bücher - BIOspektrum

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· B ÜCH E R
Sex macht Spaß, aber viel Mühe
Vladimir Kochergin,
Steffen Münzberg, Susanne Thiele
224 S., Orell Füssli Verlag, Zürich, 2014.
Geb., 14,95 O.
ISBN: 978-3-280-05557-1
auch als E-Book erhältlich
ó Reingefallen! Vermutlich lesen Sie
diese Rezension wegen des Titels:
Unser Gehirn reagiert auf das Stichwort Sex – dagegen können wir uns
kaum wehren. In diesem Fall brauchen Sie aber kein schlechtes Gewissen zu haben, denn es geht um
biologische Grundlagen. Die Autoren
schildern in einer lockeren und lebendigen Sprache, wie Sexualität entstanden ist und wie sie uns bis heute prägt. Sehr verständlich und bildhaft erklären sie die Rolle von GenDurchmischung und gefilterten Mutationen, Anpassungsstrategien etwa
gegen Parasiten, bis hin zu Mischformen wie beim Bambus, der sich jahrelang asexuell vermehrt, um schließlich plötzlich zu blühen und abzusterben – und so die Bambusfresser
wieder in ihre Grenzen zu weisen. Sie
beschreiben die Konjugation bei Bakterien, fesseln mit biologischen Geschichten etwa am Beispiel der
Schwämme und schildern die Entstehung der „echt kernigen“ Eukaryoten durch „einverleibte“ Bakterien.
Spannend ist auch die Frage nach
dem Altern: Sind Bakterien vier Milliarden Jahre alt – oder „sterben“ sie
als Individuum bei der Teilung? Anders als die Samenzellen ist die Eizelle ja ähnlich „langlebig“. Auch
Krebszellen finden in diesem Zusammenhang Erwähnung.
Ein großes Kapitel widmet sich der
Partnerwahl im Tierreich und beim
Menschen: Warum Frauen aufs Kinn
und Männer auf den Po schauen.
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Auch Emotionen, Kommunikation und
Stimme spielen eine Rolle – „Facebook“ ist uralt: Im Gesicht lesen zu
können, ist lebenswichtig. Auch wie
wir zu Männern bzw. Frauen werden,
welche Hormone uns wann prägen
und beeinflussen bis hin zu einem
kleinen Ratgeber zum Liebesleben
„aus der Affenwelt“ beschreibt das
Buch.
Nein, der Titel erweist sich nicht als
Reinfall: Das Buch erzählt und erklärt
spannend Biowissenschaft in einer
bildhaften und gesprächsnahen Sprache, mit viel Bezug zum Alltag – nicht
nur zum Sex.
ó
Anja Störiko, Hofheim
Alterungsprozesse und Neurodegeneration, Ein Überblick.
Tilman Grune
VIII, 39 S. 7 Abb., Reihe Springer Essentials,
Springer Spektrum, Heidelberg, 2014.
Brosch., 6,99 O.
ISBN 978-3-658-05613-1
auch als E-Book erhältlich
ó „Essentials liefern aktuelles Wissen in konzentrierter Form. Die Essenz dessen, worauf es als State-ofthe-art in der gegenwärtigen Fachdiskussion oder in der Praxis ankommt. Essentials informieren
schnell, unkompliziert und verständlich.“ Dies ist die Vorgabe der Essentials-Reihe des Springer-Verlages.
Das in dieser Reihe erschienene Buch
zu Alterungsprozessen und Neurodegeneration ist in der Gesamtschau für
den wenig informierten Leser sehr
gut lesbar, es wird verständlich argumentiert, zumeist auf vergleichsweise
einfachem, eindimensionalem Niveau. Der Versuch, die Komplexität
von Alterungsprozessen sowie der
Neurodegeneration auf wenigen Zei-
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len im Essentials-Format zusammenfassen zu wollen, ist aller
Ehren wert, wobei es zwangsläufig zu Auslassungen und Fehlargumentationen kommt.
