b+b 2015-05 45 Zurueck zu den Chancen

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Die Revision der ISO 9001 ist eine Rückkehr zu den Wurzeln des Qualitätsmanagements.
+
Über den bürokratischen Aufwand der Dokumentation geriet die ursprüngliche Absicht, betriebliche Prozesse zu optimieren, in Vergessenheit. Tatsächlich ist ein
richtig verstandenes Qualitätsmanagement eine Sammlung
leistungsfähiger Instrumente zur Verbesserung der Produktivität. Die aktuelle ISO 9001:2015 erweitert den Kanon der
Instrumente. Qualitätsmanagement war von Anfang an auch
ein Werkzeug zur Produktivitätssteigerung. Es war in den
1970er Jahren der Erfolg japanischer Automarken, der die in
den USA heimischen Hersteller unter Druck setzte, das QM
auf die Management-Agenda brachte. Die japanischen Hersteller schafften, was damals amerikanische und europäische
Hersteller nicht im gleichen Maße erreichten: die Verbindung von Qualität und niedrigen Stückkosten. Es ist die Philosophie des Qualitätsmanagements, genau die vom Kunden
gewünschte Qualität möglichst preiswert herzustellen.
Akzentuiert wird das durch ein ständiges Bemühen, besser
zu werden: der kontinuierliche Verbesserungsprozess.
Insbesondere die Automobilindustrie griff diese Methoden
auf, die nach dem größten japanischen Hersteller als „Toyota
Productive Systems“ bezeichnet wurden. Da sich das Qualitätsmanagement schnell auch auf die Zulieferer ausdehnte, war
es naheliegend, die bei diesen getätigten Endkontrollen nicht
als Eingangskontrolle zu wiederholen. Damit dies in der Praxis
funktionierte, benötigte man eine Norm, die die gemeinsamen
Spielregeln definierte. Die ISO-9000-Serie war geboren.
Sie stellt eine Anpassung an neue Entwicklungen in Wissenschaft, Technik und Arbeitswelt dar und gibt dem Qualitätsmanagement neue Relevanz.
Die wesentlichen Neuerungen sind:
+ Prozessmodell, KVP und PDCA stehen wieder im
Mittelpunkt
+ Einbeziehung der Mitarbeiter und Wissensmanagement
+ Faktenbasierte Entscheidungen
+Risiko-Management
+Beziehungsmanagement
+ Dokumentierte Information statt Qualitätshandbuch und
Aufzeichnungen
+ Verantwortung der Geschäftsleitung
Prozessmodell, KVP und PDCA
Das Prozessmodell (s. Abbildung unter www.brotundbackwaren.de/zusatzinfos.html) als Basisinstrument zur Beschreibung und Dokumentation von Geschäftsprozessen wird in
der neuen Norm wieder verstärkt in den Mittelpunkt gestellt.
Der Grundgedanke ist verblüffend einfach und verblüffend
mächtig. Jeder Geschäftsprozess lässt sich mithilfe dreier
Elemente komplett beschreiben:
1. die benötigen Eingaben, um eine Tätigkeit durchzuführen
2.die notwendigen Prozessschritte für die Transformation
der Eingaben
3.und die Beschreibung der Ausgabe, des gewünschten
Endproduktes
Dann allerdings geschah, was in solchen Fällen häufig
passiert. Über die formale Erfüllung der Norm geriet die
eigentliche Philosophie in den Hintergrund. Das Qualitätsmanagement wurde zu einer bürokratischen Aufgabe, Handbücher auf dem aktuellen Stand zu halten und Berichte abzuheften. Eine sich ändernde Zeit – heute wird eine standardisierte Produktqualität als selbstverständlich vorausgesetzt
und der Gesetzgeber definiert in vielen Bereichen Mindeststandards – führte dazu, dass Qualitätsmanagement als
Managementsystem im Bewusstsein an Bedeutung verlor.
Das Prozessmodell ist nicht von ungefähr eines der beliebtesten Instrumente von Unternehmensberatungen. Strukturiert werden alle Probleme der Organisation eines Arbeitsprozesses analysiert. In der Praxis identifiziert man häufig
bereits bei der systematischen Analyse der benötigten Prozesseingaben Probleme, die im Fertigungsprozess unnötige
Kosten nach sich ziehen. Seien es Rezepturen, die nur in
Papierform vorliegen, unpräzise Arbeitspläne oder Zeitvorgaben, die zu einem Stau an der Backstation führen.
Die Aktualisierung des Standards, die am 15. September
2015 veröffentlicht wurde, trägt diesen Trends Rechnung.
