22 Medical Tribune · 50. Jahrgang · Nr. 27/28 · 10. Juli 2015 INTER MEDICAL REPORT Expertentreffen Steinbach-Talk 2015 zum Thema „Knieverletzungen“, 27. – 28. März 2015, Berlin Knieverletzungen beim Sportler erfordern generell viel Fingerspitzengefühl Oft sind nicht nur Menisken, sondern auch Kapseln und Bänder betroffen BERLIN – Knieverletzungen gehören bei vielen Mannschaftssportarten zu den häufigen Schädigungen. Ganz vorne stehen dabei Meniskus- und Knorpelläsionen. Erst mit einigem Abstand folgen Verletzungen des vorderen Kreuzbandes. Häufig sind bei Knieverletzungen jedoch nicht nur die Menisken, sondern auch Kapseln und Bänder betroffen. Beim Fußball und anderen kampfbetonten Ballsportarten entstehen etwa 70 % der Kreuzbandrupturen nicht durch Kontakt mit dem Gegner, sondern weil der Sportler falsch gelandet ist, falsch gebremst oder sich falsch gedreht hat, berichtete der Kniespezialist Dr. Heinz-Jürgen Eichhorn aus dem Sporthopaedicum in Straubing beim Steinbach-Talk 2015 in Berlin. Beim Fußball sind Kreuzbandverletzungen überwiegend am Schussbein lokalisiert, erläuterte Dr. Eichhorn anhand klinikeigener Untersuchungen: Wenn ein Spieler bremsen oder sich drehen muss, macht er das fast immer auf dem Standbein. Nur wenn der Spielfluss es erfordert, nimmt er sein Schussbein, was dann zu einem Trauma führen kann. Prophylaktisch sollten deshalb die Rumpfstabilität und die propriozeptive Kapazität des Schussbeins gestärkt werden, empfahl Dr. Eichhorn. Die Erfolgsquoten und ein „Return to play“ nach einer Meniskusverletzung sind nach Angaben von Dr. Ralf Doyscher von der Abteilung für Sportmedizin der Berliner Charité generell hoch. So kehren in der US-amerikanischen Basketball-Liga (National Basketball Association – NBA) insgesamt 80 % der verletzten Spieler, die sowohl konservativ wie auch operativ versorgt werden, nach im Durchschnitt 43 Tagen wieder aufs Spielfeld zurück. Kreuzbandrupturen möglichst rasch operieren Eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes sollte nach Dr. Eichhorns Erfahrungen möglichst innerhalb der ersten Woche operiert werden. Aus 30 Jahren Kreuzbandchirurgie weiß er, dass es sich bei 60 % aller Kreuzbandrisse um mehr oder weniger hochgradige Teilrupturen handelt und es deshalb je nach Art der Verletzung noch gesunde Anteile gibt. Sportler, die nach einer Teilruptur konservativ behandelt werden und wieder Sport treiben, haben nach Dr. Eichhorns Angaben Neben der Schilderung des Unfallhergangs hat die manuelle Untersuchung bei Knieverletzungen einen hohen Stellenwert. Foto: fotolia / Adam Gregor ein erhöhtes Risiko für höhergradige Knorpelläsionen. Eine Indikation für eine Operation sollte deshalb immer dann gestellt werden, wenn das Knie shiftet, empfahl Dr. Eichhorn. Vor allem für Leistungssportler stellt sich nach einem verletzungsbedingtem Ausfall die Frage, wann sie ihren Sport wieder ausüben können („return to play“). Die Antwort hängt laut Dr. Eichhorn nicht nur von der Art und der Ausdehnung der Verletzung, sondern gegebenenfalls auch von der Operationstechnik und dem Operationsverlauf ab. Eine wesentliche Rolle spielt nicht zuletzt die Qualität und Intensität der Nachbehandlung sowie der Wiederaufbau der Funktionen durch zielgerichtete physiotherapeutische Maßnahmen, so Dr. Eichhorn. Auch nach Revision hohe Erfolgsrate Allerdings liegt die Nachbehandlungszeit nach einer Meniskusnaht bei bis zu sechs Monaten. Auch können Rerupturen, die meist nach einem erneuten Trauma beobachtet werden und in der Regel schmerzfrei und daher oft Zufallsbefunde sind, auch noch nach Jahren auftreten. Immerhin liegt auch die Erfolgsrate einer Revisionsnaht bei bis zu 70 %, berichtete Dr. Doyscher. Bagatell-Läsionen des Knies dürfen nicht unterschätzt werden Was gehört zur Diagnostik, wie wird behandelt? Interview mit Professor Klaus Steinbach, Weiskirchen BERLIN – Diagnostik und Therapie von Knieverletzungen erfordern viel Fingerspitzengefühl. Deshalb haben führende Sportmediziner des Steinbach-Talks, benannt nach einem kleinen Ort im Badischen, wo sich die Experten vor elf Jahren zum ersten Mal getroffen haben, in diesem Jahr ein Diagnose- und Therapieschema zu Knieverletzungen ausgearbeitet. Professor Klaus Steinbach, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Sportmedizin in Weiskirchen, erläutert das Schema. ? Knieverletzungen – welche Sportarten sind besonders betroffen? Prof. Steinbach: Knieverletzungen treten in erster Linie in den kampfbetonten Sportarten auf, in denen es also zum Kontakt mit dem Gegner kommt. Häufig sind Fußballer betroffen. Dabei muss man natürlich auch berücksichtigen, dass