 Uhr fährt der letzte Zug nach
überlegt kurz. Einmal habe ihn eine «weisse chen «Grüezi» begrüssen, das gefalle ihm Möhlin, um 4 Uhr wird er daheim sein. Dann,
Mitarbeiterin» angewiesen, die Toiletten zu sehr in der Schweiz. Seit Velayutham hier wenn sich auch die Nachtschwärmer langputzen. Sie sei nicht seine Vorgesetzte gewe- lebt, war er nie mehr in seinem Heimatland – sam auf den Heimweg machen.
sen, Velayutham hatte das Gefühl, er müsse aus Angst vor dem Regime.
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Stadtplanung
Manche Basler Plätze sind wenig belebte
Steinwüsten, die nicht zum Verweilen
einladen. Die Stadt hat Besseres verdient.
VERGEBENE
CHANCEN
TagesWoche
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von Dominique Spirgi
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der Kanton in den Wohnquartieren rund um
die Kernstadt herum etliche wenig
attraktive Orte und Unorte in «Begegnungszonen» umgewandelt. Mit höchst unterschiedlichem Erfolg.
Auf unbestritten positive Resonanz stiess
zum Beispiel die Claramatte, die nun nicht
mehr eine eingezäunte, verwahrloste Grünfläche ist, sondern als einladendes und lebendiges Quartierzentrum von der ansässigen Bevölkerung und aussenstehenden Beobachtern gleichermassen geschätzt und
gelobt wird.
Ein stimmiges Bild vermittelt auch der
Vogesenplatz, der langsam, aber sicher seiner Rolle als Zentrum des neuen Quartiers
beim Bahnhof St. Johann gerecht wird. Den
Platzgestaltern ist es gelungen, in der nicht
einfachen Umgebung, die unter anderem
von der Rampe der Luzernerring-Brücke
dominiert wird, eine ansprechende Lösung
zu finden. Der samstägliche St.-JohannsMarkt unterstreicht die Zentrumsfunktion,
die der Platz einnimmt.
ie Herbstmesse macht alle
gleich. Wuselnde Menschenmassen, Vergnügungsbahnen,
Wurstbuden und Marktstände
verwandeln sie alle in Rummelplätze: den
würdevollen Münsterplatz, den Barfüsserplatz als Sammelbecken der urbanen Eventkultur, den zurückhaltend vornehmen Petersplatz, das Kasernenareal als sich ewig
neu erfindender Ort der Multi-, Alternativund mittlerweile auch Militärkultur – und
den Messeplatz.
Auf dem Messeplatz hat es die Herbstmesse nicht mehr so leicht, seit der mächtige Neubauriegel die Hälfte des Platzes
überdeckt und diesen in eine schwer definierbare Mischung aus Foyer und überdimensionierter Unterführung verwandelt
hat. Nachts oder bei bedecktem Himmel
dringt trotz imposanter Öffnung in der Mitte kein oder kaum Licht ein. Und die Vergnügungsbahnen, die sich darunter drehen,
werden vom schweren Deckel schier erSinnbild für eine Fehlplanung
drückt.
«City Lounge» hat die Messe Schweiz den
Auf sehr viel weniger Zuspruch stiess daüberdeckten Teil des Platzes etwas über- gegen der umgestaltete Rütimeyerplatz im
mütig getauft. Lounge-Stimmung kommt Bachlettenquartier. Die bewusst zurückhalallenfalls dann auf, wenn die Messeverant- tende Gestaltung – im Jurybericht zum Gewortlichen den Platz während der Leitmes- staltungswettbewerb war von einer Kombise Baselworld mit Zierbäumchen und nation der «funktionalen Ansprüche eines
Sitzbänken schmücken und möblieren. Platzes mit denjenigen einer durchgehenSonst ist vom «hellen Ort mit einer warmen den Strasse» die Rede – und die seltsam verAtmosphäre», wie es in einem Beschrieb der schlungenen Wege sorgten für viel Spott
Messe Schweiz heisst, wenig bis gar nichts und Hohn. Der Platz wurde in weiten Teilen
zu spüren.
der Bevölkerung zum Sinnbild einer Fehlplanung.
Ein klotziger Riegel teilt die Stadt
Das änderte sich, als die Platzgestaltung
Der 2013 eingeweihte neue Messeplatz ist auf Anregung der Anwohnerschaft nachkein Produkt minutiöser Stadtplanung, son- gebessert wurde. So wurde die Verkehrsfühdern ein Resultat, das sich aus dem Diktat rung vereinfacht, zudem wurden zehn zuder Funktion ergeben hat. Er ist so, weil die sätzliche Bäume gepflanzt. Mittlerweile
Messe den Neubau so gross wollte, so dass er strahlt der Platz nicht mehr ganz die Atmonun als Querriegel die wichtige Strassen- sphäre einer überdimensionierten Kreuund Platzachse zwischen Mittlerer Brücke zung aus.
und Badischem Bahnhof durchbricht.
Ganz unterschiedlich werden andere
Aus Furcht, ihr könnten Parkplätze ge- umgestaltete Quartierplätze wahrgenomstrichen werden, wollte die Messe das beste- men. So scheidet der neugestaltete Tellplatz
hende Parkhaus nicht abbrechen. Dass sie im Gundeldinger-Quartier nach wie vor die
dies nun nachträglich dennoch tun will, Geister, auch wenn er an warmen Tagen mit
nimmt ihr der Basler Heimatschutz übel. seinen Strassencafés eigentlich recht belebt
Vor knapp einem Jahr stellte die Messe wirkt. Der Tellplatz hat aber mit einem ProbSchweiz die Resultate einer Testplanung für lem zu kämpfen, das in Basel weit verbreitet
einen multifunktionellen Neubau anstelle ist: mit dem dichten Tramverkehr, der Strasdes heutigen Parkhauses vor. Präsentiert sen und Plätze durchschneidet.
wurden zwei Hochhausprojekte, die den
Stillstand in der Talachse
nicht überdeckten Teil des Platzes auch
dann beleben sollen, wenn keine GrossmesDas tritt besonders deutlich bei den Plätse stattfindet. Die 1400 Parkplätze sollen un- zen der Birsigtalachse zutage. Der Tramverter den Boden verschwinden.
kehr und die trotz des neuen VerkehrskonDas Beispiel zeigt: Basel und seine Plätze zepts Innenstadt nach wie vor gut befahrene
sind ein Panoptikum von vielen kleinen und Strasse auf der anderen Seite degradieren
grösseren Leidensgeschichten. Manche von den Marktplatz – eigentlich das politische
ihnen finden aber auch zu einem guten und zivile Zentrum Basels – zur überdimenEnde. Andere Projekte wiederum schiebt sionierten Verkehrsinsel. Und auf dem Barman vor sich her. Oder man findet sich da- füsserplatz schneiden die Tramgleise und
das bunkerartige Tramhaus (der Begriff
mit ab, dass es keine Lösung gibt.
Im Zuge des «Aktionsprogramms Stadt- Häuschen würde hier nicht passen) den leentwicklung», das aus der grossen Mitwir- bendigeren Teil des Platzes mit den Bars
kungskampagne «Werkstatt Basel» Ende und Restaurants vom eigentlichen Platz vor
der 1990er-Jahre heraus entstanden ist, hat der Barfüsserkirche ab.
Vielleicht ist das mit ein Grund, warum
die zunehmend verwahrlost wirkenden
Plätze entlang der Talachse, die eigentlich
dringend eine gestalterische Auffrischung
benötigten, seit Jahrzehnten unberührt bleiben. Verschiedene Anläufe zur Neugestaltung blieben ohne Folgen.
Folgenloser Wettbewerb
Ende der 1970er-Jahre hatte die Basler
Regierung einen Projektwettbewerb zur
Neugestaltung des Marktplatzes lanciert.
Auf dem ersten Platz landete ein Vorschlag
des damals noch kaum bekannten jungen
Architekturbüros Herzog & de Meuron.
Durch eine Öffnung im Boden hätte der unter dem Platz fliessende Birsig sicht- und
hörbar gemacht werden sollen.
Jacques Herzog ist noch heute überzeugt
von seinem Vorschlag, der aber in einer
Schublade landete, die bis heute nicht mehr
geöffnet wurde. Bis zum nächsten Anlauf
zur Neugestaltung des Marktplatzes werden
etliche Jahre verstreichen. Der Platz vor
dem eigenen Rathaus besitzt im Entwicklungsrichtplan Innenstadt lediglich zweite
Priorität. Das heisst konkret, dass der Platz
vor dem Zeitraum 2021 bis 2028 weiterhin
unberührt bleiben wird.
Dasselbe gilt auch für den Barfüsserplatz,
der 1979 sein heutiges Gesicht erhielt. Zwar
rang sich die Regierung dazu durch, den
Platz im Zuge des avisierten Neubaus des
Stadtcasinos umzugestalten. Doch mit der
wuchtigen Ablehnung des Projekts von Architektin Zaha Hadid wurden auch diese Pläne wieder auf Eis gelegt. Das aktuelle Erweiterungsprojekt des hinteren Traktes mit dem
Grossen Musiksaal ist wiederum nicht mit
einer Neugestaltung des Platzes verbunden.
Eine unverbindliche Idee, wie der Platz
gestalterisch aufgefrischt werden könnte,
vermittelt eine Visualisierung des holländischen Planungsbüros Okra Landschapsarchitecten aus dem Jahr 2011, die am Gestaltungskonzept Innenstadt mitgearbeitet
hatten. Das Bild zeigt einen offenen und
durchlässigen Platz, der sich nicht mehr wie
ein Hof gegen das rege befahrene Tramtrassee abschottet (ein Hof, der übrigens ausgesprochen rege bespielt wird; die aktuelle Belegungsliste der Allmendverwaltung für den
Barfüsserplatz füllt ganze sechs A4-Seiten).
Das aus einem Wettbewerb siegreich hervorgegangene Projekt ist offiziell aber lediglich als «Grundlage für die Erarbeitung von
konkreten Gestaltungsprojekten für Strassen, Gassen und Plätze der Basler Innenstadt» gedacht, wie es auf der Website des
Basler Planungsamtes heisst.
Was den Umgang mit den Plätzen im
Zentrum angeht, scheint Basel etwas langsam zu ticken. Das gilt auch für das Prunkstück der Basler Plätze, den Münsterplatz.
Dieser präsentiert sich heute zwar mit einer
nagelneuen und aufwendigen Pflästerung.
Es hatte aber Jahrzehnte gedauert, bis der
Platz endlich von den dort parkierenden
Autos befreit werden konnte.
Dass der Münsterplatz schön ist, darüber
sind sich alle einig. Bei der Frage aber, wie
belebt der Platz sein darf, scheiden sich die
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Der Claraplatz ist in den Augen von Ordnungspolitikern ein Schandfleck – obwohl er zu den funktionierenden Plätzen der Stadt zählt.
Geister. Während Vereinigungen wie Kul- rungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg
turstadt jetzt den Platz gerne als Eventort dürfte die Ruhe dem Platz gut getan haben.
nutzen würden, kämpfen Anwohner und So ist es nicht zuletzt seiner Abgeschiedenmit ihnen die Evangelisch-reformierte Kir- heit und der Distanz zur lebendigen Talche sowie die Allgemeine Lesegesellschaft stadt zu verdanken, dass der Platz nie dem
für dessen «Würde als sakraler und besinnli- Investitionsdruck des Gewerbes ausgesetzt
cher Ort», wie es in den Zielsetzungen des war und damit von Verschandelungen verVereins Pro Münsterplatz heisst, der die In- schont blieb, wie der im letzten Jahr verstorteressen der Anrainer vertritt.
bene ehemalige Basler Denkmalpfleger
Der Verein wehrt sich gegen das Image Alexander Schlatter 2011 in einem Aufsatz
als Verhinderer. Er hatte 2010 zwar erfolg- bemerkte.
reich die Einrichtung einer Buvette unter
Funktionierende urbane Plätze
den Bäumen beim Kleinen Münsterplatz
verhindert. Gleichzeitig trat der Vorstand im
Es gibt sie aber auch noch, die Plätze in
vergangenen Jahr aber als Veranstalter eines der Basler Innenstadt, die funktionieren,
ohne dass der Staat gestalterisch aktiv einkleinen Musikfestivals auf dem Platz auf.
Wie viel Leben dem Platz neben den be- greift. Der lauschige Andreasplatz gehört
reits bestehenden Events wie Herbstmesse dazu, auf dem das Nebeneinander von Leoder Open-Air-Kino guttun würden, darü- ben auf dem Platz und Wohnen in den kostber wird man sich wohl noch lange streiten. spieligen Wohnungen darüber zu klappen
In der grossen städtebaulichen Erneue- scheint. Oder das Kasernenareal als
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Schmelztiegel der nicht-institutionalisierten Multikultur. Es gibt Strassen und Wege
wie das Kleinbasler Rheinufer, die Rheingasse und die Steinenvorstadt, die den wirklichen Plätzen ihre Rolle als Treffpunkte
und urbane Aufenthaltsorte streitig machen.
Und es gibt Plätze, die auf den ersten
Blick zwar einen verwahrlosten Eindruck
machen und in den Augen von Ordnungspolitikern ein Schandfleck sind. Dazu gehört der Claraplatz, den Alkoholiker und
missionierende Muslime, herausgeputzte
Gäste der Baselworld und Kleinbasler aller
Nationalitäten auf Shoppingtour miteinander teilen, ohne sich ins Gehege zu geraten.
Auf dem Claraplatz, dem wohl grossstädtischsten aller Basler Plätze, zeigt sich,
dass es letztlich die Menschen sind, die das
besondere und eigenständige Flair eines
Platzes ausmachen.
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FOTOS: HANS-JÖRG WALTER
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Plätze, die wirklich Plätze sind
Etwas skeptisch, aber genussvoll Früchte verspeisend blickt der Affe auf dem Brunnen auf das lebendige Treiben auf dem Andreasplatz.
Es gibt sie, die Basler Plätze, die als Orte der
Begegnung, der Entspannung oder als Horte
des pulsierenden Lebens funktionieren.
Und dies, ohne dass Stadtentwickler und
professionelle Gestalter grosse Eingriffe unternehmen müssen. Der Andreasplatz mitten in der Grossbasler Altstadt gehört dazu.
Auf dem lauschigen öffentlichen Hinterhof
klappt das Nebeneinander von Leben auf
dem Platz rund um den seltsamen Affen, der
auf dem Brunnen thront, und Wohnen in
den während der 1970er-Jahre aufgewerteten Wohnungen darüber. Ebenso auf dem
Kasernenareal, das ein beliebter und belebter Treffpunkt ist.
Auf dem Kasernenareal trifft das multikulturelle Kleinbasel auf den kulturaffinen
Rest der Stadt.
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Der neue Tellplatz scheidet die Geister. Unter dem Strich wirkt das erneuerte Zentrum
des Gundeli aber schön lebendig.
Der Rütimeyerplatz war vorher nicht viel mehr als eine grosse
Strassenkreuzung – und ist dies nach der Neugestaltung geblieben.
Plätze vom Reissbrett
Unter den Stichworten «Aktionsprogramm Stadtentwicklung»
und «Wohnumfeldaufwertung» wandelte die Stadt seit Ende der
1990er-Jahre viele Orte und Unorte in den Wohnquartieren in
«Begegnunsgzonen» um. In einigen Fällen, wie etwa auf dem Voge-
senplatz beim Bahnhof St. Johann klappte dies gut. Der Platz wird
seiner Rolle als Zentrum des neuen Quartiers gerecht. Andere Beispiele, wie etwa der neu gestaltete Rütimeyerplatz, wurden indes in
weiten Kreisen zum Sinnbild einer staatlichen Fehlplanung.
Der Vogesenplatz wird seiner Rolle als Zentrum des neuen Quartiers beim Bahnhof St. Johann immer mehr gerecht.
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Basel tut sich schwer mit seinen Plätzen auf
der zentralen Achse von der Heuwaage bis
zum Badischen Bahnhof. Der Barfüsserplatz hätte im Zuge des Stadtcasino-Neubaus neu gestaltet werden sollen. Nach dem
deutlichen Nein zum Neubauprojekt von
Zaha Hadid wurden die Pläne einmal mehr
fallen gelassen.
Folgenlos blieb auch ein Projektwettbewerb
Ende der 1970er-Jahre zur Neugestaltungdes Marktplatzes. Das Siegerprojekt von
Herzog & de Meuron landete im hauseigenen Modellarchiv. Es wird noch viel Wasser
den unter den Plätzen verborgenen Birsig
hinunterfliessen, bis sich die Stadt den heiklen Neugestaltungsaufgaben stellen wird.
Und wo wirklich etwas in Bewegung geraten ist wie im Fall des Messeplatzes, musste
sich die Platzgestaltung dem Diktat der
Funktion unterordnen. Schade.
Das Diktat
der Funktion
Der Barfüsserplatz im Design der 1970er-Jahre – hier liesse sich sehr viel mehr machen.
Deckel drauf: Der Messeplatz ist das, was nach dem Neubau des neuen Messebauriegels noch an Platz übrig blieb.
Plätze, die keine Plätze sind
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Wenn er nicht als solcher angeschrieben wäre, käme kaum jemand auf die Idee, den Ampereplatz als Platz zu bezeichnen.
In Basel gibt es Plätze, die gibt es gar nicht –
auch wenn sie zum Teil Namen von berühmten Persönlichkeiten tragen. So ist etwa der
Holbeinplatz, einst weitläufiger Mittelpunkt
eines Sterns von Boulevards, heute nicht
mehr als ein Stück Cityring.
Der Erasmusplatz an der Kreuzung Feldberg- und Breisacherstrasse bietet ausser für
die Fahrgäste, die auf den Bus warten, keinerlei Aufenthaltsqualität. Und das schmale
Rechteck vor der wenig genutzten Voltahalle,
das seit wenigen Jahren mit Ampereplatz
angeschrieben ist, ist nichts mehr als ein
Stück verbreitertes Trottoir.
Er heisst Erasmusplatz, ist aber in Tat und Wahrheit nicht viel mehr als eine Strassenkreuzung mit Busstation.
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Wohnen
Laut Referenzzinssatz müssten fast alle
Mieten um 3 Prozent sinken – doch nur
wenige Mieter machen ihr Recht geltend.
Die Furcht vor
der Kündigung
Eine Mietzinsreduktion kommt selten von allein.
FOTO: LIVIO MARC STÖCKLI
von Jeremias Schulthess
H
ans Müller* wohnt seit über
15 Jahren in einer Kleinbasler
Wohngenossenschaft. Die Genossenschaft wirtschaftet gut,
trotzdem sind die Mieten seit Jahren gleich
hoch geblieben. Müller liest Anfang Juni in
der Zeitung, dass der Referenzzinssatz von
2 auf 1,75 Prozent sinkt. Auch seine Miete
müsste deshalb sinken, von 1360 auf 1340
Franken. Er ruft den Genossenschaftspräsidenten an, spricht ihm mehrmals aufs
Band, erhält jedoch keine Antwort. Müller
macht solange Druck, bis der Präsident
einwilligt.
Wenig später erhalten alle Mieter einen
Brief, in dem sie der Präsident darüber
informiert, dass ihre Mieten um zirka
3 Prozent gesenkt würden. Die Senkung
habe «aufgrund der finanziellen Möglichkeiten» der Genossenschaft genehmigt
werden können.
Es ist das erste Mal seit Jahren, dass die
Kleinbasler Genossenschaft die Mieten aufgrund des Referenzzinssatzes senkt. Dabei
sind Vermieter dazu verpflichtet, jedes Mal
die Mieten anzupassen, wenn der Referenzzinssatz sinkt. Und dieser sank in den letzten
Jahrzehnten kontinuierlich – von 6 Prozent
im Jahr 1983 auf aktuell 1,75 Prozent.
Der Referenzzinssatz leitet sich ab aus
den hypothekarischen Durchschnittszinssätzen, welche die Banken festlegen. Er gilt
als Orientierung dafür, wie viel ein Hauseigentümer an Hypothekarzinsen bezahlt
und wie viel er für eine Miete verlangen darf.
Referenzzinssatz sinkt kontinuierlich
Wenn der Referenzzinssatz sinkt, sinken
für Hauseigentümer tendenziell auch die
Ausgaben – je nachdem, ob der Hauseigentümer die Liegenschaft voll finanziert hat
oder diese über eine Hypothek besitzt. In
jedem Fall steht dem Vermieter weniger zu,
wenn die Hypothekarzinsen sinken. Eine
Senkung von 0,25 Prozent entspricht einer
Mietreduktion von knapp 3 Prozent, so will
es das Mietgesetz.
Dennoch wehren sich Vermieter gegen
die Mietsenkung – wie es bei der einleitend
beschriebenen Genossenschaft über Jahre
hinweg der Fall war. Wenn Hans Müller und
die Mieter der Kleinbasler Genossenschaft
jeden Monat zirka 20 Franken weniger zahlen, muss die Verwaltung etwa 60,000 Franken pro Jahr weniger budgetieren. Manche
Genossenschaften können sich das nicht
leisten – gerade jene, die sehr niedrige
Mieten anbieten, sagt Patrizia Bernasconi,
Basta!-Grossrätin und Co-Geschäftsleiterin
des Mieterverbands Basel.
«Wenn die Miete bereits niedrig ist, stellt
sich die Frage, ob eine Mietreduktion überhaupt angebracht ist», sagt Bernasconi.
Trotzdem seien Mietreduktionen grundsätzlich auch bei Genossenschaften legitim.
Ein Problem sind häufig auch die internen
Strukturen. Man kennt sich, sieht vordergründig den gemeinnützigen Zweck der
Genossenschaft und traut sich nicht, eine
Mietzinsreduktion durchzusetzen.
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Im Falle der Kleinbasler Genossenschaft sorgte das Thema Referenzzinssatz
für Spannungen zwischen Mietern und
Vorstand. Als es an Generalversammlungen zur Sprache kam, blockte der Präsident
die Forderungen ab.
Der Finanzverwalter ebendieser Genossenschaft gibt sich beim Thema Mietreduktionen denn auch zurückhaltend. Zahlen
will er keine bekannt geben, er droht vielmehr mit einer Anzeige, sollten Namen
oder Zahlen veröffentlicht werden.
Der Druck, den Hauseigentümer ausüben, schreckt Mieter nicht nur bei Genossenschaften ab, ein Begehren durchzusetzen. «Einige Mieter hegen die leise Furcht,
der Vermieter könnte kündigen, wenn sie
einen Antrag auf Mietreduktion schreiben», sagt Beat Leuthardt, Co-Geschäftsleiter des Basler Mieterverbands. Dabei
sei diese Furcht unbegründet, es gebe seit
Jahren keine Kündigungen mehr wegen
Forderungen zur Mietzinssenkung.
