Trends in der Entwicklung der S i idb ihilf in Suizidbeihilfe i den d deutschsprachigen p g Ländern Internationales Seminar Palliativbetreuung von Tumorkranken, Kartause Ittingen, 30. April 2015 PD Dr. Dr med. med Georg Bosshard MAE Privatdozent für Klinische Ethik der Universität Zürich Facharzt FMH für Allgemeine Innere Medizin spez. Geriatrie Leitender Arzt Long Term Care, Klinik für Geriatrie, Universitätsspital Zürich [email protected] Vortragsübersicht Einige Flashlights zur aktuellen Situation der „Sterbehilfe“ in Europa und darüber hinaus Suizidbeihilfe Schweiz: Rechtslage und empirische Daten Situation in Deutschland und Österreich Versuch einer zusammenfassenden Bewertung Immer mehr Staaten weltweit legalisieren die „Sterbehilfe“, entweder als Beihilfe zum Suizid (AS) und / oder als aktive S Sterbehilfe f auff Verlangen (E) ( ) Legalisierte Praxis Jahr der Legalisierung E 1996 - 1997 AS 1997 AS / E 2002 (AS) / E 2002 AS 2008 E 2009 Montana (USA) AS 2010 Vermont (USA) AS 2013 Québec (Can) AS 2014 Northern Territory (AUS) Oregon (USA) Niederlande (EU) Belgien (EU) Washington State (USA) Luxemburg g (EU) ( ) Aus: Materstvedt LJ, Bosshard G. Euthanasia and palliative care. In: Cherny N et al. Oxford Textbook of Palliative Medicine, 5th edition (neu erschienen im April 2015) Aktive Sterbehilfe auf Verlangen in Europa: B l i überholt Belgien üb h lt die di Niederlande... Ni d l d Onwuteaka-Philipsen et al (2012) Trends in end-of-life end of life practices before and after the enactment of the euthanasia law in the Netherlands. Lancet 380:908-915 Chambaere K et al (2015) Recent trends in euthanasia and other end-of-life end of life practices in Belgium (research letter). N Engl J Med 372:1179-1198 Zwischen den einzelnen Ländern Europas bestehen grosse Unterschiede in der Haltung gegenüber der „Sterbehilfe“... Zustimmung zu Sterbehilfe in Westeuropa, 1999 – 2000 Skala 1 bis 10 1 = niemals gerechtfertigt 10 = immer gerechtfertigt 6.6 – 7.0 Niederlande, Dänemark 6.1 – 6.5 Schweiz, Frankreich, Schweden 5.6 – 6.0 Belgien, Luxemburg 5.1 – 5.5 Tschechien, Slowenien, Norwegen 4.6 – 5.0 Grossbritannien, Slowakei, Spanien 4.1 4 1–4 4.5 5 Deutschland, Österreich, Serbien, Montenegro 3.6 – 4.0 Italien, Nordirland, Kroatien, Ungarn, g Bosnien-Herzegowina 3.1 – 3.5 Portugal, Polen, Albanien, Irland Datengrundlage: World values surveys www.worldvaluessurvey.org Zusammenstellung nach: Bosshard G. Sterbehilfe. In: Knipping C et al. Lehrbuch Palliative Care, 4. Auflage (erscheint im September 2015) ...wobei insgesamt die Zustimmung zu „Sterbehilfe“ in der Allgemeinbevölkerung g g Europas p rasch zunimmt Zustimmung zu Sterbehilfe in Westeuropa, 2006 – 2007 Skala 1 bis 10 1 = niemals gerechtfertigt 10 = immer gerechtfertigt > 6.6 Slowenien, Frankreich, Schweden, Schweiz 6.1 – 6.5 Niederlande,, Grossbritannien 5.6 – 6.0 Norwegen, Spanien 4.6 – 5.0 Deutschland, Serbien 3.6 – 4.0 Italien 3.1 – 3.5 Polen noch keine neueren Daten verfügbar Obwohl im Prinzip auch in Deutschland (nicht aber in Österreich) die Beihilfe zum Suizid straflos wäre, unterscheidet sich die Schweiz scharf von ihren ih beiden b id Nachbarn N hb durch d h eine i weit it gehende h d Toleranz T l gegenüber üb der von Sterbehilfeorganisationen vermittelten Beihilfe zum Suizid Die entsprechenden Zahlen nehmen rasch zu... Suizidbeihilfe in der Schweiz 1990–2014, nach Sterbehilfeorganisation *hauptsächlich aus dem Ausland eingereiste Personen („Sterbetourismus“) Dignitas* 1000 Ex international* 