Bentham: Leben und Werk

Joachim Stiller
Bentham:
Leben und Werk
Materialien zu Leben und Werk
von Jeremy Bentham
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Wiki: Jeremy Bentham
Jeremy Bentham (* 15. Februar 1748 in Spitalfields, London; † 6. Juni 1832 ebenda) war ein
englischer Jurist, Philosoph und Sozialreformer.
Bentham gilt als Begründer des klassischen Utilitarismus. Er war einer der wichtigsten
Sozialreformer Englands im 19. Jahrhundert und ein Vordenker des modernen
Wohlfahrtsstaats. Er forderte allgemeine Wahlen, das Frauenstimmrecht, die Abschaffung der
Todesstrafe, Tierrechte, die Legalisierung der Homosexualität und die Pressefreiheit. Er gilt
als Vordenker des Feminismus, als Vorkämpfer der Demokratie, des Liberalismus und des
Rechtsstaats. Bentham ist aber auch bekannt für seine scharfe Kritik an der französischen
Menschenrechtserklärung und sein Eintreten für Wucherzinsen. Auch lieferte er Argumente
für einen legitimen Einsatz der Folter und entwickelte mit dem Panoptikum ein ModellGefängnis, das Michel Foucault als Symbol für die Überwachungs- und Herrschaftsstrukturen
der modernen Zivilgesellschaft wählte.
Inhaltsverzeichnis
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1 Biografie
2 Auto-Ikone
3 Ethik
o 3.1 Tier- und Menschenrechte
4 Rechtslehre
5 Verfassungslehre
6 Der Freiheitsbegriff bei Bentham
7 Zitate
8 Wichtigste Werke
9 Literatur
10 Weblinks
11 Nachweise
Biografie
Jeremy Bentham wurde 1748 als Sohn eines vermögenden Rechtsanwalts in der Nähe von
London geboren. In seiner Jugend galt er als Wunderkind. Im Alter von nur zwölf Jahren
begann er sein Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie in Oxford. Das Studium
des undurchsichtigen common law entsprach jedoch nicht seinem geistigen Temperament.
Viel eher imponierten ihm die exakten Wissenschaften. Isaac Newton, Joseph Priestley und
Carl von Linné wurden zu seinen intellektuellen Vorbildern. Neben den Naturwissenschaften
prägten vor allem zeitgenössische Aufklärungsphilosophen wie Voltaire, David Hume, Cesare
Beccaria und insbesondere Claude Adrien Helvétius Benthams Denken.
Bentham ließ sich zwar als Anwalt ausbilden, brach aber seine praktische juristische
Laufbahn sehr schnell ab und widmete sich der Wissenschaft und der politischen Reform.
Anfänglich wurde er vor allem in seinem Heimatland von der Öffentlichkeit kaum beachtet.
Eine erste Ehrbezeichnung erhielt Bentham aus dem postrevolutionären Frankreich, wo ihm
1792 gemeinsam mit George Washington, Friedrich Schiller und Johann Heinrich Pestalozzi
die französische Ehrenstaatsbürgerschaft zuerkannt wurde. In England selbst wuchs Benthams
Bekanntheitsgrad erst anfangs des 19. Jahrhunderts.
Bentham war der Kopf der englischen radicals, des politischen Arms des philosophischen
Utilitarismus, der die englische Innenpolitik nachhaltig beeinflusste und später in der Liberal
Party aufging. Durch seine Anhänger – darunter James Mill und dessen Sohn John Stuart
Mill, David Ricardo und John Austin – hatten seine Lehren großen politischen Einfluss.[1]
Gegner schuf sich Bentham vor allem in Deutschland. In der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts stand Benthams radikaler Atheismus, Materialismus und Demokratismus quer
zum romantisch-idealistischen Zeitgeist. Aber auch in der idealistisch und historistisch
geprägten Philosophie konnte sich Benthams utilitaristische Ethik nur sehr schwer
durchsetzen. Profanes Glücksstreben und Nützlichkeitskalküle standen im Widerspruch zum
Zeitgeist des Klassizismus und des Biedermeier.
Der 80-jährige Goethe beispielsweise bezeichnete den ungefähr gleichaltrigen Bentham am
17. März 1830 gegenüber Johann Peter Eckermann als „höchst radikalen Narren“ und
bemerkte: „In seinem Alter so radikal zu sein, ist der Gipfel aller Tollheit.“[2] Karl Marx fand
für die Lehren Benthams nur drastische Worte: In Das Kapital. Band I schreibt Marx: „Wenn
ich die Courage meines Freundes H. Heine hätte, würde ich Herrn Jeremias ein Genie in der
bürgerlichen Dummheit nennen.“[3]
Auto-Ikone
Nach seinem Tod wurde Bentham in der Anwesenheit von Anatomiestudenten und seinen
engsten Vertrauten seziert. Gemäß seinem letzten Willen wurde sein Leichnam „autoikonisiert“. Durch die Auto-Ikonisierung wird der Leichnam – entweder ganz oder nur der
Kopf – nach den Methoden der neuseeländischen Maori mumifiziert, um ihn für die Nachwelt
zu erhalten. Den Begriff der Auto-Ikone definiert Bentham als „a man who is his own
image“.[4] Durch die Auto-Ikonisierung sollte jeder Mensch über seinen Tod hinaus als AutoIkone sein eigenes, lebensechtes Monument bilden. Benthams Skelett wurde mit seinen
Kleidern angezogen, die man mit Stroh ausstopfte. Benthams Kopf wurde durch die AutoIkonisierung dermaßen verunstaltet, dass man für die Auto-Ikone ein Wachsmodell anfertigte.
Mit dem Wachskopf und seinem Spazierstock in der Hand wurde Benthams Auto-Ikone in
einer Vitrine des University College in London auf einem Stuhl sitzend ausgestellt. Der
mumifizierte Kopf wurde zunächst zu Füßen der Auto-Ikone mit in die Vitrine gelegt. Heute
wird der Kopf im College-Archiv aufbewahrt.[5]
Ethik
Das größte Glück der größten Zahl (greatest-happiness-principle) ist das Leitprinzip von
Benthams utilitaristischer Ethik. Eine Handlung bewertet sich demnach allein nach ihren
sozialen Folgen: sie ist moralisch richtig, wenn sie der Allgemeinheit (bzw. der größten Zahl)
nützt; sie erweist sich als moralisch falsch, wenn sie der Allgemeinheit schadet. In diesem
Sinn ist die utilitaristische Ethik konsequentialistisch; d. h. innere Beweggründe spielen für
die Bewertung einer Handlung keine selbstständige Rolle.
Das Prinzip des größten Glücks der größten Zahl beinhaltet die Forderung nach
Gleichberechtigung, verstanden als gleiche Berücksichtigung des Glücks bei der Bewertung
der Handlungsfolgen.
Tier- und Menschenrechte
Jeremy Bentham ist einer der ersten Befürworter von Tierrechten, die er aus dem dem
Menschen gleichen Schmerzempfinden von Tieren herleitet. Die Leidensfähigkeit war für ihn
maßgebend, nicht der Besitz von Vernunft oder die Fähigkeit zu denken. Sonst dürfte man ja
auch viele Menschen, zum Beispiel Säuglinge und geistig Behinderte, misshandeln.
“It may one day come to be recognised that the number of the legs, the villosity of the skin, or
the termination of the os sacrum are reasons equally insufficient for abandoning a sensitive
being to the same fate. What else is it that should trace the insuperable line? Is it the faculty of
reason or perhaps the faculty of discourse? But a full-grown horse or dog is beyond
comparison a more rational, as well as more conversable animal, than an infant of a day or a
week or even a month old. But suppose they were otherwise, what would it avail? The
question is not, Can they reason?, nor Can they talk? but, Can they suffer?”
„Es mag der Tag kommen, an dem man begreift, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung
der Haut oder das Ende des Kreuzbeins gleichermaßen ungenügende Argumente sind, um ein
empfindendes Wesen dem gleichen Schicksal zu überlassen. Warum soll sonst die
unüberwindbare Grenze gerade hier liegen? Ist es die Fähigkeit zu denken oder vielleicht die
Fähigkeit zu reden? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich
vernünftigere sowie mitteilsamere Tiere als ein einen Tag, eine Woche, oder gar einen Monat
alter Säugling. Aber angenommen dies wäre nicht so, was würde das ausmachen? Die Frage
ist nicht 'Können sie denken?' oder 'Können sie reden?', sondern ‚Können sie leiden?.“
– Jeremy Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation. A new edition, corrected by the
author. London 1828. Chapter 17: Of the Limits of the Penal Branch of Jurisprudence. IV. Fußnote "Interest of
the inferior animals improperly neglected in legislation". p. 235, 236 in der Google-Buchsuche
“Why should the law refuse its protection to any sensitive being? The time will come when
humanity will extend its mantle over everything which breathes.”