Laut einem Bericht des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands
(SMV) profitieren nur 17 Prozent aller
Mieter in der Schweiz von der Senkung
des Referenzzinssatzes. Damit gingen
Milliarden an den Mietern vorbei, meinte
Michael Töngi vom SMV letztes Jahr.
tageswoche.ch/+p34ie
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*$Name geändert
Mietzinssenkung beantragen: So gehts
1. Mit einem formlosen Schreiben
können Mieter bei ihrem Vermieter eine
Senkung des Mietzinses verlangen. Zum
Beispiel: «Hiermit beantrage ich eine
Reduktion des Mietzinses gemäss aktuellem Referenzzinssatz.»
2. Wenn die Hausverwaltung vierWochen
lang nicht reagiert, heisst es: nachhaken.
In manchen Fällen reicht ein Telefonat
mit der Hausverwaltung, die dann
erklärt, weshalb keine Antwort kam.
Sofern die Hausverwaltung den
Antrag ablehnt, ist eine juristische Konsultation angebracht. Der Basler Mieterverband bietet für seine Mitglieder kostenlose Rechtsberatung. Im Gespräch
mit dem Mieterverband lässt sich rasch
klären, ob es sich um einen berechtigten
oder unberechtigten Einwand gegen die
Mietreduktion handelt.
Grosse Immobilienfirmen lehnten
die Mietreduktion häufig auch grundlos
ab und warteten auf die Reaktion der
Mieter, sagt Beat Leuthardt. Manche
Hauseigentümer schreiben unberechtigte Antworten wie: Man habe die Mieter doch immer sozial und zuvorkommend behandelt, eine Mietreduktion sei
deshalb unangebracht.
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TagesWoche
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Premiumsponsoren:
Hauptsponsoren:
Berechtigte Einwände gibt es schon,
zum Beispiel wenn Forderungen aus
vergangenen Mietstreitigkeiten zur Verrechnung vorliegen. In einem solchen
Fall klärt der Mieterverband die Chancen auf ein erfolgreiches Durchsetzen
der Mietreduktion ab.
3. Wenn sich der Vermieter querstellt
und der Mieter eigentlich Anrecht auf
eine Mietreduktion hat, muss der Mieter
den Fall an die Schlichtungsstelle weiterziehen. Die Schlichtungsstelle macht
keinen Rechtsspruch, sie versucht mit
den Parteien eine Lösung zu finden.
Einige Vermieter würden angesichts
des Termins bei der Schlichtungsstelle
von sich aus einlenken, oder sie senden
an diesem Tag einen Fax an die Schlichtungsstelle, in dem sie der Mietzinssenkung zustimmten, sagt Leuthardt. Der
Gang zur Schlichtungsstelle ist deshalb
in manchen Fällen unumgänglich.
4. Die nächste Instanz ist das Zivilgericht.
Wegen Referenzzinssatz-Anpassungen
gelangten aber nur wenig Fälle ans Zivilgericht, so Leuthardt. Es mache nur
dann Sinn, wenn der Mieter dies auf sich
nehmen will und er Erfolgschancen hat.
Warteck-Häuser
Da sich der Abriss der Warteck-Häuser
verzögert, kam es zu einer Mieterstreckung.
Doch diese ist bereits wieder passé.
Mieter müssen
jetzt doch
früher raus
16
von Yen Duong
G
ross war die Freude bei Marco
Suter (Name geändert) und seinen WG-Mitbewohnern, als sie
Anfang Juni einen Brief der
Immobilienverwaltung Wincasa mit der
Nachricht erhielten, dass sie bis Ende März
2017 in ihrer Wohnung am Riehenring
bleiben dürfen. Eigentlich würde ihr Mietvertrag bereits Ende September 2015 auslaufen.
Als Grund für die Mieterstreckung um
18 Monate gab die Verwaltung weitere Verzögerungen beim geplanten Abriss der
Warteck-Häuser an. Anstelle der im Jahr
1860 erbauten Liegenschaften plant der
UBS-Immobilienfonds Sima, den 90 Meter
hohen Claraturm mit 170 Wohnungen zu
bauen.
Im November 2013 hatte sich die Basler
Bevölkerung nach einem emotionalen
Abstimmungskampf knapp für das neue
Zu früh gefreut: Statt im März 2017 werden die Warteck-Häuser bereits diesen September geräumt.
FOTO: DOMINIQUE SPIRGI
TagesWoche
26/15
Hochhaus ausgesprochen. «Nachdem
wir den Brief der Verwaltung erhalten hatten, sagte ich einer Person zu, die sich
schon länger für unsere WG interessiert»,
sagt Suter.
Er hätte dies lieber nicht getan. Denn
bereits wenige Tage später folgte die
Enttäuschung: In einem zweiten Schreiben teilte die Wincasa den sechs Mietern
im Haus mit, dass sie nun doch schon Ende
September ausziehen müssen. Man sehe
sich wegen einer überraschenden Entwicklung dazu gezwungen, die Offerte zu
widerrufen.
17
Service-Wüste
Liebe Basler Gastronomen, wollt Ihr
denn kein Geld verdienen?
Verwaltung bedauert den Schaden
Suter kann darüber nur den Kopf schütteln. «Das ist sehr ärgerlich – für uns, aber
auch für den vorgesehenen neuen WG-Mitbewohner. Es macht wenig Sinn für ihn, für
nur drei Monate einzuziehen.»
Bei Wincasa bedauert man den entstandenen Schaden. Grund für dieses
Vorgehen sei der Entscheid des Bundesgerichts zum Claraturm gewesen. Wie
kürzlich bekannt wurde, hat das Gericht
eine Beschwerde von Andreas Bernauer
abgewiesen. Bernauer ist Besitzer der vom
Abriss betroffenen «Piano-Bar»; er war
auch einer der Initianten des Referendums
gegen das neue Hochhaus.
I
Die Bauherrin ist von
der raschen Entscheidung
des Bundesgerichts
auf dem linken Fuss
erwischt worden.
Hochtouren, die Serviceangestellten versuchten flink, die Wünsche der Kunden zu
erfüllen. Kurz: Hier wurde Umsatz gemacht.
Volle Restaurants, das freut doch alle,
die Gäste, den Unternehmer und die Steuerabteilung des Kantons. Aber warum nur
merken viele Gewerbetreibende nicht, dass
wir in Basel gesegnet sind mit Events und
Besuchern, wie es Gastronomen in Städten
kaum zu träumen wagen?
Die Schuld allein den Rahmenbedingungen zuzuschieben, ist etwas billig. Am
Ende des Tages muss man einfach flexibel
sein und auf die Kundenbedürfnisse eingehen können. Jeder Anbieter von Produkten
und Dienstleistungen muss sich permanent
mit der Frage beschäftigen: Wie kann ich
die Wünsche meiner Kundinnen und Kunden in idealer Weise abdecken? Und wenn
einmal etwas nicht so funktioniert, wie man
Basel ist eine Messestadt und lockt in ge- es sich vorgestellt hat, dann ist auch nicht
wissen Wochen sehr viele kaufkräftige Gäs- immer die Politik schuld.
te an. Letzte Woche präsentierten sich die
Art Basel und weitere Satellitenmessen. P.S. Ein Restaurant im Gundeli hatte sich
Eine Chance für den Detailhandel, für die Anfang der Art-Woche bei mir gemeldet
Gastronomie, für Partyveranstalter. Aber mit dem Wunsch, ein bis zwei Restauranthaben das alle Gastronomen begriffen?
tische auszuleihen für eine geschlossene
Letzte Woche wollten wir um 21.30 Uhr Gesellschaft mit über 100 Leuten. Ich
noch etwas essen im Kleinbasel. Das eine dachte mir: Gut! Es gibt sie noch in dieser
Restaurant mit Schweizer Küche war fast Stadt – die innovativen und erfolgreichen
leer. Die Küche sei bereits geschlossen, teil- Gastronomen.
×
te man uns mit. Schade, sagten wir und spazierten ein paar Meter weiter zu einem Thai
Restaurant. Und hier zeigte sich: Man war
auf die Messewoche vorbereitet.
Hier hatten wir Glück, es war gerade
noch ein Tisch frei – das Restaurant war
proppenvoll mit Einheimischen und Messegästen. Die gute Stimmung im Lokal war
unüberhörbar. Die Küche arbeitete auf
«Der Eigentümer wird davon ausgegangen sein, dass das Gerichtsurteil nicht so
schnell gefällt wird. Deshalb gab er den
Mietern eine Fristerstreckung», heisst es
bei Wincasa.
Die Immobilienverwaltung betont, dass
zwischen Versand des ersten und zweiten
Briefs nur wenige Tage vergangen seien.
Man habe sehr schnell reagiert. Nicht vom
Rückruf der Offerte betroffen sind laut
Wincasa die Restaurants in den WarteckHäusern.
Baueingabe in Vorbereitung
Bei der Vorstellung des 100-MillionenProjekts im Jahr 2011 hatte der UBS-Immobilienfonds Sima noch von einer Realisierung innerhalb von vier Jahren gesprochen. Von diesem Ziel ist man inzwischen
weit entfernt.
Wie UBS-Mediensprecherin Sabrina
Adam sagt, werde die Baueingabe für den
Claraturm gerade vorbereitet und in der
zweiten Jahreshälfte eingereicht.
Wann die Bauarbeiten beginnen können, lässt Adam offen. «Ein verbindlicher
Fahrplan für den Baustart ist erst möglich,
wenn das Genehmigungsverfahren abgeschlossen ist.»
tageswoche.ch/+akzdp
×
TagesWoche
26/15
n den letzten Monaten wurde eifrig
diskutiert, inwiefern der Basler Detailhandel weiter bestehen kann. Das
grenznahe Ausland lockt mit günstigen Preisen, aber auch mit einem attraktiven Angebot. Mit dem Niedergang des
Euro-Kurses gegenüber dem Schweizer Franken hat sich die Lage nochmals akzentuiert.
Nun ist neben dem Detailhandel aber
auch die Gastronomie in den Fokus gerückt.
Viele Restaurants im deutschen Grenzgebiet haben mittlerweile einen grossen Anteil an Schweizer Kunden und sind an manchen Tagen auch ausgebucht. Der Präsident
des Basler Wirteverbands, Josef Schüpfer,
beklagte bereits, dass neben den einzelnen
Gästen auch Firmenanlässe und Bankette
ins grenznahe Ausland abwandern würden.
Dass die Rahmenbedingungen nicht die
allerbesten sind für schweizerische Gastronomen, lässt sich kaum leugnen. Die Argumente sind bekannt: Hohe Mieten, Personalkosten, höhere Einkaufspreise für
Agrarprodukte, Frankenstärke. Dennoch
gilt es zu differenzieren. Es gibt Restaurants,
die mit dieser schwierigen Situation umgehen können – andere können es weniger gut.
Warum merken viele
Gewerbetreibende nicht,
dass Basel gesegnet ist mit
Events und Besuchern?
Karl Linder ist TagesWoche-Leser und
Betreiber von basel-rooms.ch, einer
Plattform, die möblierte Appartements
vermietet. Haben Sie einen Text verfasst,
der für eine grössere Leserschaft von
Interesse ist? Dann schreiben Sie uns :
[email protected]
tageswoche.ch/+hu0zx
Basler Hafen
Nach Polizei, Politik und Medien hat
sich jetzt auch die Wissenschaft mit den
Klybeck-Aktivisten beschäftigt.
Unter der Lupe
der Soziologen
Eine Studie der Uni Basel hat den Problemfall «Rheinhafen» analysiert. FOTO: H.-J. WALTER
18
von Daniel Faulhaber
E
s gibt diese Zone in der Topografie Basel-Stadts, die einem roten
Tuch gleicht. Daran zerren zwar
diverse Parteien. Verantwortung
übernehmen will aber dennoch niemand.
Die Rede ist natürlich vom Basler Klybeckareal. In den vergangenen Jahren hat es unzählige Male die Titelseiten der Medien
besetzt. Und jetzt ziert das Areal erstmals
das Cover eines Buches.
Es handelt sich dabei um eine Studie der
Universität Basel mit dem Titel «Urbane
Widerständigkeit am Beispiel des Basler
Rheinhafen-Areals». Sechs Autorinnen
und Autoren unter der Schirmherrschaft
des Soziologen Ueli Mäder tragen darin
einzelne Aspekte zusammen, die in ihrer
Gesamtheit den Problemfall «Rheinhafen»
bilden. Damit werden die Auseinandersetzungen um den Stadtteil erstmals zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Länger als ein Jahr haben
sich die Verantwortlichen mit allen beteiligten Parteien auseinandergesetzt und
über die teilnehmende Beobachtung bis
zur quantitativen Umfrage keine Methode
ausgelassen, um messbare Resultate zu
erzielen.
Neues erst auf zweiten Blick
Herausgekommen ist eine Studie, deren
Erkenntnisgewinn nur wenig über das bisher Bekannte hinausreicht. Stück für Stück
werden die Proteste nachgezeichnet, die
2011 nach der Präsentation eines Stadtteils
«New Basel» ihren Lauf genommen haben
und mit der Räumung eines Teils der besetzten Brache im Juli 2014 zu einem Höhepunkt gekommen sind.
Bei genauerer Betrachtung vermag die
Studie den Ereignissen aber durchaus eine
neue Dimension verleihen. Nämlich indem
sie den urbanen Widerstand auf raumsoziologische Theorien abstützt. Namentlich
der französische Philosoph und Soziologe
Henri Lefebvre (1901–1991) und der Basler
Soziologe Lucius Burckhardt (1925–2003)
bilden dafür die Grundlage.
Beide haben in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts mit ihren Raumkonzepten für Aufruhr gesorgt. Lebendige Städte,
so die Prämissen, benötigen Freiräume.
Freiräume, deren Koordinaten nicht am
Reissbrett der Stadtplaner, sondern durch
die spontane Aktion der Bevölkerung bestimmt werden. Und diese Aktion kommt
gemäss Lefebvre durch die Wahrnehmung
zweier Rechte zustande: das «Recht auf
Stadt» und das «Recht auf Differenz».
In der Verfassung sucht man vergebens
nach diesen beiden Rechten. Doch es sind
genau diese zwei Rechte, welche die Bevölkerung der Quartiere Klybeck und Kleinhüningen und insbesondere die Aktivisten
rund um den Wagenplatz mit Vehemenz
eingefordert haben, wie die Studie zeigt.
Das «Recht auf Stadt» beschreibt das
Verlangen nach Mitbestimmung und Aneignung des urbanen Raumes durch die
Quartierbewohnerinnen und -bewohner.
TagesWoche
26/15
19
Theaterfinanzierung
Die Entscheidungen und Organisationsvorgänge werden vom Staat weg zu den
Menschen und damit in den lokalen Kontext verschoben. Die Menschen bestimmen
selbst über den Gebrauchswert ihres Lebensraumes – und entziehen ihn damit
dem Besitzanspruch des Staats, der mit seinen Kapitalinteressen vornehmlich den
Tauschwert sieht.
Einen Tauschwert, der sich beispiels- von Renato Beck
weise in Form von schicken Bürogebäuden,
Hotels und Luxuswohnungen, kurz: dem
s gab eine gemeinsame Sitzung
Projekt Rheinhattan manifestiert. Dagegen
und dabei wurden die Sparpläne
kämpft die Interessengruppe «Klybeckvorgestellt – mehr ist nicht zu erinsel» und schreibt sich ein Burckhardt-Zifahren aus der Basler Regierung,
tat auf die Fahne: «Wir selber bauen unsere wenn es um die Sparabsichten des NachStadt.»
barkantons geht. Doch dem Vernehmen
nach sind sowohl bei der Uni wie auch
Neutrale Aufarbeitung
beim Theater und beim öffentlichen VerTeil der IG Klybeckinsel sind auch die kehr massive Abstriche an gemeinschaftliBewohner des Wagenplatzes, welche im chen Leistungen zwischen Basel-Stadt und
Frühjahr 2013 nach einer «unsäglichen Baselland geplant.
Odyssee» (O-Ton Studie) am Hafenareal
Als Teil seines massiven Sparpakets will
«gestrandet» waren. Sie gehen einen Schritt das Baselbiet den Kulturvertrag künden
weiter, indem sie am Diskurs um die Hafen- und mit deutlich tieferer Beteiligung mit
insel nicht mit Gegen- oder Alternativpro- der Stadt neu aushandeln. Das ist bereits
jekten (Rheinhatten versenken, Vogelinsel) durchgesickert – und sorgt in der Basler
partizipieren, sondern physisch Stadtraum Politik für zügellose Kritik.
besetzen und ihn sich damit gewissermassen aneignen. Damit beanspruchten sie ein
«Recht auf Differenz», ein Leben frei von
Einordnungen in Kategorien, die ihnen
durch die Gesellschaft oder den Staat aufgezwungen wird.
SP-Grossrat Rudolf Rechsteiner
Die Reaktion ist bekannt: Die Stadt tole«Parasitär» nennt SP-Grossrat Rudolf
rierte einen Teilaustritt aus der Normalität,
bis aus ihrer Sicht durch die Erweiterung Rechsteiner das Gebaren der Baselbieter
um «Uferlos» und «Hafenscharte» zu viel und wird dabei deutlich: «Würden die BaFreiraum in Anspruch genommen wurde. selbieter dieselben Steuern erheben wie
Das Experiment wurde beendet, oder: Das wir, hätten sie 350 Millionen Franken mehr
«Recht auf Differenz» wurde rückgebaut.
Einnahmen. Stattdessen werden unsere InDie Studie erschöpft sich allerdings stitutionen ausgehöhlt. Man will sich auf
nicht darin, die Deckungsgleichheit der unsere Kosten gemeinsamer Aufgaben entRaum- und Widerstandstheorien mit den ledigen.» Über so viel Schamlosigkeit könHandlungen der Aktivisten aufzuzeigen. ne er nur den Kopf schütteln.
Sie enthält überdies eine ganze Reihe von
Der Ton ist rau geworden, seit sich anInterviews mit Interessenvertretern aller deutet, dass Basel-Stadt in Mitleidenschaft
Parteien und reichert dies mit statistischem gezogen wird, wenn das Baselbiet seine DeMaterial zur Wahrnehmung der Hafen- fizite bereinigen will.
Stadt an. Den urbanen Widerstand rund
Dies bekommt das Theater Basel zu spüum das Basler Hafenareal beschreibt sie ren. Mit einer Mehrheit von 48 zu 36 Stimnicht einfach als Blockade, sondern viel- men scheiterte ein bürgerlicher Antrag im
mehr als «soziale Bewegung und damit als Grossen Rat, den Strukturbeitrag von einer
Beteiligung an der Diskussion um gesell- Million Franken jährlich an das Theater zu
schaftliche Entwicklung».
streichen. Die zusätzliche Subvention wird
seit 2011 entrichtet, da die Baselbieter ReEndlich Objektivität
gierung sich trotz vorhergehender AbmaMit ihrer Studie wollen die Autorinnen chungen weigert, den Betrag zu bezahlen.
und Autoren keine Handlungsanleitung
Wichtigstes Argument für den bürgerliefern, sondern lediglich die «Sichtweisen lichen Kürzungsantrag: Man wolle ein
der verschiedenen Player objektiv darstel- deutliches Signal ans Baselbiet senden,
len», heisst es in der Zusammenfassung. dass man nicht bereit ist, jederzeit in die
Vielleicht ist es genau diese Objektivität, Bresche zu springen, wenn Liestal nicht
die in der Diskussion rund um das Rhein- mehr bezahlen will. Das sagt FDP-Grossrat
hafen-Areal bisher zu kurz kam und die Luca Urgese. Als Alternative sieht er nur,
dem weiteren Verlauf der Dinge Auftrieb «wie ein Kaninchen vor der Schlange zu
geben kann.
erstarren».
Ausgewiesen ist, dass bereits jetzt Baseltageswoche.ch/+ r4lvp
×
land viel zu wenig an die kulturellen ZentDie Studie ist im Seminar für Soziologie
rumsleistungen der Stadt bezahlt. Augen(Petersgraben 27, Basel) zum Selbstkosfällig wird das beim Theater, an das bislang
4,5 Millionen Franken jährlich überwiesen
tenpreis von 15 Franken erhältlich.
Die Baselbieter Sparpläne zehren an den
Nerven der Basler Politik.
Die Emotionen kochen hoch
E
«Baselland zeigt
parasitäres Verhalten.»
TagesWoche
26/15
wurden, obwohl 35 Prozent aller Besucher
aus dem Landkanton stammen. BaselStadt subventioniert das Dreispartenhaus
mit über 40 Millionen Franken jährlich.
Guy Morins Drohung
Baselland müsste an sich, so hat das die
Basler Regierung berechnet, total doppelt
so viel an die städtischen Kulturbetriebe
überweisen wie bisher – stattdessen will
man den Betrag offenbar mehr als halbieren. Wie beispiellos diese Massnahme ist,
zeigt ein Vergleich mit anderen Regionen:
Selbst Appenzell bezahlt in der Vollrechnung mehr an das Theater St. Gallen als das
Baselbiet an die Stadt.
Regierungspräsident Guy Morin erkennt darin einen Auftrag: «hart, sehr hart
mit dem Baselbiet zu verhandeln». Morin
schwebt ein Finanzierungsvertrag vor, der
mittelfristig klare Verhältnisse schafft. Er
räumt zugleich ein, dass das ein schwieriges Ziel sei. Denn im Baselbiet stehen die
Zeichen auf Abkühlung der Partnerschaft,
und bislang fand die Basler Regierung in
Liestal kaum Gehör für ihre Argumente.
Morin droht deshalb auch. Mit einem
Bundesartikel, der den Bundesrat berechtigt, Finanzierungsvereinbarungen zu verfügen, wenn Zentrumslasten im kulturellen
Bereich nicht abgegolten werden – ein
deutliches Signal an die landschaftlichen
Kollegen, dass in der Stadt die Geduld zu
Ende geht. «Die Abgeltung für die Kultur ist
keine freiwillige Leistung», betont Morin.
Deutlich zu hören kriegt das auch, wer
Martina Bernasconi zuhört, Grossrätin der
Grünliberalen. Sie spricht von einem «provinziellen Verhalten» der Baselbieter. «Wie
sich der Kanton Basel-Landschaft gegenüber der Stadt verhält, ist ein sehr grosses
Ärgernis, es ist richtig schäbig.»
Höhere Eintrittspreise für Baselbieter
Diese Haltung kann als Konsens aufgefasst werden von links bis rechts. Auch Joël
Thüring (SVP) spricht von inakzeptablen
Beteiligungen der Baselbieter an gemeinsamen Institutionen. Und er fordert Massnahmen.
