Predigt Nr

Gedanken zu Markus 10,13-16 par Mt 19,13-15
KINDER UND SEGEN
Pfr. Daniel Eschbach am 06.03.2016 im Familiengottesdienst in der EMK Oberglatt
Liebe Gemeinde,
die Geschichte von der Segnung der Kinder durch Jesus ist etwas Spezielles. Von keinem anderen religiösen Lehrer seiner Zeit
wird etwas Ähnliches berichtet wie das, was Jesus hier tut. Zugleich ist die Geschichte so wichtig, dass sie gleich von drei Evangelien berichtet wird. - Ihre Botschaft ist zunächst einmal die Folgende: Kinder gehören dazu. Sie sind ohne Einschränkung
vollwertige Teile der Gemeinschaft, der Gemeinde. Als solche sind sie zu respektieren. Ihre Bedürfnisse sind wichtig und ihre
Beiträge sind ernst zu nehmen.
Das mag in unseren heutigen Ohren selbstverständlich, ja schon fast banal klingen. Das kommt daher, dass in unserer Zeit mehr
für Kinder getan wird und Kinder mehr Rechte haben als in irgendeiner anderen Epoche der Geschichte. Damals, zur Zeit Jesu,
war das anders. Kinder galten als Menschen 2. oder sogar 3. Klasse. Sie mussten schauen, den Erwachsenen, d.h. in erster Linie
den Männern nicht in die Quere zu kommen. Sonst kamen sie leicht unter die Räder. Was die Jünger ihnen gegenüber taten –
sie anzuherrschen und wegzuscheuchen – war sogar vergleichsweise zurückhaltend. Immerhin scheint keiner dreingeschlagen
zu haben. Und logisch war das Verhalten der Jünger damals ausserdem. Wenn Erwachsene ernsthafte Dinge taten oder diskutierten, dann hatten Kinder dabei nichts zu suchen. Insofern hatten die Jünger wohl ehrlich den Eindruck, ihren Meister vor
unangemessener Störung und Behinderung in seinem Auftrag zu schützen, indem sie die Kinder von ihm fernhielten.
Jesus freilich sieht das ganz anders. Er weist seine Jünger in die Schranken, ja er wurde zornig, wie z.B. das Mk-Ev berichtet.
Kinder gehören in seinen Augen ohne Einschränkung dazu. Sie dürfen nicht von der Gemeinschaft mit ihm ausgeschlossen
werden. Und er macht Kinder sogar zum Vorbild für andere, so berichtet jedenfalls Mk 10,15: „Amen, ich sage euch: Wer das
Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht in es hineinkommen.“ Angespielt wird darauf auf die Vertrauensseligkeit
von Kindern und auf ihre Fähigkeit, Geschenktes selbstverständnlich und dankbar anzunehmen. Gott gegenüber sollen wir uns
wie Kinder verhalten, im Bewusstsein unserer Abhängigkeit von ihm, ihm ganz vertrauend und wissend, dass er für uns sorgt.
Also: Kinder gehören unbedingt und ganz dazu zur Gemeinde. Nicht nur dann, wenn sie mäuschenstill auf ihrem Platz sitzen,
sondern auch, wenn sie laut und überstellig oder ein wenig frech werden, wenn sie stören. Sie sind ein wichtiger, unverzichtbarer Teil der Gemeinde. Eigentlich ganz selbstverständlich, oder nicht? – Naja, immer wieder höre ich die Aussage, Kinder
(und Jugendliche) seien die Gemeinde von morgen oder die Zukunft der Gemeinde. Ich meine zu verstehen, was damit in der
Regel gemeint ist. Und doch frage ich mich, ob die Aussage nicht auch entlarvt, dass wir vielleicht nicht ganz so kinderfreundlich
sind, wie wir meinen. Im Sinne Jesu müsste die Aussage doch noch besser lauten: Kinder sind nicht erst morgen Gemeinde. Sie
gehören schon heute dazu. Sie haben genau so viele Rechte wie alle anderen auch und verdienen es, ernst genommen und
respektiert zu werden.
