Sitzungsprotokoll Nr. 75 - Landtag Mecklenburg Vorpommern

Landtag Mecklenburg-Vorpommern
6. Wahlperiode
Sozialausschuss
Protokoll Nr. 75
KURZPROTOKOLL
der 75. Sitzung des Sozialausschusses
am Mittwoch, dem 7. Oktober 2015, 9:00 Uhr
in Schwerin, Schloss, Plenarsaal
Vorsitz: Abg. Martina Tegtmeier
TAGESORDNUNG
1.
Öffentliche Anhörung zum Thema
Die Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg-Vorpommern
unter dem Blickwinkel des Haushaltsentwurfes der Landesregierung für
die Jahre 2016 und 2017
2.
Öffentliche Anhörung zum Thema
Bedeutung und Notwendigkeit öffentliche geförderter Beschäftigung bzw.
Beschäftigung schaffender Maßnahmen für die Integration
langzeitarbeitsloser Frauen und Männer in Mecklenburg-Vorpommern
(ca. 11:30 Uhr)
3.
Öffentliche Anhörung zum Thema
Erfahrungen mit und Zukunft der Krankenhausfinanzierung in
Mecklenburg-Vorpommern unter Berücksichtigung der
Haushaltsplanungen der Landesregierung 2016/2017, einschließlich der
Mittelfristigen Finanzplanung 2015 bis 2020
(ca. 14:00 Uhr)
- 75/12 PUNKT 1 DER TAGESORDNUNG
Öffentliche Anhörung zum Thema
Die Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg-Vorpommern
unter dem Blickwinkel des Haushaltsentwurfes der Landesregierung für
die Jahre 2016 und 2017
Vors. Martina Tegtmeier: Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich eröffne
hiermit die 75. Sitzung des Sozialausschusses. Zunächst möchte ich ankündigen,
dass wir von der heutigen Anhörung zum Doppelhaushalt 2016/2017 aus
arbeitsorganisatorischen Gründen ein Wortprotokoll fertigen werden. Gibt es
dagegen Einwände? Das ist nicht der Fall. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1:
„Die Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg-Vorpommern unter dem
Blickwinkel des Haushaltsentwurfes der Landesregierung für die Jahre 2016 und
2017“. Viele von Ihnen haben zwar schon an einer öffentlichen Anhörung hier
teilgenommen, trotz alledem muss ich es noch mal sagen: Ich begrüße natürlich
insbesondere auch unsere Gäste, die heute hier anwesend sind, sowie die Vertreter
der Medien. Da es sich um eine öffentliche Anhörung handelt, muss ich darauf
hinweisen, dass nur die Abgeordneten des Landtages und die Sachverständigen das
Wort ergreifen dürfen. Und ich möchte Sie bitten, soweit Sie Ihre Stellungnahmen
vorher schriftlich eingereicht - Ihre Wortbeiträge, sofern sie von den schriftlich
eingereichten
Stellungnahmen
abweichen,
uns
auch
in
schriftlicher
Form
hierzulassen, falls es noch nicht passiert ist. Ihre schriftlich eingereichten
Stellungnahmen, die vorab uns erreicht haben, die haben wir selbstverständlich zur
Kenntnis genommen, sodass wir Sie ja auch im Vorfeld schon gebeten haben, Ihre
mündlichen Ausführungen hier in 5 Minuten ungefähr so knapp zu umreißen, um
noch mal das Wichtigste hervorzuheben bzw. auch noch mal durchaus Ergänzungen
beizufügen. An der heutigen Sitzung nicht teilnehmen können der Landkreistag und
der Städte- und Gemeindetag, die sind beide entschuldigt, haben jedoch eine
schriftliche
Stellungnahme
eingereicht.
Ich
rufe
zunächst
auf
die
Landesarbeitsgemeinschaft „Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg-Vorpommern“
und hier ist uns Herr Olaf Hagen angekündigt. Herr Hagen, Sie haben das Wort.
Olaf Hagen (LAG „Kinder- und Jugendarbeit in M-V“): Ja, ich habe mich nicht
getraut, alleine herzukommen. Deshalb habe ich noch Herrn Fabian Vogel
mitgebracht,
ebenfalls
Sprecher
der
Landesarbeitsgemeinschaft.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
Die
- 75/13 Landesarbeitsgemeinschaft, ein Verbund von Mitarbeitern in den unterschiedlichen
Bereichen und über das Land verteilt – das ganz kurz vorweg. Frage1: Wie gut sind
die lokalen Jugendhilfeplanungen Ihrer Einschätzung nach auf die nach der
Kreisgebietsreform
geänderten
lokalen
Anforderungen
in
der
Kinder-
und
Jugendarbeit eingestellt? Die Landesarbeitsgemeinschaft sagt dazu: Insgesamt ist
die Jugendhilfeplanung in Mecklenburg-Vorpommern nicht gut aufgestellt. Es gibt
zwar vereinzelt gute Ansätze die dann aber oft an haushalterischen und anderen
strukturellen Rahmenbedingungen scheitern. Wir haben dazu eine Befragung
durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Befragung können wir auf Anfrage gerne zur
Verfügung stellen.
Fabian Vogel (LAG „Kinder- und Jugendarbeit in M-V“): Wie muss vor dem
Hintergrund des demografischen Wandels Kinder- und Jugendarbeit im Land
aufgestellt werden, um zukunftssicher zu sein? – Frage 2. Wir haben uns dabei
gedacht: Investitionen in Kinder und Jugendliche sind Investitionen in die Zukunft.
Entsprechend braucht es weniger Sparzwänge und mehr finanzielle sowie personelle
Ressourcen, weniger Kontrolle und mehr Vertrauen in die sozialarbeiterischen
Kompetenzen, weniger Regularien sowie mehr Freiräume, um Dinge nach
regionalem Bedarf und unter Einbeziehung von Kinder und Jugendlichen gestalten
zu können.
Olaf Hagen: Frage Nummer 3: Wird die Kinder- und Jugendarbeit auf kommunaler
Ebene Ihrer Ansicht nach bedarfsgerecht finanziert? Nein, aus Sicht der LAG
natürlich nicht, da die Bedarfe aus Sicht der LAG bisher nicht entsprechend
festgestellt wurden durch die Jugendhilfeplanung, bzw. da Ergebnisse der
Jugendhilfeplanung aus Sicht der LAG immer wieder an den finanziellen
Rahmenbedingungen vor Ort scheitern.
Fabian Vogel: Frage 4: Welche Herausforderungen ergeben sich aus den aktuellen
Migrationsbewegungen im Hinblick auf die kurz- und mittelfristige Ausrichtung von
Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg-Vorpommern? Zahlreiche. Und wir sind
sicher, uns sind noch nicht einmal wirklich alle bekannt. Aber in erster Linie sehen wir
als LAG hier Chancen und Gelegenheiten für neue gesellschaftliche Entwicklungen
in einem bunten und weltoffenen Mecklenburg-Vorpommern.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/14 Olaf Hagen: Frage 5: Worin sehen Sie die Ursachen für steigende Ausgaben in der
Kinder- und Jugendhilfe? Ich bitte jetzt einmal diesen ersten Abschnitt, sozusagen,
ich überspringe ihn. Mecklenburg-Vorpommern hat trotz zahlreicher Erfolge noch
immer erheblich mit den Folgen des Wandels der gesellschaftlichen Strukturen und
der demografischen Entwicklung zu kämpfen. Dass in diesem Flächenland mit der
geringsten Bevölkerungsdichte, dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen sowie den
höchsten Schulabbrecher- und Arbeitslosenquoten aller Bundesländer Menschen
und Familien quasi auf der Strecke bleiben, verwundert uns nicht. Und da sich diese
mehrdimensionalen und nicht kurzfristig lösbaren Problemlagen gegenseitig
verstärken, ist aus Sicht der LAG eher mit steigendem Hilfebedarf und steigenden
Kosten in diesem Handlungsfeld zu rechnen.
Fabian Vogel: Zu Frage 6: Existiert Ihrer Meinung nach ein sach- und
aufgabengerechtes Monitoring von Angeboten und Ausgaben im Bereich der Kinderund Jugendarbeit? Wenn nein, wie müsste ein solches Monitoring Ihrer Meinung
nach aussehen? Wir haben nachgeschaut und haben uns den Begriff „Monitoring“
noch mal angeschaut. „Monitoring“ ist ein Überbegriff für alle Arten der unmittelbaren
systematischen Erfassung eines Vorgangs oder Prozesses, um anhand von
Ergebnisvergleichen Schlussfolgerungen ziehen zu können. Eine Funktion des
Monitorings besteht darin, bei einem beobachteten Ablauf bzw. Prozess steuernd
einzugreifen, sofern dieser nicht den gewünschten Verlauf nimmt. Entsprechend
stellen wir die Gegenfrage – wer soll hier wen und was mit welchem Ziel auf dem
Monitor haben und wer bezahlt es? Frage 2, die wir stellen: Gäbe es ggf.
Alternativen zu einem sach- und aufgabengerechten Monitoring – z. B. eine
angemessene Jugendhilfeplanung, siehe Frage 2 - in den Landkreisen und
Kommunen inklusive fachlicher Begleitung durch die zuständigen Jugendämter und
Akteure der Kinder- und Jugendarbeit?
Olaf Hagen: Frage Nummer 7.
Vors. Martina Tegtmeier: Einen ganz kleinen Moment bitte.
Olaf Hagen: Ja.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/15 Vors. Martina Tegtmeier: Aufgrund der zeitlichen Abläufe – ich sagte ja vorhin
ungefähr 5 Minuten – möchte ich Sie wenigstens bitten, die Fragen nicht noch mal
vorzulesen. Der Katalog liegt uns ja vor. Sonst geht Ihnen das an Zeit verloren.
Olaf Hagen: Gut. Adäquat zu Frage 2 gilt auch hier – es kann nie genug Geld für die
Kinder- und Jugendarbeit geben und Investitionen des Landes in Kinder und
Jugendliche sind Investitionen in die Zukunft des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Auf welchem Weg und woher die notwendigen Gelder für die Kinder- und
Jugendarbeit kommen, ist dabei weder für die Zielgruppen noch für die
Mitarbeitenden der Kinder- und Jugendarbeit wirklich wichtig.
Fabian Vogel: Frage 8: Aus Sicht der LAG braucht es ein direktes Mitspracherecht
für Kinder und Jugendliche, dass in den Gesetzen/Ordnungen des Landes, der
Landkreise und Kommunen festgesetzt ist. Die LAG empfiehlt eine Regelung, wie sie
im Paragraph 47 f der Gemeindeordnung für das Land Schleswig-Holsteins verfasst
ist. Diese gesteht Kindern und Jugendlichen ein Recht auf Beteiligung in der Planung
von sie betreffenden Vorhaben und Mitentscheidungen zu. Entsprechende Formen
der Beteiligung und Mitwirkung von Kinder und Jugendlichen sind zu entwickeln.
Ergänzend dazu empfiehlt die LAG, das Wahlalter auch für Landtagswahlen in
Mecklenburg-Vorpommern auf 16 Jahre abzusenken.
Olaf Hagen: Frage 9: Ja, die Vielfalt der verschiedenen Träger mit ihren Angeboten
und Leistungen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit ist aus Sicht der LAG
sinnvoll
und
entspricht
dem
im
Paragraph
3
SGB
VIII
verfassten
Subsidiaritätsprinzip.
Fabian Vogel: Frage 10: Der Bedarf beim Klientel steigt, siehe Frage 5. Die
Aufgabenfelder erweitern sich, siehe Frage 4, und der Aufwand z. B. für
Dokumentation und Verwaltung steigt stetig. Aber die Rahmenbedingungen für die
soziale Arbeit entwickeln sich nicht im gleichen Maße bzw. sind nicht wie erforderlich
vorhanden. Problemfelder für die Jugend- und Sozialarbeit sind aus Sicht der LAG
steigende
Arbeitsbelastung
der
Mitarbeiterinnen
und
Mitarbeiter,
fehlende
Perspektive für Träger und Mitarbeitende im Arbeitsfeld aufgrund von Befristungen,
bei den Förderstrecken noch immer unklare und die Praxisvielfalt der Jugend- und
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/16 Schulsozialarbeit nicht umfänglich reflektierende Förder- und Prüfkriterien des
Landes und der EU. Breite und Umfang von Angeboten der Jugend- und
Schulsozialarbeit § 13 SGB VIII drängen die ebenfalls erforderlichen Angebote der
Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendverbandsarbeit auch finanziell an den
Rand bzw. verhindern diese. Frage 11: In Ergänzung zum bereits getroffenen
Ausführungen Punkt 4, 5, 7 und 10 besteht aus Sicht der LAG in der Jugend- und
Schulsozialarbeit bei Mitarbeitenden und Trägern der Bedarf, dass es verlässliche
und sich in den konkreteren und entwickelten Erfordernissen anpassbare
Rahmenbedingungen gibt, z. B. in der Finanzierung und personellen Ausstattung und
auch mit Sicht auf die Klientel der Jugend- und Schulsozialarbeit braucht es genau
das: verlässliche Angebote, welche angemessen auf die konkreten Bedarfe
reagieren können und die nicht permanent von der Verwaltung und Politik hinterfragt
werden. Denn in welchen Zusammenhängen Kinder und Jugendlichen die für sie
richtigen und wichtigen Lernfelder vorfinden und auf welchem Weg sie ihre je
eigenen Lebenserfahrungen sammeln können, wissen in der Regel die Fachkräfte
und Träger vor Ort am besten und können dieses entsprechend aufgreifen und
umsetzen. Frage 12: Die schwierige finanzielle Lage der Landkreise und kreisfreien
Städte führt zu nicht immer einfachen Kofinanzierungsstrukturen, was einer
kontinuierlichen und nachhaltig gesicherten Finanzierung der Stellen widerspricht. Es
gibt z. B. Modelle, wo 50/50-Finanzierung ist von Landes- und Landkreismittel. Es
gibt 33/33/33-Prozent-Finanzierung. Es gibt 50/25/25-Prozent-Finanzierung und es
gibt Landkreis-Kommunen und Trägermittel, die eine Stelle im Bereich der Jugendoder Schulsozialarbeit finanzieren. Dies nur als Beispiel. Frage Nummer 13: Eine
angemessene, dauerhafte, sich nicht an wechselnden Förderschwerpunkten bzw.
unklaren Bemessungskriterien orientierende finanzielle Absicherung der Jugend- und
Schulsozialarbeit ist grundsätzlich wünschenswert. In dem Sinne wären bzw. sind
grundsätzlich auch ESF-Mittel zur Finanzierung dieses Arbeitsfeldes geeignet. Frage
14:
Eine
Vorbemerkung:
Netzwerkarbeit
ist
auch
im
Sinne
des
ESF-
Förderprogramms förderfähig, jedoch darf sie einen bestimmten Prozentsatz der
Arbeitszeit nicht überschreiten und ist in ihrer Notwendigkeit für die Erreichung der
Aufgabenstellung Jugend- und Schulsozialarbeit zu begründen. Und genau hier wird
aus Sicht der LAG bereits ein wesentlichen Dilemma sichtbar. Es ist richtig und
wichtig, dass die verschiedensten Tätigkeiten in der Jugend- und Schulsozialarbeit
reflektiert und zielorientiert geplant und wahrgenommen werden. Aber die Praxis der
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/17 Jugend- und Schulsozialarbeit muss sich an den Bedarfen der Zielgruppen
orientieren und nicht allein Begrifflichkeiten von Förderrichtlinien und Prüfkriterien
reflektieren. Frage 15: Hierzu kann die LAG bisher keine Auskunft geben, da
abgesehen von der aus unserer Sicht notwendigen Anhebung der Landesförderung
bisher
keine
inhaltliche
Auseinandersetzung
mit
diesem
Themenkomplex
stattgefunden hat. Frage 16: Mehr Geld insgesamt, mit dem die Kreise und
Kommunen auf die regionalen spezifischen Bedarfe auch unabhängig von
Förderstrecken oder Programmen reagieren können. Frage 17: Auch hier kann die
LAG bisher keine Auskunft geben. Frage 18: Kaum bis gar nicht, wenn z. B. für den
Betrieb einer Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit nur eine
Personalstelle verfügbar ist bzw. finanziert wird, stellt schon die Abdeckung des
Regelbetriebs aus Sicht der LAG eine klare Überlastung dar. Und mit Hinblick auf die
Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit körperlichem Handicap, z. B.
Rollstuhlfahrern, sind die erforderlichen räumlichen und baulichen Gegebenheiten in
der Regel nicht vorhanden, auch weil investive Mittel in diesem Bereich nicht
Bestandteil von Förderstrecken sind. Frage 19: Die LAG ist der Ansicht, diese Frage
bereits umfänglich zu anderen Fragen beantwortet zu haben. Danke.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Als nächstes ist der Landesjugendring dran.
Hier liegt eine gemeinsame Stellungnahme mit dem Landesjugendhilfeausschuss vor
und das Wort hat jetzt Herr Heibrock. Bitte.
Friedhelm Heibrock (Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern): Ja, vielen
Dank. Es wurde schon gesagt, dass ich diese Stellungnahme, die schriftlich vorliegt,
eben
für
beide
Gremien
abgebe,
für
den
Landesjugendring
und
den
Landesjugendhilfeausschuss. Ich will mal versuchen, einfach mal so ein paar
Brücken und paar Bögen zu spannen, wobei gleich in der Überschrift Ihres
Fragenkatalogs bzw. dieser Anhörung „unter dem Blickwinkel des Haushaltes
2016/2017“, das ist für mich ein relativ kurzer Blickwinkel. Ich gucke vielfach schon in
die nächste Legislaturperiode hinein und werde an vielen Stellen auch feststellen,
das konnten Sie auch nachlesen, dass da noch einiges bewegt werden muss. Zur
Jugendhilfeplanung ist schon einiges gesagt worden. Sie wissen, dass es da von
1994 eine Mitteilung über die Prüfung des Landesrechnungshofes zur Kommunalen
Jugendhilfeplanung gegeben hat. Und wenn man sich die mal genauer anschaut,
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/18 dann sieht man, dass da festgestellt wird, dass es zwar in jedem Landkreis, jeder
kreisfreien Stadt Jugendhilfeplanung gibt bzw. Personalstellen dafür, aber dass es
noch, so wird da gesagt, auf alle Fälle Potenzial an Verbesserungen gibt, vor allen
Dingen auch hinsichtlich qualitativer Aspekte. Und was noch festgestellt wird und
was mir auch wichtig ist, ist, dass auf der Landesebene – so stellt der
Landesrechnungshof fest – ein fachlicher Diskurs fehlt. Der ist auch mit der Aufgabe
des staatlichen Landesjugendamtes eingeschlafen. Das hatte es früher mal
ansatzweise gegeben. Und ich halte es einfach für wichtig, dass dieser fachlicher
Diskurs wieder in Gang gesetzt wird, eben um auch Rahmenbedingungen für
Jugendhilfeplanung in den Kommunen zu schaffen. Ich schlage mal eine Kurve ganz
nach hinten. Was ich mir perspektivisch vorstelle darüber hinaus, dass es das
wiedergibt, was mal mit einer Änderung des Jugendhilfeorganisationsgesetzes
eingestellt worden ist, nämlich ein Kinder- und Jugendprogramm für MecklenburgVorpommern. Vielleicht kann man das einfach auch noch unter dem Blickwinkel
sehen, dass wir versuchen, auch in der nächsten Legislaturperiode Kinder- und
Jugendpolitik wieder als Querschnittsaufgabe zu sehen und z. B. mit Auftrag - oder
durch Erarbeitung von Themen durch die Landesregierung, meinetwegen auch den
Landesjugendhilfeausschuss - dann eine unabhängige Kommission arbeiten lässt,
um Kinder- und Jugendpolitik in diesem Land, oder der auch neuen Perspektive zu
geben. Was uns alle beschäftigt, ist die zunehmende Anzahl von jungen,
geflüchteten Ausländern in unserem Land. Wir haben da im Blickpunkt nicht nur die
vielfach erwähnten unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, sondern auch all die,
die
mit
ihren
Familien
hier
sind.
Ich
kann
nur
sagen,
dass
sich
die
Jugendverbandsarbeit und die Jugendarbeit da dieser Aufgabe mehr und mehr
stellen. Es gibt da erste Projekte und Angebote, wobei das Ganze noch ausbaufähig
ist. Ich selbst erarbeite gerade eine Handreichung für diesen Bereich, auch für
Jugendorganisationen. Wichtig erscheint mir, wenn solche Projekte auch durch den
Landesjugendplan gefördert werden, dass das Projekte sind der Integration, d.h.
dass immer deutsche und ausländische junge Menschen berücksichtigt werden.
Über den Mehrbedarf, den es da geben kann, auch an Landesmitteln, kann ich
zurzeit noch nichts sagen. Das wird aber auf alle Fälle auch auf uns zukommen.
Damit komme ich zum Landesjugendplan, also den Mittel, die das Land zur
Verfügung stellt. Im Haushalt 2016/2017 auf den ersten Blick ist das auskömmlich,
was da eingestellt wird. Allerdings habe ich eben schon gesagt, dass da
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/19 Herausforderungen auf uns zukommen, z. B. durch die Arbeit auch mit jungen
geflüchteten
Ausländern.
Vielleicht
könnte
man
das
entlasten
oder
den
Landesjugendplan dadurch entlasten - ich weiß, dass es solche Überlegungen schon
gegeben hat - langjährige Projekte, die aus dem Landesjugendplan gefördert werden
wie z. B. Schule und Verein, aber auch die Beteiligungskampagne des
Landesjugendringes da rauszunehmen, anders im Haushalt zu verankern, um
einfach wieder in diesen Richtlinien zum Landesjugendplan Luft zu schaffen für
Projekte, die in Zukunft anstehen. Sie haben dann gefragt, nach – ich nehmen jetzt
einzelne
Punkte
heraus
–
nach
einer
Novellierung
des
Kinder-
und
Jugendförderungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern, dieses Gesetz, was wir seit
1997 haben. Ich kann hier gleich vorwegsagen: Meines Erachtens ist das keine
Aufgabe mehr, die in dieser ja noch relativ kurzen Legislaturperiode bewältigt werden
kann, aber anstehen muss für die nächste Legislaturperiode. Das hat mehrere
Hintergründe. Sie wissen alle, dass die Finanzierung der Jugendsozialarbeit und der
Schulsozialarbeit im Laufe der nächsten Legislaturperiode auslaufen wird. Das ist
alles zum größten Teil ESF finanziert und von daher müssen die Jugendsozialarbeit
oder muss der auch eine Grundlage in KJFG gegeben werden und auch die
Schulsozialarbeit sollte meines Erachtens eine gesetzliche Grundlage im KJFG
erhalten, eben als eine Aufgabe der Jugendhilfe. Wenn das vorweg nicht schon der
Bundesgesetzgeber vorwegnimmt, der ja auch an einer Novellierung des SGB VIII
arbeitet und da durchaus auch diskutiert wird auf Bundesebene, ob man die
Schulsozialarbeit mit ins SGB VIII aufnimmt. Die kommt da ja zurzeit nicht vor. Des
Weiteren geht es um die Förderung der Jugendarbeit nach dem Landesjugendplan.
Auch hier haben wir die berühmt berüchtigten 10,22 €. Über die Bedarfe muss ich
nichts sagen. Dieser Betrag könnte angehoben werden, dann auch im Laufe der
nächsten Legislaturperiode, ebenso wie das, was über die Kommunalverträge den
Kommunen zur Verfügung gestellt wird. Allerdings nur dann, wenn die Kommunen
gleichzeitig verpflichtet werden, ebenso diesen Betrag, der vom Land zur Verfügung
gestellt wird, in gleicher Höhe zu komplementieren. Es gibt da noch weitere Punkte,
die finden Sie da noch, wenn man die Novellierung des KJFG angeht, berücksichtigt
werden könnten. Die werde ich jetzt im Einzelnen nicht aufzählen. Ich will nur noch
einen Punkt benennen, den Sie auch gefragt haben, nämlich den Wegfall des Titels
633.62 „Jugendarbeit öffentlicher Träger außerhalb der Förderung nach dem KJFG“.
Das ist anderer Stelle nochmal wieder aufgenommen worden. Ich halte das für einen
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/20 Rückschritt gegenüber dem Haushalt 2014/15. Ich weiß, dass Sie diesen Titel hier im
Landtag eingeführt haben. Ich finde, dass die Mittel für die Kommunalverträge, oder:
Die Mittel für die Kommunalverträge sinken eben anhand der sinkenden Zahl der 10bis 26-jährigen. Und dieses Sinken muss meines Erachtens auch unbedingt
aufgefangen werden. Zumal die Landkreise mehr und mehr eben nur noch diese
5,11 € pro 10- bis 26-jährigen in ihren Haushalten komplementieren. Das ist hier in
Schwerin inzwischen so beschlossen worden. Ich weiß aus dem Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte, da hat der Landrat in einem Schreiben darauf
hingewiesen,
dass
dort
beschlossen
worden
ist,
von
9
€
auf
7
€
Komplementärfinanzierung herunterzugehen. D.h., die Kommunen selbst senken
ihre Komplementärmittel für die Kinder- und Jugendarbeit und gleichzeitig sinken
auch die Mittel, die das Land zur Verfügung stellt bei dem gegenwärtigen Rückgang
der 10- bis 26-jährigen. Vielleicht soweit erstmal.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank Herr, Heibrock. Als nächstes hat Dr. Rainer
Boldt das Wort vom Landkreis Rostock. Auch hier liegt eine schriftliche
Stellungnahme bereits vor. Bitte sehr.
Dr. Rainer Boldt (Landkreis Rostock): Ja, meine Damen und Herren, die schriftliche
Stellungnahme haben wir eingereicht. Vielleicht zu einigen Punkten, oder zu den
Schwerpunkten. Die Landkreise und kreisfreien Städte in Mecklenburg-Vorpommern
stellen erhebliche finanzielle Mittel für die Kinder- und Jugendarbeit und für die
Jugendsozialarbeit bereit. Hinzu kommen die Mittel der kreisangehörigen Städte und
Gemeinden, die diese für sie ja freiwilligen Leistungen auch bei einer teilweise
prekären Haushaltssituation erbringen. Ich kenne also im Moment keine Gemeinde,
die sich dieser Aufgabe verwehrt. Aber, wie gesagt, in teilweise prekärer
Haushaltssituation. Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass Kinder- und
Jugendarbeit nach § 11 und Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII in der Praxis
nicht getrennt werden können. Jugendsozialarbeit darf dabei keinesfalls auf
Schulsozialarbeit reduziert werden, sondern sie ist integraler Bestandteil der Arbeit in
den Jugendclubs und Jugendeinrichtungen. Die verschiedenen Angebote nach den
§§ 11 und 13 müssen durch gut organisierte Schnittstellen und Querschnittsarbeit
eng miteinander verbunden werden. Der Landkreis Rostock hat dazu einheitliche
Qualitätsstandards für die Förderung der Jugendarbeit/ Jugendsozialarbeit erarbeitet,
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/21 die sich seit etwa zwei Jahren in der Praxis gut bewährt haben. Meine Damen und
Herren, wir beobachten, dass in die Jugendclubs und Jugendeinrichtungen heute
vorrangig Kinder und Jugendliche kommen, die in besonderer Weise auf Hilfe der
Jugendsozialarbeit angewiesen sind. Veränderte Familienstrukturen und oftmals
instabile
Familienbindung
spielen
dabei
eine
wichtige
Rolle.
Die
hohen
gesellschaftlichen Anforderungen an Familien können von diesen oft nicht mehr
vollständig erfüllt werden. Das wirkt sich negativ auf das Selbstbewusstsein der
Eltern und der Kinder aus und fordert immer häufiger das Eingreifen des
Jugendamtes mit finanziell sehr aufwändigen Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung.
Wir beobachten auch, dass Kinder und Jugendliche aus relativ unbelasteten Familien
eher Angebote in den Bereichen Sport und Kultur annehmen und offene
Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit weniger nutzen. Die Kinder- und
Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII hat sich damit in den vergangenen Jahren aufgrund
der geänderten Zielgruppen in den Jugendeinrichtungen als ein wichtiger
niederschwelliger Zugang und als eine geeignete Methode erwiesen, um diejenigen
zu erreichen, die letztlich auch von Angeboten der Jugendsozialarbeit profitieren.
Das kann soziale Spannungen mindern und nicht zuletzt die Kosten der Jugendhilfe
senken. Jugendeinrichtungen sind dabei offen für alle. Insbesondere für Kinder und
Jugendliche aus sozial prekären Verhältnissen und für Kinder und Jugendliche mit
Migrationshintergrund sind die verschiedenen Integrationsangebote der Kinder- und
Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit transparent abzustimmen und zu
verknüpfen. Kommunikation und Kooperation spielt hierbei eine zentrale Rolle. Es
bleibt deshalb weiterhin dringend erforderlich, die Kinder- und Jugendarbeit und die
Jugendsozialarbeit im Land bedarfsgerecht zu fördern. Der Landkreis Rostock hat im
Rahmen seiner Haushaltskonsolidierung für den Zeitraum bis 2017 ein festes Budget
für die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit
festgeschrieben. Wir liegen
da
deutlich
über
dem
vertraglich
geforderten
Mindestbetrag von 5,11 €. Der tatsächliche Betrag, den wir dazu einsetzen, liegt bei
ca. 17 € pro Kind und Jugendlichen. Die kreisangehörigen Gemeinden, ich hatte das
schon gesagt, leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten ebenfalls erhebliche finanzielle
Beiträge. In unserem Landkreis konnte dadurch über Jahre ein fester Personalstamm
an Jugend- und Schulsozialarbeiterinnen gebildet werden, in jedem unserer 23
Sozialräume gibt es Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und an jeder weiterführenden
Schule und an mehreren Grundschulen auch Schulsozialarbeit. Leider sind die Mittel,
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/22 die das Land über das KJFG zur Verfügung stellt, nicht auskömmlich. Die seit Jahren
angewandte Pro-Kopf-Pauschale von 5,11 € deckt nur einen Bruchteil der
anfallenden Kosten und ignoriert sowohl die Entwicklung der Personalkosten als
auch die zunehmende Bedeutung der Kinder- und Jugendarbeit. Der Landkreis
Rostock konnte dieses Defizit im Verbund mit den kreisangehörigen Städten und
Gemeinden noch einigermaßen ausgleichen. Andere Regionen dieses Landes sind
dazu jedoch kaum in der Lage. Hier muss das Land deutlich stärker als bisher eine
Ausgleichsfunktion übernehmen. Ich sage das auch vor dem Hintergrund
bestehender Förderungen aus dem ESF, die sich ja in den nächsten Jahren – das
hat mein Vorredner schon betont – ändern werden. Der ESF orientiert als
Arbeitsmarktpoltisches Programm hauptsächlich auf die berufliche Integration, auf
die berufliche Eingliederung junger Menschen. Jugend- und Schulsozialarbeit soll
jedoch laut KJFG durch sozialpädagogische Begleitung die jungen Menschen zu
einer selbstständigen Lebensgestaltung befähigen. Das ist mehr als nur eine
berufliche Eingliederung. Die Pro-Kopf-Förderung des Landes nach dem KJFG sollte
also deutlich erhöht werden. Das ermöglicht den Landkreisen und den kreisfreien
Städten eine bessere finanzielle Absicherung der Aufgaben. Nun noch zu einem
speziellen Problem. Im Kapitel 10.25 ist der Wegfall des Titels Jugendberufshilfe für
uns besorgniserregend. Das Land hat im Landeskonzept Übergang Schule und
Beruf, die Bildung von Arbeitsbündnissen Jugend und Beruf und die Initiierung von
Jugendberufsagenturen politisch festgeschrieben. Der Landkreis Rostock hat mit
finanzieller Beteiligung des Landes als Modellprojekt seit Juli 2014 eine besondere
Form der Jugendberufsagentur umgesetzt und erwartet auch 2016 eine weitere
Förderung. Insofern ist es dringend erforderlich, diesen Titel nicht wegfallen zu
lassen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Kinder- und Jugendarbeit
in Mecklenburg-Vorpommern stetig weiterentwickelt, bisherige Aufgaben sich
verändern, andere Aufgaben hinzukommen, insbesondere die Aufgabe der
Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Die Entwicklung sollte nicht
ausschließlich an demogafischen Zahlen festgemacht und danach finanzielle Mittel
ausgereicht werden. Vielmehr geht es um flächendeckende, qualitativ hochwertige
Angebote, die den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen in
Mecklenburg-Vorpommern entsprechen. Dazu bedarf es eines hohen Engagements
der
Landkreise,
der
Städte
und
freien
Träger
und
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
einer
verlässlichen
- 75/23 Landesförderung. Diesem Anspruch wird der Haushaltsansatz 2016/2017 nicht
vollständig gerecht. Soweit meine Stellungnahme.
Vors.
Martina
Tegtmeier:
Vielen
Dank,
Dr.
Boldt.
Für
den
Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte spricht jetzt Herr Michael Löffler. Bitte.
Michael Löffler (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte): Sehr geehrte Damen und
Herren, sehr geehrte Frau Tegtmeier. Ich komme gleich zu dem Fragenkomplex und
fange zu eins an. Die Kreisgebietsreform stellt die Jugendämter vor die schwierige
Aufgabe, zunächst einmal eine Angebotserfassung vorzunehmen, sodann eine
Harmonisierung der sehr verschiedenen Finanzierungsmodelle einzuleiten. Dies
führte teilweise zu schmerzhaften Einschnitten für einige Städte und Gemeinden. Nur
durch enge Zusammenarbeit mit den Ämtern und Trägern der Kinder- und
Jugendarbeit
war
es
möglich,
eine
Jugendhilfe
mit
Rahmen
für
Handlungsempfehlungen für die Zukunft zu erarbeiten, die die sozialräumlichen
Gegebenheiten berücksichtigen und dennoch die gewachsenen Strukturen achten.
Die Jugendhilfeplanung ist darüber hinaus ein wesentliches Steuerinstrument. Die
Jugendhilfe ist somit bedeutsam und unverzichtbar. Es galt aus drei Landkreisen und
einer kreisfreien Stadt eine Einheit unter Berücksichtigung der jeweiligen, jeweils
regionalen aber auch fachpolitisch gewachsenen Bedingungen zu schaffen. Aus vier
mach eins, dies gelang durch die erste Jugendhilfeplanung, Jugendförderung Teil 1,
die im September 2012 durch den Jugendhilfeausschuss beschlossen wurde. Bereits
am 24.04.2014 wurde diese Planung qualifiziert fortgeschrieben, sodass eine
gesicherte Bestandsaufnahme für die Leistungsbereiche des §§ 11 - 14 SGB VIII
vorliegt. Alle nominierten Handlungsempfehlungen wurden durch die beteiligten
Träger der Jugendhilfe gemeinsam und partnerschaftlich mit dem Jugendamt
umgesetzt. Nun stehen wir davor für 2016, dem Jugendhilfeausschuss die ersten
Bedarfsplanungen der Jugendförderung vorzulegen. Dies ist orientiert an den
jeweiligen Sozialräumen, aber auch an den ausgewählten Sozialindikatoren. Die
Jugendhilfeplanung
ist
im
Landkreis
Mecklenburgische-Seenplatte
sehr
gut
aufgestellt, möchte ich hier festhalten. Zu 2.: Jugendförderung gehört für den
öffentlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu den Pflichtaufgaben, mit einem
sogenannten Gestaltungsspielraum nach § 74 Absatz 3 SGB VIII. Über die Art und
Höhe der Förderung entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/24 der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Zahl der 10 bis
26 jährigen ist im Landkreis Mecklenburgische-Seenplatte rückläufig. Das hat zur
Folge, dass wir im Jahr 2013 über 38.661 Jugendliche hatten. 2014 waren es nur
noch 36.566 und 2015 34.050. Ein Rückgang der Zielgruppe hat jedoch nicht zur
Folge, dass weniger Angebote benötigt werden. Die Strukturen der Jugendförderung
im ländlichen Raum müssen aufrechterhalten werden, um auf die Entwicklung junger
Menschen durch eine qualifizierte Jugendarbeit Einfluss zu nehmen. Dafür werden
aber auch sichere, verlässliche und auskömmliche Finanzierungen benötigt, die
unabhängig von einer pro Kopf Finanzierung sind. Zu 3.: Eine Angabe der
Jugendhilfeplanung ist die Bedarfsbestimmung nach § 18 SGB VIII. Da hat der
Gesetzgeber den Auftrag formuliert, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe im
Rahmen ihrer Planungsverantwortung den Bedarf unter Berücksichtigung der
Wünsche und Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personen
mit Sorgeberechtigung für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln haben sollen.
Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass Bedarf nicht mit individuellem Bedürfnis
gleichzusetzen ist. Weil aber beides in Beziehung zueinander steht, Dienste oder
Leistungen, die sowohl zu der Befriedigung von Bedürfnissen als auch zur
Beseitigung des Mangels für erforderlich gehalten werden oder aufgrund
gesellschaftstheoretischer
und
politischer
Vorstellung
zur
Gestaltung
des
gesellschaftlichen Zusammenlebens für notwendig erachtet werden, bedarf es
demnach der politische Verarbeitung von Bedürfnissen. Es ist die Eingrenzung von
Bedürfnissen, die aufgrund politischer Entscheidung für erforderlich und gleichzeitig
für machbar gehalten werden. Eine bedarfsgerechte Finanzierung der Kinder und
Jugendarbeit findet im Land MV nur bedingt statt, nämlich immer im Rahmen der zur
Verfügung stehenden Haushaltsmittel. Zu 4.: Kinder- und Jugendarbeit versteht sich
immer mehr als ein niederschwelliges Angebot der Jugendhilfe. Umso wichtiger ist es
natürlich, dass sich der Leistungsbereich der §§ 11 – 14 im SGB VIII bedarfsgerecht
an den derzeitigen Erfordernissen ausrichtet. Es gibt bereits viele gute Beispiele
dafür, wie es gelingt, minderjährige Ausländer in die Kinder- und Jugendarbeit zu
integrieren.
Aber
dazu
Erfahrungsaustausche,
benötigen
aber
auch
die
Träger
finanzielle
qualifizierte
Unterstützung.
Fortbildungen,
Der
Landkreis
Mecklenburgische-Seenplatte ist Träger des Bundesprogramms „Partnerschaft für
Demokratie“. Durch dieses Programm können Projekte z.B. der Willkommenskultur
und Integration fachlich beraten, aber auch finanziell untersetzt werden. Zu 5.: Es
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/25 muss besser gelingen die Leistungsbereiche der §§ 11 – 14 SGB VIII bewusster und
verbindlicher flankierend in den Bereich der pflichtigen Hilfen zur Erziehung
einzubeziehen. Für die Jugendförderung besteht ein klares Fachkräftegebot.
Weshalb nutzen wir nicht genau diese Fachkräfte, ihre Ressourcen, bevor es zu
pflichtigen Aufwendungen der Jugendhilfe kommt? Es ist immer eine Einzelfrage.
Aber in den sozialpädagogischen Abwägungen und den Hilfeplanungsprozessen
muss die Jugendförderung verbindlich einbezogen werden. Dadurch können wir
teilweise den steigenden Ausgaben in der Jugendhilfe entgegenwirken. Zu 6.: Mit der
Fortschreibung der Jugendhilfeplanung für den Bereich Jugendarbeit im Landkreis
Mecklenburgische-Seenplatte wurde ein sach- und aufgabengerechtes Monitoring
erarbeitet und gemeinsam mit dem Träger der Jugendförderung entwickelt. Hier
können konkret die Aufwendungen für die verschiedenen Angebotspaletten in der
Jugendarbeit geliefert, Bedarfe klar genannt und abgeleitet, aber auch Sozialräume
miteinander verglichen werden. Zu der Frage 7.: Bereits in einem Schreiben des
Landrates des Landkreises Mecklenburgische-Seenplatte vom 19.06.2015 an Frau
Birgit Hesse und an den Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern wurde zur
Absicherung einer zukunftsgesicherten Kinder- und Jugendarbeit eine Änderung der
gesetzlichen Regelung des Landes MV für den Bereich der Jugendförderung
angeregt. Zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen soll auch hier auf diesen
Inhalt nochmals verwiesen werden. Gemäß § 6 Absatz 2 KJFG wird zwischen dem
örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und dem Land MecklenburgVorpommern, vertreten durch das Ministerium als oberster Landesjugendbehörde,
eine Vereinbarung zum Umfang der Jugendförderung hinsichtlich Zusammensetzung
und Höhe der Anteile für eine Laufzeit von 3 Jahren beschlossen, unser
Kommunalvertrag. Gemäß § 6 Absatz 3 ergibt sich die Höhe und Zusammensetzung
der Landesförderung als Mindestbetrag pro Kopf der in den Gebieten der örtlichen
Träger der öffentlichen Jugendhilfe lebenden 10 bis 26 jährigen Einwohner, wie
durch Landesverordnung bestimmt wird. Die Zahl der 10 bis 26 jährigen Einwohner
wird jährlich auf Grundlage der Erhebung des statistischen Amtes durch die oberste
Landesjugendbehörde festgelegt. Die Höhe der Landesförderung ist in Kraft getreten
am 27.01.1998 und gemäß § 1 Abs. 2 JuföVO auf 10 DM, sprich die 5,11 €,
festgesetzt. Seit Inkrafttreten dieser Vereinbarung wurde die Höhe dieser pro Kopf
Finanzierung von Landesseite nicht verändert und damit in keinen Bezug zu Inflation
und Tarifänderungen gesetzt. Im Ergebnis wurde nicht angemessen auf Erhöhung
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/26 der Gesamtausgaben für Einrichtung und Projekte in der Jugendförderung reagiert.
Die Förderung des Landes muss durch den örtlichen Träger der öffentlichen
Jugendhilfe angemessen, mindestens in gleicher Höhe ergänzt werden. Der
Landkreis Mecklenburgische Seenplatte hat in der aktuellen Vereinbarung 2013 bis
2015 anstelle von 5,11 € kreisliche Ergänzungsmittel von 9 € aufgebracht, um die
Struktur weitestgehend zu sichern. Für diesen Zeitraum haben sich, die zur
Verfügung stehenden Haushaltsmittel aufgrund der sinkenden Anzahl der 10 bis 26
jährigen wie folgt entwickelt. Wir haben in der Gesamtsumme in 2013 545.600 € zur
Verfügung gehabt. Im Jahr 2014 waren es nur noch 516.000 €. Im Jahr 2015 sind
nur noch 480.445 €. Die jährliche Reduzierung der Haushaltsmittel aufgrund
demografischen Entwicklung lag bei 29.600 € bis 35.555 €. Der Zurückgang der
Zielgruppe hat jedoch nicht zur Folge, dass weniger Angebote benötigt werden. Die
Strukturen der Jugendförderung im ländlichen Raum müssen aufrechterhalten
werden, um auf die Entwicklung junger Menschen durch qualifizierte Jugendarbeit
Einfluss zu nehmen. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte wurde am
27.02.2015 aufgefordert, eine neue Vereinbarung für den Zeitraum 2016 bis 2018
abzuschließen. Am 8.12.2014 hat der Kreistag des Landkreises Mecklenburgische
Seenplatte
beschlossen.
mehrheitlich
In
diesem
ein
Haushaltssicherungskonzept
Zusammenhang wurde
die
des
Höhe
der
Landkreises
kreislichen
Ergänzungsmittel für den neuen abzuschließenden Kommunalvertrag ab dem Jahr
2016 auf 7 € festgesetzt. Sie sehen, auch wir sind aufgrund der Lage des Haushalts
gezwungen, unsere Mittel abzusenken. Dazu sind in den Haushaltsjahren 2014 bis
2015 des Landes Ergänzungsmittel geschaffen worden. Eine Weiterleitung der Mittel
an
die
örtlichen
Träger
der
öffentlichen
Jugendhilfe
im
Rahmen
einer
Neuverhandlung der bestehenden Vereinbarung erfolgte nicht. Die auf dem Stand
2012 festgesetzten Mittel des Landes können somit nicht für vorhandene Strukturen
und Angebote eingesetzt werden. Die Träger von Jugendeinrichtungen und
Projekten aber auch Ferienfreizeiten und Jugendbegegnungen arbeiten bereits jetzt
am finanziellen Minimum bzw. kompensieren erhöhte Gesamtausgaben Jahr für Jahr
mit
höheren
Eigen-
und
Drittmitteln.
Strukturen
und
Prozessqualität
sind
Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit von Angeboten der Jugendförderung. Mit
sinkenden Zuwendungen werden sowohl Einsparungen in der Ausstattung von
Einrichtung und Projekten sowie hinsichtlich Quantität und Fachlichkeit des
Personals in Kauf genommen. Um angemessen auf den Bedarf an Leistungen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/27 gemäß Paragraph 11 bis 14 SGB VIII zu reagieren und eine Kostensteigerung der
Träger zu berücksichtigen, wird folgende Novellierung empfohlen: Paragraph 6
Absatz 3 KJfG, für die Höhe und Zusammensetzung der Landesförderung nach
Absatz 1 gelten als Mindestbetrag pro Kopf in den Gebieten der örtlichen Träger der
öffentlichen
Jugendhilfe
lebenden
10-
bis
26-jährigen
Einwohner
durch
Landesverordnung bestimmt. Die Zahl der 10- bis 26-jährigen Einwohner wird auf
Grundlage
der
Erhebung
des
Statistischen
Landesamtes
zum
31.09.2009
festgesetzt. Zu Paragraph 1 Absatz 2 JuFöVO MV: Die Höhe der Landesförderung
ist auf 10 € festgesetzt. Die vorhandenen Ausführungen machen deutlich, dass die
Kinder- und Jugendarbeit mit den sich jedes Jahr minimierenden Mitteln nicht in der
bisherigen Qualität und Quantität fortzuführen ist. Verschiedendlich wurde bereits in
dieser und auch in der vergangenen Legislatur auf politischem Wege versucht, die
Förderbeträge in der Jugendförderung zum KJfG aufzuheben bzw. Gesetze zu
novellieren. Leider haben diese politischen Bemühungen jedoch keine Anpassung
des KJfG und der dazugehörigen Verordnung bewirkt. Gleichwohl ist für die
Förderung der Jugendarbeit die zugrunde liegende demografische Entwicklung der
10- bis 26-jährigen in unserem Land nicht mehr geeignet, weiterhin die
Jugendförderung für kommende Jahre verlässlich abzusichern und die örtlichen
Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei ihrer Aufgabe wirkungsvoll zu unterstützen.
Es ist eine jugendpolitische Aufgabe für die kommende Legislatur, eine Mehrheit zu
finden, die eine Veränderung bzw. Anpassung des KJfG bewirkt, um die
Kommunalverträge künftig neu zu gestalten. Zur Frage 8: Vergleiche Antwort zur
Frage 7, die war ja sehr ausführlich. Frage 9: Entschuldigung – Trägervielfalt im
Kontext mit dem Wunsch- und Wohlrecht ist feste normativ nach dem SGB VIII. In
der Jugendförderung zeigt sich eine sehr große Vielfalt innerhalb der Trägerstruktur.
Es zeigt sich aber immer wieder, dass langjährige und erfahrene Träger der
Jugendförderung ihre Tätigkeiten und ihre Angebote niederlegen und beenden. Als
Gründe werden die unsichere Finanzausstattung, aber auch der zunehmend und
unverhältnismäßige
Aufwand
hinsichtlich
des
Zuwendungsrechts
der
Verwendungsnachweisführung et cetera angeführt. Es muss einfach im Land
Mecklenburg-Vorpommern
attraktiv
für
Träger
der
Jugendhilfe
sein,
Leistungserbringer im Bereich der Jugendförderung zu sein. Zu der Frage 10: Die
neue ESF-Förderperiode 2014 bis 2020 bringt und brachte viele Neuerungen sowohl
für die Jugendämter im Land Mecklenburg-Vorpommern als auch für die Träger der
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/28 Schul-
und
Jugendarbeit.
Jugendhilfeplanerisch
setzt
der
Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte auf Sicherung und Verstetigung von bestehenden und
etablierten Personalstellen in diesem Bereich. Wir setzen hierbei die ESFZuwendungen, aber auch die BuT-Mittel somit zielgerichtet und bedarfsgerecht ein.
Wir setzen hierbei auf Qualitätssicherung, aber nicht auf Masse. Dazu hat sich auch
der Jugendhilfeausschuss ganz klar positioniert. Der steigende Verwaltungsaufwand,
die vielfältigen Verwendungsnachweisprüfungen durch die EU-Finanzbehörde,
externe Prüfer, das Sozialministerium, das LAGuS und die örtlich zuständigen
Rechnungsprüfungsämter belasten die Jugendämter, aber auch die Träger, enorm.
Es stellt sich hier die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die sozialpädagogische
Arbeit, die Arbeit direkt am Kind, am Jugendlichen wird minimiert. Das ist eine
besorgniserregende
Entwicklung.