Die Biochemie des Alterns ist
höchst komplex und bis heute
nicht richtig verstanden. Einige
wesentliche Theorien und Prozesse werden in diesem Buch kurz
benannt, mit einem besonderen
Schwerpunkt auf dem Thema oxidativer Stress. Die Darstellung zu
Gehirn und Neurodegeneration ist
kursorisch mit einem besonderen
Fokus auf wesentliche neurodegenerative Erkrankungen des
Menschen, so etwa Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson,
wobei die spannenden aktuellen
Entwicklungen der letzten etwa
5 Jahre leider unerwähnt bleiben.
Bei der Besprechung der Rolle
der Proteinaggregation innerhalb
der Neurodegeneration sowie der
Alterung wird das Ubiquitin-Proteasom-System als Proteinabbauprozess erwähnt, der lysosomale
Autophagieprozess, einer der
wirklichen hot topics der molekularen Medizin und Biochemie
bleibt leider völlig unerwähnt. Das
abschließende Ernährungskapitel
ist wenig griffig und der interessierte Leser tut sicherlich gut daran, auf das im Vorwort erwähnte
ausführlichere Lehrbuch des
Autors zurückzugreifen.
Zusammenfassend erscheint
mir dieses Büchlein unter Vorgabe der Reihe Essentials zwar gut
und schnell lesbar und für den uninformierten Interessierten von
Wert, eine Konzentration auf einen
thematischen Schwerpunkt (also
nur Alterung oder nur Neurodegeneration) wäre aber wohl sinnvoller gewesen als diese zu kurze Abhandlung höchst komplexer Prozesse unter Auslassung wesentlicher Befunde und Entwicklungen. Dies schreibt der Rezensent
völlig eingedenk der Tatsache, wie
schwer es ist, extrem komplexe
und teilweise unverstandene Prozesse in einfachster Form darzustellen, ohne dabei Gefahr zu laufen, die wissenschaftliche Mehr-
schichtigkeit und Komplexität der
leichten Lesbarkeit zu opfern. ó
Christian Behl, Mainz
Biotechnologie in Cartoons
Reinhard Renneberg,
Viola Berkling
keit und Lesefreude. Thematisch
passend wird in eingestreuten Boxen sachlich auf die wissenschaftlichen Grundlagen eingegangen, so dass neugierig Gewordene ihr Wissen vertiefen können.
Das Buch ist daher meiner Meinung nach ideal für Wissbegierige
von jung bis alt, die verstehen
möchten wie Biotechnologie eigentlich funktioniert. Aber auch
für Profis stellt es ein „Schmankerl“ dar, dem vielleicht der ein
oder andere Kniff entlockt werden
kann, um die eigene Arbeit verständlich und zugleich spannend
darzustellen.
ó
Hanna Berger, Bielefeld
166 S., Springer Spektrum, Heidelberg,
1. Auflage, 2015. Brosch., 19,95 O.
ISBN: 978-3-8274-2038-1
auch als E-Book erhältlich
ó Das Buch Biotechnologie in
Cartoons vermittelt in leichter und
unterhaltsamer Art und Weise die
Grundlagen der Molekularbiologie
und Biotechnologie. Der Leser
folgt dem winzigen, außerirdischen Professor Nanoroo auf seiner Forschungsreise auf der Erde.
Dabei entdeckt Nanoroo die
Bausteine des Lebens und erklärt
an Alltagsbeispielen wie viel
Biotechnologie in Brot und Waschmitteln steckt. Schnell wird klar,
dass Gentechnik auch in der Medizin und Landwirtschaft nützlich
ist, Risiken und Sorgen aber ernst
genommen werden müssen. Spielerisch erhält der Leser so einen
Eindruck wie wunderbar und aufregend Biotechnologie sein kann,
dass sie aber wie jedes Werkzeug
mit Sorgfalt eingesetzt werden
sollte.
Die Autoren nutzen viele Vergleiche und Eselsbrücken, um die
abstrakten und durchaus komplexen Inhalte darzustellen, und greifen bereits Erklärtes immer wieder auf. Durch die Einbettung des
Wissens in die Cartoons lassen
sich wesentliche Grundlagen
leicht nachvollziehen und merken.
Dass die Aussagen manchmal
knapp an der Wahrheit vorbeigehen, ist hier weniger wichtig. Im
Vordergrund stehen Verständlich-
Alt werden ohne alt zu sein
Was heute möglich ist
Rudi Westendorp
288 S., Verlag C.H. Beck, München,
2015. Geb., 19,95 O.
ISBN 978-3-406-66762-6
auch als E-Book erhältlich
ó Uninformiert über die aktuellen Shortlists der bestsellermarkierten Prominenz bekam ich dieses Buch. Ich war sehr skeptisch,
denn schon der Titel schien es auf
das überlange Bord der mit Hintergedanken gutgemeinten Ratgeber
zu stellen. Das einzig auffallende
und zum Einblick neugierig
machende war der renommierte
und zuverlässige Verlag. So tat ich
es denn und war tröstend überrascht.
