Nachtschicht auf dem 1. Polizeirevier in Frankfurt von: Corinna

Nachtschicht auf dem 1. Polizeirevier in Frankfurt
von: Corinna Offeneÿ/Eva Goldbach, Juli 2015
Die Schutzweste ist schwer. Wie ein Panzer umschließt sie den Oberkörper. In wenigen Minuten
sind die T-Shirts unter der Weste komplett durchgeschwitzt. Bereits in diesem Moment wächst
unsere Achtung für die Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei immens. Im normalen
täglichen Dienst schleppen sie mit ihrer Ausrüstung rund 10 kg zusätzliches Gewicht mit sich
herum. Bei Einsätzen, beispielsweise auf Demos, erhöht sich diese Last auf das doppelte. Auf
sommerliche Hitze kann keine Rücksicht genommen werden.
Ein heißer Juliabend in der Frankfurter
Innenstadt. Bei Außentemperaturen von über
30 ° C treten wir unseren Besuch bei der
Nachtschicht auf dem 1. Revier an der
Konstablerwache an. Wir – das sind Eva
Goldbach, Landtagsabgeordnete Bündnis
90/Die
Grünen
und
Mitglied
im
Innenausschuss sowie Corinna Offeneÿ,
Leiterin des Wahlkreisbüros. Vor dem
Hintergrund der geplanten Einführung des
sog. „Schutzparagraphen 112" wollen wir uns
einen Eindruck darüber verschaffen, was Polizeidienst in der Realität bedeutet. Welchen
Anfeindungen, verbalen oder tätlichen Übergriffen sind die SchutzpolizistInnen auf Streife
wirklich ausgesetzt? Wer hat heute überhaupt noch Respekt vor der Polizei? Was bringt der
Einsatz von Bodycams (Bild) ?
Um es gleich vorwegzunehmen: Leider – oder zum Glück – verlief die Nacht zumindest in
dieser Hinsicht friedlich. Bei keinem der über zehn Einsätze gab es auch nur das geringste
Anzeichen von Feindseligkeit oder Aggression gegenüber der Polizei. Im Gegenteil: Die
allermeisten Personen bedankten sich bei den BeamtInnen oder entschuldigten sich für die
Unannehmlichkeiten, die sie verursacht hatten.
Die 12-Stunden Schicht startet um 18:30. Im
Einsatzwagen von Polizeioberkommissar
(POK) Kirsch und Polizeioberkommissarin
Wege ist genug Platz, so dass wir beide
mitfahren können. Zunächst kommt jedoch
kein Auftrag und für POK Kirsch bleibt noch
Zeit, uns durch das Wachgebäude zu führen.
Der Weg geht von der Zentrale, die nach den
Krawallen zur EZB-Eröffnung im März jetzt
endlich neue Fensterscheiben bekommen hat,
über die Vernehmungszimmer bis hin zum
Raum
für
die
erkennungsdienstliche
Behandlung (Bild) und den voll gefliesten Ausnüchterungszellen im Keller. Kaum sind wir damit
durch, geht es los: Am Opernplatz hat die Zivilstreife zwei Fahrradhehler auf frischer Tat ertappt
und festgenommen. Ein zweiter Streifenwagen wird benötigt, um die Verdächtigen zur Wache
zu transportieren. Als wir ankommen, bietet sich ein eher unspektakuläres Bild. Neben den
sichergestellten Fahrrädern halten die zivilen Kollegen zwei Jugendliche in Handfesseln fest.
Die Fahrt zur Wache verläuft schweigend. Die beiden mutmaßlichen Täter sind noch
minderjährig, die Eltern werden informiert. Einig sind sie sich in ihrer Aussage: Die Fahrräder
wollen sie in einem Keller ihres Wohnhauses gefunden haben, niemand habe einen
Besitzanspruch erhoben. Die Teenager geben an, die Räder aufgearbeitet und dann legal
verkauft zu haben. Da das nicht gänzlich unglaubhaft klingt, beschließen die Zivilfahnder, sich
den besagten Keller anzusehen. Glück gehabt hat der Eigentümer eines der gestohlenen
Fahrräder: Die Polizei hat seinen Drahtesel eindeutig identifiziert und er kann ihn auf dem
Revier abholen.