Vereinzelt
treten
Träger
der
Schul-
und
Jugendarbeit von ihrer Trägerschaft aus genau diesen Gründen zurück. Die ESFFörderung und Jugend- und Schulsozialarbeit passen einfach nicht zusammen. Zu
der Frage 11: Trotz sinkender Anzahl der Kinder und Jugendlichen ist festzustellen,
dass der Bedarf an qualifizierter Begleitung und einem flächendeckenden Angebot
nicht abnimmt und somit der Bedarf an Schul- und Jugendsozialarbeitern mindestens
auf dem aktuellen Stand gehalten, wenn nicht sogar ausgebaut werden muss. Auch
die Schulsozialarbeit hat sich zu einer unverzichtbaren Ressource an den Schulen
entwickelt. Die Ressource muss auch in Zukunft erhalten werden und im Sinne
qualifizierter Bildungsübergänge auf alle Sekundarstufen erweitert werden. Schulund Jugendsozialarbeit ergibt sich aus Paragraph 13 SGB VIII. Mit Blick auf die
folgenden Jahre zeichnet sich ab, dass Bedarfe nicht mehr vollumfänglich abgedeckt
werden können, Förderungen abgelehnt werden müssen, die Gemeinden und Träger
mehr zur Finanzierung herangezogen werden müssen. Die Frage 12, da würde ich
gleich auf die Frage 13 oder auf die Antwort zur Frage 13 verweisen wollen. Zur
Frage 13: Für einen so hochsensiblen Leistungsbereich wie den der Schul- und
Jugendsozialarbeit, wo es um verbindliche und stetige Kontakte bzw. zwischen dem
Fachpersonal und den zu betreuenden Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen geht, für jugendhilfeplanerische Bedarfe und erforderliche Maßnahmen
Projekte entwickelt werden müssen, ist die Finanzierung aus ESF-Mitteln nicht die
geeignete Zuwendungsquelle. Das enge Korsett des ESF lässt nach aktuellen
Aussagen die Abrechenbarkeit offener Jugendarbeit in der Jugendsozialarbeit nicht
zu. Offene Jugendarbeit ist aber ein Teil professioneller Leistung der Jugendhilfe
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/29 gemäß des zweiten Kapitels ersten Abschnittes des SGB VIII. Offene Jugendarbeit
ermöglicht gerade denjenigen jungen Menschen einen niederschwelligen Zugang zur
Jugendsozialarbeit, die zur besonderen Zielgruppe der Paragraph 13 SGB VIII
gehören und auf besonderer Weise und im erhöhten Maße auf sozialpädagogische
Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Offene Jugendarbeit ist in ihrer Form,
Methode und Ausgestaltung so angelegt, dass stets junge Menschen hinzukommen
und mitmachen können. Offene Jugendarbeit wendet sich nicht an registrierte
Mitglieder
und
baut
nicht
auf
vorhandenes
Wissen,
Vorerfahrung,
Mitgliederstrukturen oder Kosten oder Gruppenidentität auf. Methoden, Angebote
und Arbeitsformen der offenen Jugendarbeit sind so angelegt, dass hinzukommende
Teilnehmer stets mitmachen können und integriert werden. Der niederschwellige
Zugang zu solchen Angeboten und ihre spezifischen Arbeitsprinzipien begünstigen
zugleich den Erwerb von Bildungsinhalten, die für alltägliche Handlung und
Sozialkompetenz
wichtig
sind.
Offene
Jugendarbeit
geschieht
zumeist
im
außerschulischen Freizeitbereich und kann verstärkt von Elementen sportbezogener
Jugendarbeit sowie von Jugendarbeit in Spiel- und Geselligkeitsform geprägt sein.
Offene Jugendarbeit knüpft an die Interessen junger Menschen an und ermuntert sie
zu selbstbestimmten Handeln und gesellschaftlicher Mitverantwortung sowie zu
sozialem Engagement. Offene Jugendarbeit kann Jugendarbeit in Gruppenarbeit
einschließen. Offene Jugendarbeit kann ein sozialpädagogisches Statement schaffen
in der Beratung und weitere Hilfen mögliche machen. Folge ist: Daher ist die
Anerkennung der Abrechenbarkeit der offenen Jugendarbeit in der ESF-geförderten
Jugend- und Sozialarbeit dringend notwendig. Ein wichtiger Aspekt in der
Jugendsozialarbeit ist die Inklusion junger Menschen. Laut Kooperationsverbund
Jugendsozialarbeit betrifft die Inklusion hierbei alle Formen von Benachteiligung und
Beeinträchtigung. Hier spielen Aspekte der Gesundheit, der sozialen Benachteiligung
und des Migrationshintergrundes ebenso eine Rolle wie körperliche oder psychische
Beeinträchtigung. Um Exklusion junger Menschen zu verhindern, sind Angebote der
offenen Jugendarbeit notwendig. So können junge Menschen auch niederschwellig
im Sozialraum erreicht und ganzheitlich gefördert werden. Dadurch können sie auch
an einen Schulabschluss und spätere Ausbildung herangeführt werden. Das Land
sollte sich nicht aus der Verantwortung zurückziehen und somit die Landesinitiative
Jugendsozialarbeit neu auflegen. Zur Frage 14: Netzwerkarbeit gehört laut der
rechtlichen Regelung zu den förderfähigen Kosten. Entscheidend ist zur Zeit für die
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/30 Landkreise und kreisfreien Städte der Tatbestand der Verwendungsnachweisführung
der Jahre 2011 bis 2013 bzw. 2014. Diese Prüfungen der verschiedenen
Prüfbehörden sind noch immer nicht abgeschlossen. Oft muss festgestellt werden,
dass die jeweiligen Prüfinstanzen unterschiedliche Beurteilungsspielräume für einen
und denselben Tatbestand anwenden. Es gibt hierbei großen Klärungsbedarf
hinsichtlich der Vergangenheit und hinsichtlich der zukünftigen Förderjahre 2015 und
fortfolgende. Diesen Klärungsbedarf sollten die EU-Fondsverwaltungen, das
Sozialministerium, das LAGuS gemeinsam mit den Jugendämtern einvernehmlich
und lösungsorientiert führen. Zur Frage 15 verweise ich auf Frage 7. Zur Frage 16,
verweise ich auf Frage 7. Die Frage 17: Die Schaffung des Ergänzungstitels
„Modellprojekte örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe“ erfolgt aufgrund der
Festsetzung der Landesmittel durch die Festlegung der Anzahl der 10- bis 16jährigen Einwohner für das Jahr 2012 im Landeshaushalt 2014/2015. Eine
Verwendung
der
Landesmittel
über
die
Vereinbarung
zum
Umfang
der
Jugendförderung und somit zur Förderung vorhandener Strukturen und Angebote
wurde nicht verfolgt. Das Vorhandensein des Ergänzungstitels und Möglichkeiten zur
Beantragung von Zuwendungen waren nicht transparent. Die Möglichkeit der
Förderung innovativer Projekte wird grundsätzlich begrüßt, sollte jedoch nachrangig
gegenüber dem Erhalt von langfristigen Angeboten oder Festigung von Strukturen
vorgehalten werden. Zu Frage 18. Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit meint
Prävention, Aufklärung, Förderung der Teilhabe junger Menschen mit Behinderungen
und junger Menschen mit Migrationshintergrund. Für eine erfolgreiche Inklusion in
der Kinder- und Jugendarbeit sind folgende Rahmenbedingungen von Bedeutung:
Qualifizierungsangebote
für
haupt-
und
ehrenamtliche
Mitarbeiter
und
Mitarbeiterinnen, Verringerung der Mobilitätsbarrieren im öffentlichen Raum,
Barrierefreier Umbau der bestehenden Jugendeinrichtungen, finanzielle Förderung
für Modelle und Praxisprojekte. Durch ein Zusammenspiel von Projekten,
Beratungen und baulichen Maßnahmen, technische Gebrauchsgegenstände wie
Rampen, Treppenlifte, Leitsysteme oder barrierefreie Sanitärräume aber auch
Systeme
der
Informationsverarbeitung
oder
akustische
und
visuelle
Informationsquellen kann Inklusion in der Jugendarbeit erfolgreich gelingen. Diese
Erfordernisse sind jedoch nur durch eine adäquate Grundfinanzierung von Personalund Sachkosten in das Regelangebot von Einrichtungen und Projekten der Kinderund Jugendarbeit umzusetzen. Im Rahmen der derzeitigen zur Verfügung stehenden
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/31 Mittel wird Inklusion nicht im Sinne eines Qualitätsmerkmals der Kinder- und
Jugendarbeit geleistet. Zur Frage 19 verweise ich auf die Fragen 1 bis 18.
Dankeschön.
Vors. Martina Tegtmeier: Danke, Herr Löffler. Für den Landkreis VorpommernRügen hören wir nun Frau Heinrich und der Landkreis Vorpommern-Rügen hat
ebenfalls eine Stellungnahme schriftlich eingereicht. Bitte sehr.
Dörte Heinrich (Landkreis Vorpommern-Rügen): Dankeschön. Ich möchte mich
erstmal bedanken, dass wir heute hier im Rahmen der Anhörung zum Haushalt für
den Bereich Kinder- und Jugendarbeit gehört werden. Wir haben unsere
Stellungnahme bereits schriftlich abgegeben und ich versuche wirklich ganz kurz auf
die wesentlichen Punkte, die uns als Landkreis sehr beschäftigen, zurückzukommen
und möchte das in drei Schwerpunkte unterteilen. Zum einen die offene Kinder- und
Jugendarbeit (§ 11), zum anderen in den Bereich der Jugend- und Schulsozialarbeit
(§ 13) und zum dritten auf die Jugendberufshilfe ganz kurz eingehen. Die
Jugendarbeit
nimmt
aufgrund
ihres
Selbstverständnisses
und
ihres
Handlungsansatzes eine besondere Stellung in der Jugendhilfe ein. Die Kinder und
Jugendlichen sollen in ihr selbst tätig werden können und Aktionen und Projekte
selbst planen und umsetzen, Arbeitsinhalte und -formen mitgestalten und sich selbst
organisieren können. Die Jugendarbeit ist demnach gekennzeichnet durch
Selbstorganisation, durch Ganzheitlichkeit und durch Partizipation. Die Jugendarbeit
bietet Raum für Kontakt mit Gleichaltrigen und setzt auf selbstorganisierte
Lernprozesse. Jugendarbeit hilft nicht allein bei der Bewältigung des Alltages,
sondern will Zukunftsperspektiven aufweisen. Der örtliche Träger, der Landkreis
Vorpommern-Rügen, ist in gemeinsamer Verantwortung mit den Gemeinden ständig
bestrebt, trotz des demographischen Wandels die Angebote der Kinder- und
Jugendarbeit im Rahmen des § 11 finanziell abzusichern, qualitativ hochwertig
anzubieten und entsprechend dem Auftrag des SGB VIII so auch der Kinder- und
Jugendarbeit gerecht zu werden. Das Land unterstützt im Rahmen des KJFG die
offene Kinder- und Jugendarbeit mit 5,11 €. Diese Mittel sind nicht auskömmlich, um
die Bedarfe gleichbleibend bzw. sind die Bedarfe trotz des demographischen
Wandels ansteigend. Der aktuelle Novellierungsbedarf besteht aus unserer Sicht
hinsichtlich der Bemessungsgrenze nach § 6 Absatz 3 KJFG in der Höhe von 5,11 €
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/32 und den zugrundeliegenden Zahlen der Pro-Kopf-Förderung der 10- bis 26-jährigen,
d. h. wir bitten darum, die Bemessungsgrenze zu überdenken. Sie ist aus unserer
Sicht nicht mehr zeitgemäß. Seit Jahren stellen wir diese Bemessungsgrenze immer
wieder in Frage. Weniger Kinder und Jugendliche heißt nicht gleich, dass es weniger
jugendspezifische Angebote gibt oder vorgehalten werden sollen, sondern die
Gruppe der Gleichaltrigen gewinnt bei den Jugendlichen mehr und mehr an
Bedeutung für ihre eigene Orientierung und für ihre Sozialisation. Die Bereitstellung
der finanziellen Mittel gleichbleibend ist notwendig und um den eigenständigen
Bildungs- und Erziehungsauftrag in der Kinder- und Jugendarbeit gerecht zu werden.
Wir plädieren für eine langfristige Planbarkeit im Rahmen der KJFG-Mittel und für
einen Festbetrag. Der Stellenwert der offenen Kinder- und Jugendarbeit wurde vor
dem Hintergrund der Schwerpunktsetzung des Landes auf die Schul- und
Jugendsozialarbeit zurückgedrängt. Sie ist nicht in ihrem Auftrag gleichzusetzen mit
Schulsozialarbeit und Jugendsozialarbeit. Kinder- und Jugendarbeit im Rahmen des
§ 11 hat einen eigenständigen Bildungsauftrag und einen eigenständigen
Erziehungsauftrag. § 13, also Schul- und Jugendsozialarbeit greifen auf die
Methoden und auf die Settings im Rahmen der offenen Kinder- und Jugendarbeit
zurück. Aufgrund des Rückganges der bereit gestellten finanziellen Mittel werden
innovative und modellhafte Projekte der Weiterentwicklung der Kinder- und
Jugendarbeit nicht mehr in dem dafür notwendigen Umfang gefördert. Dies sollte
jedoch im Interesse des Landes liegen. Sich neu ergebende Bedarfe und neue
Strukturen können nicht weiter bzw. neu entwickelt werden, d. h. wir bitten auch um
das Überdenken des Landesjugendplanes. Das Land legt ein großes Augenmerk auf
die Schul- und Jugendsozialarbeit, was wir grundsätzlich sehr begrüßen. Es kann
jedoch nicht sein, dass für EU-Förderprogramme Maßnahmen der Kinder- und
Jugendarbeit
passend
gemacht
werden.
Ich
beziehe
mich
hier
auf
den
Zuwendungszweck der Jugend- und der Schulsozialarbeit. Die ESF-Förderung im
Rahmen der Schul- und Jugendsozialarbeit läuft fachlich konträr zum SGB VIII. Die
Jugend- und Schulsozialarbeit sowie offene Kinder- und Jugendarbeit im Rahmen
von § 11 brauchen verlässliche und von Förderprogrammen unabhängige
Finanzierungsmöglichkeiten,
die
nachhaltig
wirken
können.
Laufen
solche
Förderprogramme wie diese EU-Programme oder ESF-Programme aus, und ist
deren Folgefinanzierung nur unter bestimmten Bedingungen möglich, greifen diese
Modelle ins Leere. ESF ist also aus unserer Sicht nicht die passende Finanzierung
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/33 für die Schul- und für die Jugendsozialarbeit und deren Verstetigung. Hier sollte
darüber
nachgedacht
werden,
wie
eine
entsprechende
eigenständige
Landesförderung vorgehalten werden kann unabhängig vom Topf der EU. Die mit
der
Weiterführung
der
Finanzierung
über
ESF
versprochene
Verwaltungsvereinfachung ist nicht eingetreten. Es ist ein stetig steigender
Verwaltungsaufwand für die kommunale Ebene, für die Jugendämter sowie für die
freien Träger und für die Beschäftigten mit der Umsetzung der ESF-Förderung zu
verzeichnen. Vor allem im Bereich der Jugend- und Schulsozialarbeit. Es entsteht ein
zusätzlicher Personal-, Sach- und Verwaltungsaufwand, der keine Kofinanzierung
durch das Land erfährt. Des Weiteren werden die Mittel der Jugendberufshilfe nicht
mehr zur Verfügung gestellt. Wir haben bereits im letzten Haushaltsplan des Landes
darauf verwiesen, dass diese Mittel unbedingt erforderlich sind, um zum damaligen
Zeitpunkt die Fortführung der Kompetenzagenturen, die einen sehr hohen fachlichen
und qualitativen Stellenwert erreicht hatten, fortzuführen. Dass diese Mittel der
Jugendberufshilfe nicht mehr in den Haushalt eingestellt werden sollen, obwohl das
Landeskonzept
Übergang
Schule/Beruf
dies
vorsieht,
ist
für
uns
nicht
nachvollziehbar. Jugendberufsagenturen - oder der Übergang Schule/Beruf - müssen
finanziert werden, um den Jugendlichen die Möglichkeit in einen Berufseinstieg zu
gewährleisten. Der Wegfall der Mittel spiegelt also nicht die aktuellen Bestrebungen
der Landesebene in Sachen Übergang Schule/Beruf wieder. Im Fazit ist
zusammenzufassen, dass die kommunale Ebene auf die Stabilität in der
Finanzierungsbeteiligung des Landes angewiesen ist. Eine Kürzung der finanziellen
Mittel zieht unweigerlich ein Abbrechen von Angeboten in der Kinder- und
Jugendarbeit bei uns vor Ort nach sich. Wir befürchten sogar, dass trotz aller
Anstrengungen
auf
kommunaler
Ebene
die
derzeitigen
Angebote
nicht
aufrechterhalten werden können. Auf den zu beschließenden Haushalt des Landes
und auf die Verteilung der Mittel bezogen möchte ich folgende wesentlichen Aspekte
benennen: Mittel der Jugendberufshilfe bitten wir einzustellen. Wir bitten darum, die
Beteiligung des Landes zu überdenken an den Verwaltungs- und Personalkosten für
die Schul- und für die Jugendsozialarbeit, die Bemessung und die Verteilung der
Landesmittel
im
Rahmen
des
KJFG-Vertrages
nicht
abhängig
von
der
demographischen Entwicklung vorzunehmen, sondern über Festbeträge, die
langfristige
Sicherheit
bieten,
zu
gestalten.
Sinkende
Kinderzahlen
oder
Jugendlichenzahlen sind nicht gleichzusetzen mit einem sinkenden Bedarf an
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/34 Angeboten. Längerfristige Finanzierungszusagen benötigen die Landkreise, um
Planungssicherheit vor Ort schaffen zu können. Und wir bitten um mehr
Entscheidungsmöglichkeiten zu den uns zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln
vor
Ort.
Des Weiteren
und
zum
Schluss
bitten
wir
um
die
verstärkte
Steuerungswahrnehmung des Landes und um die Unterstützung der Kommunen bei
der Aufgabenbewältigung. Herzlichen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank Frau Heinrich. Abschließend wird jetzt Frau
Dorfmann zum Sprechen kommen, vom Schweriner Stadtjugendring e. V., und auch
hier eine schriftliche Stellungnahme vortragen. Bitte sehr.
Regina Dorfmann (Stadtjugendring Schwerin): Sehr verehrte Frau Tegtmeier,
verehrte Anwesende, ich bedanke mich dafür, dass ich hier sprechen darf. Bedanke
mich bei meiner Vorrednerin, die mir sowas von aus der Seele gesprochen hat und
ich stehe hier für einen kommunalen Jugendring, aber seien Sie versichert, die
kommunalen Jugendringe sind untereinander vernetzt. Ich denke, dass ich auch für
andere Kommunen und kommunalen Jugendringe hier mitsprechen kann. Mit ihrem
Fragenkatalog haben Sie, für meine Begriffe, Ihren Finger direkt in die Wunden
gelegt. Ich will mich jetzt auf zwei Bereiche beschränken. Der erste: Förderung der
Kinder- und Jugendarbeit. Pro Kopf mag auf den ersten Blick logisch erscheinen,
aber der Rückgang der Zahlen der Kinder und Jugendlichen bedeutet nicht
automatisch einen Rückgang des Bedarfes. Die Problemlagen werden komplexer
und wenn es bspw. in einem Dorf oder einem Stadtteil nur noch 20 Kinder und
Jugendliche gibt, statt vorher 40, dann brauchen auch diese Kinder und
Jugendlichen einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin. Sie wünschen
sich einen Aufenthaltsort und im KJFG steht auch nichts von einer Mindestzahl. Da
steht einfach nur. „Es sind Angebote zur Verfügung zu stellen.“ Und im Übrigen ist es
nach unserem Empfinden so, dass die Pro-Kopf-Förderung mittlerweile völlig an der
Realität vorbei geht. Zum einen, weil die Altersquote mit 10 Jahren beginnt und die
Kollegen sowohl in der Jugendarbeit als auch bei Jugendverbandsarbeiten berichten,
dass sie sich zunehmend auch mit jüngeren Kindern beschäftigen. Kinder aus
prekären Verhältnissen, die nicht in den Hort gehen, die gehen nachmittags in den
Jugendclub. Jugendverbände, die ihre ehrenamtlichen Strukturen nachhaltig stärken
wollen, bemühen sich auch schon um jüngere Kinder, als Beispiel wird die
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/35 Jugendfeuerwehr in Schwerin genannt. Da gibt es mittlerweile 2 Bambini Gruppen.
Da wird mit Kindern ab 6 gearbeitet. Ich denke, niemand in diesem Saal wird
bestreiten, dass der Nachwuchs für die freiwilligen Feuerwehren unverzichtbar ist.
Und wenn die es für nötig halten, schon mit Kindern ab 6 zu arbeiten, dann werden
sie einen Grund dafür haben und dann denke ich, das ist auch ein Zeichen dafür,
dass die Altersquoten vielleicht abgesenkt werden könnten. Die Pro-Kopf-Förderung
ist weiterhin, das ist mein zweites Problem, seit Jahren gleich geblieben. Ein
Frischlingskollege fragte, warum es denn diese Summe 5,11 € sei. Daraufhin erkläre
ich ihm, das hat etwas mit der Umstellung von der DM auf den € zu tun. Das war
2002. Wenn wir also seit 2002 mit der gleichen Summe arbeiten und wir uns alle mal
irgendwie vor Augen halten, wie die Kosten von 2002 bis 2015 gestiegen sind, dann
denke ich mir, dass es nachvollziehbar ist, dass sich alle in diesem Raum zumindest auf dieser Seite - wünschen, dass die Summe, auch wenn es eine ProKopf-Förderung gibt, erhöht wird. Der zweite Punkt, auf den ich hier eingehen
möchte: Ich habe es vorher in meiner schriftlichen Antwort als „Finger in die Wunde
gelegt“ geschrieben. Das ist nun Wunde Nummer 2. Den Einsatz der ESF-Mittel zur
Finanzierung der Jugend- und Schulsozialarbeit halten wir für nicht geeignet. Ich bin
nicht so bewandert im Lesen von Haushaltsplänen. Ich habe mich mit diesem
natürlich beschäftigt vor dieser Anhörung und habe erstmal suchen müssen, um die
Summe für die Jugend- und Schulsozialarbeit zu finden, weil es unter Arbeitsmarkt
steht. Ich habe unter Jugend gesucht. Und genau da liegt für mich sozusagen ein
bisschen die Krux. Kinder und Jugendliche fit für den Arbeitsmarkt zu machen, das
kann nicht der einzige Zweck von Jugend- und Schulsozialarbeit sein. Wir begleiten
als Pädagogen die Kinder und Jugendlichen beim Erwachsen werden. Wir wollen sie
zu demokratischen Bürgern und Bürgerinnen befähigen. Das war jetzt kein guter
Satz, aber das stand hier so drin. Wir möchten, dass sie sich im Gemeinwesen
engagieren. Da gibt es so viele Betätigungsfelder für die Jugend- und auch für die
Schulsozialarbeit. Ich sag mal, diese Programme wie Streitschlichtung, die an
Schulen durchgeführt werden durch die Schulsozialarbeit. Das ist sehr viel mehr, als
es die Förderung durch den ESF zulässt. Diese Förderung muss von den Kollegen
und Kolleginnen penibel dokumentiert werden und die kommen damit und stoßen
dann ständig an ihre Grenzen. Weil sie z.B. dann plötzlich Zeit mit Netzwerkarbeit
verbracht haben, die ich für unverzichtbar halte. Und die sie im Wesentlichen dann in
diese Dokumentation einsortieren wollen. Ich kann mir weder vorstellen, dass sie
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/36 diese wichtigen Arbeitsbestandteile weglassen. Ich möchte auch nicht von ihnen
erwarten, dass sie das alles in ihrer Freizeit machen und es kann auch niemand von
ihnen erwarten, dass sie anfangen – ich weiß gar nicht, wie ich es nennen soll – ihre
Dokumentation sehr frei zu interpretieren. Wenn wir uns dann noch vor Augen
halten,
dass
es
Kommunen
gibt,
die
einfach
aufgrund
ihrer
prekären
Haushaltssituation fast ihre gesamte Landschaft im Bereich der Kinder- und
Jugendarbeit eben über dieses Programm Kinder-, Schul- und Jugendsozialarbeit
versuchen zu finanzieren. Wenn also ein Jugendclub, der eigentlich offene Kinderund Jugendarbeit machen sollte und machen möchte, die Mitarbeiter aber nach dem
ESF finanziert, dann kann da eigentlich diese Offenheit, die in so einem Jugendclub
eigentlich sein müsste, nicht mehr vorhanden sein. Das finde ich sehr, sehr schade
und deshalb denke ich, wir werden nicht drum rum kommen, wenn wir uns
ernstnehmen, dass wir sagen, wir wollen für Kinder und Jugendliche in diesem Land
etwas tun, nach anderen Finanzierungen für die Jugend- und Schulsozialarbeit zu
suchen. Zwei Dinge noch. Das eine steht in ihrem Fragenkatalog nicht drin, ich
möchte es aber an dieser Stelle trotzdem auch nochmal ansprechen. Das ist eine
Tendenz, die ich mit Sorge betrachte. Mein Wunsch ist einfach der, vergessen sie
nicht, dass außerschulisches Lernen für die Kinder extrem wichtig ist. Denn die
Kinder sind nicht den ganzen Tag in der Schule. Die ist und bleibt Schule.
Jugendarbeit an Schule ist ein tolles Angebot, ist aber ehrlich für meine Begriffe nur
die zweite Wahl und auch nur dann, wenn sich verschiedene pädagogische
Professionen auch auf Augenhöhe begegnen. Wenn der Bildungsminister in einer
Anhörung sagt „in der Schule gilt das Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht“, wenn wir
ihn auf solche Dinge wie Freiwilligkeit in der Jugendarbeit aufmerksam machen,
dann hat das mit Augenhöhe noch ein bisschen Ressourcen, finde ich. Das zweite, in
dem Fragenkatalog geht es auch um die kommende Herausforderung mit den
Flüchtlingen, mit den Asylsuchenden, die hier in Mecklenburg-Vorpommern
ankommen. Ich glaube Jugendarbeiter, Jugendsozialarbeiter und Schulsozialarbeiter
sind auch aufgrund dessen, was sie gelernt haben, durchaus in der Lage, flexible
Konzepte zu schreiben und auf Bedarfe einzugehen. Dazu müssen sie aber a) auch
vor Ort sein, also vorhanden sein und b) sie müssen diese Flexibilität auch einsetzen
dürfen. Ich mache es nochmal ganz kurz, was wir uns wünschen. Erstens weg von
der reinen Pro-Kopf-Förderung. Wir können uns z.B. vorstellen, dass es sozusagen
eine Sockelfinanzierung gibt mit einer Aufstockung nach Köpfen. Diese Aufstockung
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/37 nach Köpfen dann aber ab 6 Jahren zählt und sie muss erstens deutlich angehoben
werden und zweitens dynamisiert. Zweitens, Jugendarbeit, das sollten wir uns alle
immer wieder Augen führen, ist gesetzlich verankert. Es ist keine freiwillige Leistung.
Das wünsche ich mir dann auch, wenn die Kommunalaufsicht auf die Haushaltspläne
der Kommunen guckt, dass sie das im Hinterkopf behält. Drittens bitte keine
Finanzierung der Jugend- und Schulsozialarbeit durch den ESF und viertens
Anerkennung der Tatsache, dass außerschulische Lernorte unverzichtbar sind. Ich
weiß, das kostet Geld, aber es ist eine gute Investition in die Zukunft. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank, Frau Dorfmann. Damit haben wir die
Anzuhörenden praktisch jetzt alle gehört und steigen in die erste Fragerunde ein.
Wer möchte das Wort? Frau Bernhardt.
Abg. Jacqueline Bernhardt: Ich möchte mich erstmal bei allen Anzuhörenden
bedanken, dass sie heute so klare Worte gefunden haben, was die Zukunft der
Kinder- und Jugendarbeit betrifft und ich denke, es war richtig wichtig, dass wir diese
Anhörung heute durchgeführt haben. Aus meiner Sicht ergibt sich eine Vielzahl von
Fragen an sie. Ich hoffe Sie können mir doch einige beantworten. Das erste, was
mich sozusagen beschäftigt, ist das in den Antworten heute, aber auch in den
Stellungnamen, wieder herauskommt, dass es bei der Landesjugendhilfeplanung in
den Landkreisen und Kreisfreien Städten eher mau aussieht. Wir konnten jetzt an
einigen Stellen hören aus MSE, dass sie daran arbeiten. Aber insgesamt würde mich
nochmal interessieren. Die Landesjugendhilfeplanung, wer ist da konkret zuständig?
Herr Heibrock, sie hatten es angesprochen, dass es stagniert zurzeit mit der
Landesjugendhilfeplanung. Wer ist auf Landesebene zurzeit dafür zuständig, wo
stockt es zurzeit? Sie hatten ja gesagt, früher war das mal im Gange, aber hängt das
mit der Aufgabenübertragung zusammen oder wo konkret hakt es, dass eine
Landesjugendhilfeplanung nicht erfolgt? Dass sich das dann auch in den Kreisen
wiederspiegelt, dass die Jugendhilfeplanung vielleicht dort nicht so ist, wie sie sein
sollten. Das zweite, was mich interessiert, ist: Ich habe hier zu den ESF-Mitteln
deutlich gehört, seitens der Landkreise und des Stadtjugendringes, dass sie
abgelehnt werden, die ESF-Mittel für die Finanzierung der Jugend- und
Schulsozialarbeit. Aber von der LAG Kinder- und Jugendarbeit habe ich eher so eine
Befürwortung gehört. Vielleicht können Sie dazu noch mal was ausführen, wie Sie so
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/38 die ESF-Finanzierung jetzt unter dem Eindruck der Anhörung sehen. Das dritte ist:
Die ESF-Förderung wurde verschiedenfach angeführt und es wurde gesagt, es gibt
mehr Verwaltungsaufwand bei der Abrechnung, mehr Personalaufwand. Können Sie
den beziffern? Es ist ja in letzter Zeit, wenn wir über die Kindertagesstätten reden,
gibt es keine konkreten Zahlen. Wenn wir über den
Verwaltungs- und
Personalaufwand reden, ich sehe es, ich habe es mir angeguckt, wie das
funktioniert. Aber kann man das beziffern, um wie viel Verwaltungsaufwand es sich
mehr handelt und sollte dieser Verwaltungsaufwand dann - also, man muss das ja
auch irgendwie umlegen auf das Land, deshalb braucht man ja auch eine Grundlage
dafür. Deshalb die Frage: Können Sie den Verwaltungs- und Personalaufwand für
sich beziffern? In den Stellungnahmen habe ich bei der ESF-Förderung gelesen,
dass es in der Abstimmung LAGuS und Sozialministerium, ich glaube das war vom
Landkreis Rostock, Herr Boldt, in Ihrer Stellungnahme der schriftlichen, so ein
bisschen hapert. Dass ist auch das, was ich sozusagen draußen mitbekomme.
Könnten Sie da vielleicht noch mal das konkreter Ausführen, was Sie in Ihrer
schriftlichen
Stellungnahme
angedeutet
haben,
wo
es
da
zu
Abstimmungsschwierigkeiten in der ESF-Finanzierung kommt? Dann Herr Löffler, Sie
hatten angesprochen, der Titel im Haushalt 2014/2015 ist nicht transparent gewesen.
Ich konnte das so schnell nicht nachvollziehen, weil uns auch Ihre schriftliche
Stellungnahme nicht vorlag. Können Sie das noch mal ausführen, was Sie damit
meinen konkret? Also für mich war es jetzt im ersten Moment nicht nachvollziehbar.
Frau Heinrich, Sie hatten gesagt, bei der KJfG-Förderung wollen Sie einen
Festbetrag. Wie konkret soll der aussehen? Soll das ein Sockelbetrag sein oder was
stellen Sie sich unter dem Festbetrag vor? Es kommen hier verschiedene Begriffe,
Sockelbetrag, Festbetrag – vielleicht können Sie dazu noch mal etwas sagen. Und
dann muss ich doch noch mal an Herrn Löffler rüberschwenken: In dem Brief, den
Sie an das Sozialministerium und an den Landkreistag geschickt hatten, den Sie uns
auch vorgelesen haben, sagen Sie, dass Sie den Sockelbetrag auf das Jahr 2009
festlegen wollen. „Unter Paragraph 6 Absatz 3 KJfG die Zahl der 10- bis 26-jährigen
Einwohner soll auf Zahl der 10- bis 26-jährigen am 31.09.2009 festgesetzt werden“ –
warum dieses Datum? Das würde mich einfach noch mal interessieren. Das ist jetzt
eine Menge an Fragen, ich hoffe, Sie können sie mir beantworten. Vielen Dank.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/39 Vors. Martina Tegtmeier: Okay, dann werden wir auch der Reihe nach vorgehen.
Zuerst Herr Heibrock.
Friedhelm
Heibrock:
Die
letzte
Stellungnahme
bzw.
Empfehlung
zur
Jugendhilfeplanung des Landesjugendhilfeausschusses war kurz bevor das
staatliche Landesjugendamt eingestampft worden ist – bringen wir das mal so
einfach auf den Punkt. Da war ein langjähriger Prozess gelaufen, der war auch
zusammen mit den Kommunen gelaufen hin zu diesen Empfehlungen und auch zu
Eckdaten für eine Jugendhilfeplanung auch auf kommunaler Ebene. Und dieser
Prozess ist dann mit dem Übergang des Landesjugendamtes auf den kommunalen
Sozialverband einfach versickert, schlichtweg. Da ist überhaupt nichts mehr gelaufen
und das ist auch ein Punkt, der auch in dem Bericht des Landesrechnungshofes
angesprochen wird. Das können Sie da nachlesen, da wird das fast nur, oder ich
zitiere fast nur darauf, wo gesagt wird, dass dieser fachliche Diskurs eingestellt
worden ist, den es zwischen dem Land und den Kommunen gegeben hat und der
unbedingt wieder erneuert werden muss, um dahin zu kommen, das hier
zielgruppenorientiert geplant werden kann. Noch mal einen zurück: Ich sage nicht,
dass es keine kommunale Jugendhilfeplanung gibt. Zweifelsohne gibt es die. Aber
vielfach beschäftigt sie sich - das kann ich auch nachvollziehen - mit den
kostenintensiven Bereichen der Jugendhilfe und weniger mit der Kinder- und
Jugendarbeit.
Vors. Martina Tegtmeier: Danke. Die nächste Frage richtete sich an Herrn Hagen
von der LAG, bitte.
Olaf Hagen: Frau Bernhardt, unter Frage 7 haben wir beantwortet, dass es den
Zielgruppen erst einmal völlig egal ist, woher die Gelder kommen – Nummer 1. Und
unter 13, ob die ESF-Mittel wünschenswert sind - und es gibt mehrere Menschen in
diesem Raum die wissen, dass ich den ESF eigentlich am liebsten so schnell wie
möglich raushaben möchte aus der Förderung der Kinder- Jugend- und
Schulsozialarbeit, weil ich auch denke, dass eine Verwertbarkeit nur im beruflichen
Sinne zu kurz greift bzw. die Bemessungskriterien, die angewendet werden, Lernorte
und Lernfelder ausblendet. Ganz kurz: Ich habe früher - da gab es ESF-Förderung
für Jugendsozialarbeit noch überhaupt gar nicht - in der Jugendeinrichtung
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/40 Veranstaltungen organisiert, Partys mit 200, 300 Leuten. Eine dieser Ehrenamtlichen
studiert gerade Veranstaltungsmanagement, drei, vier Andere sind im Bereich Grafik
und Design unterwegs. Also da passieren Sachen quasi nebenbei. Und wenn man
dann
andererseits
in
Sachberichten
schon
alleine
vor
Begrifflichkeiten
zurückschrecken muss, die aber die Realität von Jugend- und Schulsozialarbeit auch
reflektieren, dann ist das sozusagen dieser Part, der es schwierig macht. Noch mal:
Es ist uns eigentlich egal, woher die Gelder kommen, sie müssen da sein. Und in
dem Sinne ist ESF auch eine mögliche Finanzierungsformel. Wir müssen dann eher
nachdenken, wie gestalten wir das aus, dass also es ein gedeihliches Miteinander
zwischen Sozialministerium, dem LAGUS, den Landkreisen und kreisfreien Städten
und den Trägern und Mitarbeitern gibt im Sinne der Zielgruppe der Kinder- und
Jugendlichen. Danke.
Vors. Martina Tegtmeier: Zu dem Verwaltungsaufwand, der Bezifferung wollten Sie
sich jetzt nicht äußern?
Olaf Hagen: Kann ich auch machen. Ich habe als Vertreter auch eines Trägers der
Jugendsozialarbeit und Schulsozialarbeit im Schnitt im Monat, ohne dass es
refinanziert wird, ich würde sagen 2, 3 Tage nur mit der Kontrolle von ESFGeschichten zu tun. Bei meinen Mitarbeitern sehe ich es dann immer zum
Monatsende, dass dann die Zahlen ansteigen, ich könnte es jetzt nicht genau
beziffern. Aber ich weiß aus Gesprächen, dass davon ausgegangen wurde, dass so
am Tag eine Viertel- bis halbe Stunde für solche Dokumentationssachen zusammen
kommt. Nachdem, was ich in den Leistungsnachweisen meiner Kollegen sehe, ich
weiß nicht, ob das jetzt an meinen Kollegen alleine liegt, dann sind wir da dann bei
anderthalb bis einer Stunde auf jeden Fall und zum Monatsende erhöht sich das
manchmal dann noch mehr.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, vielen Dank. Ich denke mal, da werden die
Landkreise gleich auch noch etwas zu sagen. Als nächster hat Herr Boldt das Wort.
Dr. Rainer Boldt: Zur Frage, ob wir die ESF-Mittel haben wollen oder nicht haben
wollen, die Frage stellt sich nicht im Moment. Denn wir sind natürlich auf alle Mittel
angewiesen und nehmen deshalb die Mittel auch aus dem ESF. Aber ich glaube, es
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/41 ist mehrfach gesagt worden, dass sie in diesem Bereich nicht optimal eingesetzt
werden können, weil der Ansatz des ESF eben ein arbeitsmarktpolitischer ist und der
Ansatz der Jugendhilfe darüber weit hinaus geht. Und das führt immer wieder auch
zu Unstimmigkeiten bei den Nachweispflichten. Die Mitarbeiter sowohl in den
Jugendämtern als auch bei den Trägern sind natürlich verunsichert, auch durch
teilweise ein doch sehr energisches Auftreten mancher Prüfer und das führt eben
tatsächlich zu Missstimmigkeiten – was soll ich und wie soll ich denn bestimmte
Verwendungsnachweise
schreiben,
um
A
den
Anforderungen
der
ESF-
Fondverwaltung gerecht zu werden, auf der anderen Seite aber – ich spreche jetzt
für den Landkreis Rostock – den Qualitätsstandards, die wir für Jugendarbeit,
Jugendsozialarbeit ausgegeben haben. Das ist ein Konflikt und der führt, wie gesagt,
doch zu erheblichen Irritationen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aber wie
gesagt, im Moment nehmen wir die ESF-Mittel, weil wir keine anderen haben. Wir
würden uns dort eine andere Finanzierungsmöglichkeit wünschen. Noch mal zum
Thema Jugendhilfeplanung. Natürlich haben die Kommunen eine, glaube ich, sehr
ausgereifte Jugendhilfeplanung. Ich stimme aber meinem Nachbarn zu, die
Landesjugendhilfeplanung liegt zur Zeit am Boden. Wir haben hier keine
übergreifende Klammer, sodass also jeder seine eigene Jugendhilfeplanung macht –
ich glaube, nicht schlecht – kann ich meinem Kollegen hier nur beipflichten. Aber uns
fehlt die Landespolitische Klammer der Jugendhilfeplanung.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Herr Löffler kann gleich anschließen, bitte.
Michael Löffler: Ja, Danke schön. Die erste Frage war… oder die erste gezielte
Frage an meine Adresse war dieser Zusatztitel. In meiner Zuarbeit steht, dass
Ergänzungsmittel geschaffen wurden für diesen neuen Vertrag, den wir auch
geschlossen haben. Ich lese nochmal den Satz vor: „Dazu sind in den
Haushaltsjahren 2014 und 2015 des Landes Ergänzungstitel geschaffen worden.“
Die beziehen sich nach meinen Erkenntnissen auf den Kommunalvertrag und diese
Ergänzungstitel, da kann ich keine Aussage zu tätigen. Ich weiß nicht, welche Titel
meinem zuständigen Fach zugehörig sind. Ich würde Ihnen aber bis Freitag definitiv
eine schriftliche Antwort auf die offenen Fragen zukommen lassen wollen, wenn das
möglich
wäre.
Gut,
die
nächste
Sache,
das
war
ein
Vorschlag
einer
Gesetzesänderung von unserer Seite. Darum ging es auch in dem Brief. Da haben
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/42 wir uns auf eine Größe zum 31.09.2009 festgelegt. Ich gehe davon aus, dass das
Fachamt festgestellt hat, dass wäre eine auskömmliche Größe für eine weitere
Berechnung mit 10 €. Diese Größe also als Grundlage mal 10 €. Wie hoch diese
Zahl war, kann ich Ihnen auch nicht genau sagen. Die geht aus meinem Manuskript
auch nicht hervor. Ich würde auch hier eine schriftliche Ergänzung nachreichen.
Danke.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Die werden wir dann noch verteilen. Frau
Heinrich bitte.
Dörte Heinrich: Gerne. Ich fange mal mit dem Verwaltungsaufwand an. Ich kann
den natürlich nicht jetzt auf VBE, auf Vollzeitäquivalente runterbrechen. Aber
grundsätzlich kann ich es vielleicht sagen, wie es sich bei uns, bei unserem
Jugendamt
wiederspiegelt.
In
unserem
Jugendamt
haben
wir
zwei
Verwaltungsfachkräfte, die sich ausschließlich mit der finanziellen Abrechnung und
mit der Förderung der Schul- und Jugendsozialarbeit beschäftigen. Wir haben derzeit
circa 60, also nageln sie mich bitte nicht auf die eine oder andere Stelle fest. Es sind
circa 60 Stellen in unserem Landkreis, die diesen ESF Regularien unterliegen. Also
ab 2 VBE, also die wirklich nur die reine finanzielle Ausgestaltung machen. Bisher
sind wir damit mehr schlecht als recht hingekommen. Nunmehr ist es so, dass neben
der Verwaltungsabrechnung im Monitoring auch die qualitativ fachliche Arbeit
geleistet werden muss. Und unsere Sozialarbeiter, da haben wir Fachkräfte im
Bereich für die Schul- und für die Jungendsozialarbeit eingestellt - zwei Kräfte sind
das - kommen derzeit ausschließlich nur noch dazu, die Sachberichte, die
eingereicht werden müssen zu evaluieren, zu prüfen und zu gucken. Sie sind in den
Vorortkontrollen mit unterwegs, auch bei den Trägern, um also im Rahmen der
Schul- und Jugendsozialarbeit tatsächlich die ESF-Kriterien zu prüfen. Das heißt
also, dass die Fachleute, die dafür zuständig sind im Landkreis Vorpommern und
Rügen für die Schul- und Jugendsozialarbeit, die auch noch andere Aufgaben haben
neben ESF sage ich mal, dass die Leute bei uns in der Verwaltung zu ihren anderen
Aufgaben nicht mehr kommen. So sieht es derzeit aus. Also ich kann es nicht
beziffern, in welchem Umfang das ist. Das gleiche ist bei freien Trägern. Ich denke
da gibt es auch das große Problem, dass der Verwaltungsaufwand in der
Stundenanzahl auch nicht mit abgerechnet werden kann. Das machen die, ich sage
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/43 es mal so, wirklich lapidar, das machen die Schul- und die Jugendsozialarbeiter
nebenbei: Die Aufgaben der Verwaltungstätigkeit, also das Monitoring, das auch sie
bekommen müssen, die Einpflegung der Stundenanzahl, was sie täglich abgeleistet
haben in der Arbeit, ihre Tätigkeitsberichte zu erstellen. Das sind alles Sachen, die
den Verwaltungsaufwand für den Mitarbeiter der Schulsozialarbeit enorm nach oben
getrieben haben, wodurch sie nicht mehr zu ihren eigentlichen Aufgaben kommen.
Hinzu kommt bei den freien Trägern, genauso wie bei uns, dass schon im Vorfeld,
die freien Träger uns die Zuwendungsbescheide, die Abrechnungen usw. zu senden
müssen, um an ihre finanziellen Mittel zu gelangen. Das vielleicht dazu. Aber genau
kann ich es jetzt nicht beziffern. Ich denke aber, das ist eine Aussage. Dann war die
Frage nach dem Festbetrag. Was wir möchten, ist, dass der Festbetrag von dieser
pro Kopf Förderung wegkommt. Das ist unsere Intention. Wie das auch immer
aussehen wird und aussehen kann. Das ist sicherlich eine Basis, auf der man
diskutieren kann. Ich denke mal, die 2009er Zahlen im MSE sind zugrunde gelegt
worden, weil wir zum damaligen Zeitpunkt alle in den gesamten Landkreisen eine
hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen hatten. Das war 2009 und seit 2009 sind
die Zahlen drastisch rückgängig. Das macht sich bei uns in den Haushalten
bemerkbar, das macht sich in der Finanzierung der Kinder- und Jugendarbeit vor Ort
bemerkbar. Wir als Landkreis haben unsere finanziellen Mittel im Bereich § 11 bisher
stabil halten können. Neben den 5,11 € also immer einen stabilen Haushaltsansatz
für diesen Bereich, auch für das kommende Haushaltsjahr geplant, aber trotz allem
ist es nicht auskömmlich und tatsächlich die Jugendarbeit, die offene Kinder- und
Jugendarbeit in den Einrichtungen in den Jugendclubs in den Jugendräumen in den
Sozialräumen für die Jugendlichen zu finanzieren.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Die nächsten Fragen hat Herr Foerster. Bitte.
Abg. Jacqueline Bernhardt: Eine Frage war noch offen.
Vors. Martina Tegtmeier: Welche Frage war noch offen?
Abg. Jacqueline Bernhardt: An Herrn Boldt war noch die Frage offen. In der
schriftlichen Stellungname war von Abstimmungsschwierigkeiten zwischen LAG und
Sozialministerium die Sprache. Können sie das mehr ausführen.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/44 Dr. Rainer Boldt: Nein das kann ich jetzt nicht näher ausführen, weil das will ich jetzt
noch, also das kann ich jetzt nicht hier konkret erläutern. Wenn das gewünscht ist,
kann ich das schriftlich nacharbeiten.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, danke, Angebot angenommen. Herr Foerster.
Abg. Henning Foerster: Von meiner Seite nochmal herzlichen Dank für ihre
Darlegungen. Meine Frage bezieht sich auf den mehrfach angesprochenen
Berufshilfetitel. Ich hatte auch aufgrund von Rückmeldungen aus dem Landkreis
Rostock in einer der letzten Sitzungen des Sozialausschusses konkret danach
gefragt. Es gab ja auch Schriftverkehr dazu, wo seitens des Landkreises nochmal die
Notwendigkeit von - meines Erachtens 32.000 € - Finanzmitteln des Landes
verwiesen
worden
ist.
Auf
meine
Nachfrage
hin
wurde
seitens
des
Sozialministeriums erklärt, dass man damals ausdrücklich ausgeführt habe, dass es
sich nur um eine Förderung eines Modellprojektes in einem bestimmten zeitlichen
Rahmen handelt und deshalb dort aus der Sicht des Ministeriums nicht vorgesehen
ist, jetzt in 2016 bspw. weiteres Geld dafür zur Verfügung zu stellen. Da wäre meine
Frage an Herrn Boldt, wie diese Absprachen aus Ihrer Sicht gelaufen sind. Denn ich
habe es so verstanden, dass Sie davon ausgehen, dass weiteres Geld fließt und
dass Sie es auch dringend benötigen.
Vors. Martina Tegtmeier: Dr. Boldt.
Dr. Rainer Boldt: Das ist richtig so. Wir haben diese Absprachen und auch die
Stellungnahmen aus dem Ministerium so verstanden, dass diese Finanzierung nicht
nur für anderthalb Jahre, sondern für einen längeren Zeitraum - natürlich für einen
endlichen Zeitraum - stattfindet und wir waren schon überrascht, dass diese Mittel
dann offensichtlich 2016 nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn das so bleiben
sollte, dann werden wir prüfen müssen, ob wir das angelaufene Projekt, das aus
meiner Sicht sehr gut angelaufen ist, in der Form weiterführen können. Das würde ja
bedeuten, dass wir dann entsprechend kommunale Mittel einsetzen müssten. Das
können wir im Moment nicht sagen. Ich hatte erst betont, wir haben ein Budget
festgeschrieben. Das hat eine bestimmte Summe für Jahre 2016 auch 2017. Und wir
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/45 können da nur innerhalb dieses Budgets umschichten, müssten also dann andere
Dinge wegfallen lassen. Das wäre die Konsequenz. Oder der Wegfall des Projektes.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Als nächstes Frau Gajek.
Abg. Silke Gajek: Vielen Dank. Danke, dass sie es ausführlich dargestellt haben. Ich
denke, viele Punkte hatten wir schon mehrfach im Landtag und irgendwie habe ich
das Gefühl „täglich grüßt das Murmeltier“. Ich hätte ein paar Fragen. Und zwar ist die
erste zum KJFG. Wenn die Mittel so eingestellt werden, wie sie jetzt im Haushalt
sind, womit haben wir in den nächsten zwei Jahren zu rechnen? Also welche
Bereiche könnten wegbrechen? Denn wenn ich das richtig verstanden habe, ist es in
vielen Kommunen so, dass die Jugendarbeit ein immer mehr vernachlässigter Faktor
ist. Das haben Sie hier auch bestätigt. Besteht dann die Gefahr, dass diese soweit
wegbricht, dass es gar keine Angebote mehr gibt? Also ich habe das als eine klare
Ansage von ihnen verstanden, dass, wenn es so weiter geht, die Jugendarbeit in
vielen Bereichen überhaupt nicht mehr stattfindet. Ich glaube, ich möchte einfach die
Kollegen und Kolleginnen der SPD, CDU davon überzeugen, dass wir das KJFG
endlich angehen und die Jugendarbeit eben als diesen Punkt sehen und deshalb,
Frau Dorfmann, wäre es vielleicht nochmal gut, auszuführen. Sie hatten ja für Ihren
Bereich gesagt, die außerschulischen Lernorte doch mal Beteiligungsorte zu nennen.