Der Autor, Geriatriker (Altersmediziner – oder soll man ihn
Alternsmediziner nennen?) versteht sein Anliegen engagiert undwissenschaftlich-fundiert, durchaus mit wägend differenzierender
Kritik gegenüber Trends, darzu-
stellen, dazu in überzeugendem
Stil, der auch durch die Über setzung trägt.
Wir merken alle, dass die Menschen älter werden als noch vor
einer Generation, aber wir sehen
es nicht, hören allenfalls, neben
dem Triumph, die Sorgen um die
gesellschaftliche Solidarität in unserem Sozialsystem. Seit dem
Mittelalter, in dem der Mensch
allen Unbillen des Leibes und des
Lebens sehr gottergeben ausgeliefert war, dann der Industriellen
Revolution, erwachte mit dem
öffentlichen Gewissen auch der
Wille und das Können, die sozialen Umstände allgemein und medizinisch zu verbessern. Das kam
auch den Schaffenden zugute. Ihre Arbeitskraft und Lebenserwartung stieg. Bismarcks Sozialgesetzgebung vor 150 Jahren nahm
dafür etwa 60 Jahre an. Seitdem
ist sie kontinuierlich mit etwa einem Lebensjahr je 5 Zeitjahren
auf derzeit bald 90 gestiegen. Die
krankheitsfreie Zeit wird durch
verbesserte Diagnostik kürzer; Lebenserwartung und -qualität, das
„Sichwohlbefinden“ steigen.
Frauen und Männer werden tatsächlich alt, sind es aber nicht im
herkömmlichen Sinn der Gebrechlichkeit. Wie es dazu kommt
und ob das unbegrenzt so weitergeht, ist bio- und sozialmedizinisch vielschichtig. Die biologischen, medizinischen, vorbeugenden und pflegerischen Fakten
werden kritisch analysiert, sind
aber durchaus nicht so eindeutig
kausal verknüpft, dass sich nicht
das Ganze weiter studieren, optimieren und absoluter machen ließe. Das ist das Anliegen der von
Rudi Westendorp geleiteten Leyden Academy for Vitality and
Ageing und seiner Lang leven
studie. Das Buch voller Vernunft
und Trivialität gibt Rat, dem man
folgen kann: „Die echte Antwort
auf die Frage, wie man alt wird, ohne es zu sein, liegt in unserer eignen sozialen und seelischen Flexibilität. Das zeigen Menschen in
fortgeschrittenem Alter, die trotz
Gebrechen und Behinderungen
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vital im Leben stehen und sich ein
Gefühl des Wohlbefindens erhalten.“. Es ist ein unhysterischer
Ratgeber, der nicht bedrückt und
verunsichert. Ein eindrucksvolles
Buch!
ó
Lothar Jaenicke, Köln
Außenseiter der Wissenschaft
– Pioniere, Wegweiser,
Reformer
Franz M. Wuketits (Hrsg.)
302 S., 35 Portraits, Springer-Spektrum,
Heidelberg, 2015. Geb., 19,99 O.
ISBN: 978-3-662-45332-2
auch als E-Book erhältlich
ó Franz M. Wuketits ist Verhaltenszoologe und Biowissenschaftstheoretiker an der Universität Wien und hat von dort einen
weiten Blick in die Außenseite der
Innenseite seines Metiers. Der
Untertitel sagt recht genau, wohin
er ihn richtet und findet: Auf die
Männer und (natürlich sehr wenigen) Frauen, die den Biowissenschaften von außen her, als
Amateure im gehobenen Sinn, als
Eigenbrötler oder produktive Visionäre – Fortschritt, Innehalten
und Paradigmenwechsel gebracht
haben.
Als begabter Lehrer personalisiert er, was Eindruck machen soll
und kann das in nachdenkender
und nachvollziehender Weise
durch Erzählen und Verlesen von
eindrücklichen Lebensläufen. Er
versteht es dabei, das Seelische
zu pointieren, das in vielen dieser
Biographien steckt, und die Persönlichkeiten in ihrer Geistesstruktur so einfühlsam und lebensnah zu charakterisieren, zuweilen auch gegeneinander zu
stellen, dass die spannende Lek-
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türe eindrucksvoll, beschäftigend
und gewinnbringend zugleich ist.