In einem Parkhaus soll ein Hund in einem
Auto zurückgelassen worden sein. Als wir
ankommen, ist es auf dem Parkdeck brütend
heiß, die Lufttemperatur beträgt etwa 40
Grad. Wir machen uns eilig auf die Suche
nach dem Tier und finden in einem
aufgestylten Kleinwagen einen schwer
hechelnden kleinen Hund. Wenigstens steht
das Fenster einen Spalt auf. POK'in Wege
greift beherzt hinein und kann die Tür von
innen öffnen. Das spürbar überhitzte Tier
muss wohl schon länger in dem Wagen warten, denn als erstes erleichtert es sich ausgiebig.
Vom Parkhausaufseher kommt der Tipp, die Besitzer in einem der anliegenden Clubs zu suchen.
Wir hinterlassen eine Nachricht am Auto, nehmen das Hündchen an die Leine und begeben uns
in den Club auf dem Dach in die Welt der vermeintlich Reichen und Schönen. Zwei echte und
zwei GelegenheitspolizistInnen und ein weißer Schoßhund sorgen bei den Gästen der
Schickeria-Gaststätte für hochgezogene Augenbrauen und müdes Amüsement. Das Personal ist
anfangs lediglich besorgt um den Ruf des Lokals („Das sieht aber nicht so gut für uns aus, wenn
Sie da jetzt in Uniform durchgehen"), zeigt sich schließlich doch kooperativ. Sogar frisches
Wasser bekommt der Vierbeiner. Hundehalter – Fehlanzeige. Schon bereit, das Tier mit zur
Wache zu nehmen und dem Tierschutz zu übergeben, treffen wir auf der Treppe doch noch
Herrchen und Frauchen. Sie kommen unübersehbar von einer ausgiebigen Shoppingtour, die aus
ihrer Sichtweise allerdings nur 15 Minuten gedauert haben soll. Zu diesem Zeitpunkt sind
Polizisten und Praktikantinnen allerdings schon gut eine Stunde im Einsatz. Die Besitzer
nehmen ihr Haustier dankbar entgegen und entschuldigen sich mehrfach. Wir können uns des
Eindrucks nicht erwehren, dass der kleine Hund nichts anderes ist als ein weiteres modisches
Accessoire im Leben des perfekt gekleideten Paares. Allen Ausreden zum Trotz droht ihnen eine
Anzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz.
Zurück auf der Wache erwartet uns bereits der nächste Fall. Ein Ehepaar hat einen Mann, der an
eine Hauswand uriniert haben soll, ermahnt und daraufhin angeblich Schläge angedroht
bekommen. Jetzt soll die Polizei den Mann, „ca. 1,70 groß, dunkel gekleidet, deutschsprachig",
finden. Das Ehepaar fährt im Streifenwagen mit und wir machen uns in dem Gewirr der Gassen
rund um die Konstablerwache auf die Suche. Ein aussichtsloses Unterfangen. Der Verdächtigte
kann in jede beliebige Richtung gegangen oder mit der erstbesten U-Bahn direkt nach Hause
gefahren sein. Vielleicht sitzt er auch in der nächsten Kneipe – wer weiß? Wesentlich
interessanter sind da schon die Aussagen des rechtschaffenen Bürgers. Dieser hätte den
renitenten Toilettenverweigerer offensichtlich nicht nur mündlich ermahnen, sondern ihm zur
Sicherheit „erstmal am liebsten eine geben müssen, dass er sich zweimal überschlagen würde".
Das erzählt er frei heraus und voller Überzeugung, im Recht zu sein. Es drängt sich durchaus die
Frage auf, wer hier eigentlich gewaltbereit ist. Da der ominöse „Wildpinkler" unauffindbar
bleibt, stellen wir die Suche ein – und müssen direkt zum nächsten Einsatzort.