800 Exit Suisse Romande 600 Exit Deutsche Schweiz 400 200 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Anzah hl assistie erte Suizide 1200 Jahr Daten aufgrund diverser Quellen zusammengestellt durch den Autor ...wobei etwas die Hälfte aller Fälle aus dem Ausland eingereiste Personen betrifft (sog (sog. Sterbetourismus), Sterbetourismus) davon etwa die Hälfte aus Deutschland Sterbetourismus in die Schweiz 2008–2012, häufigste Herkunftsländer Gauthier S, Mausbach J, Reisch T, Bartsch C (2014) Suicide tourism: a pilot study on the Swiss phenomenon. J Med Ethics 2014-1020091 (Epub ahead of print) Suizidbeihilfe in der Schweiz: rechtlicher Rahmen Allgemein • Art. 115 StGB: Straffreiheit der nicht-selbstsüchtigen Suizidbeihilfe • Art. 114 StGB: Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen • Art. 16 ZGB: Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen S Speziell i ll fü für b beteiligte t ili t Ä Ärzte: t • Betäubungsmittelgesetz und Gesundheitsgesetze -> ärztliche Sorgfaltspflicht • Medizinisch-ethische Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften –> ärztliche Standesethik Art. 115 StGB Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmord verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Medizinisch-ethische Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften zur die Betreuung von Patienten am Lebensende (2004) • Die Beihilfe zum Suizid ist nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit Tätigkeit, weil sie den Zielen der Medizin widerspricht • Die Entscheidung eines einzelnen Arztes, aufgrund einer persönlichen Gewissensentscheidung dennoch Beihilfe zum Suizid zu leisten, ist zu respektieren. In einem solchen Fall verlangen die Richtlinien die Prüfung der folgenden Voraussetzungen: (a) Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme Annahme, dass das Lebensende nahe ist. (b) Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit it gewünscht ü ht auch h eingesetzt. i t t (c) Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer unabhängigen bhä i D Drittperson itt üb überprüft, üft wobei b i di diese nicht i ht zwingend i d ein i Arzt sein muss. Position des Schweizerischen Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK zur Beihilfe zum Suizid Beihilfe zum Suizid ist nicht Teil des pflegerischen Auftrags Was können Sie als Pflegende tun? • Dem Patienten aufmerksam zuhören und sich dafür einsetzen, dass alles, was möglich ist, für ihn getan wird, um seine körperlichen und seelischen Leiden zu lindern bzw. sich zu versichern, das dies getan wurde; • Mit Kollegen über die eigenen Gefühle sprechen und Unterstützung suchen; • Zusammen mit dem Patienten und im Team nach Möglichkeiten suchen, wie er seinen Wunsch nach Selbsttötung g realisieren könnte; • Die Angehörigen des Patienten begleiten; • Falls die Verantwortung für die Pflege des Patienten zu schwer wiegt, bitten, von ihr befreit zu werden; • Dem Patienten in seinen letzten Minuten beistehen, falls er, seine Familie und Sie dies wünschen. Was Sie als Pflegende nicht tun können: • Das tödliche Mittel beschaffen, zu- oder vorbereiten und es dem Patienten reichen, auch nicht im Auftrag des Arztes. Ethischer Standpunkt 1 des SBK (2005) http://www.sbkasi.ch/webseiten/deutsch/4pflege/PDF/Ethische%20Standpunkte%201%20deutsch.pdf Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom Dezember 2006: Die Rezeptierung von Natrium-Pentobarbital mit dem Ziel, einem Patienten die Selbsttötung g zu ermöglichen, g , verlangt g eine “den Regeln der ärztlichen Berufs- und Sorgfaltspflichten entsprechend vorgenommene Diagnose, Indikationsstellung und ein Aufklärungsgespräch Aufklärungsgespräch”. Des Weiteren ist die Prüfung und Dokumentation der Urteilsfähigkeit des Patienten für seinen Sterbewunsch zentral. Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom Dezember 2006 (Fortsetzung): (F t t ) Ärztliche Beihilfe zum Suizid bei psychisch Kranken ist nicht generell ausgeschlossen, es ist aber “äusserste Zurückhaltung” geboten. Es soll unterschieden werden “zwischen einem Sterbewunsch, der Ausdruck einer therapierbaren psychischen Störung ist und nach Behandlung ruft, und dem selbstbestimmten, wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person (Bilanzsuizid)”. Zu letzterem können grundsätzlich auch Personen mit der Vorgeschichte einer psychischen Erkrankung gelangen. Die Unterscheidung dieser beiden Situationen „kann nicht ohne ein vertieftes psychiatrischen Fachgutachtens getroffen werden. werden.“ Sterbehilfe (assistierter Suizid) und Suizid in der Schweiz. Bundesamt für Statistik BFS, Neuenburg, März 2012 Sterbehilfe (assistierter Suizid) und Suizid in der Schweiz. Bundesamt für Statistik BFS, Neuenburg, März 2012 Exit-Suizide in der Stadt Zürich 1990 – 2004 (n= 278): Zunahme des Anteils an Frauen, Frauen an Sterbewilligen über 85 Jahre, und an Sterbewilligen ohne tödliche Krankheit Fischer S et al (2008) Suicide assisted by two Swiss right-todie organisations. J Med Ethics 34:810-814 Gründe für das Verlangen nach Suizidbeihilfe Ärzte Patienten P value Schmerz 56% 58% 0.74 Atemnot 23% 23% 1.00 Drohende Pflegebedürftigkeit 37% 39% 0.65 Immobilität 23% 30% 0.17 12% 39% 0 000 0.000 6% 38% 0.000 Somatische Gründe Soziale Gründe Psychoexistentielle Gründe Kontrolle der Todesumstände Würdeverlust Fischer S et al. Reasons why people in Switzerland seek assisted suicide: the view of patients and physicians. Swiss Med Wkly 2009;139:333-338 Tod durch assistierten Suizid: Erfahrungen von Angehörigen “A higher prevalence of posttraumatic stress disorder and depression was found in the present sample than has been reported for the Swiss population in general.” general. “Perceived general disapproval by the social environment was strongly correlated with posttraumatic stress disorder and complicated grief.” Wagner B, Müller J, Maercker A (2010) Death by request in Switzerland: Posttraumatic stress disorder and complicated grief after witnessing assisted suicide. Eur Psychiatry 27: 542-546 Wagner B, W B Keller K ll V V, Knaevelsrud K l d C, C Maercker M k A (2012) S Social i l acknowledgement k l d t as a predictor of posttraumatic stress and complicated grief after witnessing assisted suicide. Int J Soc Psychiatry 58: 381-385 “The relatives reported feelings of isolation during and after assisted suicide.” “Family Family members reported fear of social stigma and did not openly disclose assisted suicide as the cause of death.” Gamondi C,, Pott M,, Forbes K,, Payne y S (2013) ( ) Exploring p g the experiences p of bereaved familiy members involved in assisted suicide in Switzerland: a qualitative study. BMJ Supportive and Palliative Care 0:1-7 Aktive Sterbehilfe in der Schweiz? Prozent aller Tod desfälle 1,5 Suizidbeihilfe 10 1,0 aktive Sterbehilfe auff Verlangen V l 0,5 0,0 CH 2001 CH 2013 Van der Heide A et al (2003) End-of-life decision-making in six European countries: descriptive study. Lancet 362:645-650 Schmid M et al (2013) Medizinische Entscheidungen