„Warum sollte das Gesetz seinen Schutz irgendeinem empfindenden Wesen verweigern? Die
Zeit wird kommen, da die Menschheit alles, was atmet, unter ihren Schirm und Schild
nehmen wird.“
–
Jeremy Bentham: Principles of Penal Law. From the French of Dumont and the MSS
of Bentham. Part III. Chapter XVI Of the Cultivation of Benevolence. p. 562, in:
Works, now first collected under the superintendence of John Bowring. Part II.
Edinburgh-London-Dublin 1838. p. 562 in der Google-Buchsuche
Rechtslehre
Bentham war der erste Vertreter eines systematischen Rechtspositivismus, der vor allem
durch seinen Schüler John Austin, später aber auch durch Hans Kelsen und H. L. A. Hart
großen Einfluss auf das moderne Verständnis des Rechts ausübte. Bentham entwickelte eine
klare begriffliche Trennung von Moral und Recht und lehnte sowohl die Vorstellung des
Naturrechts als auch die Vorstellung natürlicher Rechte vehement ab. Berühmt ist seine
Einschätzung der französischen Menschenrechtserklärung als „Unsinn auf Stelzen“ (nonsense
upon stilts).[6]
Bentham ging in seiner Rechtslehre von einem extrem individualistischen Menschenbild aus.
Der Mensch war für Bentham ein Nutzenmaximierer, der ohne jede Rücksicht auf seine
Mitmenschen seine eigenen Interessen verfolgt. Das Gesetz habe daher die gesellschaftliche
Funktion, die Bürger zur Allgemeindienlichkeit zu zwingen. Den Schlüssel für das größte
Glück der größten Zahl bildet eine nach rationalen Kriterien entworfene, systematische
Strafgesetzgebung, die den Bürgern ihre gesetzlichen Pflichten und die drohenden Sanktionen
vor Augen halten soll. Der Begriff Kodifikation ist – wie der Begriff international – eine
Wortschöpfung Benthams.
Benthams – eng an Beccaria angelehnte – Theorie des Strafrechts ist geprägt vom Gedanken
der Prävention. Wie später Paul Johann Anselm von Feuerbach glaubte Bentham, durch
gesetzliche Strafdrohungen lasse sich der Bürger weitgehend von Rechtsbrüchen abhalten
(sogenannte Theorie vom psychologischen Zwang). Sowohl das Strafgesetz als auch die
Strafe selbst sollen abschrecken und ein höchstes Maß an gesellschaftlicher Konformität
bewirken. Bentham sprach sich gegen das Schuldstrafrecht aus und befürwortete relative
Strafzwecke: Die Strafe soll nicht den Ausgleich begangenen Unrechts bezwecken, sondern
allein die Verhinderung künftigen Unrechts. Ein wichtiges Anliegen Benthams war auch die
Reform des Strafvollzugs. In diesem Zusammenhang entwarf er – auf die in Russland
erprobten Einrichtungen seines Bruders Samuel Bentham zurückgreifend – den Plan einer
total überwachten Strafanstalt, das Panopticon.
Verfassungslehre
In seinem Constitutional Code von 1831 entwickelt Bentham ein auf Volkssouveränität,
allgemeinen Wahlen, weitestgehender Regierungstransparenz und der Meinungs- und
Pressefreiheit basierendes Demokratiemodell, das gemeinsam mit den Werken von James
Madison und James Mill eine der klassischen Grundlagen der heutigen liberaldemokratischen
Verfassungstheorie bildet.[7] Ausgangspunkt für seine Verfassungslehre ist der Gedanke, dass
jede Form von politischer Macht die Gefahr des Machtmissbrauchs und der politischen
Korruption birgt. Der Zweck der Verfassung besteht daher darin, die politischen Machthaber
(Minister, Parlamentarier, Richter und Verwaltungsbeamte) durch verfassungsrechtliche
Kontrollmechanismen konsequent an die Interessen der Bevölkerung zu binden. Im
Unterschied zu der an Montesquieu anlehnenden klassischen Dreiteilung unterschied
Bentham vier staatliche Gewalten: Neben der Legislative, der Exekutive und der Judikative
führte er das Volk als Konstitutive als oberste Gewalt an.[8] Die englische Wahlrechtsreform
von 1832 – der sogenannte Reform Act – wurde maßgeblich von Bentham und seinen
Mitstreitern in die Wege geleitet.
Der Freiheitsbegriff bei Bentham
Bentham wird zusammen mit Adam Smith und John Stuart Mill „zur ersten Garde der
britischen Ökonomen und Staatstheoretiker der liberalen Ära“[9] gezählt. Die liberale Haltung
Benthams beschränkte sich jedoch auf die Wirtschaftspolitik. In allen anderen Bereichen der
Gesellschaft wurde dem Staat eine zentrale Rolle zugewiesen. Weil für Bentham jeder Bürger
jede Freiheit, die man ihm lässt, ausnützt, um sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen,
müsse die individuelle Freiheit vom Staat so eng gefasst werden, dass durch sie kein Schaden
mehr entstehen könne.[10] Mehr als die individuelle Freiheit der Bürger interessierte Bentham
deren Sicherheit. Bentham ging sogar soweit, die Sicherheit mit der Freiheit
gleichzusetzen.[11] Der Mensch ist für Bentham frei, wenn er vor Übergriffen seiner Mitbürger
und Machtexzessen seiner Regierung geschützt ist und sich der Unverletzlichkeit seines
Lebens, seiner Gesundheit, seiner Ehre, seiner Verträge und seines Eigentums sicher sein
kann.
Die weitgehenden Rechte, die die Bürger in Benthams Staatslehre genießen, werden aber erst
durch einen mächtigen staatlichen Überwachungs- und Kontrollapparat ermöglicht, der die
Menschen von frühester Jugend an erzieht, schult und konditioniert, ihr Verhalten permanent
überwacht und jedes Fehlverhalten durch Sanktionen bestraft und korrigiert. Durch Benthams
Konzept der Freiheit als Sicherheit wirken sich auch die gravierendsten Eingriffe des Staates
in die persönliche Freiheit der Bürger nicht negativ auf ihre Freiheit aus. Sie bilden vielmehr
die Voraussetzung der bürgerlichen Freiheit. Bentham forderte in diesem Zusammenhang
nicht nur die Stärkung des Justizsystems und der Polizei, sondern auch die
erkennungsdienstliche Tätowierung der Bevölkerung und den systematischen Einsatz von
Spitzeln und verdeckten Ermittlern.[12]
Zitate
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„Under a government of Laws, what is the motto of a good citizen? To obey
punctually; to censure freely.“ (A Fragment on Government, S. 10).
„It is the greatest happiness of the greatest number that is the measure of right and
wrong“ (A Fragment on Government, preface, S. 393).
„Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and
pleasure. It is for them alone to point out what we ought to do, as well as to determine
what we shall do. On the one hand the standard of right and wrong, on the other the
chain of causes and effects, are fastened to their throne“ (Introduction to the Principles
of Morals and Legislation, ch. I, 1, S. 11).
„In the breast of every sensitive being, the general predominance of self-preference is
prevalent universally: for proof take the existence of the species: look, and you will
see, that upon such predominance the species is absolutely dependent for its existence“
(Economy as Applied to Office, ch. III § 1, S. 27).
„Natural rights is simple nonsense, natural and imprescriptible rights, rhetorical
nonsense, nonsense upon stilts“ (Nonsense upon Stilts, Art. 2, S. 330).
„I do really take it for an indisputable truth, and a truth that is one of the corner stones
of political science―the more strictly we are watched, the better we behave“ (Farming
Defended, S. 277).
„Morality (…) is but a means to an end. The end of morality is happiness: morality is
valuable no otherwise than as a means to that end: if happiness were better promoted
by what is called immorality, immorality would become a duty, virtue and vice would
change places“ (Nonsense Upon Stilts, Appendix C, S. 429).
„What means liberty? What can be concluded from a proposition, one of the terms of
which is so vague? What my own meaning is, I know; and I hope the reader knows it
too. Security is the political blessing I have in view: security as against malefactors on
one hand – security as against the instruments of the government, on the other“
(Rationale of Judicial Evidence, Book IX Part VI, ch. I, S. 522).
Wichtigste Werke
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A Fragment on Government (1775, publiziert 1776), in: A Comment on the
Commentaries and A Fragment on Government, hrsg. von J.H. Burns/H.L.A. Hart
(The Collected Works of Jeremy Bentham), London 1977, S. 391–551.
Constitutional Code; For the Use of All Nations and All Governments Professing
Liberal Opinions Vol. I (1822–30, publiziert 1830), hrsg. von Frederick Rosen/J.H.
Burns (The Collected Works of Jeremy Bentham), Oxford 1983.
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Defence of Usury; Shewing the Impolicy of the Present Legal Restraints on the terms
of Pecuniary Bargains, (1786–87, publiziert 1787), in: Werner Stark (Hrsg.), Jeremy
Bentham's Economic Writings, Critical Edition, based on his printed works and
unprinted manuscripts, Vol. I, London 1952, S. 121–207.
o Übersetzung: Verteidigung des Wuchers, aus dem Englischen, mit einer
Vorbemerkung und Anmerkungen von Richard Seidenkranz, Verlag Senging,
Saldenburg, 2013, ISBN 978-3-9810161-8-5.
Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1780, publiziert 1789), hrsg.
von J. H. Burns/H.L.A. Hart (The Collected Works of Jeremy Bentham), London
1970, 2. Aufl. Oxford 1996,
o deutsch auszugsweise in: Otfried Höffe, Einführung in die utilitaristische
Ethik, Beck, München 1975. ISBN 3-406-06077-3.
o Übersetzung: Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung,
aus dem Englischen von Irmgard Nash (I. - XVII. Kapitel) und Richard
Seidenkranz (übrige Teile), Verlag Senging, Saldenburg, 2013, ISBN 978-39815841-0-3.
Of Laws in General (1782), hrsg. von H.L.A. Hart (The Collected Works of Jeremy
Bentham), London 1970.
Panopticon, or, The Inspection-House (1787), in: The Panopticon Writings, hrsg. von
Miran Božovič, London/New York 1995, S. 31–95.
o Übersetzung: Das Panoptikum. Aus dem Englischen von Andreas Leopold
Hofbauer, hrsg. von Christian Welzbacher. Matthes & Seitz Berlin, Berlin
2013. ISBN 978-3-88221-613-4.
The Philosophy of Economic Science, in: Werner Stark (Hrsg.), Jeremy Bentham's
Economic Writings, Vol. I, London 1952, S. 79–120.
Principles of the Civil Code (1786), in: The Works of Jeremy Bentham, hrsg. von
John Bowring, Band I, Edinburgh 1838–43, S. 297–364, Neudruck New York 1962.
o Übersetzung: Prinzipien der Gesetzgebung. Arend, Köln 1833 (Digitalisierte
Ausgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf).
Literatur
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James E. Crimmins: Secular Utilitarianism. Social Science and the Critique of
Religion in the Thought of Jeremy Bentham. Clarendon Press, Oxford 1990, ISBN 019-827741-5.
Stephen G. Engelmann: Imagining Interest in Political Thought. Origins of Economic
Rationality. Duke University Press, Durham MD u. a. 2003, ISBN 0-8223-3135-7.
Michel Foucault: Surveiller et punir. Naissance de la prison. Gallimard, Paris 1975.
Elie Halévy: La formation du radicalisme philosophique. 3 Bände. Presses
Universitaires de France, Paris 1995,
o Band 1: La jeunesse de Bentham 1776–1789. ISBN 2-13-046998-1;
o Band 2: L'évolution de la doctrine utilitaire de 1789 à 1815. ISBN 2-13046999-X;
o Band 3: Le radicalisme philosophique. ISBN 2-13-047000-9.
Ross Harrison: Bentham. Routledge & Kegan Paul, London u. a. 1983, ISBN 0-71009526-0.
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Otfried Höffe: Zur Theorie des Glücks im klassischen Utilitarismus. In: Otfried Höffe:
Ethik und Politik. Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie (=
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Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 266). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979,
ISBN 3-518-07866-6, S. 120–159.
Wilhelm Hofmann: Politik des aufgeklärten Glücks. Jeremy Benthams philosophischpolitisches Denken (= Politische Ideen 14). Akademie-Verlag, Berlin 2002, ISBN 305-003710-5.
Olaf Hottinger: Eigeninteresse und individuelles Nutzenkalkül in der Theorie der
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Hochschulschriften 47). Metropolis-Verlag, Marburg 1998, ISBN 3-89518-203-6
(Zugleich: Heidelberg, Univ., Diss., 1998).
Paul Kelly: Utilitarianism and Distributive Justice. Jeremy Bentham and the Civil
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Georg Kramer-McInnis: Der „Gesetzgeber der Welt“. Jeremy Benthams Grundlegung
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2008, ISBN 978-3-03-751119-0 (Zugleich: Zürich, Univ. Diss., 2007).
Douglas G. Long: Bentham on Liberty. Jeremy Bentham's idea of liberty in relation to
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Steffen Luik: Die Rezeption Jeremy Benthams in der deutschen Rechtswissenschaft (=
Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 20). Böhlau, Köln u. a. 2003, ISBN 3412-09202-9 (Zugleich: Tübingen, Univ., Diss., 2001).
Frederick Rosen: Jeremy Bentham and Representative Democracy. A Study of the
Constitutional Code. Clarendon Press, Oxford 1983, ISBN 0-19-822656-X.
Philip Schofield: Utility and Democracy. The Political Thought of Jeremy Bentham.
Oxford University Press, Oxford u. a. 2006, ISBN 0-19-820856-1.
Christian Welzbacher: Der radikale Narr des Kapitals. Jeremy Bentham,
das »Panoptikum« und die »Auto-Ikone«. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2011, Cover
Der radikale Narr des Kapitals, ISBN 978-3-88221-570-0.
Weblinks
Commons: Jeremy Bentham – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Jeremy Bentham – Zitate
Wikisource: Jeremy Bentham – Quellen und Volltexte (englisch)
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Literatur von und über Jeremy Bentham im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Werke von und über Jeremy Bentham in der Deutschen Digitalen Bibliothek
The Bentham Project, University College London
Centre Bentham, französische online-platform, gibt die Revue d’études benthamiennes
heraus
Revue d’études benthamiennes, seit 2006 halbjährlich erscheinende wissenschaftliche
online-Zeitschrift, veröffentlicht vom französischen Centre Bentham (peer-reviewed)
William Sweet: Jeremy Bentham (1748-1832) in der Internet Encyclopedia of
Philosophy
Wiki: Utilitarismus
Der Utilitarismus (lat. utilitas, Nutzen, Vorteil) ist eine wertende (normative) Form der
zweckorientierten (teleologischen) Ethik, die in verschiedenen Varianten auftritt. Neben der
Ethik ist er auch in der Sozialphilosophie und den Wirtschaftswissenschaften von Bedeutung.
Grundlegend für die ethische Bewertung einer Handlung in einem utilitaristischen Rahmen ist
das Nützlichkeitsprinzip, dargestellt als Grundformel: „Diejenige Handlung bzw.
Handlungsregel (Norm) ist im sittlichen bzw. moralischen Sinne gut bzw. richtig, deren
Folgen für das Wohlergehen aller von der Handlung Betroffenen optimal sind.“ Die
hedonistische Form des Utilitarismus setzt das Wohlergehen aller gleich dem Glück einzelner
und reduziert diese Forderung auf die Maxime: „Handle so, dass das größtmögliche Maß an
Glück entsteht!“ (Prinzip des maximalen Glücks bzw. engl. maximum-happiness principle).
Doch ist der zweite Imperativsatz nicht gleichbedeutend mit dem ersten und kann somit zu
unterschiedlichen Konsequenzen führen, denn kein Glück zu haben muss kein Unglück sein.
Insofern das allgemeine Glück als Aggregation des Glücks der einzelnen Individuen
aufgefasst wird, ist der Utilitarismus eine eudaimonistische Ethik. Da mögliche Folgen und
reale Wirkungen in der Beurteilung von Handlungen eine zentrale Stelle einnehmen, ist der
Utilitarismus auch eine konsequentialistische Ethik. Ferner handelt es sich um eine
altruistische und universalistische Moraltheorie, denn der Utilitarismus propagiert eine
Vergrößerung des Gemeinwohls.
Der utilitaristische Ansatz wurde vor allem durch Jeremy Bentham (1748–1832) und John
Stuart Mill (1806–1873) systematisch entwickelt und auf konkrete Fragen angewandt.
Bentham erläutert den zentralen Begriff des Nutzens im ersten Kapitel seiner „Introduction to
the Principles of Morals and Legislation“ (zuerst erschienen 1789, dem Jahr der
Französischen Revolution) folgendermaßen:
„Mit dem Prinzip des Nutzens ist jenes Prinzip gemeint, das jede beliebige Handlung gutheißt oder
missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Glück derjenigen Gruppe zu vermehren oder zu
vermindern, um deren Interessen es geht […] Mit ‚Nutzen‘ ist diejenige Eigenschaft an einem Objekt
gemeint, wodurch es dazu neigt, Wohlergehen, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück zu schaffen.“
„Nutzen“ (benefit) ist also nicht mit „Nützlichkeit“ (utility) gleichzusetzen. Moderne
utilitaristische Theorien operieren außerdem mit dem Begriff der Präferenz.