Auf dem Goetheplatz haben die Kollegen
einen Fall von häuslicher Gewalt gemeldet.
Der Täter soll seiner Ehefrau wiederholt mit
der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Der
Beschuldigte sitzt bereits in Handfesseln
sicher im Polizeifahrzeug, unsere Streife hat
die Aufgabe, das Opfer zur Wache zu bringen.
Die Frau macht einen relativ gefassten
Eindruck und wirkt eher genervt als verstört.
Auf der Wache haben die PolizistInnen einige
Mühe, den sich heftig wehrenden Mann in
eine Zelle (Bild) zu verfrachten. Erfahrungsgemäß wird das Paar bereits in kurzer Zeit wieder
zusammen sein und der Kreislauf der Gewalt von neuem beginnen, erklären uns die Beamten.
Eigentlich steht noch eine Routinekontrolle auf der Zeil an und Zeit für eine Pause wäre es
auch. Daraus wird nichts. Der nächste Einsatz erfordert Eile. In der Nähe des Römerbergs soll
sich eine angetrunkene und psychisch auffällige Person selbst Verletzungen zufügen und mit
Suizid drohen. POK'in Wege hat unseren Streifenwagen schon bisher virtuos durch die Straßen
gesteuert, aber jetzt zeigt sie, was sie wirklich drauf hat. „Anschnallen" kommt die knappe
Ansage und dann geht es richtig los – mit Blaulicht und Martinshorn und in rasendem Tempo
durch die City. Schlagartig sind wir hellwach. Ist der Weg blockiert, werden per Lautsprecher
andere Verkehrsteilnehmer aufgefordert, den Weg freizugeben. Beifahrer POK Kirsch achtet auf
den Verkehr und bedient gleichzeitig Funkgeräte und Handy. Am Ziel ist der Krankenwagen
schon vor uns da. Ein Mädchen mit einer heftig blutenden Kopfwunde liegt am Boden. Die
Schmerzen scheint sie nicht zu spüren aber sie ist zwanghaft überzeugt, dass ihre Begleiter sie
jetzt hassen müssen. Die Begleiter sind zwei Jungs, fast noch Kinder, die mit der Situation
sichtlich überfordert sind, sich aber rührend um ihre Freundin kümmern und die richtigen
Schritte eingeleitet haben. Die Verletzte wird im Rettungswagen erstversorgt, während die
KommissarInnen die Jugendlichen befragen, trösten und parallel versuchen, die Eltern der
Verletzten zu erreichen. Letzteres tun die PolizistInnen übrigens mit ihren privaten Handys –
mobile Diensttelefone gibt es nicht für alle. Unsere Streife begleitet den Krankentransport bis in
die Klinik und wartet dort das Eintreffen der Eltern ab. Die BeamtInnen erweisen sich auch hier
als souverän. Ihr sachlicher Gesprächston wirkt beruhigend auf das aufgeregte ältere Paar, das
mit der Gesamtsituation sichtlich überfordert scheint. Auch dieser Einsatz endet mit
Entschuldigungen und Dank.
Im Anschluss finden wir tatsächlich die Zeit - diesmal in gemächlichem Tempo - eine
Kontrollfahrt über die Zeil zu machen. Dort ist alles ruhig und so haben wir wenigstens
Gelegenheit, uns etwas zu essen zu kaufen. Zwei Laiendarstellerinnen in Polizeiwesten
amüsieren sich heimlich über die respektvollen Blicke der Gäste im Lokal, als wir zu viert
durchmarschieren - bloß um unsere Pizzas abzuholen.
Auf der Wache essen wir schnell und fahren gleich wieder raus. POK'in Wege zeigt uns die
Drogenbrennpunkte im Bahnhofsviertel und erzählt von ihrer Arbeit im OSSIP-Programm
(Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention). Sie war dort drei Jahre im
Einsatz und kennt die Szene in- und auswendig. Die Junkies grüßen sie freundlich, das
Verhältnis ist gut. Ein Ex-Musiker einer einstmals sehr bekannten Pop-Band hockt mit seinen
Drücker-Kumpels in einem Hauseingang – er ist von ganz oben bis in die Gosse abgerutscht.