Seine Forderung will Thüring zeitnah
konkretisieren und im Parlament einspeisen, dass alle Auswärtigen künftig mehr bezahlen sollen. Ihm schwebt eine Art Kulturpass für alle Einwohner von Basel-Stadt vor,
der zu einem vergünstigten Eintritt berechtigen würde. Erhalten würde man ihn mit
der Steuererklärung. Bei der derzeitigen
Stimmung im Basler Parlament dürfte der
Vorstoss nicht chancenlos sein.
tageswoche.ch/+ hd1tz
×
20
Eidgenössische Wahlen 2015
Das Baselbiet bereitet sich auf die Wahlen im Herbst vor.
Dann bangen die Grünen um den Nationalratssitz von Maya
Graf, und Christoph Buser will für die FDP in den Ständerat.
Baselbieter Kampf um
den Einzug ins Stöckli
von Andreas Schwald
D
eutlich später als in Basel haben Dafür bestückte die Partei das Präsidium
die Baselbieter Parteien ihre neu mit Adil Koller und Regula MeschNationalratslisten bestückt. Für berger. Die Partei will nun unter der neuen
sie ist es der zweite Wahlkampf Führung ihre zwei Sitze von Eric Nussin diesem Jahr: Traditionsgemäss finden baumer und Susanne Leutenegger Oberholdie eidgenössischen Wahlen im Baselbiet zer behalten – was dank der linksgrünen Alliim gleich Jahr statt wie die kantonalen anz auch realistisch ist. Allerdings wird es
Wahlen. Diese dienen so als Gradmesser für eine spannende Partie um den einen Baseldie politische Stimmung im Landkanton.
bieter Ständeratssitz. Hier wird der BisheriUnd während die Basler immer noch ge Claude Janiak von den Bürgerlichen
einen bürgerlichen Ständeratskandidaten angegriffen; Wirtschaftskammerdirektor
suchen, hat das Baselbiet derzeit sogar Christoph Buser (FDP) ist sein grösster Gegzwei: Christoph Buser (FDP) und Hans Fu- ner. Hans Furer von den Grünliberalen dürfrer (Grünliberale) fordern beide den bishe- te allerdings keine grosse Gefahr darstellen.
rigen Ständerat Claude Janiak (SP) heraus.
Prognose: Die Partei behält ihre zwei
Nationalratsmandate. Claude Janiak liegt
im Ständerat trotz der gewichtigen KandiDie SP
datur von Christoph Buser gut im Rennen.
herigen Nationalrätin Daniela Schneeberger
und dem Wirtschaftskammerdirektor
Christoph Buser gleich zwei Kandidaten mit
realen Wahlchancen ins Rennen. Buser soll
gleichzeitig auch den Angriff auf den Ständeratssitz von Claude Janiak fahren; als bürgerlicher Topkandidat mit einer potenten
Wahlkampfmaschine ist er in einer guten
Position. Dank der Partnerschaft mit der
stärksten Baselbieter Partei SVP hofft die
FDP, allenfalls einen zweiten Sitz zu machen.
Prognose: Einen Sitz macht die Partei
garantiert. Nur ist offen, ob Christoph
Buser stimmenmässig allenfalls sogar noch
Daniela Schneeberger überholen kann.
Die Grünen
Die FDP
Kandidierende: Daniela Schneeberger
(bisher), Christoph Buser (auch Ständerat),
Andreas Dürr, Christine Frey, Christof
Hiltmann, Sven Inäbnit, Rolf Richterich.
Ständerat: Christoph Buser.
Top-Kandidaten: Daniela Schneeberger
(bisher), Christoph Buser (auch Ständerat)
Hoffnungsträger: Christof Hiltmann
Listenverbindung: FDP mit SVP.
Eric Nussbaumer, SP
Einschätzung: Die Siegerpartei der kantonalen Wahlen vom Februar will den Trend im
Herbst wiederholen. Sie schickt mit der bis-
Kandidierende: Eric Nussbaumer (bisher),
Susanne Leutenegger Oberholzer (bisher),
Samira Marti, Miriam Locher, Kathrin
Schweizer, Christoph Hänggi (statt Daniel
Münger), Martin Rüegg. Ständerat:
Claude Janiak.
Top-Kandidaten: Eric Nussbaumer
(bisher), Susanne Leutenegger Oberholzer
(bisher), Claude Janiak (nur Ständerat)
Hoffnungsträgerin: Samira Marti
Listenverbindung: SP mit Grünen.
Einschätzung: Nach dem Verlust ihres
Regierungssitzes hatte die Baselbieter SP
angekündigt, in die Opposition zu gehen.
Maya Graf, Grüne
Kandidierende: Maya Graf (bisher),
Florence Brenzikofer, Philipp Schoch,
Lukas Ott, Karl-Heinz Zeller, Anna Ott,
Klaus Kirchmayr
Top-Kandidatin: Maya Graf (bisher)
Hoffnungsträgerin: Florence Brenzikofer
Listenverbindung: Grüne mit SP.
Daniela Schneeberger, FDP
Einschätzung: Erst die Schlappe an den Februarwahlen, dann die neue Konkurrenzpartei von Landrat Jürg Wiedemann – die Grünen werden es trotz linksgrünem Bündnis
nicht einfach haben, den Sitz von Maya Graf
zu verteidigen. Aufgeben wollen sie ihn nicht;
schliesslich ist Graf ein Urgestein in der natiTagesWoche
26/15
21
onalen Politik und war als alt Nationalrats- Hoffnungsträger: Dominik Straumann
Listenverbindung: SVP mit FDP
präsidentin bereits höchste Schweizerin.
Prognose: Der Kampf wird hart, doch
Graf wird ihren Sitz verteidigen können.
Einschätzung: Der bisherige Nationalrat
Christian Miesch hat seinen Rücktritt
bereits bekanntgegeben. So geht nur noch
Die CVP
Thomas de Courten als Bisheriger ins
Rennen; der bislang zweite Sitz wird voraussichtlich neu besetzt. Dass die SVP einen der
zwei Sitze einbüssen wird, ist eher unwahrscheinlich: Zu stark ist die Partei im Baselbiet, und die Listenverbindung mit der FDP
bringt sie auf die sichere Seite.
Prognose: Die Partei behält zwei Sitze:
Thomas de Courten (bisher) und Caroline
Mall (neu).
Die Grünen-Unabhängigen
Elisabeth Schneider-Schneiter, CVP
Kandidierende: Elisabeth SchneiderSchneiter (bisher), Claudia Brodbeck,
Remo Franz, Philippe Hofmann, Alexander Imhof, Béatrix von Sury d’Aspremont,
Emanuel Trueb.
Top-Kandidatin: Elisabeth SchneiderSchneiter (bisher)
Hoffnungsträger: Remo Franz
Listenverbindung: CVP mit BDP und GLP
Einschätzung: Die bisherige Nationalrätin
Elisabeth Schneider-Schneiter hat nicht vor,
ihren Sitz preiszugeben. So führt sie erneut
die Siebnerliste der CVP an, die um den
Sitzerhalt kämpft. Die Partei verabschiedete sich auch medienwirksam von einem
möglichen Bündnis mit SVP und FDP. Die
Partei hat eine solide Basis im Unterbaselbiet und den Bisherigen-Bonus ihrer Nationalrätin. Obwohl die CVP sich für eine Kantonsfusion stark gemacht hatte, bleibt sie
zuversichtlich, den Sitz halten zu können.
Prognose: Elisabeth Schneider-Schneiter wird wiedergewählt.
Die SVP
Thomas de Courten, SVP
Kandidierende: Thomas de Courten
(bisher), Caroline Mall, Patrick Schäfli,
Sandra Sollberger, Dominik Straumann,
Hanspeter Weibel, Jacqueline Wunderer
Top-Kandidaten: Thomas de Courten
(bisher), Caroline Mall
TagesWoche
26/15
Kandidierende: Esther Maag, Jürg
Wiedemann, Marie-Louise Rentsch,
Markus Clauwaert, Saskia Olsson,
Edmond Bernard
Top-Kandidat: Jürg Wiedemann
Hoffnungsträgerin: Esther Maag
Listenverbindung: noch offen.
Hans Furer, Die Grünliberalen
bindung eingingen. Hans Furer – Landrat
bis Ende Juli – kandidiert zugleich für den
Ständerat. Er dürfte aber im Kampf um den
Sitz nur eine Nebenrolle spielen. Das
Hauptgefecht findet zwischen Claude Janiak (SP) und Christoph Buser (FDP) statt.
Prognose: Die Partei holt keinen Sitz,
weder im National- noch im Ständerat.
Die BDP
Kandidierende: Marie-Therese Müller,
Felix Weber, Doris Vögeli, Beat Schmid,
Franziska Were-Imhof, Esther Meisinger,
Kevin Beining
Top-Kandidatin: Marie-Therese Müller
Hoffnungsträgerin: Marie-Therese Müller
Listenverbindung: BDP mit CVP und GLP.
Einschätzung: Vom schlechten Wahlresultat im Februar niedergeschlagen, sagte
Präsidentin Marie-Therese Müller erst,
dass die Partei gar nicht für den Nationalrat
kandidiere; die BDP verlor drei der vier
Landratssitze. Zwischenzeitlich hat sich
Jürg Wiedemann, Die Grünen-Unabh.
die BDP wieder gefangen. Sie stellt nicht
Einschätzung: Die Grünen-Unabhängigen nur eine volle Liste für den Wahlkampf im
sind ein neuer Stern am Baselbieter Polit- Herbst, sondern unterstützt auch CVP und
himmel, gegründet nach dem Ausschluss GLP mit einer Listenverbindung.
Prognose: Die Partei holt keinen Sitz
von Jürg Wiedemann aus der Grünen Partei
Baselland. Mit Wiedemann selbst und der in Bern.
ehemaligen grünen Landratspräsidentin Esther Maag hat die Neo-Partei zwei prominen- Die EVP
te Namen auf der Liste. Da die Partei ausser in Kandidierende: Sara Fritz, Martin Geiser,
Bildungsfragen kaum in Erscheinung trat Andrea Heger, Daniel Kaderli, Sonja
und die Zeit zur Profilierung bis im Herbst Niederhauser, Christian Muhmenthaler,
Lukas Keller
sehr kurz ist, wird sie keinen Sitz machen.
Top-Kandidat: keine
Prognose: Die Partei holt keinen Sitz.
Hoffnungsträgerin: Sara Fritz
Listenverbindung: keine.
Die Grünliberalen
Kandidierende: Gerhard Schafroth, Tanja
Haller, Hans Furer (auch Ständerat),
Einschätzung: Die EVP übt den Alleingang.
Daniel Altermatt, Peter Staub, Andy
Die Partei verzichtet auf eine ListenverbinWerdenberg, Hector Herzig
dung mit anderen Parteien und hat demTop-Kandidat: Hans Furer
nach noch weniger Chancen auf einen Sitz
Hoffnungsträger: Gerhard Schafroth
in Bern, als die Partei ohnehin gehabt hätte.
Listenverbindung: GLP mit CVP und BDP. Die EVP lässt sich somit aber auch nicht als
Wahlhelferin anderer Parteien einspannen.
Einschätzung: Auch die Grünliberalen Die Partei tritt mit einer vollen Siebnerliste
kämpfen um einen festen Platz auf der Ba- an. Mit den drei Landratsmitgliedern Sara
selbieter Politbühne. Allerdings bleibt die Fritz, Martin Geiser und Andrea Heger (ab
Partei nach wie vor eine Randerscheinung 1. Juli) ist die Liste dennoch gut bestückt.
Prognose: Die Partei kann höchstens
neben den grossen Blöcken der Bürgerlichen und der Linken. So dürfen die Grün- einen Achtungserfolg für ihren Sololauf
liberalen vor allem als Wahlhelfer für die erzielen; einen Sitz macht sie nicht.
CVP auftreten, mit der sie eine Listenver- tageswoche.ch/+6uv1w
×
Asylsuchende
Arlesheim
springt in
die Bresche
von Lucas Huber
I
n den Sommermonaten versuchen
besonders viele Menschen aus Afrika, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Darum erlebt die
Zuwanderung aus dem Süden derzeit eine
Spitze – und es wird immer enger in den
Schweizer Auffangzentren.
«Die fixen Asylunterkünfte sind zu rund
100 Prozent ausgelastet», sagt Martin
Reichlin, stellvertretender Leiter Information und Kommunikation beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Darum
sucht der Bund seit ein paar Wochen in der
ganzen Schweiz nach Unterkünften. Fündig wurde er in Arlesheim. Die Gemeinde
stellt dem SEM für die nächsten sechs Monate ihre Zivilschutzanlage zur Verfügung.
Eine Betonrampe führt in den Untergrund unter dem Feuerwehrmagazin. Über
Schleusen und durch gelb getünchte Gänge gelangt man in die holzgetäferten Gruppenräume. Dahinter zweigen weitere Gänge
ab, die zu den Schlafzimmern führen.
80 bis 100 Asylsuchende werden hier für
zwei Wochen bis zwei Monate untergebracht, vorwiegend Eritreer und Somalier,
Syrer und Iraker, Menschen aus West- und
Nordafrika, in kleineren Zahlen auch aus
Afghanistan und Sri Lanka. Reichlin rechnet vor allem mit jungen Männern, aber
auch mit Familien. Er hat keine Sicherheitsbedenken: «Wir haben sehr gute Erfahrungen
mit dieser Gruppe von Asylsuchenden gemacht.» Zudem wird ein Sicherheitsdienst
rund um die Uhr präsent sein, die Bewohnerinnen und Bewohner werden tagsüber
betreut. Die Gemeinde kann sie auch für
gemeinnützige Arbeitseinsätze aufbieten.
Es ist eine temporäre Unterkunft, ihre
Belegung wird an die Quote, die die Gemeinde vom Kanton aus zu erfüllen hat, angerechnet. Arlesheim hat sein Soll damit
erfüllt. Die ersten 15 bis 20 Asylsuchenden
sind bereits am Freitag eingetroffen.
Erst vor drei Wochen hat das SEM eine
erste Interessensbekundung an den Arlesheimer Gemeindepräsidenten Karl-Heinz
Zeller gerichtet, vor einer Woche folgte der
offizielle Antrag. Der Gemeinderat fällte
seinen Beschluss noch am selben Abend.
Für Zeller ist die Unterstützung selbstverständlich: «Wir setzen ein Zeichen der
Solidarität gegenüber Bund und Kanton.
Und wir wollen einen Beitrag zur sich europaweit verschärfenden Situation insgesamt
leisten.» Finanzielle Anreize lässt er nicht
gelten, auch wenn die Gemeinde für die
Räumlichkeiten Mietzins verlangt und der
Bund die Kosten für Unterbringung und
Betreuung vollumfänglich übernimmt.
Arlesheim hatte bereits während des
Jugoslawienkriegs Ende der 1990er-Jahre
und zuletzt vor 17 Jahren Asylsuchende in
der Zivilschutzanlage untergebracht.
tageswoche.ch/+km6dy
×
22
Wohnen
Modellprojekt
fürs Felix-PlatterAreal
von Matthias Oppliger
D
ie Gründungsversammlung
der neuen Baugenossenschaft
«wohnen&mehr» ist eine beschauliche Veranstaltung. Dennoch wendet sich der frisch gewählte Präsident kämpferisch an seine «Mitstreiter».
Vielleicht will Richard Schlägel den Gründungsmitgliedern (15 Wohngenossenschaften, 14 Privaten, zwei Firmen) damit klarmachen, dass das Ziel ein ambitioniertes ist.
«wohnen&mehr» will vom Kanton das
Baurecht für das Felix-Platter-Areal übernehmen. Aktuell entsteht dort ein neues
Spitalgebäude, bis in vier Jahren sollen darin alle Abteilungen des Spitals zusammengelegt werden. Dadurch wird viel Platz frei.
Gemäss regierungsrätlicher Arealstrategie
sollen auf den 36/000 Quadratmetern bis zu
550 Genossenschaftswohnungen entstehen.
Im Vorstand sitzt auch die Architektin
Barbara Buser (Gundeldingerfeld, Markthalle). Damit ist auch eine Umnutzungsspezialistin an Bord. Sollte die Regierung ihre
Spital-Abrisspläne revidieren, wären entsprechende Kompetenzen vorhanden. Ein
Rekurs gegen den Abbruch ist hängig.
tageswoche.ch/+e98v6
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Gesehen von Tom Künzli
Tom Künzli ist als Illustrator für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. Der 41-Jährige wohnt in Bern.
TagesWoche
26/15
23
Kochen, ganz leicht gemacht: Im Kochhaus werden die Zutaten passgenau nach Rezepten präsentiert.
Detailhandel
Kochhaus will
nach Basel
expandieren
von Markus Sutter
D
er Koch gibt Anweisungen, die
Gäste raspeln, schnippeln und
rühren. Im Kochhaus in Berlin
können Gäste selber Hand anlegen. Sie lassen sich von Kochexperten instruieren
und dürfen danach ihr selbst fabriziertes
Menü gemeinsam essen.
Zur Wahl stehen ausgefallene Rezepte:
zum Beispiel vietnamesische Reisnudeln
mit Chili-Rinderfilet, Limette und Erdnüssen.
Danach sei Basel «als zweite Anlaufstelle
sicher optimal».
In der Akazienstrasse im Bezirk Schöneberg bauten sie 2010 das erste Kochhaus
auf. Inzwischen gibt es in der deutschen
Hauptstadt bereits drei Läden (noch in
Kreuzberg und auf dem Prenzlauerberg),
die nach dem gleichen Muster funktionieren. Andere Städte – unter anderem Frankfurt am Main, Hamburg, München, Köln –
zogen rasch nach.
Die Einkaufsliste hat
ausgedient. Zutaten für
jedes Rezept finden sich
an einer Stelle, portionengerecht aufgeschichtet.
Was ist aber nun eigentlich das Besondere an diesem neuen Konzept, mit dem
Basel soll nach Zürich kommen
2014 immerhin ein Umsatz von 8,3 MillioWas in Berlin funktioniert, wollen die nen Euro erzielt werden konnte?
drei Jungunternehmer von der Kochhaus
Wer ein Kochhaus aufsucht, erkennt soGmbH auch in der Schweiz versuchen. fort den Unterschied. Das Erfolgsrezept
«Die Expansion in die Schweiz ist in vollem lautet: Produkte und Zutaten werden dort
Gange. Wir führen derzeit viele Gespräche nicht mehr nach Warengruppen, sondern
mit potenziellen Franchisenehmern», nach Rezepten sortiert. Der Vorteil beginnt
sagt die Kommunikationsverantwortliche also bereits beim Einkauf.
Sissy Voigt.
Kundinnen und Kunden der Kochhaus
Der Fokus werde zuerst auf Zürich ge- GmbH müssen nicht alle Zutaten an verlegt. «Sobald für diesen Standort der schiedenen Orten zusammenkaufen und
geeignete Partner gefunden ist, gehen wir am Schluss erst noch einen Grossteil davon
in die umfassende Immobiliensuche.» zu Hause wieder entsorgen, weil sie keine
TagesWoche
26/15
FOTO: KOCHHAUS
kleinen Mengen für ein einzelnes Menü
bekommen.
In den Kochhäusern hat der Einkaufszettel ausgedient. Die Zutaten für jedes Rezept finden sich direkt an einer Stelle, portionengerecht auf einem dekorierten
Tisch aufgeschichtet. In den Kühltruhen
daneben lagern das Fleisch und verderbliche Produkte.
Alles aus einer Hand
Die Kundinnen und Kunden müssen
die ausgelegte Ware nur noch in den Einkaufskorb legen – sie müssen nur wissen,
wie viele Gäste zu Hause zu verpflegen
sind. «Unser Rezept-Portfolio umfasst
über 400 Rezepte, und es kommen jede
Woche weitere spannende Kreationen hinzu», erklärt Voigt. Wöchentlich würden in
den Kochhäusern drei Rezepte ausgetauscht. In jedem Kochhaus gebe es 18 Rezepttische.
Wer keine Zeit zum Einkaufen im Kochhaus hat, kann sich alle Bestandteile auch
nach Hause liefern lassen, bei Bedarf
inklusive Kochutensilien und Spülmittel.
Für jedes Gericht existiert zudem eine
detaillierte, bebilderte Kochanleitung für
zu Hause, die wirklich jeder versteht, der
lesen kann.
Für eine Vorspeise zahlen Gäste knapp
fünf Euro, eine Hauptspeise kostet mit allem Drum und Dran rund sieben bis acht
Euro. Ein Kochkurs kostet in Berlin 75 Euro,
alles inklusive. In der Schweiz dürften die
Preise etwas höher liegen.
tageswoche.ch/+krxhk
×
24
Bildstoff
360°
tageswoche.ch/360
Dover
90%000 Menschen
besuchten das
Firefly Music Festival im US-Bundesstaat Delaware. Da
mag es lauschigere
Plätzchen zum
Kuscheln geben.
Doch die Gelegenheit ist vergleichsweise günstig: An
gleicher Stelle
finden sonst Nascar-Rennen statt.
MARK MAKELA /REUTERS
Yulin
Die Sonnenwende
feiert man im südchinesischen Yulin
mit einem Hundefleisch-Festival. Wie
Bilder zeigen, gehts
da ziemlich barbarisch zu und her.
Mit dem eigenen,
vermutlich durchaus geliebten Hund
da aufzutauchen,
auf diese Idee muss
man aber erst einmal kommen.
KIM KYUNG-HOON/
REUTERS
New Delhi
Demonstrativ
entspannt: Zum
ersten Welt-YogaTag versammelten
sich 37%000 Yogis
allein in Indiens
Hauptstadt. In der
ersten Reihe mit
dabei: Premierminister Narendra
Modi.
INDIA’S PRESS /REUTERS
TagesWoche
26/15
25
Baku
Wie bringt man
Sportler zum Aufwärmen? Wie es
nicht geht, weiss
man seit dem Song
«Dance The Warm
Up», mit dem uns
die Suva lange auf
den Skipisten
quälte. Die aufgesetzte Fröhlichkeit
bewegte rein gar
nichts. Erfolgreicher waren die
Veranstalter der
Europaspiele bei
den Bogenschützen: mit einem
ehrlichen Smiley.
KAI PFAFFENBACH/
REUTERS
Eriwan
In Armenien
leiden viele Menschen unter Armut.
Dass um rund
20 Prozent erhöhte
Strompreise beim
Volk nicht gut
ankommen, damit
dürften die dafür
verantwortlichen
Behörden gerechnet haben. Bei den
Demonstrationen
in der Hauptstadt
liessen die Wasserwerfer jedenfalls
nicht lange auf
sich warten.
PHOTOLURE/REUTERS
TagesWoche
26/15
26
Interview Antonio Loprieno
Zehn Jahre prägte der Ägyptologe als Rektor die Uni Basel.
Jetzt hört er auf und gibt sein Amt mit einem guten Gefühl ab.