bei uns sehr viel Fußball gespielt wird. Boden mit vielen Richtungswechseln agieren. Auch Sportarten, in denen viel gesprungen wird, wie Volleyball oder Basketball, sind häufiger betroffen. Als Sportmediziner sprechen wir in diesem Zusammenhang von Bodenreaktionskräften, die einen High Impact auf das Knie haben. Die Strukturen des Knies, wie der Knorpel oder der Meniskus, werden dabei durch ruckartige Bewegungen mit dem Vielfachen des Körpergewichts belastet. ? ? Prof. Klaus Steinbach Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Sportmedizin, Weiskirchen Foto: MT-Archiv Ist der Gegnerkontakt der einzige Faktor, der bei Knieverletzungen eine Rolle spielt? Prof. Steinbach: Auch im Handball kommt es häufig zu Läsionen jeglicher Art. Eine Rolle spielt dabei auch die Tatsache, dass die Spieler oftmals auf zu glattem oder zu stumpfem Und je öfter das Knie solchen Belastungen ausgesetzt ist, umso höher ist das Verletzungsrisiko? Prof. Steinbach: Neben dem akuten Trauma haben wir auch noch die Überlastungsschäden. Dabei werden die weichen Strukturen wie Meniskus und Knorpel im Laufe der Meniskustests kombinieren Um Meniskusläsionen festzustellen, gibt es nach Angaben des Sportmediziners Dr. Dietmar Schubert, betreuender Arzt der Jugend-Basketball-Bundesliga (JBBL), in der Literatur wenigstens 21 verschiedene Tests. Eine Studie mit 64 Patienten an einer orthopädischen Klinik mit zwölf unterschiedlichen Meniskustests hat ergeben, dass kein einzelner Test hoch sensitiv oder spezifisch für eine Meniskusläsion ist. Deshalb sollten routinemäßig drei bis fünf Meniskustests kombiniert werden, berichtete Dr. Schubert. In der Studie wurden die besten Ergebnisse mit McMurray, Steinmann I, Böhler- und dem Appley-Test erzielt. In Kombination mit dem Befund und der Unfallanamnese führten sie bei 72 % der Patienten zur korrekten Diagnose einer Meniskusverletzung. Von besonderem diagnostischen Wert war eine lokale, konstante Druckempfindlichkeit im Gelenkspalt in 90-Grad-Bewegung und Extension. Darüber hinaus ergab die Untersuchung: 4 % der Patienten hatten bei negativem Meniskustest in der Arthroskopie doch eine Läsion. Bei Patienten, bei denen sich keine arthroskopische Meniskusverletzung bestätigte, lag meist eine andere Knie-Binnenverletzung vor. Deshalb sollte bei unklarem Befund eine MRT durchgeführt werden, empfahl Dr. Schubert. Zeit durch eine Aneinanderreihung vieler Mikrotraumen geschädigt, was in der Addition die Strukturen letztendlich überfordert. ? Was ist bei der Diagnose von Knieverletzungen zu beachten? Prof. Steinbach: Wichtig ist eine gründliche Anamnese. Mit gründlich meinen wir: sich Zeit nehmen für die Befragung des Patienten und versuchen, sich den Unfallhergang bewusst zu machen. Der erfahrene Arzt kann daraus auf die wahrscheinliche Art der Verletzung schließen. Im Diagnose- und Therapieschema unterscheiden wir Meniskusverletzungen, Bandverletzungen, Knorpelverletzungen und Kombinationsverletzungen. Für die jeweiligen Bereiche geben wir differenzierte Hinweise, wie man bei der klinischen Untersuchung vorgehen sollte. Um das Ganze anschaulich zu machen, sind die einzelnen Untersuchungsschritte zusätzlich bebildert. ? Ein Wort zu den Therapieempfehlungen. Prof. Steinbach: Viele Knieverletzungen können konservativ gut behandelt werden. Wir empfehlen bei den leichteren Verletzungen neben Physiotherapie eine lokale Injektionstherapie mit natürlichen, entzündungsregulierenden Substanzen wie etwa Traumeel und Salbenverbände mit Traumeel. ? Sportler sind doch ständig verletzt, meist handelt es sich jedoch um sogenannte Bagatellverletzungen. Prof. Steinbach: Man darf diese Bagatellverletzungen nicht unterschätzen. Bei etwa 80 % der schweren Knieverletzungen hat es ein bis drei Wochen zuvor eine Bagatellverletzung gegeben, die vermutlich dazu beiträgt, dass der Sportler sein Bewegungsmuster unbewusst ändert und im entscheidenden Augenblick dann gewissermaßen auf dem falschen Fuß landet. ? Das heißt? Prof. Steinbach: Schmerzfreiheit bedeutet nicht Sporttauglichkeit. Jede Verletzung muss vollständig ausheilen. Sonst droht gleich die nächste Verletzung. Wir empfehlen deshalb vor der Rückkehr zum Sport sportartenspezifische Funktionstests. Das neue Diagnose- und Therapieschema Knieverletzungen kann kostenlos angefordert werden unter: [email protected] Impressum | Idee und Konzeption: Inter Medical Sonderpublikationen · Redaktion: Jürgen Stoschek · Chef vom Dienst: Hannelore Schell · Mit freundlicher Unterstützung von Heel, Baden-Baden · Medical Tribune 27/28/2015 – 25699
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