Frankfurt hat viele Gesichter und nicht immer nur schöne.
Wir werden zurück zur Konstablerwache beordert. In einer Kneipe in der B-Ebene hat ein
Altenpfleger zufällig einen Bewohner seiner Einrichtung entdeckt. Er weiß, der alte Herr ist
herzkrank und darf keinen Alkohol trinken und bittet die Polizei um Hilfe. Die Gastwirtin bietet
allerdings keinerlei Unterstützung an, sondern sieht den Polizeieinsatz eher kritisch. Also teilen
wir uns in zwei Gruppen auf und suchen den Mann, der das Lokal mittlerweile mit unbekanntem
Ziel verlassen hat. In der Zwischenzeit geht draußen ein Gewitter nieder, das die Straßen
blitzschnell leerfegt und den U-Bahnhof mit Menschen füllt. Im Gewühl halten wir nach einem
ca. 70-jährigen Mann mit Bart, brauner Hose und blauer Jacke Ausschau. Wie zu erwarten,
erfolglos. Während wir noch zwischen Pendlern, Partygängern, Dealern und Betrunkenen
herumirren, kommt über Funk die Nachricht, dass der Gesuchte auf dem Revier eingetroffen ist
und
nach
Hause
gebracht
werden
möchte.
Auf der Wache erwartet uns ein hagerer Greis, natürlich nicht in brauner Hose und blauer Jacke,
sondern in grauen Shorts und weißem Achselhemd. So viel zu Personenbeschreibungen.
Immerhin der Bart stimmt. Um den Hals und in den Ohrläppchen trägt er äußerst individuellen
Schmuck und hat sich offenbar ganz prächtig auf dem Christopher-Street-Day amüsiert. Jetzt ist
er müde und beschwipst und möchte nach Hause. Die Dienste der Polizei nimmt er so
selbstverständlich in Anspruch, als hätte er gerade ein Taxi bestellt. Huldvoll lässt er sich in den
Streifenwagen geleiten und erzählt auf der Fahrt zum Altenheim einiges aus seinem
offensichtlich bewegten Leben. Obwohl Chronologie und Inhalt einigermaßen zweifelhaft
erscheinen, ist der alte Herr doch sehr eloquent und verfügt vor allem über einen reichen Schatz
an Kraftausdrücken, die er extrem kreativ einsetzt. Einige seiner Wortschöpfungen finden direkt
einen festen Platz im Sprachgebrauch unseres kleinen Teams. In seinem Wohnheim empfängt
man ihn gelassen aber mit mildem Tadel wegen der nachlässigen Medikamenteneinnahme. So
höflich wie er sich bei der Polizei bedankt hat, so energisch macht er der Pflegerin jetzt seinen
Standpunkt klar. Wir wünschen ihm alles Gute und weiterhin viel Spaß.
Mitternacht ist längst vorbei und wir sind
noch immer nicht müde. Die ständig
wechselnden Eindrücke halten wach. Wir
drehen noch eine Runde über die Zeil, wo
immer noch alles friedlich ist und POK'in
Wege und POK Kirsch halten zwischendurch,
so quasi im Vorbeifahren, eine Luxuskarosse
zwecks allgemeiner Verkehrskontrolle an. Die
Insassen, vier junge Männer unterschiedlicher
Nationalität, sind zunächst wenig begeistert
und lassen ein paar kesse Sprüche los.
Letztlich werden sie doch kooperativ, zeigen
brav ihre Papiere, albern mit uns herum und versuchen mit POK'in Wege zu flirten. Das dicke
Auto, so stellt sich heraus, haben sie übers Wochenende ganz legal gemietet, um das Zuckerfest
(Endes des Fastenmonats Ramadan) zu feiern und ein wenig Spaß zu haben. Außerdem muss pardon – „darf" einer der vier in nächster Zeit heiraten und scheint dringend noch ein letztes
Mal in Freiheit Party machen zu müssen. Wir gönnen es ihm von Herzen. Als einer dann noch
fragt, woran es liegt, dass POK Kirsch solch ein Glück habe, gleich mit drei Frauen unterwegs zu
sein, klopfen wir auf die Motorhaube des Streifenwagens und sagen nur: „geiles Auto". Schon
klar – auch diese Begegnung endet mit Dankesbezeugungen und guten Wünschen.