Inhaltsverzeichnis
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1 Geschichte der utilitaristischen Theorie
o 1.1 Vorgängerformen
o 1.2 Klassische Periode
o 1.3 Spätere Formen
2 Theoretische Inhalte
o 2.1 Grundprinzipien und Teilmaßstäbe
o 2.2 Formen und Richtungen
2.2.1 Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus
2.2.2 Arten des Nutzens
2.2.3 Negativer Utilitarismus
2.2.4 Andere Spezies
2.2.5 Auseinandersetzung mit anderen Ethiken
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3 Utilitaristisches Nutzenkalkül
o 3.1 Interpersoneller Nutzenvergleich
4 Kritik am Utilitarismus
o 4.1 Missverständlicher Gebrauch des Wortes „Nutzen“
o 4.2 Utilitarismus und allgemeines Moralverständnis
o 4.3 Menschenwürde
o 4.4 Fragen der Begründung
o 4.5 Inkohärenz zum psychologischen Egoismus
o 4.6 Kritik des Wertmonismus
o 4.7 Kritik an der normativen Bewertung von Folgen
5 Utilitarismus in der Praxis
o 5.1 Utilitarismus in der Kunst
6 Literatur
7 Weblinks
o 7.1 Deutsch
o 7.2 Englisch
o 7.3 Französisch
8 Einzelnachweise
Geschichte der utilitaristischen Theorie
Vorgängerformen
Eine erste Form des Utilitarismus findet sich bei dem chinesischen Philosophen Mozi (479–
381 v. Chr.). Er begründete die Schule des Mohismus im alten China und vertrat eine
utilitaristische Ethik, ungefähr 2200 Jahre bevor eine solche als begründbares Prinzip in
Europa formuliert wurde. Auch der antike Hedonismus, der auf die von Aristippos von
Kyrene begründete Philosophenschule der Kyrenaiker zurückgeht, kann im weitesten Sinne
als Vorgänger des klassischen Utilitarismus gedeutet werden.
Die Anfänge utilitaristischen Denkens im neuzeitlichen Europa finden sich bei Thomas
Hobbes (Leviathan), dessen grundlegende ethische Aussage darin besteht, dass „richtiges“
Verhalten dasjenige ist, das unser eigenes Wohlergehen fördert. Weiter: Die Berechtigung des
gesellschaftlichen Moralkodex hängt davon ab, ob er das Wohlbefinden derjenigen
begünstigt, die ihn befolgen. Bei Francis Hutcheson war das Kriterium für moralisch gutes
Handeln, ob dadurch die Wohlfahrt der Menschheit gefördert wird. Dessen Nachfolger David
Hume kam zu dem Schluss, dass Tugend und persönliches Verdienst in denjenigen unserer
Eigenschaften ruhen, die für uns – und für andere – nützlich (useful) sind.
Klassische Periode
Jeremy Bentham vertrat als erster in Europa eine utilitarische Ethik in Form eines
ausgearbeiteten Systems. In seinem Werk An introduction to the Principles of Morals and
Legislation brachte Bentham zum Ausdruck, dass es für ihn nur zwei anthropologische
Grundkonstanten gebe: Das Streben nach Lust (pleasure)[1] und das Vermeiden von Schmerz
(pain). Leid und Freude bestimmten, so Bentham, über die ethischen Handlungskriterien des
Menschen und die Kausalität unseres Handelns. Es sei die Natur, die den Menschen in Leid
und Freude den Weg weise. Bentham sah in Leid und Freude die entscheidenden Motive
menschlichen Handelns, und vertrat damit einen psychologischen Hedonismus:
„Die Natur hat die Menschheit unter die Herrschaft zweier souveräner Gebieter – Leid und
Freude – gestellt. Es ist an ihnen allein aufzuzeigen, was wir tun sollen, wie auch zu
bestimmen, was wir tun werden. Sowohl der Maßstab für Richtig und Falsch als auch die
Kette der Ursachen und Wirkungen sind an ihrem Thron festgemacht. Sie beherrschen uns in
allem, was wir tun, was wir sagen, was wir denken.“[2]
Ein Mensch strebe, so Bentham, immer ein Objekt an, von dem er erwarte, dass es Freude
bereite. Davon ausgehend formulierte Bentham das Prinzip des Nutzens, das besagt, dass all
das gut ist, was „das größte Glück der größten Zahl“ hervorbringt. Bentham erkannte später,
dass die gleichzeitige Maximierung zweier Größen keine eindeutige Lösung ermöglicht,
weswegen er später nur noch vom „Prinzip des größten Glücks“ (Maximum-HappinessPrinciple) sprach. Benthams Arbeiten konzentrierten sich auf die Anwendung dieses Prinzips
auf die Gestaltung der sozialen Ordnung. In seinen Schriften entwickelt er weniger eine
Individualethik als vielmehr eine rationale Gesetzgebungslehre. Für Bentham war die
Quantität des Glücks allein entscheidend, was er durch die drastische Formulierung „Pushpin
ist von gleichem Wert […] wie Dichtung“ („Prejudice apart, the game of push-pin is of equal
value with the arts and sciences of music and poetry.“[3]) ausdrückte. Dagegen vertrat John
Stuart Mill (1806–1873) in seinem Buch „Utilitarismus“ von 1863 die These, dass kulturelle,
intellektuelle und spirituelle Befriedigung auch einen qualitativen Wert besitze, im Vergleich
zu körperlicher Befriedigung. Ein Mensch, der beides erfahren habe, ziehe die geistige
Befriedigung der körperlichen vor. Dies konstatiert Mill in seinem berühmten Ausspruch:
„Es ist besser, ein unzufriedener Mensch als ein zufriedengestelltes Schwein zu sein; besser
ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.“[4]
Die kalkülmäßige Abbildung qualitativ vorzuziehender Betätigungen bleibt allerdings unklar.
Außerdem scheint Mills Unterscheidung eher konventionell zu sein, und auf einem
bestimmten Begriff damaliger Hochkultur zu basieren.
Auch in der Schrift „Über die Freiheit“ setzte John Stuart Mill andere Akzente als der Freund
und Lehrer seines Vaters Bentham. Während in einem reinen Nutzenkalkül Freiheit keinen
Wert an sich darstellen kann, misst Mill hier Freiheit und insbesondere der Meinungsfreiheit
einen grundlegenden Wert bei. Um die Wahrheit zu erkennen, müssen alle relevanten
Argumente geprüft werden. Dies ist jedoch unmöglich, wenn Meinungen und Argumente
politisch unterdrückt werden. Die richtige Bestimmung des größten Glücks setzt also die
Freiheit der Meinungsäußerung (Pressefreiheit, Freiheit der Wissenschaft etc.) voraus.
Diese freiheitliche Version des Utilitarismus findet sich auch in der politischen Philosophie
Bertrand Russells (1872–1970) wieder.
Spätere Formen
Der klassische Utilitarismus von Bentham und Mill beeinflusste viele andere Philosophen und
führte zur Entwicklung eines breiteren Konzepts des Konsequentialismus. Der hedonistische
Utilitarismus von Bentham und Mill wird, obwohl am bekanntesten, heute nur noch von einer
Minderheit vertreten. Weiterführende und gegenüber Kritik verbesserte Varianten des
Utilitarismus wurden unter anderem entwickelt von William Godwin (1756–1836), einem
Zeitgenossen Benthams mit anarchistischen Tendenzen, und Henry Sidgwick (1838–1900). In
neuerer Zeit sind zu nennen vor allem Richard Mervyn Hare (1919–2002), Richard Brandt
(1910–1997), der den Begriff „Regelutilitarismus“ prägte, John Jamieson Carswell Smart und
Peter Singer, der als Vertreter des Präferenzutilitarismus gilt. Ludwig von Mises
argumentierte mit utilitaristischen Argumenten für Liberalismus. Umgekehrt vertraten einige
Philosophen auf utilitaristischer Basis einen ethischen Sozialismus.
Wie die Beispiele zeigen, ist der Utilitarismus hauptsächlich im englischsprachigen Raum
verbreitet. Als einer der wenigen deutschen Vertreter ist der Düsseldorfer Philosoph Dieter
Birnbacher zu nennen, der auch als Übersetzer John Stuart Mills hervorgetreten ist.
Theoretische Inhalte
Grundprinzipien und Teilmaßstäbe
Obwohl der Utilitarismus schon längst nicht mehr eine geschlossene Moraltheorie ist vielmehr haben sich seit seiner Begründung im 18. Jh. in seinem Inneren mehrere
Teilströmungen herausgebildet -, so existieren doch einige Gemeinsamkeiten in den
inhaltlichen Grundprinzipien, die den Kern des Utilitarismus ausmachen. Dazu gehören die
vier Teilmaßstäbe, die als Beurteilungskriterium in moralischer Hinsicht guter Handlungen
dienen. Als utilitaristisch aufgefasste Ethiken haben im Allgemeinen folgende
Grundmerkmale oder -prinzipien gemeinsam:
•
Konsequentialismus: Im Utilitarismus als teleologische Ethik ergibt sich die Richtigkeit einer Handlung
grundsätzlich nicht aus ihr selbst oder ihren Eigenschaften, sondern aus ihren Folgen. Um eine
Handlung moralisch zu bewerten, muss man die Konsequenzen der Handlung ermitteln und diese unter
dem Gesichtspunkt des allgemeinen Glücks bzw. Wohlergehens bewerten. Andere Fragen, etwa ob eine
Handlung aus gutem Willen erfolgt oder nicht, sind hierbei von untergeordnetem oder gar keinem
Interesse. Das Konsequenzprinzip impliziert gleichzeitig eine empiristische Vorgehensweise. Indem die
Folgen einer Handlung ausschließlich von empirisch arbeitenden Wissenschaften ermittelt werden
können, entspricht der Utilitarismus zugleich auch dem Ideal der Wissenschaftlichkeit.