Da können sie vielleicht weiter ausführen und nochmal sagen, welche Chance dort
besteht. Also, wird es perspektivisch noch mehr Wegbrüche geben, wird es weiter
eine Trägervielfalt geben? Denn in mehreren Stellungnahmen stand ja drin, dass ja
große Träger das möglicherweise noch auffangen können, aber kleinere Träger
wegfallen. Und für mich nicht sind es nicht nur die kleineren Träger, sondern die
Angebotsvielfalt – es ist ja nicht nur der Träger da, sondern die Angebotsvielfalt. Ein
zweiter Bereich, Jugendhilfeplanung. Ich habe gesehen, als die Landkreise gesagt
haben „ja, wir haben das ganz gut“, dass beispielsweise der Stadtjugendring
Schwerin da doch ein wenig mit dem Kopf geschüttelt hat und ich weiß auch, Herr
Hagen und Herr Vogel sind in der praktischen Arbeit tätig. Also ich würde es gerne
noch mal von der praktischen Perspektive reflektiert wissen, weil es, denke ich,
vielleicht auch unterschiedliche Ansätze gibt. Der Dritte Punkt wäre die Abrechnung:
Sie haben das hier deutlich gesagt und wir haben ja auch im Landtag einen Antrag
gehabt SGB II, III und VIII zu harmonisieren, weil sie wirklich unterschiedlichen
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/46 Förderkriterien folgen. Jetzt habe ich gehört, dass im Landkreis Ludwigslust die AWO
ja schon aufgehört hat und auch die Evangelische Jugend Rückforderungen hat bei
der Schulsozialarbeit. A, die erste Frage: Ist es möglicherweise in den Landkreisen
sehr unterschiedlich? Frau Heinrich hat ja jetzt gesagt, es sind zwei Mitarbeiterinnen
die prüfen. Welche Ausbildung haben die Mitarbeiterinnen? Und vielleicht können die
anderen Kollegen aus den Landkreisen sagen, wieviel Leute oder Mitarbeiter sie
abgestellt haben. Und kann es nicht auch sein, dass die Richtlinie, die jetzt auf den
Weg gebracht wurde, letztendlich dazu führt, dass man da etwas reinschreibt - ja,
sich arrangiert. Also, was ich gehört habe, ist so ungefähr „wir sind immer mit einem
Bein im Knast“. Und das kann nicht sein, dass Schulsozialarbeit die eben – wer hatte
das vorhin gesagt? Sie waren das, Frau Heinrich - also der Paragraph 11 SGB VIII
hat einen Auftrag: Selbstbestimmung, Partizipation. Wenn ich das lese, was dem
ESF folgt, ist es, wie hieß es vorhin, die „Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt“. Hier
ist ja ein Paradigmenwechsel und ich halte das für grundgefährlich. Und ich glaube,
wir haben hier den Job, diese Weichenstellung nicht weiter zu verfolgen, sondern
Ihren Hilferuf aufzunehmen. Von daher wäre noch mal für mich die Frage: Inwiefern
könnte man die Dokumentation verändern, insbesondere mit den Vorgaben des
LAGuS, ich glaube, das LAGuS gibt das ja vor. Und vielleicht dort auch noch mal
einen Praxisbericht. Herr Hagen, ich weiß ja, dass es in Ihrem Bereich diese
Probleme gab. Herr Vogel, Sie sind auch in diesem Bereich tätig. Also ich würde
vielleicht doch noch mal gerne ein Praxisbeispiel wissen. Weil ich glaube, die
Dramaturgie, die da drin steckt, im Alltag, ist Vielen wirklich noch nicht deutlich
geworden. Und wie schätzen die Landkreise - Wie gesagt, es ist ja jetzt die Prüfung
von 2011 bis 2014. Gibt es Vermutungen, wieviel Gelder noch zurück gezahlt werden
müssen? Also ich habe das jetzt nur aus dem Landkreis Ludwigslust-Parchim gehört
und weiß nicht, ob das auch für andere gilt. Der letzte Punkt wäre, Herr Heibrock
hatte als Letztes noch mal das Kinder- und Jugendprogramm gefordert und das, was
wir nun alle mitbekommen haben, dadurch, dass wir kein richtig funktionierendes
Landesjugendamt haben, haben wir ja wenig Steuerung. Vielleicht könnte ich da eine
Einschätzung der anderen Sachverständigen hören, wie sie zu diesem Punkt stehen.
Und Herr Heibrock, vielleicht könnten Sie noch mal sagen, welchen finanziellen
Rahmen das mit sich bringen würde. Das wären meine Fragen.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/47 Vors. Martina Tegtmeier: Also, Frau Gajek, Herrn Heibrock hatte ich vorhin so
verstanden, dass er die zukünftige Politikgestaltung im Land auffordert, für die
Koalitionsvereinbarungen, die ja immer nach der Wahl auf den Weg gebracht
werden, sowas zu berücksichtigen. Aber ich werde Ihn natürlich die Frage gerne
beantworten lassen, da sind ja in der Tat schon ganz konkrete Vorstellungen, in
welchem Finanzrahmen das ist. So, Frau Gajek hat an mehreren Punkten eigentlich
Sie alle angesprochen, deswegen würde ich ganz einfach mal der Reihe nach
vorgehen. Ich fange bei Frau Dorfmann an, weil Sie ganz konkret darauf
angesprochen wurden. Und dann werden wir mal der Reihe nach hier das
abarbeiten. Bitte, Frau Dorfmann.
Regina Dorfmann: Ich denke, dass in Schwerin - also ich muss da jetzt dann einfach
auch noch mal ein Lob an meine Landeshauptstadt aussprechen - ich denke, dass
wir in Schwerin sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten und uns alle gemeinsam
nach Kräften bemühen, aus der Situation das Beste zu mache. Ich glaube, dass wir
die Struktur, die wir zur Zeit haben, dass alle darum bemüht sind, auch mit den
kleineren Trägern, dass diese Struktur erhalten bleibt. Das ist allerdings auch immer
eine
Frage:
Schaffen
wir
das?
Wenn
es
also
eine
Haushaltskonsolidierungsvereinbarung gibt, in der dann doch noch mal drin steht: Im
Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit sollen noch mal 75.000 € eingespart
werden. 75.000 € sind zwei Personalstellen. Das ist bei einer qualitativ gut besetzten
Jugendeinrichtung,
ist
es
eine
ganze
Jugendeinrichtung.
Mehr
als
zwei
Personalstellen haben wir pro Jugendeinrichtung sowieso nicht. Wir bemühen uns
alle nach Kräften in dieser Stadt, das aufzuhalten und das abzufangen. Wir haben
vor vielen Jahren schon einmal zum Stand dessen, was in der Stadt war, gesagt:
Das ist jetzt die Grundsicherung. Und sind dann noch mal darunter gegangen. Und
ich sage da immer: Eigentlich sind wir inzwischen schon bei Untergrundsicherung.
Was die Jugendhilfeplanung angeht - Ach so, ich wollte noch zu den ESF-Mitteln in
der offenen Arbeit. Also, der Knackpunkt ist halt der, dass alleine aus dem, was
quasi an Mitteln für Jugendarbeit nach Paragraph 11 zur Verfügung steht – und die
Stadt Schwerin setzt eine Menge zu den 5,11 € dagegen – reicht es trotzdem nicht,
das, was wir an Angeboten in dieser Stadt so haben, aus solchen Mitteln zu
finanzieren. Also werden natürlich auch Mittel aus dem ESF im Bereich der
Jugendsozialarbeit
eingesetzt.
Da
kommt
es
dann
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
aber
tatsächlich
zu
- 75/48 Verschiebungen. Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch mit den Geschäftsführern der
freien Träger, die mich auch darum gebeten haben, noch mal ganz klar zu machen:
„Wenn wir Jugendarbeit nach Paragraph 11 wollen, dann müssen wir an der Stelle
dieses Finanzierungsinstrument, also müssen wir ein Finanzierungsinstrument, ein
anderes,
dafür
finden.“
Wenn
wir
sagen,
wir
sehen
gerade
in
den
Plattenbaugebieten, dass viele jüngere Kinder die offenen Einrichtungen besuchen
und die Kollegen nicht wissen wie sie es dokumentieren sollen, weil sie bislang nach
Jugendsozialarbeit, ich kann Ihnen sagen, die offenen Einrichtungen in den
Plattenbaugebieten, die machen Jugendsozialarbeit, aber es passt halt nicht in diese
Dokumentation rein, weil 6-jährige kriegt man so schlecht für den Arbeitsmarkt
vorbereitet. An der Stelle haben wir ein Problem. Was die Jugendhilfeplanung
angeht: Wir sind ja nicht nur in den Jugendeinrichtungen manchmal knapp besetzt,
wir sind es auch im Jugendamt. Schwerin hat die Stelle eines Jugendhilfeplaners,
der hat so viel auf dem Zettel, dass der Bereich für den ich hier stehe, im Moment in
der Schlange relativ weit hinten steht. Also die Bemühungen sind da aber auch da ist
eine klamme Kommune die jährlich gefragt wird „Könnt ihr nicht noch irgendwo
Personal einsparen?“ auf einem schlechten Posten. Ich würde mal sagen, auch
daran sind wir am Arbeiten.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Dann gebe ich gleich weiter an Frau
Heinrich.
Dörte Heinrich: Vielleicht zur Frage, Frau Gajek, „Zusammenbruch der Strukturen“,
da würde ich vielleicht gerne was zu sagen. Vor der gesamten Förderung der
Jugend- und Schulsozialarbeit als Schwerpunktlegung kann ich nur für die
ehemaligen Landkreise bis Altlandkreise des Landkreises Vorpommern-Rügen jetzt
sprechen. Es ist so gewesen, dass unterschiedliche Strukturen bereits auch im
Jugendarbeitsbereich, so bezeichne ich das jetzt mal, im Paragraph 11 aufgebaut
waren
in
den
Gemeinden,
die
mit
diesen
unterschiedlichen
fachlichen
Handlungsansätzen - Paragraph 13, Paragraph 11 - gearbeitet haben. Jetzt mit der
ESF-Ausrichtung und der Schwerpunktlegung arbeitsmarktpolitischer Gestaltung,
Vorbereitung der Jugendlichen auf das Berufsleben, ist es so, dass der Schwerpunkt
tatsächlich auf die Jugendsozialarbeit und auf deren Ausgestaltung auch gelegt wird.
Und damit brechen natürlich Strukturen im ländlichen Bereich zusammen, weil die
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/49 finanziellen Mittel einfach nicht mehr zur Verfügung stehen, um Personalstellen für
den reinen Paragraph 11-Bereich bereit zu stellen. Jugendliche brauchen
Unterstützung,
auch
im
Rahmen
der
offenen
Kinder-
und
Jugendarbeit.
Ehrenamtliche Strukturen sind absolut wichtig. Und Jugendarbeit sagt ja auch
„Selbstbestimmtheit, Partizipation, Ganzheitlichkeit“ in diesem Angebot. Aber
Selbstbestimmtheit heißt nicht: „Ich überlasse euch das, macht mal jetzt selber.“
Sondern Jugendliche brauchen Ansprechpartner die wirklich außerhalb von
Paragraph 13 – sage ich jetzt mal – für alle Jugendlichen erreichbar sind. Und das
ist, glaube ich, die größte Problematik, dass wir keine Jugendarbeiterstellen
finanziert bekommen mehr. Die Gemeinden machen da und versuchen im Rahmen
ihrer Möglichkeiten, auch mit uns gemeinsam, aber uns sind finanziell die Hände da
ganz einfach gebunden. Und ich denke, da muss man auch tatsächlich den
Schwerpunkt also auch wieder darauf legen und sagen: Nicht nur Jugendsozialarbeit
und Schulsozialarbeit sind wichtig für die Finanzierung – absolut ist das wichtig, weil
man da, natürlich, die Kinder erreichen muss. Wo erreiche ich sie an erster Stelle
oder in erster Linie? Erreiche ich sie an Schulen, in ihrer Lebenswelt, an ihrem
Lernort? Aber ihre Lernwelt ist auch das Dorf, in das sie jeden Abend nach Hause
kommen, nach der Schule, wo sie sich mit ihren Freunden treffen, wo sie gemeinsam
etwas erleben wollen, wo sie Verantwortung übernehmen wollen. Wenn wir das nicht
stärken und dann wieder verstärkt auch ein Augenmerk darauf legen, die
Jugendlichen wirklich dahin gehend zu unterstützen, dass sie diese Verantwortung
auch wahrnehmen können. Dann ist es eigentlich traurig für uns und hier in
Mecklenburg-Vorpommern, das vielleicht dazu. Dann noch den Schlenker zur ESFDokumentation.
Ich
denke,
es
ist
schwer,
veränderte
Dokumentationen
vorzunehmen. Selbst wenn wir das machen würden, dann würden wir an diesem
ESF-Förderprogramm mit eben diesem arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkt nicht
vorbei kommen. Ich glaube, es ist auch einfach eine Krux, die man sich jetzt vielleicht
bauen könnte, aber es entspricht nicht der Realität. Und wir verschleiern das vor
unseren Augen, das Problem an sich. So viel vielleicht dazu. … Ach so, die
Mitarbeiter, die sind Verwaltungsfachkräfte, die für die Finanzierung zuständig sind
und zwei Diplom-Sozialpädagogen, die für die fachliche Begleitung zuständig sind.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Wie stellt sich das in der Seenplatte dar?
Herr Löffler.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/50 Michael Löffler: Aus ihrem Fragenkatalog habe ich mir drei Stichpunkte
aufgeschrieben. Der erste: Wegfall von Jugendarbeit. Wir hatten ganz große
Einschnitte durch die Kreisgebietsreform, ganz speziell in Neubrandenburg.
Neubrandenburg hatte eine auskömmliche Finanzierung und hat auch wirklich
Einrichtungen schließen müssen, weil der Landkreis diesen Aufgaben natürlich nicht
nachkommen konnte. Neubrandenburg konnte es sich aussuchen, wie alle großen
Kreisstädte oder kreisfreien Städten, die ihren Status verloren haben. Somit war der
Landkreis auf einmal in dieser Verantwortung und wir konnten als Landkreis damals
nicht diese Summe übernehmen. Deswegen aus vier mach eins. Da hatten wir
damals einen wahnsinnigen Anpassungsprozess. Altkreis Müritz hat wirklich auch
nur die Kofinanzierung von 5,11 € erhalten. Da ist nicht viel zusammen gebrochen,
aber es gab in Demmin einen wesentlich höheren Ansatz gab, der lag glaube ich bei
16 € und Neubrandenburg hat noch einen ganzen Batzen mehr draufgelegt. Und
das hat dazu geführt, dass wir Einrichtungen wirklich schließen mussten. Dieser
Prozess, ich habe es ja gesagt, wir haben jetzt in den letzten Jahren minus 25.000 €
ungefähr für diese Aufgabe zur Verfügung. Das führt mittelfristig dazu, dass wir uns
ganz genau diese Jugendarbeit vor Ort anschauen müssen. Und ich gehe davon
aus, dass wir auch weiterhin Jugendarbeit zurückfahren müssen. Was auch unter
Umständen wieder zum weiteren Rückzug führt und es geht dort wirklich Kompetenz
verloren. Wir haben aber auch, ich war auch Stadtvertreter bis vor kurzem in der
Stadt Waren. Wir hatten das Glück, dass wir zwei Millionen von einem Mäzen, Jost
Reinholdt, bekommen haben und haben genau das Problem auch gesehen. Wenn
wir eine Einrichtung baulicher Art errichten mit zwei Millionen, da beneiden uns viele
drüber. Es ist wirklich schön geworden. 3. Oktober war Übergabe. Das ist wirklich ein
sehr wunderbarer Bau, für Jugendarbeit ideal. Die Stadt hat 3 Stellen erstmal
eingestellt, 3 Personalstellen. Das war die große Diskussion der Stadtvertretung.
Weil, vernünftiger Jugendarbeit, da kann man nicht auf die Mittel des Kreises hoffen,
sondern da muss die Gemeinde selbst Geld einstellen. Sie wissen, die Kommunen
sind heutzutage nicht mehr gut ausgestattet. Solche drei Stellen allein zu finanzieren,
das wird noch spannend. Das ist die Frage, dass es nun mal das Herbe: Die
Finanzierung wurde nicht gesponsert, nur das Gebäude. Das wird sicherlich zu
interessanten Debatten führen, die wir dort als Kreis auch flankierend betreiben
werden. Abrechnung der ESF-Mittel der Mitarbeiter ähnlich wie im Landkreis
Mecklenburg-Vorpommern Rügen schätze ich die Lage ein, aber ich bin noch zu jung
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/51 in meinem Amt, um diese Strukturen noch alle komplett zu durchschauen. Verzeihen
sie mir das. Wenn Sie es schriftlich möchten, dann würde ich ihnen die Antwort als
schriftliche Mitteilung auch zukommen lassen. Rückforderungen der ESF-Mittel - ist
der dritte Anstrich - in den Förderperioden 2011 – 2014. Wir hatten auch schon zwei
Fälle, wo Rückforderungsansprüche aufgetan wurden. Ich gehe davon aus, also
derzeit ist weiter nichts bekannt. Aber es könnte durchaus, dadurch, dass die
Prüfungen noch laufen, noch Rückforderungen kommen. ESF ist schwierig
anzufassen und gerade am Anfang war es unwahrscheinlich schwierig in der
Interpretation. Die Probleme kamen im Nachgang, die müssen wir aufarbeiten. Im
Moment ist mir nichts Aktuelles bekannt, aber es könnte durchaus auch dazu führen.
Das möchte ich nicht ausschließen. Reicht Ihnen das erstmal? Okay dann.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Dr. Boldt aus Rostock?
Dr. Rainer Boldt: Ja auch nochmal zu der Frage, brechen Strukturen weg nach der
Kreisgebietsreform? Wir haben festgestellt, dass Jugendarbeit in den beiden
Altkreisen des jetzigen Landkreises - also im Kreis Güstrow und Bad Doberan - so
unterschiedlich organisiert waren. Das ist ja auch normal, denn es ist Bereich der
kommunalen
Selbstverwaltung
und
da
macht
es
jeder
richtig
und
jeder
wahrscheinlich ein bisschen anders als sein Nachbar. Wir haben da in etwa
anderthalb Jahre gebraucht, um diese Situation zu analysieren und eine
gemeinsame Jugendhilfeplanung für diesen Bereich der präventiven Jugendhilfe
aufzustellen. Das ist 2013 geschehen und ein Ziel bei dieser Planung war, dass wir
möglichst keine Strukturen, keine sinnvollen und keine bedarfsgerechten Strukturen
dabei wegfallen lassen wollten. Das ist uns auch gelungen. Wir konnten also diese
Strukturen übernehmen. Wir haben natürlich Dinge geändert, denn in der Jugendhilfe
ändert sich die Situation laufend, dass eine wird besser angenommen und das
andere weniger und das andere vielleicht gar nicht. Da muss man flexibel sein. Ich
denke, das haben wir in der Jugendhilfeplanung ganz gut hingekriegt. Also, ich sehe
im Moment nicht die Gefahr, dass in unserem Landkreis Strukturen in absehbarer
Zeit wegbrechen. Ich sage es aber ganz bewusst, denn die Situation in MecklenburgVorpommern ist sehr unterschiedlich. Die Kollegin nebenan sagte ja gerade, dass
man sicherlich die finanzielle Situation der Stadt Waren oder die finanzielle Situation
der Gemeinden im Umfeld der Hansestadt - also im sogenannten Speckgürtel - nicht
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/52 mit der Situation vieler anderer Gemeinden vergleicht. Die Situation ist sehr
unterschiedlich, auch bei uns im Landkreis. Deshalb, ich hatte das erst schon gesagt,
ist das Land hier gefordert in seiner Ausgleichsfunktion. Wenn wir das alles der
kommunalen Ebene, den kommunalen Möglichkeiten überlassen, dann werden wir
diese Unterschiede in den nächsten Jahren deutlich verstärken in MecklenburgVorpommern. Das befürchte ich und das könnte natürlich auch in den relativ
finanzstarken Regionen dann irgendwann so sein. Müssen Mittel zurückgezahlt
werden? Davon gehe ich im Moment nicht aus. Wir sind in einigen Dingen im
Gespräch. Da geht es um Kleinbeträge. Ich weiß nicht, ob man sich nun darüber
unterhalten will, wo es um 200 € geht. Aber in höheren Größenordnungen sehe ich
das im Moment nicht. Wir haben zurzeit in dem gesamten Bereich Jugendarbeit,
Jugendsozialarbeit,
Sozialpädagogen,
Schulsozialarbeit
eine
3
Mitarbeiter
Verwaltungsmitarbeiterin.
Die
eingesetzt.
letztere
kümmert
Zwei
sich
ausschließlich um die finanzielle Abrechnung. Wir haben festgestellt, dass das
personell wohl auf Dauer nicht ausreicht, weil die Entlastung, die uns gerade bei der
ESF-Abrechnung versprochen worden ist, eben nicht eingetreten ist. Ich glaube,
dass es schon deutlich gesagt worden. Das trifft uns genauso wie alle anderen hier.
Wir haben also weiterhin einen hohen Aufwand, um diese Mittelabrechnung dann zu
machen. Das vielleicht dazu.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, vielen Dank. Jetzt Herr Heibrock, Kinder- und
Jugendprogramm des Landes und anderes, bitte.
Friedhelm Heibrock (Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern e. V.): Also das
können wir ganz kurz machen. Wahrlich ist das so gedacht, dass das formuliert
werden muss für die zukünftige Koalition. Das wird sich, wie gesagt, mit dieser nicht
mehr bewerkstelligen lassen. Ich habe da vorhin die Brücke geschlagen zwischen
Landesjugendhilfeplanung und unserem Kinder- und Jugendprogramm oder Kinderund Jugendberichten oder wie man das auch immer nennt. Vielleicht ist ja auch die
Jugendhilfeplanung auf Landesebene ein Auslaufmodell und man braucht etwas
anderes, was neues. Was, wie gesagt, wichtig ist: Dass das Land einfach schaut, wie
es aussieht mit dem gleichmäßigen Ausbau von Kinder- und Jugendhilfe in
Mecklenburg-Vorpommern, besondere Aufgabe „gleichwertige Lebensbedingung von
Kindern und Jugendlichen“. Das wissen wir, dass die unterschiedlich sind und wenn
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/53 ich das mal genauer analysieren will - die unterschiedlichen Bereiche wirklich vom
Kind bis zum Jugendlichen, das muss ich jetzt nicht aufzählen - da brauche ich eine
unabhängige Kommission und jemand, der dafür die Geschäftsführung macht. So,
beim Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung macht das das deutsche
Jugendinstitut. Wir haben Schabernack, das Zentrum für Praxis und Theorie der
Jugendhilfe, das könnte man zum Beispiel da ansiedeln. Jetzt kann man schnell
rechnen, denn dann braucht man eine Personalstelle dafür, man braucht Kosten für
eine Kommission. Und vielleicht die eine oder andere Expertise. Sind sie mit 60.000
– 70.000 € im Jahr über 4 Jahre gerechnet dabei.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, das war ja recht präzise. Jetzt haben wir als letzte
noch einmal die LAG auf dem Zettel.
Fabian Vogel: Ich fange mal an. Zur Jugendhilfeplanung, wir haben in 2014
Kollegen befragt, was sie ihrer Jugendhilfeplanung wissen und das, was der
Landkreis MSE und der Landkreis Rostock gesagt hat, haben die bestätigt. Es gibt
aber Landkreise, da ist es nicht so gut. Bei uns im Landkreis Ludwigslust-Parchim
zum
Beispiel
gibt
es
für
den
Bereich
Kinder-
und
Jugendarbeit
die
Jugendhilfeplanungen aus den Jahren 2010 für Parchim 2009 aus Ludwigslust. Mit
denen müssen wir versuchen zu arbeiten. Bei uns im Fachdienst Jugend arbeiten
momentan zwei Verwaltungsfachkräfte für den Bereich Jugendsozialarbeit und
Schulsozialarbeit, die dafür zuständig sind. Es sind dann auch andere, die haben
andere Aufgaben und helfen dann mal aus, um noch einmal vielleicht die
Arbeitsbelastung in dem Bereich deutlich zu machen. Ich bin seit 2012 im Landkreis
Ludwigslust tätig und in der Zeit habe ich vier Verwaltungsfachkräfte in dem Bereich
durchlaufen sehen und einen externen Dienstleister, der da mal was retten sollte.
Was Praktisches: Ich habe letzte Woche Donnerstag den ganzen Tag mit dem
Fachdienst Jugend telefoniert. Es ging um die Möglichkeit einer Rückforderung. Ich
beschreibe ganz kurz die Stelle. Wir haben eine Einrichtung, das ist eine Kinder- und
Jugendwerkstatt. Da ist ein Mitarbeiter, der ist in einer offenen Werkstatt tätig. Ich
habe im SGB VIII im Kommentar zum § 13 mal nachgeschaut und da steht: Auch in
offenen Werkstätten kann Jugendsozialarbeit stattfinden. Deswegen haben wir diese
Stelle dort beantragt. Das steht auch in den Bewilligungsbescheiden drin, dass
sozialpädagogische Methoden eingesetzt werden. Ich sehe, dass offene Kinder- und
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/54 Jugendarbeit eine sozialpädagogische Methode ist, um Kinder zu erreichen.
Deswegen arbeiten wir da mit einem offenen Konzept, dass Leute kommen können.
Was kommen da für Jugendliche? Wir haben da Berufsschüler zum Beispiel, die
vormittags in Ludwigslust in der Berufsschule sind, etwas lernen, etwas nicht
verstehen. Und am Nachmittag in diese Einrichtung gehen mit einem Zettel, wo drauf
steht: „Kannst du mir das nochmal erklären?“ Und dann ist da ein Motor drauf, und
denn setzen sie sich an einen Rechner oder gehen hinten ins Lager, nehmen sich
den Motor, schrauben den auseinander. Und dann sagt er: „Oh, jetzt habe ich es
verstanden.“ Und am nächsten Tag geht er wieder zu seiner Schule. Das macht der
Kollege dort. Wir haben in die Stellenbeschreibung reingeschrieben, er ist im offenen
Bereich mit 45% tätig. Ich hab diese Prozentzahl da rein geschrieben, weil es wirklich
so ist. Ich bin da relativ ehrlich. Und ich kann das auch fachlich vertreten. Ich habe ja
im Gesetz nachgeschaut. Das wurde über den Fachdienst Jugend angedeutet, dass
diese Stelle dann nicht förderfähig ist, weil der Prozentsatz im LAGuS ein anderer ist.
Ich kann das nicht nachvollziehen, weil in keinem Bewilligungsbescheid steht drin,
wie hoch der Anteil offen oder wie auch immer sein muss. Deswegen bin ich da ein
wenig irritiert. Es wäre schön, wenn wir diese Regelung irgendwann mal
kennenlernen, damit wir entsprechend Stellen beantragen können, die dann in
diesen Bereich rein passen oder eben Stellen versuchen anderswo zu beantragen.
Das Lustige ist, um nochmal auf die Verwaltungsfachkräfte zurückzukommen, die
haben die Stellenbeschreibung auch gelesen und haben gesagt: Was macht der
denn
da?
Da
habe
ich
gesagt:
Ja,
das
ist
eine
sozialpädagogische
Stellenbeschreibung. Und dann habe ich ihr das erklärt mit dem Beispiel von dem
Jungen aus der Berufsschule und was da passiert, und das da auch ein
Beziehungsaufbau passiert und das die dann Sachen machen und sagen: „Jetzt
habe ich es verstanden.“ Und ich tue mich manchmal schwer, dass wir Berichte
schreiben. Also ich habe das Gefühl, dass ich jede Woche mindestens eine
Begründung oder Stellungnahme dazu schreiben muss, was meine Kollegen dort
machen. Und das dem Fachdienst Jugend gäbe, der das dann wieder ans LAGuS
weiter
gibt
und
ich
habe
irgendwann
keine
Lust
mehr,
als
Träger
Verwaltungsfachkräfte im SGB VIII zu schulen. Vielleicht müsste man da nochmal
schauen im Landkreis und im LAGuS, ob wir da nochmal Fachkräfte dazu holen, die
solche Sachen verstehen. Oder man muss dann eindeutig sagen, diese Finanzierung
ist einfach für diesen Bereich nicht gemacht. … Ich habe noch was vergessen. Ja,
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/55 also ich frage mich persönlich, weil mit unserem Haushalt streiten wir uns immer im
Landkreis. Der sagt immer, wir haben 70 € in der Ko-Finanzierung für die 5,11 €.
Manchmal sagt er auch, es sind 50, wenn er die Produktionsschulen raushaut.
Manche sagen hier 9, manche sagen hier 17. Und ich habe auch von Leuten gehört,
die sagen: „Wir sagen nur 17, dann haben wir nämlich noch was in der Hinterhand.“
Vielleicht wäre es mal interessant zu wissen, welche Produkte sozusagen auf
Landkreisseite dort in der Ko-Finanzierung mit drauf sind. Damit möglicherweise eine
Vergleichbarkeit hergestellt werden kann. Und dann die Landkreise sich nicht
gegenseitig wieder ausspielen. Weil wenn er sagt: „Guck mal, wir zahlen 70 €. Was
wollt Ihr denn eigentlich von uns?“ Und wir sagen: „Die Kinder- und Jugendarbeit ist
eigentlich gar nicht mehr möglich.“ Vielleicht gucken Sie da nochmal nach.
Olaf Hagen: Frau Gajek, ich kann nicht wirklich was zu der Rückforderung in
Neustadt-Glewe sagen, weil ich den Bericht jetzt nicht kenne. Ich weiß nur, dass es
nicht um Schulsozialarbeit sich handelt, sondern um Jugendsozialarbeit in der
Einrichtung in einem Stadtteil, wo Menschen leben, denen es nicht so gut geht.
Nennen wir es mal so. Die Kollegin hat dort sehr engagiert und motiviert alleine eine
Einrichtung aufgehalten. Das ist für mich zum Beispiel schon mal ein Unding. Weil
ich glaube, eigentlich braucht es gerade in solchen Bereichen immer auch
Teamkonstellationen wo Leute auch miteinander arbeiten können, sich vertreten
können. Der Gender-Aspekt ist überhaupt noch nicht berücksichtigt an der Stelle.
Gut, von daher kann ich da im Moment nichts zu sagen. Was das ESF angeht, ich
will das an der Stelle nochmal zumindest einbinden. Also wenn ich mir die Ziele des
ESF angucke, dann steht da „Teilhabe Bildungs- und Arbeitsmarkt“. Das ist also
deutlich, zumindest formal deutlich mehr als das, was zumindest nach den
Förderkriterien, wenn du das jetzt hier nochmal so ergänzt, angerechnet wird. Ich
weiß gerade nicht mehr, was ich noch sagen soll. Kann ich die Frage sonst nochmal
hören, die jetzt vielleicht noch offen ist?
Abg. Silke Gajek: Mich hatte das interessiert, wie das mit der Rückzahlung ist. Und
die Kollegin hatte in dem Kontext eben gesagt, dass die Dokumentation ist so, das
Schulsozialarbeit oder Jugendsozialarbeit, ja, vielleicht eine eigene Sprache hat und
jetzt sehr stark nach kurz gearbeitet wird. Und sie sagte, die Schwierigkeit ist, dass
sie nicht selber mit dem LAGuS verhandeln kann oder arbeiten kann. Sondern das
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/56 es immer diesen Umweg gibt, das LAGuS arbeitet mit den Kreisen zusammen und
die gehen dann wieder an die Mitarbeiter. Da ist dann natürlich a) so ein
Informationsverlust und es ist halt so eine, ja wie so eine Maske, die vorgegeben ist
und da muss sie halt das immer eintragen, ich glaube alle zwei Monate. Und das ist
ja etwas, es geht ja auch um Wertschätzung dieser Arbeit. Also a) sind ja diese
Arbeitsverhältnisse häufig prekär, also sehr häufig befristet, und jetzt ist das wie so
ein Kontrollzwang. Und das hatte sie nochmal mir mitgeteilt und hat eben gesagt,
dass was ja hier auch teilweise deutlich wurde, dass eben so eine Frustationsgrenze
da ist. Und ich denke, wenn uns - Und ich glaube da sind wir uns alle einig, Kinderund Jugendarbeit ist wichtig. Es ist auch deutlich geworden, dass wir eine Steuerung
brauchen. Für mich ist jetzt so, wir haben diesen Haushalt, darum geht es ja. So
welche Möglichkeiten gibt es hier, ein Stück weit gegenzusteuern. So, wir haben
einerseits das KJFG, das ist § 11, das, glaube ich, ist jetzt deutlich geworden. Aber
die Frage des ESF ist da. Wir haben jetzt hier den Haushalt für die nächsten zwei
Jahre, den wir wahrscheinlich beschließen werden. Es ist das Geld festgelegt. Und
es ist vielleicht auch so eine Art Ohnmacht zu sagen: Wie können wir da jetzt weiter
arbeiten über das Jahr 2020 hinaus, aber eben die Leute noch behalten? Weil das,
finde ich, ist einfach wichtig: Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vor Ort in ihren
unterschiedlichen Kontexten, ihnen so viel wie möglich abzunehmen. Vielleicht ist
diese Anhörung auch nochmal dafür da, so ein Stück weit zu sensibilisieren auf den
unterschiedlichen Ebenen, um das vielleicht noch möglich zu machen, was in dem
Rahmen möglich ist. Ich habe da auch keine Antworten. Beispielsweise mit der
Richtlinie, beispielsweise mit der Dokumentation. Deswegen gingen meine Fragen
eher dahin, gibt es noch Vorschläge von der Basis, die vielleicht heute hier in dem
Rahmen der Anhörung genannt werden können? Ich glaube, wir wollen, ich denke die demokratischen Parteien - alles das gleiche und es geht insbesondere um die
ländlichen Räume, dort Strukturen zu erhalten und eine Trägervielfalt. Und da sind
Sie als Experten da und vielleicht können Sie uns noch was mit auf den Weg geben.
Vors. Martina Tegtmeier: Herr Hagen, haben Sie da noch Ausführungen zu?
Olaf Hagen: Nur ganz kurz. Weniger Kontrolle, mehr Zutrauen in das, was die
Kollegen vor Ort tun. Weil sie tun es im Regelfall nicht, weil sie damit reich werden
oder weil sie damit tolle berufliche Perspektiven haben, sondern weil sie einen
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/57 Impetus haben, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten und sie auf ihren Weg ins
Leben zu begleiten Und da gehört das Arbeitsleben dazu. Aber eben nicht nur
dieses. So vielleicht.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, vielen Dank. Dann habe ich Frau Bernhardt.
Abg. Jacqueline Bernhardt: Ja, angeregt von dem, was Herr Vogel gesagt hat zur
Ko-Finanzierung der Mittel in den Landkreisen und kreisfreien Städten zu den 5,11 €,
scheint es mir eben so, das einige, das unterschiedliche Mittel reingerechnet werden.
Deshalb würde ich gerne anregen, über das Sozialausschusssekretariat, das uns
vom Sozialministerium mitgeteilt wird, was alles in diesem Ko-Finanzierungsanteil
reingerechnet werden kann und was nicht. Und vielleicht können uns dann die
Landkreise, die heute hier sind, nochmal vielleicht bis Freitag, wenn es möglich wäre,
zuarbeiten, was sie alles für Kofinanzierung über 5,11 € bereitstellen.
Vors. Martina Tegtmeier: Wer möchte dazu das Wort? Ja, bitte sehr.
Dörte Heinrich: Also ich kann für den Landkreis Vorpommern Rügen sofort
antworten. Bei uns ist es wirklich so, dass wir nur alles, was über unsere eigene
Jugendförderrichtlinie im Rahmen von Jugendarbeit § 11 finanziert wird, § 13,
außerhalb von Schul- und Jugendsozialarbeit, Personalkosten, das ist bei uns in den
5,11 € drin. Ich kann jetzt nicht genau die Gegenfinanzierungssumme sagen, die
habe ich jetzt nicht genau im Kopf. Aber wir kommen ungefähr auch auf die 7, 8, 9 €.
Ich weiß es nicht.
Aber alles was
Schulsozialarbeit ist, Personalkosten,
Produktionsschulungen, Berufsvertreter ist dort nicht mit einbezogen. Ganz klare
Trennung der Haushalte, damit wir Haushaltsklarheit haben.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, danke. Herr Löffler.
Michael Löffler: Gleiche Antwort, kann ich nur sagen.
Vors. Martina Tegtmeier. Okay, danke. Herr Dr. Boldt nickt auch. Alles klar. Okay,
vielen Dank. Gibt es weitere Fragen? Das sehe ich nicht, damit sind wir mit der
ersten Anhörung des heutigen Tages am Ende. Ich bedanke mich nochmal ganz
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/58 herzlich, dass Sie die Geduld hatten uns hier Rede und Antwort zu stehen. Vielen
Dank auch für das Interesse der Zuhörer dort hinten. Ich wünsche ihnen weiterhin an
diesem Tag frohes Schaffen. Ich denke ja nicht, dass Sie jetzt Feierabend haben und
wünsche Ihnen einen guten Heimweg in Ihre Dienststellen. … Ich schließe damit
auch diese Anhörung und wir treffen uns hier planmäßig um 11:30 Uhr wieder und
starten dann in die zweite Anhörung.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/59 PUNKT 2 DER TAGESORDNUNG
Öffentliche Anhörung zum Thema
Bedeutung und Notwendigkeit öffentliche geförderter Beschäftigung bzw.
Beschäftigung schaffender Maßnahmen für die Integration
langzeitarbeitsloser Frauen und Männer in Mecklenburg-Vorpommern
Vors. Martina Tegtmeier: Gut, ich bitte Sie die Plätze einzunehmen, damit wir relativ
pünktlich beginnen können. … So, wir kommen dann zur zweiten Anhörung des
heutigen Tages und zwar zum Thema „Bedeutung und Notwendigkeit öffentliche
geförderter Beschäftigung bzw. Beschäftigung schaffender Maßnahmen für die
Integration langzeitarbeitsloser Frauen und Männer in Mecklenburg-Vorpommern“.
Ich begrüße Sie ganz herzlich zu dieser Anhörung, insbesondere natürlich unsere
Sachverständigen, die dort hinten Platz genommen haben und auch die Gäste. Dies
ist zwar eine öffentliche Anhörung, aber trotzdem muss ich jedes Mal darauf
hinweisen, dass hier natürlich nur die Anzuhörenden und die Abgeordneten das Wort
ergreifen dürfen. Die Stellungnahmen, die schriftlich vorliegen, sind natürlich den
Abgeordneten bekannt, somit haben wir auch schon im Anschreiben Ihnen ja
mitgeteilt, dass wir Sie bitten, uns Ihre Ausführungen hier in 5 Minuten zusammen zu
fassen bzw. zu ergänzen, bei denen die schriftliche Stellungnahme hier vorliegt. An
der heutigen Sitzung nicht teilnehmen können der Landkreistag, der Städte- und
Gemeindetag,
der
Landesfrauenrat
und
der
Landesjugendhilfeausschuss.
Landkreistag und Städte- und Gemeindetag haben - und auch der Landesfrauenrat haben uns allerdings eine schriftliche Stellungnahme zur Verfügung gestellt. Wir
fahren folgendermaßen fort: Sie bekommen der Reihe nach der Wort zu Ihren
Ausführungen und im Anschluss daran treten wir dann in die Fragerunde ein. Ich
gebe zunächst Herrn Schlüter vom DGB das Wort und muss darauf hinweisen, dass
uns in diesem Zusammenhang noch keine schriftliche Stellungnahme vorliegt,
sodass ich ihm auch zugesagt habe, dass er sich nicht ganz an diesen Rahmen
5 Minuten halten braucht. Bitte sehr.
Ingo Schlüter (DGB Nord): Ja, danke sehr, geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte
Abgeordnete – „der demokratischen Parteien“ muss ich jetzt im Moment nicht sagen
- guten Tag alle zusammen. Ja, die Zeitschiene für die Anhörung war ja sehr
sportlich, sehr ambitioniert und insofern war es uns jetzt nicht möglich, wirklich ins
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/60 Detail zu gehen und die Fragen schriftlich abzuarbeiten. Das ist der eine
redaktionelle Hinweis. Der zweite – wenn das so erlaubt ist – eine kleine Kritik am
Ausschuss:
Ich
hätte
es
wirklich
für
gelungener
empfunden,
wenn
die
demokratischen Parteien es geschafft hätten, auch das Erwerbslosenparlament, den
Erwerbslosenbeirat zu dieser wichtigen Thematik hier anzuhören. Das liegt in der
Natur der Sache, brauche ich, glaube ich, nicht zu begründen. Insofern will ich nur
zwei, drei Bemerkungen vorweg schicken aus der Diskussion im Erwerbslosenbeirat
in der vorherigen Woche. Also, zum einen sind wir der Meinung, die
Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der Themen, an denen jetzt sichtbar wird, dass die
Ausstattung - schon ohne die Bewältigung der Herausforderung im Zusammenhang
mit den Flüchtlingen - unzulänglich ist und wir politisch klipp und klar nicht nur für den
DGB, sondern auch für den Erwerbslosenbeirat hier sagen können, dass wir nicht
wollen,
dass
Langzeitarbeitslose
und
Flüchtlinge
zukünftig
gegeneinander
ausgespielt werden. Dazu ist die Ausstattung der Jobcenter einfach bedarfsgerecht
zu verbessern. Die Ausstattung ist ja heute schon für die eigentlich heute zur
Anhörung stehenden Fragen nicht ausreichend. Das ist so eine kleine Vorbemerkung
zum einen. Zum anderen sind wir als DGB – das will ich auch vorweg sagen – ganz
grundsätzlich deutliche Befürworter der öffentlich geförderten Beschäftigung. Wir
haben ja nun immer wieder auf Landes- wie auf Bundesebene dazu entsprechende
Initiativen vorgetragen. Zuletzt unsere Initiative, dass wir zum Beispiel nicht wollen,
dass diese „vererbte Langzeitarbeitslosigkeit“ einfach so ohne entsprechende
Antwort im politischen Raum bleibt. Ich finde - Wir sind also grundsätzlich der
Meinung und so ist ja auch das aktuelle Programm zu verstehen: Wir wollen nicht,
dass Kinder in einer Familie aufwachsen, wo beide Elternteile arbeitslos,
langzeitarbeitslos ist. Und jetzt mal vielleicht zu ein paar einzelnen Punkten, ohne
mich jetzt direkt an den Fragenkatalog zu halten. Das eine ist, also wir befürworten
die Notwendigkeit einer öffentlichen Beschäftigung ausdrücklich. Der Landkreistag
hat in seiner schriftlichen Stellungnahme ja von „unerlässlich“ gesprochen. Dem
würden wir so zustimmen, weil nämlich erstens es natürlich auch um die Frage
Fachkräftesicherung geht. Ich verweise an der Stelle auf das Fachkräftebündnis in
Mecklenburg-Vorpommern. Aber zum anderen geht es auch ganz deutlich um
soziale Teilhabe für diese Menschen und auf beiden Strecken ist deutlich mehr zu
tun. Und wir als DGB sind der Auffassung, dass das ohne Korrekturen an der
Schnittstelle zwischen SGB II und SGB III letztendlich zu keinen vernünftigen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/61 Projekten kommt. Da muss man gar nicht auf Feinheiten einer Passiv-Aktiv-Debatte
eingehen, sondern ganz generell muss man einfach sagen: So, wie das HartzSystem sich darstellt, wie die Betreuung von Erwerbslosen - egal ob jetzt ALG I und
ALG II - organisiert ist, wird es immer wieder zu Friktionen kommen, die die
Integration von Langzeitarbeitslosen – egal mit welcher Zielstellung, ob es jetzt
wirklich die Integration in den ersten Arbeitsmarkt sei oder überhaupt nur
Verhinderung von De-Qualifizierung, soziale Teilhabe, egal – ohne Korrekturen im
Hartz-System ist das nicht möglich. Dem Fragekatalog liegt ja offensichtlich ein Stück
weit die Annahme zugrunde, dass es in erster Linie auch um die Integration in den
ersten Arbeitsmarkt geht. Da kann man deutlich breitbandiger denken, da haben wir
also erhebliche Vorbehalte gegen so eine Zuspitzung. Ich würde sagen, es wird ja in
der öffentlichen Debatte letztendlich, ich erinnere da mal an die letzte FriedrichEbert-Stiftung-Langzeitstudie zu einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wo
es bei den Langzeitarbeitslosen, bei den Hartz-Empfängern einen extremen
Ausreißer
gibt
Negativdebatten
in
der
einfach
Negativbewertung.
nicht
gerecht
Man
und
wird
dass
es
diesem
möglich
Thema
ist,
mit
auch
Langzeitarbeitslose in Arbeit zu bringen, das können Sie an den Bundesländern
sehen, wo die Arbeitslosigkeit deutlich geringer ist. Nehmen wir mal unsere
Paradeländer Bayern und Baden-Württemberg. Wenn man sich die mal so anguckt,
und da sind dann Arbeitslosigkeiten von 3 %, das heißt ja, dort gelingt es praktisch
vor einem Hintergrund des Interesses der Arbeitgeberseite an Beschäftigten
durchaus, auch Menschen in Arbeit zu bringen, wo das bei uns in einem
schwierigeren Umfeld bisher nicht gelingt. Damit will ich nur sagen: Es geht
letztendlich nicht nur um persönliche Indikation, sondern es geht ganz sicher auch
darum, den äußeren Rahmen dazu zu betrachten. Ein Grund, warum wir nachwievor
eine ausgesprochen kritische Position zum Hartz-System haben, besteht darin, dass
die Langzeitarbeitslosigkeit, so wie sie sich darstellt, auch bei uns in MecklenburgVorpommern - auf die Zahlen gehe ich jetzt mal aus Zeitgründen gar nicht ein letztendlich in Größenordnung auch ein De-Qualifikationsprogramm ist und wir vor
dem Hintergrund dieser vielschichtigen Bemühungen im Fachkräftebündnis das also
als absolut kontraproduktiv ansehen. Wir müssen Menschen motivieren, wir müssen
Leute dazu bringen, ihre Qualifikation aufzufrischen oder neu zu erwerben und nicht
Leute unsinnig lange in Langzeitarbeitslosigkeit belassen. Wir haben verschiedene
Kriterien für öffentlich geförderte Beschäftigung für uns politisch definiert. Es geht
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/62 darum, dass zum einen sozialintegrative Leistungen immer mit angeboten werden
müssen, insbesondere bei Menschen, die Vermittlungshemmnisse haben. Da muss
man also wirklich das ganze Umfeld sehen. Da will ich auch an der Stelle das schon
mal positiv benennen: Der Familiencoach bei uns, der ist in MecklenburgVorpommern aus ESF finanziert, der ist ein solcher Ansatz, der dann ja auch da, wo
wir ihn umsetzen können, durchaus funktioniert. Und da wo man jetzt öffentlich
geförderte Beschäftigung organisiert, muss man aus vielerlei Gründen, also nicht nur
ordnungspolitischen Gründen, Motivationsgründen für die Betroffenen darauf achten,
dass es sich dann um gute Arbeit handelt, dass sie tariflich bezahlt wird, dass sie
sozialversicherungspflichtig ist. Und wenn man diese Dinge aufgibt, dann muss man
sich nicht wundern, dass öffentlich geförderte Beschäftigung vielleicht dann auch ins
Leere geht, weil die Motivation für diejenigen, die sie nutzen sollen, dann auch nicht
gegeben ist. Zu den Programmen der Bundesregierung will ich nur sagen: Wir
begrüßen dieses Modul „soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt. Insgesamt muss man
einfach sagen, dass das, was es hier jetzt auf der Bundesebene gibt, im
Gesamtvolumen einfach eine Größenordnung hinter dem zurückbleibt, was es an
tatsächlicher Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland gibt und letztendlich ist die
entscheidende Frage einfach die, wie die Jobcenter auch ausgestattet werden und
inwieweit die Jobcenter auch von bürokratischen Belastungen befreit werden.
Passiv-Aktiv–Transfer hatte ich vorhin kurz angesprochen. Da gibt es Beispiele, da
will ich im Einzelnen hier nicht darauf eingehen. Eine Bewertung insofern nur, dass
man sagen muss, das schafft man natürlich nur - dieses Modell zu einem Erfolg zu
bringen - wenn man insgesamt deutlich mehr Geld in diesen Topf hinein stellt und es
ist zwar kein billiges, aus unserer Sicht aber notwendiges Instrumentarium, mit dem
man etwas anfangen könnte auch bei uns in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Punkt,
der Landkreistag und seine Stellungname, das habe ich mir heute morgen angeguckt
und da fand ich noch einen Hinweis sehr bemerkenswert, den ich Ihrer
Aufmerksamkeit besonders empfehlen möchte. Da geht es um die Frage, inwieweit
dieses Kriterium der Zusätzlichkeit und die anderen Kriterien letztendlich auch vor
dem Hintergrund der Rechtsprechung, der aktuellen, einfach zur Verhinderung von
öffentlich geförderter Beschäftigung führen können. Und da haben wir als DGB eine
klare Auffassung. In dem Augenblick, wo man die regionalen Sozialpartner, also
Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und auch die Kammern in solchen, ich nenne
das mal untechnisch, regionale Prüfungsausschüsse in die Verantwortung mit
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/63 einbinden würde für solche entstehende Arbeit, könnte man diese Frage von
Zusätzlichkeit usw. ganz leicht überwinden, dann hätte man das Problem nicht mehr.