Im Anschluss beginnt die Phase der nächtlichen Ruhestörungen. Gleich vier Bürger klagen über
Lärmbelästigung. Wir fahren die ersten beiden Adressen an. Einmal hat ein neu eröffneter Club
die Bässe zu weit aufgedreht und der etwas überfordert wirkende Inhaber verspricht umgehend
Abhilfe zu schaffen. Am anderen Ort hallt die Musik aus einer Bar so ungünstig durch die
Häuserschluchten, dass noch 500 Meter entfernt an Schlaf nicht zu denken ist. Hier nimmt man
die Polizei offenbar nicht ganz ernst, so dass wir kurz darauf ein zweites Mal vorbeischauen
müssen und POK Kirsch etwas deutlicher wird. Danach herrscht Ruhe. Währenddessen wird vom
ersten Schauplatz Randale gemeldet. Also wieder Blaulicht und Sirene an und nichts wie hin.
Vor Ort findet sich indessen keine Spur von Verwüstung, sondern friedliche Partygäste bei
gedämpfter
Musik.
POK'in Wege schaltet einen Gang herunter und ermahnt auf der Weiterfahrt lediglich per
Megaphon ein paar Falschparker und Straßenblockierer. Auf die fantasievollen Ausreden der
Verkehrssünder reagiert sie gelassen, aber bestimmt.
Da es weiterhin ruhig zu sein scheint, erbitten
unsere netten KollegInnen die Erlaubnis für einen
Kurzbesuch im Polizeipräsidium. Das 2002 in Betrieb
genommene
Verwaltungsgebäude
in
der
Adickesallee hat gigantische Ausmaße. Die nachts
weitgehend leeren Gänge erinnern an einen
Flughafen. Wir haben das Glück, die Einsatzzentrale
besichtigen zu können. Dort laufen alle Notrufe, die
aus dem Raum Frankfurt, Flughafen sowie von der
Autobahn kommen, auf und werden weiterverteilt.
Wir lassen uns die Arbeit der PolizistInnen dort
erklären. Sie müssen die eingehenden Anrufe
innerhalb kürzester Zeit richtig bewerten, zuordnen
und die entsprechenden Maßnahmen einleiten.
Gerade sind wir wieder auf dem Weg zur Wache, als wir ans Mainufer gerufen werden. Dort hat
ein Mann selbst den Rettungsdienst alarmiert und wird im Rettungswagen untersucht. Er
weigert sich aber, mit ins Krankenhaus zu fahren. Vor Ort ist bereits eine fünfköpfige
Polizeieinheit, ein Überfallkommando für härtere Fälle. Die „Jungs" wirken sehr kompetent,
kommen aber bei dem vermutlich unter dem Einfluss unbekannter Drogen stehenden Mann
nicht weiter. Hier ist offensichtlich Diplomatie gefragt, doch selbst POK'in Wege scheitert
zunächst und wird wüst beschimpft. Der Blutdruck des jungen Mannes hat mittlerweile einen
lebensbedrohlichen Wert angenommen – er muss zum Arzt, ob er will oder nicht. Hier lernen
wir den „Zehner HFEG" (Hessisches Freiheitsentziehungsgesetz, § 10) kennen, einen
Paragraphen, der die Polizei ermächtigt, Personen, die ihr eigenes Leben oder das anderer
gefährden, zwangsweise in eine Klinik einzuweisen. Während POK Kirsch noch beruhigend auf
den Patienten einredet, zeigt sich um kurz nach vier der erste helle Schimmer am Horizont– ein
seltsam schöner Moment in dieser spannenden Nacht. Schließlich hat Kirsch mit seiner
beruhigenden Ansprache Erfolg. Ein zweites Mal begleitet unsere kleine Truppe die Sanitäter in
eine Notaufnahme. Der Patient verabschiedet sich von POK'in Wege mit den Worten: „danke
nochmal und 'tschuldigung wegen vorhin, war nich' bös' gemeint". Was will man mehr.