•
Utilität: Maßstab zur Beurteilung der Folgen ist die Utilität, der Nutzen einer Handlung. Hierbei kommt
es nicht auf den Nutzen für beliebige Ziele, Zwecke oder Werte an - der Utilitarismus ist keineswegs
wertenihilistisch -, sondern vielmehr auf den Nutzen für das schlechthin Gute. In engem
Zusammenhang mit dem Utilitätsprinzip steht daher der Wertmonismus: Der Utilitarismus basiert auf
der Voraussetzung, dass sich alle moralisch interessanten Werte auf einen Wert, den Nutzen bzw. das
Glück, reduzieren bzw. umrechnen lassen.[5]
•
Hedonismus und Eudämonismus: Das einzige Gut des Utilitarismus ist das Glück bzw. Wohlergehen,
weswegen der Utilitarismus eudämonistisch ist. Dabei bestehen unterschiedliche Meinungen darüber,
was genau unter Glück zu verstehen sei. Folgt man jedoch Jeremy Bentham und John Stuart Mill, so
besteht das Glück in der maximalen Interessen - und Bedürfnisbefriedigung, oder, was auf dasselbe
hinausläuft, in der minimalen Frustration. Das rechte Handeln ist im Utilitarismus folglich alles, was
das Glück in der Welt maximiert. John Rawls bezeichnete den Utilitarismus daher als teleologische
Ethik. Hierbei bestehen verschiedene Ansätze. Einige Utilitaristen präferieren die Maximierung des
Gesamtnutzens oder Gesamtglücks, während andere als Ziel ein hohes Durchschnittsglück ansehen. Bei
der Beurteilung, inwiefern eine Handlung Leid oder Glück nach sich zieht, werden die Auswirkungen
auf die einzelnen Individuen aggregiert, das heißt, es wird gleichsam alles entstehende Einzelglück
addiert, und davon das entstehende Einzelleid abgezogen, um den Gesamtnutzen einer Handlung zu
berechnen. Daran, dass sich mithilfe eines solchen Hedonistischen Kalküls die Glücksbilanz einer
Handlung berechnen ließe, glaubte insbesondere Bentham.
•
Universalismus, Sozialprinzip und Altruismus: Utilitarismus ist universalistisch, da das Glück und Leid
jedes Individuums in dessen Überlegungen das gleiche Gewicht besitzt. Es kommt nicht nur auf das
Glück der handelnden Person allein an, auch nicht auf das Glück einer Gruppe, Gesellschaft oder
Kultur, sondern auf das Glück aller von einer Handlung Betroffenen. Damit ist der Utilitarismus keine
egoistische, sondern vielmehr eine altruistische Ethik: Das kollektive Wohl ist dem Individualwohl
übergeordnet. Kontroversen existieren, inwiefern nichtmenschliche Spezies in die Ethik miteinbezogen
werden sollen. Der Universalismus widerspricht intuitiven Urteilen, nach denen beispielsweise das
Leben nahestehender Personen wichtiger als das Leben Fremder ist. Utilitarismus ist auch insofern
universalistisch, als seine Ethik für alle Individuen gleichermaßen gilt (agent-neutral). Hypothetisch,
allerdings nicht unbedingt praktisch, gibt es hier keine Vorstellungen bestimmter Verantwortlichkeiten.
Im universalistischen Prinzip klingt auch eine gewisse Sozialpragmatik an, zumal auch der Gedanke der
Nachhaltigkeit hier verwurzelt ist: Bei einer Handlung sollte nicht nur das Wohl der lebenden, sondern
auch der zukünftigen Generation berücksichtigt werden.
Die vier grundlegenden Teilmaßstäbe des Utilitarismus (Konsequenzen - bzw. Folgenprinzip,
Utilitäts- bzw. Nutzenprinzip, Lust- bzw. Hedonistisches Prinzip, Universalistisches bzw.
Sozial - Prinzip) lassen sich in der Maxime, der utilitaristischen Grundformel,
zusammenfassen, aus der sich der Beurteilungsmaßstab für die Richtigkeit von Handlungen
ergibt: Diejenige Handlung bzw. Handlungsregel (Norm) ist im sittlichen bzw. moralischen
Sinne gut bzw. richtig, deren Folgen für das Wohlergehen aller von der Handlung Betroffenen
optimal sind.
Formen und Richtungen
Utilitaristische Theoretiker haben sich von den Entwürfen von Bentham und Mill entfernt, die
heute als klassisch angesehen werden. Indem sie an den zahlreichen Grundannahmen des
klassischen Utilitarismus Variationen vornahmen, sind zahlreiche verschiedene Richtungen
entstanden. Um sich von den teils berechtigt, teils polemisch kritisierten Grundformen zu
distanzieren, bezeichnen sich einige heute als Konsequentialisten.
Der Utilitarismus tritt in verschiedenen Formen auf:
•
•
Neoutilitaristen betonen, dass Nutzen nicht dasselbe wie Eigennutz oder Egoismus sei; so könne
beispielsweise die Adoption eines Kindes von subjektivem Nutzen sein. Hier spalten sich jedoch die
Neoutilitaristen: Die einen haben einen empirischen Begriff, nehmen also an, dass der Mensch
grundsätzlich nach Nutzenmaximierung sucht, Unlust vermeiden und Lust gewinnen will. Die
Ergebnisse von Versuchen an Tieren werden hier auf Menschen übertragen. Die anderen, etwa Mancur
Olson, haben einen analytischen Begriff der Nutzenmaximierung, wonach der Nutzen zuerst offen
bleibt, um dann analytisch zu untersuchen, welche Handlungsoptionen bei gegebenen Nutzen zu
welchem Ergebnis führen. An Einfluss und im Hinblick auf die Erklärung sozialer Phänomene sind sie
den empirischen Utilitaristen voraus.
Die utilitaristische Ethik versucht die Entstehung und Geltung moralischer Normen und
gesellschaftlicher Institutionen auf den Nutzen zurückzuführen, den sie für die Gesellschaft haben. Als
eine normative Theorie setzt sie das Prinzip des Nutzens als ein moralisches Kriterium, an dem die
Richtigkeit und Falschheit von Handlungen sowie Recht und Unrecht gesellschaftlicher Normen und
Institutionen gemessen werden. Die utilitaristische Ethik fragt immer nach dem größten Glück aller
Betroffenen.
Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus
Eine verbreitete[6] Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen des Utilitarismus ist die
zwischen Akt- oder Handlungsutilitarismus einerseits, und Regelutilitarismus andererseits.
Beim Handlungsutilitarismus (englisch act-utilitarianism) wird das utilitaristische „Prinzip
des größten Nutzens“ auf die einzelne Handlung bezogen. Dazu werden für die zur Auswahl
stehenden Handlungsalternativen die jeweiligen Konsequenzen ermittelt und – unter
Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens – bewertet.
Im Unterschied dazu bezieht der Regelutilitarismus das utilitaristische Kriterium auf
Handlungsregeln wie beispielsweise „Versprechen soll man halten“. Dazu wird ein
zweistufiges Verfahren angestrengt. In einem ersten Schritt wird gefragt, welche
Konsequenzen die Befolgung der zur Auswahl stehenden Handlungsregeln jeweils hätte und
wie diese Konsequenzen zu bewerten sind. Zu wählen ist dann diejenige Regel, die den
größten allgemeinen Nutzen mit sich bringt. In einem zweiten Schritt werden dann die
einzelnen Handlungen aufgrund der beschlossenen Regeln bewertet; eine Anwendung des
utilitaristischen Prinzips auf jede einzelne Handlung findet jedoch nicht statt.
Arten des Nutzens
Man kann utilitaristische Richtungen danach differenzieren, welche Vorstellung von Nutzen
und Glück ihnen zugrunde liegt. Der klassische Utilitarismus von Bentham und Mill wird als
hedonistisch betrachtet, da hier das Gute als das von den Menschen angestrebte Glück
definiert ist.
Im Unterschied dazu ist für den Präferenzutilitarismus das Gute die Erfüllung der Präferenzen
von Personen. Dies sei zu maximieren. In dieser Hinsicht können die Konsequenzen auch
andere Dinge als pure Lustbefriedigung, wie beispielsweise den Ruf oder Bildung, enthalten.
Er wird heute vor allem von Peter Singer bevorzugt, welcher von Richard Mervyn Hare
beeinflusst wurde.