Da gab es ja auch in den 90er Jahren zu anderen Modellen entsprechende
Beteiligungsformen. Fazit jedenfalls jetzt für mich: Dass, was wir im ESF für die neue
Förderperiode auf die Schienen gehoben haben, das ist sehr vernünftig und auch die
Ausstattung der Regionalbeiräte, was da an Integrationsprojekten möglich ist, das
war das, was im ESF vor dem Hintergrund der Gesamtheit zurückgehenden ESFMittel möglich war. Das sind vernünftige Modelle. Aber wir werden die
Langzeitarbeitslosigkeit auch über den Weg von kleinen, feinen Modellen der
öffentlich geförderten Beschäftigung mit viel regionalem Engagement überhaupt nicht
bewältigen können. Dazu sind wirklich Korrekturen im Hartz-System nötig und
insofern will ich zum Abschluss einfach nochmal sagen: Wir sind für den öffentlich
geförderten Beschäftigungssektor. Ganz allgemein, und ganz grundsätzlich glauben
wir, dass wir da viel, viel größer denken müssen für die Zukunft, insbesondere auch
vor dem Hintergrund der Betreuung von Flüchtlingen. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank, Herr Schlüter. Wäre es möglich, Ihre
Aufzeichnung für das Sekretariat zu erhalten? Das würde die Arbeit entlasten.
Ingo Schlüter: Das ist möglich, aber das wird den Protokollanten nicht viel Freude
machen, weil das alles so handschriftliche Sachen sind. Aber ich kann an der Stelle
vielleicht auf etwas anderes verweisen, insbesondere wenn es jetzt um die
Feinheiten eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors geht, kann ich nur auf
diese sogenannte Adamy-Broschüre ein weiteres Mal verweisen. Und vor allen
Dingen, ich habe einen wichtigen Punkt vergessen, Frau Vorsitzende, vielleicht darf
ich das noch ergänzen. Wir haben ja das ganze Jahr 2014 sehr intensiv uns mit den
landespolitischen
Handlungsoptionen
Langzeitarbeitslosigkeit
befasst.
Das
für
ging
die
los
mit
Bekämpfung
einer
Initiative
von
des
Fraktionsvorsitzenden der Linken „Runder Tisch Langzeitarbeitslosigkeit“. Dann
haben wir uns in verschiedenen Formaten, in verschiedenen Veranstaltungen
insbesondere auch des Erwerbslosenparlaments, die Grünen mit einer eigenen
Veranstaltung, die Ebertstiftung mit einer eigenen Veranstaltung, also wir haben
intensiv uns mit diesem Thema befasst und hatten ursprünglich die Zielstellung, im
Landesfachkräftebündnis da noch neue Modelle zu entwickeln. Wir sind letztendlich
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/64 an zwei Punkten gescheitert. Das eine ist die Frage, inwieweit der Landeshaushalt
für echte Investments in diese Richtung überhaupt dienbar gemacht werden kann.
Und das zweite sind einfach die Dinge, die auf der Bundesebene SGB II und SGB III
geregelt werden müssen. Deshalb bleibt unsere Forderung nachwievor, da und an
der Stelle der Bundesebene Druck zu machen. Und ansonsten kann ich Ihnen nur
diese Broschüre sehr ans Herz legen, weil darin praktisch die gesamte kritische
Schau auf die Beschäftigungspolitik in Deutschland abzulesen ist. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Als nächste hören wir Frau Elena Weber von
der Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband e. V. Ihre Stellungname
haben wir. Bitte führen sie aus.
Elena Weber (Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband e. V.): Vielen
Dank für die Einladung und die Möglichkeit, hier heute als Sachverständige sprechen
zu dürfen. Aus Sicht der Diakonie in Deutschland ist ein zentrales Element der
aktiven
Arbeitsmarktpolitik
die
gute
Beratung
in
den
Jobcentern.
Um
Leitungsberechtigte in ihrer Lebenssituation angemessen unterstützen zu können,
braucht es die Kompetenzen und Erfahrung der Akteure vor Ort. Auch von der
Kinderbetreuung
über
die
Suchtberatung,
über
die
Beschäftigungs-
und
Qualifizierungsunternehmen bis hin zu Reha-Trägern. Es ist wichtig, dass diese
Netzwerkarbeit in den Jobcentern gestärkt wird. Aber um gute Beratung
gewährleisten zu können, braucht es mehr entsprechendes Personal in den
Jobcentern,
und
entsprechend
mehr
Mittel
auch
im
Verwaltungsjhaushalt.
Langzeitarbeitslose brauchen Unterstützung auf Augenhöhe. Vorhandene Potenziale
sollen gefördert werden und Personen sollen befähigt werden, ihre Lebenssituation
zu
verbessern.
Einzelne
Förderbausteine
müssen
kombinierbar
sein
und
bedarfsgerecht zur Verfügung stehen. Es ist auch wichtig, dass einzelne Teilschritte
in einer Integrationsstrategie, in einem Prozess als Erfolge auch anerkannt werden.
Wir wissen, dass das Risiko arbeitslos zu werden und lange in Arbeitslosigkeit zu
verbleiben, größer ist je niedriger die berufliche Qualifikation ist. Doch kaum eine
Region bietet genügend einfache Tätigkeiten und insofern kann die regionale
Mobilität von Arbeitslosen immer nur einen geringen Beitrag leisten zum Abbau der
Langzeitarbeitslosigkeit.
Insofern
sind
auch
mehr
abschlussbezogene
Weiterbildungen und auch die Feststellung und Anerkennung von Teilqualifikationen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/65 ein wichtiges Element der Arbeitsmarktpolitik. Außerdem ist es aus unserer Sicht
auch notwendig, die finanzielle Situation von Personen in Weiterbildung zu
verbessern, denn wir wissen aus Erkenntnissen - ich glaube, das war eine Studie
des IAB - dass auch finanzielle Aspekte während einer Weiterbildung die Bereitschaft
von Arbeitslosen hemmen, an dieser Weiterbildung teilzunehmen. Um verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen und die dauerhafte Ausgrenzung von Menschen
vom Arbeitsmarkt zu beenden, braucht es aber mehr als nur gute Beratung. Es
braucht eine Investition in öffentlich geförderte Beschäftigung, die Menschen eine
Perspektive
eröffnet.
Öffentlich
geförderte
Beschäftigung
soll
dabei
sozialversicherungspflichtig sein und auch – so, wie der Kollege gesagt hat - an
Kriterien guter Arbeit ausgestattet sein, d.h. tariflich bzw. nach Mindestlohn entlohnt
werden. Aus unserer Sicht ist es auch wichtig, dass die öffentlich geförderte
Beschäftigung allen Arbeitgebern offen steht. Also nicht belegt ist mit den Kriterien
Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse. Staat und Gesellschaft fördern in vielen
Bereichen Beschäftigung durch Subventionen, z.B. aus kulturpolitischen Gründen
oder auch, um die öffentliche Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Dabei sind die
geförderten Arbeitsplätze, sollen sie bestimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllen.
Analog dazu, in dieser Logik könnten auch Mittel für öffentlich geförderte
Beschäftigung bereitgestellt werden mit dem Ziel, gesellschaftliche Teilhabe durch
Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt herzustellen für Gruppen, die bislang
ausgegrenzt waren. Personen in öffentlich geförderter Beschäftigung sollen dabei
auch mit begleitenden, also begleitet werden, mit begleitenden Maßnahmen
unterstützt werden, um ihre Kompetenzen und beruflichen Kompetenzen weiter zu
entwickeln. Und das ist auch wichtig, im Prinzip diese Begleitung zu gewährleisten im
Übergang von geförderter in ungeförderte Beschäftigung. Wichtig dabei insgesamt
für Leistungsberechtigte, Jobcentermitarbeiter und auch Arbeitgeber insgesamt sind
ausreichende und verlässliche finanzielle und gesetzliche Rahmenbedingungen.
Bislang scheitert eine Umsetzung des PAT und öffentlich geförderter Beschäftigung
mit einem Passiv-Aktiv-Transfer am Widerstand des Bundesfinanzministeriums auf
Bundesebene, wir setzen uns da ja schon seit Jahren für ein. Aber MecklenburgVorpommern
kann durch
eine
modellhafte
Umsetzung im Rahmen
eines
Landesarbeitsmarktprogrammes, aus unserer Sicht, Menschen, die seit langem vom
Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, eine längerfristige Perspektive ermöglichen. Nicht
nur die Leistungsberechtigten selbst, sondern auch ihre Familien und ihre Kinder
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/66 insbesondere würden davon profitieren. Kinder, die im Leistungsbezug aufwachsen,
sind von materiellen Entbehrungen und sozialer Ausgrenzung betroffen. Der Kollege
vom
DGB
hat
das
auch
schon
angesprochen.
Dieses
Aufwachsen
im
Langzeitleistungsbezug hat negative Auswirkung auf die Lebenszufriedenheit von
Kindern, die Gesundheit und auch den Bildungserfolg von Kindern. Öffentlich
geförderte Beschäftigung kann verhindern helfen, dass Kinder in diesen verfestigten
Strukturen
des
Langzeitleistungsbezugs
und
der
Langzeitarbeitslosigkeit
hineinwachsen. Ein solches Landesarbeitsmarktprogramm würde auch ein deutliches
Zeichen an die Bundesregierung senden aus unserer Sicht, dass geringe
Eingliederungsmittel und ständig wechselnde zeitlich befristete ESF-finanzierte
Programme
nicht
ausreichen.
Zusätzliche
verlässliche
Angebote
und
Rahmenbedingungen sind notwendig sowie die bundesgesetzliche Einführung eines
Passiv-
Aktiv-Transfers,
um
eben
verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit
und
Ausgrenzung von Menschen abzubauen.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Als nächstes möchte ich Frau Nößler bitten
vom Evangelischen Fachverband für Arbeit und Soziales, Ihre Ausführungen zu
machen. Bitte sehr.
Ines Nößler (Evangelischer Fachverband für Arbeit und soziale Integration e.V.): Ja,
vielen Dank auch von meiner Seite für die Einladung. Ich finde es jetzt so schön,
dass wir so aufgereiht sind. Das sind jetzt die befürwortenden Stimmen, ich bin jetzt
die Dritte befürwortende Stimme, sehr schön. Also, ich setze jetzt noch mal einen
Fokus auf öffentlich geförderte Beschäftigung, meine Stellungnahme liegt ja
schriftlich vor, wurde veröffentlicht. Die aktuelle robuste Arbeitsmarktlage, die wir seit
Jahren haben, macht deutlich, dass der Markt alleine es nicht richten wird, dass also
strukturell verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit nicht abgebaut werden konnte, weil die
Arbeitgeber sind nicht ohne Weiteres bereit, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen und
auch der Beschäftigungsaufbau, den wir in den letzten Jahren verzeichnen konnten,
geht an den meisten Langzeitarbeitslosen vorbei. Mehr als zwei Drittel aller
Arbeitslosen sind im Rechtskreis des SGB II, das macht die Problemverschiebung
deutlich. Das Referenzsystem für Arbeitslosigkeit ist nicht mehr das SGB III, sondern
es ist das SGB II geworden. Auch in Mecklenburg-Vorpommern sind fast 75 % aller
Arbeitslosen im Rechtskreis des SGB II. Und trotz der guten Arbeitsmarktlage die
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/67 Deutschland unstreitig zur Zeit hat, schneiden wir im internationalen Vergleich auch
schlecht ab. Also wer sich die aktuelle OECD-Studie angeguckt hat, da wird
Deutschland kritisiert von der OECD, dass Langzeitarbeitslosigkeit eines unserer
größten Probleme am Arbeitsmarkt ist. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich in den
letzten Jahren marginal verändert. Ich will jetzt auch nicht auf die Definition
„Langzeitarbeitslosigkeit-schädliche und unschädliche Unterbrechung“ eingehen –
ich denke, dass ist Ihnen hinreichend bekannt. Und zwar sind wir von 2012 - das sind
die stabilen Zahlen, die der OECD vorliegen - von 45,5 % ist sie gefallen auf 44,7 %
im Jahr 2013. Aber wenn ich mir den OECD-Durchschnitt angucke, liegt Deutschland
10 % über dem OECD-Durchschnitt. Und das finde ich in so einem starken und im
Moment wirtschaftlich robusten Land schon eine schwierige Situation. Dann gucke
ich noch mal auf die Instrumentenreform. Meine Vorredner haben es beide gesagt:
Wenn wir heute über Arbeitsmarktpolitik reden, müssen wir über die Auswirkungen
der Instrumentenreform reden, die 2010 unterschrieben wurde und dann in der
letzten Umsetzung 2012. Und dort habe ich zwei gravierende Einschnitte auf die
Arbeitsmarktpolitik,
negative
Wirkung
insbesondere
im
Blick
auf
die
Langzeitarbeitslosen, ich habe eine dramatische Mittelreduktion um fast die Hälfte.
Das heißt, ich habe natürlich weniger Langzeitarbeitslose, aber ich habe nicht halb
so viel weniger Langzeitarbeitslose. Diese Mittelreduktion führt dazu, dass die
Jobcenter per se – meine Vorredner haben es alle mit anklingen lassen – natürlich
immer wieder aus den aktiven Mitteln in den Verwaltungshaushalt umschichten
müssen. Wenn ich umschichte, fehlt es zur Förderung langzeitarbeitsloser
Menschen. Aber die Instrumentenreform hat auch eine qualitative Änderung zur
Folge gehabt und zwar wurden die arbeitsmarktpolitischen Instrumente insbesondere
im Hartz IV-System im Sozialgesetzbuch II an die Systematik des SGB III angedockt
und das ist die vorrangige und kurze und schnelle Vermittlung in den Arbeitsmarkt.
Und das ist das, was gezählt wird, was sich niederschlägt in den Zielvereinbarungen,
in den Ausrichtungen der Angebote der Jobcenter. Und es kommt dem marktnahen
Kunden zugute, also denen, die relativ schnell vermittelbar sind. Dann kann ich
Integrationserfolge vorweisen und damit bleiben Langzeitarbeitslose sozusagen auch
schon auf der Förderstrecke unberücksichtigt. Es gibt Zahlen, Statistiken, das kann
man alles sich bei der Regionaldirektion jeweils abrufen lassen. Jeder zehnte
Langzeitarbeitslose in Deutschland kriegt nur noch ein Förderangebot. Das heißt,
neun Langzeitarbeitslose Menschen bleiben ungefördert und unberaten im
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/68 Leistungsbezug. Dann noch mal einen anderen Schwenk: Wir haben auf der anderen
Seite einen Fachkräftemangel – ja, der wird in den MINT-Berufen in besonderer
Weise deutlich oder konstatiert - und dieser Fachkräftemangel, aus meiner Sicht,
macht es auch noch mal offensiv, dass Langzeitarbeitslosigkeit per se ein
Vermittlungshemmnis
bei
der
Einstellung
ist.
Also
wer
sich
aus
der
Langzeitarbeitslosigkeit bewirbt, schafft es kaum, in die zweite Bewerberrunde zu
gehen. Der wird nicht eingeladen und je länger der Leistungsbezug dauert, umso
höher ist das Hemmnis an sich. Also Langzeitarbeitslosigkeit hat bei Bewerbung aus
der Arbeitslosigkeit heraus schon ein Stigma – da gibt es Untersuchungen vom IAB,
da sind viele dran gewesen – das ist relativ deutlich zu belegen. Das heißt, ohne
Förderung – und da meine ich den ganzen Strauß der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente von Beratung, Begleitung, Bildung, Beschäftigung, wenn ich es in diese
vier Worte zusammenfasse – schaffen es die Langzeitarbeitslosen kaum, von sich
aus selber in Beschäftigung zu kommen. Das heißt, sie brauchen einen Strauß der
Möglichkeiten und da bin ich auch bei dem, dass ich natürlich mehr Geld brauche im
SGB II. Das ist bundesgesetzgeberische Aufgabe, da bin ich jetzt erst einmal nicht
soweit darauf eingegangen. Und wenn ich diesen Teufelskreis unterbrechen will,
muss ich Langzeitarbeitslose fördern und zwar über diese relativ schwierige, niedrige
Förderquote hinaus, dass nur jeder Zehnte ein Angebot bekommt. Aus Sicht, wir sind
als Evangelischer Fachverband, der Bundesfachverband der Diakonie Deutschland,
das wird Sie jetzt nicht verwundern, dass wir sagen: Neben Beratung, Begleitung,
Bildung ist öffentlich geförderte Beschäftigung seit Jahren ein sinnvolles Instrument
gerade für langzeitarbeitslose Menschen, um diesen mit mittelfristigen und
längerfristigen Angeboten die Übergänge in ungeförderte Beschäftigung des
regulären Arbeitsmarktes zu ermöglichen. Da bin ich auch bei dem, was im
Fragekatalog war – diese zeitliche Begrenzung der öffentlich geförderten
Beschäftigung, diese 24 aus 60-Regel, die ich derzeit habe, die halten wir für
kontraproduktiv, weil sobald ich Fördererfolge nachweisen kann, muss die Förderung
eingestellt werden auf der rechtlichen Grundlage des SGB II. Wenn wir von öffentlich
geförderter Beschäftigung reden, dann sind wir der Meinung, dass öffentlich
geförderte Beschäftigung mindestens an drei Kriterien zu binden ist. Und zwar: Sie
soll offen für alle Arbeitgeber sein, weil wir halten es für ganz wichtig, dass öffentlich
geförderte Beschäftigung aus diesen sinnentleerten Beschränkungsraum der
Wettbewerbsneutralität,
der
Zusätzlichkeit
und
des
öffentlichen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
Interesses
- 75/69 rausgehen, weil nur so können die geförderte Langzeitarbeitslosen marktreale
Bedingungen erleben und auf den regulären Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Das
heiß, es müssen und sollten aus unserer Sicht, marktnahe Tätigkeiten sein und was
uns als Diakonie ganz wichtig ist. Sie sollte auf freiwilliger Basis erfolgen. Weil die
freiwillige Basis - die das SBG II im Moment zwar nicht kennt, das SGB II ist ein
Sanktionssystem - die kann man organisieren, weil damit Motivation, Selbstwert und
auch Eigeninteresse schlagartig steigt. Wir schlagen ja gemeinsam seit 2006 als
Finanzierungsgrundlage für öffentlich geförderte Beschäftigungssektor den PassivAktiv-Transfer vor, unter dem Begriff „Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit
alimentieren“. Das deckt nur 50 % eines Lohnes ab, wenn ich heute auf der
Grundlage des gesetzlichen Mindestlohnes denke, das ist so. Aber dass der PassivAktiv-Transfer rechtlich machbar ist, haben wir extra noch mal durch einen Gutachter
prüfen lassen, der nachgewiesen hat, dass es keine rechtlichen Hürden gibt. Und da
möchte ich wirklich alle Hürden noch mal beschreiben, weil uns immer wieder gesagt
wurde: Das SGB II bewegt sich ja auf bundesgesetzgeberischer Ebene und auf
kommunaler Ebene. Das ist die Verquickung im SGB II, die relativ einmalig ist in
Deutschland, und zwar stehen weder verfassungsrechtliche noch haushaltsrechtliche
Fragen dem Passiv- Aktiv-Transfer entgegen und auch dieses sogenannte
Übertragungsgebot, das Konnexitätsprinzip, wäre kein Hinderungsgrund, den PassivAktiv-Transfer
einzuführen.
Dieses
Rechtsgutachten
liegt
mittlerweile
allen
politischen Parteien vor, wird in der Grundaussage von allen politischen Parteien
geteilt und die Hinderungsgründe für den Passiv-Aktiv-Transfer, die Elena Weber ist
kurz drauf eingegangen, kommen ausschließlich aus dem Bundesfinanzministerium.
Und diese Gründe sind zwei Sachen, ich möchte mal das sagen, was vielleicht noch
am leichtesten nachvollziehbar ist: Im Bundesfinanzministerium befürchtet man ein
explodierendes System, weil die passiven Leistungen sind Pflichtleistungen und die
aktiven Leistungen sind Ermessensleistungen, also sprich haushaltsrelevant. Und
um diese Hürde zu brechen, wäre, glaube ich, aus unserer Sicht auch eine
modellhafte
Erprobung
des
Passiv-Aktiv-Transfers
im
Land
Mecklenburg-
Vorpommern angezeigt und würde diese bundespolitischen Bedenken brechen. Die
Rechtsgrundlage ist da, damit kann man sozusagen, hat man eine Grundlage, wo
man tätig werden kann und man könnte sich auch, um jetzt nicht das Rad noch mal
neu zu erfinden, an den simulierten Passiv-Aktiv-Transfer in Baden-Württemberg
orientieren, die ja mit ihrem Programm „gute und sichere Arbeit“ mit diesen vier
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/70 Säulen, die dahinter versteckt sind, einen simulierten Patt erfolgreich umgesetzt
haben und in den nächsten Wochen und Monaten, ich weiß es nicht so ganz genau,
wir die Evaluation erwarten werden, wo dann wahrscheinlich die volkswirtschaftlichen
Auswirkungen auch beschrieben sein werden. Aber da muss ich wahrscheinlich
sagen, weil wir nicht im Bereich der Begleitgruppe sitzen. Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, Ihnen auch vielen Dank, Frau Nößler. Als nächstes hat
dann Herr Böhm vom Arbeitslosenverband Mecklenburg-Vorpommern das Wort,
bitte.
Jörg Böhm (Arbeitslosenverband M-V): Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr
geehrte Mitglieder des Landtags, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen
Anzuhörende, verehrte Gäste, namens des Arbeitslosenverbandes MecklenburgVorpommern e.V. bedanke ich mich für die Einladung zur heutigen Anhörung, eine
schriftliche Stellungnahme haben wir vorab eingereicht. Zum Verfahren habe ich
mich schriftlich geäußert und möchte meine Kritik daran hier nicht wiederholen. Ich
möchte aber in meinem kurzen Eingangsstatement ausdrücklich die Notwendigkeit
unterstreichen, dass mehr Beschäftigungsförderung notwendig ist, wenn es denn
tatsächlich das Ziel der Bundes- und Landespolitik ist, Langzeitarbeitslosigkeit und
damit verbundene Armut und Ausgrenzung von Kindern, Erwachsenen und im Alter
zu verhindern. Die Zahlen sind Ihnen bekannt. Aber ich muss sie an der Stelle
nochmals wiederholen, weil deren Bedeutung möglicherweise nicht stark genug zu
Ihnen
durchdringt.
Im
August
und
September
2015
-
also
den
beschäftigungsintensivsten Monaten eines jeden Jahres - hatten wir in MecklenburgVorpommern circa 10.000 sofort zu besetzende Stellen und 11.000 offene gemeldete
Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit. Wir hatten circa 19.000 arbeitslose Frauen
und Männer im Arbeitslosengeldbezug, also keine Langzeitarbeitslosen, ohne die
Maßnahmeteilnehmer und ohne erkrankte Arbeitslose. Wir hatten circa 59.000
Frauen und Männer im Hartz IV-Leistungsbezug und zwar arbeitslos – arbeitslose
Frauen und Männer im Hartz IV-Leistungsbezug und wiederum diese Zahl ohne die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Maßnahmen, Erkrankte und andere, die nicht
gezählt werden. Also, meine Damen und Herren, selbst wenn wir alle gemeldeten
Stellen im Land besetzen würden und noch einmal die gleiche Zahl von Stellen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/71 annehmen würden, die nicht gemeldet sind, dann wären immer noch alle
Langzeitarbeitslosen
in
Mecklenburg-Vorpommern
ohne
Arbeit.
Die
Verwaltungskosten – das wurde hier schon erwähnt – bei Hartz IV liegen inzwischen
über den Mitteln für die Integration. Und seit Jahren müssen Mittel aus dem
Eingliederungstitel, also dem Titel für die Integration von Langzeitarbeitslosen,
regelmäßig in den Verwaltungshaushalt umgeschichtet werden. In diesem Jahr
waren das in einigen Jobcentern in Mecklenburg-Vorpommern, waren das bis zu 20
%, die schon am Jahresanfang umgeplant wurden. Das weder was mit guter
schwäbischer noch mit guter ueckermärkischer Haushaltsführung zu tun, sondern ist
einfach inakzeptabel. Es gibt den an sich sinnvollen Grundsatz, der da lautet: Arbeit
statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Warum tun wir das nicht? Warum setzen wir die
Regelsätze, die ohnehin gezahlt werden müssen, nicht zur Finanzierung von Arbeit
ein? Warum kümmern wir uns nicht um diejenigen, die arbeiten können und wollen,
statt die Trickser und Faulen als 2-Prozent-Alibi für ein aufwendiges, teures
Sanktionsregime zu hegen und zu pflegen? Das, meine Damen und Herren, werden
Sie mir erwidern, sind doch aber alles Regelungen, die auf Bundesebene zu treffen
sind: Ja, das stimmt. Aber warum wird dort sehenden Auges nichts im Sinne der
Langzeitarbeitslosen geregelt? Und was können wir im Land tun? Wir hätten
Mecklenburg-Vorpommern als Modellregion für den PAT anmelden können. Wir
hätten das Thema „Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit“ im Bündnis für Arbeit
platzieren können. Ich bedanke mich ausdrücklich - das wird Sie jetzt wundern ausdrücklich bei der VUMV, also Vereinigung der Unternehmensverbände in
Mecklenburg-Vorpommern, die in ihrer Presseerklärung Nummer 3/ 2015 vom
29. Januar erklärt hat, dass die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit das dickste
Brett ist, das es am Arbeitsmarkt zu bohren gilt und den Erwerbslosenbeirat für seine
Vorschläge gelobt hat. Leider hat dann irgendjemand den Bohrer verlegt und den
VUMV hat offensichtlich mit dem Bohrer auch der Mut verlassen. Denn die
Kernforderung, das Thema ins Bündnis für Arbeit zu holen, die wurde nicht
umgesetzt. Kollege Schlüter hat ja hier einige Aufhellungen darüber gegeben, woran
es liegt. Aber ich plädiere nach wie vor für einen runden oder eckigen oder sonstigen
Tisch, jedenfalls für einen Gesprächskreis, mit dem wir über Lösungen nachdenken
und uns austauschen. Ein deutliches Zeichen der demokratischen Kräfte in Richtung
der Langzeitarbeitslosen ist mehr als wünschenswert und, wie ich finde, erforderlich.
Kann man etwas im Land machen? Ja, man kann. Also, wie gesagt, wir sollten uns
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/72 austauschen, was verändert werden muss. Wir sollten Wege und Lösungen
diskutieren und wir sollten prüfen, wo und wie wir Landesmittel sinnvoll einsetzen
können, zum Beispiel in einem Gemeindearbeiterprogramm. Die Kommunen - das ist
Ihnen auch bekannt - klagen darüber, dass sie keine Gemeindearbeiter mehr haben
und dass sie Arbeitsgelegenheiten – 1-€-Jobber – dafür nicht mehr einsetzen
können.
Wir
haben
das
Problem
der
Langzeitarbeitslosigkeit
jahrelang
vernachlässigt, viele Frauen und Männer ohne Perspektive gelassen. Das
Schlimmste, was uns jetzt passieren kann, ist, dass die Langzeitarbeitslosen in ihrer
Perspektivlosigkeit ausgenutzt werden und sich gegen die Mehrheit der Gesellschaft
stellen. Ich möchte das nicht. Lassen Sie uns also gemeinsam darüber nachdenken und dann auch handeln - wie wir möglichst viele Arbeitslose Frauen und Männer in
sinnvolle Beschäftigung bringen können. Das ist mein Appell an die Landespolitik,
auch
im
Namen
des
Erwerbslosenbeirates,
der
zur
Zeit
das
18. Erwerbslosenparlament am 30. Oktober vorbereitet und voller Erwartung ist, ob
er in diesem Jahr nicht nur gehört, sondern auch verstanden wird. Danke.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, vielen Dank, Herr Böhm. Liebe Abgeordnete, wie Sie
wissen, liegt Ihnen eine gemeinsame Stellungnahme der IHK Neubrandenburg, der
Vereinigung der Unternehmensverbände und der Handwerkskammer Schwerin vor
und zu uns gekommen sind hier heute von der IHK Neubrandenburg Herr Pfoth
sowie Dr. Martin Sauer von der Vereinigung der Unternehmensverbände. Ich werde
zunächst Herrn Pfoth das Wort geben, bitte.
Ralf Pfoth (IHK Neubrandenburg): Vielen Dank, Frau Vorsitzende. Die Einladung,
also das Zeitschema für die Vorbereitung auf die Anhörung ist ja schon
angesprochen worden, insofern haben wir uns in der gemeinsamen Stellungnahme
auf den ordnungspolitischen Rahmen konzentriert sozusagen und insofern wollen wir
jetzt ergänzende Positionen anhand einiger Aspekte wie zum Beispiel Weiterbildung
und abschlussorientierte Teilqualifikation und das Thema ausländische Fachkräfte
noch mal kurz ansprechen. Lassen Sie mich vorab auszugsweise darauf eingehen
wie wir als IHK Neubrandenburg aktiv eingebunden sind in die Arbeitsmarktpolitik:
Wir arbeiten sehr intensiv mit in den vier regionalen Beiräten der Jobcenter in
unserer Region und auch in den beiden Regionalbeiräten des Landes in
Vorpommern und in der Mecklenburgischen Seenplatte. Wir achten bei den
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/73 Jobcentern darauf, dass das Kriterium der Zusätzlichkeit beachtet wird, indem wir
eine gemeinsame Liste erarbeitet haben, welche Arbeitsgelegenheiten akzeptabel
sind aus beider Sicht und wir geben auch Stellungnahmen zu einzelnen
Arbeitsgelegenheiten ab, wenn wir dazu aufgefordert werden. Lassen Sie mich vorab
bemerken, dass es den typischen Langzeitarbeitslosen nicht gibt. Richtig ist, wie
man an der aktuellen Studie der Arbeitsagentur entnehmen kann, dass es unter den
jüngeren Langzeitarbeitslosen einen hohen Anteil ohne Schulabschluss gibt. Heute
haben viele Langzeitarbeitslose Berufsbildungsabschlüsse, die aufgrund der
fehlenden Praxis und des ständig ansteigenden Wissenszuwachses mit der Zeit
veralten. Zudem sind auch selbst viele Langzeitarbeitslose älter. Zukünftig sehen wir
aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation das erhebliche Risiko, dass wir noch mit
viel mehr Leuten arbeiten müssen, die arbeitslos geworden sind. Und - Herr Schlüter
hatte es schon angesprochen – das darf auf keinen Fall dazu führen, dass es ein
gegenseitiges Ausspielen geben darf. Der Arbeitsmarkt selber ist geprägt durch eine
sinkende Arbeitslosigkeit auch in Mecklenburg-Vorpommern, eine steigende Anzahl
sozialversicherungspflichtig Beschäftigter sowie einer steigenden Anzahl von freien
Stellen. Das Konjunkturklima ist so gut wie lange nicht. Wir führen gerade die
aktuelle Umfrage hier in unserer Region durch und die ersten Auswertungen, die wir
da anhand der Antworten erhalten haben, zeigen eigentlich darauf hin, dass wir
eigentlich auf ein sehr hohes Herbstkonjunkturklimaniveau klettern. Das steigert
natürlich auch die Chancen von den aktuellen Langzeitarbeitslosen einen Platz auf
dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Und wir müssen auch feststellen oder können
auch feststellen, dass bei den Unternehmen durchaus grundsätzlich eine wachsende
Bereitschaft besteht zur Einstellung von für die speziellen Anforderungen von den
Stellen weniger geeigneten Bewerbern, da aktuell schlicht zu wenig Bewerber
vorhanden sind. Mittelfristig rechnen die Unternehmen mit weiteren Veränderungen
auf dem Arbeitsmarkt durch Themen wie Digitalisierung und Mindestlohn, Rente mit
63 und auch Flüchtlinge. Also insofern ein weites Spektrum, was weiterhin auf den
Arbeitsmarkt
wirkt.
Zu
den
größten
Hemmnissen
zur
Einstellung
von
Langzeitarbeitslosen zählen einmal aus den unterschiedlichsten individuellen
Gründen zu geringe Produktivität und fehlende für den Job erforderliche
Kompetenzen. Problematisch ist hier insbesondere der schnelle Verlust der
Qualifiziertheit auch aufgrund steigender Anforderungen in den Betrieben. In Teilen
gibt
es
somit
eine
unzureichende
Passung
zwischen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
Anforderung
des
- 75/74 Arbeitsmarktes und dem, was die Langzeitarbeitslosen anzubieten haben. Öffentlich
geförderte Beschäftigung muss aber trotzdem, wie schon in unserer Stellungnahme
beschrieben, eine Ausnahme bleiben. Diese Beschäftigungsform verzögert die
Aufnahme in den ersten Arbeitsmarkt bzw. ermöglicht diese erst gar nicht. Es erfolgt
eine arbeitsmarktferne Beschäftigung ohne Zusammenarbeiten mit potenziellen
Arbeitgebern. Eine Stärkung der öffentlich geförderten Beschäftigung geht, wie in der
Stellungnahme angesprochen, einher mit einer de facto Aufgabe des obersten Ziels
der Arbeitsmarktpolitik, der Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Es kann nicht sein,
dass wir versuchen, einen Reparaturapparat zu stärken und dass kann nicht das Ziel
sein,
sondern
es
muss
darum
gehen,
die
individuellen
Stärken
der
Langzeitarbeitslosen zu entwickeln. Aus unserer Sicht sind abschlussorientierte
Teilqualifikationen, können hierzu einen wertvollen Beitrag leisten, um - wo große
Schritte nicht möglich sind - über kleine Teilerfolge Anerkennung zu erzielen, um
dem Ziel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt näher zu kommen. Der Zugang
zu Qualifizierung und Weiterbildung nimmt eine Schlüsselrolle - aus unserer Sicht für die Integration der Langzeitarbeitslosen ein. Es ist weiterhin unbedingt
erforderlich, die Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Beschäftigungssektors
zeitlich zu begrenzen. Das ureigene Ziel der Maßnahmeträger, Hilfe zu Selbsthilfe
leisten zu wollen, wird mit einer zeitlichen Begrenzung aus unserer Sicht besser
erreicht. Langzeitarbeitslose würden nicht Gefahr laufen, durch ein Zuviel an
Förderung bis zum vollständigen Verlust der Eigeninitiative vom Vormundstaat
entmündigt zu werden. Bei Langzeitarbeitslosen, die aufgrund einer Vielzahl an
Problemen über einen längeren Zeitraum keine Beschäftigung aufnehmen, kann ein
begleitendes Coaching sinnvoll sein. Über die Regionalbeiräte – Herr Schlüter hat es
schon angesprochen – haben wir über die ESF-Förderung das Projekt des FamilienCoaches jetzt aufgelegt sozusagen im Land und das Ziel auch dort ist die
Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt, was wir ausdrücklich als Wirtschaftspartner
eingefordert haben. Zur Information vielleicht: Die ESF-Förderung des Landes ist
weiterhin in Bezug auf die Regionalbeiräte, die Erhöhung der Mittel, die die
Regionalbeiräte erhalten haben, zu 87 % daher rühren, dass sie eingesetzt werden
sollen für das Projekt der Familien-Coaches. Also insofern doch eine erhebliche
Ausstattung. Dafür sind andere Mittel, die aus unserer Sicht direkter in die Wirtschaft
gingen,
wie
strukturentwickelnde
Maßnahmen,
gekürzt
worden
und
auch
Integrations- und Kleinprojekte sind aufgestockt worden mittelseitig, so dass aus
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/75 unserer Sicht durchaus insgesamt Mittel für soziale Dienstleistungen mit Bezug auf
Langzeitarbeitslosigkeit als Thema aufgegriffen worden sind im Rahmen des ESF
und auch umgesetzt werden. Die Inanspruchnahme der Mittel der Familien-Coaches
ist regional sehr unterschiedlich. Nach unseren Erfahrungen jetzt in den
Regionalbeiräten
abhängig
von
den
Vorerfahrungen
und
dem
Stand
der
Zertifizierung der Träger. Für die betroffenen Familien ist das Programm erfolgreich,
wenn Vermittlungshemmnisse behoben und Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wurde,
mithin eine Inanspruchnahme der oben genannten Dienstleistung dann nicht mehr
notwendig ist. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Finanzierungen von
Maßnahmen für Reintegration von Langzeitarbeitslosen im Zeitablauf sehr
kostspielig ist. Eine Förderung „koste was es wolle“ kann es nicht geben. Jede
arbeitsmarktpolitische Förderung muss zum Ziel haben, zumindest einen mittelbaren
Beitrag zur Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu leisten. Bildung übernimmt
dabei
eine
Schlüsselfunktion,
Bildung
ist
auch
die
beste
Vorsorge
vor
Arbeitslosigkeit. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik sollte zu dem Bestandteile zum
Abbau von Vorurteilen beinhalten. Aus unserer Sicht sollten deshalb auch Träger
öffentlich geförderter Beschäftigung enger zusammen arbeiten mit Unternehmen.
Eine die nächsten Jahre bestimmende Herausforderung stellt die Integration von
Ausländern, die als Flüchtlinge aus Krisenregionen zu uns kommen, dar. Hiermit
verbindet sich die Chance und die Verantwortung, Ausländer und Langzeitarbeitslose
gemeinsam auf den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu orientieren und diese dafür
zu aktivieren. Eine herausragende Bedeutung wird dabei die Schaffung der
Voraussetzungen zur Aufnahme der Ausländer auf dem ersten Arbeitsmarkt
innehaben. Dazu zählen die Durchführung von Sprach- und Integrationskursen, die
Kompetenzfeststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse und
Qualifikationen. Zudem ergeben sich für den Bereich der abschlussorientierten
Teilqualifizierung große Chancen in kleinen Schritten zu einer beständigen
Weiterqualifizierung zu gelangen. Wichtig bleibt dabei ein Zusammenspiel aller
Arbeitsmarktakteure. Soviel zunächst.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Jetzt hat Herr Dr. Sauter die Möglichkeit
weitere Ausführungen zu machen, das zu ergänzen oder wie auch immer.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/76 Dr. Martin Sauer (Vereinigung der Unternehmensverbände e.V.): Vielleicht zunächst
vorweg: Mein Name spricht sich „Sauer“. Wie „süß“, also kein Problem.
Vors. Martina Tegtmeier: Entschuldigung, das steht hier sogar, das habe ich nur
falsch gelesen.
Dr. Martin Sauer: Kein Problem. Mein geschätzter Vorredner hat es schon
angesprochen: Sei dem Jahr 2005 in etwa, das begrüßen wir alle, hat es einen
stetigen Zuwachs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen gegeben,
während die Arbeitslosigkeit sich zusehends verringert hat. Teil der sich daraus
ergebenen arbeitsmarktpolitischen Diskussion ist zugleich ein kontroverses und
zunehmendes
Hinterfragen
Beschäftigungsprogramme
sind
der
öffentlichen
teuer
und
Beschäftigung.
wirken
Öffentliche
statuskonservierend.
Die
Erfahrungen der vergangenen 25 Jahre haben gezeigt, dass insbesondere auch in
Mecklenburg-Vorpommern öffentliche Beschäftigung nur einen geringen Beitrag zu
einer nachhaltigen Integration von Geringqualifizierten und Langzeitlosen in den
ersten Arbeitsmarkt geleistet hat und mitunter sogar kontraproduktiv gewirkt hat.
Arbeitslosigkeit,
meine
Damen
und
Herren,
wird
durch
öffentliche
Beschäftigungsprogramme nicht verringert, sondern oft sogar verfestigt. Die
langjährigen Erfahrungen mit den erst kürzlich eingestellten ABM-Maßnahmen haben
das gezeigt. Vor diesem Hintergrund ist unstrittig, dass gerade für Geringqualifizierte
öffentliche
Beschäftigungsmaßnahmen
häufig
attraktiver
sind
als
einfache
Tätigkeiten am ersten Markt, die entsprechend ihrer niedrigen Produktivität entlohnt
werden. Diese Fehlanreize werden oft sogar noch durch tarifliche oder ortsübliche
Entlohnung
öffentlicher
Beschäftigung
sowie
einer
Ausgestaltung
als
sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis verschärft. Den Arbeitslosen wird auf
diese Weise fälschlicherweise suggeriert, sie würden einer regulären Beschäftigung
nachgehen. In der Folge geben es diese Menschen dann häufig auf, am ersten
Arbeitsmarkt nach einer Regelbeschäftigung zu suchen. Um Langzeitarbeitslosen
und Geringqualifizierten eine Perspektive zu bieten, müssen stattdessen alle Kräfte
auf eine umfassende Vermittlungs-, Qualifizierungs- und Betreuungsoffensive
konzentriert werden. Die schnelle Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt muss
jederzeit Vorrang vor öffentlicher Beschäftigung haben. Öffentlich geförderte
Beschäftigung, egal welcher Form, muss unbedingt eine Ausnahme bleiben. Nur
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/77 sofern die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt noch nicht möglich ist, kann der
Einsatz zeitlich befristeter öffentlicher Arbeitsgelegenheiten im Einzelfall sinnvoll
sein.
Hierüber muss
zugleich
zwingend
nach
Ausschöpfen
aller
anderen
Möglichkeiten auf Basis eines konsequenten Profilings entschieden werden. Auch
dabei gilt jedoch, dass wegen des Risikos teurer Mitnahme- und kontraproduktiver
Verdrängungseffekte öffentliche Beschäftigung grundsätzlich so kurz wie möglich
eingesetzt werden muss. Meine Damen und Herren, sollte öffentlich geförderte
Beschäftigung im Einzelfall zur Anwendung kommen, so ist diese auf ein Minimum
zu beschränken. Bereits die Erfahrungen in den 1990er-Jahren haben gezeigt, im
Zuge öffentlicher Beschäftigung gibt es weniger statt mehr, nee, statt weniger gibt es
mehr Arbeitslose, werden Milliardenbeträge von Steuer- und Beitragszahlern nicht
effizient eingesetzt, werden Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt durch künstliche
Beschäftigungsverhältnisse verdrängt und Anreize zur Arbeitsaufnahme abgebaut
sowie Menschen vom ersten Arbeitsmarkt weggeführt werden. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank, Dr. Sauer. Nun können wir in die Fragerunde
einsteigen. Bis jetzt habe ich mich auf dem Zettel hier, Herrn Förster als Nächsten.
Ich habe eine Nachfrage und eine Frage. Die Nachfrage möchte ich aufgrund der
Ausführungen von Herrn Pfoth jetzt an Herrn Sauer richten. Und zwar: Bei den
Ausführungen von Herrn Pfoth kam für mich so ein bisschen dabei heraus, dass
Zeiten der öffentlichen Beschäftigung sich im Lebenslauf eines Langzeitarbeitslosen
mitunter sogar, also nicht positiv in dem Falle darstellen, das so für zukünftige
Arbeitgeber teilweise vielleicht auch negativ ausgelegt wird. Das hat mich jetzt so ein
bisschen erstaunt. Deswegen möchte ich noch mal nachfragen, ob ich das richtig
verstanden habe. Meine zweite Frage richtet sich an Frau Nößler. Und zwar: Sie
sagten, dass ein Modellprojekt in Mecklenburg-Vorpommern „Passiv-Aktiv-Transfer“
eventuell die Vorbehalte im Bundesfinanzministerium auflösen könnte. Daraus
schließe ich, dass Sie nicht davon ausgehen, dass die Evaluation des Modelllaufs in
Baden-Württemberg dazu geeignet ist. Und ich frage das deshalb so ein bisschen
provokativ, weil uns der Landkreistag in seiner Stellungnahme geschrieben hat, dass
man dieses, dass dieses Modellprojekt in Baden-Württemberg lediglich eine
Simulation
ist
und
noch
nicht
real,
weil
es
real
ohne
halt
bestimmte
Fördermaßnahmen noch gar nicht, es das noch gar nicht gibt. Also warum
versprechen Sie sich von einem Modellprojekt in Mecklenburg-Vorpommern mehr,
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/78 als das eventuell ein Modellprojekt in Baden-Württemberg leisten kann? Vor allen
Dingen auch vor dem Hintergrund, dass ich die langen Anlaufschwierigkeiten in
Baden-Württemberg sehr wohl kenne, was das für eine Kraft gekostet hat, überhaupt
Arbeitgeber zu finden, die da mitgemacht haben. Das stelle ich mir in MecklenburgVorpommern nicht einfacher vor, weil unsere Arbeitslosigkeit hier noch wesentlich
höher ist als in Baden-Württemberg, wo man ja eigentlich praktisch von
Arbeitslosigkeit kaum reden kann. Dazu noch? Eine ergänzende Frage von Herrn
Renz.
Abg. Torsten Renz: Ich würde gerne an diesen Komplex anschließen, ob es da nicht
zumindest sinnvoller wäre, die Ergebnisse aus Baden-Württemberg erst einmal
abzuwarten.
Vors. Martina Tegtmeier: Dann würde ich erst Herrn Sauer um die Antwort bitten.
Dr. Martin Sauer: Ja, vielen Dank. Also ich kann nicht bestätigen, dass im Nachgang
öffentlich geförderter Beschäftigung im Lebenslauf dem irgendein Stigma anhaftet.
Gleichwohl könnte ich mir vorstellen, dass das als Signal möglicherweise vereinzelt
falsch aufgefasst werden könnte - sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf potenzieller
Arbeitnehmerseite – insofern, als das möglicherweise suggerieren könnte, dass ein
potenzieller Arbeitnehmer es gewohnt ist, über seiner Produktivität entlohnt zu
werden, wohingegen das auf der anderen Seite, genau dem nicht so ist.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, gut, dann bitte ich jetzt Frau Nößler.
Ines Nößler: Ich versuche es mal. Das erste ist natürlich, Baden-Württemberg setzt
nicht den Passiv-Aktiv-Transfer um, sondern es ist ein simulierter PAT, parallel … Es
ist natürlich kein Passiv-Aktiv-Transfer, es ist Förderung von Arbeitsverhältnissen, wo
das Land Baden-Württemberg viel Geld in die Hand genommen hat. Und dieses viele
Geld in Bezug auf den Passiv-Aktiv-Transfer – ich habe ja einen politischen Wandel
auch bei den Bundesparteien, also alle haben, ich kann es im Koalitionsvertrag
nachlesen: Wir wollen etwas zur Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit machen.
Und auch von der CDU/CSU gibt es jetzt einen Vorschlag, der ein bisschen
abgewandelt ist, und sich an Integrationsbetrieben, dort Langzeitarbeitslose zu
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/79 beschäftigen, gibt es einen neuen Erkenntnisprozess. Das ist das erste Problem,
Baden-Württemberg ist kein Passiv-Aktiv-Transfer. Da komme ich zu Ihrer Frage:
Lohnt es sich, auf die Endevaluation zu warten, um dann noch mal auf der
Grundlage der Evaluation tätig zu werden? Ich bin mir nicht ganz sicher, wie die
volkswirtschaftliche Betrachtung, weil der Passiv-Aktiv-Transfer ist ja keine
individuelle Betrachtung, sondern eine gesamtvolkswirtschaftliche Betrachtung, wie
wir rechnen mit den Rückflüssen in Sozialkassen, Steuer usw., ob das das ISG und
das IAB dort betrachten werden können, weil bei der 16 e eben eine
Förderkomponente in Höhe von 75 % vom Lohn ist. In der Zwischenevaluation war
zu der volkswirtschaftlichen Betrachtung relativ wenig bis nichts zu finden. Warum
bin ich sozusagen, oder werbe dafür, eine modellhafte Erprobung im Land
Mecklenburg-Vorpommern zu machen, wohlwissend welcher Arbeitsmarkt hier ist.
