LEO NUCCI Ein großer kammermusikalischer Opernabend! Stephaniensaal am 18. 9. 2015 Der im 74. Lebensjahr stehende italienische Starbariton KS. Leo Nucci ist wahrlich ein Phänomen! Das zeigt allein ein Blick auf seinen Terminplan: Konzerte unter dem Titel „Belcanto italiano“: 4. September La Coruna, 15. September Wiener Staatsoper, 18. September Graz, 18. Oktober London, 21. November Piacenza, Konzertante Aufführungen von Verdis „I due Foscari“: 15. und 18. November in Marseille,Bühnenauftritte: Rigoletto in Madrid am 30.11., 3., 6. und 10. 12. sowie Nabucco in Piacenza am 27. und 29.12. Es war eine große Freude für alle Freunde der italienischen Gesangskunst, dass Graz eine Station in diesem Terminplan sein durfte. Musikvereinsgeschäftsführer Dr. Michael Nemeth hatte Leo Nucci in den Liederabendzyklus eingeladen - und dort hatte das Belcantoprogramm durchaus seinen berechtigten Platz, wenn man bedenkt, was Leo Nucci zur Programmzusammenstellung sagte: „Meine Idee ist es, die Tradition des 18. und 19.Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen, nach der man diverse Arien- und Liedkonzerte in kleineren Besetzungen, quasi kammeropernhaft, gegeben hat. Darüber hinaus ging es mir um den Aspekt des Melodisch-Dramatischen, um ein italienisches Pendant zum Deutschen Lied.“ Leo Nucci hatte sich für dieses Programm die Partnerschaft seiner „philharmonischen Freunde“ gesichert - ein Streichquartett und eine (Gast)Harfenistin der Wiener Philharmoniker sowie eine Pianistin der Wiener Staatsoper. Günter Seifert (Violine 1), Raimund Lissy (Violine 2), Michael Strasser (Viola), Raphael Flieder (Violoncello), Ursula Fatton (Harfe) und Kristin Okerlund (Klavier) waren exzellente Partner. Sie verbanden kammermusikalische Klarheit mit der großen opernhaften Geste, die ihnen als Mitglieder des Wiener Staatsopernorchesters eine gewachsene Selbstverständlichkeit ist. Sie begleiteten Leo Nucci in den Arrangements mit großer Aufmerksamkeit und konnten auch zwei Instrumentalstücke präsentieren: Eine köstliche Paraphrase über „Le ,donne‘ di Donizetti“ von Paolo Marcarini, mit dem Leo Nucci schon seit Jahren zusammenarbeitet, und nach der Pause den schwermütigen Streichquartett-Satz „Crisantemi“, den Puccini 1890 im Gedenken an den Tod des in Italien überaus beliebten Prinzen Amadeo von Savoyen (und kurzfristigen Königs von Spanien) in einer Nacht geschrieben hatte und dessen Themen er dann drei Jahre später im letzten Akt von Manon Lescaut verwenden sollte. Das Programm brachte im 1.Teil Raritäten aus Donizettis „Poliuto“ und „Don Sebastiano“, aus Bellinis „Beatrice di Tenda“ und aus frühen Verdi-Romanzen sowie den Tod von Macbeth. Und schon in diesem 1.Programmteil zeigte sich die Meisterschaft des Belcantisten Leo Nucci. Er war an diesem Abend wohl ein wenig indisponiert - eine kleine Verkühlung war nicht zu verbergen. Aber gerade in einer solchen Situation kann man seine ungeheure Erfahrung und Disziplin bewundern. Mit großer Konzentration sang er „über die Indisposition drüber“, suchte mit Konsequenz und durchaus merkbarer Anstrengung den optimalen Stimmsitz für jeden Ton. Und wenn die Tiefe und das Piano einmal nicht ganz „ansprachen“, dann wandelte er dies in dramatisch gerechtfertigten und überzeugenden Ausdruck. Jede einzelne Nummer wurde zu einem musikdramatischen Kammerspiel. Nach der Pause hatte sich Leo Nucci etwas freigesungen, blieb aber immer noch bei eher selten Gehörtem: Verdis „I due Foscari“ und „I vespri Siciliani“, Rossinis „Guglielmo Tell“, Bellinis „I Puritani“ und als Abschluss des offiziellen Programms die große effektvolle Szene und Arie des Alfonso aus dem 2.Akt von Donizetttis „La Favorita“. Allen, die sich für italienische Gesangstechnik ernsthaft interessieren, kann man nur dringend empfehlen, Künstlern wie Leo Nucci aufmerksam zuzuhören und sie genau zu beobachten. Da erlebt man, was Atemstütze - appogiare la voce - bedeutet: die optimale Verankerung der Stimme im Körper und ein ruhiges Fließen des Atems, ohne die Luft zu stauen. Leo Nucci bewies an diesem Abend, dass mit einer perfekten italienischen Gesangstechnik auch im fortgeschrittenen Alter und bei nicht optimaler Disposition jene großen Melodiebögen gespannt werden können, die für die italienische Belcantoliteratur unverzichtbar sind. Am Ende gab es den erwarteten großen Beifall und viele Bravo-Rufe für den ungemein sympathischen Belcanto-König - und es folgte das ebenso erwartete Zugaben-Programm mit den erhofften Hits. Zunächst nach all den düsteren und melancholisch-schwerblütigen Stücken ein heiteres Glanzstück: Figaros Auftrittsarie aus dem „Barbiere di Siviglia“. Mit dieser Rolle hatte Nucci im Jahre 1967 sein Bühnendebüt in Spoleto und später auch die Debüts an der Scala und an der Wiener Staatsoper gegeben. 48(!) Jahre später steht er mit dieser Rolle noch immer auf der Bühne - im Juli und August sang er den Figaro neuerlich an der Mailänder Scala in 5 Aufführungen. Da hörte man im Grazer Konzert keine Indisposition mehr - mit strahlenden Spitzentönen, spitzbübischem Charme und eminenter Textgeläufigkeit begeisterte er sein Publikum, das - so wie drei Tage davor an der Wiener Staatsoper - mit noch drei weiteren Zugaben beschenkt wurde: Posas Tod aus dem „Don Carlo“, Renatos Eri tu aus dem „Ballo in maschera“ und Nemico della patria aus Umberto Giordanos "Andrea Chenier". Viele hatten wohl noch auf Nuccis Glanzrolle, den Rigoletto gehofft. Diese Hoffnung wurde nicht erfüllt - aber wir hatten ja sein berühmtes Cortigiani, vil razza ohnedies zuletzt vor drei Jahren in der Grazer Oper hören dürfen, als ihm zu seinem 70.Geburtstag die ehrenvolle Auszeichnung des „Iso d’Oro-Award“ verliehen hatte. Damals stimmte Leo Nucci im Zugabenteil auch in das Trinklied aus Verdis Traviata ein - Zitat aus dem damaligen Bericht: „Neuerlicher großer Jubel für alle – und das Publikum erzwingt eine Wiederholung, an der sich nun auch Sabbatini vom Dirigentenpult als Tenor dazugesellt und die der inzwischen ebenfalls wieder auf die Bühne gekommene Leo Nucci gemeinsam mit Vittorio Terranova mit einem hohen B (!) im Finale krönt.“ So wie sich Leo Nucci diesmal in Graz präsentiert hat, wird er wohl auch zu seinem 75.Geburtstag auf den Bühnen und den Konzertpodien stehen - es ist ihm und seinem Publikum zu wünschen! Hermann Becke, 19. 9. 2015 http://www.deropernfreund.de/graz-konzerte.html
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