Inzwischen gibt es verschiedene Versuche, den Utilitarismus unabhängig von der These des
psychologischen Hedonismus zu begründen. Ein Beispiel ist die Ethik von Richard Mervyn
Hare, der einen Utilitarismus auf sprachanalytischer Grundlage entwirft. Das hedonistische
Element lässt sich ohne größere Probleme aus dem Utilitarismus herauslösen und durch einen
entscheidungstheoretischen Nutzenbegriff ersetzen. Bereits bei Bentham und Mill deutet sich
eine breitere, nicht-hedonistische Interpretation des Nutzenbegriffs an, wenn statt der Begriffe
„Glück“ (happiness) oder „Lust“ (pleasure) andere, nicht-hedonistische Begriffe Verwendung
finden, wie „Vorteil“ (advantage), „Gewinn“ (benefit) oder „Gutes“ (good).
Negativer Utilitarismus
Die meisten Utilitaristen beschäftigen sich mit der Maximierung der Menge an Glück für die
Individuen. Negativer Utilitarismus legt umgekehrt den Fokus darauf, das Leid der Individuen
zu minimieren. Glück wird kein Wert beigemessen, oder es wird zumindest ein Vorrang der
Leidensminimierung vor der Glücksmaximierung gesehen. In der praktischen Umsetzung
dieser Idee kann man folgende Varianten unterscheiden:
1. Einige Philosophen argumentieren, dass das Ziel des negativen Utilitarismus die schnellste
und schmerzloseste Auslöschung des gesamten empfindungsfähigen Seins wäre, da dies
ultimativ das Leid minimieren würde.[7]
2. Der negative Präferenz-Utilitarismus vermeidet das Problem des Tötens aus moralischen
Gründen, aber erfordert immer noch eine Rechtfertigung für die Schaffung neuen Lebens.[8]
3. Schließlich gibt es Theoretiker, welche den negativen Utilitarismus als eine Variante des
klassischen Utilitarismus betrachten, welche der Vermeidung von Leiden mehr Gewicht
einräumt als der Förderung von Glück.[9] Das moralische Gewicht der Leidensminderung
kann erhöht werden durch eine entsprechende Metrik, so dass die gleiche Wirkung erzielt
wird wie im Prioritarianismus.[10]
Optimistische und gewaltlose Anhänger des negativen Utilitarismus findet man im Umfeld
des
bioethischen
Abolitionismus
und
des
Paradise
Engineerings[11].
Pessimistische Anhänger des negativen Utilitarismus gibt es im Umfeld des Buddhismus.[12]
Andere Spezies
Da die Grundlage des Utilitarismus letztlich die Empfindungsfähigkeit ist, haben schon von
Anfang an viele Utilitaristen nichtmenschliche Lebewesen in die moralische
Berücksichtigung mit eingeschlossen. Jeremy Bentham schrieb in The Principles of Morals
and Legislation die folgenden in der Tierrechtsliteratur viel zitierten Worte:
„Der Tag mag kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte erwerben wird, die ihm
nur von der Hand der Tyrannei vorenthalten werden konnten. Die Franzosen haben bereits entdeckt,
dass die Schwärze der Haut kein Grund ist, ein menschliches Wesen hilflos der Laune eines Peinigers
auszuliefern. Vielleicht wird eines Tages erkannt werden, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der
Haut oder die Endung des Kreuzbeins ebenso wenig Gründe dafür sind, ein empfindendes Wesen
diesem Schicksal zu überlassen. Was sonst sollte die unüberschreitbare Linie ausmachen? Ist es die
Fähigkeit des Verstandes oder vielleicht die Fähigkeit der Rede? Ein voll ausgewachsenes Pferd aber
oder ein Hund ist unvergleichlich verständiger und mitteilsamer als ein einen Tag oder eine Woche alter
Säugling oder sogar als ein Säugling von einem Monat. Doch selbst wenn es anders wäre, was würde
das ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie verständig denken? oder: können sie sprechen?
sondern: können sie leiden?“
Gegenwärtig beschäftigt sich der bekannte (Präferenz-)Utilitarist Peter Singer ausgiebig mit
diesem Themengebiet. Er gilt auch als Vater der modernen Tierbefreiungsbewegung.
Auseinandersetzung mit anderen Ethiken
Neben der Ablehnung einiger ethischer Systeme haben Utilitaristen auch versucht, ihre Ethik
explizit mit anderen zu verbinden.
Um die aufgedeckten Mängel an beiden Systemen zu überwinden, wurde versucht, den
Utilitarismus mit Kants Kategorischem Imperativ zu verbinden. Beispielsweise stellt James
Cornman die normative These auf, dass in jeder gegebenen Situation so wenige Individuen
wie möglich als Mittel gebraucht und so viele Individuen wie möglich als Zweck behandelt
werden sollten, die er als „utilitaristisches Kantsches Prinzip“ bezeichnet.
Andere Konsequentialisten betrachten Glück als ein wichtiges Gut, räumen aber auch anderen
Gütern wie Gerechtigkeit oder Gleichheit einen gewissen Wert ein, was den Utilitarismus
kompatibler mit allgemeinen Moralvorstellungen macht.
Die Ethik John Rawls unterscheidet sich bezüglich des Utilitarismusses darin, dass in Rawls
Ethik das Glück der unglücklichsten Person maximiert werden sollte, während im
Utilitarismus das durchschnittliche Glück maximiert werden soll. Oder anders ausgedrückt: In
Rawls Ethik wird das maximale Leid minimiert, während im Utilitarismus das
durchschnittliche Leid minimiert wird.
Utilitaristisches Nutzenkalkül
Ein Grundprinzip des Utilitarismus ist unter dem Namen Nutzenkalkül – bei Bentham auch als
Hedonistischer Kalkulus – bekannt. Es ist sehr charakteristisch für utilitaristische
Überlegungen und Werturteile und ist auch Hauptanstoßpunkt vieler Kritik und intuitiver
Abneigung.
Wenn ein Individuum vor mehreren Handlungsalternativen stehe, so solle es gemäß dem
Utilitarismus die Handlung wählen, welche in ihrer Konsequenz aller Wahrscheinlichkeit
nach das größtmögliche Glück trägt. Dazu habe er alle Einzelkonsequenzen und ihre
Auswirkungen auf das Glück und Leid der Einzelnen in Betracht zu ziehen. Letztlich müsse
man alles durch das mögliche Praktizieren einer Handlungsalternative entstehende Glück und
Leid bei den Einzelnen zu einer Gesamtsumme errechnen, wodurch man erkennen könne,
inwiefern eine Handlung allgemein das Glück mehrt oder Leid erzeugt.
Als Kriterien bei der Kalkulation des Gesamtnutzens einer Handlung führt Bentham
ursprünglich unter anderem die Dauer, Intensität und Wahrscheinlichkeit eines Glücks oder
Leids auf.
Bentham umschrieb als erster solch ein Verfahren. Obgleich eine detailliertere und konkretere
Ausarbeitung nicht existiert, wird das Nutzenkalkül als prinzipiell brauchbare Leitlinie von
Utilitaristen anerkannt.
Man kann das utilitaristische Nutzenkalkül am besten verstehen, wenn man es mit dem Klugen
Entscheidungsverhalten eines Einzelnen vergleicht.
Angenommen, ein Student steht vor der Entscheidung zwischen den Alternativen „Wie bisher
weiter studieren“, „Das Studienfach wechseln“ und „Das Studium ganz aufgeben“. Wenn er
die beste dieser drei Alternativen herausfinden will, dann überlegt er, welche Folgen mit den
zur Wahl stehenden Handlungsalternativen jeweils verbunden sind und welche Vor- und
Nachteile dies für ihn selbst mit sich bringt.
Die nötigen Überlegungen kann er dadurch übersichtlich gestalten, dass er die Konsequenzen
unter bestimmten Gesichtspunkten zusammenfasst wie beispielsweise „finanzielle
Auswirkungen“, „Auswirkungen auf die persönlichen Beziehungen“, „Auswirkungen auf die
Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Abschlussprüfung“ etc. Diese Gesichtspunkte kann er
entsprechend ihrer unterschiedlichen Bedeutung für sich gewichten.
Dabei wird er klugerweise nicht nur berücksichtigen, ob eine Konsequenz für ihn eher
vorteilhaft oder eher nachteilig ist, sondern er wird auch versuchen, die vergleichsweise
Größe der Vor- und Nachteile abzuschätzen und in die Entscheidung einzubringen.
Zu einer Entscheidung gelangt er, indem er die Vor- und Nachteile, die mit den Alternativen
verbunden sind, gegeneinander abwägt und zu einem einzigen Wert zusammenfasst. Dann
wählt er diejenige Alternative, die für ihn den größten positiven Wert aufweist.
Das, was hier als „Vorteil“ oder „Nachteil“ bezeichnet wird, wird von
Entscheidungstheoretikern als „Nutzen“ (englisch „utility“) bezeichnet. Dieser Begriff ist
nicht gerade glücklich gewählt, eher wäre der Begriff „Wert“ hier angemessen. Aber der
Begriff „Wert“ (englisch „value“) war in der ökonomischen Theorie bereits für die
Bezeichnung des durchschnittlichen Preises eines Gutes vergeben.