am Lebensende. Neue Schweizer Studie. Schweiz Ärztezeitung 94:1203-1204 …und in Deutschland? Schildmann J, Dahmen B, Vollman J (2014) Ärztliche Handlungspraxis am Lebensende: Ergebnisse einer Querschnittsumfrage unter Ärzten in Deutschland Dtsch Med Wochenschr 140: e1-e6 e1 e6 Rücklaufquote: 36,9% ! Schildmann J, J Dahmen B, B Vollman J (2014) Ärztliche Handlungspraxis am Lebensende: Ergebnisse einer Querschnittsumfrage unter Ärzten in Deutschland. Dtsch Med Wochenschr 140: e1-e6 § 16 Beistand für Sterbende Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung g ihres Willens ihrer Würde und unter Achtung beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Deutsche Bundesärztekammer. Muster-Berufsordnung für in D t hl d täti Deutschland tätige Ä Ärztinnen ti und dÄ Ärzte t (St (Stand d 2011) Deutschland: Gesetzesvorschlag für die Regelung des assistierten Suizids Suizidbeihilfe soll verboten werden. Ausnahmen: Angehörige oder Ärzte Ärzte. Im Falle ärztlicher Sterbehilfe gelten folgende Bedingungen für die Straffreiheit: • Der D A Arzt muss zuvor die di Freiwilligkeit F i illi k i d des S Suizidwunsches i id h geprüft üf und den Patienten umfassend und lebensorientiert über andere, insbesondere palliativmedizinische Möglichkeiten aufgeklärt h b haben. • Es muss ein zweiter unabhängiger Arzt hinzugezogen werden. • Zwischen dem Aufklärungsgespräch g g p und dem anschließend geäußerten Wunsch nach Beihilfe müssen mindestens zehn Tage verstreichen. • Jede Form der Werbung g für Suizidbeihilfe soll verboten werden. Borasio GD, Jox RJ, Taupitz J, Wiesing U (August 2014) Gesetzesvorschlag für die Regelung des assistierten Suizids in Deutschland http://www.kohlhammer.de/wms/instances/kohportal/data/downloads/Presse/Pr essemitteilung_Gesetzesvorschlag_assistSuizid.pdf Schlüsselerfahrungen von Euthanasie leistenden holländischen Hausärzten 1. Beziehung zum Patienten • „Ich muss jemandem sehr zugetan sein, um Euthanasie leisten zu kö können“ “ • „Ich fühlte mich durch das Vertrauen geschmeichelt“ 2. Rolle der Familie • „Was mich am meisten beeindruckt hat, war das Engagement der Familie. Ich fand das einzigartig.“ • „Die halbe Familie war im Zimmer, und sie sagten: g ‚Wir g gehen jjetzt für fünf Minuten nach oben und kommen zurück wenn es vorbei ist.’ Ich fühlte mich entsetzlich manipuliert.“ 3. Gesellschaftlicher Druck • „Im Rückblick waren wir verrückt, es zu tun. Wer bin ich, um so etwas zu machen? Die Euthanasie wurde uns einfach vor die Nase gesetzt. Es ist eine scheussliche Aufgabe.“ 4. Einsamkeit • „Ich fühlte mich sehr einsam. Ich konnte das mit niemandem teilen.“ Van Marwjik H et al (2007) Impact of euthanasia on primary care physicians in the Netherlands. Palliat Med 21:609-614 (Übersetzung: G. Bosshard) Trends in der Entwicklung der Suizidbeihilfe: Versuch einer Zusammenfassung... „Doctors find themselves caught between society at large and professional concerns. O the On th one hand, h d a significant i ifi t and d growing i proportion of the population in many Western countries seem to want assisted dying to be available as an option. On the other hand, an overwhelming majority of medical organizations continue to view assisted dying as incompatible with the ethical codes of their profession.“ f i “ Aus: Materstvedt LJ, Bosshard G. Euthanasia and palliative care. In: Cherny N. et al. Oxford Textbook of Palliative Medicine, 5th edition (neu erschienen im April 2015), p. 320.
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