Predigt über Lukas 15, 1-3.11-32; 3. So. n. Trin., 21.06.2015, Ispringen „Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: ... Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land, und er fing an zu darben und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm. Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner! Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen und rief zu sich einen der Knechte, und fragte, was das wäre. Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“ Ihr Lieben, man nennt es – wie jeder weiß - das Gleichnis vom verlorenen Sohn,. Und so könnte man meinen, dass der verlorene Sohn natürlich auch die Hautrolle in dieser Geschichte spielt. Das liegt wohl auch daran, dass Jesus so ausführlich von ihm erzählt. Er ist der jüngere von zwei Brüdern, und von ihm geht die Initiative aus. Er will raus, er will aussteigen aus dem, was man Familie nennt. Er will nicht länger arbeiten, er will keine Verantwortung übernehmen, und er will keine Sohnespflichten mehr erfüllen müssen. Ich denke mal, er hat – wie man so schnodderig sagt – die Nase oder Schnauze - gestrichen voll. Er stellt Forderungen. Er besteht auf der vorzeitigen Auszahlung seines Erbteils und lässt alles hinter sich. Das Leben in vollen Zügen genießen, nach Herzens Lust und Laune leben zu können – welcher junge Mensch träumte nicht davon? Doch seine Rechnung geht leider nicht auf. Der Absturz ist tief und tut körperlich und seelisch sehr weh. Er landet bei den Schweinen, und dort muss er darben. Das heißt: nicht einmal der Schweinefraß wird ihm als Nahrung zur Verfügung gestellt. Er befindet sich wie im freien Fall, und wenn er weiter zu fällt, dann klatscht/prallt er auf wie ein Fallschirmspringer, dessen Fallschirm nicht aufgeht. Eine Reißleine, die wäre jetzt gut. Die Reißleine sind seine Erinnerungen und sein Wunsch, wenigstens Brot zu bekommen, so wie die Tagelöhner seines Vaters. Und er zieht die Reißleine und macht sich auf den Weg: beschämt, reumütig, schuldbewusst und erbärmlich anzuschauen. Wer ihn so sieht und wer vor allem riecht, wo er herkommt, der kann nur entsetzt abwenden von dieser jämmerlich gescheiterten Person. So schillernd und ausführlich schildert Jesus diesen Menschen und sein Schicksal, dass man tatsächlich meinen könnte, er sei die Hauptperson in diesem Gleichnis, weil er das ganze Augenmerk auf sich zieht. - Und nicht zuletzt haben die Bibelherausgeber ihren Teil dazu beigetragen, indem sie dieses Gleichnis überschrieben haben mit den Worten: „Vom verlorenen Sohn“. Doch, ihr Lieben, der persönliche Werdegang dieses Menschen, die Verlorenheit dieses Sohnes, sein freier Fall bis hin zu den Schweinen, das alles ist aus meiner Sicht nicht das Herzstück dieser Geschichte. Das ist alles nur ausschmückendes Beiwerk und dient als Negativfolie letztlich nur dazu, die positive Barmherzigkeit des Vaters umso heller und strahlender aufleuchten zu lassen. Die Barmherzigkeit des Vaters, seine Liebe zu diesem Sohn, seine Begeisterung für dessen Rückkehr, seine Freudentränen, sein aufgehendes Herz als er schon von Weitem seinen Sohn daherkommen sieht, - dieser Vater, sein Handeln und seine Einstellung, sein überschäumendes Erbarmen, das alles, ihr Lieben, das ist das eigentliche Thema dieses Gleichnisses. Er, der Vater, er ist das Herzstück dieser Geschichte. - Wer mich fragt, dem würde ich sagen: Die Überschrift zu diesem Gleichnis müsste nicht lauten „Der verlorene Sohn“, sondern sie müsste vielmehr heißen: „Der einzigartige, barmherzige Vater“. Ich denke, damit wäre unser Augenmerk jetzt auf den gerichtet, von dem Jesus eigentlich erzählt und den er eigentlich in den Mittelpunkt stellen möchte. Dieser einen väterlichen Hauptfigur, diesem Vater mit all seiner Barmherzigkeit und mit all seiner Herzenswärme, diesem gnädigen und liebevollen Papa, – nachdem man das Gleichnis gehört hat – jetzt soll ihm alle Bewunderung zuteil werden. - Und dieser Bewunderung, ihr Lieben, möchte ich heute und jetzt freien Lauf lassen! Gleich zu Beginn der Erzählung verspüre ich Bewunderung für den Vater, denn er schweigt. Was muss den Vater dieses Schweigen zu den Plänen seines Sohnes gekostet haben!? Er schweigt zu den absurden Aussteigerplänen seines Sohnes. Sicherlich leidet er, aber er schenkt seinem Sohn alle Freiheiten. Kein Wort sagt er dazu. Er hat die Größe, seinen Sohn gehen zu lassen. Er legt ihm keine Steine in den Weg, er macht ihm keine Vorhaltungen, er klammert nicht, kein Zwang: „Schließlich ist du mein Sohn. Du musst aber ...“ Er legt seinem Sohn keine emotionalen Ketten an, indem er sagt: „Ach, mein lieber Sohn, was tust du mir, deinem Vater, damit an!“ Nein, dieser liebende Vater gibt bei und schenkt Freiheit. Unausgesprochen höre ich dennoch seine Zustimmung: „Nun, mein Sohn, wenn du meinst gehen zu müssen ... aber meine guten Gedanken und Gebete werden dich begleiten.