Mitteilungen der Juristischen Zentrale VERTRAGSANWÄLTE Nr. 55/2015 03.09.2015 Ni UNGARN: Geltendmachung von Mautnachforderungen mittels eines Europäischen Zahlungsbefehls Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Juristischen Zentrale wurde aktuell ein Fall vorgelegt, in dem das für die Mauterhebung auf ungarischen Autobahnen zuständige Unternehmen NÚSZ erstmalig gegenüber einem ADAC Mitglied bei einem ungarischen Gericht einen Europäischen Zahlungsbefehl erwirkt hat. Vorangegangen war die Aufforderung zur Zahlung einer Gebühr wegen nicht ordnungsgemäßer Entrichtung der Autobahnmaut (vgl. zum Thema auch Mitteilung für Vertragsanwälte Nr. 54/2015). Im Rahmen des sog. Europäischen Mahnverfahrens kann ein Gläubiger aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls bei einem Gericht in seinem Wohnsitzstaat stellen. Grundlage hierfür ist die EGVerordnung Nr. 1896/2006. Wird diesem stattgegeben und dieser ordnungsgemäß an den deutschen Schuldner zugestellt, muss binnen 30 Tagen beim ungarischen Gericht Einspruch dagegen eingelegt werden. Anderenfalls wird der Zahlungsbefehl zu einem in Deutschland vollstreckbaren Titel. Da für die Prüfung des Einspruchs gegen den Europäischen Zahlungsbefehl das Gericht des Staates zuständig ist, das den Zahlungsbefehl erlassen hat (hier das ungarische Gericht) und zunächst geprüft werden sollte, ob tatsächlich Erfolg versprechende Einspruchsgründe vorliegen, empfiehlt sich im Einzelfall die Konsultierung eines ADAC Vertrauensanwalts in Ungarn. Folgende Einspruchsgründe könnten unter anderem – je nach Einzelfall – in Betracht kommen: • Nachweis der bereits erfolgten fristgerechten Entrichtung der Mautnachforderung • Die Zusendung der ersten Zahlungsaufforderung der ungarischen Autobahnbetreibergesellschaft NÚSZ oder eines von ihr beauftragten Inkassounternehmens wegen Nichtentrichtung bzw. nicht ordnungsgemäßer Entrichtung der Maut erfolgte mehr als 60 Tage nach dem Verstoß. Gemäß § 33/B. Abs. (5) des (ungarischen) Gesetzes Nr. I von 1988 über den Straßenverkehr muss die erste Zahlungsaufforderung binnen 60 Tage nach dem Verstoß dem Halter zugeschickt werden. 2 Gemäß Art. 22 der VO darf im Rahmen einer aus dem Europäischen Mahnverfahren resultierenden Vollstreckung in Deutschland keine materielle Prüfung der Forderung und insbesondere keine Ordre-public-Kontrolle mehr erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 24.04.2014 – VII ZB 28/13; NJW 2014, 2363). Da damit kaum Gründe für einen erfolgreichen Antrag auf Vollstreckungsverweigerung in Deutschland verbleiben, muss – sofern entsprechende Gründe vorliegen – bereits die Einspruchsmöglichkeit gegen den Europäischen Zahlungsbefehl genutzt werden, um gegebenenfalls eine Zahlung abzuwenden. In diesem Falle geht das Verfahren in ein ordentliches Zivilverfahren nach Maßgabe des ungarischen Rechts über (Art. 18 der VO). Wird dem Einspruch in diesem Verfahren nicht stattgegeben und die Forderung durch Urteil des ungarischen Gerichts bestätigt, kann diese dann wiederum auf Grundlage der Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO in Deutschland vollstreckt werden. Anders als beim Europäischen Mahnverfahren/Zahlungsbefehl könnte in diesem Verfahren im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung des Titels in Deutschland in Bezug auf einen vom Halter nicht genehmigten fingierten Vertragsschluss des Fahrers mit der Autobahngesellschaft der Ordre-Public-Vorbehalt (Art. 6 EGBGB) eingewendet werden (vgl. Art. 45 Abs. 1 a Brüssel Ia-VO). Mangels einschlägiger Präzedenzfälle in der deutschen Rechtsprechung ist derzeit allerdings nicht absehbar, ob deutsche Gerichte dieser Argumentation mit dem Ordre-Public-Vorbehalt folgen und eine Vollstreckung verweigern werden. Bitte teilen Sie uns mit, wenn Ihrer Kanzlei vergleichbare Europäische Zahlungsbefehle vorgelegt werden. Vielen Dank! Mit freundlichen kollegialen Grüßen Dr. Markus Schäpe Leitung Juristische Zentrale
© Copyright 2024 ExpyDoc