Sie haben es ja gesagt, Frau Tegtmeier, die Arbeitsgeber stehen nicht mit offenen
Händen da, das ist mir schon klar. Aber ich denke, wir haben auf Bundesebene
veränderte Gesamtgemengelagen über alle Pateigrenzen hinweg. Und im BMF ist
nicht nur der Vorbehalt „ich habe eine Kostenexplosion, wenn ich den Passiv-AktivTransfer gesetzlich verankern würde“, sondern es gibt noch einen anderen
Vorbehalt, der dann immer in den kleinen netten, feinen Runden gesagt wird, nicht
so offensichtlich aus dem Finanzministerium kommt: Man traut den Kommunen nicht
über den Weg – ich sage das jetzt mal so verkürzt – weil ich brauche diesen
kommunalen Anteil, „Kosten der Unterkunft“, damit diese Modellrechnung, die wir
zugrunde legen, dass der Passiv-Aktiv-Transfer wirkt und eben auch ausreicht, um
sich am Mindestlohn zu orientieren. Und ich denke, das kann man im Land einfacher
regeln: Ich habe die Kommunen vor Ort und kann mit den Kommunen sozusagen
gehen. Und ich könnte mir vorstellen, wenn ich mich so an verschiedene Gespräche
mit der Abteilung im Bundesarbeitsministerium und im Bundesfinanzministerium
erinnere: Wenn ein gezielter Antrag käme, dass man dort, wo man nachweisen
könnte, dass die „Kosten der Unterkunft“-Anteile, die den kommunalen Anteil
ausmachen, das die mitgehen, dass es dort eine Offenheit gibt, modellhaft rein zu
gehen. Das wird alles nicht der große Wurf sein, weil ich natürlich, auch Arbeitgeber
sagen - und deshalb sagen wir auch „offen für alle Arbeitgeber“, aus dieser
Beschränkungstrias heraus.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, vielen Dank. Herr Förster.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/80 Abg. Henning Foerster: Ja, meine Damen und Herren, zunächst von meiner Seite
auch vielen Dank für Ihre Ausführungen und es gab ja verschiedentliche Kritik an der
engen Terminkette. Das war uns bewusst, dass das sozusagen Sie vor gewisse
Herausforderungen gestellt hat. Aber noch mal, für die Einbringung des Haushaltes
ins Parlament oder wann das geschieht, dafür ist die Landesregierung zuständig und
die hat entschieden, das im September zu machen und hat eben auch das Ziel
ausgegeben, den Haushalt im Dezember abzuschließen. Deswegen ist der
Zeitrahmen leider so wie er ist und deswegen nochmals herzlichen Dank, dass Sie
sich zu dem wichtigen Thema hier äußern heute auch. Ich habe eine ganze Reihe
von Fragen und möchte mal meinen Fragenkatalog beginnen, gerichtet an Herrn Dr.
Sauer von der VUMV. Wenn ich Ihr schriftliches Statement und das was Sie hier
mündlich ausgeführt haben, noch mal rekapituliere, dann kann man das ja
zusammenfassen, dass Sie als Vertreter der Unternehmen im Land öffentlich
geförderte Beschäftigung generell sehr kritisch sehen, um nicht zu sagen:
weitestgehend ablehnen. Nun gibt es ja auf der Bundesebene zumindest auch aus
dem September den vom Kollegen Schlüter angesprochenen Aktionsplan von BDA
und DGB zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit bei Älteren, in SGB II Bezug
insbesondere mit Blick auf diejenigen, die Kinder von 6 Jahren und älter haben und
als ein Element in diesem Gesamtpaket wird ja öffentlich geförderte Beschäftigung
auch ausdrücklich vonseiten der Arbeitgeber mitgetragen, nämlich dann, wenn es
innerhalb
eines
Jahres
nicht
gelingen
sollte,
über
den
Abbau
von
Vermittlungshemmnissen mit dem ganzen Paket was dahinter steckt, zu einer
Integration am ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Da wäre die Frage: Stehen Sie zu
diesem Papier auch als VUMV hier im Land, weil das was Sie hier insgesamt zum
Themenkreis öffentlich geförderte Beschäftigung ausgeführt haben, wie gesagt ja
eher kritisch gewesen ist. Zweite Frage an Sie: Wenn Sie diese Integration am ersten
Arbeitsmarkt präferieren und sozusagen diese Weichenstellung seit 2005 in diese
Richtung auch ausdrücklich begrüßen, wie soll denn aus Ihrer Sicht angesichts des
skizzierten Missverhältnisses von zuletzt 1:8, was das Verhältnis gemeldeter offener
Stellen zur Arbeitslosen über beide Rechtskreise im Land angeht, eine Integration
von Arbeitslosen und tatsächlich gelingen, wenn wir nicht auch ein Element öffentlich
geförderter Beschäftigung haben? Dann zu der Frage der Zusätzlichkeit, der
Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse. Sie haben sich ja ausdrücklich
dafür ausgesprochen in Ihrer schriftlichen Stellungnahme, dass es bei diesen
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/81 Kriterien bleiben soll. Meiner Erfahrung aus Gesprächen mit Trägern der
Arbeitsmarktpolitik im Land ist, dass es genau diese Kriterien sind, die einen
sinnvollen Einsatz von Arbeitslosen deutlich erschweren, trotz Positivlisten, die ja
richtigerweise von der IHK angesprochen worden sind. Und wenn Sie sagen,
öffentliche geförderte Beschäftigung muss aus Ihrer Sich zeitlich begrenzt und
möglichst kurz gestaltet werden, dann wäre meine Frage: Was heißt denn das
übersetzt in Zahlen? Was ist für Sie eine möglichst kurze Gestaltung? An Sie als
Letztes die Frage: Es gab in dem Papier der Diakonie, glaube ich, den Vorschlag,
auch mal zu überlegen, ob man die Ausreichung von Fördermitteln nicht künftig auch
an ein Kriterium „Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen“ knüpfen sollte, um damit
sozusagen
auch einen
Langzeitarbeitslosen
Anreiz in
tatsächlich
eine
Richtung der Unternehmen
Chance
zu
geben.
Da
zu
setzen,
würde
mich
interessieren, wie Ihre Sichtweise auf dieses Thema ist. Dann an die Kollegin Nößler
vom EFAS: Sie haben ja gesagt, Sie haben im Grunde klar Pro öffentlich geförderte
Beschäftigung Positionen bezogen und dabei eine längerfristige Förderung von
Arbeitslosen angeregt, speziell von Langzeitarbeitslosen. Da jetzt die ähnliche Frage:
Können Sie das nochmal konkretisieren mit Blick auf Zeiträume, was heißt in ihren
Augen mittel- und längerfristig? Und interessant fand ich auch den mehrfach
anklingenden Aspekt, dass öffentlich geförderte Beschäftigung grundsätzlich offen
für alle Arbeitgeber sein sollte. Da würde mich interessieren, wie ich mir das
praktisch vorstellen muss, denn bisher waren ja die Beschäftigungsprogramme, die
wir kennen, doch eher auf bestimmte Träger, Vereine und Verbände ausgerichtet.
Und was entgegnen Sie jetzt konkret den Unternehmern, die sagen, also die
Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse, die
müssen unbedingt bestehen bleiben und wo offensichtlich durchklingt, dass die
marktnahen Tätigkeiten so gar nicht gewünscht sind, wie das EFAS bspw. formuliert.
An den DGB also an Kollegen Schlüter hätte ich nochmal die Frage - wir duzen uns
und bleiben auch heute dabei - also was war aus Deiner Sicht nochmal das
Haupthemmnis dafür, dass es eben keine Verankerung der Thematik wenigstens
und damit eine weitergehende Diskussion zu Möglichkeiten der Bekämpfung von
Langzeitarbeitslosigkeit auf Landesebene insbesondere gegeben hat. Also ist es hier
auch Deiner Meinung nach zu wenig, Mahnappelle in Richtung der Bundesebene zu
richten und nicht auch mal zu versuchen, hier als Land an der Stelle ein Stück weit
mit gutem Beispiel voran zu gehen? Als letzte Frage von meiner Seite in Richtung
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/82 Diakonie: Wie beurteilen Sie denn die Aussage, dass in Baden-Württemberg nur
diese Simulation des PAT stattfindet und ein weiteres Modellprojekt tatsächlich nur
Sinn machen würde, wenn man dazu käme, im Echtbetrieb den Nachweis zu führen?
Soweit von meiner Seite.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, das reicht jetzt, glaube ich, auch erstmal kurz.
Bevor Frau Gajek gleich das Wort übernimmt, arbeiten wir das erstmal ab. Erst hat
Dr. Sauer das Wort, bitte.
Dr. Martin Sauer: Vielen Dank. Also sehr geehrter Herr Foerster, vielleicht vorne
weg: Ich habe ja nicht gesagt, dass öffentlich geförderte Beschäftigung des Teufels
ist, sondern nur, dass sie immer nur ein letztes Mittel sein kann, eine Ultima Ratio
und in dem Sinne halt eine Second-Best-Lösung. In dem Zusammenhang stehen wir
natürlich als VUMV zu dem, was DGB und BDA eben in ihrem Papier gemeinsam
gesagt haben. Dazu muss man natürlich auch sagen, dass was in Berlin
veröffentlicht wird, insbesondere von der BDA, ja immer Konsenspapiere sind, die
nicht unbedingt die Realität und die uneingeschränkte Meinung in jedem Bundesland
wiedergeben. Also das vorne weg. Aber dazu stehen wir und ich finde auch, meine
Aussagen beißen sich nicht mit dem, was da drin steht. Weil auch da steht ja drin,
dass öffentlich geförderte Beschäftigung nach Ausschöpfen anderer Maßnahmen
zum Einsatz kommen kann und dem habe ich auch nicht widersprochen. Das ist
auch im Sinne der Realität oder der Praktikabilität durchaus geboten. Was Ihre Frage
zur Dauer von öffentlich geförderter Beschäftigung angeht, kann ich eigentlich nur
sagen:
So
kurz
wie
möglich.
Das
sollte
im
Idealfall
natürlich
eine
Einzelfallentscheidung sein, da man es aber natürlich schwerlich wird gewährleisten
können, kann ich dazu keine konkrete Aussage treffen. Beantwortet das in etwa Ihre
Fragen?
Vors. Martina Tegtmeier: Nicht ganz. Hier war noch die Frage nach dem Verhältnis
offene Stellen und Arbeitslose und Fördermittel als Anreiz für Arbeitgeber,
Langzeitarbeitsloser einzustellen.
Dr. Martin Sauer: Das haben wir auf jeden Fall. Das gibt es auch dieses ESFBundesprogramm, was jetzt seit einigen Monaten läuft und wir haben gemeinsame
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/83 Veranstaltungen mit der Regionaldirektion sowie der Arbeitsagentur hier in Schwerin
dazu gemacht, wo wir Arbeitgeber darüber informiert haben und an sie appelliert
haben, die Möglichkeiten dieses geförderten ESF Programm zu nutzen, haben auch
nochmal
eindringlich
darauf
hingewiesen,
dass
die
Beschäftigung
von
Langzeitarbeitslosen ein sehr großes Anliegen ist, das wir unterstützen, auch
nochmals und deutlich wiederholt darauf aufmerksam gemacht haben, dass bspw. es
Ausnahmen im Zusammenhang mit dem Mindestlohn gibt im Zusammenhang mit der
Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen. Also das sehen wir durchaus positiv. Dann
was
das
Verhältnis
zwischen
offenen
Stellen
und
–
Was
war
das,
Langzeitarbeitslosen angeht? Generell Arbeitslosen. Nun gut, der Arbeitsmarkt ist ein
Markt und da gibt es Fluktuation und Matchingprozesse und im Idealfall werden die
durch die gewöhnlichen Mechanismen des Marktes beflügelt und am Laufen
gehalten und wenn das nicht funktioniert, was ja häufig offensichtlich der Fall ist, das
kann verschiedene Gründe haben, Mobilität, andere Vermittlungshemmnisse, dann
sollte man natürlich unterstützend eingreifen. Aber momentan ist es halt nun mal so,
dass es da zum Teil und regional vor allem halt auch in Mecklenburg-Vorpommern
ein großes Missmatch gibt. Das ist so.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, Herr Foerster, waren das jetzt alle Fragen? Ja,
okay, gut. Dann hat Frau Nüßler jetzt das Wort zu den Stichpunkten „Was verstehen
wir unter mittel- und langfristig?“ und „öffentlicher Beschäftigungssektor für alle“.
Ines Nößler (EFAS): Mittel- bis langfristig muss ich auch mal ein bisschen
ausweichend beantworten: Wenn ich von Langzeitarbeitslosen rede, rede ich von
ganz vielen unterschiedlichen Menschen. Ich habe keine homogene Gruppe. Aber es
gibt
Untersuchungen,
die
insoweit
belegen,
dass
die
Dauer
der
Langzeitarbeitslosigkeit soweit vom Arbeitsmarkt entfernt, dass ich eine Förderung
brauche, die etwa der gleichen Dauer entspricht. Deshalb sind wir da in diesem
Begriffspaar mittel- bis langfristig. Um das auch nochmal klarzustellen: Es geht uns
bei öffentlich geförderter Beschäftigung nicht um den Closed-Dauerjob. Dann bin bei
dem zweiten Stichwort, warum offen für alle Arbeitgeber. Da möchte ich nochmal
zurückführen auf den Bericht vom Bundesrechnungshof. Es fing ja mit dem
Vermittlungsskandal Jagoda 2000 an, dann hat der Bundesrechnungshof sich immer
mal ÖGB angeguckt und kritisiert wurde immer dieser abgeschottete, in sich runde
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/84 gemeinnützig-kommunale Markt. Da sagen wir: Nein, das wollen wir nicht wieder
haben. Es ist ein Markt – jetzt nehme ich mal das Wort vom Herrn Sauer - da
bewegen sich die kommunalen Träger wie die Gewinnorientierten, wie die
Gemeinnützigen dort und dann soll das offen für alle sein. Das kann man gestalten,
dann bin ich bei dem regionalen Konsens, es ist ja mehrfach angesprochen und
dann kann ich gucken, wie setze ich das in dem regionalen Markt um. Und dann
wäre ich auch bei der Antwort an Arbeitgeber/ Arbeitgeberverbände: Warum
marktnahe Tätigkeiten? Öffentlich geförderte Beschäftigung gerät in besonderer
Weise nochmal erneut in Kritik, wenn sie in diese sinnentleerte Ecke gestellt wird, die
ich heute bei Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwand habe. Ich kann keine
marktnahen Tätigkeiten mehr umsetzen. Dann kann ich sagen, ich will marktnahe
Tätigkeiten und dann kann ich eben Arbeitgebern sagen, die uns ja seit Jahren
erklären „ÖGB ist eben nicht zielführend“: Dann nimm doch diese Förderung in
Anspruch und stelle Langzeitarbeitslose ein. Also das wäre meine Antwort: Warum
machst du es dann nicht? Und dann würde man sehen, wie sie es alle machen.
Deshalb dieses Begriffspaar und ich hoffe damit Ihre Frage beantwortet zu haben.
Ingo Schlüter: Ja, Henning, also Fachkräftebündnis vorweg …
Vors. Martina Tegtmeier: Das Wort erteile immer noch ich, Herr Schlüter. Trotz aller
Kritik, aber das müssen Sie sich jetzt gefallen lassen. Herr Schlüter, Sie sind dran.
Ingo Schlüter: Ja, ich meine: Nach der Kritik muss ich mir das erst Recht gefallen
lassen, klar. Also Fachkräftebündnis, erstmal grundsätzlich. Die Verordnung der
Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit - wie die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit
überhaupt - im Fachkräftebündnis halte ich nach wie vor für richtig. Das ist eine
Forderung, die wir aufrechterhalten, die das Erwerbslosenparlament aufrechterhält.
Vermutlich unter anderem auch deshalb, weil wir einfach sehen, dass wir uns
überhaupt keine Schwachheiten bei der Erschließung von Reserven, von
Fachkräften auf irgendeiner Strecke erlauben dürfen. Ich erinnere nur an diese Zahl:
265.000 weniger Erwerbspersonen bis 2030 für ganz Mecklenburg-Vorpommern.
Das ist ja die Größenordnung eines Viertels der Erwerbspersonen, die wir heute an
Bord haben. Also da bleibt kein Stein auf dem anderen. Das wird für die
Tarifentwicklung herausragende Bedeutung bekommen usw. Also wir können uns da
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/85 keine Schwachheiten erlauben und das Fachkräftebündnis - das muss man einfach
immer wieder betonen - ist ja das landespolitisches Format, wo die Landesregierung
die Sozialpartner, die Arbeitsverwaltung, die Kammern, die kommunalen Spitzen ich hoffe ich habe niemanden vergessen - regelmäßig wichtige Fachkräftespezifische Fragestellungen nicht nur irgendwie diskutieren, sondern nach einem
sehr geordneten Prozess autorisieren, die Finanzierung gemeinsam auf den Weg
bringen, die Umsetzung dann auch in Teilen gemeinsam verantworten, die
Evaluation vornehmem usw. Das muss man verstehen. Also von der Wiege bis zur
Bahre, von der frühkindlichen Erziehung bis zur Gesunderhaltung älterer
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, ist das ein kohärentes Gesamtkonstrukt und
es wäre geradezu unsinnig, an der Stelle jetzt eine solche arbeitsmarktpolitisch
schwerwiegende Frage wie Langzeitarbeitslosigkeit auszublenden. Das erstmal so
zu meinem Verständnis, wie ich daran gehe. Zweite Vorbemerkung, bevor ich zu der
eigentlichen Antwort komme. Es ist genauso, wie Sie gesagt haben. Die
Langzeitarbeitslosen sind eben kein homogener Block, sondern ähnlich wie bei dem
Thema Übergang Schule/Beruf“ hat man es mit einer großen Vielzahl von
Lebenslagen der Betroffenen, aber auch einer großen Vielzahl von Erwartungen und
Bedürfnissen auf der Arbeitgeberseite zu tun und deshalb ist auch hier das
Fachkräftebündnis die richtige Veranstaltung, diese Dinge intensiv miteinander zu
bereden. Das Beispiel Übergang Schule/ Beruf zeigt - es ist ein sehr gelungenes
Landeskonzept -, dass man, wenn man sich gegenseitig einer qualifizierten
Diskussion aussetzt, dann kommt man eben dann auch zu einem spezifischen und
der Realität auch standhaltenden Ergebnis. Warum sind wir in diesem Jahr so weit
gekommen, wie wir gekommen sind, in der Hauptrunde Bündnis für Arbeit? Da muss
man einfach sagen, dass zwar die gemeinsame Position war, an der Stelle auf der
Bundesebene, da Druck zu machen, jeder der Beteiligten auf seiner Schiene und wir
dann eben gemeinsam. Aber die entscheidende Antwort lautet: Im Landeshaushalt
jetzt zusätzliche Akzente - über die ESF finanzierten Projekte, die hier angesprochen
worden sind - zu machen, dafür gab es bisher keine gemeinsame Auffassung. Ich
werde aber an einer Stelle - bevor jetzt vielleicht die Stimmung bei der Opposition zu
hoch geht - eins dann deutlich sagen: Ich glaube nicht, dass, wenn man jetzt noch
weitere Akzente im Landeshaushalt unterbringt, was ich für richtig halte, und wenn
man die ESF-Mittel dazu packt, dass das unterm Strich letztendlich eine
Größenordnung sein wird, die wir aus Landesmitteln – Land/ESF - aufbringen
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/86 können, die der eigentlichen Herausforderung für einen echten, gelingenden
öffentlich geförderten Beschäftigungssektor für öffentlich geförderte Beschäftigung,
das man dem dann gerecht wird. Ich sage es Ihnen, es bleibt bei der
Auseinandersetzung auf der Bundesebene. Diese Friktion zwischen SGB II und
SGB III, die aus meiner Sicht dequalifizierenden Elemente des Hartz-Systems usw.,
das werden wir hier auch mit einem verbesserten Einsatz von Landesmitteln nicht
hinkriegen. Man muss beides tun: Auf der Landesebene einzelne Projekte
anschieben und auf der Bundesebene den Druck machen. Und ich will es gern
nochmal wiederholen, die Unterausstattung z.B. der Jobcenter, die von mehreren
hier bereits benannt wurde, die bestand ja schon vor der Flüchtlingsherausforderung.
Das wird in Zukunft noch deutlich zunehmen, insofern plädiere ich nochmal
ausdrücklich, gemeinsam darüber nachzudenken, die geförderte Beschäftigung auch
gerade vor diesem Hintergrund nochmal neu zu diskutieren.
Vors. Martina Tegtmeier: Dazu eine Nachfrage von Herrn Foerster.
Abg. Henning Foerster: Also in dem Zusammenhang ist ja nochmal angeklungen
die Frage der ESF-Finanzierung. Ich will auch nochmal ausdrücklich sagen, auch bei
uns hat niemand etwas gegen den Familiencoach oder bezweifelt die Sinnhaftigkeit
dieses Instrumentes, weil das ja immer sozusagen ein Stück herausgehoben wird,
auch mit Blick auf die Aufstockung der Mittel, die da im ESF stattgefunden hat. Meine
Frage nochmal: Ich verstehe Arbeitsmarktpolitik immer so als ein Stück als
Integrationsleiter, das ist jetzt auch verschiedentlich angeklungen. Und wenn ich mir
angucke, wir nehmen viel Geld in die Hand als Land, um bspw. den Familiencoach
zu finanzieren. Der soll dann beratend tätig werden im familiären Umfeld, soll dabei
Vermittlungshemmnisse abzubauen usw. und irgendwann kommt der Punkt, wo
entweder eine Arbeitsmarktintegration erfolgt - Ziel erster Arbeitsmarkt, so die
ausdrückliche Aussage - oder eben nicht. Und wenn ich mir das angucke bei
Trägern, die dieses Projekt verantworten, und dann zur Kenntnis nehme, dass sie in
besonders erfolgreichem Fall ja vielleicht eine Integrationsquote von 40% haben, im
Durchschnitt irgendwo zwischen 20 und 28% liegen, dann heißt das im
Umkehrschluss, dass 60% bzw. auch mehr Prozent der Leute, die über den
Familiencoach betreut worden sind, am Ende nicht am ersten Arbeitsmarkt
einmünden. Das bedeutet, die fallen dann sozusagen hinten runter. Da besteht dann
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/87 die Gefahr, dass Vertrauensverlust, Demotivation zu verzeichnen sind und das die
wichtige Arbeit, die auch die Träger da machen im Zusammenhang mit dem
Familiencoach, ein Stück weit entwertet wird. Und deswegen möchte ich deutlich
machen: Wir stellen nicht infrage, das Dinge, die im ESF auch jetzt über den
Haushalt abgebildet sind, ihre Berechtigung haben. Aber im Sinne dieser Förderkette
oder Integrationsleiter oder wie immer wir das nennen wollen, braucht es aus unserer
Sicht dann ein Modul - das dann öffentlich geförderte Beschäftigung, ggf. unterstützt
über einen Landeszuschuss, wie auch immer -heißen kann, um eben diesen
Abbruch dann an der Stelle nicht zu haben und da wäre die Frage: Ist das auch
Auffassung des DGB, als wichtigem Player an der Stelle?
Vors. Martina Tegtmeier: Herr Schlüter.
Ingo Schlüter: Ja, also bei der Ableitung am Ende sind wir nicht auseinander, ich
finde nur die Hinleitung, finde ich ein bisschen schwierig, weil Du jetzt auch wieder so
dieses Mantra der Integration in den ersten Arbeitsmarkt hier gerade ein Stück weit
besingst. Und da kann ich nur sagen: Die Familiencoaches, die werden sicherlich an
diesen Übergangsquoten in den ersten Arbeitsmarktes gemessen. Aber das, was an
eigentlicher Betreuung, auch möglicherweise an Ermutigung und Unterstützung bei
sozialer Teilhabe auch da mitspielt. Das sollten wir dabei nicht vergessen, das ist mir
ganz wichtig. Ich bin wohl noch einen Punkt der Antwort schuldig geblieben, was jetzt
so die Landesmittel betrifft. Ich finde, wir sollten nicht Langzeitarbeitslose und
Flüchtlinge gegeneinander ausspielen und die ganze Veranstaltung „Betreuung von
Langzeitarbeitslosen, stiefmütterlich schlecht ausgestatte Jobcenter usw.“, alles
nochmal wiederholt. Wenn wir jetzt über den Einsatz von Landesmitteln oder
möglicherweise, was ich überhaupt nicht ausschließe, über das Neujustieren von
ESF-Mitteln hier an dieser Stelle nachdenken mit Blick auf die Flüchtlinge, dann
würde ich trotzdem sagen, dann sollten wir bei aller Wertschätzung und großem
Interesse, das wir am Gelingen öffentlich geförderter Beschäftigung als DGB haben,
eins nicht vergessen: Wir müssen die Integration beginnend mit Sprache, beginnend
mit Schule, beginnend mit Berufsorientierung, beginnend mit Eingliederung in
Erstausbildung und dann natürlich Eingliederung in Arbeit. All diese Dinge müssen
wir als Gesamtkonzert betrachten und dann muss man auch Mini-Max Aufgaben
gedanklich zulassen, wo man sich überlegt, wieviel investiere ich jetzt in Sprache,
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/88 wieviel investiere ich in Berufsorientierung, wieviel investiere ich möglicherweise in
ein Berufsbildungslandesprogramm, sind wir austrainiert, haben wir noch einige
Dinge im Tornister aus den 90er Jahren, könnte man sich einiges vorstellen. Da
würde ich auch sagen, da ist die öffentlich geförderte Beschäftigung eine wichtige
Fragestellung, aber im Gesamtkonzert der Bewältigung der Herausforderung im
Zuge der Integration von Flüchtlingen ist das eine der Fragen und ich will noch eins
dazu sagen, unser Problem bezogen auf die 265.000 fehlenden Erwerbspersonen
bis 2030, ist ja unsere Erfahrung bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit 2011 - die Polen
unter anderem - da gab es ja viel Wehklagen im Vorfeld „dann kommen die Polen
und nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg“. Ich erinnere einfach an das, was
wirklich hier stattgefunden hat: Die polnischen Arbeitnehmer haben sich auf die
Autobahn gesetzt, A20 durch bis A1, dann vielleicht noch nach Fuhlsbüttel und ab
nach England. Also die Frage jetzt bezogen auf die Flüchtlinge, ob es uns wirklich
gelingt, eine echte Willkommenskultur auch in Bezug auf den Arbeitsmarkt auf das
Ausbildungssystem, auf das Schulsystem zu erzeugen, dass wir wenigstens ein paar
von den Menschen, die jetzt bei uns aus ihrer Not heraus bei uns landen, dass wir
die für Mecklenburg-Vorpommern als zukünftigen Lebensmittelpunkt begeistern
können. Dass wir wenigstens ein paar davon auch hier behalten und zwar nicht nur
wegen Fachkräfteerwägungen heraus, sondern aus auch ganz anderen Motiven - ich
glaube, da bin ich unverdächtig – aber auch aus Fachkräftebedarf heraus. Wir sollten
alle Anstrengungen unternehmen, dass wir auch Leute hierbehalten können. Damit
wir auch an der Stelle für Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls ein bisschen mehr
davon haben als von der Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank, Herr Schlüter. Die letzte Frage von Herrn
Foerster richtete sich an Frau Weber von der Diakonie. Da ging es um das zweite
Modellprojekt.
Elena Weber: Also ich möchte mich im Prinzip auch Frau Nößler anschließen, die ja
sehr befürwortet hat und auch die Sinnhaftigkeit eines Modellprojektes in
Mecklenburg-Vorpommern hervorgehoben hat. Ich glaube, man muss auch inhaltlich
zunächst einmal aufbauen auf dem, was bisher aus Baden-Württemberg gekommen
ist. Es gibt ja einen vorläufigen Bericht, der schon deutlich zeigt, dass auf die Person
bezogen im Abschlussbericht gezeigt wird, dass diese Menschen dort, die
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/89 geförderten Arbeitnehmer dort es als besonders wichtig beschreiben, nicht mehr auf
Grundsicherungsleistungen angewiesen zu sein, sich tatsächlich zugehörig zu
fühlen, gesellschaftliche Kontakte erhalten zu haben und tatsächlich sich der
Gesundheitszustand verbessert hat. Also das jetzt tatsächlich bezogen auf die
geförderten Personen. Auf diese Erkenntnisse kann man aufbauen, ich glaube da
sind auch, es sind zentrale Punkte für so einen Fokus im eigenen Land. Ansonsten
würde man tatsächlich ein wichtiges Signal senden, wenn es gelingen würde, diesen
Vorbehalt auf Bundesebene abzubauen in Bezug auf die Kommunen. Es sind, wie
Ines Nößler im Prinzip schon gesagt hat, der eine Vorbehalt ist tatsächlich zu sagen,
die Kommunen würden sich nicht beteiligen wollen mit ihren eingesparten Kosten der
Unterkunft. Wenn es tatsächlich gelingen würde, im Vorfeld Kommunen zu
gewinnen, die sich mit ihren eingesparten KDU, die diese Mittel einfließen lassen in
z.B. begleitende Maßnahmen, wäre das ein sehr, sehr wichtiger Aspekt. Natürlich
müsste man auch den gesamtwirtschaftlichen Fokus nochmal hervorheben, also
wirklich zu gucken, welche … gesamtwirtschaftlichen Vorteile dieses Programm hat
und ich glaube, das ist tatsächlich absolut sinnvoll und hat auch Chancen, auf
Bundesebene etwas zu bewirken.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Als Nächste habe ich jetzt Frau Gajek.
Abg. Silke Gajek: Danke, passt wunderbar. Vielen Dank an Sie und wir befinden uns
ja jetzt in der Anhörung zum Doppelhaushalt und deshalb habe ich die klare Frage zu
den Finanzmitteln und zwar richtet sich die Frage an die, die den ÖBS und den
Sozialen Arbeitsmarkt favorisieren. Über welche finanzielle Größenordnung reden wir
dann konkret in Bezug auf ein substantielles Landesprogramm zum nachhaltigen
Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit hier in Mecklenburg-Vorpommern?
Vors. Martina Tegtmeier: Wer möchte antworten? Frau Nößler.
Ines Nößler: Also, ich probiere es mal. Das sind ja die gefährlichsten Fragen. Ich
gehe mal runter auf das Individuum, damit man dann wieder den Rückfluss machen
kann. Wenn wir den Passiv-Aktiv-Transfer und die Menschen dort, uns an geltendem
Recht,
sprich
an
Mindestlohn,
orientieren,
dann
habe
ich
im
Moment
Pflichtleistungen in Höhe von roundabout 900 €, also Kosten der Unterkunft, ich kann
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/90 das jetzt nicht bis auf jede einzelne Kommune runterrechnen, aber als Bundeswert
und ich brauche bei einer 39 Stunden-Woche, so haben wir es berechnet - weil es
gibt ja 35 und es gibt auch 42 Stundenwochen - und ich brauche bei 8,50€ und einer
39 Stundenwoche 1600 €. Das heißt, mir fehlen eben 800 €. Diese 800 €, und das
wird jetzt die spannende Frage sein, nehme ich die aus Mitteln für Eingliederungen in
Arbeit? Das wäre in 16 möglich. Das ist die erste Frage. Die zweite Frage ist, lasse
ich marktnahe Tätigkeiten zu und darf ich Einnahmen erwirtschaften? Dann reduziert
sich das auch schlagartig. So lange diese Fragen nicht beantwortet sind, kann ich
Ihnen gar nicht sagen, weil Sie müssten theoretisch sagen: Ich nehme die Zielgruppe
der so und so lange Arbeitslosen mit so und so viel Vermittlungshemmnissen, das
weist Ihnen ja die BA aus, die Bundesagentur für Arbeit, die ja auch mittlerweile für
den Passiv-Aktiv-Transfer wirbt, wirbt bundesweit für 200.000 Menschen. Und dann
könnten Sie jetzt volkswirtschaftlich rechnen, wenn ich bei der Beschränkungs-Trias
bleibe, wenn ich halt keine Mittel aus dem EGT nehme, dann nehmen Sie 800€ pro
Person mal 200.000 und dann gehen Sie über Königsteiner Schlüssel - jetzt
theoretisch - nach Mecklenburg-Vorpommern, und da bin nüchtern genug, also das
lässt kein Landeshaushalt zu. Niemals. Ist auch nicht zu verkaufen, weil Sie es
irgendwo anders klauen müssen. Das ist auch eins, warum wir sehr für marktnahe
Tätigkeiten werben. Nicht nur im Bezug auf die Menschen und dieser ja immer
wieder angedachten Integration, sondern auch um mit den 800 € ins Benehmen zu
kommen, weil ich kann unter Umständen in viel mehr Bereichen als heute
Einnahmen erwirtschaften.
Vors. Martina Tegtmeier: Danke Frau Nößler. Herr Böhm.
Jörg Böhm: Frau Nößler hat es schon gesagt, dass es natürlich sehr vom Konstrukt
eines solchen Projektes abhängt und dann natürlich von der Anzahl derjenigen, die
man dort aufnehmen will, von der Teilnehmerzahl. Und ich will nur daran erinnern,
dass wir nicht so ganz im luftleere Raum hier in Mecklenburg-Vorpommern leben und
- auch nicht hier im Landtag - sondern dass es ja dazu auch einen konkreten
Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE hier im Landtag gegeben
hat. Ich würde mir einfach wünschen, dass wir - um an mein Eingangsstatement
anzuknüpfen - dass wir einfach mal darüber diskutieren und uns austauschen, wie
etwas
möglich
sein
könnte,
möglicherweise
unter
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
Zuhilfenahme
der
- 75/91 wissenschaftlichen Einrichtungen im Land, dass man das einfach mal thematisiert:
Langzeitarbeitslosigkeit, ihre Wirkungen, ihre Folgen und wie man einen Weg daraus
finden kann. Dass man das mal diskutiert und nicht pauschal nur vorneherein
ablehnt. Ich wünsche mir einen offenen Diskurs … aller Beteiligten.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja danke, Herr Böhm. Dann ist jetzt Herr Renz dran.
Abg. Torsten Renz: Ja ich will nochmal den Hinweis loswerden, dass wir etwas
unter Zeitdruck sind, die Kollegen sind auch schon gegangen, weil wir jetzt ab 13 Uhr
Bildungsausschuss haben. Also nicht, dass jetzt nachher irgendwie auf Desinteresse
hier geschlossen wird, ich habe jetzt den Kollegen auch gebeten, mich da schon mal
zu vertreten. Vielleicht zu der letzten Ausführung von Herrn Böhm. Also eigentlich
stelle ich ja nur Fragen. Aber wenn sie jetzt hier sagen „es wird da pauschal
abgelehnt im Landtag“ - das war hier die Botschaft – „ohne Austausch von
Argumenten“, da kann ich nur sagen: Ich für meine Person möchte das klar und
deutlich zurückweisen, weil ich mich immer mit den Argumenten entsprechend
auseinandergesetzt habe. Ich denke, auch für Frau Tegtmeier sprechen zu dürfen.
Ich habe eine Verständnisfrage jetzt nochmal zum Passiv-Aktiv-Transfer. Wenn ich
das richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, man kann das gar nicht so richtig
vergleichen, weil es eigentlich gar kein Modellversuch ist. Können Sie das vielleicht
mit zwei, drei Sätzen nochmal erklären, ob sich das auf die Zuschüsse bezieht oder
wie ist das gemeint? Weil wenn ich mich damit bisher befasst habe und wir in der
politischen Diskussion waren, dann haben wir immer vom Modellprojekt gesprochen
und jetzt haben Sie mich sozusagen etwas irritiert. Das wäre die erste Frage, die
zweite Frage wäre an jemanden, der im Begleitausschuss sitzt, der mitgearbeitet hat,
zum Beispiel bei dem Aufstellen der Programme der entsprechenden ESF Mittel
jetzt. Da würde mich mal interessieren, wie ist die Abstimmung in dem
Begleitausschuss ausgefallen. Ganz konkret gefragt: Ist es einstimmig gewesen?
Und dann will ich den Begriff von Herrn Sauer aufgreifen. Wenn es dann
möglicherweise so war und wir von Konsenspapier sprechen, vielleicht könnte man
dann mal darstellen, welche Projekte, konkrete Projektvorschläge zur Bekämpfung
der Langzeitarbeitslosigkeit im Raum standen, die dann sozusagen keine Mehrheit
gefunden haben? Vielleicht kann man dazu mal ein Paar Ausführungen machen.
Danke.
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/92 Vors. Martina Tegtmeier: Ja, dann bitte ich zunächst Frau Nößler.
Ines Nößler: Ja. Ich versuch´s wirklich in zwei, drei Sätzen. Passiv-Aktiv-Transfer
heißt, Sie könnten theoretisch oder eigentlich in der Realität, wenn man da wäre, auf
die passiven Mittel zugreifen. Und das macht Baden-Württemberg nicht. BadenWürttemberg nimmt Förderungen von Arbeitsverhältnissen, also 16 e, kriegt vom
jeweiligen
Jobcenter
75
%
Lohnkostenzuschuss,
das
ist
die
Basisfinanzierungsgrundlage und das Land selber hat im Rahmen seines
Landesarbeitsmarktprogramm round about pro Kopf und Nase, die gefördert wird,
400 € eingestellt, die sozusagen auf diese 75 % drauf gelegt werden, hat die
Kommunen gebeten - das hat die Frau Tegtmeier kurz anklingen lassen, wie
schwierig dieses Anlaufsgeschäft ja auch in Baden-Württemberg war -, die
eingesparten Kosten der Unterkunft einzubringen. Und wenn die Kommune unter
Haushaltsvorbehalt war oder noch keinen verabschiedeten Haushalt hatte oder und
so weiter und so fort, ist das Land Baden Württemberg mit eigenen Landesmitteln da
auch noch mal rein gegangen. Das heißt die Finanzierungsgrundlage, Passiv–AktivTransfer, Sie nehmen die Regelleistung und Kosten der Unterkunft, und wandeln sie
in eine aktive Förderung um, die ist eben genau in Baden-Württemberg nicht
passiert. Deshalb spricht ja auch die Sozialministerin von dem simulierten PAT.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, danke. Herr Schlüter.
Ingo Schlüter: Ja, Herr Renz, bevor ich Ihre Frage beantworte, möchte ich nochmal
die Frage von Frau Gajek nochmal beantworten: „Wieviel darf es denn sein?“ Und da
würde ich mich auch meiner Vorrednerin anschließen. Man kann das so in der Weise
natürlich nicht quantifizieren. Herr Sauer hat ja in seinem Beitrag vorhin ja einmal
gesagt, man könnte ja nicht zulassen, dass es Gewöhnungseffekte gibt, wenn Leute
dann oberhalb ihrer Produktivität auf Dauer bezahlt werden. Das wäre ja auch nicht
schön für ihre weitere Integration. Also ich stelle mal fest, für Arbeitnehmer ist es
wahrscheinlich unangenehmer, wenn sie unterhalb oder weit unterhalb ihrer
Produktivität entlohnt werden. Warum sage ich das? Weil ich einfach sagen will:
Natürlich
könnte
man
sich
vorstellen,
auf
Landesebene
ein
Lohnkostenzuschussprogramm mal anzudenken, um genau diese durchaus
vorstellbaren Produktivitätsschwächen eines Langzeitarbeitslosen für eine Zeit
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/93 abzupuffern und dann sozusagen dessen Produktivität nach oben zu ziehen. Aber
das ist auch wiederum ein Beispiel dafür, dass man jetzt, dass wir Ihnen einfach
nicht aushelfen können mit einer Forderung für die finale Haushaltsdebatte. Also das
ist dann schon Sache dann der Fraktion und nicht der Anzuhörenden hier. Jetzt zu
der anderen Frage von Herrn Renz: Ja, die Beschlussfassung zum ESF-OP - wie
auch zu den beiden anderen OP - war einstimmig. Dem ging ein wirklich intensiver,
ich würde sagen mindestens zweijähriger Konsultationsprozess voraus. Und warum
sind wir jetzt bei den Instrumenten im ESF geblieben, die heute schon benannt
worden sind? Also nochmal: Familiencoach, Integrationsprojekte, Kleinprojekte –
Warum sind wir da verblieben? A) Nochmal: Es gab einen Rückgang gegenüber der
alten Förderperiode um 25 % im ESF. Der führte natürlich zu allen möglichen
Zwängen, können Sie sich vorstellen. Das Zweite, das ist die inhaltliche Antwort. Wir
haben auch deshalb jetzt keine weiteren Modelle dann mit aufgenommen, weil wir
nicht der Meinung waren, schon lange nicht der Meinung waren und dabei im
Wesentlichen auch bleiben, insbesondere die beiden Sozialpartner: Wir wollen nicht
der Arbeitslosenversicherung oder dem SGB-II-System mit den wenigen zur
Verfügung stehenden ESF Mitteln hinterher finanzieren. Wir haben da jetzt so ein
paar kleine Ausnahmen drin in den Instrumenten, wir haben eine gewisse Interaktion,
aber es bleibt dabei: Wir können mit den paar Mitteln, die hier zur Verfügung stehen,
dem eigentlichen SGB-II und SGB-III-System nicht hinterher finanzieren. Das macht
auch keinen Sinn, weil man in Einzelfällen dann auch in der Förderpraxis erlebt, dass
Projekte, die zwar eigentlich aus dem SGB voll finanzierbar gewesen wären, dann
aber dann trotzdem noch additiv mit ESF ausgestattet werden und das ist ja auch
nicht sinnvoll, wenn man da dann so eine Substituierung von ohnehin zur Verfügung
stehenden Mitteln über den ESF organisiert. Also an der Stelle haben wir uns wirklich
auf die Projekte die jetzt drin stehen sehr bewusst und einstimmig dann verständigt.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Herr Sauer, Herr Dr. Sauer, Sie waren auch
noch mal angesprochen, möchten Sie da jetzt auch noch zu ergänzen oder hat sich
das damit erledigt?
Dr. Martin Sauer: Ich wüsste nicht, das ich angesprochen war.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/94 Vors. Martina Tegtmeier: Ach so, Sie waren nur zitiert worden, okay. Also, Herr
Foerster.
Abg. Henning Foerster: Also, ich will da jetzt gar keine Frage mehr anschließen. Nur
zu Ihnen, Kollege Renz, was die, und auch zu Frau Gajek: Über welche
Größenordnung man am Ende redet, das hängt natürlich an der Platzzahl, die
möglicherweise vorgeschlagen wird, und an dem Finanzierungskonstrukt. Es ist ja
angeklungen, es gibt ganz unterschiedliche Beispiele. Es gab ein Programm „Arbeit
für Brandenburg“, was sich unter Anderem aus dem 16 e als Basisfinanzierung im
SGB II, aus einem Durchschnittswert an eingesparten KDU und aus einem
Landeszuschuss gespeist hat. Und dann ist es am Ende die Frage, wie man so eine
Finanzierung aufzieht und über welche Platzzahl wir reden. Und dann kann man auf
der Basis dessen, was ich brauche, um Kriterien wie den Mindestlohn einhalten zu
können, kann ich eine Berechnung anstellen. Und da verweise ich dann auch auf
das, was Kollege Böhm hier sagte. Da hatten wir schon mal ein Beispiel für eine
bestimme Platzzahl mit einem Landtagsantrag - ich glaube 2012, im Dezember - zu
diesem Thema.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Frau Weber, hatte ich Sie, hatten Sie sich
vorhin auch gemeldet? Also ich hatte, bin darauf aufmerksam gemacht worden, ich
hatte Sie vorhin nicht gesehen. Also wenn Sie jetzt noch etwas sagen möchten, bitte.
Elena Weber: Ja, gern. Es richtete sich auch an die Frage von Frau Gajek. Ich
würde ganz gerne auf zwei Untersuchungen verweisen -einmal vom IAT und von der
paritätischen Forschungsstelle -, die tatsächlich sich auch auseinandergesetzt haben
mit Einnahmen und Einsparen durch einen Passiv–Aktiv–Transfer. Das sind natürlich
Simulationen, aber im Prinzip ist die Aussage: Aus volkswirtschaftlicher und
gesamtwirtschaftlicher Betrachtung ist es sinnvoll, weil Ausgaben bis zu 90%
kompensiert
werden durch
Einnahmen und
Einsparungen auf
Seiten der
Sozialversicherung, im Steuersystem und so weiter. Also das würde ich nochmal
gerne ans Herz legen.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, herzlichen Dank. Weitere Fragen sehe ich hier
nicht. Dann bedanke ich mich nochmal ganz herzlich bei den Sachverständigen und
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/95 schließe diese Anhörung. Wir haben nachher noch eine weitere Anhörung. Die wird
dann wie geplant um halb stattfinden. … Um 14 Uhr, wir haben dann doch noch ein
bisschen mehr Zeit. Dann kann ich Ihnen noch sagen: Die Kantine hat noch geöffnet.
Also, nutzen Sie die Gelegenheit. Es kann nachher noch ein bisschen dauern. Vielen
Dank Ihnen noch einmal und einen guten Heimweg.
- Sitzungsunterbrechung von 13:08 bis 14:00 Uhr -
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/96 PUNKT 3 DER TAGESORDNUNG
Öffentliche Anhörung zum Thema
Erfahrungen mit und Zukunft der Krankenhausfinanzierung in
Mecklenburg-Vorpommern unter Berücksichtigung der
Haushaltsplanungen der Landesregierung 2016/2017, einschließlich der
Mittelfristigen Finanzplanung 2015 bis 2020
Vors. Martina Tegtmeier: Ich rufe auf den Punkt 3 unserer heutigen Tagesordnung
und damit unsere dritte öffentliche Anhörung am heutigen Tag, und die letzte des
heutigen Tages. Wir führen hier die öffentliche Anhörung zum Thema „Erfahrungen
mit und Zukunft der Krankenhausfinanzierung in Mecklenburg-Vorpommern unter
Berücksichtigung
der
Haushaltsplanung
der
Landesregierung
2016/2017
einschließlich der Mittelfristigen Finanzplanung 2015 bis 2020“ durch. Ich begrüße
Sie alle zur Anhörung und natürlich besonders herzlich unsere Gäste, die uns hier
heute Rede und Antwort stehen werden, aber auch die Gäste und die Vertreter der
Presse, sofern sie anwesend sind. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir im
Rahmen dieser öffentlichen Anhörung jedoch auch nur das Wort an die
Anzuhörenden und an die Abgeordneten erteilen können. Also die Zuschauer und
Zuhörer werden hier nicht weiter beteiligt. Soweit die Stellungnahmen schriftlich
eingereicht wurden, liegen diese den Abgeordneten alle vor. Und ich glaube, alle die
da sitzen, haben ihre Stellungnahmen schriftlich eingereicht, sodass ich Ihnen
folgerichtig mitgeteilt habe, oder es wurde darum gebeten, dass Sie ungefähr in fünf
Minuten nochmal die Schwerpunkte zusammen fassen und Ihre Stellungnahmen
vorstellen. Und wenn Sie die Redebeiträge heute verschriftet haben, die von den
Stellungnahmen abweichen, denn würden Sie uns einen großen Gefallen tun, wenn
Sie uns diese auch zur Verfügung stellen könnten. Nicht an der heutigen Sitzung
teilnehmen werden der Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern, der Städte- und
Gemeindetag sowie das Klinikum Karlsburg. Alle drei haben allerdings eine
schriftliche Stellungnahme eingereicht. Der Landesjugendhilfeausschuss und das
Klinikum Südstadt Rostock haben sich abgemeldet und auf die Abgabe einer
Stellungnahme in Gänze verzichtet. Ich werde den Anzuhörenden der Reihe nach
die Gelegenheit geben, ihre Positionen vorzutragen und im Anschluss daran werden
wir dann in die Fragestunde eintreten. Fragerunde vielmehr, kann auch zwei Stunden
dauern. Zunächst gebe ich Frau Dr. Anke-Britt Möhr von der AOK Nordost das Wort.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/97 Dr. Anke Britt-Möhr (AOK Nordost): Vielen Dank. Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Abgeordnete, ich bedanke mich erstmal im Namen der AOK Nordost,
das wir hier die Möglichkeit haben, zu einem so wichtigen und einem so hoch
aktuellem Thema Stellung zu beziehen. Sie alle müssten als Abgeordnete von uns
auch ein Papier zum Krankenhausstrukturgesetz erhalten haben. Das hatten wir
seinerzeit bereits verknüpft mit Aussagen zu einer zukunftsfesten stationären
Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem es wurde bereits erwähnt,
haben wir eine sehr umfassende Stellungnahme eingereicht, sodass ich hier
durchaus die Möglichkeit sehe, mich ganz knapp auf drei wesentliche Punkte zu
beschränken. Zum einen möchte ich mich äußern zu der Versorgungsstruktur, dann
möchte
ich
zum
Thema
der
Finanzierung
kommen,
insbesondere
der
Investitionsfinanzierung, und als drittes möchte ich ein paar Worte sagen zur Qualität
von Versorgung. Lassen Sie mich zunächst zum Thema Struktur kommen. Ich
möchte nicht einsteigen mit einer Aussage zu Strukturen, sondern mit einer Aussage
zu den Menschen in diesen Strukturen. Wir haben in erster Linie ein
Fachkräfteproblem, dass wir im Moment nur schwierig lösen können und daran wird
sich auch zukünftig aus unserer Sicht nichts ändern, ganz im Gegenteil. Herr
Gagzow sucht in seiner „Med-Ahoi“-Tour 180 neue Medizinerinnen und Mediziner.
Das entspricht ungefähr der Ärztezahl von 4 Krankenhäusern, wenn man jetzt mal
von Krankenhäusern mit 150 bis 180 Betten ausgeht. Rein rechnerisch, also wirklich
rein rechnerisch haben wir schon jetzt im Land vier Krankenhäuser ohne einen
einzigen Arzt. So zu tun, als wäre das alles noch irgendwie in Ordnung, verkennt
einfach den Ernst der Lage, in der wir uns bereits heute befinden. Falsch wäre es zu
glauben, viel Geld hilft viel. Das wird weder das Fachkräfte-Problem lösen und
darüber hinaus werden unwirtschaftliche Strukturen zementiert. Wir müssen uns die
Frage stellen, ob wir die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern wirklich in
Krankenhäusern lassen wollen, bei denen bereits jetzt klar ist, dass keine
ausreichende
Fachärztliche
Versorgung
gewährleistet
ist.
Das
Krankenhausstrukturgesetz setzt da ziemlich deutlich Maßstäbe. Es ist mit Sicherheit
nicht das Qualitätsgesetz, aber nichts desto trotz: Es stellt die Qualität der
zukünftigen Versorgung in den Mittelpunkt. Und Strukturen nur um der Arbeitsplätze
willen zu erhalten, wenn sie nachteilig für die Versorgung sind und bestimmte
Kriterien nicht erfüllen, sehen wir als äußerst kritisch. Gute Versorgung werden wir
mittel- und langfristig nur sicherstellen können durch Konzentration von Leistungen.