“ Ihr Lieben, so ist unser Vater im Himmel. Er benutzt keine Repressalien, keine Strafandrohungen, wenn eins seiner Kinder meint, sich von ihm lossagen und abwenden zu wollen. Er gewährt uns die Freiheit, sicherlich selbst daran leidend, aber wenn wir denn wollen, dann lässt er uns losgehen. - Ja, ich bewundere diesen selbstlosen und uneigennützigen Vater! Aber noch viel mehr geht mir das Herz für diesen Vater auf, wenn ich höre und mit meinen Augen sehe, wie er aus seinem Haus herausgerannt kommt, weil er von ferne seinen gescheiterten Sohn kommen sieht. „Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“ Der Zustand seines Sohnes und der Schweinegestank in seinen zerfetzten Klamotten, das alles ist vollkommen nebensächlich. Nichts hält den Vater davon ab, diesen Sohn zu umarmen und ihn zu liebkosen. Unvergessen bleibt für mich die Szene in dem Lutherfilm. Da sitzen Kinder um Martin Luther herum versammelt, und er erzählt ihnen dieses Gleichnis. Und da fragt er die Kinder: „Warum rennt der Vater seinem Sohn entgegen? Reiche Leute rennen doch nicht!“ Und als die Kinder schweigen, sagt Martin Luther: „Weil er Angst hat. Angst, sein Sohn könne es sich anders überlegen und wieder weggehen. „So leidenschaftlich liebt der Vater,“ sagt Luther, „dass er seinem Sohn entgegenläuft, um ihn in die Arme zu nehmen und ihn festzuhalten, damit er nur nicht wieder wegläuft.“ „Und wisst ihr, wie man das nennt?“ fragt Luther die Kinder. „Das nennt man Barmherzigkeit.“ Ja, für diesen einzigartigen, barmherzigen Vater schlägt mein Herz. Da geht mir das Herz auf, wenn ich höre und sehe, was diesen Vater bewegt und wie er seinem Sohn entgegenläuft und ihn umarmt und ihn festhält. Wieder ganz ohne Vorwürfe, ohne Rechthabereien: „Wie kommst du denn daher? Ich hab’s mit doch gleich gedacht! Schämen muss man sich für dich!“ Nein, einfach nur glücklich, überglücklich, dass sein Sohn den Weg nach hause gefunden hat. Alles andere spielt jetzt überhaupt keine Rolle. Die Vergangenheit spielt keine Rolle, nichts Trennendes fällt mehr ins Gewicht, im Gegenteil, jetzt ist alles wieder gut, so gut wie vorher. Die Freude eines Vaters, der barmherzig ist, kennt keine Grenzen! „Bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“ Meine Bewunderung für diesen einzigartig barmherzigen Vater kennt auch keine Grenzen. Denn er nimmt nicht nur den heimgekehrten Sohn in seine Arme, sondern auch für den anderen gilt seine Barmherzigkeit. Der steht draußen, verärgert, verbittert, protestierend und mit vielen Vorwürfen. Doch auch zu ihm kommt der Vater heraus, auch ihm kommt der Vater liebevoll entgegen, und er bittet ihn freundlich, doch hereinzukommen und an dem Freudenfest teilzunehmen. „Da ging sein Vater zu ihm heraus und bat ihn hereinzukommen.“ So ist unser Gott, ihr Lieben. Wem sollte da nicht vor Bewunderung für ihn das eigene Herz aufgehen?! Wer wollte diesem Vater im Himmel sein Herz verschließen wollen? Naja, ich weiß, und ich kenne das auch: Es gibt auch bei mir immer wieder Beweggründe, die mich zeitweise ganz in die Nähe des verlorenen Sohnes rücken. Da wendet man sich vom Vater ab, man blendet ihn aus, will zeitweise nichts mit ihm zu tun haben. So sind wir Menschen. So sind wir Christen. Wir wollen unsere Freiheiten. Möglichst keine Verpflichtungen, möglichst nicht verantwortlich sein gegenüber dem Vater und seinen anderen Kindern. – Manchmal ist mir der verlorene Sohn gar nicht fremd. Und andererseits gibt es auch für mich immer wieder Beweggründe, vielleicht empört oder gar verbittert zu sein, so wie der ältere Sohn, wenn ich sehe, dass der Vater im Himmel offenbar nicht die Menschen straft, die meiner Ansicht nach all seinen Zorn und all seine Strafe verdient hätten. Ja, man könnte sich empören über diese Form göttlicher Barmherzigkeit, die allen Verstand übersteigt und die alle vernünftigen Grenzen überschreitet und auf „Schmuddelkinder“ zugeht und sie umarmt. So sehr umarmt, dass selbst die schlimmste und verwerflichste Vergangenheit keine Rolle mehr spielt und alles, alles wieder so gut ist wie vorher. Ihr Lieben, ein Ort, wo das geschieht, den haben wir hier heute erlebt. Die Beichte und der Zuspruch der Vergebung, das ist die Geschichte, die Jesus erzählt. Die Vergebung, die dort ausgesprochen und auf den Kopf zugesagt wird, das ist Gottes Vergebung. Nicht ich, nicht meine Verlorenheit steht dabei im Mittelpunkt; nicht meine Schuld verdient höchste Aufmerksamkeit. Nein, das Herzstück des Ganzen ist die Barmherzigkeit unseres Vaters im Himmel und seine Freude über jeden, dem er entgegenlaufen kann, um ihn bei sich für immer festzuhalten. Ihr Lieben, Bewunderung für diesen Gott ist eigentlich noch viel zu wenig! Wenn einem da nicht das Herz aufgeht, wenn Jesus dieses Gleichnis erzählt. Denkt bitte daran: Es ist eigentlich nicht das Gleichnis vom verlorenen Sohn, sondern es ist vielmehr das Gleichnis vom einzigartig barmherzigen Vater, unserem Vater im Himmel. Amen.
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