Das zweite von der Geschichte angesprochene Thema ist der Segen. Was bedeutet das eigentlich? – Bischof i.R. Walter Klaiber
schreibt in seinem Kommentar zum Mk-Ev: „Nur hier wird davon berichtet, dass Jesus Menschen segnet. Es ist kaum zufällig,
dass er dies gerade bei Kindern tut. Segnen heisst von seiner alttestamentlichen Bedeutung her, schöpferische Lebenskraft und
-fülle an andere weiterzugeben. … Es ist Jesus wichtig, Kindern das zu geben, was sie für ihr Leben so nötig brauchen wie das
tägliche Brot, nämlich Gottes Leben spendende Gegenwart. Die Perspektive des Reiches Gottes schliesst die Förderung und den
Schutz des Lebens derer ein, in denen das Leben sich erst entfaltet und wächst und die darum auch so verletzlich sind.“
Dieses Zitat ist sozusagen eine Zusammenfassung zum Voraus. Wir haben noch ein wenig Zeit, also teile ich noch einige Gedanken zum Thema SEGEN mit ihnen:
I. WAS IST SEGEN?
Das Wort Segen hat, trotz offensichtlicher biblisch-religiöser Zusammenhänge, bis heute einen festen Platz in der deutschen
Alltagssprache. Es sind nicht nur Christen, die statt 'viel Glück' einander 'Segen' zum Geburtstag wünschen. Es hat wohl damit
zu tun, dass den meisten Menschen bewusst ist, dass sie das Glück nicht auf ihre Seite zwingen können. Wenn einem etwas
gelingt, macht sich das Gefühl breit: Ich war zwar gut, aber das waren auch noch andere Kräfte am Werk.
Der Volksmund kennt massenhaft Sprüche, in denen 'Segen' und 'segnen' eine Rolle spielen: Wenn auf einer Sache 'kein Segen
liegt', dann sollte man schnell die Finger davon lassen. Nicht gut ist es, wenn der 'Haussegen schief hängt'. Erleichterung breitet
sich hingegen aus, wo einer sagt: "Meinen Segen hast du". Über einen 'Geldsegen' freuen sich die Betroffenen, vom 'Erntesegen' bleibt auch die hochindustrialisierte Gesellschaft abhängig. Wenn etwas 'abgesegnet' ist, dann ist für eine bestimmte
Entscheidung grünes Licht gegeben worden. Vom 'gesegneten Alter' spricht man, wenn jemand Geburtstage jenseits des statistischen Durchschnitts feiern kann. Wenn es heisst, einer habe 'das Zeitliche gesegnet', dann ist diese eine behutsame Umschreibung dafür, dass jemand gestorben ist ...
In solchen sprachlichen Eigenheiten werden viele Facetten dessen sichtbar, was sich Menschen unter 'Segen' vorstellen. Freilich sind diese Vorstellungen nicht alle miteinander harmonisierbar, mischen sich darin doch Glaube und Aberglaube, religiöse
und magische Vorstellungen, biblische Zusagen und fromme Wunschvorstellungen ...
In der Bibel kommen die Worte für 'segnen', 'Segen' etc. über 1000mal vor, markieren also ein sehr wichtiges Thema. Zunächst
fällt dabei auf, dass es nur einen Begriff (hebr. 'barak'; griech: '
') gibt, der je nach Zusammenhang eben 'segnen' oder aber
'lobpreisen' heisst (vgl. engl. 'to bless'). D.h. die Bibel sagt nicht nur 'Gott segnet die Menschen', sondern spricht fast genauso oft
davon, dass Menschen Gott segnen. Das zeigt, dass 'Segen' nichts Abstraktes ist, sondern in die Beziehung zwischen Gott und
Menschen hineingehört. Gott gibt den Menschen, was sie zum Leben brauchen und die antworten darauf mit Lobpreis und
Dank in Wort und Tat. Diese Beziehung umschreibt die Bibel mit dem einen Wort 'segnen'. Das heisst (als erste vorläufige Definition von 'Segen') Segen ist Ausdruck einer intakten Beziehung zwischen Gott und Mensch. Wenn wir dann noch bedenken dass
Sünde/Schuld immer im Zusammenhang mit Beziehungen zu sehen ist, wird auch klar: Wo die Gemeinschaft gestört ist (zwischen Gott und Mensch oder zwischen Menschen untereinander), kann sich Segen in Fluch verwandeln. Oder eben: Segen ist Ausdruck intakter Beziehungen zwischen Gott und Menschen.