«Ich habe
gelernt,
Prioritäten
zu setzen»
von Yen Duong
A
ntonio Loprieno ist auf dem von Amtsmüdigkeit. Deshalb fühle ich
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass
Sprung. In seinem Büro am mich nun auf eine Art auch befreit.
der Kanton Basel-Landschaft ein sehr
Petersplatz stehen Kisten herum,
Gehen Sie mit einem guten Gefühl?
zuverlässiger Partner der Uni Basel ist. Ich
die Bilder an den Wänden hat
Mit einem sehr guten.
hatte während meiner zehnjährigen Amtser bereits abgehängt. Nur noch wenige
Das ist schwer zu glauben, zumal die
zeit nie das Gefühl, dass sich der LandWochen, dann gibt er sein Amt als Rektor
Baselbieter SVP fordert, dass der
kanton weniger mit der Uni verbunden
Vertrag über die gemeinsame Träger- fühlt als der Stadtkanton.
der Universität Basel ab.
Im Gespräch macht er wie immer einen
schaft der Uni Basel gekündigt
Die Annahme der Masseneinwandewird!– und sogar die Baselbieter
zufriedenen und lockeren Eindruck. Es
rungs-Initiative (MEI) hatte auch
Regierung denkt über eine Kürzung
werde ihm allerdings schwerfallen, sich
einen Einfluss auf Ihren Rücktritt. So
der Beiträge nach. Das müsste Sie
künftig nicht mehr einmischen zu dürfen,
sagten Sie letzten Herbst, dass Ihnen
doch beunruhigen.
das Ja eine Art Abhängigkeit Ihrer
sagt der charmante 60-Jährige.
Funktion vom politischen Geschehen
Herr Loprieno, in wenigen Wochen
Selbstverständlich ist das keine schöne
vermittelt. Dies gebe Ihnen zu denken.
hören Sie als Uni-Rektor auf. Spüren
Angelegenheit. Dennoch bin ich zuverInwiefern sind die Konsequenzen des
Sie Wehmut?
sichtlich, dass es nicht zu Kürzungen von
Entscheids heute für die Uni spürbar?
Und wie! Es ist ein Verlust, dieses Amt Baselland kommen wird.
nicht mehr auszuführen. Aber es ist ein
Woher die Zuversicht? Baselland
Die primäre Konsequenz ist die atmoschreibt tiefrote Zahlen und muss
gewollter Verlust. Denn ich spürte vor meisphärische Unsicherheit, die dieser Entheftig sparen.
ner Rücktrittsankündigung auch Zeichen
scheid hinterlassen hat. Jedes Mal wenn
TagesWoche
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27
Antonio Loprieno
wurde 1955 in
Italien geboren.
Er studierte Ägyptologie, Sprachwissenschaft und
Semitistik an der
Universität von
Turin, danach
lehrte er in Italien,
Deutschland,
Frankreich, den
Vereinigten Staaten, Israel. Seit
2000 ist Professor
Loprieno Ordinarius für Ägyptologie
an der Universität
Basel, seit 2005
Rektor.
«Dieses Amt ist irgendwie eine Schule der Demut. Man lernt seine Grenzen kennen.»
TagesWoche
26/15
FOTOS: BASILE BORNAND
28
wir einen Top-Wissenschaftler für die Uni
rekrutieren wollten, tauchte die Frage auf:
Wird er auch in zwei Jahren an der europäischen Förderung teilnehmen dürfen?
Dann musste ich leider antworten, dass ich
das nicht weiss.
Gab es wegen der MEI schon Absagen
von hochkarätigen Bewerbern?
Diese Frage ist schwer zu beantworten,
zumal man den wahren Grund für eine
Absage ja nie erfährt.
Apropos Internationalität: Im Ranking
von «Times Higher Education» befindet sich die Uni Basel auf Platz 75 und
zählt somit zu den 100 besten Hochschulen der Welt. Wie wichtig waren
solche Rankings für Sie?
Wir arbeiten an der Uni nicht explizit
für diese Rankings. Aber natürlich sind sie
auch ein Indikator für Qualität. Wir sind
nicht Harvard und können auch nie Platz 10
erreichen. Dennoch sind wir eine Uni von
Weltformat. Die Rankings sind also eine
Bestätigung, dass wir als lokal verankerte
Uni unsere Arbeit auf Weltniveau machen.
Das ist ein ausgezeichneter Erfolg.
Ein Spagat dürfte auch der Umgang
mit Sponsoring sein. Private Geldgeber werden immer wichtiger für die
Uni. Wann ist das gesunde Mass
überschritten?
Die Grenze wäre dann überschritten,
wenn die Uni auf ihre Autonomie in Lehre
und Forschung verzichten müsste.
Die privaten Geldgeber lassen der Uni
also noch genügend Freiheiten?
Ich glaube schon. Sie hätten die Frage
aber auch anders stellen können.
Wie denn?
Wie sieht es denn mit der staatlichen
Intervention aus?
Der Staat ist schliesslich Eigentümer.
Ja. Aber der Punkt ist doch: Sie und
ich kommen aus einer Kultur, in der angenommen wird, dass der Staat sich nicht
einmischt, Private aber schon. Das stimmt
jedoch so nicht. Wir erleben viele staatliche
Interventionen. Das ist auch gut so, zumal
wir dem Staat ja gehören. Es wird aber oft
davon ausgegangen, dass die Unterstützung vom Staat ohne Wenn und Aber
kommt. Dabei ist diese Unterstützung mit
einem Leistungsauftrag, also mit Auflagen
verbunden. Man darf nicht davon ausgehen, dass der Staat absolut gar nicht
interveniert, die Privaten hingegen jede
Sekunde auf das Geld schauen. Ich finde es
immer besser für eine Uni, wenn ihr Geld
nicht nur von einer Seite kommt. Es ist
sehr wichtig, dass die Geldquellen etwas
differenziert sind. Unser Anteil an privaten
Drittmitteln beträgt rund 10 Prozent, was
im Sinne der Autonomie absolut ungefährlich ist.
Wenn es um mehr Geld für die Uni
geht, wird auch immer wieder die Idee
ins Spiel gebracht, dass ausländische
Studenten mehr zur Kasse gebeten
werden könnten.
Dagegen habe ich mich immer gewehrt.
Eine Gleichbehandlung zwischen ausländischen und Schweizer Studenten war mir
«Es herrschte in all den Jahren eine gewisse Kontinuität, darüber freue ich mich.»
immer ein wichtiges Anliegen – und zwar
nicht aus christlicher Nächstenliebe.
Sondern?
Weil wir als eine Universität im Grenzbereich auch sehr stark auf ausländische
Studenten angewiesen sind – namentlich
aus Südbaden. Zudem wäre eine Trennung
auch nicht förderlich für die Einbindung
der Uni Basel in der Region. Es gibt aber
nicht nur einen pragmatischen Grund
für die Aufrechterhaltung des jetzigen
Systems, sondern auch einen historischen:
Wir sind eine Universität in der Tradition
des Humanismus. Und es gehört zu einer
humanistischen Universität, dass alle Studierenden gleich behandelt werden – egal
woher sie kommen.
«Es gehört zu einer
humanistischen Uni, dass
alle Studierenden gleich
behandelt werden.»
Wenn Sie auf Ihre zehnjährige Tätigkeit zurückblicken: Auf was sind Sie
besonders stolz?
Stolz ist so ein komplexes Wort'…
Nicht so bescheiden, Herr Loprieno!
Wenn es um Stolz geht, bin ich immer
ein bisschen gehemmt. Aber falls ich mich
dazu durchringen würde, das Wort in den
Mund zu nehmen, dann wäre ich stolz
darauf, dass in all diesen Jahren keine von
uns verursachte Tragödie das Leben der
Universität gestört hat.
Sie sind einfach froh, dass die Uni Sie
unbeschadet überlebt hat?
(lacht) Einfach, dass es keine schwerwiegenden Probleme gab. Es herrschte in
all den Jahren eine gewisse Kontinuität.
Darüber freue ich mich.
Gibt es auch ein Ziel, das Sie nicht
erreicht haben?
Wenn ich ehrlich bin, ja. Und zwar war
ich ausgerechnet in dem Bereich schlecht,
der mir als Ägyptologe am nächsten steht.
Den Geisteswissenschaften?
Genau. Es ist mir nicht gelungen, die
Geisteswissenschaften in unsere neue
akademische Landschaft zu überführen.
So organisieren die Geisteswissenschaftler ihr Studium weiterhin so, als ob wir
noch das Jahr 1980 schreiben würden:
stur nach Fächern. Das halte ich für veraltet. Vielversprechender wäre eine interdisziplinäre Form der Ausbildung. Leider
konnte ich meine Kollegen nicht davon
überzeugen.
Und woran liegt das? An der mangelnden Offenheit der geisteswissenschaftlichen Fakultät?
Das wäre die einfachste Interpretation,
von der ich nicht ausgehe. Es gibt zwei
Faktoren, einen persönlichen und einen
kulturellen. Der kulturelle ist, dass die akaTagesWoche
26/15
29
demische Landschaft für die Geisteswissenschaften in den letzten Jahren rauer geworden ist als für die Naturwissenschaften.
Dazu kommt der persönliche Faktor: Es ist
besonders anspruchsvoll, die eigenen Kollegen zu überzeugen. Umgekehrt ist es
auch immer schwieriger für die Kollegen,
sich von jemandem überzeugen zu lassen,
der zu ihnen gehört.
Weil man Sie dort nicht als Chef sieht,
sondern als Kollege?
So ist es. Dann wird es am komplexesten,
die eigene Leitungsfunktion richtig zu
erfüllen.
Ihre Nachfolgerin Andrea SchenkerWicki ist die erste Frau in der
Geschichte der Universität Basel.
Inwiefern ist es von Vorteil, dass nun
eine Frau dieses Amt ausübt?
Ich freue mich sehr über ihre Wahl. Für
die Leitungsfunktion spielt es meines
Erachtens keine Rolle, ob nun ein Mann
am Werk ist oder eine Frau. Ich glaube
nicht, dass eine Frau etwas besser kann
als ein Mann oder ein Mann etwas besser
als eine Frau. Aber im Sinne der Zeichenhaftigkeit finde ich es sehr schön und
bezeichnend, dass wir als klassische
humanistische Universität nun die erste
Rektorin haben.
Ein Zeichen dürfte auch die sehr
wirtschaftswissenschaftliche Biografie
von Frau Schenker-Wicki sein. Somit
dürfte klar sein, in welche Richtung
die Uni gehen wird.
Es gibt bestimmte Ämter, zu denen man
unabhängig vom Background gewählt wird.
Und dazu zählt das Amt des Rektors. Am
Schluss entscheidet das Gesamtpaket.
Daher ist die Herkunftsfakultät von Frau
Schenker-Wicki für ihre Funktion als
Rektorin irrelevant. Bei mir hiess es damals
auch: «Oh Gott, ein Ägyptologe!»
Welche Herausforderungen hinterlassen Sie Ihrer Nachfolgerin, Andrea
Schenker-Wicki?
Ohne meine Nachfolgerin in irgendeinem Sinne in ihrem Gestaltungsspielraum
einschränken zu wollen: Die künftigen
Herausforderungen werden sich von den
vergangenen nicht gross unterscheiden.
Primär schaue ich es als eine grosse Herausforderung an, die lokale Verwurzelung
der Uni Basel mit einer Wissenschaft zu
verbinden, die immer internationaler wird.
Das ist immer ein schwieriger Kompromiss –
ein Spagat.
Sie bleiben der Uni Basel erhalten.
Wird es Ihnen schwerfallen, nichts zu
sagen?
(überlegt) Ja, es wird mir schwerfallen
und ich werde mich zurückhalten müssen.
Erst recht, wenn man noch so nahe dran
bleibt. Jede andere Antwort wäre unehrlich.
Ich habe mir jedoch vorgenommen, nie
etwas zu sagen, wenn ich nicht explizit von
meiner Nachfolgerin gefragt werde. Aber
wird das schwierig für mich werden? Ja,
und wie!
Sie haben nun wieder mehr Zeit. Sie
könnten ja auch für den Ständerat
kandidieren, wie es die BaZ vorschlug.
TagesWoche
26/15
Oh nein, das wäre nichts für mich. Ich
bin ein politischer Mensch, weil es mir
gefällt, Ideen zu vertreten. Aber ich bin
wahrlich kein Parteipolitiker. Das würde
mich zu fest einengen.
Aber welche Partei liegt Ihnen
am nächsten?
In meiner persönlichen Einstellung
gibt es sowohl linke auch als bürgerliche
Haltungen. Wenn es um die Wirtschaft
geht, bin ich ein klassischer Liberaler.
Geht es aber um die gesellschaftliche
Öffnung, dann ein klarer Linker. Als ich
1980 in Deutschland anfing, mich für die
Politik zu interessieren, war ich damals
eher dem linken Flügel der FDP zuzuordnen. Ich bin also alles in allem ein Linksliberaler.
schon sehr provinziell. Vielleicht sind
solche Diskussionen aber ja auch unausweichlich.
Was war das Mühsamste in Ihrem Job?
Nichts Spezielles. Aber vielleicht, dass
man sich als Rektor keine richtige Erkältung leisten darf. Als Rektor braucht man
nicht sehr viel Intelligenz, denn wenn man
einen Fehler macht, gibt es genügend Leute unter oder über einem, die korrigierend
eingreifen. Dafür braucht man jedoch viel
Gesundheit. Ist man zwei Tage hintereinander krank, dann führt dies zu grossen
Störungen. Man muss also zu Gott beten,
dass er einem in diesem Amt Gesundheit
gewährt.
Hat das Amt Sie sehr verändert?
Bevor ich als Rektor anfing, gab es zwei
heilige Aspekte in meinem Leben. Erstens:
immer alles erledigen, was man von mir
erwartet. Zweitens: es immer allen recht
machen. Ich habe in diesem Job gelernt,
Prioritäten zu setzen. Man kann als Rektor
nicht alles erledigen, und man kann es
nicht immer allen recht machen. Auch
wenn man sich darum bemühen sollte.
Dieses Amt ist irgendwie eine Schule der
Demut. Man lernt seine Grenzen kennen.
Über welche Diskussionen in Basel
regen Sie sich hin und wieder auf?
Und das ist eine wichtige Lehre.
Vorher habe ich Ihnen ja gesagt, dass
Wie möchten Sie als Uni Rektor in
sich die Uni an der Schnittstelle von LokaErinnerung bleiben?
lem und Globalem befindet. Dasselbe gilt
Als ich jung war, war ich Fussballfür unsere Stadt, die ich als eine Art Mega- schiedsrichter. Der beste Schiedsrichter ist
Uni lese. Wir haben einerseits Aspekte, die der, der auf dem Feld nicht gesehen wird.
sehr provinziell sind, andererseits sind wir Denn wenn ein Schiedsrichter ständig
aber auch auf Weltniveau platziert.
pfeift, wird er zum Protagonisten. ProtagoWas meinen Sie damit genau?
nisten sind jedoch die Leute an der Uni –
Besonders in Wissenschaft, Kunst und der Rektor ist deren Botschafter. Wenn ich
Architektur sind wir eine Stadt von Weltfor- als ein Schiedsrichter in Erinnerung bleibe,
mat. Aber wenn ich sehe, wie wir darüber der so wenig wie nötig pfiff, als ein nicht
diskutieren, wie unser Verkehr organisiert obsessiver Steuermann, dann bin ich schon
werden sollte und ob wir einige Polizisten zufrieden.
mehr bräuchten, dann wirkt das manchmal tageswoche.ch/+zbpn1
×
«Ich lese Basel als eine
Art Mega-Uni: Wir haben
provinzielle Aspekte, sind
aber auch auf Weltniveau.»
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TagesWoche To Go:
An diesen Orten liegt die TagesWoche zum Lesen und Mitnehmen auf.
Eiscafé Acero
Flora Buvette
Café del mundo
Bio Bistro Bacio
Schmaler Wurf
Okay Art Café
Café St. Johann
Da Francesca
Rheingasse 13
Rheingasse 10
SantaPasta
Rheingasse 47
SantaPasta
St. Johanns-Vorstadt 13
Mercedes Caffè
Schneidergasse 28
Jonny Parker
St. Johanns-Park 1
Café Frühling
Klybeckstrasse 69
Valentino’s Place
Kandererstrasse 35
Restaurant Parterre
Klybeckstrasse 1b
KaBar
Kasernenareal
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Rebgasse 12–14
Buvette Kaserne
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Buvette Oetlinger
Unterer Rheinweg
Unterer Rheinweg
Schützenmattstrasse 11
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Güterstrasse 158
Elsässerstrasse 40
St. Johanns-Vorstadt 70
Mörsbergerstrasse 2
Elisabethenstrasse 14
Gundeldinger-Casino Ba- Pan e più
Grenzacherstrasse 97
sel
Güterstrasse 211
Café Huguenin AG
Barfüsserplatz 6
Da Graziella AG
Feldbergstrasse 74
LaDiva
Ahornstrasse 21
ONO deli cafe bar
Leonhardsgraben 2
Restaurant Papiermühle
St. Alban-Tal 35
Confiserie Beschle
Centralbahnstrasse 9
Bistro Kunstmuseum
St. Alban-Graben 16
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Güterstrasse 138
Bistro Antikenmuseum
St. Alban-Graben 5
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St. Jakobs-Strasse 397
Café Spielzeug Welten
Restaurant Chez Jeannot Museum Basel
Elisabethenstrasse 16
Caffè.tee.ria Paganini
Centralbahnstrasse 14
Haltestelle
Gempenstrasse 5
5 Signori
Güterstrasse 183
Werk8
Dornacherstrasse 192
Unternehmen Mitte
Gerbergasse 30
kult.kino atelier
Theaterstrasse 7
Café-Bar Elisabethen
Theater-Restaurant
tibits
Stänzlergasse 4
Campari Bar
Steinenberg 7
Ca’puccino
Falknerstrasse 24
Paul Sacher-Anlage 1
Steinenvorstadt 1
Birmannsgasse 1
Bar Caffetteria Amici
miei Azzarito & Co.
Gewerbestrasse 30, Allschwil
Basel Backpack
Van der Merwe Center
Jêle Cafè
Mühlhauserstrasse 129
Allschwilerstrasse 99
Dornacherstrasse 192
30
Schweizer Europapolitik
Der von den Bürgerlichen geforderte
Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs würde
die Abschottungshaltung nur verstärken.
Unnötiger
Rückzieher
Online
tageswoche.ch/
themen/
Georg Kreis
Das alte Lied: Die Welt verändert sich, aber die Schweiz bleibt gleich.
FOTO: KEYSTONE
von Georg Kreis
E
ine wichtige Abstimmung konnte am 10. Juni nicht stattfinden,
weil das traditionelle Sommerreisli der Fraktionen Priorität
hatte. Jetzt kommt das Geschäft frühestens in der Herbst-Session wieder auf den
Tisch.
Bei dieser besonderen Abstimmung
wäre es um die Frage gegangen, ob der
Bundesrat endlich das EU-Beitrittsgesuch
zurückziehen soll, das er am 20. Mai 1992
nach Brüssel abgeschickt hatte. SVP-Nationalrat und Auns-Präsident Lukas Reimann
verlangt einen solchen Rückzug mit einer
bereits im März 2014 eingereichten Motion.
Noch heute – und heute mehr denn
je – wird im Gesuch um die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen ein hochgradiger
Politfehler gesehen, weil es die Chancen
für ein EWR-Ja stark reduziert habe. Die
Gegner jeglicher institutionellen Annäherung hätten diesen Fehler zwar begrüssen
müssen und taten dies insgeheim vielleicht
auch, weil dieser Schritt mitverantwortlich
dafür war, dass am 6. Dezember 1992 der
EWR-Vertrag abgelehnt wurde.
Dieses im Bundesrat mit knapper
4:3-Mehrheit zustande gekommene und
von alt Bundesrat Arnold Koller als «überstürzt» bezeichnete Gesuch um Beitrittsverhandlungen war indessen nicht so
tollkühn oder gar «hirnverbrannt», wie das
aus der Distanz von ein paar Jahren den
Nichtinformierten erscheinen mag.
Andere Länder (Österreich, Schweden,
Finnland) hatten schon vor jenem 20. Mai
solche Verhandlungsgesuche eingereicht.
Wollte die Schweiz beim anlaufenden
Verhandlungsprozess als Vollmitglied mitreden und ihre nationalen Interessen bei
den Revisionsverhandlungen der bestehenden EG-Verträge einbringen können,
musste ein solches Gesuch vor dem Juni
1992 eingereicht werden.
Jakob Kellenberger, der ehemalige
Chefunterhändler der später ausgehandelten Bilateralen I, sah im EWR-Abkommen,
weil es eine Beteiligung ohne Mitwirkung
vorsah, ebenfalls bloss einen Zwischenschritt. Es war klar, dass im Abstimmungskampf zum EWR die dahinter liegende
Vollmitgliedschafts-Variante in jedem Fall
ein Thema gewesen wäre, und darum sei es
richtiger – auch ehrlicher – gewesen, offen
dazu zu stehen.
«Ewiggestrige EU-Turbos»
Wie man weiss, wurde die Einstufung
des EWR als Zwischenschritt und «Trainingslager» (Adolf Ogi) als verhängnisvoll
für den Ausgang der EWR-Abstimmung
eingeschätzt. Allerdings gab es auf dem
unglücklichen Weg zum 6. Dezember mehrere und grössere Fehler als gerade diesen.
Der EU-Beitritt war in dieser Zeit eine
sowohl von der CVP als auch von der FDP
verfolgte Zielsetzung: Bei der CVP gab es
dazu sogar einen Parteitagsbeschluss, und
die FDP ging mit der Vision «Unsere Schweiz
1999–2003» davon aus, dass die Schweiz bis
TagesWoche
26/15
31
zum Jahr 2007 EU-Mitglied sein werde.
Noch nach Annahme der Bilateralen I vom
Mai 2000 sprach sich eine starke Mehrheit
(15:8) der Aussenpolitischen Kommission
des Nationalrats für eine Reaktivierung des
Beitrittsgesuchs vor Ablauf der Legislaturperiode im Jahr 2003 aus.
Da es dabei um eine Grundsatzfrage
ging und nicht bloss um eine momentane
Befindlichkeit, muss man sich fragen, warum jetzt etwas total daneben sein soll, was
einmal breit akzeptierte Zielsetzung war.
Und dahinter wartet jetzt die Frage, ob die
momentan vorherrschende Meinung definitiv sei oder ob sie gelegentlich wieder
einer anderen Beurteilung Platz machen
wird. «Die Welt verändert sich», ruft Reimann den «ewiggestrigen EU-Turbos» zu.