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/98 Das ist eigentlich schon heute bei vielen Krankheitsbildern elementar. Nehmen wir
das Beispiel der Onkologie oder nehmen wir das Beispiel der Kardiologie.
Onkologische Operationen werden, lässt man mal die Fachkliniken außen vor, bis
auf zwei Häuser in sämtlichen Krankenhäusern in Mecklenburg-Vorpommern derzeit
durchgeführt. Hier gibt es mit Sicherheit Möglichkeiten zu mehr Effizienz durch
Konzentration. Ähnliches Problem haben wir zum Beispiel in der Kardiologie. Die
Kardiologie ist im Krankenhausplan nicht als Subdisziplin ausgewiesen. Folglich
kann jede Innere auch kardiologische Leistungen erbringen. Und das hat in den
letzten
Jahren
unter
anderen
Linksherzkathetermessplätze
dazu
verdoppelt
geführt,
hat.
Wir
dass
sich
haben
die
in
Zahl
der
Mecklenburg-
Vorpommern deutlich mehr Messplätze als zum Beispiel in Brandenburg, in
Sachsen-Anhalt oder auch in Schleswig-Holstein. Zum Thema Finanzierung. Das
wäre mein zweites Thema. Krankenhäuser haben aus unserer Sicht kein
Finanzierungsproblem, welches aus einer zu geringen Finanzierung durch die
Krankenkassen entsteht, auch wenn Herr Gagzow nachher vielleicht da anderer
Meinung sein wird. Viele Krankenhäuser haben demografiebedingt Fallzeitprobleme.
Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern werden älter, aber sie werden auch
weniger. Und bereits jetzt haben wir Kannibalisierungstendenzen unter den
Krankenhäusern um Fallzahlen. Wo wir definitiv ein finanzielles Problem haben, ist
die Situation bei den Investitionsmitteln. Mecklenburg-Vorpommern hatte im Jahr
1995 einmal 149 Mio. € zur Verfügung gestellt, 2013 waren es noch 60 Millionen,
2017 stehen 51 Millionen im Plan. Geht man von einer von Experten belegten
Reinvestitionsquote zwischen 8,6 oder 10 Prozent aus, dann bräuchten wir
Investitionsmittel in Höhe von 155 Millionen Jetzt wird sich manch einer die Frage
stellen: „Na, wir bekommen doch mit dem Krankenhausstrukturgesetz einen
Strukturfonds, löst der nicht die Probleme?“ Die Strukturfondsmittel werden erst dann
ausgeschüttet, wenn das Land in den letzten drei Jahren, oder: die Mittel zur
Verfügung stellt als Investitionsmittel, die es in den letzten drei Jahren
durchschnittlich zur Verfügung gestellt hat. Die liegen deutlich höher als die 51
geplanten Mio. Wenn es so ist, dass uns bereits jetzt jährlich 100 Millionen fehlen,
um eine normale Investitionsquote zu erreichen, dann kann die Konsequenz nicht die
Einführung von Pauschalen sein. Es wäre eine Verteilung aus der Gießkanne und
eine weitere Besonderheit, ich würde also einen Mangel gerecht verteilen. Wenn ich
einen Mangel habe, wenn mir 100 Millionen jährlich fehlen, ist der Verteilungsmodus
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/99 ziemlich gleich. Vor dem Hintergrund der so wichtigen Konzentrationsprozesse, die
ja eine sehr gezielte spezifische Förderung erfordern, wäre eine Pauschale also ein
völlig falscher Weg. Deshalb meinerseits klares „Nein“ zu einer Pauschale. Das
Krankenhausstrukturgesetz - Punkt 3, Qualität - wird Qualität verbindlich machen.
Die Kriterien, die Ergebnisse sind transparent im Internet zu veröffentlichen.
Strukturqualität kann aber bereits heute im Landesrecht verankert werden. In
Mecklenburg-Vorpommern wird das im Moment so gut wie gar nicht umgesetzt.
Wenn wir mal im Norden bleiben, können - glaube ich - Hamburg oder auch Bremen
gute Beispiele sein. Auch Berlin wird jetzt Qualität im Krankenhausplan
festschreiben. Lassen Sie mich noch einen Blick in die Geriatrie werfen. Jedes
Krankenhaus in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Inneren darf geriatrische
Leistung erbringen, auch mit zum Beispiel nur einem Facharzt, was nicht den
Richtlinien der Fachgesellschaften in jedem konkreten Fall entsprechen wird. Wenn
wir weiterhin ein hohes Qualitätsniveau erhalten wollen, muss Krankenhausplanung
viel stärker als heute ordnend tätig werden und zwar mit Blick auf die Bedarfe
einerseits und das heute und zukünftig vorhandene Personal andererseits. Was
gegenwärtig passiert, wird der Situation nicht gerecht. Am Beispiel VorpommernGreifswald, das als Pilotregion für eine zukunftsfeste Versorgung ausgewählt wurde,
wird das sehr gut deutlich. Wir haben diverse Gutachten vorliegen. Wir hatten eine
Regionalkonferenz, wir haben diverse Initiativen, die auf den Innovationsfonds
abzielen. Aber all diese Aktivitäten werden aus unserer Sicht unkoordiniert laufen
gelassen. Was fehlt, ist ein Plan, ist ein übergreifendes Multiprojektmanagement, um
wirklich hier zu einem Durchbruch zu kommen. Und gerade in dieser Region haben
wir sehr gute Voraussetzungen, weil das Ministerium sowohl im Aufsichtsrat der Uni
Greifswald als auch von Wolgast ist. Lassen Sie mich mein kurzes Statement in drei
Sätzen
zusammenfassen.
Wir
müssen
endlich
Entscheidungen
zur
Strukturveränderungen treffen und die müssen mutig sein. Es gibt dazu keine
Alternative. Die Investitionsmittel sind zu erhöhen und für den Umbau von Strukturen
zu nutzen. Pauschalen sollten nicht eingeführt werden. Qualität können wir nur durch
Konzentration insbesondere spezialisierter Leistungen erreichen. Und ohne diese
Konzentrationen werden wir keine qualitativ hochwertige Versorgung zukunftsfest
sicherstellen können. Schönen Dank.
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/100 Vors. Martina Tegtmeier: Ja, vielen Dank, Frau Dr. Möhr. Als nächstes erhält der
schon mehrfach angesprochene Herr Gagzow von der Krankenhausgesellschaft M-V
das Wort. Werte Abgeordnete, Sie finden auf Ihren Tischen schon eine
Ausarbeitung, eine Auswertung der AOLG-Zahlen für das Jahr 2010 die Herr
Gagzow mitgebracht hat (Anlage), und auf die er sich gleich auch noch beziehen
wird. Bitte sehr, Herr Gagzow.
Wolfgang Gagzow (Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern): Sehr
geehrte Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren Abgeordneten, sehr geehrte
Damen und Herren, ich bedanke mich zunächst sehr herzlich für die Gelegenheit und
Möglichkeit, zu dem Fragenkomplex der kurz- und mittelfristigen investiven
Krankenhausfinanzierung Stellung nehmen zu dürfen. Ich glaube, das ist das erste
Mal, dass die Krankenhäuser in die Landesplanung über diese Kapitel einbezogen
sind. Angesichts des Umfangs des Landeshaushalts ist das für uns heute auch eine
besondere Situation. Wir freuen uns sehr, dass wir das können und dürfen. Und ich
habe Ihnen die 19 Fragen beantwortet und auch noch einen Kurzabriss kurzfristig
zugesandt und als Tischvorlage, ein nicht von mir erhobenes Papier, sondern eine
Zusammenstellung der AOLG aus dem Jahr 2010 vorgelegt, eigentlich könnte ich es
damit bewenden lassen. Die Aussagen, die die Ministerialbehörden Deutschlands
erstellt
haben,
mit
einer
auch
für
Mecklenburg-Vorpommern
erkennbaren
dramatischen, absinkenden Tendenz der Investitionsfinanzierung spricht für sich.
Und relativiert meine Aussagen, die ich in der Vergangenheit immer getroffen habe,
das Mecklenburg-Vorpommern nämlich sich bundesweit herausragend darstellt.
Wenn Sie ganz zum Ende dieser Anlage ansehen, sehen Sie, dass wir im Saldo der
letzten 20 Jahre immer noch den Bundesspitzenplatz inne haben. Da können Sie mal
sehen, wir toll Sie in der Vergangenheit gearbeitet haben. Das sollte eigentlich ein
Ansporn sein, an das Niveau wieder für die Zukunft anzuknüpfen. Das war salopp
vorneweg gesagt, denn es ist sehr erheblich abgesenkt worden. Damit bin ich schon
beim Punkt 1, wo ich mit Frau Dr. Möhr korrespondiere. Wenn wir eine allgemeine
Investitionsquote für die Kliniken von 8 bis 9 % ansetzen, dann benötigten wir bei
einem Budget für das, bei einem Budget für den stationären Bereich von 1,5
nochwas Milliarden. Ich habe die Zahl genau, 1.572.423.438,32 €. Kämen wir bei nur
8 % Investitionsquote auf 125.793.875,06 €. Das ist um doch Welten von den 52,48
Millionen, die ich bei mir auf dem Zettel gefunden habe, entfernt. Ich glaube, in der
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/101 allgemeinen Wirtschaft würde man von dem Thema Konkursverschleppung reden,
oder so etwas in der Art. Das ist eine dramatische Entwicklung. Und was Frau Dr.
Möhr charmanter Weise nicht gesagt hat, ist die Tatsache, das Kliniken ja, wenn sie
Fördermittel haben müssen für Bauvorhaben, immer häufiger gefragt werden:
„Bitteschön, was könnt ihr, was kann euer Träger als Eigenleistung stellen?“ Und
wenn der nicht mit der Sparbüchse auf der Straße sammeln gehen kann, darf und
will, Bank überfallen ist auch uncool, dann muss man halt sehen, das man über
Leasingprojekte
das
Budget
strapaziert,
zu
Lasten
der
GKV
und
deren
Beitragszahlern. Das muss man ganz klar so sagen. Der zweite Punkt, wo ich auch
noch mit Frau Dr. Möhr übereinstimme, das will ich auch zu Anfang gleich sagen,
angesichts so einer Situation, dass es ohnehin nicht reicht und angesichts der
Tatsache, dass wir auch in M-V trotz der wirklich hervorragenden Investitionen, die
Sie, meine Damen und Herren, bewilligt haben in den vorvergangenen Jahren mit
einer gut entwickelten Krankenhausstruktur: Trotzdem haben wir eine heterogene
Situation, eine unterschiedliche, im Entwicklungsstand der Krankenhäuser. Ich will
aber nicht das Wort reden dafür, dass wir Krankenhäuser schließen müssen. Davon
bin ich Lichtjahre entfernt. Wenn man die Tabelle anguckt, haben wir zu wenig und
nicht zu viel im Vergleich zu anderen Ländern. Aber die Situation ist dennoch
unterschiedlich und auch aus diesem Grund kann ich Pauschalen nur auch eine
klare Absage geben: Bitte tun Sie das nicht. Und auch an das Sozialministerium
adressiert: Bitte nicht. Sie - das Land - und wir gemeinsam als Planungsbeteiligte,
inklusive der Krankenkassen natürlich und der Krankenhäuser, sollten die
Möglichkeiten immer haben, in dem übersichtlichen Land Mecklenburg-Vorpommern
mit 38 oder 37 Krankenhäusern punktuell eingreifen zu können. Und nicht mit der
Gießkanne dem einen vielleicht zuviel, dem anderen aber ganz bestimmt zu wenig
zu geben. Das hilft gar nicht und nirgends. Insofern der dringende und flammende
Appell, bei dem bewährten, wirklich sehr bewährtem Verfahren zu bleiben. Und damit
gehe ich dann auf Distanz zu den Aussagen von Frau Dr. Möhr: Es ist nicht so, dass
Qualität bei uns keine Rolle gespielt hat. Qualität ist nahezu das ausschließliche
Kriterium, wenn es darum geht und ging in der Vergangenheit, unsere
Krankenhauslandschaft weiterzuentwickeln. Wir können uns das schlicht und einfach
erlauben, wo einfach jeder jeden persönlich kennt und die Experten der 37
Krankenhäuser bestens bekannt sind und vernetzt sind, das man jedem einzelnen
auf den Zahn fühlen kann. Und da gibt es Experten und Gremien bei uns, die das
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/102 sehr akribisch in den Planungsrunden tun. Und wer Bedingungen nicht erfüllt, der
kriegt auch den Zuschlag nicht. Wir gehen sehr sparsam und sehr gewissenhaft um
mit der Bezeichnung eines Krankenhauses als Zentrum oder auch mit dem Verleihen
einer besonderen Aufgabe, wie wir es in Mecklenburg-Vorpommern nennen. Früher
nannte man das Schwerpunktsetzung. Das bekommt weiß Gott nicht jeder. Und die
Krankenhäuser kämpfen jahrelang darum, um so einen, ich sage mal Ritterschlag, zu
bekommen. Und der wird nur selten verteilt, weil wir eben Leistungen konzentrieren
wollen und konzentriert haben. Und es ist keineswegs so, dass jeder, dem über
Nacht einfällt, mal geriatrische Patienten oder Adipositas-Patienten versorgen zu
wollen, das auch kann. Das Land Mecklenburg-Vorpommern unter der Führung der
Krankenhausgesellschaft
des
Landes
Mecklenburg-Vorpommern
hat
Pläne
entwickelt für die Behandlung von geriatrischen Patienten, hat Pläne entwickelt für
die Behandlung von Adipositas-Patienten. Und wer sich diesen Plänen nicht beugt weil diese allgemein anerkannt sind im Land, auch von den Krankenkassen bekommt so eine Zusage nicht. Es ist also durchaus an sehr extreme, sehr hohe
Qualitätskriterien gebunden, die man anderswo in dieser Republik nicht kennt. Die
man aber mit Erstaunen zur Kenntnis genommen hat, dass wir uns diese
Qualitätsmaßstäbe setzen. Also haben wir an der Stelle – ich sage es ganz klar und
deutlich – keinen Nachholbedarf. Da muss keiner kommen und uns belehren wollen.
Wir hören alle Argumente an. Aber bisher habe ich noch keinen gefunden, der uns
hat Lehren erteilen können. Ganz im Gegenteil. Wir werden eingeladen in andere
Länder, um vorzutragen, wie Qualität in der Krankenhausplanung geht. Weil wir es
vorzeigen können. Gut, das kann man in Ländern mit dreihundert, vierhundert,
fünfhundert Krankenhäusern auch nicht so akribisch machen, wie wir es können.
Und weil wir es können, tun wir es auch. Darum bitte ich Sie sehr, die Mittel dafür
bereit zu stellen. Ich halte es auch für sehr hilfreich, dass sich MecklenburgVorpommern - und ich hoffe: dauerhaft - dafür einsetzt, dass Leistungen in unserem
Lande erbracht werden können. Und da geht die dauerhafte, herzliche Bitte auch
dahingehend, auf Bundesebene gemeinsam mit dem Sozialministerium und den
Krankenhäusern aktiv zu werden, dass wir auch bei einem dünn besiedelten
Flächenland Leistungen erbringen können, die anderswo vielleicht konzentriert
vorgebracht werden können. Ich spreche das Thema Mindestzahlen dabei an. Ich
halte es für einen ausgesprochenen Blödsinn, ich sage das so, bestimmte
Leistungen mit Mindestzahlen zu belegen ohne jede wissenschaftliche Expertise. Der
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/103 gemeinsame Bundesausschuss, der dafür die Verantwortung trägt, zu Lasten der
Krankenhäuser so etwas etabliert zu haben, hat dabei bestimmt das Land
Mecklenburg-Vorpommern nicht im Blick gehabt oder weg ignoriert. Das kann beides
durchaus möglich sein. Lassen Sie das nicht zu. Helfen sie uns dabei zu kämpfen.
Ich sag nur einfach ein Beispiel: Wenn man sagt, fünfzig Knietipps musst du bringen,
sonst darfst du es nicht. Das ist Qualität. Aber eine Transplantationsaktion bei der
Bauchspeicheldrüse oder Ähnlichem, da reichen fünf - weil das vermutlich nur eine
Bagatellerkrankung ist, unterstell ich mal so. Sonst würde man auf solche absurden
Zahlen gar nicht kommen. Also wir können das machen. Aber dann sind
Mukoviszidose – Patienten, um ein krasses Beispiel zu nennen, in MecklenburgVorpommern nicht mehr behandelbar, wenn wir so einen Unfug mitmachen wollen.
Wir stellen Qualitätsmaßstäbe auf und die müssen eingehalten werden. Werden sie
nicht eingehalten, kriegt keiner den Zuschlag und darf es nicht bringen. Und dafür
gibt’s Ärzte, Kammern und Andere, die da auch qualitativ für sorgen. Wir legen
Maßstäbe der Qualität an und nicht Maßstäbe der Menge. Und da bitte ich Sie
herzlich um Unterstützung dabei. Das geht dann auch bis dahin, dass sie sagen, es
gibt diesen Strukturfonds. Wir sollen uns den sehr sorgsam anschauen. Es gibt da
fifty-fifty–Geld aus dem Fonds und vom Land dazu, für, nicht nur Abwrackprämien.
Leider die ersten zwei von drei Punkten heißen: Schließen, schließen, schließen.
Zum Glück steht da auch noch „ Umwidmung“. Ich will nicht sagen: Überall wo
Pädiatrie heute drauf steht, steht morgen Geriatrie drauf, und wir haben das Geld
dafür investiert. Aber in der Tendenz ist ganz klar feststellbar, dass bestimmte
Leistungen weniger erbracht werden. Ich weiß nicht, wie die aktuelle europa- und
weltpolitische Situation ist, ob wir mehr jugendliche Leute demnächst haben hier,
keine Ahnung. Die normale Tendenz ist aber so, dass wir überaltern als Land. Wir
haben uns dieser Aufgabe gestellt, die Krankenhäuser hervorragend gestellt, wir
machen es auch in der Zukunft. Und wenn wir aus dem Fonds Unterstützung
dahingehend bekommen können, neue Aufgaben neu angehen zu können, bis hin zu
vernetzten Angeboten, sind wir dabei. Und das wäre schick, sag ich mal so, wenn die
Exekutive
und
Legislative
mit
den
Partnern
der
Leistungserbringer
da
zusammenarbeiten, um das Beste rauszuholen für unser Land. Vielen herzlichen
Dank.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/104 Vors. Martina Tegtmeier: Ja, vielen Dank, Herr Gagzow. Als nächstes hören wir
Frau Gudrun Kappich vom Dietrich-Bohnhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg. Bitte.
Gudrun Kappich (Dietrich-Bohnhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg): Ja, auch ich
möchte mich bedanken. Sehr geehrte Landtagsabgeordnete, sehr geehrte Damen
und Herren, dass ich hier die Möglichkeit habe. Ich möchte vielleicht voranschicken das hat Herr Gagzow nicht gemacht - an einem Freitag kam Ihr Schreiben, an einem
Mittwoch wollten Sie die Unterlagen haben, und zwar auf dem darauf folgenden
Mittwoch. Ich hab mich bemüht, diese 19 Fragen so gut wie möglich zu beantworten.
Aber ich muss Ihnen auch sagen, ich musste Termine verschieben, ausfallen lassen.
Das ist nicht mal so nebenbei gemacht. Und Sie durften dann länger lesen, als ich
schreiben durfte. Das wollte ich Ihnen einfach nur noch mal sagen. Trotzdem bin ich
natürlich froh, dass ich was sagen kann. Mein Name ist wie gesagt Gudrun Kappich.
Ich blicke auf 32 Jahre im Krankenhaus Neubrandenburg zurück und glaube, ich
kann mir schon auch ein Urteil erlauben, was man so machen kann und was man
nicht
machen
kann.
Unser
Krankenhaus
ist
das
Größte
in
Mitten
der
Mecklenburgischen Seenplatte, damit können wir jetzt ein bisschen angeben. Aber
wir sind auch das Drittgrößte in unserem Land. Als Haus der Maximalversorgung
haben wir 29 Fachkliniken und Institute und 10 % aller Fälle, die in diesem Land
anfallen, behandeln wir. Wir haben in Neubrandenburg ungefähr 800 Betten, in
Altentreptow
100
Betten.
Also
die
800
Betten
machen
alles
außer
Transplantationsmedizin, aber in Altentreptow haben wir 100 Betten, ein ehemaliges
Kreiskrankenhaus. Dort haben wir eine Fachabteilung für Orthopädie und eine
Station der Inneren Medizin, sinnigerweise die Rheumatologie, die mit der
Orthopädie sehr, sehr eng zusammen arbeiten kann. In Malchin haben wir ebenfalls
100 Betten, arbeiten mit einer Fachabteilung Innere Medizin-Chirurgie und bieten
zusätzlich eine kleinere Orthopädie an, die in der Fußorthopädie wirklich auch einen
sehr guten Namen hat. In Neustrelitz haben wir eine psychiatrische Tagesklinik
etabliert. Die größte Herausforderung für die Krankenhäuser in MecklenburgVorpommern sehen wir in der Entwicklung der Altersstruktur. Allein in den letzten
10 Jahren haben wir in unserem Krankenhaus einen Anstieg der Patienten über
75 Jahre von 17 %. 2004 hatten wir noch 7 % Patienten über 75 Jahre, inzwischen
sind es 24,2 %. Das ist jeder Vierte im Prinzip. Diese Patienten brauchen besondere
Aufmerksamkeit. Die Pflege dieser Menschen ist hoch aufwändig, weil sie meist
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/105 multimorbide sind. Das heißt, es liegen mehrere Erkrankungen vor. Hilfen aus der
Politik für die Bezahlung dieser hoch aufwändigen Pflege, haben sich für uns
entpuppt als bürokratische Hürde, die nur mit einem enormen zusätzlichen Aufwand
zu meistern war. Letztlich war es dann so - jeder, der sich ein bisschen auskennt,
weiß das - dass diese besonderen Entgelte dann nicht mehr den Krankenhäusern zu
Gute kamen, die diese Mehrpflegekräfte eingestellt haben. Da wollen sich ja jetzt alle
Mühe geben, diese drei Kräfte, die wir pro Krankenhaus erwarten, durch das neue
Gesetz dann anders zu bezahlen. Das würde mich wundern. Ich weiche jetzt ab, weil
das, Sie kriegen nachher noch meine Rede, da ist trotzdem alles drin. Ja,
gerontopsychiatrische Erkrankungen genauso nehmen zu. Überlegungen zu einem
demenzfreundlichen Krankenhaus haben wir schon ganz lange. Wir wissen auch,
was wir machen wollen. Aber ich sage Ihnen: Es fehlt uns schlicht an den Mitteln
dafür. Demenzkranke Patienten bedürfen ebenfalls einer besonderen Zuwendung,
die nicht im normalen Krankenhausalltag zu leisten ist. Strukturelle Voraussetzungen
sowohl in der räumlichen als auch in der personellen Ausstattung sind zurzeit
nirgendwo vorgesehen. Weder in der Bezahlung der DRG noch bei der Bereitstellung
der Fördermittel finden wir hier die Finanzierung der notwendigen Investition. Vor
dieser Aufgabe stehen wir als Krankenhaus allein. Die Versorgungskapazität von
psychiatrischen Patienten ist im Vergleich zu den anderen Landkreisen in unserem
Land gering. Auch hier brauchen wir Unterstützung. Mecklenburg-Vorpommern ist
ein Flächenland, in welchem eine flächendeckende Versorgung der Bürgerinnen und
Bürger gewährleistet wird und werden muss. Die Erreichbarkeit der Krankenhäuser
bleibt ein wichtiges Kriterium und da widerspreche ich jetzt auch der AOK und denke,
ich bin in einer Planungsbeteiligten-Runde. Ich glaube, wir haben eine gute Anzahl
von Krankenhäusern mit einem guten Portfolio - Herr Gagzow hat das auch schon
gesagt. Ich als hoch spezialisiertes Krankenhaus habe natürlich großes Interesse,
dass hochspezialisierte Leistungen auch bei uns stattfinden. Trotzdem sollten wir
bedenken, dass wir die Wege nicht unerreichbar machen. Und dafür müssen wir uns
als Land auch bekennen zu der Aussage: Gelten für uns Mindestfallzahlen? Das
Mukoviszidose Zentrum, Herr Gagzow hat es gerade erwähnt, wer es von Ihnen
nicht weiß, das ist ein gutes Beispiel. Ich habe es auch in meiner Zuarbeit Ihnen
nochmal geschildert, Hintergrundinformationen können Sie abfragen. Es ist uns viel
gelungen. Durch die Zusammenarbeit der vier Krankenhäuser, Universitätsmedizin
Greifswald, Helios Kliniken Schwerin, Universität Rostock, Dietrich-Bonhoeffer_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/106 Klinikum Neubrandenburg sowie der Ostseekurklinik Fischland als assoziierte
Rehaklinik im Mukoviszidose Zentrum Mecklenburg-Vorpommern haben wir eine
gute Lösung gefunden. Sorgen Sie bitte dafür, dass auch Frühgeborene weiter in vier
Krankenhäusern, die Neonatologie mit Level 1 vorhalten, dass die auch versorgt
werden können. Bei den Mukoviszidose–Kindern war es letztlich einfach. Fünfzig ist
die Mindestzahl von GBA, keiner von uns hat sie geschafft. Das hat die Kinderärzte
auf den Plan gebracht. Die Chefs haben sich wirklich hingesetzt und gesagt: Wir
machen Behandlungsleitlinien. Das ist ein super Beispiel, wo Politik und
Krankenkassen und wir es gemeinsam getragen haben, im Sinne der Patienten. Ich
denke, zu solchen Leitlinien sich zu verständigen, die Qualität versprechen und auch
halten, das halte ich für richtig. Im Übrigen weiß ich nicht, ob wir für Qualität noch
mehr Papier beschreiben müssen. Das ist etwas, was unseren Ärzten sehr, sehr,
sage ich mal, auf den Senkel geht, wenn ich das mal so salopp formulieren darf. Weil
was haben wir von beschriebenem Papier? Wenn Patienten unser Haus unzufrieden
verlassen, treffen sie sich am Kaffeetisch mit 20 anderen, denen sie erzählen:
„Dieses Krankenhaus ist Mist, da brauchst du gar nicht erst hingehen.“ Ich glaube, da
würden Bürger eher mit den Füßen abstimmen, als das sie, sage ich mal, darauf
angewiesen sind, dass wir noch etwas ausfüllen. Glauben Sie mir, kommen Sie uns
einfach mal besuchen und gucken Sie sich mal an, was Ärzte und Schwestern
dokumentieren und wieviel Zeit sie haben, sich mit Ihnen zu unterhalten. Ich
versuche unseren Ärzten immer zu sagen: „Gucken Sie den Patienten doch mal an,
während Sie alles in Ihren Computer tippen.“ Das sollte man sich auch einfach noch
mal vor Augen halten, wie wir inzwischen mit unseren Patienten umgehen. Ich
möchte Sie auffordern, die Mittel für all die Aufgaben zur Verfügung zu stellen, die
wir haben. Dafür reichen diese Haushaltsansätze nicht aus. Bei dem Bespiel, das wir
gerade gehört haben: 10 % müsste man eigentlich investieren können. Das wären in
unserem Krankenhaus 1,18 Mio. €. Bekommen tun wir jährlich 2,6 Mio. €. So und
dann ist die Frage: Was kann ich ersetzen, was muss wie lange halten, wenn es
abgeschrieben ist, was geht noch irgendwie und was brauchen wir ganz dringend?
Ich will mich nicht beklagen, ich möchte auch die Gelegenheit nutzen, um mich bei
ihnen zu bedanken. Dieses Land hat uns Fördermittel zur Verfügung gestellt, wir
konnten die Konzentration unserer Standorte in Neubrandenburg an der AllendeStraße fertig stellen. Wir haben die Psychiatrie inzwischen auf unserem Gelände, wir
waren vorher in Neubrandenburg an drei Standorten verteilt. Das hilft natürlich, aber
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/107 ich möchte auch sagen, wir, das Diakonieklinikum Dietrich Bonhoeffer, hat zwei
Außenstandorte, die vorher Kreiskrankenhäuser waren, unter das Dach genommen
und nicht als eigene GmbH fortgeführt, sondern sie sind mit uns ein Krankenhaus.
Das sind unsere Außenstellen. Ich bekenne mich zu diesen kleinen Krankenhäusern
und sage, Grundversorgung in Malchin, Altentreptow, das ist in Ordnung. Eine
Notaufnahme, wo man hingehen kann und man Schnittverletzungen auch ordentlich
behandeln lassen kann. Jeder andere wird von einem kleinen Krankenhaus natürlich
auch zu uns geschickt. Das ist so, aber ein paar Sachen können wir auch schon
noch auf dem platten Land vorhalten. Danke.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, vielen Danke für ihren Vortrag. Als nächstes hören
wir nun vom Westmecklenburg Klinikum Helene von Bülow und Herrn Jürgen Stobbe
bitte sehr.
Herr Jürgen Stobbe (Westmecklenburg Klinikum Helene von Bülow): Auch von
meiner Seite nochmal der herzliche Dank für die Einladung, die sie uns haben
zukommen lassen. Vieles von dem, was bei mir auf dem Zettel steht, ist inzwischen
gesagt worden. Deswegen will ich das jetzt nicht alles wiederholen. Aber ich nehme
gerne den Ball noch mal auf. Unser Klinikum, Westmecklenburg Klinikum hat
inzwischen eine massive Strukturanpassung in den letzten 3 Jahren erlebt und wer
von Ihnen die Zeitung von Schwerin und dem Südwesten Mecklenburgs, Hagenow
und Ludwigslust verfolgt hat, weiß mit welchen Schwierigkeiten und Schmerzen wir
eine solche Strukturanpassung dort durchlitten haben und ein Stück immer noch
durchleiden. Strukturanpassungen sind zweifellos notwendig, davon gehen wir aus,
aber den Appell, den gerade Frau Kappich noch mal an den Schluss stellte „erhalten
sie uns unsere Krankenhäuser“, den kann ich für kleine Krankenhäuser bei uns
unterstreichen. Ich will nicht von den großen Finanzen im Moment reden, sondern
möchte von der Vorortpräsenz unserer Häuser reden, die notwendig ist. Bei uns
ändert sich - Sie wissen das alle, ich brauche es nicht erneut zu beschwören - die
Demografie natürlich genauso wie im übrigen Land auch. Hochdramatisch verändert
sich damit natürlich auch die Anforderung an die Krankenhäuser und es verändert
sich die Frage nach dem Weg. Patienten, die in eines unserer Häuser kommen,
haben zum großen Teil - sofern sie nicht in den jeweiligen kleinen Kreisstädten,
ehemaligen Kreisstädten wohnen - einen Weg von mindestens einer Stunde. Wenn
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/108 Sie den Weg durch Strukturmaßnahmen dadurch verändern, dass Sie sagen, „wir
machen ein Ambulatorium in einem Gebäude und den Rest konzentrieren wir in
Schwerin“, dann haben Sie selbst für kleinere Operationen einen Besuchs- und
Anfahrtsweg von 2 bis 2,5 Stunden. Ich will von den Fragen der Notversorgung, die
dort anstehen, gar nicht reden. Das ist alles andere, bloß keine bevölkerungsnahe,
wohnortnahe Versorgung, die wir unseren Menschen in unseren Landkreisen
zugutekommen lassen wollen. Die Frage nach der Qualität, die uns dann immer
wieder gestellt wird, kann ich nur mit großem Kopfschütteln beantworten. Seit
Jahrzehnten leisten beide Krankenhäuser - egal in welcher Konstellation sie
gearbeitet haben - hohe Qualität, halten sich an die Standards und Leitlinien, die aus
den jeweiligen Fachabteilungen angebracht und angegeben worden sind. Wir
konzentrieren gegebenenfalls dort, wo es möglich und zumutbar ist. Aber das es
dadurch schon besser wird, dass wir 100 Operationen oder überhaupt Leistungen
mehr machen - Das liegt nicht an der Menge, sondern das liegt an der großen, am
Können und an der Ausbildung der jeweiligen Mitarbeiter, mit denen wir zusammen
arbeiten können und die ein ausgesprochen hohes Ausbildungsniveau bei uns in
allen Häusern aufweisen. Qualität muss bei weiterhin Bestandteil bleiben, daran ist,
glaube ich, an keiner Stelle zu rütteln. Aber ich möchte Sie dringend davor warnen,
Qualität mit Quantität zu verwechseln. Viel ist nicht immer gut. Also das würde auch,
wenn das ein Merkmal ist, eine überaus gute Versorgung in ländlichen
Krankenhäusern zu Tode reiten. Sie wissen, dass unsere beiden Häuser jeweils 160
Betten haben und - ich habe es Ihnen geschrieben - auf einer großen Fläche sind.
Strukturmaßnahmen
müssen
vorsichtig
umgesetzt
werden.
Schon
kleine
Veränderungen beeinflussen erhebliche Ängste in der Bevölkerung. Wir brauchen
eine enge Vernetzung und das kostet uns Geld. Das kostet gerade, wenn man sie
durchführen möchte, sehr viel Geld. Ich bin nicht der Finanzvorstand unseres
Hauses, weil wir unsere Geschäftsführung in Finanz- und Personalgeschäftsführung
geteilt haben. Aber ich merke deutlich, dass wir z.B. für die Neuanschaffung von KISSystemen, um unsere Häuser zu harmonisieren, eine Summe herausgeben müssen,
die wohl an die Million herangeht. Für zwei kleine Häuser eine schier nicht leistbare
Größenordnung. Das sind Strukturanpassungen, bei denen mir dann gesagt worden
sind: „Ja, das ist eben ein Haus, jetzt braucht ihr ein KIS, das ist euer Problem.“ Wir
werden die Frage nach dem Transport zwischen Patienten sinnvoll und
patientengemäß lösen müssen. Zwei Standorte entfernt rund 40 km voneinander.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/109 Wenn wir von Strukturwandel sprechen, dann bedenken Sie dies bitte. Das sind
kleine Dinge, die sicher die große Politik nicht beanspruchen, aber auch diese
kleinen Dinge machen den Vorteil unserer Häuser aus. Deswegen kann ich mich im
Großen und Ganzen nur anschließen. Ich will nicht alles vorlesen, was ich ihnen
schon schriftlich gebracht habe. Ich denke mir, dass können Sie selber ganz gut
entnehmen. Noch ein, für mich ganz wesentlicher Zweig: Wir sagen immer, wir
brauchen Menschen, die hier dann auch arbeiten als Pfleger und als Mediziner zur
Verfügung stellen. Das ist für uns ein zunehmend großes Problem. Nicht nur in der
Ärzteschaft, sondern auch in der Pflege. Es heißt, wir müssen auch vor Ort ausbilden
und wir können nur vor Ort ausbilden, wo wir entsprechende Ausbildungsplätze
vorhalten. Ich habe eine Krankenpflegeschule mit 90 Plätzen. Wir haben sie erweitert
für die kleine Krankenpflegehilfe und um den Jugendlichen vor Ort die Ausbildung zu
ermöglichen in den Bereichen, in denen wir sie brauchen. Wenn ich ein Krankenhaus
umstrukturiere, strukturiere ich auch die Ausbildung damit um. Ich möchte Sie nur
darauf hinweisen: Wie will ich denn weiter attraktive Ausbildungsplätze in der Region
schaffen,
wenn
ich
gleichzeitig
die
Schulen
ihrer
eigentlichen
Ausbildungsmöglichkeiten beraube? Auch dies ist ein wichtiger Punkt, nicht abhängig
vom
großen
oder
kleinen
Klinikum,
sondern
abhängig
von
regionalen
Besonderheiten, die unser Land aufweist. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir
durchaus Widerstände überwinden müssen, um Strukturen neu zu regeln. Ich bin
jemand, der am eigenen Leib sehr deutlich gespürt hat, was es heißt, auch gegen
Widerstände Strukturveränderungen durchsetzen zu müssen, weil wir davon
überzeugt sind, dass diese Strukturveränderung eine Zukunft im Land für unsere
Kliniken ermöglichen. Aber helfen Sie uns dabei, genau an diesen Stellen nicht in
diese elendige Debatte einer Konzentration und einer Entwertung zu Ambulatorien
unsere kleiner Häuser zumachen, sondern halten Sie fest an diesen Standorten und
statten Sie sie entsprechend aus - das wiederum haben meine Finanzexperten
gerade eben deutlich gemacht - halten Sie an dieser Struktur mit den Häusern fest
und lassen Sie es nicht zum Kannibalismus kommen, der im Moment in der Tat in
ganz Deutschland herrscht. Und das ist etwas, was nicht zu Gunsten der Patienten
geht, sondern was uns letztendlich unser gesamtes Gesundheitswesen zerstört.
Vielen Dank.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/110 Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank, Herr Stobbe. Ich begrüße auch Herrn
Dr. Crusius von der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern und Sie sind auch
direkt dran, weil alle anderen Anzuhörende haben bereits vorgetragen, sodass Sie
auch gleich loslegen können.
Dr. Andreas Crusius (Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern): Vielen Dank, Frau
Vorsitzende. Zunächst bitte um Entschuldigung, ich hatte aber eine Sitzung in Berlin
zur Finanzierung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin und habe das Ganze in
1:35 absolviert von Berlin, was dann - ich hätte Ihnen das Foto mitbringen können,
wenn sie es gleich ausdrucken würden an der Autobahn, also das habe ich leider
nicht gemacht.
Vors. Martina Tegtmeier: Wir bezahlen das aber auch nicht.
Dr. Andreas Crusius: Zunächst bitte ich damit um Verständnis und um
Entschuldigung und bedanke mich für die Einladung der Ärztekammer zur Anhörung,
die zwar relativ kurzfristig kam, weil wir müssen das ja immer in die Ausschüsse
geben, aber wir haben es dennoch geschafft und es ist leider erst gestern bei Ihnen
eingegangen. Ich gehe davon aus, dass Sie das alles schriftlich haben?
Vors. Martina Tegtmeier: In diesem Falle nicht. Also bei mir ist das noch nicht
eingegangen. So das Sie jetzt auch in dieser komfortablen Lage sind, ein bisschen
weiter ausführen zu dürfen. Ihre Kollegen und Kolleginnen haben sich da sehr knapp
gehalten, tatsächlich in der Zeitvorgabe. Das wär uns sehr lieb.
Dr. Andreas Crusius: Also vielen Dank. Wir haben uns bei zwei Fragen auf die
Ausführungen der Krankenhausgesellschaft, die wir nicht kennen, aber bezogen, weil
wir häufig an den Stellen gleich denken. Aber ich fange vielleicht mal mit den ersten
Fragen an. Wir werden aufgrund der Flächenversorgung, der in der Fläche zu
deckenden Versorgung, künftig auch mehr mit ambulanter Tätigkeit an den Häusern
- das haben meine Vorredner wahrscheinlich schon gesagt - wir werden uns damit
befassen müssen. Auch der Rettungsdienst mit der präklinischen Notfallmedizin wird
steigende Aufgaben bekommen, denn es kann nicht sein, dass die Bürgerinnen und
Bürger in der Fläche und in den Landkreisen, die also wenig besiedelt sind,
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/111 schlechteres Outcome haben, als diejenigen, die in den Kerngebieten des Landes
wohnen. Krankenhäuser müssen sich neben Chirurgie, Innerer, Gynäkologie,
Geburtshilfe, Pädiatrie miteinander absprechen - ich sage das mit Bedacht hinsichtlich zusätzlich zu übernehmender Aufgaben wie zum Beispiel Neurochirurgie
oder spezielle Viszeralchirurgie oder spezieller Unfallchirurgie. Es wird nicht
gelingen, an allen Standorten alles vorzuhalten, in jeder Tiefe, mit jeder
Spezialisierung. Das wird einfach nicht gelingen. Das haben meine Vorredner eben
mit der Zahl der zur Verfügung stehenden Ärztinnen und Ärzte, dem Pflegepersonal
und
Ähnliches gesagt.
Darüber hinaus werden
ambulante Strukturen
am
Krankenhaus hinsichtlich zumindest der Notfallpraxen überall zu etablieren sein. Die
bisherige Krankenhausfinanzierung ist in unserem Bundesland in den letzten 25
Jahren großzügig gewesen, jedoch nicht ausreichend. Wäre schlimm, wenn ich was
Anderes sagen würde. Nein. Da Innovation in der Medizin und das „Turn Overs“, der
Einführung von neuen Methoden, derart schnell voran schreiten, dass die
Investitionen immer stärkeren Raum einnehmen. Wenn Sie nur mal sehen, wie
schnell ein CT alt wird, ein Computertomograph, der eine höhere Geschwindigkeit
hat, 25 Tesla, 30 Tesla, 45 Tesla, damit der Durchlauf für den Patienten kürzer wird,
die Strahlenbelastung geringer wird. Das muss alles finanziert werden. Die
Krankenhausstruktur, zu Frage vier, in Mecklenburg-Vorpommern ist geeignet, die
medizinische Versorgung der Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten, die heute
bestehende Struktur. Hier verweisen wir auf die Zusätze zu den Fragen 1 und 2, was
ich eben schon gesagt habe. Beim Vergleich der Krankenhausstruktur in
Mecklenburg-Vorpommern mit der in Schleswig-Holstein, Brandenburg, SachsenAnhalt ist anzumerken, dass zum Beispiel in Schleswig-Holstein für bestimmte
Fachgebiete
-
Gynäkologie,
Geburtshilfe,
Pädiatrie
-
durch
die
Kassen
Sicherstellungszuschläge in Regionen, wo beispielsweise im Küstenbereich keine
ausreichende Fläche um das Krankenhaus herum besteht, gezahlt werden, um die
ausreichende Versorgung der Bevölkerung vorzunehmen. Wir haben ja solche
Beispiele in der Krankenhausplanung hinsichtlich der Region VorpommernGreifswald von einem Krankenhausvertreter aus Schleswig-Holstein gehört. Solche
Zuschläge
wären
für
Mecklenburg-Vorpommern
an
bestimmten
Standorten
notwendig. Sicherstellungszuschläge. Zum Beispiel: Wolgast, Ueckermünde, Wismar
hat im Norden auch nichts, nur als Beispiel, Stralsund hat ja nur die Hälfte im Norden
was, links davon, westlich davon nichts. An den Krankenhäusern in Mecklenburg_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/112 Vorpommern gibt es hinsichtlich des Personaleinsatzes keine Effizienzreserven. Der
ärztliche Bereich ist am Limit, der pflegerische Bereich ist am Limit, kann ich an
meinen Vorredner anschließen. Die Ausstattung des Bundeslandes zum Beispiel mit
Herzkatheter-Arbeitsplätzen ist flächendeckend und ausreichend in hoher Qualität.
Völlig
ausreichend.
Hier
gilt
es,
eine
Qualitätssicherung
hinsichtlich
der
Indikationsstellung einzuführen. Ich sage das auch mit Bedacht, weil es gibt ja
bestimmte Leistungen, die sehr hoch finanziert werden von den Krankenkassen meine Nachbarin wird sich darüber freuen - was an vielen Häusern, jedoch nicht an
allen passiert, die Indikationsstellung. Weil es eben aus Wirtschaftlichkeitsgründen
leider auch viel um Geld geht. Die Steigerung der Herzkatheter-Untersuchungen - ich
bitte um Verständnis für die harte Formulierung jetzt, aber - auf Teufel komm´ raus,
weil diese gut bezahlt werden, darf nicht weiter ausgedehnt werden. Sonst müssten
wir jetzt, die wir hier alle sitzen, alle in den Herzkatheter, damit die Maschinen
ausgenutzt werden. Und es kann nicht sein nach dem Motto: Wer bei drei nicht auf
dem Baum ist, bekommt einen Herzkatheter oder ähnliche gewinnträchtige
Untersuchungen. Der Herrgott, wenn ich ihn hier zitieren darf,
(Abg. Julian Barlen: Nur mit seinem Einverständnis.)
hat vor die Therapie die Diagnostik gestellt. Ich weiß nicht, ob er einverstanden ist.
Aber die Diagnostik steht vor der Therapie und nur eine ärztlich indizierte Maßnahme
am Patienten muss dann auch durchgeführt werden. Das ist Wesentlich. Wir haben
natürlich ein Abrechnungssystem, das DRG-System, was ja mal eingeführt wurde,
weil es angeblich gut war und es weist aber viele Defizite auf. Zum Beispiel in der
Finanzierung der Aus- und Weiterbildung von Nachwuchspersonal, in der
Finanzierung von Studenten an den beiden Universitäten, die wir im Land haben, die
Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten, ist alles nicht geregelt. Aber deswegen wird
es gewinnträchtig. Das kann man ja auch den Haushältern der Krankenhäuser nicht
übel nehmen. Aber wenn die Ärzte da mitmachen, ist es dann nicht so gut. Die
geplanten Haushaltsansätze für die Krankenhausfinanzierung für die Jahre 2016 und
2017 sind zu begrüßen, 2017 ist ja leider rückläufig, könnten jedoch aufgrund der
hohen Reinvestitionsraten, ich wiederhole mich, die nötig werden aufgrund der
Fortschritte in der Medizin gesteigert werden. Hier verweisen wir bei 8 und 9 auf die
Krankenhausgesellschaft.
Die
Haushaltsansätze
sind
_______________________________
Sozialausschuss/7. Oktober 2015
für
weitere
- 75/113 Strukturänderungen, die aufgrund des demografischen Effektes eintreten werden,
nicht ausreichend. So muss in der Zukunft die Einrichtung von geriatrischen
Abteilungen an Krankenhäusern, an geriatrischen Tageskliniken, in der Fläche
vorangetrieben werden. In der Fläche. Ich kann ja diesen Patienten, die ich in eine
Tagesklinik bringen will, wenn die 5 km vor Schwerin wohnen, dann ist das
vernünftig, wenn ich sie nach Schwerin bringe, aber wenn sie 20 km östlich von
Neubrandenburg wohnen, dann muss man überlegen,
(Gudrun Kappich: Die holen wir auch noch.)
fährt man sie nach Pasewalk oder fährt man sie nach Neubrandenburg. Ja,
Konkurrenz kommt schonwieder, sehen Sie? Bei dieser Frage, bei der Frage 11
verweisen wir auf die Frage 7. Die Ersatzmodernisierungsinvestitionen sind
ausreichend, aber nicht optimal. Ausreichend heißt ja immer: am unteren Level,
gerade so, um das zu ersetzen. Optimal wäre, dass man nicht dauernd mit dem
Rücken an der Wand steht. Ich sage Ihnen ein Beispiel: In der vorigen Woche waren
bei uns in der Universität drei, wir haben drei Geräte, mit denen man die Gallenwege
darstellt. Früher hatten wir einen Vertrag mit einer Firma Olympos, den hatte mein
Altchef, der ist dann gekündigt worden aus ökonomischen Gründen. Jetzt arbeiten
wir mit einem Leihgerät. Wenn aber drei Untersuchungen am Tag sind, dann muss
das Gerät dreimal gesäubert und desinfiziert werden und das ist natürlich eine
Störung im Ablauf. Sie können ja nicht hintereinander mit dem gleichen Gerät drei
Patienten untersuchen. Also da gibt es Optimierungsreserven hinsichtlich der
Bereitstellung von Technik. Bei der Umstellung der Förderung auf leistungsorientierte
Investitionspauschalen werden die Häuser, die sich in der Grundversorgung
befinden, zu kurz kommen. Da die, die die maximalen Leistungen bringen, auch
immer in der kürzeren oder schnelleren Zeit bevorzugt werden, weil sie einfach
aufgrund der Frequenz das schneller machen. Die Relation zwischen Pauschalen
und Einzelförderung ist ausgeglichen. Zu Frage 14 ist festzustellen, dass die
Betriebsmittelrücklagen auf eine bestimmte Summe - da werden die Haushälter jetzt
dagegen sein - festgeschrieben werden sollten und überschüssige Gewinne zur
Reinvestition zwingend genommen werden müssten. Das ist besonders bei privaten
Trägern, die aus Sozialversicherungsbeiträgen Rendite für ihre Aktionäre generieren,
nicht der Fall. Also Gewinne reinvestieren, da gibt es einen Antrag von
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/114 Dr. Holzhausen aus dem Sozialministerium, ehemals, und meiner Person bei Frau
Bundeskanzlerin,
dass
die
Gewinne
der
Krankenhäuser
pflichtgemäß
zu
reinvestieren sind. Sie hat es nur noch nicht umgesetzt, sie hat ja andere Sachen zu
tun. Die Zuschüsse für die Investition zu Frage 17, ach ne, Entschuldigung, Frage
16, die Zuschüsse für Investitionen an kommunale Träger von Krankenhäusern sind
zu begrüßen, führen jedoch zu einer Ungleichbehandlung. Die kommunalen Träger
sind aber in Bezug auf Frage 14 - also das eben gesagte - auch dann zur
Reinvestition des im Haushalt erwirtschafteten Geldes verpflichtet. Zu 17: Zuschüsse
für
Investitionen
an
nicht
öffentliche
Träger
führen
natürlich
indirekt
zur
Kapitalerhöhung bei nicht öffentlichen Trägern und damit zur Optimierung der
Renditezahlen.