Auffallend häufig kommt 'Segen' bzw. 'segnen' in der atl. Vätergeschichten vor. Die Geschichten von Abraham, Isaak, Jakob
und Joseph sind gewissermassen Veranschaulichungen der Zusammenhänge, um die es beim Segen geht. Es wird dort deutlich:
Segen ist unbedingt lebensnotwendig und gehört in den Zusammenhang der Grossfamilie. Segen wird vom Vater an den Sohn
weitergegeben. Segnen heisst: Mit heilvoller Kraft begaben.
Was Gott mit seinem Segen schenkt, beschreibt inhaltlich am genausten der Begriff 'FRIEDEN' ( 'Shalom'). Es geht um Wohlergehen im weitesten Sinn, d.h. materiell, körperlich und seelisch. Der Zuspruch des Segens bezieht sich auf die Fruchtbarkeit
der Menschen, des Viehs und des Ackers, auf Ruhe und Sicherheit vor den Feinden sowie auf Glück und Heil einer Familie wie
eines Einzelnen.
Schon das Alte Testament betont, dass die angemessene menschliche Antwort auf den Segen im Lobpreis Gottes besteht.
II. WIE WIRKT SEGEN?
(1) Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters
Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
(2) Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst
ein Segen sein.
(3) Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Gen 12,1ff
Segen bewirkt Leben im Shalom. Er bewirkt Frieden, Heilung, Gesundheit und Kraft.
Die stärkende, schützende, heilende und Gemeinschaft stiftende Wirkung des Segens ist grundsätzlich in jedem Segensspruch
angelegt. Das lässt sich an Gottes Segen für Abraham aufzeigen. Um Stärkung geht es im ersten Abschnitt dieses Segenswortes,
dass Abraham viele Nachkommen verheißen sind. Der Segen bringt auch Schutz vor allem, was Abraham gefährden kann. Und
es ist gerade der Segen, der die Macht des Fluches bricht. Der Aspekt der Heilung bezieht sich nicht nur auf die Situation der
Krankheit. Heil und Heilung sind im biblischen Maßstab immer umfassend zu sehen. Menschliches Leben kann nur gelingen heute würde man sagen: menschliches Leben wird als sinnvoll empfunden -, wenn der Mensch in seinen Beziehungen (zu
anderen Menschen, zu Gott, zu sich selbst, zu allen Dingen) im Einklang lebt. Und wenn Gott Abraham segnet - und dieser
Segen auf Zukunft angelegt ist -, dann gilt dieser Segen über Abraham hinaus, ist nicht nur auf den Einzelnen bezogen, sondern
auf die Gemeinschaft.
Grundsätzlich vereint jedes Segenswort die vier genannten Wirkungsweisen in sich. Je nach Situation liegt der Akzent aber auf
einzelnen Aspekten. So steht etwa bei der Segnung eines Kranken die heilende Wirkung im Vordergrund bzw. bei einer Ordination die stärkende und Gemeinschaft stiftende Wirkung.
Segen wirkt unwiderrufbar (vgl. der gesegnete Betrüger Jakob). Ist er erteilt, kann er nicht zurückgenommen werden. Nicht einmal
Gott tut dies. Und so ist in der Bibel mit dem Segen stets die Vorstellung verbunden, dass er wirkt, freilich nicht immer sofort
(vgl. z.B. Abraham und die verheissene grosse Nachkommenschaft ). – Dabei sind die Gründe für eine verzögerte, späte Wirksamkeit
eines Segens sind vielschichtig. Nicht zuletzt hängt es zusammen, dass der Segnende nicht über den Segen verfügt, sondern
diesen im Vertrauen und in der Hoffnung spricht, dass Gott sich dem Segen Empfangenden zuwenden. Gott aber ist frei, wann
und wie er dies tun wird.