Diese verändert sich möglicherweise auch
wieder einmal in die entgegengesetzte
Richtung, könnte man dem fundamentalistischen EU-Gegner erwidern.
mit ihrer Nachgiebigkeit dem Auns-Präsidenten in die Hände, die er sich, um im Bild
zu bleiben, dann zu Recht triumphierend
reiben kann. Der Effekt: Die Kräfte, die zur
EU auf grösstmögliche Distanz gehen wollen, werden nicht etwa besänftigt, sie werden im Gegenteil ermuntert, den Ruf nach
einer Schweiz ohne EU weiter zu akzentuieren. In der Reimann-Motion findet sich der
vielsagende Satz: «Als Schweiz haben wir
die Möglichkeit, zu zeigen, dass es ohne EU
besser geht und dass es Alternativen gibt.»
Lukas Reimann geht davon aus, dass das
schubladisierte Gesuch die Verhandlungen, die mit dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative nötig geworden sind,
erschwere, weil die EU wegen des noch
immer nicht zurückgezogenen Gesuchs in
der Schweiz keine unabhängige und selbstständige Nation erblicke, sondern weiterhin eine Beitrittskandidatin.
Dem muss man entgegenhalten, dass
die schwierigen Verhandlungen, die uns
die SVP eingebrockt hat, sicher nicht durch
das alte Papier beeinflusst werden oder,
sollte die alte Beitrittsperspektive im Hintergrund doch noch eine Rolle spielen, diese sich für die Schweiz höchstens günstig
auswirken würde. Diejenigen, die vom
Königsweg der Bilateralen schwärmen,
zugleich jetzt aber die Motion des SVPler
unterstützen wollen, sind sich nicht bewusst, wie sehr diese Bilateralen nur wegen
Seit ihrem Sieg von 1992 sind die rechts- des Gesuchs vom 20. Mai möglich waren.
nationalen Kräfte es nicht müde geworden, Die EU hat dem ausserordentlichen bilateden Rückzug des Gesuchs zu verlangen. ralen Weg bloss als Zwischenkonzession
Bundesrat und Mehrheit des Nationalrats gegenüber einem vorläufigen Noch-Nichtwaren aber standhaft geblieben und hatten mitglied zugestimmt.
die Vorstösse mit dem Argument abgewehrt,
Die bürgerliche Mitte meint, mit dieser
dass das Gesuch ja gegenstandslos sei und Konzession Ballast abwerfen und damit
darum auch nicht in aller Form zurückgezogen werden müsse. Schon im Dezember ANZEIGE
2013 hatte der Bundesrat in einer Antwort
auf eine andere SVP-Motion zu beruhigen
versucht, er werde in Brüssel ausdrücklich
erklären, dass die Schweiz der EU nicht
beitreten wolle und das 1992er-Gesuch
wirklich für gegenstandslos betrachte.
Die Reimann-Motion will der Bundesrat
wiederum nicht annehmen. Ob er dabei
vom Parlament unterstützt wird, ist jedoch
fraglich. Glaubt man gewissen Pressemeldungen, ist von der alten Standhaftigkeit
neuerdings nicht mehr viel übrig und die
schwächelnde bürgerliche Mitte bereit,
dem rechtsnationalen Drängen nachzugeben. Selbst die Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter wird
als Befürworterin eines Rückzugs zitiert,
den sie aber nicht so verstanden haben will,
dass die Schweiz nicht mehr mit der EU
zusammenarbeiten soll.
Die Exponenten der bürgerlichen Mitte
rechtfertigen ihre Zustimmung damit, dass
der Rückzieher aussenpolitisch wenig relevant sei, aber innenpolitisch der SVP endlich ein Dauer-Wahlkampfthema entreisse.
Der erste Punkt trifft zu, der EU ist diese
Minikorrektur sicher egal, sie hat andere,
gewichtigere Probleme zu lösen.
Der zweite Punkt dagegen geht überhaupt nicht auf. Die bürgerliche Mitte spielt
Selbst CVP-Nationalrätin
Elisabeth SchneiderSchneiter wird als
Befürworterin eines
Rückzugs zitiert.
TagesWoche
26/15
leichter für die Erhaltung der Bilateralen
kämpfen zu können. Die Konzession würde
aber, was erstaunlicherweise überhaupt
keine Rolle spielt, gegenüber EU-Fundamentalgegnern gemacht, die sich jetzt bestärkt
fühlen und die aus ihrem Erfolg Kapital
schlagen können. Reimann & Co. geht es jedenfalls nicht darum, gute Voraussetzungen
für deren Erhalt zu schaffen – im Gegenteil.
Argumente aus dem Kalten Krieg
Heute müsste es eigentlich um zwei Ziele
gehen: Erstens um die Verteidigung der Resultate dieses ausserordentlichen Entgegenkommens und zweitens um eine Fortsetzung des angeblichen «Königswegs»,
die darin besteht, dass ein institutionelles
Rahmenabkommen für alle bisherigen Bilateralen und im Moment mindestens ein
zusätzliches Abkommen im Elektrizitätsbereich zustande kommt. Und genau das
wird von der Seite entschieden bekämpft,
der man jetzt entgegenkommen will.
Als der «Blick» über die inzwischen zurückgestellte Motion Reimann berichtete,
löste dies eine Flut von Reaktionen aus: Gegen 2000 Blogger unterstützten mit Daumen
nach oben den geforderten Rückzug. Ein
Leser reagierte mit einem Argument aus der
Zeit des Kalten Kriegs, als Andersdenkenden
der Weg nach «Moskau» gewiesen wurde:
Er forderte diejenigen, die gegenüber der
EU eine kooperationsfreundliche Haltung
einnehmen, sollen gefälligst in eines der
EU-Länder auswandern.
Solche Stimmen übersehen, dass es
auch denjenigen, die gegen die rechtsnationale Abschottungshaltung sind, um die
Interessen der Schweiz geht.
tageswoche.ch/+013qs
×
32
Vania Alleva
Seit letzter Woche ist Vania Alleva die alleinige Präsidentin
der Gewerkschaft Unia. Zum Start ihr persönlicher Aufruf zu
einem furchtlosen Leben in Solidarität.
ser verteidigt werden können. Die Unia ist
keine «geschützte Werkstatt». Auch bei uns
gibt es Konflikte, auch bei uns wird Leistung verlangt. Aber die Bewegung Unia ist
keine Kampfzone «jeder gegen jeden». Wir
setzen uns ein für gemeinsame Werte und
Überzeugungen. Für gemeinsame Ziele,
die viel mehr bedeuten als individuelle
Erfolge und Niederlagen. Dafür schenken
wir uns gegenseitig Respekt und immer
wieder Solidarität. Und daraus ziehe ich
meine Kraft und Motivation. Darum habe
ich keine Angst.
E
ine ereignisreiche Woche liegt
hinter mir. Am vergangenen
Samstag ist mein geschätzter
Kollege, der bisherige Unia-CoPräsident Renzo Ambrosetti, altersbedingt
zurückgetreten. Die Delegiertenversammlung hat mich zur alleinigen Präsidentin
gewählt. Für mich als Gewerkschafterin
war das ein sehr emotionaler Moment.
Ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen, um mich für meine Werte und Überzeugungen zu engagieren. Dass ich diese
Chance erhalte, dafür bin ich unseren Delegierten und allen Mitgliedern sehr dankbar.
Angst macht krank
Vania Alleva ist Präsidentin der Gewerkschaft Unia und Vizepräsidentin des
Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
tageswoche.ch/+bw5ww
geworden, warum. Die Antwort heisst:
Solidarität.
Die Antwort heisst Solidarität
Müssen Sie jetzt gähnen? Ist das für
Ich führe von nun an die grösste Gewerk- Sie nur ein verstaubtes Wort aus der linken
schaft der Schweiz – ein Verein mit 200&000 Mottenkiste?
Mitgliedern, eine soziale Bewegung mit
10&000 Aktiven, ein Unternehmen mit 1000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine
Organisation, die immer wieder neue Herausforderungen bewältigen muss: politische Auseinandersetzungen, schwierige
Konflikte mit Arbeitgebern, gefährliche gesellschaftliche Entwicklungen. Eine solch
grosse Verantwortung könnte schon Angst
machen. Aber ich habe keine Angst.
Ich schlafe gut. Sogar letzte Woche, trotz
all dem Stress, all den Medienanfragen und
Nach vier Jahrzehnten neoliberaler GeZusatzaufgaben, die mit der Wahl ver- hirnwäsche – «investiere in dich selbst,
bunden waren. Und mir ist nochmals klarer übertreffe alle, sei produktiver, stich die anderen aus, verkauf dich besser, passe dich
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an» – haben leider viele Menschen jeden
Begriff von Solidarität verloren. Mit
schlimmen Folgen: Denn ein Leben ohne
Solidarität ist ein einsames Leben. Ein
Leben in Angst.
Was das Zusammenstehen bewirken
kann, das erlebe ich laufend ganz konkret.
Kürzlich zum Beispiel beim Protest der
Angestellten gegen missbräuchliche Kündigungen bei McDonald’s in Burgdorf.
Oder bei der Petition mit Unterschriftensammlung des Verkaufspersonals in der
St. Galler Shopping-Arena gegen weitere
zusätzliche Öffnungszeiten über die nächsmoderne 31/2 - 51/2
ten Weihnachtsfeiertage.
Zimmerwohnungen mit
Es ist beeindruckend, wie diese konkrete
grossen Terrassen in 4242 Erfahrung gemeinsamen Handelns die beLaufen (Röschenzstrasse)
teiligten Verkäuferinnen, Angestellten,
Büezer verändert. Wie sie ihr Bewusstsein
Folgen Sie den Atmoshaus Wegweisern.
stärkt, dass Probleme gemeinsam angeAtmoshaus AG / wiesenblick-laufen.ch
packt, die eigenen Rechte gemeinsam bes-
Nach Jahrzehnten
neoliberaler
Gehirnwäsche haben
viele jeden Begriff von
Solidarität verloren.
Angst ist das Leitmotiv der neoliberalen
Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Angst vor
den allmächtigen Chefs, Angst vor den ehrgeizigen Kollegen, Angst vor Ausländern,
Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst den Einstieg nicht zu schaffen, Angst den
Anschluss zu verlieren, Angst zu scheitern.
Angst macht krank. Es gibt dagegen nur
ein Heilmittel: unsere gemeinsamen Interessen entdecken und zusammen dafür einstehen.
Solidarität ist darum kein leeres Wort
aus vergangenen Zeiten. Solidarität ist die
grosse Herausforderung für die Zukunft
und ein wichtiges Leitmotiv der Unia: Wir
stehen dafür ein, dass wieder mehr Menschen ganz konkret Solidarität leben und
erleben können, an ihrem Arbeitsplatz und
in der Gesellschaft.
×
OPEN
HOUSE
Samstag,
27.06.15
11-15h
TagesWoche
26/15
33
Andreas Gross
Die Diskussion vor der Abstimmung über die Änderungen im
Radio- und Fernsehgesetz war einseitig. Welche Konsequenzen
aus dem knappen Ja zu ziehen sind, ist deshalb unklar.
Der Demokratie fehlt die Infrastruktur
von Andreas Gross
F
ür den berühmten amerikanischen Philosophen John Dewey
(1859–1952) bestand das Wesen
der Demokratie in der öffentlichen Diskussion, er erachtete die Diskussion sogar als die Gestaltungsform der
Demokratie. Diese These stimmt noch viel
mehr für die direkte Demokratie.
Sowohl die Initiative als auch das Referendum lassen sich kommunikativ als
spezifische Einladungen zur öffentlichen
Diskussion und Deliberation (lat. «Beratschlagung», «Überlegung») verstehen. Eine
Initiative ist immer eine Frage von wenigen
an alle mit der Einladung, über eine bestimmte Idee und Reform nachzudenken,
zu diskutieren, sich so mit dem Vorschlag
vertraut zu machen, um ihn dann ablehnen
oder unterstützen zu können. Ein Referendum dagegen bringt zum Ausdruck, dass
eine wesentliche Anzahl der Bürgerinnen
und Bürger von den Diskussionsergebnissen der parlamentarischen Gesetzesberatung nicht überzeugt sind und kritisch
nachfragen beziehungsweise alle Bürgerinnen und Bürger veranlassen möchten,
sich der Sache anzunehmen.
Diskurs in der Öffentlichkeit
Wann immer also eine Volksinitiative
lanciert oder ein Referendum eingereicht
wird, herrscht grosser Diskussionsbedarf.
Es ist die Qualität dieses vielfältigen öffentlichen Diskussionsprozesses, der die Qualität des Abstimmungsergebnisses bestimmt.
Ganz im Sinne der These des Basler Philosophen Hans Saner in einem berühmten
Radiogespräch von 1989 mit Max Frisch, als
er sagte, nicht die Mehrheitsregel sei das
Problem der Demokratie, sondern die Art
und Weise, wie sie zustande komme.
Wie intensiv wird diskutiert? Gehen die
verschiedenen Akteure auf die Argumente
ihrer Kontrahenten ein? Oder spielen sie
einfach auf den Mann und versuchen, ihn
zu diskreditieren statt dessen Argument zu
widerlegen? Berichten die Medien über die
Debatten und bewerten sie die Diskurse?
Sind die Möglichkeiten der verschiedenen
Akteure, Aufmerksamkeit zu erzeugen und
Gehör zu finden, ausgeglichen? Dominieren jene, die unmittelbare Interessen
vertreten? Wie unterscheiden sich diese
von jenen, die zumindest vorgeben, das
Allgemeinwohl zu priorisieren?
Bürgerinnen und Bürger, die mit solchen Debatten konfrontiert werden, beginTagesWoche
26/15
Andreas Gross ist Politikwissenschaftler, SP-Nationalrat und Mitglied
der Parlamentarischen Versammlung
im Europarat.
tageswoche.ch/themen/Andi Gross
nen, sich selber in ihnen zu verorten. Sie
machen sich Diskurse zu eigen und geben
sie weiter, nicht nur auf dem Stimmzettel,
sondern auch in der Öffentlichkeit. So vermag sich die Gesellschaft zu verständigen.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich,
wie unzureichend der Meinungsbildungsprozess zur Revision des Radio- und TVGesetzes war. Gewiss haben spezifische
Faktoren die Defizite dieses Prozesses
noch verstärkt. So waren viele Verlagshäuser Partei in dieser Sache, die SRG hielt
sich dagegen vor allem in der deutschen
Schweiz als Plattform der Debatte viel zu
sehr zurück. Und schliesslich stritten zwei
der Protagonisten gleichsam verdeckt, um
nicht zu sagen gezinkt: Gewerbeverband
und «Medienfreiheitliche» gaben zwar vor,
es ginge ihnen ums Geld – tatsächlich wollen sie die SRG unterminieren und deren
Fundamente zum Einsturz bringen.
Viel Unmut, wenig Orientierung
Auf der Gegenseite unterschätzten
vor allem die Deutschschweizer SRG-Fans
den allgemeinen Unmut über das für viele
unverträgliche TV-Angebot und die daraus
folgende Lust, über öffentlich-rechtliche
Ansprüche zu streiten, während es doch an
sich nur um eine Systemänderung in der
Erhebung der Gebühren ging. Die Konsequenz: viel Unmut, viel Aggressivität, wenig
Aufklärung und wenig Orientierung.
Das Ergebnis ist weit verbreiteter Ärger
und Unbehagen. Zwar scheut kaum einer
der Protagonisten davor zurück, so zu tun,
als ob er wisse, dass die jeweilige Hälfte der
Stimmenden genau seiner persönlichen
Meinung ist. Im Grund genommen sind sich
aber die meisten bewusst, dass keiner weiss,
was die meisten Schweizerinnen und
Schweizer – vor allem in der Deutschschweiz – jetzt wollen. Muss für das Radio
und Fernsehen zu viel bezahlt werden? Stört
tatsächlich die Haushaltspauschale, da es
auch radio- und fernsehfreie Haushalte
gibt? Oder sind die Unternehmensbeiträge
unangemessen? Mangelte es tatsächlich an
der Verfassungsgrundlage? Geben sich die
SRG-Mitarbeitenden wirklich zu arrogant?
Ist das Angebot von SRF in der Deutschschweiz wirklich zu seicht und zu flach?
Mediale Ressourcen fehlen
Es gab schon Volksinitiativen, die nach
der Abstimmung paradoxerweise intensiver, breiter und besser diskutiert wurden
als vor der Abstimmung. Zu denken ist
beispielsweise an die Ablehnung der Minarette im Spätherbst 2009, als die schweizerische Öffentlichkeit von den Niederungen
der UBS und den Eskapaden Muammar
al-Gaddafis zu besetzt schien, um auch
noch Platz zu finden für eine angemessene
Erörterung von Moscheen und Minaretten
in der Schweiz. Oder an den 9. Februar
2014, da nach den Festtagen vier Wochen
nicht ausreichten, um sich über die Folgen
der extremen SVP-MasseneinwanderungsInitiative klar zu werden. Nun haben wir ein
Referendum, das nach der Abstimmung
mehr zu reden geben wird als vorher.
Noch wichtiger als diese Debatten ist
aber die Frage, welche Schlussfolgerungen
wir aus der Erkenntnis ziehen, der 14. Juni
2015 habe die infrastrukturellen Defizite
der schweizerischen Demokratie aufgedeckt: Es gibt schlicht die medialen Räume
und Ressourcen nicht mehr, welche Voraussetzung sind für eine echte breite und
differenzierte gesellschaftliche Diskussion. Und wenn der Markt derart die Voraussetzungen für eine fruchtbare Demokratie
nicht mehr zur Verfügung stellen kann,
muss eben die Gesellschaft selber für Ersatz sorgen. Das hiesse beispielsweise, dass
aus dem von der Allgemeinheit gespeisten
«Medientopf» all jene unterstützt werden,
die Raum schaffen für diese Debatte – sei
sie nun elektronisch oder papieren, per
Post oder Verträger ins Haus geliefert.
tageswoche.ch/+iz38j
×
34
Griechenland
Der griechische Premier Alexis Tsipras hat erreicht, dass
Brüssel seine Reformliste diskutiert. Doch die Unternehmer
und die eigenen Parteigenossen zu Hause sind fassungslos.
Jeder Vorschlag ist
besser als keiner
von Julia Damianova
J
ede Volksseele braucht eine Bühne,
und in Griechenland ist das der
Syntagma-Platz, der Platz der Verfassung im Athener Zentrum, genau
vor dem Parlament. Seit Tagen wechseln
sich nun dort die widerstreitenden Seelen
ab: jene, die Alexis Tsipras und seine
linksgeführte Regierung unterstützt im
Tauziehen mit den Kreditgebern in Brüssel; und die andere, die um Griechenlands
Platz in der Eurozone und überhaupt in
Europa fürchtet.
Während die Staats- und Regierungschefs der EU am Montag in Brüssel zu
einem schlecht vorbereiteten Sondertreffen zum Thema Griechenland zusammenkamen, fand eben eine Pro-EUKundgebung auf Syntagma statt. Keine
Partei habe sie organisiert, sie wurde über
das Internet ausgerufen, erklärt der
20-jährige Student Jason. «Wir sind hierhergekommen, weil wir Angst haben, dass
sich unsere Regierung mit der EU und
dem IWF nicht einigen könnte. Wir sind
hier, um zu zeigen, dass wir in der Eurozone bleiben wollen», sagt er. Ein paar
Meter weiter in der dichten Menschenmenge kritisiert Nikos, ein Regierungsbeamter, die Verhandlungstaktik des
Ministerpräsidenten Tsipras.
Eines aber kann man der Regierung
der griechischen Linkspartei Syriza nicht
vorwerfen: Dass sie an ihren Wahlkampfversprechen hartnäckig festgehalten hätte.
Nach den Parlamentswahlen im Januar
weigerte sich Premier Alexis Tsipras zunächst, überhaupt mit der EU, EZB und
IWF über Reformen zu verhandeln. Die
letzte Kreditrate von 7,2 Milliarden Franken
wollten der Premier und sein Finanzminister Yanis Varoufakis erst gar nicht. Doch im
Lauf der vergangenen fünf Monate gab Tsipras immer mehr nach. Die «roten Linien»
von früher, das Nein zur höheren Mehrwertssteuer, zum Primärüberschuss und zu
neuen Belastungen der Pensionisten, hat er
mit seinem jüngsten Massnahmenpaket
alle überschritten.
Im letzten Verhandlungsversuch mit
den Geldgebern stehen 727,5 Millionen
Franken zur Debatte. So viel verspricht die
griechische Regierung in diesem Jahr noch
aufbringen zu wollen. 1,5 Prozent des griechischen BIP oder 2,8 Milliarden Franken
sollen diverse Steuer- und Beitragserhöhungen in die Kassen spülen. 2016 wird
es noch mehr, so versichern Tsipras und
sein Unterhändler: statt 1,69 Milliarden
Franken im letzten Vorschlag nun 5,44 Milliarden oder fast 2,9 Prozent des BIP. Dabei
hat das Tsipras-Kabinett in seinen RechVerratene Versprechen
nungen einige sozial schwer verkraftbare
«Man hätte das besser machen können», Massnahmen wie etwa die Erhöhung der
sagt er. Nikos war auch mit der Vorgänger- Mehrwertsteuer für Strom und Pensionsregierung nicht glücklich gewesen, die von kürzungen vermieden.
der konservativen Nea Dimokratia geführt
Dafür sollen unter anderem die Beiträge
wurde. Damals aber, so sagt er, war wenigs- von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an
tens die Zusammenarbeit mit den anderen die Pensionskasse steigen, aber auch die
Europäern besser. «Diese Regierung sollte monatlichen Beiträge der Pensionisten an
einfach auf das Volk hören, und das Volk die Krankenversicherung. Die Inseln in
will in der EU bleiben, weil es uns sehr der Ägäis verlieren ihren Rabatt auf die
wichtig ist, Teil der europäischen Familie Mehrwertsteuer, die Unternehmen und die
zu sein», erklärt Nikos. «Ich glaube, diese Reichen sollen ebenfalls mehr zahlen. Eine
Regierung erpresst die EU gerade, und das neue Steuer von 12 Prozent soll für Körpergefällt mir nicht», meint Michaela, Lehre- schaftsgewinne über 522%000 Franken
rin an einer Athener Privatschule, die in eingeführt werden. Noch vor einer Woche
ihrer Jugend einmal links war und nun wollte man damit nur Gewinne ab etwa
ratlos über Tsipras’ Ministerriege ist. «Ich einer Million Franken besteuern. Die
Körperschaftssteuer soll um drei Punkte
verstehe nicht, was sie machen.»
auf 29 Prozent angehoben werden, zudem
werden künftig alle Griechen mit Einkommen über 31%000 Franken jährlich einen
Teil davon dem Staat als Solidaritätssteuer
abgeben müssen.
Künftig müssen Griechen
mit Einkommen über
31#000 Franken dem Staat
eine Solidaritätssteuer
abgeben.
