H I N T E R D E N K U L I S S E N Tabus in der Rechtswissenschaft Hinter den Kulissen der Justiz Ergebnisse im Kontext einer Studie zu Frauen in Führungspositionen der Justiz D E R J U S T I Z Ulrike Schultz, FernUniversität in Hagen H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Nicht Sichtbares im Jurastudium Kein Curriculum sondern Stoffliste im Juristenausbildungsgesetz (Ländergesetze) Heimlicher Lehrplan: Erziehung zum preußischen Staatsdiener Verlachen als Sozialisationsmodus Herabwertendes Notensystem (keine grade inflation) Eigener Studienplan Prüfungen als Initiationsrituale Keine Kongruenz Rechtsunterricht und Prüfungsstoff Nicht beherrschbarer Stoff § 47 JAG NRW von 2003 Zweck der Prüfung Die zweite juristische Staatsprüfung dient der Feststellung, ob die Referendarinnen und Referendare das Ziel der Ausbildung (§ 39) erreicht haben und ihnen damit nach ihren fachlichen und allgemeinen Kenntnissen und Fähigkeiten, nach ihrem praktischen Geschick und nach dem Gesamtbild ihrer Persönlichkeit die Befähigung zum Richteramt und zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst zuerkannt werden kann. Karriere in der Justiz H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z 3 H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Erkenntnisquellen Untersuchung Frauen in Führungspositionen der Justiz NRW 2010/2011) Im Zentrum: Qualitative Interviews (62) Auswertung statistischen Materials Justizstatistik des Bundes und des Landes NRW Befragungen zur Justiz Auswertung von Literatur Dokumentenanalyse Analyse Besetzungsvoten Internationale Projekte “Women in the World´s Legal Professions” “Gender and Judging” H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Wie geht Karriere in der Justiz? 3 Jahre Proberichter Beurteilungen nach 6, 18 und 36 Monaten Planstelle auf Empfehlung des Präsidenten Nach 5 Jahren Aufnahme in Erprobungsliste Drittes Staatsexamen 8 Monate bei Berufungsgericht Arbeit unter Aufsicht Beurteilung Bewerbungen 2 Karrierewege Rechtssprechungskarriere (gute berufliche Entwicklung) „echte“ Karriere mit Verwaltungsaufgaben (Gerichtspräsidenten, Vize, AG Direktor, Vorsitzender) H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Karriere – Regelungen und Ungeregeltes „Justiz – Das ist ein feinmaschiges System“ Komplexes System Rechtliche, sehr detaillierte Regeln (BeurteilungsAV mit Anforderungsprofilen, ErprobungsAV) sichtbar, aber nicht unbedingt bekannt ungeschriebene Regeln: institutionelle Usancen ( zur Notenvergleichbarkeit) Kriterien aus der Rechtsprechung (Leistungsverfestigung) Karriereerfordernis Verwaltungserfahrung ungeregelt Unterschiedliche Handhabung und unterschiedliche „Kulturen“ in den Gerichtsbezirken und Gerichtsbarkeiten H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Karriere fördernde Faktoren Personalpolitik der Entscheider Sichtbar sein … Förderungswürdige und Auserwählte („Förderungswürdige“ mit dem Turbo) Kaffeerunden Z Kommunikation in Netzwerken von Gerichtspräsidenten Es reicht nicht nur von einem geschätzt und anerkannt zu werden. 1. Eindruck bei der Vorstellung Eindruck bei anderen im Laufe der Zeit: Personaldezernent, Vize, Präsident Das Bild von der Qualität des Kandidaten muss sich verfestigen, so dass es „über die Fläche“ bekannt ist. H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Karrierefaktoren – wie werde ich sichtbar? Examensnoten Sind kein Karrieregarant, aber hilfreich Allgemeine Faktoren (überobligatorisches Engagement) Verwaltungsaufgaben Sonderaufgaben: Prüfer im Staatsexamen Referendararbeitsgemeinschaften Tätigkeit in richterlicher Selbstverwaltung Präsidium, Richterrat Tätigkeit in Vereinen, Verbänden Richterbund Besondere „Gelegenheitsstrukturen“: Spezielle Kenntnisse (PC, ökonomische Kenntnisse) Gutes Aussehen, angenehmes Auftreten (die sind geclont) H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Aufstiegskriterium Verwaltungserfahrung Erlangen von Zusatzqualifikation Z1 Härtetest große Belastung durch 2 Arbeitsfelder Autonomieverlust: Weniger zeitliche und räumliche Flexibilität: Verfügbarkeit am Arbeitsplatz („vor 6 Uhr geht man nicht“, „schafft man auch nicht“) Die Hintertür, Schlüssel zum Gericht Qualifizierung? Anleitung durch Kollegen Learning by doing Ist die Übernahme von Verwaltungsfunktionen erstrebenswert? Ausgrenzung ./. andere Kollegialität Kein Mehrverdienst H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Aufstiegskriterium Beurteilung Wer beurteilt? Die Macht der Präsidenten Regel- und Anlassbeurteilung (Steuerung durch Noten) “Die Notenvergabe kann z.T. von ihrer Funktion der Leistungsbeurteilung abgelöst und für die Personalverteilung instrumentalisiert werden.” Kritik: „Examina und Richterbeurteilungen (über die Qualität der richterlichen Tätigkeit) sind für die verwaltungsmäßigen Führungspositionen ohne besondere Aussagefähigkeit, da dafür andere Qualifikationen und ein anderes Persönlichkeitsprofil erforderlich ist.“ Gute Noten für gute Leistungen? “Aber die Leistung muss stimmen.” Eignungs- und Leistungsnote Beurteilungen geschlechtsneutral? Das Notensystem Das Krabbeln der Noten H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Der Besetzungsprozess Bewerbung „gefragt werden“ Z Bewerbungen auf höhere Positionen häufig nicht eigeninitiativ, sondern nach vorangegangener Aufforderung durch den Vorgesetzten Rücknahme von Bewerbungen Beurteilung (Anlassbeurteilung) Auswahl Ausschöpfung (innere Ausschärfung) von Zeugnissen Quote erst danach an letzter Stelle wirksam Besetzungsvoten Bekommt Bewerber/in nicht zu sehen; erst wenn er/sie in Konkurrentenstreit Akteneinsicht begehrt Das Nasenprinzip H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Homogenität der Justiz Es liegt […] der Fall einer klaren Kooption vor: die Gruppe wählt sich hinzu, wer sich dem Gruppengeist anpasst – immer adäquate, niemals heterogene Elemente. Das fängt bei der Justizprüfungskommission, und mit dem feinen Sieb des Personalreferenten geht´s weiter. Das Resultat ist dieser Richterstand. (Tucholski) H I N T E R D E N K U L I S S E N D E R J U S T I Z Kontakt Ulrike Schultz FernUniversität in Hagen Juristische Fakultät Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht Postfach 940 D 58084 Hagen IGG Institut für Geschlechterforschung und Gleichstellungsrecht und –politik, Kammannstr. 18, 58097 Hagen Tel.: *49 2331 870811 Fax: *49 2331 843408 E-Mail: [email protected] www.ulrikeschultz.de
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