Die Erstellung einer detaillierten Prozessdokumentation
deckt vorhandene Schwachstellen auf und eröffnet damit die
Autoren
Walter Gossmann,
M.Sc., Berater LIV f. d.
bayerische Bäckerhandwerk, Ausbildung
Auditor Zdh-Zert
Margarita Kochneva, Ph.D,
Dozentin des Lehrstuhl von
Standardisierung, Metrologie
und Produktionstechnologie
der Viehzuchtsprodukte an der
landwirtschaftlichen Fakultät
der Russischen Universität der
Völkerfreundschaft
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Yulia Schram, Studentin
der Russischen Universität der Völkerfreundschaft, Fachrichtung
Standardisierung und
Metrologie, Praktikantin
LIV f. d. bayerische
Bäckerhandwerk
www.brotundbackwaren.de 05/2015
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Möglichkeit, die Herstellkosten zu senken. Gleichzeitig
schafft man die Basis für weitergehende Analysen, wie
Taktungsprobleme oder die Analyse kritischer Kontrollpunkte, wie es die Analyse einer Brezelfertigung zeigt.
Mit der Prozessdokumentation ist auch der Startpunkt für
einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) gegeben.
Auch hier steht neben der Einhaltung der Qualitätsstandards die Verbesserung der Produktivität im Mittelpunkt.
Eine wichtige Funktion kommt dabei dem PDCA-Zyklus,
oft auch als Deming-Kreis bezeichnet – nach dem amerikanischen Statistiker W. E. Deming, der das moderne Qualitätsmanagement maßgeblich mitprägte. PDCA ist ein Akronym für die englischen Begriffe Plan – Do – Check – Act.
Wird die PDCA-Methode (s. Abbildung unter www.brotundbackwaren.de/zusatzinfos.html) konsequent als Soll-IstVergleich eingesetzt, hilft sie ständig bei der Aufdeckung von
Schwachstellen in der Arbeitsorganisation. Ein PDCA-Zyklus
ist nichts anderes als ein geschlossenes Regelkreissystem. Innerhalb des Unternehmens müssen auf allen Leitungsebenen solche Regelkreise existieren, die untereinander kommunizieren. So erhalten die einzelnen Arbeitsgruppen, die nach
PDCA organisiert sind, meist ihre Aufträge von einer übergeordneten Planungsfunktion. Gegenüber der vorgegebenen
Planung berichtet die Gruppe dann über die Erfüllung und
eventuell aufgetretene Probleme. Die Planungsfunktion
selbst wird dann daraufhin überprüft, inwiefern z. B. Planungsprobleme aufgetreten sind und auf dieser Ebene gelöst
werden müssen.
Einbeziehung der Mitarbeiter
Qualitätsmanagement begann mit Qualitätszirkeln auf allen
Unternehmensebenen. Produktionsmitarbeiter wurden geschult in Problemlösungs- und Kreativitätstechniken, Kaizen
war in. Irgendwie scheint es im Laufe der Jahre wieder in
Vergessenheit geraten zu sein, dass die eigenen Mitarbeiter
eine wertvolle Ressource für jedes Unternehmen darstellen.
Niemand kennt die tatsächlichen Abläufe besser als die, die
sie Tag für Tag ausführen. Nur konsequent, wenn die Norm
eine aktive Einbeziehung der Mitarbeiter in die Qualitätsbemühungen fordert.
Es ist für jedes Unternehmen ein Gewinn, wenn unternehmensintern Qualitätszirkel gebildet werden, die sich regelmäßig und
systematisch mit den Arbeitsabläufen beschäftigen. Hier
sollten ebenso Non-Konformitäten, die sich aus der Qualitätskontrolle ergeben, wie Abweichungen, die im PDCA-Zyklus
identifiziert wurden, als auch Verbesserungsvorschläge aus
der Gruppe systematisch bearbeitet werden.
Das betriebliche Wissen
Ein neuer Punkt beschäftigt sich mit dem betrieblichen
Wissen, das auch das Wissen der Mitarbeiter ist. Die Notwendigkeit, dies zu erfassen und zu dokumentieren, ist offensichtlich. In vielen Unternehmen verfügen einzelne Mitarbeiter über nicht dokumentiertes Spezialisten-Wissen, das
bei einem überraschenden Ausscheiden verloren geht.
Wissen über neue Gesetze, Normen oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen in der Regel aus externen Quellen
Quelle: Gossmann
46
++ Brezelfertigung: Ablaufdiagramm mit Kontrollpunkten
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gewonnen werden. Die Teilnahme von Mitarbeitern an Konferenzen oder Schulungen wird neben der beruflichen Fortbildung wichtiger werden. Wissensmanagement ist notwendig,
auch wenn es keine einfache Aufgabe ist. Einen ersten Einstieg
bieten Handwerkskammern und Innungsverbände mit der
Erstellung einer Wissensbilanz.