Jeroen Dijsselbloem, der Chef der Eurogruppe, nannte die neuen Reformvorschläge erst einmal einen «positiven Schritt». In
Athen dagegen herrscht so etwas wie aufgeklärter Pessimismus. «Wir haben einen
Punkt erreicht, an dem jeder Vorschlag
besser ist als keiner, und wenn das die
Unsicherheit aufheben kann, ist es gut aus
monetären Gründen, aber auch aus der
Sicht der Realwirtschaft», sagt Platon
Tinios, Wirtschaftsprofessor an der PiräusUniversität. Die Durchführung von Steuererhöhungen sei von Brüssel und dem IWF
leichter zu überprüfen als strukturelle Reformen, merkt Tinios an. Eine gute Grundlage für ein Finanzierungsabkommen sei
die jüngste Athener Reformliste jedenfalls
nicht: Sie basiert fast ausschliesslich auf
Steuererhöhungen.
Die griechischen Unternehmer teilen
die Meinung des Professors. «Das ist ein
sehr schlechtes Abkommen, das eine dramatische Last auf den Privatsektor legt»,
sagt Antonis Zairis, Vizepräsident des
Einzelhändlervereins Selpe. «Die Grundlage dieses sehnlich erwarteten Abkommens scheint ein modifiziertes Rezessionsprogramm zu sein, das die Periode der
wirtschaftlichen Schrumpfung verlängern und die Produktionskapazität des
Landes schwächen wird», kritisiert der
Verband der kleinen Unternehmer
GSEVEE.
TagesWoche
26/15
35
Auf dem Athener Syntagma-Platz verfolgen Demonstranten seit Tagen das Tauziehen mit den Kreditgebern in Brüssel.
Diese Einschätzung teilt auch Angelos
Tsakanikas, Forschungsdirektor eines führenden Wirtschafts-Thinktanks in Athen,
der Stiftung für wirtschaftliche und industrielle Studien Iobe. «Die vorgeschlagenen
Massnahmen haben einen enormen Rezessionseffekt», sagt er, und Schuld daran habe
die EU. Europa scheine nicht die richtigen
wirtschaftspolitischen Schritte zu setzen
und sei deswegen auch sieben Jahre nach
der globalen Finanzkrise von 2008 nicht
aus der Stagnation herausgekommen.
«Die gleichen Fehler werden in Griechenland fortgesetzt. Statt die Unternehmer zu unterstützen, sind wir gezwungen,
Massnahmen gegen sie einzuführen»,
meint Tsakanikas. Für Platon Tinios sind
die Fehler dagegen hausgemacht. «Alle
griechischen Regierungen, unabhängig
von ihrer politischen Zugehörigkeit, neigen
dazu, den einfacheren Weg zu wählen,
sprich, etablierte Strukturen im Staat nicht
anzutasten, sondern einfach Geld aufzutreiben, um die bestehenden Rechnungen
zu begleichen», sagt er.
Während sich die Unternehmer und die
Wirtschaftsexperten über die eventuellen
neuen Reformen bereits aufregen, ist es
noch gar nicht sicher, dass die Pläne durchkommen. Neben der EU und dem IWF
muss Premier Tsipras auch die eigenen Parteigenossen davon überzeugen, die
TagesWoche
26/15
FOTO: REUTERS
Reformen zu unterstützen. Und das wird befand, dass sie deswegen auch nicht
keine leichte Aufgabe. «Alles hängt davon zurückgezahlt werden müssten. Tsipras hat
ab, welche Reformmassnahmen in der sich offiziell dazu nicht geäussert, anfangs
endgültigen Liste nach den Verhandlungen bestand aber seine Regierung auf einen
bleiben», sagte Kostas Eleutheriou, ein Po- weiteren Schuldenschnitt. Diese Forderung
litologe, der sich auf die linke Parteienszene liess er in seinem letzten Reformvorschlag
in Griechenland spezialisiert hat. Giorgos fallen.
Kyritsis, der Chefredaktor der regierungs«Manche Syriza-Abgeordnete werden
nahen griechischen Tageszeitung «Avgi», ernsthafte ideologische Probleme haben,
sieht noch ein Problem: «Der Schulden- einer Vereinbarung mit den Gläubigern
schnitt ist ein Kernpunkt, und wenn er in zuzustimmen, nicht nur wegen konkreten
der Endvereinbarung mit den Gläubigern Massnahmen, sondern ganz einfach, weil
sie weitere Sparmassnahmen ablehnen»,
fehlt, wird die nicht durchkommen.»
sagt Eleutheriou. Darunter seien aber
Kernpunkt Schuldenschnitt
höchstens 15 aller Syriza-Parlamentarier,
Was Kyritsis sagen will: Bevor der erklärt der Politologe. Bei vielen sei die
griechische Premier einen neuen Vertrag Angst zu gross, dass man durch ein Scheiunterzeichnen kann, muss er ihn zuerst vom tern bei den Verhandlungen die Regiegriechischen Parlament bewilligen lassen. rungsmacht verlieren könnte. Auch der
Der radikalere Teil von Syriza, angeführt kleinere Koalitionspartner Anel fürchte
vom Energieminister Panagiotis Lafazanis, sich davor und würde deswegen ein neues
kann es Tsipras besonders schwer machen. Abkommen im Parlament unterstützen.
Dieser Gruppe gehören etwa 30 der insgeTsipras habe seine Wahlversprechen
von einem Ende der Sparmassnahmen
samt 149 Syriza-Abgeordneten an.
Die Zahl der Rebellen aus den eigenen aber keinesfalls aufgegeben. «Sein HauptReihen könnte aber noch höher sein: 49 Sy- ziel war es, zuerst die Wirtschaft und die
riza-Parlamentarier verlangten vergangene Stellung seiner Regierung zu stärken. In
Woche, dass die vorläufigen Ergebnisse den kommenden Monaten wird er nun
eines Parlamentsausschusses zu den Staats- versuchen, einige der Vereinbarungen mit
schulden im Plenarsaal debattiert werden den Gläubigern neu zu verhandeln», sagt
sollen. Vor ein paar Tagen erklärte der Aus- Eleutheriou.
schuss diese Schulden für nicht legal und tageswoche.ch/+4scho
×
36
Tennis
Das legendärste Tennisturnier der Welt
kommt ohne reisserische Werbebanner
aus. Wimbledon kann sich das leisten.
Geldmaschine
Wimbledon
Der «heilige Rasen» lässt Federers Herz noch immer höher schlagen.
FOTO: REUTERS
von Jörg Allmeroth
W
enn Roger Federer jeweils in
der Woche vor Wimbledon
über die leere Anlage des All
England Club marschiert,
fühlt er sich beinahe «wie in einem TennisParadies». Freude macht dem 33-Jährigen,
dessen Name schon sieben Mal auf der
holzgetäfelten Ruhmesgalerie der Champions verewigt ist, vieles: die Blumenpracht, die gepflegten Plätze oder auch die
neuen Courts wie Platz 2 oder Platz 3, die
sich wie selbstverständlich ins ehrwürdige
Gesamtbild einfügen. «Einen schöneren
Platz zum Tennisspielen kann ich mir einfach nicht vorstellen», sagt Federer.
Zweifellos: Die legendäre Grün-Anlage
im Südwesten Londons ist das idyllischste
Tennisfleckchen der Welt, ein Theater der
Träume für immer neue Generationen von
Profispielern. An der Church Road kommt
aber auch Jahr für Jahr eine Businessmaschinerie ins Rollen, die dem traditionsreichsten Tennisklub der Welt prächtige
Geschäfte beschert.
Der grosse Wert der Unabhängigkeit
«Wimbledon – das ist eine der einträglichsten Sportveranstaltungen überhaupt»,
sagt Tim Philipps, Ex-Chef des All England
Club. Sein Amt abgegeben hat er, als das
Abenteuer der Centre-Court-Überdachung
überstanden war, das atemraubendste Projekt im Rahmen der langjährigen Modernisierung der Anlage.
Auch dieses kam ohne Steuergelder aus.
Die rund 100 Millionen Franken Baukosten
finanzierten die Wimbledon-Macher vor
allem über den Verkauf von exklusiven
Ticketrechten. «Wir legen grossen Wert auf
unsere Unabhängigkeit», so Richard Lewis,
der diskret operierende Geschäftsführer
des Club.
Früher als viele Veranstalter und internationale Verbände hat Wimbledon auch
die Fühler nach Wachstumsmärkten in Asien und Südamerika ausgestreckt. «Nirgendwo ist Wimbledon so beliebt wie in
den Schwellenländern in Asien», sagt Wimbledon-Topmanager Christopher Gorringe, «dort haben wir oft Einschaltquoten bei
Spielen mit nationaler Beteiligung von
über 50 Prozent.» Der heute pensionierten
Weltklassespielerin Li Na etwa schauten
vor einigen Jahren bis zu 100 Millionen
Chinesen zu. Kein Wunder also versorgte
der All England Club Länder wie China,
Thailand oder Singapur flächendeckend
mit Shops und verkauft dort exklusive Kleiderlinien und Geschenkartikel.
Auf der einen Seite wirkt Wimbledon
wie ein Anachronismus. In Zeiten der totalen Vermarktung von Sportevents verzichtet es auf reisserische Werbebanden, und
die Spieler sollen weiter im «überwiegend
weissen Dress» antreten. Die Wahrung des
Mythos können sich die Gralshüter allerdings auch mühelos leisten. Lizenzen,
Fernsehrechte und Merchandising sorgen
jährlich für einen Reingewinn von bis zu
50 Millionen Franken.
TagesWoche
26/15
37
Bei den TV-Rechten gabs temporär zwar
einen kräftigen Einbruch, weil die einst so
generösen deutschen Fernsehpartner als
Geldquelle ausfielen. Doch dank Geldern
aus Asien, dem Mittleren Osten und auch
aus den Ländern Osteuropas sieht die
Bilanz längst wieder freundlicher aus.
Alle Firmen wollen dabei sein
Selbst der Finanzkrise hat Wimbledon
mühelos getrotzt: Auf Jahre hinaus seien
die Sponsorenpakete für Unternehmen
ausgebucht, die den Tennis-Schauplatz zur
exklusiven Kundenpflege nutzen, sagt Manager Lewis. «Die Firmen stehen Schlange,
um bei uns dabei sein zu können.»
Die Grand-Slam-Veranstalter in Paris
oder New York können nur neidisch auf
Wimbledon schauen, das dank dem Dach
über dem Centre Court erst noch eine viel
grössere Veranstaltungssicherheit besitzt.
Mit dem Vorbild Wimbledon vor Augen erzeugten die internationalen TV-Netzwerke
zuletzt so starken Druck auf die US-OpenBosse, dass die sich zur einer 140-Millionen-Franken-Investition genötigt sahen:
die Überdachung des Arthur Ashe Stadions,
die 2016 fertig sein soll.
Einzig das Trauerspiel um die jährlichen Abgaben des All England Club an den
britischen Tennisverband trübt etwas das
Gesamtbild des nachhaltig florierenden
Unternehmens: Fast eine halbe Milliarde
Euro überwiesen die Turniermacher in den
letzten zweieinhalb Dekaden an die Lawn
Tennis Association. Doch das lückenhafte
Fördersystem produzierte nur zwei internationale Stars (Tim Henman, Andy Murray) und viele, viele Mitläufer. «Wo bleibt
der Tennis-Aufschwung?», fragte vor zwei
Jahren einmal die «Times» und kanzelte die
«unfähigen Verbandsmanager» ab. Auch
Altmeister Henman wunderte sich: «Wir
haben drei Millionen Fussballspieler, fünf
Millionen Schwimmer, aber nur rund
50*000 bis 60*000 Tennisspieler – das ist
doch unglaublich.»
Glücklich im Hier und Jetzt: Die Tennisnation Schweiz.
Tennis
Im Tennis ist die kleine Schweiz eine
Weltmacht – allerdings nur auf Zeit.
Langsam braucht es frisches Blut
von Jörg Allmeroth
A
ls neulich Stan Wawrinka auf
dem Pariser Centre Court Novac
Djokovic, den «Unschlagbaren»
(«L’Equipe») , am Ende doch besiegt hatte, da hob daheim eine Debatte an:
Bedeutete Wawrinkas Triumph auch den
endgültigen Aufstieg der Schweiz zur Tennisnation Nummer 1? Diese Machtfrage
stand nun plötzlich im Raum.
Gewiss, wie John McEnroe einst fast
philosophisch auf eine Frage nach Rekorden und Platzierungen sagte: «In diesem
Sport ist stets alles im Fluss. Nichts ist endgültig und für immer.» Aber man darf sich
schon den Status quo im Welttennis mal anRenaissance des Rasentennis
schauen und feststellen, dass die Schweiz
Autorität entwickelt Wimbledon anders- das effizienteste und aufregendste Land
wo, auch in der höheren Tennispolitik. Nach auf der Weltkarte ist: 8,2 Millionen EinwohJahrzehnten des Stillstands und den ewigen ner, 165*000 organisierte Tennisspieler.
fruchtlosen Debatten um eine sinnvollere Und doch stellt das Land den Mann, der beTerminierung der Turniere im Frühling reits zu Lebzeiten als Legende gilt (Roger
und Sommer sprachen die Herren des All Federer); den Mann, der zwei der letzten
England Lawn Tennis Club schliesslich ein sechs Grand-Slams gewann (Stan WawrinMachtwort und verlegten ihr Turnier um ka); die Frau, die im letzten Jahr zu den
eine Woche nach hinten. Mit dem Effekt grössten Aufsteigerinnen der Damenszene
nicht nur von drei Wochen Zeit zwischen gehörte und in Paris bis ins Halbfinale vorden Grand Slams in Paris und London, son- preschte (Timea Bacsinszky); die Frau, die
dern auch einer Renaissance des Rasenten- bei ihrem jüngsten Comeback Platz 1 der
nis. Denn die Turniermacher des Mercedes Doppel-Weltrangliste gemeinsam mit der
Cup in Stuttgart etwa verabschiedeten sich Inderin Sania Mirza eroberte (Martina
danach von den Sandplatzwühlereien am Hingis); und es stellt ein Davis-Cup-Team,
Weissenhof und etablierten direkt nach das im letzten Jahr vor allen anderen grosden French Open ein Rasenturnier – im sen Nationen durchs Ziel ging und schliessJahr eins auf den Grüns triumphierte gleich lich auch noch im Finale einen Auswärtsein prominenter Name: Rafael Nadal.
coup in Frankreich errang.
«Es ist, als ob Wimbledon gerade neue
Diese Tennis-Cracks haben fast alle noch
Kinder in die Welt aussetzt», sagt Roger eine gute Zeit vor sich. Doch Federer wird
bald 34 Jahre alt, Hingis ist das schon,
Federer, «ich finde das wunderbar.»
tageswoche.ch/+ qptqn
× Wawrinka hat gerade die Dreissigergrenze
TagesWoche
26/15
FOTO: REUTERS
überschritten – nur Bacsinszky könnte
noch ein Jahrzehnt die Welt des Wanderzirkus bereisen. Das zeigt, wie glücklich sich
die Schweiz zwar im Hier und Jetzt fühlen
kann. Aber auch, wie sehr sie eine Blutauffrischung benötigt, besonders bei den Herren. Hinter Federer und Wawrinka tut sich
wenig. Eigentlich: gar nichts.
Eine Macht auf Abruf
Wie die Zukunft aussieht, offenbarte
sich erstmals im Davis Cup in Belgien beim
Erstrundenspiel. Federer und Wawrinka
fehlten – und Kapitän Severin Lüthi konnte
keinen einzigen Spieler aufbieten, der unter den Top 250 der Weltrangliste platziert
war. Die Herren Henri Laaksonen, Michael
Lammer (inzwischen in den Ruhestand getreten), Adrien Bossel und Yann Marti
schlugen sich achtbar, verloren aber folgerichtig gegen das stärkere Team.
Die besten Schweizer Spieler unter 25
Jahren sind Sandro Ehrat (24/ATP 589) und
Luca Mararoli (23/ATP 804) – beide Lichtjahre von der Weltspitze entfernt. Nur: Erfolgreiche Lokalhelden brauchts an allen
Ecken und Enden – für die Medienpräsenz,
die Wahrnehmung des Tennis im Konkurrenzkampf mit anderen Sportarten, aber
auch für den Betrieb erfolgreicher Tennisturniere, etwa in Basel, dem Schauplatz der
Swiss Indoors. So wirkt die Macht der
Schweiz in diesem Jahr 2015 wie eine Macht
auf Abruf. Wie lange sich die grossen Stars
noch an der Spitze halten können, weiss
keiner. Bleibt mit Goethes Faust dies:
«Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön.»
tageswoche.ch/+ v0pwl
×
Musikwettbewerb
Der Concours Géza Anda zählt zu den
schwierigsten Klavierwettbewerben der
Welt. Manche Karriere startet in Zürich.
Hier werden
Stars gemacht
38
von Jenny Berg
Z
ürich, im Juni 2015. Die Sonne
lacht, kleine Wölkchen bemustern den Postkarten-blauen Himmel. Doch im Konservatorium in
der Florhofgasse ist das Sommerwetter
völlig irrelevant. Hier herrscht gespannte
Konzentration. Eine zarte Note Angstschweiss liegt in der Luft.
Auf den grell beleuchteten Gängen laufen junge Musiker auf und ab; manche wie
Zirkustiger in ihren Käfigen, andere betont
lässig. Dazwischen Angehörige, die Mut
machen, verspannte Muskeln massieren,
beruhigen.
Zum 13. Mal wurde der Concours Géza
Anda in Zürich ausgetragen. Es gibt etliche
Klavierwettbewerbe auf der Welt, doch dieser zählt sich zu den wichtigsten und grössten. Man suche keine Klaviermaschine, keinen Tasten-Akrobaten, sagt Jury-Mitglied
Wer hier gewinnt, hat beste Zukunftsperspektiven: Andrew Tyson, Sieger des Concours Géza Anda 2015.
FOTO: PRISKA KETTERER
TagesWoche
26/15
39
Filippo Gamba. Man suche eine Persönlichkeit, wie dies der namenstiftende,
legendäre Wahl-Zürcher Géza Anda (1921–
1976) einst war.
Nun sind Persönlichkeiten rar gesät wie
eh und je. Das breite technische Niveau der
jungen Musiker aber steigt unaufhörlich.
99 Pianisten hatten sich für den Concours Géza Anda beworben, der zwischen
dem 6. und 16. Juni ausgetragen wurde, 45
waren per Video ausgewählt worden. Angetreten sind letztlich 17 Pianisten und zehn
Pianistinnen.
Eine so hohe Zahl von Abmeldungen ist
aufgrund der Veranstaltungsdichte normal: Bei über 300 Wettbewerben jährlich
gibt es zwangsläufig Terminüberschneidungen. Wer eine Zusage bei einem parallel
stattfindenden Wettbewerb erhält, muss
sich entscheiden.
Vom Blatt spielen ist ein Muss
Manch einer der Absagenden hat vielleicht einen leichteren Wettbewerb gewählt,
denn der Concours Géza Anda fordert eine
besonders breite Repertoiresicherheit. In
der ersten Runde können die Teilnehmer
gerade einmal das erste Stück frei wählen.
Das zweite erfahren sie fünf Minuten vor
ihrem Auftritt – es ist eines der Werke aus
dem umfangreichen Repertoire von Géza
Anda.
An jenem schönen Sommertag findet in
Zürich gerade die zweite Runde statt: die
Rezitale. Jeder Kandidat hat eine Stunde
Zeit, um drei Werke aus drei Epochen zu
spielen.
Die Vorspiele sind öffentlich; der grosse
Saal des Zürcher Konservatoriums ist zur
Hälfte besetzt – jene Hälfte, die einen Blick
auf die alles entscheidenden Hände der
Pianisten erlaubt. Einige ältere Damen sind
aus purer Lust an der Musik dabei, fachsimpeln über die jungen Talente, ihre Biografien und Lebensstationen.
Aber auch Talent-Scouts, Lehrer, Betreuer, Angehörige mit Notizzettel und ausgeklügeltem Tabellensystem befinden sich
im Publikum. Die Jury thront in der Mitte
des Saales hinter einer langen, weissen
Tischreihe.
Es gibt viele
Klavierwettbewerbe –
doch dieser zählt zu
den wichtigsten.
Jeder Kandidat wird mit freundlichem
Applaus begrüsst. Wie Kim Yoonji. Schnellen Schrittes geht die Koreanerin auf die
Bühne im Grossen Saal des Konservatoriums Zürich. Die 26-Jährige trägt ein
schwarzes Abendkleid; ihre Hände umklammern ein weisses Taschentuch. Sie
verbeugt sich rasch, nimmt Platz, knetet
das Taschentuch – ein Utensil, das fast alle
dabeihaben.
Manch einer wischt damit nach jedem
Stück Hände, Stirn und Klaviertasten troTagesWoche
26/15
cken. Andere haben es wie ein Maskottchen bei sich, ohne es zu benutzen. So wie
Kim. Sie legt es neben sich auf den Klavierstuhl und legt los: Beethovens berühmte
Sonate op. 101 steht auf ihrem selbst gewählten Programm, ein gewichtiges Werk.
Sie spielt alles richtig, macht schöne Bögen,
gestaltet abwechslungsreich – aber der
Funke will nicht so recht überspringen.
Nach ihrem Auftritt nimmt Kim viele
Gratulationen entgegen. Sie sagt, sie sei unheimlich nervös gewesen. Den Wettbewerb
selbst findet sie dennoch gut. «Sie stellen
uns einen sehr guten Flügel zur Verfügung –
das ist nicht selbstverständlich», sagt sie.
Auch die Betreuung sei sehr angenehm. Sie
mache diesen Wettbewerb ganz klar für
ihre Karriere, das sei wichtig, sagt sie. Wie
viel Chancen sie sich ausrechnet, will sie
nicht beantworten, das sei völlig offen.
Das Ergebnis erfährt sie letztlich im Internet: Es gibt keine öffentliche Bekanntgabe der Ergebnisse mehr, kein Mitfreuen
und Mittrauern – jeder ist mit sich allein,
wenn über den Lohn der Mühen entschieden wird. Für Kim heisst es ein paar Tage
später: Koffer packen, weiterfahren, zum
nächsten Wettbewerb. Weiter üben, weiter
Nerven trainieren, weiter hoffen, es für einmal bis ganz nach oben zu schaffen und als
neuer Star entdeckt zu werden.
Immer wieder wird über Sinn und Unsinn solcher Wettbewerbe diskutiert. Manche sagen, dass letztlich meist der kleinste
gemeinsame Nenner gewinne, auf den sich
die Jury eben einigen könne. Schräge Vögel
und starke Charakterköpfe finde man
selten in Wettbewerbs-Finalen. Zudem gibt
es immer wieder Wettbewerbs-Finalisten,
deren (einstige) Lehrer in der Jury sitzen.