Inzwischen ist es taghell. Wir wollen uns in den letzten Stunden der Schicht in aller Ruhe mit
ein paar Routinekontrollen befassen, als es noch einmal richtig zur Sache geht: Schlägerei am
Börsenplatz! Mittlerweile haben wir fast so etwas wie Gelassenheit bei Fahrten mit
Sondersignal entwickelt und vertrauen POK'in Weges Fahrkünsten voll und ganz. Am Tatort sind
unsere Freunde vom Überfallkommando auch schon wieder da und haben zwei absolut
durchschnittlich aussehende Männer im Alter von ca. 30 Jahren festgesetzt. Auffallend ist
lediglich das zerrissene T-Shirt des einen. Ein paar Schritte weiter hält eine junge Frau ihre
Freundin im Arm. Diese hat einen Asthmaanfall und ringt panisch nach Luft. Zwischendurch
klagt sie laut jammernd über Schmerzen im Brust- und Bauchraum und zeigt wiederholt auf
einen der beiden mutmaßlichen Schläger. Der Mann habe sie auf die Brust getreten, als sie
schon am Boden lag, stößt sie immer wieder abgehackt hervor. Die Beschuldigten wirken
sichtlich genervt, zucken wiederholt die Achseln und lachen sogar hin und wieder. Der Humor
wirkt jedoch eher aufgesetzt. Die Sache ist kompliziert. Zwei vermeintliche Zeugen entpuppen
sich als nutzlos, weil sie im entscheidenden Moment gar nicht vor Ort waren. Die beschuldigten
Männer geben freimütig zu, Alkohol getrunken zu haben, ein Atemalkoholtest ergibt Werte
zwischen Fahruntüchtigkeit und verminderter Schuldfähigkeit. Beide wirken jedoch ziemlich
nüchtern und ihre Sprechweise ist klar. Sie können sich präzise ausdrücken und wollen mit der
Polizei kooperieren. Einer gibt sogar offen zu, die junge Frau „in den Arsch" getreten zu haben,
da sie ihn provoziert und übel beschimpft habe. Das Ganze scheint zunächst darauf
hinauszulaufen, zu klären, wer angefangen hat. Der Fall könnte relativ banal sein, käme nicht
aus dem Rettungswagen zwischenzeitlich die Nachricht, die Frau habe das Bewusstsein
verloren. Mit Verdacht auf Schädel-Hirn-Verletzung wird sie in ein Krankenhaus gebracht – was
weiter daraus wird, werden wir nie erfahren.
Jetzt neigt sich die Nachtschicht endgültig dem
Ende zu. Wir fahren ein letztes Mal durch die
langsam erwachende Innenstadt, POK'in Wege
und POK Kirsch schicken ein paar
Spätheimkehrer auf den Weg, und nach knapp
zwölf Stunden fast pausenlosem Einsatz treffen
wir wieder auf dem 1. Revier ein. Wir schießen
noch
ein
Abschiedsfoto
mit
unseren
wunderbaren „Kolleginnen und Kollegen" und
machen uns nachdenklich und tief beeindruckt
auf den Weg nach Hause.
Ein herzlicher Dank geht an das großartige
Team vom 1. Polizeirevier Frankfurt! Sie haben uns diese hochinteressante Nacht ermöglicht
und mit endloser Geduld und beeindruckender Kompetenz all unsere Fragen beantwortet. Die
Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei riskieren Tag für Tag Gesundheit und Leben in
ihren Einsätzen. Sie müssen körperlich und seelisch hoch belastbar sein. Sie sind Juristen,
Psychologen, Sachbearbeiter, Seelsorger, Ersthelfer, Funktechniker, Rallyefahrer und noch vieles
mehr in einer Person. Ihnen und ihrer Arbeit gilt unser allergrößter Respekt.