Hier
ergibt
sich
die
grundlegende
Feststellung,
dass
die
Sozialversicherungsbeiträge der Bürgerinnen und Bürger nach Meinung der
Ärztekammer nicht zur Renditegenerierung mutieren dürften. Sie sind ja dazu
mutiert, aber sie dürfen nicht dazu mutieren. Der Ausbau der sektorübergreifenden
interdisziplinären Formen findet zwar Niederschlag, aber nicht ausreichend. Und zu
Frage 19 verweise ich auf das schon bisher Gesagte. Besonders im Bereich der
Pädiatrie, Geburtshilfe, Geriatrie, Gerontopsychiatrie, Neuropädiatrie sind in
integrierten Gesundheitszentren mehr Mittel einzustellen. Zum Schluss gestatten Sie
mir die Anmerkung, dass die Finanzierung der Krankenhäuser durch die DRG dazu
geführt hat, dass zu einem ärztlich-pflegerisch geführten Management am
Krankenhaus unter Zurückdrängung der Personalreserven die Versorgung der
Bevölkerung mit zuwendungsorientierter Medizin schlechter geworden ist, da weder
im pflegerischen, noch im sozialen, noch im ärztlichen Bereich ausreichend Zeit für
die psychische, mentale und persönliche Betreuung der Patienten vorhanden ist. Es
geht nur um Optimierung und nicht mehr um zuwendungsorientierte Medizin. Vielen
Dank, meine Damen und Herren Abgeordnete, vielen Dank, Frau Vorsitzende.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank, Herr Dr. Crusius. Also die mehrfach zitierte
Kritik hier an diesem kurzen Zeitablauf, den nehmen wir natürlich auf unsere Kappe,
das ist hier unseren Haushaltsberatungen geschuldet, weil wir den Haushalt auch als
Sicherheit für die kommunale Ebene in diesem Jahr halt verabschiedet haben wollen.
Nun können wir in die Fragerunde einsteigen. Einen Namen habe ich, den zweiten
auch schon. Ich möchte mit einer Frage beginnen, die mich besonders bewegt. Frau
Kappich hat das auch noch mal ausgeführt und auch die Dramatik, die da eigentlich
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/115 hinter steht, noch mal so angerissen und zwar: Die Veränderung unserer
Bevölkerungsstruktur
und
die
Veränderung
der
Patientenstruktur
in
den
Krankenhäusern – Stichwort Demenz. Zum einen haben Sie folgerichtig ausgeführt
dass das Ansprüche an die Ausstattung der Krankenhäuser in Zukunft verändern
wird. Zum anderen ist damit natürlich auch verbunden, dass das Personal – Ärzte
und das Pflegepersonal – ja auch weitergebildet werden müssen. Und deswegen
frage ich jetzt nicht Sie und auch keinen anderen, sondern mal die AOK, wie sie sich
diesen neuen Herausforderungen - die ja ziemlich schnell auf uns zustürmen, um
das mal so zusagen - wie Sie sich diesen Herausforderungen stellen, ob sich das in
den zukünftigen Ausbildungskonzepten wiederspiegelt.
Gudrun Kappich: Ja schönen Dank, auf die Frage gehe ich gerne ein. Ich würde
vorab gerne noch mal einen Punkt nennen, der, glaube ich, wichtig ist für das
Gesamtverständnis. Wenn ich von Konzentration von Leistungen rede, dann heißt
das nicht, dass ich von Schließung von Krankenhäusern spreche – das ganze
Gegenteil. Ich glaube, als das HGC-Gutachten kam, war ich eine der Ersten, die die
Pressemitteilung drin hatte, gesagt habe: Das kann es doch nicht sein. Wir brauchen
die Standorte. Nur, damit wir sie erhalten können, brauchen wir – und Herr Stobbe
macht es deutlich – strukturelle Veränderungen. Wenn ich ganz viele kleine
Fachabteilungen habe und ein sehr breites Spektrum, dann wird es schwierig sein
diese
Häuser
zu
erhalten.
Und
die
Zielsetzung
kann
auch
nicht
sein,
Sicherstellungszuschläge, die Herr Dr. Crusius ansprach. Das ist die letzte Lösung,
wenn ich strukturell optimiert habe und auch dann kann ich ein Krankenhaus, das ich
brauche, nicht wirtschaftlich erhalten, dann machen Sicherstellungszuschläge Sinn.
Aber erst dann. Jetzt möchte ich ganz konkret zu Ihrer Frage kommen, Frau
Vorsitzende. Die Gerontopsychiatrie, die Geriatrie, die besondere Betreuung von
Demenzpatienten, glaube ich, stellt den besonderen Anspruch, dass ich die
Versorgung vor Ort sicherstelle. Und deshalb - und da schließt sich der Kreis zu dem
was ich vorher gesagt habe - ist gerade der Erhalt dieser kleinen Standorte wichtig.
Nicht unbedingt in der heutigen Struktur, aber ich brauche sie als Anker der
Versorgung. Ich glaube, es wird auch nicht der Weg sein, dass man spezielle
Abteilungen in Größenordnungen für Demenzkranke einrichtet. Ich glaube, was wir
brauchen ist eine Kompetenz, mit Demenzerkrankten umzugehen in allen
Fachabteilungen der Krankenhäuser. Und wenn wir jetzt über die konzertierte Aktion
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/116 daher gehen und uns einzelne Versorgungsregionen anschauen, dann müssen wir
dabei auch die Frage stellen: Und wie richten wir die Versorgung einer Region gezielt
auf Demenzerkrankungen aus? Und da geht es nicht nur um die Kompetenz in den
Krankenhäusern, es geht auch um die Kompetenz bei den niedergelassenen Ärzten
und es geht auch um diese Kompetenz in der Familie, in dem sozialen Umfeld der
Beteiligten.
Vors. Martina Tegtmeier: Vielen Dank. Dr. Crusius.
Dr. Andreas Crusius: Wenn Sie gestatten – ein direktes Beispiel: Ich hatte vor zwei
Wochen aus einem Krankenhaus einen Patienten bei uns in der Universität. Wir
waren als Klinik für Innere Medizin nicht in der Lage diesen frühkindl… Der Patient litt
an einem frühkindlichen Hirnschaden, war völlig unstrukturiert, war nicht haltbar, lief
überall rum, machte alle Türen auf. Das hat mir die Hausärztin vorher, aus der Nähe
von Ribnitz, mitgeteilt, dann habe ich die Psychiatrie angerufen und habe den
Patienten über die Psychiatrie zu diesen Endoskopischen Maßnahmen – weil der ist
nicht zu bändigen, wenn ich das mal so sagen darf, was hart klingt. Aber vier
Wochen vorher Psychiatrie, weil die haben mehr Pflegepersonal. Ich müsste andere
Räumlichkeiten haben, die sicher sind, dass er nicht aus dem Fenster, oder wie auch
immer. Ich muss mehr Pflegepersonal haben, damit sich einer kümmert. Der Herr
Dr. Hunz aus dem Sozialministerium hat ja im vorherigen Jahr eine Tagung darüber
gemacht „wie gehen wir mit Behinderten um“, körperlich und geistig Behinderten.
Und das ist das Problem, ich brauche dort vielmehr Personal. Ich kann das natürlich
an kleinen Häusern auch etablieren. Aber ich brauche ein, zwei Zimmer wo ich mehr
Pflegepersonal habe, die sich dann rund um die Uhr dann um diesen Patienten
kümmern.
Das
ging
in
diesem
Fall,
weil
ich
die
Psychiatrie
der
Universitätsnervenklinik in Rostock mit eingebunden habe. Für zwei Untersuchungen
war der Patient drei Tage da. Wenn man ein Zimmer gehabt hätte, hätte man das an
einem Tag vielleicht machen können. Aber das ist das Problem und das ist bei
geistiger Behinderung noch viel schlimmer als bei körperlicher Behinderung. Weil Sie
können die ja nicht alle unter Drogen setzen, die Patienten, dass die völlig ruhig
gestellt sind. Das ist ja unmenschlich, das ist unärztlich. Und wir brauchen das nicht
nur in der Gerontopsychiatrie. Und deswegen haben wir im Geriatrie-Team der
Landeskrankenhausplanung und wir haben in der Ärztekammer ein Stufenprogramm
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/117 der Qualifizierung auch der Hausärzte und der Ärzte anderer Gebiete. Wir haben
also so einen ganz kleinen Geriater geschaffen, mit 60 Stunden, einen mit
120 Stunden und einen mit einer Zusatzbezeichnung, damit wenigstens basale
Kenntnisse – Wer vor 20 Jahren seine Weiterbildung gemacht hat, da war Geriatrie
kein Wort, die müssen wir alle da ran führen und deswegen haben wir so ein
gestuftes
Programm
geschaffen.
60
Stunden
Weiterbildung,
120
Stunden
Weiterbildung. Das macht unsere Fachkommission mit Herrn Chefarzt Drach hier aus
Schwerin und mit der Chefin aus dem Tessinum, was ja ein Bundesmodellprojekt
war, Frau Kloth. Die machen das zusammen und das erfreut sich großer Beliebtheit,
bedeutet aber, dass die Ärzte aus der Versorgung für diese 60 oder 120 Stunden
rausgehen. Das findet überwiegend am Wochenende statt. Aber das ist ein richtig
schwieriges Problem und das nimmt ja zu, weil auch diese Patienten viel älter
werden aufgrund der guten Medizin. Die sind früher viel eher gestorben und heute,
das ist wie die Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose, die sind früher mit
20 gestorben, die werden heute 50. Und insofern ändert sich das Spektrum
vollständig. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Ich danke Ihnen. Als nächstes habe ich Herrn Schubert.
(Abg. Bernd Schubert: Hier war noch eine Wortmeldung.)
Vors. Martina Tegtmeier: Ach so, Sie wollten auch noch antworten. Bitte sehr,
natürlich.
Jürgen Stobbe: Kein Problem. Nur drei Sätze noch dazu: Demenzerkrankung,
Palliativmedizin, Geriatrie sind die drei Schlüsselbegriffe, die wir in unseren
Krankenhäusern - auch auf dem kleinen Krankenhaus im Land - zum Schwerpunkt
der Zukunft machen müssen, alleine aus demografischen Gesichtspunkten. Wie Dr.
Crusius ausgeführt hat, diese Arbeit kostet massiv Geld, weil wir mehr Personal
brauchen, wir brauchen andere räumliche Bedingungen. Ich habe nebenher
Altenpflegeheime, in denen deutlich wird, dass die bisherigen Baumöglichkeiten nicht nur Frage eines Raumes, sondern die Frage der Bewegungsabläufe, die bei
Demenzkranken da sind - deutlich höhere Investitionen von uns verlangen, die bisher
nicht refinanzierbar sind. Und das Dritte ist: Mehr Personal – wenn ich es denn
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/118 kriegen würde – braucht auch eine adäquate Bezahlung. Und da komme ich mit
meinem kleinen Häuschen unmittelbar an einer Grenze zu Niedersachsen, Hamburg
und Schleswig-Holstein in eine Schere, die mir zunehmend mein Personal entzieht
aufgrund nichtgleicher Entlohnung zwischen Mecklenburg-Vorpommern und den
ehemaligen alten Bundesländern. Dieses Problem spitzt sich in unserer Situation
derart
zu,
dass
wir
keinerlei
Pflegevertretungen
mehr
für
kurzfristige,
Schwangerschaften oder Krankheitsausfälle generieren können. Die sind nicht mehr
am Markt. Und dann noch Menschen in die Ausbildung zu schicken, die - völlig
richtig von Herrn Dr. Crusius so gesagt - dem eigentlichen Arbeitsprozess in dem
Augenblick der Ausbildung entzogen sind, verlangt von den Wenigen, die da sind,
eine nochmalige zusätzliche Anstrengung, was das Personal bei uns schlicht nicht
mehr leisten kann. Wir kommen in eine Spirale in diesem Augenblick, die uns
aufgrund
fehlender
Finanzmittel
in
der
Personalfinanzierung
und
der
Umstrukturierung der Baumaßnahmen nicht zur Verfügung stehen.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay, Danke. Herr Schubert jetzt.
Abg. Bernd Schubert: Ja, vielen Dank, Frau Vorsitzende, vielen Dank den Experten.
Ich habe zwei Fragen an Frau Dr. Möhr und zwar: In Ihrem Fragenkatalog und den
Antworten, gerade unter Frage 17, da habe ich noch mal ein bisschen
Aufklärungsbedarf. Ich zitiere mal daraus: „Bei der Investitionsfinanzierung ist eine
ausgewogenen Berücksichtigung aller Krankenhausträger wichtig. Diese kann jedoch
nur umgesetzt werden, wenn auch im Rahmen der Krankenhausplanung eine
ausgewogene Trägervielfalt durch die Krankenhausplaner sichergestellt wird. In
Mecklenburg-Vorpommern ist das mit Anteilen privater Träger von stellenweise über
75 % nicht der Fall.“ Meinen Sie damit, wir haben zu viele Krankenhäuser privatisiert
oder was sollte da zum Ausdruck kommen? Eine zweite Sache, da geht es noch mal
um die Modellregion Vorpommern-Greifswald und dass diese Region eigentlich
glücklich sein kann, dass sie die Uni-Medizin hat und dass man da einen Aufsichtsrat
hat, wo der Staatssekretär die Belange der Uni-Medizin vertritt. Ich stelle die Frage
und die stellen auch die Bürger vor Ort: Wie kann es passieren, wenn in der
Regionalkonferenz von einer Schließung der Geriatrie in Anklam nicht berichtet
worden ist? Dann fragt man sich: Was soll so eine Modellregion, wenn man dann
vollendete Tatsachen schafft? Und insofern frage ich mich, ob man diese
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/119 Modellregion richtig gewählt hat. Ich weiß, wenn ich mir den Raum Rostock angucke,
da gibt es eine gute Zusammenarbeit oder auch hier in Parchim-Schwerin. Aber
gerade wenn Sie das ansprechen, hier „Modellregion Vorpommern-Greifswald“
glaube ich, ist das ein unrühmliches Beispiel. Können Sie das so bestätigen?
Vors. Martina Tegtmeier: Frau Dr. Möhr.
Dr. Anke-Britt Möhr: Ja, schönen Dank. Die Anfragen beantworte ich gern. Also
Tatsache ist, dass Mecklenburg-Vorpommern das Land mit dem größten Anteil an
privaten Kliniken ist. Und wenn Sie sich das mal anschauen, dann haben wir die
Betten in Privatkliniken vor allem im Osten und im Westen und in der Mitte haben Sie
so ein Stückchen mehr kommunalen Bereich. Was wir mit diesen Anmerkungen vor
allem deutlich machen wollten: Wir haben hier eine besondere Verteilung der Träger
und das Gesetz fordert eine Trägervielfalt. Aber egal wie die Häuser jetzt aufgestellt
sind, an der Versorgung sind sie alle beteiligt und folglich muss ich für alle Häuser
die Investitionsfinanzierung sicherstellen. Und deshalb tue ich mich immer schwer mit
Fragen: Erhalten private Träger zu viel Investitionsmittel? So kann man die Frage
einfach nicht stellen. Wir haben hier eine besondere Situation. Aber Botschaft sollte
sein: Alle sind sie zu berücksichtigen. Beantwortet das die Frage? Ja, okay. Die
nächste Frage – Modellregion Vorpommern-Greifswald – damit laufen Sie bei mir
total offene Türen ein. Mein persönlicher Wunsch war eine andere Region, aber ich
war nicht der Entscheider. Nichtsdestotrotz, auch hier gilt: Wir müssen uns um alle
Regionen kümmern und wir müssen irgendwo anfangen. Also, insofern gibt es nicht
unbedingt ein „Richtig“ oder „Falsch“. Wir haben eine Regionalkonferenz und
hinterher ereilt uns die Schließung in Anklam. Die Krankenhausplanungsbeteiligten
sind in Mecklenburg-Vorpommern in der Diskussion, wie man die pädiatrische
Versorgung in dieser Region sicherstellen kann. Dazu gibt es am 20. Oktober auch
einen Termin mit den Planungsbeteiligten und den Krankenhäusern Greifswald,
Wolgast und Anklam. Völlig losgelöst von diesem Vorgehen. Da soll also ein
Workshop, eine Abstimmung stattfinden „Wie wollen wir das Problem der Versorgung
an dieser Stelle alle gemeinsam lösen?“ und da schlägt uns natürlich der Rückzug
von Greifswald rein. Ich glaube, man kann es hier nicht ausdiskutieren, aber ich bin
nach wie vor zutiefst davon überzeugt und rechtlich ist es untersetzt: Ich kann nicht
als Krankenhaus daher gehen und einfach einen Versorgungsauftrag zurückgeben.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/120 Und ich glaube, das ist eine Frage die wir noch weiter diskutieren müssen. Und am
20.10. werden wir uns aber dieser Frage zuwenden und es liegen verschiedene
Konzepte auf dem Tisch, die ergebnisoffen diskutiert werden sollen.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, vielen Dank. Zumindest zum ersten Punkt wollte Herr
Gagzow auch noch was sagen, bitte. Immer der Reihe nach.
Wolfgang Gagzow: Ich hätte gerne, wenn ich darf, zu beiden Punkten etwas gesagt.
Also, es ist auffällig, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern überdurchschnittlich viele
private Krankenhausträger haben. Bundesweit haben wir, glaube ich, die Spitze inne
und wenn man die wirtschaftliche Kraft dahinter noch mal ansieht, stellt man fest,
dass es bei uns nicht die kleinen Krankenhäuser sind, die privatisiert sind - wie in
vielen anderen Ländern -, sondern ausgerechnet sehr viele Große. Aber ich habe
nicht den Eindruck, dass das hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung auffällig
ist. Die Krankenhausgesellschaft ist Repräsentant aller Krankenhäuser. Und wir sind
so gestrickt, seit 25 Jahren, seit wir gegründet wurden, dass alle Trägerstrukturen
adäquat vertreten sind in allen Gremien bei uns und man stellt bei uns in
Vorstandsberatungen nicht fest anhand der jeweils redenden Person, zu welchem
Trägerkreis er gehört. Das muss ich so sagen. Das ist wirklich eine Arbeitsweise in
Mecklenburg-Vorpommern der Abstimmung untereinander und des Arbeitens
untereinander, die von der Eignung der Persönlichkeiten geprägt ist und nicht von
seiner Trägerzugehörigkeit. So dass, wenn man sagen will „der ist mehr oder
weniger geeignet“, man dass nicht am Träger festmachen kann, überhaupt nicht.
Dass man vielleicht sagen kann, ob der eine oder andere Landrat oder
Oberbürgermeister nicht sein Krankenhaus hätte behalten sollen, ist eine andere
Geschichte. Aber die ist entschieden und gut so. Und vor wenigen Tagen erst hatte
ich die Gelegenheit, in diesem Hause vor der Landespressekonferenz gemeinsam
mit dem Verdi.-Chef Herrn Küchler aufzutreten und er sagte dort in die Kamera: „Und
Helios zahlt am meisten.“ Also, vollen, normalen öffentlichen Tarif. Ich würde eine
Diskriminierung der privaten Träger als die, die profitorientiert arbeiten, vordergründig
gesehen, ablehnen wollen, sehe ich so nicht. Zum zweiten Punkt: Ich glaube, dass
wir die vorpommersche Region gut gewählt haben, als Lupenregion zum Betrachten.
Denn ich gehe davon aus, dass die Entwicklung die wir dort erleben, mit der Auswahl
dieser Region nichts zu tun hat. Die wäre eh passiert und dann ist es ganz gut, wenn
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/121 man schon mal sich darauf fokussiert hat. Das ist eine Region, die hinsichtlich der
Migration der Bevölkerung einer besonderen Belastung ausgesetzt ist, Zuzug der
jungen Generation, in besonderer Weise, sodass dort manche Leistungsbereiche
schlicht infrage gestellt werden, weil niemand da ist, der sie in Anspruch nimmt und
auch niemand da ist, der sie dann betreiben will und/oder kann. Das ist einfach so
und insofern sind wir gut beraten, wenn wir darauf achten, das nicht sich selbst zu
überlassen, sondern es begleiten. Dass nicht in jeder Runde alles immer gesagt
werden kann und soll, das ist, glaube ich, auch etwas was man hinnehmen muss.
Viele von Ihnen wissen, dass ich selbst 10 Jahre lang ein Krankenhaus geleitet habe
und als man öffentlich darüber sprach, dass es wohl nicht mehr lange bleiben würde,
dann verließen die Ratten verlassen das sinkende Schiff, wie man so schön salopp
sagt, und insofern ist mit der Informationspolitik fair, ehrlich aber auch vorsichtig
umzugehen. Das halte ich auch an der Stelle für beachtlich und für notwendig. Und
wir haben das Thema auch schon mehrfach angesprochen. Auch in der EnqueteKommission ist es thematisiert worden durch ein Gutachten, dem ich nicht so sehr
nachhänge,
aber
an
einer
Stelle
schon:
Wir
brauchen
regionale
Versorgungsstrukturen. Und das sage ich ganz konkret dazu: mit dem akut
stationären Krankenhaus als unverzichtbaren Kern. Und da lassen Sie uns alle
Möglichkeiten suchen, wie wir diesen Kern am Leben erhalten, wie wir ihn aufwerten.
Wir brauchen ihn, und er muss funktional bleiben. Ich kann nicht beliebig sagen: Das
und das schneide ich alles weg, weil das kann ja konzentriert werden. Wenn ich
sehe, dass der Rest dann nicht mehr haltbar ist, da haben wir uns auch keinen guten
Dienst erwiesen. Danke.
Vors. Martina Tegtmeier: Herr Dr. Crusius.
Dr. Andreas Crusius: Ich kann anschließen an den letzten Satz von Herrn Gagzow:
Dazu ist es dann aber auch notwendig, mit den Strukturen aus dem ambulanten
Bereich eine Ermächtigung der noch vorhandenen Krankenhausärzte zu erwirken,
damit diese dann auch ambulant arbeiten dürfen und keine Closed Shop-Politik
gemacht wird. Ich wollte zu Anklam noch einen Satz sagen: Wir sind auch
überrascht, wir haben es aus der Zeitung erfahren. Ich habe dann in Anklam
angerufen und habe gefragt: „Wie wollen Sie jetzt Ihre Geburten weiter machen?“
Also da war dann jemand, der mich gerade so verstehen konnte, der sagte: „Ich nicht
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/122 wissen, Chef nicht da.“ Weil wir haben ja in Mecklenburg-Vorpommern hohe
Qualitätsansprüche, dass wir gesagt haben: Wir machen Geburtshilfe nur noch da
wo eine Pädiatrie ist. Wir haben noch zwei Altausnahmen, zwei Altschulden
sozusagen: Neustrelitz, wo aber Kinderärzte vorhanden sind. Wir hatten das in
Ribnitz auch, in Ribnitz sind die Niedergelassenen gezwungen worden am KV-Dienst
teilzunehmen. Dann haben die gesagt: Wenn wir noch 4 KV-Dienste machen
müssen, machen wir keine 15 Pädiatrie-Dienste im Krankenhaus. Dann war Ribnitz
tot, die Geburtshilfe und die Pädiatrie, und wir haben noch Crivitz als Altlast, wenn
ich das mal so sagen darf. Aber wir wollen keine neuen Altlasten schaffen und
deswegen werden wir sehen, was da passiert. Ich meine, Greifswald hat sich ja den
Sicherstellungsauftrag für Anklam selbst geholt für die Pädiatrie, genau nur für die
Pädiatrie. Und den kann ich nicht einfach zurückgeben und kann dann sagen: Ach
wir machen das mal, vielleicht machen wir es in Wolgast zu oder wie auch immer.
Wir sind auch Urlaubsland Nummer Eins und das muss man an der Stelle auch
berücksichtigen. Man kann nicht entweder/oder. Das geht, glaube ich, in der Fläche
nicht, zumal die Verkehrswege um Anklam herum etwas kompliziert sind durch die
Flüsse, die man mit Brücken überwinden muss. Herr Schubert kennt die Region inund auswendig, da brauche ich nichts zu sagen. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Dann Frau Kappich dazu.
Gudrun Kappich: Also ich halte mich aus Greifswald gerade raus und aus Anklam.
Aber zur Privatisierung darf ich vielleicht anders als die Krankenhausgesellschaft
sagen: Nein, ich finde es auch skandalös, dass es Krankenhäuser gibt, die einen
Gewinn erwirtschaften und das Aktionären in die Tasche stecken. Mit welchem Geld
auch immer irgendwas gekauft wurde, das entzieht sich manchmal unserer Kenntnis,
manchmal wissen wir, dass es 1 € war. Aber ich sage mal so, das will ich einfach mal
für die Gemeinnützigen sagen: Also, bei uns würde kein einziger € an die Kirche
gehen oder an die Diakonie, sondern es bleibt im Haus. Und deshalb können wir uns
die Personalbesetzung die wir haben auch leisten, weil wir eben keine Rendite
abgeben. Und ich halte auch mal dagegen, gut, jetzt kann ich wirklich nur für mein
Krankenhaus sprechen: Wir haben seit Jahren eine stabile Fallzahlentwicklung, wir
haben diesen Run auf die großen Fallzahlentwicklungen nicht mit gemacht. Unsere
Ärzte haben keinen Zettel in der Kitteltasche – manche fragen mal danach und
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/123 sagen: „Was lohnt sich eigentlich, Frau Kappich, was sollen wir denn ein bisschen
mehr machen?“ Das halte ich für einfach verfehlt. Und darauf, glaube ich, sollten wir
uns wieder besinnen, dass wir Investitionen dort fördern, wo dieser Anspruch auch
noch da ist. Und wie gesagt: Verschonen Sie uns und bringen Sie uns nicht noch ein
Bürokratiegesetz. Es ist uns versprochen worden, dieses Krankenhausstrukturgesetz
sollte eigentlich Entbürokratisierung bringen. Ich sehe da nichts drin, was dazu
geführt hätte. Also wie gesagt, das ist so eine Klage, die Sie vielleicht auch als
Politiker mitnehmen sollten und sagen sollten: „Ja, jetzt ist sie da, private
Krankenhäuser werden wirklich nur, wenn es gar nicht mehr geht, ihr Krankenhaus
zurückgeben. Aber dann fällt es auch an uns zurück, an den Staat, dann sind wir
auch dafür zuständig, die Kommune ist dafür zuständig.“ Das sollte man einfach
auch so berücksichtigen. Ansonsten schließe ich mich da der Meinung von Frau
Möhr an, habe ich auch gesagt: Das ist ein bisschen investigativ, wenn sie fragen:
„Sollen die einen mehr kriegen als die anderen?“ Wer einen Versorgungsauftrag hat,
hat Anspruch auf Fördermittel. Das ist gesetzlich geregelt und das sollten wir auch
nicht kippen.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, Danke. Die nächsten Fragen kommen jetzt von Herrn
Koplin.
Abg. Torsten Koplin: Danke schön, Frau Vorsitzende und ich schließe mich gerne
dem Dank an unsere Expertinnen und Experten an. Zunächst einmal drei Fragen
bzw. Fragekomplexe. Die erste Frage an Frau Dr. Möhr bzw. alle die sich dazu
berufen fühlen. Wir haben ja Bezug genommen auf das Versorgungsstrukturgesetz
und haben gesagt, Mittel daraus können wir im Land in Anspruch nehmen, wenn wir
selber den Nachweis erbringen, dass wir mit Blick auf die letzten 3 Jahre unsere
Förderung nicht absenken. Nun habe ich schnell mal rumgerechnet. Wir müssten,
weil wir ja unsere Pauschalförderung verstetigt haben, die Einzelförderung
tendenziell sinkt, müssten wir mit Blick auf eben diese 3 Jahre etwa 3,7, knapp
4 Millionen € zusätzlich aufbringen, um an diese Mittel heran zu kommen. Und nun
ist meine Frage die: Wie gehen andere Länder damit um, können Sie etwas dazu
sagen? Ich habe aus Ihren Ausführungen und diesem Konstrukt entnommen, dass
wir unter Umständen so einen Versorgungsstrukturfond auflegen müssten temporär.
Also, machen das andere Länder? Wenn ja, gibt es da so einen Zeithorizont, wie die
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/124 damit umgehen, damit uns nicht Geld durch die Lappen geht? Weil allen
Stellungnahmen, die wir bekommen haben, auch derjenigen die heute nicht hier sein
können, haben deutlich gemacht: Die Mittel reichen nicht. Nun wissen wir auch um
unsere Leistungsfähigkeit und unsere Möglichkeiten und müssen schauen, wie
kriegen wir das so zusammenkonstruiert, dass wir nachhaltig die Strukturen sichern
und sie uns nicht kaputt gehen. Auch unter dem Aspekt, das wäre der nächste Punkt,
dass wir jetzt überlegen müssen, wie wir mit den sich hier vollziehenden
Veränderungen umgehen. Die will ich jetzt nicht noch mal referieren. Ich nehme mal
den Ausgangspunkt in der AOK-Stellungnahme, die ist ja mit tollen Schlagworten
formuliert worden: „Krankenhausstandorte erhalten, Leistungen konzentrieren.“ Und
jetzt hat Herr Kollege Schubert ja mal ein Beispiel genannt und ich habe die
Vermutung, dass dieses Beispiel ein Pilotbeispiel dafür sein wird, das wird uns jetzt
ganz oft passieren, dass einzelne Abteilungen, einzelne Leistungen in den Regionen
wegzubrechen drohen oder wegbrechen und dann geht das Geschreie los,
verständlicherweise. Und nun gibt es hier mehrfach formuliert, sowohl schriftlich als
auch vorgetragen, die Überlegung: Wir erhalten die Standorte, konzentrieren die
Leistungen, heißt unter Umständen bauen Leistungen ab. Herr Crusius sagte vorhin:
„Die Akteure, die Krankenhäuser müssen miteinander reden.“ Aber mit Reden alleine
ist es ja nicht getan. Also wenn ich mir jetzt vorstelle, ich hätte da Verantwortung als
Geschäftsführer
und
Leistungsspektrum,
stehe
und
vor
gehe
der
in
Frage,
einem
gehe
ich
runter
Aushandlungsprozess
mit
dem
in
einer
Versorgungsregion auch davon ab und sage: „Wegen meiner, kann Frau Kappich
besser machen, das geben wir ab. Aber dann leidet ja unsere Wirtschaftlichkeit
drunter.“ Gibt es Vorstellungen – das ist jetzt die Frage, habe ich alles hergeleitet Gibt es Vorstellungen darüber, wie man im Falle von Leistungskonzentration und
Leistungsverlagerung Kompensationen zahlt, damit man die Standorte erhält, auch
wenn die Leistungen dann nicht mehr erbracht werden, die Wirtschaftlichkeit nicht
mehr dargestellt werden kann? Und die dritte Frage, die ich habe, da hat mich der
Vortrag von Frau Kappich, bzw. das wäre, was sie hier vorgelegt haben, auch drauf
gebracht: Sie haben ja beschrieben, Frau Kappich, wie Sie in Neubrandenburg
umgegangen sind mit den geriatrischen Stationen, Tageskliniken, was Sie alles
gemacht haben. Das hat ja letztendlich auch Euro und Cent gekostet. Können Sie
etwas über die Dimension sagen? Weil zu den Einzelfördermitteln haben wir in
unseren Unterlagen gefunden, wie hoch der Gesamtbedarf im Land abschätzbarer
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/125 Weise ist. Da hat Herr Gagzow uns was zu aufgeschrieben, zur Pauschalförderung
nicht. Wenn Herr Stobbe vorhin sagte: Wir haben wirklich im hohen Maße
Umstrukturierungsbedarfe und auch bauliche Maßnahmen vor der Brust. Dann
müssen wir ja darüber reden. Über welche Dimensionen reden wir dann da
eigentlich, damit wir mal abschätzen können, was ist da erforderlich? Ja, das war
jetzt lange hergeleitet, aber drei Komplexe, vielleicht kann etwas dazu gesagt
werden.
Vors. Martina Tegtmeier: Genau, dann fangen wir mit Frau Dr. Möhr an mit den
ersten Fragen, bitte sehr.
Dr. Anke-Britt Möhr: Ja, ich fange mal an mit Ihrer Frage zu den Investitionen.
Tatsache ist, ich muss den Durchschnitt – wie ich vorhin sagte – 2012/ 2013/ 2014
nehmen und den muss ich erst einmal als Land finanzieren. Sie sagten ein Delta von
3 bis 4 Millionen, ich war auf ein bisschen mehr gekommen. Auf jeden Fall, wir haben
dort ein größeres Delta. Wie gehen andere Länder damit um? Besonders betroffen,
also, die Länder stehen vor vergleichbaren Situationen. Die Diskussionen laufen im
Moment. Im besonderen Maße betroffen von dieser Situation sind die Ostländer, aus
dem einfachen Grunde, weil bis Ende 2014 im Osten noch nach dem
Gesundheitsstrukturgesetz die Artikel 14-Gelder finanziert werden. Wenn ich die Zahl
jetzt richtig im Kopf habe, macht das in Mecklenburg-Vorpommern 17 Millionen aus,
die es ab 01.01.2015 nicht mehr gibt. Das heißt, die Ostländer und ein halbes Berlin
– sage ich immer dazu – müssen also dieses Delta erst einmal schließen. Und dann
gab es eine Initiative aus Brandenburg, also, wir sind natürlich auf die Länder, die wir
als AOK-Nordost haben, zugegangen. Da gab es eine Initiative aus Brandenburg, die
gesagt hat: Mensch, müssen wir hier nicht eine besondere Regelung für die
Ostländer finden? Die wurde aber von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe nicht
aufgegriffen und es sieht im Moment auch nicht so aus, als würde das noch
aufgegriffen werden. Noch mal, ich gehe jetzt noch mal ganz kurz auf Ihre dritte
Frage ein, weil die dazu passt: Über welche Dimensionen reden wir eigentlich? Ich
glaube, wir müssen uns eines noch mal bewusst machen, eine Investitionsquote –
Herr Gagzow war vorhin bei 8 %, bei 125 Millionen, 10 % sind 155 Millionen – die wir
in Mecklenburg-Vorpommern für die Reinvestitionen bräuchten. De facto werden
52 Millionen zur Verfügung stehen. Wir haben also eine Lücke von Pi mal Daumen
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/126 100 Millionen. Wenn ich die Zahl von Herrn Gagzow nehme etwas niedriger. Aber die
haben wir nicht nur einmal, die haben wir jedes Jahr. So und deshalb spreche ich
auch immer wieder und damit komme ich zu unserem nächsten Punkt: Wie kriegen
wir das jetzt hin? Tatsache ist, ich glaube nicht, dass die Krankenhäuser nur das
investieren, was sie vom Land kriegen. Die sind zwangsläufig gezwungen – und wir
haben vorhin beide mal als Beispiel die PCI, die Herzkatheter genannt – die Häuser
erbringen hochwertige Leistungen, um das Geld rein zu kriegen. Sie gehen in die
Menge und damit haben sie auch Geld, um die Investitionen quer zu finanzieren. Das
ist kein guter Weg, aber in diesem Punkt kann ich das Agieren der Krankenhäuser
sogar noch nachvollziehen, obwohl es natürlich aus Patientensicht eine Katastrophe
ist. So, jetzt stellten Sie die Frage: Wie kann denn das gehen? Einerseits wollen Sie
die Standorte behalten, aber Sie wollen auch konzentrieren? Wir hatten, glaube ich,
in unseren Unterlagen verschiedene Modelle reingenommen. Ich mache mal ein
ganz simples Beispiel: Sie haben zwei kleinere Häuser, die haben vielleicht eine
Innere, die haben eine Chirurgie, haben beide eine Pädiatrie und eine geriatrische
Versorgung. So. Jetzt muss man einfach darüber nachdenken, was – oder sagen wir
mal
kardiologische
Versorgung,
da
wird
es
vielleicht
noch
ein
bisschen
nachvollziehbarer – Jetzt muss man überlegen, welches Leistungsspektrum kann
man rauslösen und wie verteilen? Und Tatsache ist: Die Wege für den Patienten
werden nicht – für hochspezialisierte Leistungen schon, aber ich sage mal, für die
normalen Leistungen, die werden nicht kürzer werden. Wir werden zum Teil auch
längere Wege haben. Aber wir müssen uns überlegen, wo wir welche Leistungen
konzentrieren und dann müssen wir immer den Fokus auf die Infrastruktur haben,
denn der Patient muss die Häuser auch erreichen können. Und wenn das nicht mehr
funktioniert, kann es nicht sein, dass der Arzt zum Patienten fährt - nämlich
Fachkräftemangel, werden wir gar nicht hinkriegen – sondern dann brauchen wir
meinetwegen Patientenshuttle und und und. Und darüber müssen wir uns Gedanken
machen. Und deshalb wird der einzelne Geschäftsführer, der solche Entscheidungen
treffen muss, der kommt in ein verdammtes Dilemma. Denn wenn er sein Haus
ordnen will, dann muss er immer umliegende Häuser mit in den Fokus nehmen. Und
deshalb sage ich: Und hier darf sich das Land aus seiner Verantwortung nicht
zurückziehen. Und wenn ich an dieses HGC-Gutachten denke, das Land kriegt das
schon nicht in den Griff und jetzt delegiere ich das mal schnell an die Kommunen, die
auch keine Fachkräfte für solche Aufgaben haben, die auch kein Geld haben und die
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/127 sollen es denn mal richten. Das wird nicht funktionieren. Es ist eine Aufgabe des
Landes zusammen mit den Planungsbeteiligten. Vielleicht, was noch wichtig ist:
Wenn man sich den Krankenhaus-Rating-Report anguckt und sich mal die
Wirtschaftlichkeit kleiner Häuser betrachtet, dann kommt immer wieder die Botschaft:
Leute, Häuser, konzentriert euch auf zwei, maximal drei Fachabteilungen. Das sind
die kleinen Häuser, denen es finanziell deutlich besser geht, als kleinen Häusern mit
fünf, sechs, sieben Fachabteilungen.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, vielen Dank. Frau Kappich, Sie waren auch direkt
angesprochen.
Gudrun Kappich: Ich kann jetzt keine Aussage machen, was wir für Geriatrie und
diese Dinge genau investiert haben. Wir haben keine Fördermittel gekriegt, das sind
keine Maßnahmen gewesen. Ich kann nur so viel sagen, dass wir um unsere
geriatrische Tagesklinik ziemlich gekämpft haben mit den Kassen, die diesen Bedarf
null gesehen haben. In zwei Budget-Verhandlungen bin ich zu keinem Ergebnis
gekommen, jedenfalls zu keinem, mit dem man Patienten behandeln kann. Ich hätte
es schon machen dürfen, wenn ich Geld mitbringen wollte, um das dann auch zu tun.
Letztlich haben wir uns dann geeinigt. Und ich glaube es ist einfach ein gutes
Angebot, dass das Stationäre auch ergänzt. Wir machen jedenfalls gute Erfahrungen
damit. Ich denke, in Schwerin wird die jetzt relativ problemlos dann auch gemacht.
Ich sage mal so: Die erste Palliativstation des Landes war 1993 bei uns, ich darf für
uns sagen, sogar im Osten Deutschlands. Weil wir wirklich bei uns, unserem
ärztlichen Direktor, dem war das einfach ein Herzensanliegen. Wir sind da sofort
eingestiegen und haben es auch zu einer Zeit gemacht, als es nicht bezahlt wurde,
es wurde wirklich nicht bezahlt. Es war eine normale Krankenhausleistung wie alles
andere und wir haben uns eine Station geleistet mit zehn Betten, wo wir gesagt
haben: Es ist unwürdig, Patienten in einem Dreibettzimmer ihren letzten Weg gehen
zu lassen. Ich glaube, das machen wir auch wirklich gut. In der ambulanten
Palliativmedizin sind wir genauso gut aufgestellt. Inzwischen ist es schick und alle
haben eine Palliativabteilung, sage ich mal so. Inzwischen wird es auch bezahlt,
anerkannt. Aber wenn wir noch mal so darauf zurückkommen: Der demente Patient,
der eine Blinddarmoperation hat, kriegt sie genauso bezahlt wie der, der keine
Demenz hat. Und der Aufwand ist ungleich höher. Wir müssen für diese Patienten
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/128 entweder den Angehörigen mit aufnehmen. Dann wird ein Zimmer blockiert von ihm
und seinem Angehörigen. Unsere Zimmer sind gefördert worden für die Betten, die
wir haben und nicht für Begleitpersonen. Dann funktioniert das ganz gut, wenn sie
eine vertraute Person mitnehmen können. Wenn sie die nicht mitnehmen können,
dann müssen wir eine Schwester abstellen, die nachts dableibt und aufpasst. Ich
habe das vorhin gerade – Herr Koplin kommt ja aus Neubrandenburg – weil ich
gesagt habe, wir haben gerade jemanden auf Station gehabt in einer Abteilung, der
hat sich in jedes Bett gelegt, was frei war, einfach reingelegt. Und dann haben sie
dem einen Vogel an die Tür gemacht und haben gesagt: „Da wo der Vogel dran
hängt, da müssen Sie reingehen.“ Und dann hat er einen klaren Moment und sagt:
„Wieso sagt Ihr jetzt, dass ich einen Vogel habe oder was wollt Ihr mir jetzt sagen?“
Ich meine ja nur so: Darauf muss man auch eingerichtet sein. Und ich halte es für
falsch, wenn wir denken: Die passen doch gut bei 30 Patienten noch gut mit auf den
Flur, den packen wir mal in ein Bett. Den beiden Mitpatienten erklären Sie mal die
Situation mal: Der fängt nachts an zu laufen, dann geht der auf den Flur. Und wir
brauchten wirklich auch baulich die Strukturen, die wir gar nicht haben. Einen
breiteren Flur, wo die einfach bei Licht da ein bisschen hin und her laufen können,
ohne dass sie weg können. Aber wir können sie auch nicht einsperren, das sind ja
Persönlichkeiten. Mir ist auch ganz wichtig, ich habe gerade mit jemanden
gesprochen, der dann auch gesagt hat: „Naja, die werden wieder zu Kindern.“ Nein,
sie werden nicht zu Kindern. Demente Patienten haben keine Aussicht, dass
irgendwas noch mal gut wird. Bei Kindern wissen wir, wenn wir die auf den Weg
bringen: Das wird gut. Das ist eine ganz andere Ausgangslage. Und ich finde, wir
sollten immer berücksichtigen, dass diesen Patienten, die dieses Schicksal haben,
dass ihnen das auch bewusst wird zwischendurch, dass sie das wissen. Wenn wir
mit ihnen umgehen und eine Frau einfach mal Omi nennen, die wir gar nicht kennen
– das gehört sich nicht. Und da muss man wirklich gut dran bleiben beim Personal
und sagen: Mit Zuwendung und so, wie du selbst behandelt werden willst, so musst
du das jetzt auch machen. So wie du willst dass deine Mutter - ich sage immer
unseren Mitarbeitern: Der liebste Mensch der Ihnen einfällt, so müssen Sie das
machen. Auch wenn es schwer fällt und der ein bisschen renitent ist, der kann ja
auch gar nichts dafür. Das muss man auch einfach berücksichtigen. Und ich glaube,
dafür fehlt einem manchmal schon auch die Kraft und die Überzeugung, dass jedem
auch näher zu bringen, dass er dann verstehen muss, dass das und das eben alles
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/129 gar nicht geht. Das ist schwierig. Also wie gesagt, ich weiß, dass wir da den Spagat
machen. Ich versuche, die Mittel, die wir aus dem Eigenen nehmen, schon irgendwie
auch zum Jahresende mit der Buchhaltung gemeinsam mal darzustellen und zu
sagen: Haben wir jetzt Mittel aus dem Krankenhausbereich genommen? Weil das
immer einfach mal so lax hingesagt wird, dass das so ist. Nein, wir haben auch
Einnahmen, wenn wir Privatpatienten haben. Es ist ein Witz, es ist 1 % unseres
Umsatzes. Das ist in jedem Westkrankenhaus ganz anders. Da gibt es andere
Strukturen. Ich möchte Herrn Kohl nicht, ja ich habe 10 % reingeschrieben in meine
Stellungnahme, weil ich einfach nicht so hoch stapeln wollte. Aber ich habe schon
gesagt, Professor Ernst war in Frankfurt, kam wieder und hat gesagt: „20 %
Privatpatienten. Da kaufen die sich ein MRT und fragen euch gar nicht.“ Das können
die sich einfach leisten dann. Aber das ist einfach nicht so da. Wir werden viel
kritisiert, dass die Parkplätze bei uns in Neubrandenburg was kosten. Ich stecke
dieses Geld wirklich auch aus Überzeugung, dass wir – Das, was wir einnehmen,
steck ich in die Instandhaltung dieser Parkplätze und in die Schaffung vernünftiger
befestigter Struktur. Damit man eben nicht irgendwie in welche Schweinekuhlen
fahren muss und sich da die Autos kaputt fährt. Aber ich nehme das dafür. Aber ich
finde es ist schwer, Ärzten zu erklären, „Ich kaufe Euch kein Ultraschallgerät, weil wir
noch 10 Parkplätze brauchen. Weil alle hier auf dem Gelände unbedingt am besten
noch vor der Haustür parken wollen.“ Die Idee ist ja das Drive-In-Krankenhaus, die
ich habe, dass man am besten zulässt, dass die Autos bis auf die Station fahren und
mal eben am Fenster was abgeben. Das kann man natürlich nicht erfüllen, aber Sie
müssen einfach- Ich finde, wir sind schon kreativ in der Überlegung „was kann man
wie machen und wie geht das“. Aber ich sage mal, Fördermittel für den Bau von
Parkplätzen, das glauben Sie doch wohl nicht im Ernst. Die hat kein Haus mehr in
diesem Land. Egal, ob privat oder nicht privat. Das denke ich, ist schon schwierig.
Aber ich lege schon Wert darauf, dass wir das Geld auch wieder in unser
Krankenhaus reinstecken. Und deshalb finde ich den Vorschlag gut. Ob er zündet?
Das würde ich uns wünschen, dass man das Geld, das man verdient, auch wieder im
Haus lassen muss.
Vors. Martina Tegtmeier: Danke, fühlt sich für diese Fragen jetzt noch jemand - Herr
Dr. Crusius.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/130 Dr. Andreas Crusius: Sie hatten um Beispiele gebeten, wie man das strukturieren
kann. Ich nenne Ihnen hier mal das Beispiel des Krankenhauses Teterow. Der
Geschäftsführer hat mich neulich angesprochen und gefragt: „Crusius, wann lassen
Sie endlich Ihre Qualitätsrichtlinie Herzkatheter fallen?“ Ich sage: „Wieso soll ich die
fallen lassen? Die haben wir ja gemeinsam mit allen Kardiologen in der
Krankenhausplanung gemacht.“ „Ja, ich will in Teterow auch einen Herzkatheter
aufmachen.“ Ich sage: „Vier Kardiologen“ - 5, die alle Herzkatheter machen können –
„dann können Sie einen aufmachen.“ Die Qualitätsrichtlinie wird never, never fallen.
Nur über die Qualität können wir es kriegen, dass man sich zusammentut. Denn wir
haben 19 km entfernt von Teterow zwei Herzkatheter-Arbeitsplätze in Güstrow und
wir haben in Rostock mittlerweile, glaube ich, fünf oder sechs. Also das reicht. Und
das ist ja das, ich spreche jetzt mal die Region an, die hier mit am Tisch sitzt. Wenn
die Mannschaft aus Ludwigslust nicht nach Parchim gegangen wäre, hätten wir eine
Struktur weniger. Wir haben jetzt in Ludwigslust und 20 km daneben in Parchim auch
noch einen Herzkatheter. Die Mannschaft ist ja komplett da übergesiedelt und jetzt
haben wir an zwei Standorten- Jetzt macht HELIOS nicht nur in Schwerin die hohen
Zahlen, sondern wir haben ja vorhin die Zahlen gesehen aus dem Report und auch
den Qualitätsausgang und deswegen muss man die Indikation überprüfen. Das ist
meine feste Überzeugung. Aber ich will Ihnen auch noch ein Negativbeispiel sagen.
Diese Mindestmengen. Zu mir kam das Krankenhaus Bergen. „Herr Crusius, wir
haben nur 45 Hüften, nee, Knie. Knieoperationen. 50 brauchen Sie nach
Mindestmenge.“ Sie kriegt die 50 nicht. Weil die Niedergelassenen, die in Bergen am
Krankenhaus sitzen, zufällig verheiratet sind mit den drei Ärzten, die in Stralsund
zusammen
das
Chefarztgremium
bilden.
Und
die
sind
Orthopäden
und
Unfallchirurgen. Und die sagen: „Alles von Rügen zu uns nach Stralsund.“ Aber das
bedeutet für die alten Menschen, dass sie weite Wege machen müssen. Die
Angehörigen wollen sie ja besuchen nach so einer Hüft- oder Knieoperation und da
muss man eigentlich eingreifen. Wenn ein Krankenhaus in eine - Gut, wir haben die
freie Arztwahl, aber das ist ja Zuweisung gegen Entgelt, hätte ich jetzt fast gesagt,
wenn man sagt „Sie müssen sich aber bei meinem Mann operieren lassen“ oder „Sie
müssen zu mir in die Klinik kommen.“ Das ist ein Riesenproblem und das müssen wir
anfassen. Und wir müssen die Indikation wirklich überprüfen. Das geht nur über die
Qualität, dass man sagt, Teterow könnte ja zum Beispiel Gastroenterologie machen
in der Inneren oder Diabetologie. Die haben eine Diabetologin, dann müssen die sich
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/131 darauf spezialisieren und Güstrow macht die Herzen. Man kann zusammen arbeiten
auch bei verschiedenen Trägern, man muss es aber nur wollen. Und da das Geld im
Krankenhaus regiert, ist es ein Problem. Aber Neubrandenburg ist ein Musterhaus,
muss ich sagen.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, bitte keine Zwiegespräche, okay? Gut. So jetzt habe
ich Frau Gajek, bitte.