Der Pianist Oliver Schnyder, der als Experte die Radio-Übertragung des Finales
begleitet, bestätigt: «Wer als Pianist gerne
bei solchen Wettbewerben erfolgreich sein
will, der kann sich natürlich gezielt einen
Lehrer suchen, der oft in solchen Jurys sitzt.
Das sind dann meist sehr angesehene Lehrer, deren Schützlinge bei den Wettbewerben oft vorne mit dabei sind.»
Rechtlich sei es zwar klar: Lehrer dürfen
nicht für ihre eigenen Schüler stimmen –
auch nicht für ehemalige. «Aber man kann
nicht nicht kommunizieren», sagt Schnyder. «Die Kollegen wissen über LehrerSchüler-Verhältnisse Bescheid, und man
will es sich ja nicht mit den Kollegen verscherzen». Das gehöre zu Wettbewerben
einfach dazu.
Auch beim diesjährigen Concours Géza
Anda schafft es ein Pianist bis ins Finale,
dessen ehemalige Lehrerin in der Jury sitzt.
Doch die Qualität der Darbietungen beim
Finale sind letztlich so klar, dass diese Verbindung hier irrelevant wird – es gewinnt
ein anderer.
Das Finale findet nach zehn intensiven
Wettbewerbstagen in der Tonhalle Zürich
statt. Ein grosses, romantisches Klavierkonzert muss es sein, das die drei Finalteilnehmer in Begleitung des TonhalleOrchesters zum Besten geben. Weisse
Taschentücher kommen hier nicht mehr
mit auf die Bühne, dafür wirkt der mit herausgeputztem Publikum und zahlreichen
Amtsträgern der Klassik-Welt voll besetzte
Grosse Saal der Tonhalle viel zu ehrwürdig.
Eigentlich haben die drei Solisten schon
viel gewonnen. Sie machen die Preisgelder
von zehn-, zwanzig- und dreissigtausend
Franken unter sich aus. Und alle drei kommen in den Genuss von zahlreichen Konzertengagements. So fördert die Stiftung
ihre Schützlinge während drei Jahren, und
allein diese Möglichkeit, Konzerterfahrung zu sammeln – und als hauptberuflicher Konzertpianist Geld zu verdienen –,
ist für die jungen Pianisten Gold wert.
Wer es ins Finale schafft,
erhält ein grosses
Preisgeld und viele
weitere Engagements.
Und schliesslich können die drei Finalisten nach der dritten Runde, in der ein
Mozart-Konzert mit dem Tonhalle-Orchester gespielt wurde, nun ein zweites Mal mit
grossem Orchester auftreten. All das wird
in Ton und Bild aufgezeichnet; und die
Géza-Anda-Stiftung stellt dieses so wichtige und teure Werbematerial allen Interpreten zur Verfügung.
Siegen muss dabei nicht alles sein. In
der Vergangenheit machten oft zweite
Preisträger Karriere: Nikolai Tokarev etwa
(2006), Henri Sigfridsson (2000) oder Konstantin Scherbakov (1991).
Es steht viel auf dem Spiel
Doch all das spielt an diesem Finalabend keine Rolle. Jeder der drei ist nervös,
für jeden steht viel auf dem Spiel. Aleksandr
Shaikin muss als Erster ran. Der Russe betritt betont langsam das Podium, er strahlt,
sitzt danach locker-professionell am Flügel,
während das Orchester die Einleitung von
Johannes Brahms erstem Klavierkonzert
interpretiert.
Der 27-Jährige hat ein ungewöhnliches
Wettbewerbsstück gewählt: Brahms
schrieb mit diesem Konzert quasi seine erste Sinfonie; Solopart und Orchester sind
aufs engste miteinander verwoben – keine
einfache Aufgabe für einen Neuling mit der
wenigen Probezeit, die zur Verfügung steht.
«Ich habe nur selten Pianisten mit diesem
Stück bei Wettbewerben brillieren sehen»,
kommentiert Pianist Oliver Schnyder.
Doch Shaikin spielt routiniert, die Läufe
perlen, die Agogik ist schön gestaltet. Dynamisch geht er wenig aus sich heraus – ist
es die Nervosität, die ihn hemmt? Oder der
Respekt vor der Kulisse?
Es wird ein ordentlicher, beklatschter
Vortrag. Aber als eine Persönlichkeit, die
der Wettbewerb hier suchen will, hat er sich
nicht ins Gedächtnis eingebrannt.
Ganz anders der zweite Kandidat, Andrew Tyson. Einige lang werdende Minuten lässt der 28-Jährige Publikum und
Orchester warten, bis er endlich wie ein
40
Bestattungsanzeigen
Basel-Stadt und Region
Allschwil
Dreyer-Guerne, Heidi,
von Trub/BE,
25.09.1942–21.06.2015,
Gartenstr. 39, Allschwil, Trauerfeier
und Beisetzung:
Montag, 29.06., 10.30
Uhr, Besammlung
Friedhof Allschwil.
Engel, Franz Alois,
von Basel/BS,
25.06.1934–18.06.2015,
Gartenstr. 35, Allschwil, Trauerfeier
und Beisetzung im
engsten Familienkreis.
Franklin, Tito Matthew Rondell, von
Barbados, 16.12.1977–
12.06.2015, Baselmattweg 211a, Allschwil,
Trauerfeier und Beisetzung: Freitag,
26.06., 14.00 Uhr,
Besammlung Kapelle
Friedhof Allschwil.
Arlesheim
Manto, Albert Joseph,
von Arboldswil/BL,
12.04.1926–21.06.2015,
Ermitagestr. 18, Arlesheim, Trauerfeier:
Dienstag, 30.06.,
14.00 Uhr, Abdankungshalle Bromhübel, anschliessend
Beisetzung.
Basel
Bachmann-Müller,
Franz, von Basel/BS,
Entlebuch/LU,
19.02.1923–18.06.2015,
Schönaustr. 43, Basel,
Trauerfeier: Samstag,
27.06., 15.00 Uhr,
Neuapostolische
Kirche, Breisacherstr. 35, Basel.
Bantle-Pilat, Lilli, von
Basel/BS, 29.10.1931–
12.06.2015,
Sperrstr. 100, Basel,
wurde bestattet.
Beyrer-Bättig, Elisabeth, von Basel/BS,
24.03.1945–19.06.2015,
Rämelstr. 5, Basel,
Trauerfeier: Freitag,
26.06., 13.30 Uhr,
Friedhof am Hörnli.
Braun, Bernhard, von
Basel/BS, 11.11.1936–
17.06.2015, Pilgerstr. 18,
Basel, wurde bestattet.
Bürgler-Augustoni,
Nelli Anna, von Basel/
BS, 25.04.1925–
18.06.2015, Lehenmattstr. 283, Basel,
wurde bestattet.
Chiaromonte-Rossic,
Giovanni, von Italien,
02.01.1936–23.06.2015,
Florastr. 18 , Basel,
Trauerfeier im engsten Kreis.
Dürrenberger-Hug,
Hedwig, von Basel/BS,
18.09.1919–11.06.2015,
Kapellenstr. 10, Basel,
Trauerfeier: Freitag,
26.06., 14.30 Uhr,
Predigerkirche, Totentanz 19, Basel.
Fankhauser-Liebl,
Johann, von Basel/BS,
10.09.1935–18.06.2015,
Beim Wasserturm 3,
Basel, Trauerfeier:
Dienstag, 30.06.,
14.30 Uhr, Tituskirche
Basel.
Frei-Peyer, Berta, von
Oberehrendingen/AG,
04.07.1926–13.06.2015,
Rosentalstr. 70, Basel,
Trauerfeier: Dienstag,
30.06., 14.30 Uhr,
Friedhof am Hörnli.
Gächter, Martha Lina,
von Rüthi/SG,
26.04.1918–19.06.2015,
Wiesendamm 22,
Basel, wurde bestattet.
Glättli, Martin Emil,
von Basel/BS, Bonstetten/ZH, 28.07.1926–
20.06.2015, Gellertstr. 138, Basel, Trauerfeier: Mittwoch, 01.07.,
14.00 Uhr, Peterskirche, Peterskirchplatz,
Basel.
Gloor-Meisburger,
Sonja Liliane, von
Basel/BS, 02.06.1925–
15.06.2015, St. JohannsRing 122, Basel, wurde
bestattet.
Hellrung, Bruno, von
Deutschland,
30.05.1936–
19.06.2015, Schlettstadterstr. 10, Basel,
wurde bestattet.
Jundt-Waibel, Margrit, von Basel,
29.11.1918–03.06.2015,
Luzernerring 70,
Basel, wurde bestattet.
Keller, René, von
Basel, 21.05.1939–
10.06.2015,
Güterstr. 186, Basel,
wurde bestattet.
Kessinger-Grünig,
Klara, von Basel/BS,
11.11.1921–12.06.2015,
Wiesendamm 20,
Basel, Beisetzung im
engsten Kreis.
Kull-Getzmann,
Gertrud, von Basel/
BS, 11.07.1925–
16.06.2015, Mittlere
Str. 15, Basel, wurde
bestattet.
Maier, Franz Anton
Niklaus, von Zürich/
ZH, 06.12.1930–
19.06.2015,
Ahornstr. 43, Basel,
wurde bestattet.
Maurer-Schenk,
Liselotte, von Basel/
BS, 09.09.1928–
17.06.2015, St. AlbanVorstadt 85, Basel,
wurde bestattet.
Meier-Wastl, Walter,
von Basel/BS,
10.02.1936–14.06.2015,
Gundeldingerstr. 425,
Basel, wurde bestattet.
Metthez, Rolf, von
Basel/BS, 22.11.1937–
16.06.2015, Glaserbergstr. 25, Basel,
Trauerfeier: Freitag,
26.06., 11.30 Uhr,
Friedhof am Hörnli.
Meyer-Graf, Martha,
von Basel/BS,
05.12.1926–14.06.2015,
Giornicostr. 144, Basel,
wurde bestattet.
Moirandat, Renée, von
Epauvillers/JU,
28.05.1929–16.06.2015,
Mittlere Str. 15, Basel,
wurde bestattet.
Moor-Fröhlicher,
Mina Marie, von
Vordemwald/AG,
04.06.1924–21.06.2015,
Wiesendamm 22,
Basel, Trauerfeier:
Dienstag, 30.06.,
15.30 Uhr, Friedhof
am Hörnli.
Morgenthaler, Uli, von
Staffelbach/AG,
04.08.1952–15.06.2015,
Horburgstr. 96, Basel,
wurde bestattet.
Müller, Edgar, von
Basel/BS, 08.11.1950–
17.06.2015, Greifengasse 23, Basel, wurde
bestattet.
Räber, Charlotte
Monique, von Luzern/
LU, 05.04.1938–
13.06.2015, St. AlbanRing 227, Basel, wurde
bestattet.
Ricer, Truda, von
Kroatien, 11.07.1923–
16.06.2015, Im Burgfelderhof 30, Basel,
wurde bestattet.
Saladin-Wagner, Erna,
von Basel, 09.10.1928–
16.06.2015, Brantgasse 5,
Basel, wurde bestattet.
Schaub-Conscience,
Rudolf, von Ettingen/
BL, 17.04.1939–
13.06.2015, Im Sesselacker 32, Basel, wurde
bestattet.
Schlittler-Bürgisser,
Kurt, von Niederurnen/GL, 01.07.1941–
23.06.2015, Rebgasse
16, Basel, Trauerfeier
im engsten Kreis.
Schwarzwälder, Lili,
von Basel/BS,
05.09.1933–19.06.2015,
Ackerstr. 20, Basel,
Trauerfeier: Montag,
29.06., 11.30 Uhr,
Friedhof am Hörnli.
Schweizer, René
Hermann Arthur, von
Bottenwil/AG,
Uerkheim/AG,
27.07.1943–12.06.2015,
Ochsengasse 29, Basel,
wurde bestattet.
Sutter-Zürcher, Paul,
von Basel, 13.11.1919–
15.06.2015, Hirzbodenweg 91, Basel, wurde
bestattet.
Talamona-Egli, Elisabeth, von Basel/BS,
16.01.1916–14.06.2015,
Horburgstr. 54, Basel,
wurde bestattet.
Terziev-Arapova,
Trajco, von Mazedonien, 14.02.1955–
24.06.2015, Efringerstr. 90 , Basel, wurde
bestattet.
Treybal-Binder,
André Edmond, von
Basel/BS, 06.06.1932–
15.06.2015,
Rennweg 22, Basel,
wurde bestattet.
Urech-Büchler, Ernst,
von Villigen/AG,
12.04.1941–10.06.2015,
Redingstr. 10, Basel,
wurde bestattet.
Weber, Elisabetha
Gesina, von Beinwil
am See/AG,
20.10.1930–15.06.2015,
Meret OppenheimStr. 62, Basel, wurde
bestattet.
Wey-Seydoux, Geneviève, von Luzern/LU,
09.08.1923–19.06.2015,
Meret OppenheimStr. 62, Basel, Trauerfeier: Freitag, 26.06.,
14.30 Uhr, Bruder
Klaus Kirche Basel.
Wullschleger, Herbert
Ernst, von Zofingen/
AG, Oftringen/AG,
30.03.1944–16.06.2015,
Güterstr. 229, Basel,
wurde bestattet.
Zanderigo, Jakob
Emil, von Appenzell/
AI, 01.01.1950–
16.06.2015, Wartenbergstr. 40, Basel,
wurde bestattet.
Zuber-Pichler, Bernhard, von Törbel/VS,
19.05.1928–23.06.2015,
Wiesendamm 60B,
Basel, Trauerfeier:
Montag, 29.06.,
14.30 Uhr, Friedhof
am Hörnli.
Bettingen
Bopp-Schoch,
Hans-Peter, von Basel/
BS, 11.01.1932–
11.06.2015, Landhausweg 39, Bettingen,
wurde bestattet.
Stricker, Hans Beat,
von Basel/BS, Waldstatt/AR, 27.04.1924–
15.06.2015, Vormbergweg 1, Bettingen,
wurde bestattet.
Birsfelden
Diethelm-Groff, Tina,
von Galgenen/SZ,
10.12.1923–21.06.2015,
Hardstr. 71, Birsfelden,
wurde bestattet.
Hochreutener-Imber,
Maria, von EggersrietGrub/SG, 06.06.1931–
17.06.2015, Hardstr. 71,
Birsfelden, Beisetzung
im engsten Familienund Freundeskreis.
Marzi, Martin, von
Eptingen/BL,
23.03.1959–17.06.2015,
Muttenzerstr. 51,
Birsfelden, Beisetzung
im engsten Familienkreis.
Mutie, Mutanu, von
Basel/BS, Himmelried/SO, 02.07.1971–
05.06.2015, Baslerstr. 16, Birsfelden,
Beisetzung im engsten
Familien- und Freundeskreis.
Sreckovic, Momcilo,
von Serbien,
21.03.1957–18.06.2015,
Florastr. 34, Birsfelden, wurde bestattet.
Münchenstein
Arzner (geb. Weidkuhn), Theodor
Samuel, von Basel/BS,
11.01.1931–17.06.2015,
Pumpwerkstr. 3,
Münchenstein,
Abschied im engsten
Familienkreis.
Muttenz
Froidevaux-Wider,
Anna Catherine, von
Le Noirmont/JU,
01.09.1919–20.06.2015,
Feldrebenweg 41,
Muttenz, Die Bestattung findet im Kanton
Jura statt.
Hattenberger, Thomas, von Starrkirch-Wil/SO,
14.11.1950–10.06.2015,
Pestalozzistr. 35,
Muttenz, wurde
bestattet.
Simon, Antal, von
Basel/BS, 04.09.1928–
17.06.2015, Tramstr. 83,
APH zum Park, Muttenz, wurde bestattet.
Uebersax-Jauchli,
Martha Lydia, von
Herzogenbuchsee/BE,
05.08.1924–21.06.2015,
Reichensteinerstr. 55,
APH Käppeli, Muttenz, Trauerfeier:
Dienstag, 07.07.,
14.00 Uhr, ref. Kirche
St. Arbogast Muttenz,
Urnenbeisetzung im
engsten Familienkreis.
Pratteln
Weingärtner-Franco,
Else Thérèse, gen. Lea,
von Basel/BS, Niederdorf/BL, 13.02.1941–
20.06.2015, Längistr. 3,
Pratteln, Bestattung
und Trauerfeier im
engsten Familienkreis.
Reinach
Gmür, Albert, von
Amden/SG, 04.08.1949–
06.06.2015, Zihlackerstr. 18, Reinach, wurde
beigesetzt.
Hermann, Marcel
Charles, von Pfaffnau/
LU, 08.09.1949–
12.06.2015, Gstadstr.
19A, Reinach, Urnenbeisetzung im engsten
Familienkreis.
Reichling-Schweitzer,
Arthur, von Basel/BS,
28.09.1936–14.06.2015,
Angensteinerstr. 36,
Reinach, wurde
beigesetzt.
Riehen
Heid-Jobé, Charlotte
Julia, von Riehen/BS,
Basel/BS, 24.12.1923–
27.05.2015, Inzlingerstr. 50, Riehen, wurde
bestattet.
Hiltbrunner-Choulat,
Erwin Fritz, von
Riehen/BS, 19.08.1913–
17.06.2015, Inzlingerstr. 230, Riehen, wurde
bestattet.
Kleiner-Wirz, Erika,
von Basel/BS,
21.06.1927–18.06.2015,
Albert Oeri-Str. 7,
Riehen, Trauerfeier im
engsten Kreis.
Leon-Garcia, Gregorio, von Spanien,
12.03.1929–15.06.2015,
Rainallee 49, Riehen,
wurde bestattet.
Sartori-Mangili, Rosa,
von Italien, 05.05.1925–
19.06.2015, Inzlingerstr. 230, Riehen,
Trauerfeier: Freitag,
26.06., 15.00 Uhr,
Franziskuskirche,
Riehen.
laufend aktualisiert:
tageswoche.ch/todesanzeigen
TagesWoche
26/15
KULTUR
FLASH
Konzert
Pärkli Jam
Am Freitag, 26. Juni, beginnt der «Pärkli
Jam». Für drei Tage kann man im St.-JohannsPark wieder Openair-Luft schnuppern. Das
Quartierfestival hält auch dieses Jahr wieder
ein breites Angebot bereit: Von Konzerten
und DJ-Acts über verschiedene Workshops,
leckeres Essen und Kleiderständen bis zur
Kinderecke mit Hüpfburg ist alles
da. Bis Mitternacht ist auf dem Parkareal
jeweils Programm, am Samstag geht es an
der Afterparty weiter im Badhüsli.
×
26. bis 28. Juni, St.-Johanns-Park.
• www.paerklijam.ch
Dokfilm
Der Gewinner vergiesst Tränen der Freude: Andrew Tyson (links) holt den mit
30#000 Franken dotierten Hauptpreis.
FOTO: PRISKA KETTERER
schüchterner, zu gross geratener Schuljunge auf die Bühne huscht.
Doch sobald der Amerikaner zu spielen
beginnt, öffnet sich eine andere Welt. Auf
einmal singt dieser Flügel. Tyson interpretiert Chopins erstes Klavierkonzert, hochvirtuos, mit einer Leichtigkeit, die auch andere schon gezeigt haben. Doch er schafft
es dabei, das Stück ungemein poetisch zu
gestalten, die komplexe Architektur dieser
so leicht wirkenden Musik aufzuzeigen –
und immer wieder erlaubt er sich überraschende Ausbrüche.
Hier sitzt einer, der etwas zu sagen hat.
Das tut er manchmal jugendlich-unbeholfen impulsiv, sehr oft aber mit ausgesuchter
Schönheit und grosser Eigenwilligkeit.
Diese verzaubernde Leichtigkeit ist eigentlich nur noch mit emotionaler Tiefe
und Draufgängertum zu kontern. Ein Tastenlöwe müsste jetzt antreten, und der dritte Kandidat, der Brasilianer Ronaldo Rolim
(29) hat sich in den vorangehenden Runden
als genau so einer präsentiert. Er sehe sich
eigentlich schon als Sieger, sagte er gar den
Radioreportern von SRF 2 Kultur ins
Mikrofon. Vielleicht braucht es solche Siegesgewissheit, um dem Druck standzuhalten.
es Dirigent Karl-Heinz Steffens, zwischen
Orchester und Pianisten zu vermitteln. All
seine Kraft geht in diesem Koordinationskampf verloren, sein warmer Anschlag, der
in der Rezital-Runde noch dunkel glänzte,
wird immer flacher, seine musikalischen
Ideen verlieren ihren Bezugspunkt.
Tränen der Erleichterung
Das Publikum jubelt dennoch. Manche
wohl auch, um ihren Favoriten aufzumuntern. Rolim hat einen ganz schlechten Tag
erwischt, ist aber bei der Preisvergabe ganz
cool, ganz Profi – auch wenn es «nur» für
den dritten Platz reicht. Und das, obwohl –
wie die Jury nochmals betont hat – die Leistung aus allen Runden berücksichtigt worden ist.
Im Moment der Bekanntgabe, dass
Aleksandr Shaikin den zweiten Preis erhält,
verschlägt es Andrew Tyson die Sprache.
Fassungslos bedeckt er seinen Mund, verdrückt ein paar Tränen: Hier lässt sich erahnen, wie viel Druck auf den Schultern
dieser jungen Musiker lastete – und in
einem solchen Moment abfallen kann.
Auch den Publikumspreis sowie den
Preis für die beste Mozart-Interpretation
erhält der überragende Tyson. Ob er auf
den Konzertpodien der Welt Karriere
Tastenlöwe verliert den Rhythmus
machen wird, das entscheiden viele FakDoch nach den acht kräftigen, gerade toren. Phantasiereichtum und starke Nerheraus gespielten Akkorden von Rachma- ven hat er mit dem Wettbewerbssieg schon
ninovs zweitem Klavierkonzert geschieht mal bewiesen. Ein wichtiger Schritt auf
das Unfassbare: Orchester und Solist gera- einem lebenslangen Weg.
ten völlig auseinander.
tageswoche.ch/+ ktlhr
×
Einzelne Instrumentengruppen setzen
teilweise ganz aus, bis wieder ein gemeinsamer Rhythmus gefunden ist. Die Chemie
stimmt nicht: Immer wieder wechselt Rolim in seinem impulsiven Spiel überraschend die Tempi, immer weniger gelingt
TagesWoche
26/15
Technoviking
Das HeK geht am 2. Juli der Faszination des
Internet-Memes nach. Wie es zur Entstehung eines solchen Phänomens kommt,
zeigt sich am Beispiel des «Technoviking»Memes. Aufgenommen wurde das Video im
Sommer 2000 an einem Berliner Festival
und erst sechs Jahre später veröffentlicht.