III. (JE NACH ZEIT) GEDANKENANSTÖSSE: ANDEREN ZUM SEGEN WERDEN
a) Segnen bei Begrüssung und Verabschiedung
Auf eine erste Möglichkeit, anderen zum Segen zu werden, macht uns die Tatsache aufmerksam, dass im Hebräischen das Wort
'segnen' auch 'grüssen' bedeuten kann. In alter Zeit war es so, dass jeder Gruss - sei es zum Abschied oder zum Willkomm einen Segen bedeutete. Alte, heute kaum mehr verwendete Grussworte wie z.B. 'Grüssgott' oder das 'Bhüet di Gott' beim
Abschied weisen noch darauf hin.
Ob es möglich oder sinnvoll wäre, sich wieder so zu grüssen, weiss ich nicht. Ganz sicher aber dürften wir vermehrt jede Begegnung mit Menschen als Gelegenheit zum Segnen wahrnehmen. Sollte ich in der Situation die Worte nicht finden, um meinen
Segenswunsch auszudrücken, kann ich ja auch ein stilles Gebet mit dem Gruss verbinden. Ich denke, dass es da einiges zu
entdecken gäbe, wenn wir lernten, einander bewusster zu segnen.
b) Auf Gott hinweisen
Segen hat mit meiner Beziehung zu Gott zu tun. Diese Beziehung geht an meinem Mitmenschen nicht vorbei, sondern schliesst
ihn sogar ausdrücklich ein. Das bekannte Liebesgebot bezieht sich auf Gott und den Nächsten. So könnte meine Beziehung zum
Mitmenschen gerade dann besonders gut gelingen, wenn ich ihn auf Gott aufmerksam machen kann. Das könnte meinem
Nächsten zum Segen werden, wenn er durch mich mit Gott in Beziehung treten kann. Anderen zum Segen werden könnte also
auch heissen, sie - wie auch immer - auf Gott und seine Liebe zu ihnen hinzuweisen.
Dass meine Beziehungen zu Gott und zu meinen Mitmenschen nicht voneinander zu trennen sind, wird in der Bibel nirgends
deutlicher als im berühmten Gleichnis Jesu über das Weltgericht. "Was ihr einem von meinen Geschwistern getan habt, das
habt ihr mir getan!" Konkret heisst das: Hungernde speisen, Durstige tränken, Nackte kleiden, Gefangene besuchen, Fremde
aufnehmen etc. Wo ich da bin für die Menschen um mich herum und ihre Anliegen und Nöte, da werde ich ihnen zum Segen.
Erst recht dann, wenn sie an meinem Verhalten (und vielleicht auch meinen Worten) die Liebe Christi ablesen können und so auf
ihn aufmerksam werden.
c) "Segnet, die euch verfluchen!"
"Du sollst ein Segen sein!" Im NT ist dieser Auftrag gesteigert in Jesu Wort: "Segnet, die euch verfluchen!" Das ist ja nun sehr
schwierig und - so zeigt unsere Erfahrung - nur teilweise in unserem Leben umzusetzen. Die Feindesliebe bleibt für uns eine
Zielformulierung, der wir uns ein Leben nur annähern können, ohne sie wirklich ganz zu erreichen.
Aber vielleicht wäre schon ein erster Schritt in diese Richtung mehr als nur Kosmetik. Wenn ich lernen könnte, über jene, die
mich ärgern (sie brauchen mich noch nicht einmal zu verfluchen) nicht zu schimpfen. Das wäre schon etwas. Und als zweiten Schritt
könnte ich versuchen, für sie zu beten, die meinen Weg so kreuzen, dass ich ins Stolpern gerate.
"Segnet, die euch im Weg sind!" Wieviel könnte sich ändern, wenn wir nur unsere rechthaberischen und ärgerlichen Reaktionen
überwinden und durch Gebete ersetzen lernten. Als von Gott Gesegnete sollen wir unsren Mitmenschen nicht zum Stein des
Anstosses, sondern zum Segen werden. Es ist unser Auftrag, zum Gelingen ihres Lebens beizutragen. Dazu gebe Gott seinen
Segen!