„Nutzen“ in dem dargestellten Sinne ist nun kein psychologisches Objekt, das man empirisch
messen könnte, wie die Utilitaristen des 18. und 19. Jahrhunderts noch meinten. Es handelt
sich lediglich um eine Terminologie, mit der man – beispielsweise durch eine
Nutzenfunktion – sehr differenziert und präzise beschreiben kann, was ein Subjekt will.
Der Unterschied zwischen der eben skizzierten rationalen (Nutzen maximierenden)
Entscheidung eines einzelnen Subjekts und der utilitaristischen Kalkulation des größten
Nutzens besteht allein darin, dass nicht nur die Vor- und Nachteile des einen Subjektes
berücksichtigt werden müssen, sondern die Vor- und Nachteile aller Subjekte, die durch die
Entscheidung betroffen werden. Das utilitaristische Nutzenkalkül ist also gewissermaßen die
Bestimmung der für die Gesamtheit besten Alternative unter der Bedingung, dass den
Wertungen aller Individuen gleiches Gewicht zukommt.
Interpersoneller Nutzenvergleich
Zur Durchführung des utilitaristischen Nutzenkalküls ist es in den allermeisten Fällen
erforderlich, das Glück bzw. den Vorteil der einen Person gegen das Leid bzw. den Nachteil
einer anderen Person abzuwägen. Die Nutzengrößen der einzelnen Personen müssen dazu
interpersonal vergleichbar gemessen oder zumindest geschätzt werden. Ob und wie dies
möglich ist, bleibt umstritten.
Die frühen Utilitaristen waren der Ansicht, dass das Glück der Individuen eine psychische
Größe sei, die man empirisch messen könne. Benthams Bemühungen gingen in Richtung
einer derartigen „moral science“. Dieser Weg erwies sich aber empirisch nicht als gangbar, da
kein „wissenschaftsförmiger“ Maßstab für den interpersonalen Glücksvergleich gefunden
werden konnte. In den Wirtschaftswissenschaften wurde die Idee der interpersonalen
Nutzenmessung in der Folge fallen gelassen. Die Wirtschaftstheorie kam auch mit rein
subjektiven Präferenzordnungen aus, das heißt mit der Beobachtung von freiwilligen
Tauschbeziehungen zwischen Güterbündeln. Übrig blieb die Wohlfahrtsökonomie (englisch
welfare economics), die sich jedoch nicht an einem psychologisch verstandenen
„Wohlfühlen“ orientiert, sondern an (Tausch-) Kriterien. Zentral ist hier die ParetoOptimalität. Dieses Kriterium klammert intersubjektive Vergleiche von Vor- und Nachteilen
aus.
Kritiker verweisen darauf, dass das Glück verschiedener Individuen inkommensurabel sei,
und dass daher das Nutzenkalkül nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch unmöglich sei.
Dem wird entgegengehalten, dass im Alltag bei Entscheidungen ständig die Vor- und
Nachteile für verschiedene Personen größenmäßig miteinander verglichen werden. Begriffe
wie Rücksichtnahme, Opfer, Zumutbarkeit oder Benachteiligung erfordern den Bezug auf das
vergleichbare Wohlergehen verschiedener Personen.
Triage scheint ein Beispiel für eine reale (Not-) Situation zu sein, wo der Utilitarismus
konsequent angewendet wird.
Dem Argument, das Nutzenkalkül sei rein praktisch nicht durchführbar, wird
entgegengehalten, dass man beispielsweise die vergleichbare Größe der Summe der
Individualnutzen einer Theatervorstellung für verschiedene Personen abschätzen könne,
indem man prüft, wie viel Zeit, Geld oder Arbeit der Einzelne für den Theaterbesuch zu
opfern bereit ist. Damit können Aussagen über den Nutzen der Weiterentwicklung der Kultur
durch diese Vorstellung, über Alternativkosten für entfallene Nutzen durch andere Aktivitäten
der Besucher usw. gemacht werden.
Außerdem könne man fremdes Leid und fremdes Glück grundsätzlich dadurch ermessen, dass
man sich gedanklich in die Lage des anderen Individuums hineinversetzt. Diesem Prozess
werden freilich dadurch erhebliche Schranken auferlegt, dass niemand erahnen kann, welche
kognitiven Prozesse das andere Individuum zur Verfügung hat und wie die Struktur und
mittelfristige zeitliche Entwicklung seiner Leidens- und Glücksstruktur verläuft. Jede
Exploration bedeute ja bereits Beeinflussung.
Kritik am Utilitarismus
Seit seiner Formulierung durch Bentham und Mill war der Utilitarismus zahlreichen
Kritikpunkten ausgesetzt. So wehrte Mill sich schon in „Utilitarianism“ gegen den Vorwurf,
der Utilitarismus sei eine Doktrin „only worthy of a swine“ („nur eines Schweines würdig“),
da sie auf einem Lustbegriff basiere.
Missverständlicher Gebrauch des Wortes „Nutzen“
Bereits John Stuart Mill sah ein, dass der Ausdruck „Utilitarismus“ und seine Ableitung von
dem englischen Begriff „utility“ leicht den Eindruck erwecken könnte, der Utilitarismus sei
an sich kaltherzig und materialistisch. Um derartige Missverständnisse zu vermeiden, wird
heute zumeist von „Glück“ oder „individuellem Wohl“ gesprochen.
Utilitarismus und allgemeines Moralverständnis
Vom Standpunkt des Utilitarismus ist Glück das höchste und alleinige Gut. Andere ethische
Güter wie beispielsweise Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit oder Tugendhaftigkeit und
intuitive Moralvorstellungen haben aus utilitaristischer Sicht keinen Wert an sich. Dadurch
kann es jedoch zu Situationen kommen, in welcher eine utilitaristische Ethik zu einer
Handlung rät, welche andere Ethiken als absolut unmoralisch bewerten würden. Die meisten
Zurückweisungen des Utilitarismus fußen auf diesem Konflikt. Beispielsweise könnte man für
die Folterung oder Tötung eines Individuums argumentieren, wenn sich dadurch Leben retten
ließen.
Utilitaristen reagieren unterschiedlich auf solche Vorwürfe. Einige vertreten, dass in solchen
Situationen nur die Glücksmaximierung zähle, und andere moralische Urteile abzulehnen
seien. Andere verweisen darauf, dass in einer gedachten Dilemmasituation der Utilitarismus
nur oberflächlich zu einer falsch erscheinenden Entscheidung raten würde, während sich bei
dem Bedenken aller direkten und indirekten Konsequenzen ein anderes Bild ergeben würde.
So müsse man hierbei auch langfristige Konsequenzen, etwa der Verlust des Vertrauens in
staatliche Grundrechte, bedenken. Utilitaristen wie Smart betonen hierbei, dass viele intuitive
oder tradierte Moralvorstellungen in der Tat utilitaristisch brauchbar seien, da ihre Befolgung
im Allgemeinen und auf lange Sicht zu einer Nutzenmaximierung führt. Smart verwendete
dabei den Begriff „Faustregel“.
Menschenwürde
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Utilitarismus die Würde des Menschen zwar anerkennt,
seine Grundsätze jedoch in der Praxis der Menschenwürde widersprechen können. Anhand
eines Beispiels lässt sich dies erklären: Angenommen, eine Verkäuferin lässt eine alte,
sehbehinderte Frau sehr lange nach Kleingeld suchen, während sich hinter ihr eine lange
Schlange bildet. Nach dem Utilitarismus, der ja das Allgemeinwohl als höchstes Ziel vorsieht,
sollte die Verkäuferin der alten Frau einen Rabatt in Höhe der schwer zu findenden Münzen
gewähren, denn dann könnte sie die anderen Kunden schneller bedienen. Dann könnte aber
jeder das Verhalten der alten Frau nachahmen und sich so einen ungerechtfertigten Vorteil
verschaffen. Die Schlussfolgerung, dass die Kassiererin die alte Frau ans Ende der Schlange
verweisen sollte, verdeutlicht, dass die Grundsätze des Utilitarismus leicht Kritik hervorrufen
können.[14]
Allerdings kann man bei einer utilitaristischen Betrachtung des obigen Beispiels auch zu
einem anderen Ergebnis kommen. Das Allgemeinwohl setzt sich aus dem Wohl aller
Einzelnen zusammen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Interesse einer einzelnen Person in
bestimmten Fällen nicht schwerer wiegen kann als die entgegenstehenden Interessen mehrerer
anderer Personen.
So wird – ganz im Einklang mit utilitaristischen Argumenten – dem Notarztwagen im
Interesse einer einzigen lebensgefährlich verletzten Person ein Vorrecht eingeräumt, obwohl
Hunderte von Autofahrern deshalb anhalten müssen und Zeit verlieren.
Dies gilt auch für das Beispiel mit der sehbehinderten Frau: Das Interesse einer Behinderten
an einer selbstständigen Lebensführung kann vergleichsweise schwerer wiegen als das
Interesse mehrerer Supermarktkunden an einer zügigen Abfertigung.
Fragen der Begründung
Am Utilitarismus wird kritisiert, dass er durch seine Logik und Wissenschaft noch kein
richtiges ethisches System beweist.