Der kurze Film über einen energisch tanzenden Mann mit entblösstem, muskulösem Oberkörper verbreitete sich rasch im
Internet – bis der Mann gegen Filmer Matthias Fritsch klagte. Seine Recherche zum
Hype um das Video hielt Fritsch wiederum
in der Doku «The Story of Technoviking»
fest. Der Film wird anschliessend an ein
Gespräch mit dem Regisseur gezeigt.
×
Donnerstag, 2. Juli, 21.30 Uhr, Haus der
elektronischen Künste, Dreispitz.
• www.hek.ch
Ausgehen
Eine Liste sämtlicher Kulturveranstaltungen der Schweiz finden Sie in unserer
Online-Agenda (Rubrik «Ausgehen»).
41
Kinoprogramm
ANDREAS – 3D [12/10 J]
BASEL
CAPITOL • SAN
15.30/20.30—SA/SO: 11.00 D
Steinenvorstadt 36 kitag.com • PITCH PERFECT 2 [10/8 J]
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• JURASSIC WORLD E/d/f[12/10 J]
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FURY ROAD – 3D
42
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palazzo.ch
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FR/SO/DI: 20.00—
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FR/SA: 22.30—SA/MO/MI: 17.30
[12/10 J]
D
KULT.KINO ATELIER
20.15 E/d
•
SPY
–
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COOPER
• OSTWIND 2 D
[6/4 J]
Theaterstr. 7
kultkino.ch UNDERCOVER
[14/12 J]
SA/SO: 15.00
FR/SA: 22.40 D
• KULT.KINO ATELIER 1 UND 2
• KÜHE, KÄSE UND
BIS ENDE AUGUST WEGEN
• POLTERGEIST
– 3D [16/14 J] DREI KINDER
[0/0 J]
UMBAUS GESCHLOSSEN
FR/SA: 23.00 D
SO: 11.00 Rätoroman/d
[14/12 J] • OSTWIND 2
• LOVE & MERCY
[6/4
J]
• WOMAN IN GOLD
[12/10 J]
SA/SO: 18.00—SA-MI: 20.30 E/d/f
SA/SO: 10.30—
DI/MI: 18.00 E/d/f
SA/SO/MI: 12.45/15.10 D
• SONG FROM
THE FORESTOv/d
[0/0 J] • HOME – EIN
SISSACH
PALACE
SA-MI: 18.30
SMEKTAKULÄRER TRIP – 3D Felsenstrasse 3a palacesissach.ch
[0/0
J]
• PAS SON GENRE
[16/14 J]
SA/SO: 10.50—SA/SO/MI: 13.00 • WEGEN DACHSANIERUNG
SA-MI: 20.45 F/d
• TED 2
15.00/18.00/21.00
ANZEIGEN
[16/14 J]
E/d/f
D
• LEARNING TO DRIVE
MO-MI: 18.15
E/d
[12/10 J] • MINIONS – 3D D
SO: 13.20/15.30
KULT.KINO CAMERA
Rebgasse 1
kultkino.ch
[6/4 J]
BLEIBT DAS KINO
GESCHLOSSEN
PATHÉ PLAZA
Steinentorstr. 8
pathe.ch
[12/10 J] • SPY – SUSAN COOPER
[14/12 J]
UNDERCOVER
15.30/18.00—
• GIOVANNI SEGANTINI –
FR/MO/DI: 13.00—
MAGIE DES LICHTS
[8/6 J]
SA/MO/MI: 20.30 D
14.30/18.30 D
FR/SO/DI:
20.30 E/d/f
• BOUBOULE F/d
[10/8 J]
• RICO, OSKAR UND
FR-SO: 16.30
DAS HERZGEBRECHE [6/4 J]
• HEDI SCHNEIDER
SA/SO/MI: 13.20 D
STECKT
FEST
[10/8 J]
D
17.00
REX
• VICTORIA
14.15/20.30 E/d
• CAPITAINE
THOMAS
SANKARA
F/d
[8/6 J]
18.50
Steinenvorstadt 29
kitag.com
• JURASSIC
• DAS EWIGE
LEBEN [12/10 J] WORLD – 3D
D
[12/10 J]
17.00—FR/SA/MO-MI: 14.00—
E/d/f
FR-DI: 20.00
[0/0 J] • TED 2
[16/14 J]
14.30/17.30—FR-DI: 20.30—
[16/14 J]
MI: 20.00 D
• MINIONS D– 3D
[6/4 J]
[16/14 J]
SO: 14.00
20.45
• KÜHE, KÄSE UND
DREI KINDER
Rätoroman/d
SO: 12.30
• DAWN
SO: 12.40 Hebräisch/d
• LOVE ISLANDOv/d/f
MO-MI: 16.30
KULT.KINO CLUB
Marktplatz 34
kultkino.ch
• LOVE ISLAND
[16/14 J]
FR-SO: 16.15—FR/SA: 21.00 Ov/d/f
• LEARNING TO DRIVE
MOVIE & DINE
PATHE KÜCHLIN | FR, 14. AUGUST | FILM: 20.30 UHR (Edf)
ÖFFNUNG CINE DELUXE: 20.00 UHR
FR-SO: 18.30
E/d
[12/10 J]
NEUES KINO
Klybeckstr. 247 neueskinobasel.ch
• DAYS IN NIGHT
Ov
FR: 21.00
• ATANARJUAT –
THE FASTOv/d/f
RUNNER
FR: 21.01
PATHÉ KÜCHLIN
Steinenvorstadt 55
pathe.ch
• kitag Opera Live:
CARMEN E/d
STADTKINO
Klostergasse 5 stadtkinobasel.ch
• SOMMERPAUSE
BIS 26. AUGUST 2015
STUDIO CENTRAL
Gerbergasse 16
kitag.com
• THE AGE OF ADALINE
[12/10 J]
17.15—SA/SO: 14.30 E/d/f
• SPY – SUSAN COOPER
[14/12 J]
UNDERCOVER
E/d/f
20.00
FRICK
MONTI
Kaistenbergstr. 5 fricks-monti.ch
• JURASSIC WORLD [12/10 J] • TED 2
FR/SA/MO-MI: 12.30/15.10—
FR-MO: 20.15 D
SA/SO: 10.00 D
• MINIONS D
• JURASSIC WORLD [12/10 J] SO: 11.00
12.50/15.30/18.15/21.00—
NAB FAMILY EVENT
FR/SA: 23.40—SA: 10.10 D
• MINIONS – 3D D
18.00/20.40—FR/SA: 23.20 E/d/f
SO: 13.00/15.00
• THE AGE OF ADALINE
TICKETS: CHF 89.– PRO PERSON
Der Preis beinhaltet ein mehrgängiges Flying Dinner, Cüpli, Rot- und Weisswein, Bier,
Mineral, Kaffee à discretion und Filmbesuch.
Tickets sind an der Kinokasse und online erhältlich. Anzahl Plätze limitiert.
PATHE KÜCHLIN
pathe.ch/basel
[12/10 J]
15.15—FR/MO/DI: 12.45—
FR-SO/DI: 17.45—
FR/SA/MO/MI: 20.15—
SA/SO: 10.15 D
SO/DI: 20.15—MO/MI: 17.45 E/d/f
• WOMAN IN GOLD [12/10 J]
12.45—FR/MO/DI: 15.10—
FR/SO/DI: 17.30—
SA/MO/MI: 20.00 E/d/f
• TED 2
[16/14 J]
12.50/15.20/17.50/20.20—
FR/SA: 22.50—SA/SO: 10.20 E/d/f
13.00/15.30/18.00/20.30—
FR/SA: 23.00—SA/SO: 10.30 D
• BIG GAME
[12/10 J]
15.20/17.45—
FR/MO/DI: 13.00—
FR/SA: 22.30—SA/MO/MI: 20.10
D
FR/SO/DI: 20.10 E/d
• MISS BODYGUARD
[12/10 J]
13.30 D
[4/4 J]
MI: 20.30
• JURASSIC
WORLD – D3D
SO: 17.00
[16/14 J]
[6/4 J]
[6/4 J]
[12/10 J]
LIESTAL
ORIS
Kanonengasse 15 oris-liestal.ch
• TED 2
[16/14 J]
FR/SA/MO-MI: 20.15—SO: 20.30
D
• RICO, OSKAR UND
DAS HERZGEBRECHE
[6/4 J]
D
SA/MI: 15.00
• JURASSIC
WORLD [12/10 J]
D
SA: 17.30
• JURASSIC
WORLD – D3D
SO: 18.00
[12/10 J]
• MINIONS D– 3D
[6/4 J]
• MINIONS D
[6/4 J]
SO: 13.30
SO: 15.45
TagesWoche
26/15
43
Impressum
TagesWoche
5. Jahrgang, Nr. 26;
verbreitete Auflage:
10&800 Exemplare (prov. Wemfbeglaubigt, weitere Infos:
tageswoche.ch/+sbaj6),
Gerbergasse 30,
4001 Basel
Herausgeber
Neue Medien Basel AG
Redaktion
Tel. 061 561 61 80,
[email protected]
Die TagesWoche erscheint
täglich online und jeweils am
Freitag als Wochenzeitung.
Chefredaktion
Dani Winter (Redaktionsleiter),
Remo Leupin (Leiter Print)
Digitalstratege
Thom Nagy
Creative Director
Hans-Jörg Walter
Redaktion
Amir Mustedanagić
(Leiter Newsdesk),
Reto Aschwanden
(Leiter Produktion),
Renato Beck, Antonia Brand
(Praktikantin), Tino Bruni
(Produzent), Lea Dettli
(Praktikantin), Yen Duong,
Karen N. Gerig, Laura Goepfert
(Praktikantin), Jonas Grieder
(Multimedia-Redaktor),
Christoph Kieslich,
Marc Krebs, Felix Michel,
Hannes Nüsseler (Produzent),
Matthias Oppliger,
Jeremias Schulthess,
Andreas Schwald,
Dominique Spirgi,
Samuel Waldis
Redaktionsassistenz
Béatrice Frefel
Layout/Grafik
Petra Geissmann,
Daniel Holliger
Bildredaktion
Nils Fisch
Korrektorat
Yves Binet, Balint Csontos,
Chiara Paganetti,
Irene Schubiger,
Martin Stohler,
Dominique Thommen
Lesermarkt
Tobias Gees
Abodienst
Tel. 061 561 61 61,
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Verlag
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Geschäftsleitung
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Leitung Werbemarkt
Kurt Ackermann
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Druck
Zehnder Druck AG, Wil
Designkonzept und Schrift
Ludovic Balland, Basel
44
Hollywoods Grosserfolge der Vorjahre
wie Coppolas «The Godfather» oder
Polanskis «Chinatown» entrümpelten
den Film von erlahmten Konventionen
wie dem obligaten Happy End oder den
schnittigen Heldenfiguren, in Friedkins
«The Exorcist», mit zwei Oscars gekrönt,
nahm schliesslich ein handfester Dämon
die Hauptrolle ein.
«Jaws» spielte mit ähnlichen psychologischen Mitteln: ein prägnanter Soundtrack, der das herannahende Unheil
akustisch ankündigt, ein Horror, der
über das wehrlose familiäre Idyll – ein
Badestrand – hereinbricht, und in der
Gestalt des Haifischjägers Quint jene
Auflösungserfahrung der Zivilisation, in
der sich die menschliche Ratio zugunsten des besessenen Wahns auflöst.
Schnapsflasche und Hai kreisen
Und der Haifisch, der hat Zähne: Filmplakat zu «Jaws» aus dem Jahr 1975.
Kultwerk #187
Mann, Meer und Monster: Vor 40 Jahren
erfand der Regisseur Steven Spielberg
mit «Jaws» den modernen Blockbuster.
Hoch die
Flossen!
Quint wird, zwar mit weniger aristokratischer Postur, als ein kaum verhüllter
Wiedergänger des Waljägers Ahab aus
Melvilles Feder inszeniert, doch auch
wenn damit der Urtopos vom Kampf
zwischen Mann, Meer und Monster neu
erzählt wird, ist Spielbergs Film weniger
am mythischen Gehalt des Stoffs denn an
der Verstrickung von psychologischer
Spannung und – damals – bahnbrechenden Schockeffekten interessiert. Die zweite Filmhälfte, in der das Haijäger-Trio
mehr und mehr widerstandslos auf dem
offenen Meer treibt, die Nerven blank
liegen und der Schnaps fliesst, während
der Hai das Boot umkreist, erzeugen noch
40 Jahre später eine ungeheuer dichte,
zerreissende Atmosphäre. Bis der Hai,
ungeduldig wie er ist, aufs Boot springt.
«Jaws» beendete im
Kino die traditionelle
Sommerflaute.
«Jaws» kam, in Einklang mit der Filmhandlung, in den Sommermonaten in die
amerikanischen Kinos – und beendete die
traditionelle Flaute dieser Saison. Kein
Film zuvor machte einen grösseren Umsatz
als Spielbergs Flossenjagd, und fortan
galt der Sommer als Kinozeit: Während
draussen das Land unter der Sonne
schmolz, flimmerte über die Leinwände
der runtergekühlten Säle gigantisches
Unterhaltungskino.
von Andreas Schneitter
«Jaws» lancierte den Begriff des «Blockbusters», weniger gut hingegen bekam der
n die dunklen Gründe des Meeres schen Beutezug begeben, aus den seichten Film seinem Hauptpersonal. Für die
schien Gott den Teufel verbannt zu Wassern des B-Movie heraus und etablierte Gattung der weissen Haie war «Jaws» ein
haben, aber losgeworden ist ihn die es im Mainstream-Kino. «Der weisse Hai» PR-Desaster, ihr Ruf war am Boden, die
Menschheit nicht: Als riesenhafter hiess das Werk schön nüchtern-deskriptiv Zahl der Tötungen nahm zu. Im Nordatlangefrässiger Leviathan kehrte vor vierzig in der deutschen Fassung, treffender ist tik schwand ihre Zahl seit den AchtzigerJahren diese Kreatur zurück an die Oberflä- jedoch der Originaltitel: «Jaws». Kiefer. jahren um bis zu 80 Prozent. Seither steht
che und riss zu sich in die Tiefe, was die Rachen. Maul. Ein bissstarker Abgrund, der weisse Hai auf der Liste der gefährdescharfen Zähne zu fassen kriegten.
der alles verschlingt.
ten Arten, umfassend geschützt ist er
Mit seinem Durchbruchfilm für die
Spielbergs «Jaws» war das Scharnier, deswegen nicht: Sobald sich Tötungsfälle
ganz grosse Leinwand holte Steven Spiel- mittels dem das New Hollywood Cinema ergeben, ist der Schrecken wieder da, und
berg jenes Subgenre des Horrorfilms, in der frühen Siebzigerjahre hinüberging in die Schlachter rücken aus.
dem animalische Monster sich auf diaboli- die totale Unterhaltung.
tageswoche.ch/+pi2lo
×
I
TagesWoche
26/15
45
Wochenendlich in Boulogne-sur-Mer
Ein idyllisches Fischerstädtchen sieht
anders aus. Dennoch kann man da
gut zwei, drei Tage am Meer verbringen.
Eine Prise
Meeresluft
Abfahren
Die Hafenanlagen mit einer Hafenrundfahrt.
Anbeissen
Ein Drei-Gang-Menü im Restaurant
Le Doyen an der Rue du Doyen 11.
m besten einen Tisch reservieren.
Abliegen
Das Hôtel Alexandra an der Rue
Adolphe Thiers 93 ist innen schmuck
und hat äusserst nette Inhaber.
von Martin Stohler
Z
ugegeben: Boulogne-sur-Mer fällt
einem nicht als Erstes ein, wenn
man Ferien an einer Küste Frankreichs machen will. Es gibt weitaus mondänere Orte, und es würde auch
niemand ernsthaft behaupten, der grösste
Fischereihafen Frankreichs sei ein idyllisches Fischerstädtchen. Und trotzdem:
Boulogne-sur-Mer hat alles, was man
braucht, wenn man zwei, drei Tage am
Meer verbringen will.
Am Sandstrand, der beim Hafen beginnt
und von dort der Küste folgt, kann man
wunderbar dem Meer entlangspazieren.
Wenn Ebbe herrscht, scheint der Strand
schier endlos zu sein. Sollte man aber einen
Regentag erwischen, kann man stattdessen
das Aquarium Nausicaá besuchen und dort
tief in die Welt des Meeres eintauchen.
Fische aller Art gibt es auch auf dem täglichen Fischmarkt zu sehen. Auf ihm geht
es lebhaft zu und her. Sehr zu empfehlen ist
eine Hafenrundfahrt. Dabei fährt man
auch an der stillgelegten Gare Maritime
vorbei, in der früher die Zugpassagiere auf
die Fähren nach England umstiegen.
Der Bau des Eurotunnels unter dem
Ärmelkanal bedeutete das Ende des kombinierten Betriebes von Eisenbahn und Fährschiff. Heute ist die Gare Maritime das
melancholische Baudenkmal einer vergangenen Epoche.
Das Zentrum von Boulogne-sur-Mer
besteht aus einer Unterstadt rund um den
Hafen und einer befestigten Oberstadt, der
Ville fortifiée. In der Unterstadt herrscht
geschäftiges Kleinstadtleben. Hier findet
man Geschäfte und Läden, Hotels und Restaurants und an der Place Dalton die Eglise
Saint-Nicolas, die älteste Kirche des Ortes.
Steiler Aufstieg zur Ville fortifiée
Der Weg hinauf zur Ville fortifiée ist steil,
doch sollte man sich dadurch nicht abschrecken lassen, den Aufstieg unter die
Füsse zu nehmen. Einmal oben angekommen, kann man sich in einem kleinen Park
von den Mühen erholen oder sich gleich in
eines der verschiedenen Ausflugslokale
TagesWoche
26/15
setzen. Beinahe etwas versteckt in der
Ostecke der Befestigungsanlage befindet
sich ein Château. Darin ist ein Museum untergebracht, das über bedeutende Objekte
aus unterschiedlichen Kulturen und Epochen verfügt.
Spezielle sucht, findet das ein paar Schritte
weiter in der Rue du Doyen im Restaurant
Le Doyen. Das Lokal erinnert ein bisschen
an eine Puppenstube, die Speisen sind mit
Liebe zubereitet. Um den Abend abzurunden, kann man sich auch im Kino «Les
Stars» an der Rue National 18 einen der
Empfohlen: die Fête de la Mer
neusten Filme ansehen.
Hat man am Tag ausgiebige Strand- und
Diesen Sommer steht in Boulogne-surStadtspaziergänge unternommen, setzt Mer übrigens noch etwas ganz Besonderes
man sich abends ganz gerne in ein gemütli- auf dem Programm: die Fête de la Mer, die
ches Lokal und sucht sein Vergnügen bei vom 10. bis 14. Juli stattfindet, mit aussergeSpeis und Trank.
wöhnlichen Schiffen und Einblicken in die
In der Unterstadt gibt es mehrere Res- maritime Kultur und Lebensweise.
taurants rund um die Place Dalton. Wer das tageswoche.ch/+sq5X9
×
Heimfahrt in den grössten Fischereihafen Frankreichs.
FOTO: MARTIN STOHLER
Beim Fotografieren ist nicht nur das
richtige Motiv wichtig – sondern auch,
wie sich der Fotograf bewegt.
Haltungsturnen
für Fotografen
Für das perfekte Bild legen sich Fotografen mitunter ganz schön ins Zeug.
46
von Hans-Jörg Walter
Zeitmaschine
FOTO: KEYSTONE
D
ie einen schleichen und pirschen
sich wie Grosswildjäger an das Motiv heran. Warten lange auf den
richtigen Augenblick und erlegen
ihr Motiv mit einem gezielten Schuss. Andere
knipsen beiläufig aus der Hüfte und machen
dabei eine Miene wie ein Detektiv, der unerkannt bleiben will.
Dann gibt es jene, deren Antlitz permanent
hinter dem Apparat versteckt bleibt, die immerzu durch den Sucher gucken und sich nur
auf den Bildausschnitt konzentrieren (und
dann meistens den entscheidenden Augenblick verpassen).
Einige Aufnahmesituationen und
Kamerasysteme zwingen Fotografen zu
komischen Verrenkungen und hochnotpeinlichen Haltungen. Lustig ist der Blümchenfotograf, der sein Makro auf den Boden richtet
und den Hintern in die Höhe. Oder der Sportfotograf, der sich wegen grossen schweren
Linsen auf seiner Kamera irgendwie aufstützen muss, weil er sonst Gefahr läuft, aus dem
Gleich-gewicht zu geraten. Dann gibt es diejenigen, die auf den Knien herumrutschen – das
sieht man dann den Hosen an.
Cool wie in «Blow Up»
Der Hobbyfotograf mit grossem Budget
konzentriert sich oft mehr auf sein Gerät als
aufs Motiv und hat meistens zu viele Taschen
umgehängt, unter deren Last er ziemlich schief
steht. (Profis haben zwei Taschen dabei, eine
links und eine rechts, so bleibt der Horizont
schön horizontal.)
Es gibt auch wahre Tänzer in der knipsenden Zunft, die eine abenteuerliche Gymnastik hinlegen können. Hochzeitsfotografen
lassen sich so manche Moves einfallen, um
die Gesellschaft bei Laune zu halten. Das Internet ist voll lustiger Beispiele.
Viele bewegen sich aber so, wie sie es
aus Filmen gelernt haben. «Blow Up» zum Beispiel, das Meisterwerk von Michel-angelo Antonioni aus dem Jahr 1966, hat eine ganze Generation von Fotografen beeinflusst: Sie glaubten, dass man beim Fotografieren von schönen
Frauen die Kamera falsch halten und mit leerem Gesichtsausdruck cool aussehen müsse.
Oft ähneln die Posen hinter der Kamera
auch jenen auf Filmplakaten, auf denen
Männer mit Waffen hantieren. Die JamesBond-Geste mit der nach oben gerichteten
Pistole und dem Grinsen des Helden ist eine
der meistverbreiteten Posen auf Selbstdarstellungseiten von Fotografen.
Manchmal kann man aus den Bildern Rückschlüsse ziehen, wie der Fotograf sich wohl angestellt hat. Wurde er überhaupt wahrgenommen, oder war er gar das Zentrum der Aufmerksamkeit? War er dem Geschehen nahe, oder hielt
er sich feige fern? Wie verläuft der Blickwinkel?
Von oben herab oder auf Augenhöhe?
So verrät manches Bild einiges über seine
Entstehung. Deshalb mein Tipp an alle Fotografen: Treten Sie selbstbewusst auf und zeigen Sie Haltung. Das überträgt sich auch auf
die Situation und den Menschen, den Sie fotografieren. So kommt es zum perfekten Moment: Auge in Auge.
tageswoche.ch/+xio0x
×
TagesWoche
26/15
KLEINANZEIGEN
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gieren wollen – bei uns sind Sie auf jeden Fall an
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