Kommission leitet gegen Ungarn

Europäische Kommission - Pressemitteilung
Kommission leitet gegen Ungarn Vertragsverletzungsverfahren wegen
asylrechtlicher Verstöße ein
Brüssel, 10. Dezember 2015
Kommission leitet gegen Ungarn Vertragsverletzungsverfahren wegen asylrechtlicher
Verstöße ein
Die Europäische Kommission hat Ungarn heute ein Aufforderungsschreiben übermittelt, mit dem ein
Vertragsverletzungsverfahren wegen der kürzlich verabschiedeten ungarischen Asylrechtsvorschriften
eingeleitet wird. Nach Auffassung der Kommission sind einige der ungarischen Asylrechtsvorschriften
nicht mit dem EU-Recht (insbesondere Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU)
und Richtlinie über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren
(Richtlinie 2010/64/EU) vereinbar.
Die Kommission hatte bereits die im Juli und September 2015 vom ungarischen Parlament als Reaktion
auf die Migrationskrise verabschiedeten Gesetzesänderungen geprüft und den ungarischen Behörden
ein Verwaltungsschreiben mit ihren vorläufigen Bedenken übermittelt. Nach sorgfältiger Prüfung der
Antwort der ungarischen Behörden konnten mehrere Bedenken nach wie vor nicht ausgeräumt werden:
Erstens befürchtet die Kommission im Hinblick auf die Asylverfahren, dass es im Rahmen von
Rechtsbehelfen nicht möglich ist, auf neue Fakten und Umstände zu verweisen, und dass Ungarn
Entscheidungen im Falle der Einlegung von Rechtsbehelfen nicht automatisch aussetzt,
sondern dass Antragsteller bereits vor Verstreichen der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs
oder vor der Prüfung des Rechtsbehelfs effektiv gezwungen werden, ungarisches Hoheitsgebiet
zu verlassen. In der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie sind gemeinsame Verfahren für die
Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und klare Vorschriften für die
Beantragung von Asyl festgelegt. Sie gilt für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im
Hoheitsgebiet – auch an den Grenzen, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen – der
Mitgliedstaaten gestellt werden.
Zweitens befürchtet die Kommission im Hinblick auf das Recht auf Dolmetschleistungen und
Übersetzungen, dass das ungarische Gesetz über beschleunigte Strafverfahren wegen irregulären
Grenzübertritts gegen die Vorschriften der Richtlinie über das Recht auf Dolmetschleistungen
und Übersetzungen in Strafverfahren verstößt, die sicherstellt, dass jede verdächtige oder
angeklagte Person, die die Verfahrenssprache nicht versteht, eine schriftliche Übersetzung aller
wichtigen Dokumente, auch eines etwaigen Urteils, erhält.
Drittens bestehen im Hinblick auf das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein
unparteiisches Gericht nach Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bedenken
hinsichtlich der Tatsache, dass gemäß den neuen ungarischen Vorschriften zur gerichtlichen
Überprüfung von Entscheidungen über die Ablehnung eines Asylantrags eine persönliche Anhörung der
Antragsteller fakultativ ist. Zudem scheint der Umstand, dass gerichtliche Entscheidungen von
Gerichtssekretären auf vorgerichtlicher Ebene getroffen werden, einen Verstoß gegen die
Asylverfahrensrichtlinie und Artikel 47 der Grundrechtecharta zu begründen.
Aufgrund dieser Bedenken hat die Kommission heute ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und
Ungarn ein Aufforderungsschreiben übermittelt. Die ungarischen Behörden haben zwei Monate Zeit, um
der Kommission zu antworten.
Zusätzlich zu dem diese Punkte betreffenden Aufforderungsschreiben wird die Kommission weiterhin
bilaterale Kontakte mit den ungarischen Behörden unterhalten und zusätzliche Erläuterungen zu
anderen noch offenen Punkten verlangen.
Hintergrund
Ein Aufforderungsschreiben stellt als erstes offizielles Auskunftsersuchen die erste Stufe des
Vertragsverletzungsverfahrens dar. Die ungarischen Behörden haben nun zwei Monate Zeit, um auf die
Argumente der Europäischen Kommission zu reagieren. Erhält die Kommission von Ungarn keine oder
keine zufriedenstellende Antwort auf das Schreiben, kann sie die nächste Stufe des
Vertragsverletzungsverfahrens einleiten und Ungarn eine mit Gründen versehene Stellungnahme
übermitteln. Erforderlichenfalls kann die Kommission anschließend beim Gerichtshof der Europäischen
Union Klage einreichen.
Weitere Informationen
Überwachung der Rechtsvorschriften der EU im Bereich Inneres
Wichtige Beschlüsse zu Vertragsverletzungsverfahren im Dezember 2015: MEMO/15/6223
Allgemeines zum Vertragsverletzungsverfahren: MEMO/12/12
Vertragsverletzungsverfahren
IP/15/6228
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