Faktenbasierte Entscheidungen
Dass Entscheidungen auf Zahlen, Daten und Fakten basieren
sollen, ist wohl jedem vertraut. Und auch, dass es in der
Hektik des Alltags oft genug doch zu Bauchentscheidungen
kommt. Die neuen Regeln in der Norm sind ein Anreiz, dies
durch systemische Maßnahmen zu verhindern. Die sogenannten „kognitiven Verzerrungen“, ein relativ junges
Forschungsfeld der Entscheidungspsychologie, zeigen auf,
dass viele Situationen Fehlentscheidungen begünstigen oder
sogar herausfordern. Solche Erkenntnisse müssen in den
Entscheidungsprozess einfließen.
Risiko-Management
Risiko-Management ist kein Fremdwort für die Lebensmittelindustrie. Die Konsequenzen eines Lebensmittelskandals
sind gravierend und bedrohlich für das Unternehmen. Es
gehört heute zu den Hauptaufgaben der Geschäftsführung,
dafür Vorsorge zu treffen. Der Fall Coppenrath & Wiese, bei
dem das Unternehmen Anfang 2003 damit konfrontiert wurde,
dass es nach dem Genuss eines seiner Produkte zu einem
Todesfall gekommen war, gilt bis heute als Lehrstück für
eine gelungene Krisenbewältigung. Ein sorgfältiges und gut
dokumentiertes Qualitätsmanagement mit einer lückenlosen
Kontrolle der Produktion bildete die Basis für den Nachweis,
dass die Kontaminierung nicht im Verantwortungsbereich
von Coppenrath & Wiese stattgefunden hatte. Wichtig war
aber auch, dass das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt bereits
seit Langem mit einer Kommunikationsagentur zusammengearbeitet hatte, so dass man die Fakten auch der Öffentlichkeit und den Behörden schnell und adäquat vermitteln konnte.
Die neue Norm fordert an mehreren Stellen ein aktives Risikomanagement und fördert und institutionalisiert damit die
notwendige Vorsorge.
Beziehungsmanagement
Standen bisher im Beziehungsmanagement die „Lieferantenbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen“ im Vordergrund, so
wird dieser erweitert auf alle „stake holder“ des Unternehmens. Neben Geschäftspartnern und eigenen Mitarbeitern
fordert die Norm auch, dass man aktiv nach weiteren potenziell interessierten Gruppen sucht. Lebensmittelunternehmen
stehen grundsätzlich mehr im Fokus der Öffentlichkeit, und
„Interessenten“ tauchen an unerwarteten Stellen auf. Im
Zeitalter von Facebook & Co. genügt ein Foto von weggeworfenen Lebensmitteln, um einen „shit storm“ zu entfachen, neue Nachbarn fühlen sich vom frühmorgendlichen
Lärm belästigt. Die neue Norm fördert die aktive Suche.
Dokumentierte Information
Ausgedruckte Handbücher und papierbasierte Unterlagensammlungen sind nicht mehr zeitgemäß. Die Revision trägt
dem Rechnung, indem nur mehr von „dokumentierter Information“ gesprochen wird. Was dokumentiert werden muss,
kann mittels eines offenen Formats oder auch in einem
Medienformat z. B. als Bilder, Videos oder Audioformaten
vorliegen. Ein QM-Handbuch wird nicht mehr gefordert, es
dürfte aber weiterhin sinnvoll sein, ein solches in elektronischer Form zu führen.
Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung
Die Norm betont wieder verstärkt die Verantwortung der
Geschäftsleitung für die Integration des Qualitätsmanagements in die Unternehmensstrategie. Ein eigens bestellter
QM-Beauftragter wird nicht mehr gefordert, allerdings müssen
die Aufgaben weiterhin erfüllt werden. Diese könnten dann
z. B. teilweise innerhalb der Geschäftsleitung aufgeteilt werden.
Qualitätsmanagement: ja – Zertifizierung: vielleicht
Die Revision ist ein wichtiger Schritt, damit die Norm
ISO 9001 auch in Zukunft relevant bleibt. Wichtige Managementansätze werden damit wieder in Erinnerung gebracht
und neue zum Kanon hinzugefügt. Unabhängig davon, ob
man die Zertifizierung anstrebt: Diese Methoden sollten
jedem Manager vertraut sein. +++
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