Die These, dass Individuen verpflichtet sind, das größte Glück der größten Zahl, bzw. die
bestmögliche Welt anzustreben, wird von Utilitaristen willkürlich postuliert. Rein logisch
betrachtet gibt es keinen Grund, warum man nicht auch das größte Unglück der größten Zahl
oder die schlechtestmögliche Welt anstreben sollte.
Frühe Utilitaristen leiteten die Maximum-Happiness-Maxime aus einem psychologischen
Hedonismus ab. Aber selbst wenn man die These des psychologischen Hedonismus als richtig
annimmt, so folgt daraus keineswegs, dass Glück das allein Wünschenswerte ist. Viele
Menschen (z. B. Sadisten) arbeiten de facto aktiv am Unglück von Mitmenschen, davon kann
man aber nicht ableiten, dass man das Unglück von irgendwem oder möglichst vielen Leuten
anstreben soll. Etwas, das real gewünscht wird, muss deswegen noch nicht wünschenswert im
normativen bzw. moralischen Sinne sein. Dies wäre sowohl ein Naturalistischer Fehlschluss
wie auch ein Verstoß gegen Humes Gesetz.
Mill argumentierte, dass das Begründungsproblem für alle Ethiken bestehe, was aber eher ein
Argument für den Amoralismus sei. Insofern Utilitaristen eine Letztbegründung der Moral
mit dem Problem des infiniten Regresses verweigern, erklären sie gemäß der Lehre vom
Münchhausen-Trilemma, dass sie ihr Moralprinzip axiomatisch setzen. Einige Utilitaristen
wie beispielsweise Georg Meggle geben gar keine Begründung mehr, sondern gehen einfach
von der empirischen These aus, dass Menschen unter anderem die Präferenz haben, die Welt
zu verbessern. Moral ist dabei nur ein willkürlich gewählter, letztlich unverbindlicher
Endzweck, den einige eben verfolgen, andere aber nicht.
Einige Utilitaristen argumentieren als Antwort auf die Kritik, dass jedes politische Argument
für eine bestimmte Gesellschaftsform zumindest implizit ein utilitaristisches Prinzip
verwendet, wenn es behauptet, eine bestimmte Gesellschaft sei für die Menschen am
nützlichsten. Dabei wird aber beispielsweise das Problem des Trittbrettfahrens außer Acht
gelassen und somit keine Verbindlichkeit der obersten utilitaristischen Maxime für Individuen
begründet.
Inkohärenz zum psychologischen Egoismus
Der psychologische Egoismus besagt, dass jedes Individuum nur sein eigenes Glück anstrebt
und anstreben kann.
Einige Utilitaristen gehen aber von einem psychologischen Egoismus aus. Einige Kritiker
(z.B. Amoralisten und Ethische Egoisten) wiesen darauf hin, dass viele Utilitaristen
fälschlicherweise die Übertragung des Glücksstrebens vom Individuum auf die Gesellschaft
übergehen würden, indem sie die Vorstellung des individuellen Drangs der eigenen
Nutzenmaximierung intuitiv auf die gesamte Gesellschaft übertrügen, obwohl dazu kein
Grund bestünde.
Eine mögliche Begründung für diese Übertragung findet sich in einer philosophischen Kritik
der Natur des Individuums als fundamentale Existenzeinheit (z. B. Ernst Mach: „Das Ich ist
unrettbar.“). Unter einer solchen Kritik kann die Intuition von Menschen, individuelle Träger
einer kohärenten, abgrenzbaren, atomaren und zeitstabilen Innenwelt zu sein, als
perspektivische Illusion abgelehnt werden. Akzeptiert man diese philosophische Prämisse, so
beruht der psychologische Egoismus auf einer evolutionspsychologisch erklärbaren
Fehlannahme, und deren Überwindung begründet die Übertragung egoistischer Prinzipien zu
utilitaristischen.
Kritik des Wertmonismus
Ein Kritikpunkt am Utilitarismus ist, dass der unterstellte Wertmonismus unhaltbar wäre. Wir
leben diesem Argument zufolge in einer wertpluralistischen Gesellschaft, Werte wie Glück,
Gerechtigkeit, Freiheit, Würde, soziale Sicherheit ließen sich aber nicht zu einem Wert
zusammenfassen.[15]
Kritik an der normativen Bewertung von Folgen
Es bleibt unklar, welche Folgen einer Handlung für den Utilitarismus berücksichtigt werden
sollen. Sind es die für den Handelnden Beabsichtigten, die Vorausgesehenen, die objektiv
Voraussehbaren, die Faktischen oder die Wahrscheinlichen?
Utilitarismus in der Praxis
Die meisten früheren Utilitaristen sahen in ihrer Moralphilosophie vor allem ein Programm
für eine wissenschaftlich begründete Ethik und für eine rationale Gesetzgebung.
Sozialphilosophisch trugen Bentham und Mill zur Entwicklung des klassischen Liberalismus
bei. Umgekehrt bekannten sich Theoretiker der klassischen Nationalökonomie wie David
Ricardo zu utilitaristischen Prinzipien.
Der Utilitarismus blieb auch bis in die Neuzeit eng mit der Ökonomie verbunden. Er war die
ethische Basis der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien Ludwig von Mises und
Friedrich von Hayek. Hiervon ausgehend wirkte er in die Politik Ludwig Erhards und
Margaret Thatchers ein.
Utilitarismus in der Kunst
Utilitaristische Anklänge im Rahmen der Popkultur finden sich im fiktiven Star-TrekUniversum. Der Charakter Spock äußert hier manchmal das Werturteil „Das Wohl der Vielen
wiegt mehr als das Wohl der Wenigen; oder des Einzelnen“ („The needs of the many
outweigh the needs of the few; or the one“).[16]
In dem Roman Aufstieg und Fall der Volksrepublik Antarktis von John C. Batchelor wird der
Utilitarismus als gescheitertes Staatenmodell ausführlich thematisiert.
Literatur
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Catherine Audard: Anthologie historique et critique de l’utilitarisme. Presses
Universitaires de France, 1999, ISBN 978-2-13-049599-4.
Jeremy Bentham: An introduction to the principles of morals and legislation.
Kessinger, 2005, ISBN 1-4179-5732-8 (HTML).
Alain Caillé: Critique de la raison utilitaire, Paris 1989
John Stuart Mill: Der Utilitarismus. Reclam, Stuttgart 1976, ISBN 3-15-009821-1.
Peter Singer: Praktische Ethik. 2. üb. Auflage. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15008033-9.
Otfried Höffe: Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische
Texte. 2. überarbeitete Auflage. Francke, Tübingen 1992, ISBN 3-7720-1690-1.
Jack Nasher: Die Moral des Glücks. Eine Einführung in den Utilitarismus. Duncker &
Humblot, Berlin 2009, ISBN 978-3-428-12877-8.
Bernward Gesang: Eine Verteidigung des Utilitarismus. Reclam, Stuttgart 2003, ISBN
3-15-018276-X.
Weblinks
Wiktionary: Utilitarismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Deutsch
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Eintrag im Rudolf Eisler Lexikon
Nutzenkalküle in liberalen Wirtschaftsschulen (.pdf) (165 kB)
Utilitarismus – Kritik und Neubegründung
Jörg Schroth: Utilitarismus und Verteilungsgerechtigkeit
philosophische Forschung 60 (2006), S. 37–58)
(Zeitschrift
für
Englisch
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Utilitarian Philosophers. Großes Kompendium von Schriften von und über bedeutende
utilitaristische Philosophen, sowohl klassisch wie auch gegenwärtig.
Onlinetexte von Jeremy Bentham
John Stuart Mills Utilitarianism bei Project Gutenberg
Walter Sinnott-Armstrong (2006): Consequentialism. In: Edward N. Zalta (Hrsg.):
Stanford Encyclopedia of Philosophy
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Brad Hooker (2003): Rule Consequentialism. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford
Encyclopedia of Philosophy
Julia Driver (2009): The History of Utilitarianism. In: Edward N. Zalta (Hrsg.):
Stanford Encyclopedia of Philosophy
http://www.utilitarian.com/ Gute Sammlung von Definitionen, Artikeln und Links.
Utilitarianism. Ein kurzer Überblick zum Utilitarismus
Utilitarianism explained, applied and evaluated Aus der UK-Website RSRevision.com
Essays on Reducing Suffering Essay übers Lindern von Leid
Französisch
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Mouvement Anti-Utilitariste dans les Sciences Sociales
L'Utilitarisme, paru dans Encyclopædia Universalis par Francisco Vergara (PDFDatei; 119 kB)
John Stuart Mill : mythes et réalités Une mise en garde contre des erreurs répandues,
par Francisco Vergara. (pdf, existe aussi au format de Word)
Utilitarisme et justice pénale, par Xavier Bebin
En défense de l’utilitarisme, par David Olivier, dans les Cahiers antispécistes (revue
focalisée sur la question animale)
Utilitarisme, die utilitaristische Webseite von Fabrice Descamps
Joachim Stiller
Münster, 2015
Ende
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