Abg. Silke Gajek: Ja, danke und Danke auch für die vielfältigen Informationen. Ich
habe jetzt noch einige Fragen und würde auch ganz gerne noch mal mit dieser
Versorgungsstruktur anfangen. Frau Möhr, Sie haben ja vorhin gesagt, ich glaube
Sie waren das, dass wir ja diesen Fachkräftemangel haben. Also dass es ja die
180 Ärztinnen und Ärzte gibt, wichtig wäre auch, glaube ich, tatsächlich noch mal im
Pflegepersonal und in den Bereichen, die noch dazu gehören, die auch noch mal mit
zu nennen. Weil Ärzte sind, glaube ich, ohne Pflegepersonal, weiß ich nicht, ob sie
dann die Qualität so bringen. Und ich finde einfach, für multifunktionale Teams, wofür
wir uns ja aussprechen und ich glaube das ist auch so ein Ergebnis, hoffentlich der
Enquete-Kommission, dass das perspektivisch da ist. Also vielleicht können Sie da
nachher noch mal ein paar Zahlen sagen. Vielleicht auch, ich denke auch, dass es
da noch mal regionale Unterschiede gibt. Zu dem Fachkräfteproblem: Ich war ja auch
im Sommer in der Hagenower Geburtsstation und auch in Crivitz. Und da ist
beispielsweise gesagt worden, dass es beispielsweise bei der Ausbildung von
Hebammen, dadurch, dass es auch solche Mindestgrößen gibt, eine Ausbildung
nicht möglich ist. Also die Frage ist: Können Sie das bestätigen? Und das Zweite:
Was müsste man machen? Ich weiß, dass wir heute über den Doppelhaushalt
diskutieren. Aber ich halte einfach, wenn wir darüber reden, wie soll perspektivisch
hier eine medizinische Versorgung stattfinden, das für etwas ganz Wichtiges und
insbesondere eben auch noch mal, wenn ich das gesamte Land sehe, so mag das ja
nicht nur in Hagenow und in Crivitz so sein. Also das wäre noch mal eine Frage: Was
muss es da für Veränderungen geben? Das Zweite ist nochmal auf die
Versorgungsstruktur. Vorhin wurde ja gesagt, dass man sich, Frau Möhr war das, Sie
fordern eine Entscheidung zur Strukturveränderung. Das hab ich doch vorhin korrekt
gehört und wenn ich jetzt richtig zugehört habe auch, dass Sie sich eine Steuerung
wünschen. Jetzt haben wir hier die Krankenhausfinanzierung. Ich habe mir das
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/132 angeguckt und habe das für mich so verglichen: Was haben wir denn jetzt alles in
der Enquete-Kommission an Vorschlägen bekommen? Insbesondere perspektivisch,
also mit der Grundversorgung, der Mittelzentren, der vier, ich glaube, vier
Spezialkliniken. Wird das, was hier drin steht, dem gerecht? Gerade, wenn ich sehe,
welche Strukturentwicklung wir haben? So, Herr Koplin hatte eben ja auch nach
einem Punkt gefragt von dem Krankenhausstrukturgesetz. Ich hatte jetzt noch mal
bei der Bundesebene nachgefragt. Es gibt ja diesen Fonds, der ab dem 01.01.2016
offensichtlich in Kraft tritt. Das soll ja eine Milliarde einmalig sein und von der sollen
500 Mio. aus dem Gesundheitsfond und 500 Mio. von den Ländern kommen, also
dass müsste das Land dann einsetzen. Die Mittel sollen dann nach dem Königsteiner
Schlüssel verteilt werden und das hieße für Mecklenburg-Vorpommern würden
10 Mio. kommen und der Bund würde 10 Mio. dazu geben. Das heißt, man hätte
20 Mio. für eine Strukturförderung. Ist dieses Geld irgendwo mit bedacht und was
würden Sie uns mit auf den Weg geben, dass das vorbehaltlich in den Haushalt
einfließt? Denn wenn ich die Enquete-Kommission richtig verstanden habe und
insbesondere das Gutachten, sind da ganz entscheidende Punkte dabei. Und dann
möchte ich noch einen Punkt sagen, weil das hatte ich ja jetzt auch bei dem
Jubiläum „25 Jahre Krankenhausgesellschaft“ gesagt: Wir reden hier immer über
Effizienzsteigerung und Konzentration von Leistung, dann kommen eben die
Beispiele wie Onkologie und Kardiologie und ich bin sehr dankbar, dass das Thema
Demenz hier heute eine Rolle spielt, weil das immer Bereiche sind, die
vernachlässigt sind. Und beispielsweise Psychotherapie, Psychosomatik, also über
die Dinge reden wir gar nicht. Wir reden immer nur in dem somatischen Bereich und
ich weiß, dass wir hier auf Landesebene wenig Einfluss haben. Aber es ist, wird
einfach noch mal deutlich, dass gerade das Krankenhausstrukturgesetz und es gibt
dann auch, glaube ich, noch ein Krankenhausversorgungsstärkungsgesetz oder
manchmal sieht man bei den ganzen Stärken und was es da alles gibt, ist es schon
ganz schön schwierig da durchzusehen, was auf Bundesebene passiert. Das war es
aber und da würde ich da gerne mal Ihre Einschätzung zu wissen: Die ländlichen
Räume sind doch letztendlich vergessen worden. Und, Frau Dr. Möhr, wenn ich mich
erinnere, als Sie den Vortrag vor einem halben Jahr, dreiviertel Jahr zum
Krankenhausstrukturgesetz gehalten haben, haben Sie ja gesagt: „Es müssen in
Deutschland so und so viele Krankenhäuser geschlossen werden, aber“ - haben Sie
gesagt – „ich gehe nicht davon aus, dass Mecklenburg-Vorpommern das hat, weil es
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/133 muss ja Mindeststandards geben.“ Und die rechne ich jetzt nicht in Mindeststückzahl
von „ich habe jetzt eine Hüfte“ oder was weiß ich, weil ich finde die Sprache sehr
problematisch. Für mich ist doch die Frage: Was können wir hier auf Landesebene
machen, damit wir eine, ich finde, eine dezentrale gute Grundversorgung haben?
Und natürlich müssen wir uns verständigen, und das wird auch Streitgespräche
geben. Wo setzen wir Prioritäten? Aber wir dürfen doch eines nicht, wir dürfen doch
nicht vergessen „von der Wiege bis zur Bahre“. Und ich habe mittlerweile das Gefühl,
wir reden nur noch über einen bestimmten Lebensabschnitt. Und wenn wir das nicht
hinkriegen, dass junge Familien hier hinziehen, wer soll die Älteren dann irgendwann
versorgen? Wer soll sie dann operieren? Ich glaube, medizinische Versorgung ist
eben nicht nur eine Operation oder das, was ich im Krankenhaus habe. Um das noch
mal abzuschließen: Wir hatten ja auch einen Punkt, was ist denn - Wir haben ganz
viele Institutsambulanzen mittlerweile, die sind ja an den Krankenhäusern. Wie soll
das jetzt perspektivisch in ein Netz gehen? Ich glaube auch, dass wir große
Strukturveränderungen brauchen. Und da würde ich gerne von Ihnen einfach
vielleicht drei, vier ganz klare Worte hören, was Sie sich wünschen, was wir hier
reinschreiben sollen. Und vielleicht noch mal eine Hausaufgabe. Wir haben ja heute
Morgen gehört: Wir haben ja bald eine Wahl und eine nächste Wahlperiode. Was
können Sie uns hier mit auf den Weg geben? Weil ich glaube, wir müssen
Entscheidungen treffen, die müssen wir auch ruhig und die müssen wir auch in
Abwägung treffen. Aber das, was uns nicht passieren darf: Dass wir die Geburtshilfe
wie in Wolgast da dann mal abschreiben, wenn sich das nicht mehr rechnet. Jedes
Kind rechnet sich und jede Frau hat ein Selbstbestimmungsrecht. Und darum werden
wir hier heute kämpfen und ich hoffe, auch auf Bundesebene. Danke. Und ich
musste das Statement loswerden, Frau Tegtmeier.
Vors. Martina Tegtmeier: Gut. Frau Dr. Möhr.
Dr. Anke-Britt Möhr: Ich werde mal gucken, dass ich die Fragen alle in der
Reihenfolge auch beantworte. Also über Fachkräftemangel hatten wir gesprochen,
180 Ärzte. Ihre Frage: Wie sieht es aus mit dem Pflegepersonal? Ich kann Ihnen da
keine konkreten Zahlen nennen. Ich weiß nicht, ob Herr Gagzow Meldungen von
Krankenhäusern hat, dann kann er das nachher bestimmt ergänzen. Aber Tatsache
ist, wir haben Defizite im Pflegepersonal, das ist auch das, was ich von den
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/134 Geschäftsführern der Krankenhäuser höre. Wir haben sie im Pflegepersonal, wir
haben sie auch bei Therapeuten. Wir sollten uns aber von der Illusion
verabschieden, dass wir nur genug werben müssen und dann werden diese
Fachkräfte zu uns kommen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir die Zahl, die
wir heute haben, so meine Prognose. Und die Prognose bis 2030 ist für
Mecklenburg-Vorpommern ein Fachkräftemangel von 21 %. Der Kelch geht nicht am
Gesundheitswesen vorbei. Wir müssen gucken, wie wir mit den Zahlen an
Fachkräften eine ganz andere Versorgung sicherstellen können. Und deshalb
müssen wir aufhören, in den bestehenden Strukturen zu denken. Und wenn wir
heute nicht damit anfangen, haben wir morgen das große Problem. … Ihre nächste
Frage: Wie sollen Entscheidungen zu Strukturveränderungen getroffen werden?
Werden die Aussagen der Enquete-Kommission dem Bedarf gerecht? Und dann
sagten Sie: „Was ist mit den ländlichen Räumen?“ Also … ich bleibe dabei, dass wir
weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Und wir werden nicht umhin
kommen, uns die Gesamtversorgung im Land anzuschauen, zu gucken, was können
wir
konzentrieren,
welche
Grundversorgung,
Notfallversorgung
müssen
wir
flächendeckend sicherstellen und wie kann das gehen? Der Versuch, damit in einer
Pilotregion zu starten und Erfahrung zu sammeln, ist aus meiner Sicht gut. Wir haben
alle Instrumente, die wir brauchen. Wir haben die Erfahrung der Key-Player in der
Gesundheitsbranche und die sind Gold wert. Wir haben diverse Gutachten, ob das
jetzt das HGC-Gutachten mit allen Stärken und Schwächen ist, ob das das IGESGutachten zur Pädiatrie ist, wir haben alle. Es entstehen jetzt auch - und das wurde
ja gerade in dieser Regionalkonferenz deutlich - ganz viele kleine Aktivitäten auch
getrieben noch durch den Innovationsfonds, da gibt es ja Geld zu holen. So, und
jeder macht sich irgendwie Gedanken. Da setzt sich meinetwegen eine Gruppe
zusammen, macht sich Gedanken über sektorenübergreifende Versorgung - finde ich
erst einmal klasse - aber vergisst dabei völlig, dass es auch noch eine
Krankenhausplanung und bestimmte andere Dinge gibt, vergisst dabei, dass es
einen Geriatrie-Beirat gibt, der abgeholt werden muss, also Tatsache ist: Wir haben
ganz viele kleine Leuchttürmchen oder Puzzleteilchen. Aber wir kriegen kein Bild
daraus, weil diese moderierende Rolle fehlt. Und jedes mal, wenn ich mit dem
Ministerium spreche, sage ich: „Ihr kommt jetzt nicht mehr umhin, hier einen Plan zu
machen, ein Multiprojektmanagement aufzusetzen und diese ganzen Ideen zu
vernetzen, zu strukturieren, zusammen zu führen. Ansonsten schaffen wir lauter
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/135 kleine Inseln und brauchen nachher noch mehr Ressourcen, als wir heute brauchen
und das wäre tödlich.“ So, und dann fragten Sie noch mal nach dem
Krankenhausstrukturgesetz und dieser 1 Milliarde Strukturfonds. Dass ist das, was
ich vorhin sagte: Diese Mittel können wir überhaupt nur abgreifen, wenn die
Basisinvestitionsfinanzierung gesichert ist. Jetzt vor ein paar Tagen sind so ein paar
verschiedene Kriterien genannt worden. Schließung von Krankenhäusern war,
glaube ich, das Zweite, ist hier nicht unser Thema, zumindest nicht in MecklenburgVorpommern. Ich habe es jetzt nicht genau im Kopf, der erste Punkt. Da war etwas
zum Umswitchen von Fachabteilungen, Strukturveränderung – und das sind mit
Sicherheit Mittel, die wir für uns geltend machen können. Aber auch dazu: Damit
man die sich holen kann, braucht es natürlich vernünftige Konzepte. Und lauter
Puzzleteilchen, die unterm Strich kein Bild ergeben, sind für mich kein Konzept. Die
Frage: Ja, heute findet ein Großteil der Pflege in der Familie statt, im Freundeskreis,
im Verwandtschaftskreis. Und Tatsache, ich sage immer, das viel größere Problem
ist, das Problem ist für uns nicht nur eine älter werdenden Gesellschaft, das
Hauptproblem für mich ist ganz einfach: Wie gehen wir damit um, dass wir immer
wenige Junge haben? Aber das sind auch die Dinge, die wir im Zusammenhang mit
solchen Konzepten weiter diskutieren müssen. Und die Gedanken: Wie kriege ich die
jungen Leute zu mir? Wie kriege ich die Fachkräfte zu mir? Mein Gott, die macht sich
doch jeder, die macht sich jedes Bundesland und alle zerren an denselben Leuten.
Und ich sage immer: Hört auf zu zerren, lasst uns in dieser Zeit lieber gucken, wie wir
mit den Fachkräften, die wir heute haben und mit denen, die wir morgen noch
weniger haben, die Versorgung so organisieren, dass wir es hinkriegen. Und der
erste Schritt wäre für mich wirklich, das Land in die Verantwortung zu nehmen. In der
Enquete-Kommission habe ich doch gesagt: Man kann da nicht auch nur knausern
am Personal im Land. Aber sie können diese Aufgabe nicht einer Kasse, der
Ärztekammer, Sie können es so nicht Herrn Gagzow oder Frau Kappich geben – das
wird nichts. Man braucht da wirklich einen neutralen Moderator, der auch durch seine
Rolle als Krankenhausplaner auch Durchgriffsmöglichkeiten hat.
Vors. Martina Tegtmeier: Herr Gagzow.
Wolfgang Gagzow: Ob Sie das verwundert oder nicht, ich kann das alles nahtlos
unterstreichen und mich dem anschließen und sagen: Es ist so. Mit einer einzigen
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/136 Einschränkung mit sehr viel Wehmut: Ich habe leider nicht alle Instrumente in der
Hand. Leider ist bundesweit die medizinische Versorgung immer noch streng
sektoriert, hier ambulant mit einem eigenen Regelwerk und dort stationär mit einem
anderen Regelwerk. Wir kennen uns und wir reden auch miteinander. Aber das
Vernetzen miteinander ist unsagbar schwer. Und je höher die Ebene angesiedelt ist,
bis hin zur Bundesebene im gemeinsamen Bundesausschuss. Da ist ja noch nie ein
einziger Konsensbeschluss gefasst worden, sondern es wurde immer ein Buhmann
gesucht, zu dessen Lasten dort Beschlüsse gefasst worden sind. Mit dem Effekt,
dass die spezialärztlich-fachlich-ambulante-Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern
und bundesweit nicht stattfindet, obwohl es schon seit drei Jahren auf der Agenda
steht, dass die das machen sollen. Weil immer nach Methoden gesucht wird - sehr
erfolgreich - sie zu verhindern. Und da setzt unser Problem an, das muss man ganz
einfach so sagen. Das kriegen wir auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht
gestemmt, das sage ich ganz deutlich an der Stelle. Die KVMV und die
Krankenhausgesellschaft sind sehr nah bei einander und suchen nach Lösungen.
Aber er gelingt uns nicht immer, weil einfach die Rahmenvorgaben diametral dem
entgegenstehen. Insofern ist jedes Mittel recht, um diese, den Graben zu
überbrücken und das Thema „Fachambulanzen an Kliniken“ halte ich für ein sehr
wesentliches. Die KV bemüht sich sehr um Notfallambulanzen am Krankenhaus, von
der KV besetzt. Und da wäre meine dringende und herzliche Bitte: Da, wo es der KV
nicht gelingt, weil niedergelassene Ärzte sagen: „Ich bin doch nicht verrückt und
gehe nicht ins Krankenhaus in meiner Bereitschaftszeit. Das mache ich von zu
Hause oder gar nicht.“, dass wir da nach einem Weg suchen, dass das Krankenhaus
in die Lage versetzt wird, Notfallambulanzen am Krankenhaus zu errichten. Das ist a)
eine Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung und b) eine zusätzliche - und
das muss ich so sagen: wirtschaftliche - Sicherung des Krankenhauses. Ein
Krankenhaus ist ein Wirtschaftsunternehmen. Die Krankenhäuser sind gegen ihren
lauten Protest 1992 in die Wirtschaftlichkeit geprügelt worden, sind angekommen
und müssen sich dementsprechend verhalten. Das ist einfach so. Jeder Arzt, selbst
der Ärztekammerpräsident, möchte und ich auch, möchte am Monatsende seinen
Lohn in der Tüte haben und das kommt nicht vom Himmel gefallen, sondern muss
erarbeitet werden, durch Krankenhausleistung. Und insofern lassen Sie uns doch
Möglichkeiten suchen, wie wir alles, was geht, an die Krankenhäuser andocken, um
sie wirtschaftlich zu stabilisieren. Denn ich kann über Mitarbeitermangel mich
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/137 beklagen oder nicht, wir haben - ich bin jetzt ein paar mal angesprochen worden - zig
Ideen ausgelebt, bis, das wir ins Ausland fahren, in Europa ausschwärmen, um
Mediziner zu suchen und unsere Universitäten in Rostock und Greifswald bevölkern,
um dort den jungen Medizinstudenten zu sagen: Kommt und bleibt bei uns in
Mecklenburg-Vorpommern. Die zeigen mir einen Vogel und sagen: Was soll ich in
Mecklenburg-Vorpommern? Wie komme ich denn dazu, hier zu bleiben, wo ich doch
Hamburg und München haben kann. Die suchen nämlich genauso wie wir. Und es ist
natürlich eine Frage der Bezahlung, aber nicht nur. Es ist auch eine Frage der
Infrastruktur. Und das sehe ich auch als unseren Job als Land: Dafür zu sorgen,
dass wir auch attraktive Arbeitsplätze haben. Und dazu gehören auch gut
ausgerichtete, ausgerüstete Krankenhäuser. Bisher sage ich noch sehr deutlich mit
Überzeugungston in der Brust: „Ihr könnt sicher in München mehr Geld verdienen,
aber das bessere Krankenhaus steht im Zweifelsfall in Rostock oder in Neustrelitz
oder auch in Pasewalk.“ Ob das morgen noch stimmt, weiß ich nicht. Aber das ist
genau unsere Entscheidung, die wir hier treffen können. Da muss man dicke Backen
für machen und sagen: Das kostet dann aber auch eine Mark 50 oder einen Euro.
Aber die muss man dafür über haben. Und wenn es den Innovations-, den
Strukturfond gibt und wenn es für innovative und umzuswitchende Lösungen da Geld
für gibt, dann sollten wir genau an der Stelle ansetzen und sagen: Wie kriegen wir
die einzelnen Sektoren motiviert mit Geld? Anders geht es nun mal nicht. Man kann
sie mit Gesetzen nicht zwingen. Aber man kann sagen: Wir machen euch lockende
Angebote, da könnt ihr gar nicht „nein“ sagen dazu. Und das muss man mit den
Partnern, da bin ich voll, vollkommen auf einer Seite mit Frau Dr. Möhr, das muss mit
den Partnern, die es üblicherweise tun müssen, auch gemeinsam machen. Zu den
Planungsbeteiligten ist dann eben die Kassenärztliche Vereinigung dazuzuzählen,
als zwingend notwendiger Bündnispartner. Und ich würde auch und - weil es heute
noch nicht erwähnt ist, muss man es an der Stelle besonders sagen - das Kapitel
Rehakliniken in Mecklenburg-Vorpommern erwähnen. Wir haben 61 davon, vierfach
über dem Bundesdurchschnitt, wesentlich mehr, als wir für unsere Bevölkerung
benötigen. Die sind aber ausgelastet, leben von Quasi-Exportleistungen für andere
Bundesländer. Auch die sind in die Versorgung der Bevölkerung als Arbeitgeber und
als Dienstleister mit einzubeziehen. Und es gibt Möglichkeiten ohne Ende. Viele
kleine Leuchttürme, sag ich mal ein bisschen sarkastisch: Am Fuße des Leuchtturms
ist am wenigsten Licht. Wir brauchen einen, der die Hand darüber hält und eigentlich
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/138 würde ich mal sagen, Kompliment an unser Sozialministerium, die haben zwei
Gremien geschaffen. Eins, weil sie mussten, vom Gesetz her, § 90a SGB V schreibt
das vor für sektorenübergreifende Versorgung und eine konzertierte Aktion, wo sie
uns im internen, im Krankenhausbereich bündeln. Da ist schon eine Menge
Bemühen dahinter, aber es fehlt dann an der Durchschlagskraft. Aber ich setze
darauf, weil es auch viel Nutzen bringen wird, dass wir da Einiges tun an der Stelle.
Pflegebedarf haben wir, natürlich haben wir den. Aber sehr unterschiedlich vielleicht
zum Ärztebedarf, wenn ich das noch sagen darf dazu: Wir haben 12 hervorragend
arbeitende Krankenpflegeschulen, die quasi noch fast Hochschulcharakter haben
von ehemals aus DDR Zeiten. Und die, die das haben - Frau Kappich gehört zu den
Glücklichen - haben weniger Sorgen als die, die keine Pflegeschule an ihrem Hause,
ihrem Standort haben und bei Meinungsfragen komme ich auf Zahlen, die höher sind
als im ärztlichen Bereich. Aber regional sehr unterschiedlich, was Pflegebedarf
angeht. Besonderes Gewicht auf IST, auf Palliativ-Medizin, gerade Dinge, die wir
dringend brauchen, auch da sind wir am Suchen, aber was nützt mir das beste
Reden und Überzeugen, a) ich muss sie bezahlen können, das macht die
Bundesebene durch Gesetze, b) ich muss attraktive Arbeitsplätze anbieten und das
machen Sie.
Vors. Martina Tegtmeier: Dr. Crusius.
Dr. Andreas Crusius: Ja, es war noch eine Frage offen, mit den Hebammen von
Frau
Abgeordneter
Gajek.
Aus
meiner
Fachkommission
Gynäkologie
und
Geburtshilfe weiß ich, dass die erste Hebamme eigentlich erst finanziert ist mit 500
Geburten am Krankenhaus und die anderen, die dann ins Krankenhaus kommen, die
müssen sich ja heute so hoch versichern, dass das nicht mehr rentierlich ist. Ein
Gynäkologe
und
Geburtshelfer
-
der
also
Beleggeburtshilfe
in
anderen
Bundesländern macht, die gibt es ja hier nicht, zum Glück - der muss sich mit
125.000 € Haftpflicht versichern. Das müssen Sie sich mal überlegen. Das ist doch
nicht mehr normal. Das sind amerikanische Verhältnisse. Zu den ländlichen Räumen
wollte ich noch einen Punkt sagen: Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern sind alle
Stellen des Allgemeinmedizinförderprogrammes, das einzige Bundesland, wo alle
Stellen ausgefüllt sind. Das wird ja jetzt vom Versorgungsstärkungsgesetz - heißt es,
glaube ich - erhöht auf 7.500 Stellen, aber ohne Begrenzung. Da haben wir schon
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/139 die Zahl erreicht, die uns anteilig zukommt nach 7.500 Stellen, aber es wird nach
oben offen sein. Und ein Ergebnis der Regionalkonferenz Vorpommern kann man
vielleicht schon sagen: Was läuft, ist dieser Telenotarzt. Der wird nicht zum
Einsparen von Notärzten führen, aber der wird dazu führen, dass der Notarzt, der am
Telebildschirm steht oder sitzt und da draußen den Vorgang mit Kamera überprüfen
kann, der kann sagen: Muss ich dort einen Arzt hinschicken oder muss ich keinen
hinschicken? Das führt gegebenenfalls dazu, dass ein Arzt weniger rausfahren muss
in dem einen oder anderen Fall. Aber das wird zur Standorteinsparung nicht führen,
weil der muss ja dann in einer bestimmten Frist da sein. Alles andere hat Wolfgang
Gagzow eben schon gesagt. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Hat er nicht, er hat sich noch einmal gemeldet.
Wolfgang Gagzow: Danke, genauso ist es. Ein Punkt - den ich mir auf den Zettel
geschrieben habe - von den Fragen ist mir durch gerutscht, nämlich: Frau Gajek, Sie
sagten, wir hätten wenig Augenmerk in Mecklenburg-Vorpommern auf die
Psychiatrie gerichtet. Dem muss ich, was die Krankenhausplanung angeht,
widersprechen. Das ist - gottlob, sage ich mal - ganz anders. Die Psychiatrie ist das
Boom-Fach, um es mal so zu sagen, wo Aufwärtsentwicklung ist, sowohl im
stationären Bereich als auch im tagesklinischen Bereich. Wir haben über tausend
tagesklinische Plätze in Mecklenburg Vorpommern, fast alle im Bereich der
Psychiatrie. Und bei der ambulanten Versorgung haben auch alle psychiatrischen
Krankenhäuser - also auch die, die eine Fachabteilung haben - haben eine so
genannte Institutsambulanz, wo es nicht am Arzt hängt, der dann zufällig da ist oder
nicht, sondern das Krankenhaus hat eine ambulante Ermächtigung per se. Und wir
haben uns seit vielen Jahren mit den Krankenkassen regelmäßig arrangiert über den
Preis, so dass das eine Versorgungsstruktur ist, die immer noch nicht genug ist, weil
wir da einen deutlichen Bedarf haben - da können wir uns fragen, warum - aber die
gut entwickelt ist, gut begleitet ist und von allen Seiten getragen wird. Das muss ich
so sagen an der Stelle. Das ist nicht unser Stiefkind, sondern unser Hauptaugenmerk
an vielen Stellen und auch gut betreut.
Vors. Martina Tegtmeier: Das eine ergibt das Andere. Dr. Crusius.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/140 Dr. Andreas Crusius: Ich hatte da doch noch eins vergessen. Frau Gajek hatte
gefragt nach der Psychosomatik. Und ich weiß nicht, ob Sie in Kenntnis sind eines
Oberverwaltungsgerichtsurteils Greifswald. Die haben vor ein paar Jahren ein
Gerichtsurteil erlassen oder ein Urteil gefällt, dass eine psychosomatische Klinik nur
durch einen Facharzt für psychosomatische und psychotherapeutische Medizin
geleitet werden kann. Auch da sind wir auf gutem Wege. Wir haben zahlreiche
Psychiater, die überwiegend psychosomatisch gearbeitet haben, überwiegend. Und
auch Internisten, die psychosomatisch zum Beispiel bei Odebrecht gearbeitet haben.
Hier haben wir, über eine Übergangsregelung switchen wir die um, sage ich mal, mit
Prüfung und mit bestimmten Auflagen, sodass wir dann auch ausreichend
psychosomatische Kliniken haben für die große Diagnose, ich sage die mal, die heißt
ja im Volksmund Burn-Out, so dass die Patienten aus diesem Formkreis ausreichend
dann auch versorgt werden können. Allerdings haben wir Wartezeiten bei
Psychotherapeuten, sowohl ärztlicher als auch nicht ärztlicher, bis zu 6 Wochen, bis
zu einem halben Jahr, um einen Termin zu bekommen. Das ist aber bundesweit so.
Die kriegen zwar jetzt von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Millionen nach,
die nicht ärztlichen Psychotherapeuten für die letzten Jahre, aber trotzdem. Die
Termine sind da - Ich weiß nicht, woran das liegt.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, vielen Dank. Als nächstes habe ich Herrn Koplin
nochmal.
Abg. Torsten Koplin: Dankeschön, Frau Vorsitzende, ich habe, denke ich mal, kurz
zu beantwortende Fragen im Detail, drei an der Zahl. Eine an Herrn Gagzow. Sie
haben ja in Ihren schriftlichen Ausarbeitungen Bedarfszahlen genannt. Meine
Nachfrage diesbezüglich ist: Sind in den Bedarfen, die da beziffert werden, auch die
für die Weiterentwicklung der Telemedizin bereits enthalten oder kämen die da noch
oben
drauf?
Und
die
beiden
weiteren
Detailfragen
beziehen
sich
als
Verständnisfragen auf das, was uns an die Hand gegeben worden ist. Ich bleibe mal
bei Herrn Gagzow. Da ist auf Seite 3-7 unten formuliert, ich darf mal zitieren: „KGMV
unterstützt die regelmäßige Aussage des Ministeriums für Arbeit, Gleichstellung und
so weiter, wonach 37 Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern für die
medizinische Versorgung und so weiter bedarfsgerecht sind.“ Und jetzt: „Eine
verbesserte Rechtsposition bei der vielfältig notwendigen auch ambulanten
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/141 Versorgung der Patienten ist dringend geboten.“ Was ist damit gemeint? Ich habe
das mehrfach gelesen, da fehlt mir die Kompetenz, das auszudeuten. Und die letzte
Frage,
die
ich
habe,
Frau
Vorsitzende,
bezieht
sich
auf
ebenfalls
als
Verständnisfrage auf die Ausarbeitung, die uns Herr Stobbe an die Hand gegeben
hat. Da ist auf Seite zwei vermerkt unter dem Punkt vier, ich darf mal zitieren:
„Ebenfalls unabdingbar ist für unser Klinikum die Vergabe von Fördermittel
unabhängig vom Gesellschafterstatus der Kliniken.“ Da ergab sich für mich die
Nachfrage.
Ist
das
ein
Problem?
Werden
einzelne
Gesellschaften,
also
Trägerschaften bevorzugt gegenüber anderen? Gibt es dazu Erfahrungswerte? Das
wäre mir eigentlich neu, aber wenn es da so eine Vor- und Benachteiligung gäbe,
müsste man darauf reagieren, finde ich. Vielen Dank.
Vors. Martina Tegtmeier: Ja, denn, bitte, Herr Gagzow.
Wolfgang Gagzow: Ich will mich in der Tat bemühen, es kurz zu machen. Zum
ersten kann ich mit Punkt sagen: Nein, Telemedizin ist nicht enthalten. Und wir
haben von Herrn Stobbe gehört, dass es durchaus relevante Kosten sind, die uns da
ins Haus stehen. Die auch noch mehr werden in der Zukunft. Das ist gar keine
Frage. Und da könnten wir sicher einiges tun, als Land Mecklenburg-Vorpommern,
um die Situation zu verbessern. Und zum Thema Rechtsposition der Krankenhäuser
bei der ambulanten Versorgung ist dahinter verborgen, dass die Krankenhäuser
zunehmend mehr ambulant, ich sage mal so, in Anspruch genommen werden. Ohne
dass sie von sich aus einen Anspruch haben, da tätig werden zu wollen. Die
Patienten stehen einfach da und holen sich ambulante Versorgung ab. Das betrifft
die ambulanten Notfälle. Wir haben neben den round about 400 bis 450 Tausend
stationäre Versorgungspatienten auch über eine Million ambulant zu Versorgende in
Mecklenburg-Vorpommern. Über 200.000 davon sind sogenannte Notfälle. Das
heißt, sie sind plötzlich vor der Tür, wollen behandelt werden, müssen auch versorgt
werden.
Zumindest
hoch
qualitativ
angesehen
werden,
um
Einzelleute
wegzuschicken. Aber normalerweise müssen sie behandelt werden. Und es gibt
keinerlei Erlösstruktur, die dahinter steht, die das Krankenhaus selbst mitgestalten
kann. Es gibt einen eindeutigen Bewertungsmaßstab für Ärzte, heißt EBM, das Ding.
Das wird von Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung vereinbart. Die
Krankenhäuser sind an der Generierung dieses Kataloges nicht beteiligt. Und sie
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/142 können sich lebhaft vorstellen, dass die Krankenhäuser auch bei der Ausgestaltung
des für sie anfallenden Entgeltes nicht gut bei wegkommen, um das mal auch sehr
zurückhaltend auszudrücken. Fachleute sprechen von einer Diskrepanz, einem Delta
von 100 € pro Behandlungsfall. Und das sind bei 200.000 Fällen eine ganze Menge.
Im Einzelfall sind es mehrere hundert Euro, manchmal auch etwas weniger. Je nach
dem,
bunt
gemischt.
Bei
vielen
anderen
ambulanten
Leistungen,
der
Bundesgesetzgeber hat vor vielen Jahren gesagt, ambulante Operationen dürfen die
Krankenhäuser nach Gesetz legal vornehmen. Aber an der Erstellung der Entgelte
sind die Krankenhäuser aus Versehen nicht beteiligt. Sondern die werden wiederum
durch andere, durch Kassenärzte und Krankenkassen festgelegt. Und wir müssen
das hinnehmen, was da kommt. Insofern wünschten wir uns eine Klarstellung:
Entweder hat die KV einen Sicherstellungsauftrag und bringt ihn auch und wir
können uns auf unser Kerngeschäft, das stationäre Volumen, beziehen. Punkt Ende.
Oder wir sollen, weil es auch so gar nicht anders sein kann, die Patienten fordern
dies ein, die ambulante Versorgung, da müssen wir auch als Partner ernst
genommen werden und im Gesetz vorgesehen werden ausdrücklich dafür. Und auch
mit
einem
Verhandlungsmandat
ausgestattet
werden,
dass
wir
auch
die
Rahmenbedingungen mitgestalten können. Und nicht so, dass der eine bestimmt
was wir tun und ein ganz anderer - auf keinen Fall, in beiden Fällen nicht wir –
bestimmt, was wir kriegen dafür. Das funktioniert nicht. Zumindest nicht auf Dauer im
Guten. Nur auf Knochen unserer Mitarbeiter und auf Verschleiß. Das war der
Hintergrund. Frage drei sagt Herr Stobbe was dazu.
Jürgen Stobbe: Das lässt sich ganz kurz beantworten. Das ist im Prinzip schon
beantwortet. Gemeint war damit genau, dass die Fördermittelausgabe an die, die
Versorgungsaufträge haben natürlich erfolgen muss. Die Einschränkung, die ich
dahinter geschrieben habe, ist eigentlich die, die gerade eben Frau Kappich ja schon
vorhin genannt hat. Also für uns erschließt sich das auch als gemeinnützige Häuser
nicht,
das
wie
auch
immer um
die Ecke
letztendlich
Fördermittel
oder
Investitionsmittel kapitalisiert werden und in eine Rendite einfließen, die sich dann
wieder ganz anders verteilt, wie wir ja wissen. Sondern dass es notwendig ist, dass
diese Mittel, die hier einfließen - das war damit nochmal ganz besonders, habe ich
versucht, damit zu betonen - dass die natürlich auch dem Patienten letztendlich
wieder zu Gute kommen müssen. Das ist der Hintergrund.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/143 -
Vors. Martina Tegtmeier: Frau Dr. Möhr.
Dr. Anke-Britt Möhr: Ich würde ganz gerne nochmal was sagen zu der
Notfallversorgung und dem ständigen Zankapfel Finanzierung. Also Tatsache ist, es
ist ein schwieriges Feld. Was wir häufig, wo wir häufig drüber reden, aber wenig tun.
Das sind die drei Säulen der Notfallversorgung. Wir haben den Rettungsdienst, wir
haben die Notaufnahme im Krankenhaus und wir haben den Ärztlichen
Bereitschaftsdienst. Das sind drei Säulen, die zum Teil relativ isoliert voneinander
arbeiten. Und ich glaube, wenn wir auch mit Blick auf Fachkräftemangel hier für die
Zukunft einen Durchbruch erreichen würden - Nur einfach mal so für Sie zum
Mitzunehmen haben wir in Österreich ein Modell erlebt, das ist das Triarch-System.
Also die Einteilung „hat er den Kopf noch auf dem Köper, kann er noch ambulant
oder hat er den Kopf unterm Arm, muss er stationär“, viel früher ansetzt. Und zwar,
die haben einen sogenannten Gatekeeper vorgeschaltet. Das sind nicht Mediziner.
Aber sehr gedrillt darauf, zu erkennen: Was hat der Mensch, was braucht der
Mensch. Und haben dafür eine zentrale Einwahl geschaffen. Und ich fand
phänomenal das Ergebnis, was unterm Strich bei raus kam. Sie sagten, 50 % der
Patienten brauchen nach der Beratung am Telefon keinen Arzt mehr. Dann verteilen
sich ein paar, also zu ein paar wird ein Rettungswagen hingeschickt, ein paar werden
zum niedergelassenen Arzt geschickt, ich weiß jetzt nicht mehr genau, wie sich die
Prozentzahlen verteilten. Die, die wirklich in die Notaufnahme des Krankenhauses
gehörten, die wirklich krankenhausbehandlungsbedürftig waren pi mal Daumen 5 %.
Und ich glaube, auch das ist etwas, was man denken kann, wenn ich Versorgung in
sich entleerenden Flächen sicherstellen muss. Nur als Anregung mit auf dem Weg.
Vors. Martina Tegtmeier: Dr. Crusius, ich möchte jetzt aber keine Diskussion über
unser Rettungswesen aufmachen. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Vortrag Sie
jetzt gereizt hat so ein bisschen. Aber bitte.
Dr.
Andreas
Crusius:
Nein.
Das
Heilmittel
sind
Notfallambulanzen
an
Krankenhäusern. Das Problem ist, die Leute wollen - wenn sie Fieber haben oder so
- sich nicht tagsüber in eine volle Arztpraxis setzten. Erstens stecken sie die anderen
an. Zweitens ist ihnen die Wartezeit zu lange. Und wer abends in die Notaufnahme
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/144 kommt, muss behandelt werden. Und das macht zum Beispiel HELIOS: Da sitzen
niedergelassene Ärzte. Die sind doch nicht bescheuert – Entschuldigung, wenn ich
das sage - und schicken den Patienten ins Krankenhaus, wenn er nicht
krankenhauspflichtig ist. Weil denn ist er ihnen ja verlustig gegangen. Jetzt pekuniär
verlustig gegangen. Und insofern wäre die Notfallambulanz am Krankenhaus - egal
ob vom Krankenhaus betrieben oder vom Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst - das
optimale Heilmittel. Das läuft in anderen Bundesländern hervorragend. Es gibt hier in
Mecklenburg-Vorpommern, in Schwerin läuft es doch bei HELIOS. Wir haben es in
Rostock versucht, da hat die lokale KV immer dagegen agiert, weil sie Lütten-Klein
dieses Ärztehaus da haben. Und in Paulsstraße. Und letztendlich ist da nachts kein
Labor, zum Schluss kommt der Patient in die Klinik, weil Labor und Röntgen nötig ist.
Und insofern, wenn man da - Das wäre der optimale Schulterschluss zwischen
Niedergelassenen und Krankenhaus. Eine richtige - ich sage immer nicht
Verzahnung, weil wenn man sich verzahnt, verbeißt man sich - Verschränkung.
Vors. Martina Tegtmeier: Okay Danke. Ich habe hier auch noch eine Fragestellung.
Also wir sollten uns jetzt nicht an einem Thema so festbeißen, weil wir sind schon in
der Zeit ganz schön fortgeschritten. Vielleicht können Sie das denn nochmal
einflechten, vielleicht ergibt sich das. Ich möchte zunächst nochmal Herrn Barlen die
Gelegenheit geben, seine Fragen loszuwerden. Bitte sehr.
Abg. Julian Barlen: Ja, vielen Dank, Frau Vorsitzende. Es ist ja auch die Diskussion
weit fortgeschritten. Ich habe auch gar nicht so wahnsinnig viele Fragen. Ich wollte
einfach nochmal anmerken, dass ich das schon mit viel Zustimmung zur Kenntnis
nehme, dass auch wesentliche Akteure der Selbstverwaltung sich natürlich jetzt
zunehmend darauf verpflichten, sich auch in, sagen wir mal, steuernde Prozesse Frau Dr. Möhr nannte das Multiprojektmanagement oder so ähnlich - sich also quasi
in so einen Prozess auch hineinzubegeben. Die in der Tat ja schriller werdenden
Hilferufe der ansonsten sehr selbstbewussten Selbstverwaltung, die werden in
Mecklenburg-Vorpommern
durch
die
Landespolitik
und
auch
durch
die
Landesregierung natürlich sehr wohl gehört. Herr Gagzow hat es angesprochen, die
Gremien in Ministerien, auch die Beratung in unserer Enquete-Kommission. Vielleicht
kann man da, das ist in der Tat keine Frage, sondern eine Bitte, hoffentlich denn
auch damit rechnen, dass die einzelnen Player der Selbstverwaltung am Ende auch
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/145 mitspielen. Und nicht im Grunde das dann hintenrum wieder torpedieren, wenn das
zu solchen Dingen kommt. Das wäre, sagen wir mal, eine hinreichende Bedingung
dann am Ende für so ein Unterfangen. Eine Sache nochmal. Also Herr Koplin hat ja
in seiner unnachahmlichen Art
(Abg. Torsten Koplin: Na, wie ist denn das zu deuten.)
zum Thema Strukturmittel - sagen wir mal, fast vernuschelt - gesagt, dass da also
droht dem Land einiges durch die Lappen zu gehen. Das sehe ich nicht so. Sie
können schon davon ausgehen, dass wenn Dinge veranschlagungsreif sind, die
entsprechend dann auch veranschlagt werden. Ich habe am Ende doch noch eine
Frage. Und zwar, wenn man sagt: Es spricht ja einiges dafür, Anker der
medizinischen und pflegerischen Versorgung in der Fläche durchaus sagen wir mal
größer zu denken oder umfassender zu denken, als sie heute angeboten werden. Dr.
Möhr ist in ihrer Stellungnahme darauf eingegangen. Dort sind ja auch so ein paar
schöne Bildchen, wie das mit einem Krankenhaus und ambulanten Angeboten alles
funktioniert. Ganz klar ist, und das Stichwort Telemedizin kam vorhin, man wird dort,
also sagen wir mal, erhöhten Koordinierungsaufwand natürlich haben zwischen den
unterschiedlichen Sektoren. Und da ist meine Frage an Frau Dr. Möhr ganz speziell,
auch natürlich aus dem stationären Bereich, inwieweit wird das beispielsweise in der
AOK denn auch sektorübergreifend beispielsweise gedacht beim Thema Erstattung
von solchen Leistungen. Also Abrechnungsfähigkeit von Telemedizin und E-Health,
das würd mich schon interessieren, wie da Ihre Sicht auf den Fortschritt im Bereich
Telemedizin ist.
Vors. Martina Tegtmeier: Gut, dann will ich mal sagen, dass das jetzt die letzte
Frage aus der Runde war. Ich hoffe, Ihre Antworten reizen nicht zu neuen Ansätzen
hier. Und Sie können sich alle gerne nochmal äußern. Frau Dr. Möhr, Sie waren
angesprochen direkt, dann bitte ich Sie zu Beginn.
Dr. Anke-Britt Möhr: Also im Moment ist das mit der Finanzierung von Telemedizin
noch schwierig. Und wir lösen es im Moment über Selektivverträge, dass wir im
Prinzip Selektivverträge machen, um die entsprechenden Partner in einen solchen
Vertrag einzubinden.
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/146 Dr. Andreas Crusius: Hervorragend läuft die Teleradiologie, zum Beispiel Bad
Doberan, Rostock. Oder die Teleneurologie, das entsprechende Patienten mit einem
Schlaganfall, dessen Genese noch nicht klar ist, das die rechtzeitig dann auch in ein
nahegelegenes CT kommen und dann in der Frist von sechs Stunden noch einer
Analyse zugeführt werden können. Das läuft alles über Teleneurologie. Also da ist es
ein guter Weg.
Wolfgang Gagzow: Ich denke auch, dass wir bei allen negativen Beiträgen, die wir
auch gebracht haben, durchaus auch auf einem hohen Niveau uns Sorgen machen.
Und, aber dieses Niveau dürfen wir auf keinen Fall verlassen. Und Mittel, die uns ins
Haus stehen können - ich spreche da die Bundesmittel an - sollten wir auf keinen Fall
an uns vorbei gehen lassen und innovative Projekte anfordern und dann auch gezielt
unterstützen. Ich denke, auch da sind wir alle einig. Man kann nicht alle und jedes
unterstützen und man sollte auch weit in die Zukunft gucken. Manchmal mehr, als ein
Player vor Ort das kann. Das ist hier unser Job. Und das Thema Telemedizin ist
sicher ein ganz herausragendes. Wir sollten dafür in Mecklenburg-Vorpommern auch
in der Eigenschaft dieses hohen Hauses mit einen Blick darauf haben, dass wir
zukunftsfähige Strukturen unterstützen und auch bei Bedarf finanzieren. Auch die
sektorenübergreifende Versorgung, die Notfallambulanz am Krankenhaus als ein
Stichwort, ist ganz wichtig in den Blick zu nehmen. Entweder können das KV-Ärzte
machen und wollen es auch. Oder sie können und/oder wollen es nicht, dann muss
das Krankenhaus unterstützt werden können, das zu tun. Die speziellen Aufgaben
die uns ins Haus stehen - palliativmedizinische Versorgung und Demenzerkrankte sind nachdrücklich zu unterstützen und zu fördern. Auch dafür gibt es ja auch
Umstrukturierungsbedarf in den Kliniken. Auch da bitte ich ebenso dringend wie
herzlich um Unterstützung solcher Projekte. Die sind zukunftsträchtig und auch
bedarfsgerecht. Danke.
Gudrun Kappich: Also wie gesagt, mir liegt da wirklich die ambulante Versorgung Das hört sich so an, als wenn Krankenhäuser einfach losgehen können und was
ambulant machen können. Die Notaufnahmen, das stimmt, die werden einfach in
Anspruch genommen von der Bevölkerung. Aber, es gibt natürlich auch
Krankenhausärzte, die bei der KV um eine Ermächtigung bitten und sagen: „Hier gibt
es eine Versorgungslücke.“ Dann werden alle niedergelassenen Ärzte gefragt. Das
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
- 75/147 muss man einfach wissen, so ist das Verfahren. Und wenn die sagen „wir können
das gut abdecken“, dann gibt es eben keine Ermächtigung und dann dürfen wir als
Krankenhaus nicht ambulant behandeln. Das muss man einfach mal so wissen. Also
wie sich das jetzt ändert, wenn im Gesetz da eine Zweitmeinung eingefordert werden
kann, das ist spannend einfach auch zuzugucken, wie das ist. Weil ganz oft kommen
ja Patienten und wollen nur eine zweite Meinung auch mal haben oder einen Rat
haben: Ist das zu operieren oder nicht? Aber da kommt man, wie gesagt, im Moment
an Ermächtigungen auch nicht ran, um das zu behandeln. Das wollte ich nur
nochmal sagen.
Vors. Martina Tegtmeier: So, vielen Dank. Herr Stobbe hatte sich auch gemeldet.
Jürgen Stobbe: Bei allen Notwendigkeiten, die wir ja schon aufgezählt haben, will
ich vielleicht so als Schlusswort nochmal für mich sagen: Das, was im
Westmecklenburg Klinikum Helene von Bülow mit der Verbrüderung/ Fusion von
zweier höchst unterschiedlichen Trägern passiert ist, war für mich der erste Weg
einer wirklichen Strukturveränderung. Und ich kann Ihnen sagen, es kostet
unheimlich viel Kraft. Wir brauchen dringend die Unterstützung, die uns auch
finanziell über vielleicht im Moment nicht unmittelbar nachweisbare und erklärliche
Beträge hinweg hilft. Weil es einfach Stolperstellen gibt, die nicht planbar sind, die
sich einfach ergeben aus der Situation. Aber grundsätzlich, denke ich mir, ist das die
Möglichkeit, strukturelle Versorgung im Land zu halten. Wir sind vernetzt, wir arbeiten
engstens mit den Niedergelassenen zusammen. Ohne die kann kein Krankenhaus
überleben und zwar beidseitig nicht. Das ist eine symbiotische Beziehung, die wir zu
unseren Niedergelassenen haben. Wir stärken die MVZ, wir haben die Möglichkeiten
einer ambulanten Versorgung über das an das Haus angebundene medizinische
Versorgungszentrum und es geht auch - man höre und staune - als gemeinnütziger
mit einem kommerziellen Unternehmen zu kooperieren. Und vielleicht müssen wir da
an einigen Stellen auch nochmal Grenzen im Kopf überwinden, die also da doch
durchaus aus meiner Sicht Kooperationsmöglichkeiten zulässig machen, die für
beide sinnvoll und nützlich sind aus Sicht der Krankenhäuser. Aber die vor allem den
Patienten die Versorgung vor Ort gewährleisten. Da sind durchaus noch Ressourcen
vorhanden. Die große Sorge, die ich also habe, bezüglich ambulant und stationär ist
genau das. Das hätte ich jetzt sonst nochmal aufgenommen, was Frau Kappich
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Sozialausschuss/7. Oktober 2015
Anlage