Es sind bekannteste und unbekannte Naturforscher und Naturerforscher, durchaus nicht nur Lebensforscher, die Franz Wuketits
uns vorstellt, deren Lebensleistung und Einfluss auf Zeit und
Nachwelt er kenntnisreich diskutiert und mit geschickter Schattierung körperlich macht. In jedem
Fall ist es ein Vergnügen, zu erfahren, was dem Autor bei Auswahl und Überdenken eingefallen
ist und wie er es dann darstellt.
Hierzu hätte wohl auch noch
Klärendes und Anekdotisches beigereichert werden können, etwa,
was es mit Hoimar von Dithfurths
Apfelbaum und mit Lindsey
LeBlancs effizienter Elektronenwippe auf sich hat oder mit Alexander von Humboldts Aura als
aufmischender, gern gesehener
kammerherrlicher Tischgänger; Johann Wolfgang von Goethe, der in
Selbstüberschätzung des Autodilettanten sein Sonnenauge über
die spektrale Einsicht des kritisch
gebundenen bornierteren Fachmanns erhob; Erwin Chargaff, der
sich, vom arrogant triumphierenden Missbrauch seiner analytischen Sorgfalt angewidert, in den
philosophischen Schmollwinkel
zurückzog; Elisabeth Schiemann,
die ungebeugte Vavilov-Jüngerin
und Lise Meitner-Freundin, wären
der Erwähnung vielleicht wert gewesen.
Der Kognitionsforscher Franz
Wuketits führt uns Grenzgänger
und Erweiterter in irdischen und
sphärischen, auch in geistigen Dimensionen vor; durch Wissbegier
und Kombinationsgabe umtriebene Fremdgänger aus anderen Milieus, wie Joseph Priestley und Erwin Schrödinger; auch Universalgelehrte wie Goethe und Adelbert
von Chamisso; oder Hochspezialisierte, dadurch Originelle, wie
Nikolaj I. Vavilov und Barbara
McClintock.
Das gut gemachte kleine Buch
ist in jeder Beziehung (außer im
Preis) ein Geschenk.
ó
Lothar Jaenicke, Köln
Prähistorische Anthropologie
Gisela Grupe, Michaela Harbeck
und George C. McGlynn (Hrsg.)
556 S., 259 Abb., Springer Spektrum,
Heidelberg, 2015. Softcover, 69,99 O.
ISBN 978-3-642-55274-8
auch als E-Book erhältlich
ó Vor 240 Jahren begründete
Johann F. Blumenbach mit seiner
Schrift De generis humani (1775)
die Anthropologie im deutschen
Sprachraum. Seine umfassende
Schädelsammlung an der Uni versität Göttingen (heute ca. 840
Schädel) bildete dabei eine der
Grundlagen für die spätere Teildisziplin, die Prähistorische Anthropologie (PA). Diese wird mit
dem hier vorliegenden Kompendium in deutscher Sprache erstmals und umfassend gewürdigt.
Neben einer Einleitung, die auf
die wichtigsten Ziele des Buchs
kurz verweist, folgen 10 Hauptkapitel, in denen die Autoren den
aktuellen Wissenstand dieses
Fachgebiets reflektieren. Bei ihrer
Darstellung, dem didaktischen
Prinzip vom Allgemeinen zum Besonderen folgend, entwickeln sie,
ausgehend von der Makro- hin zur
Mikroebene, das gesamte methodische Repertoire von der Ausgrabung (Feldarbeit) bis hin zur
vergleichenden Auswertung von
DNA- bzw. Isotopen-Daten. Auf
ungewöhnliche Überlieferungsformen menschlicher Überreste (wie
Leichenbrände, Mumien, Moorleichen) sowie aktuelle juristische
und ethische Fragen (Restitution
etc.) wird ebenfalls ausführlich
eingegangen. Jedes Kapitel steht
dabei für sich und wird mit der aktuellen Literatur abgerundet.
Das äußerst anschaulich gestaltete, verständlich verfasste
und handliche Buch ist im Bestreben, die Anthropologie mit ihrer
240jährigen Geschichte und Tradition weiterhin im Fächerkanon
der Universitäten zu erhalten, ein
wichtiger Bestandteil, gilt doch die
Anthropologie bis heute als „Kleines Fach“. Wie wichtig dieses
Fachgebiet ist, zeigen die „kaum
zu bewältigenden Nachfrage[n]
nach deren Expertise vonseiten
der Archäologie“ (S. 13). So steht
als Quintessenz und Appell der
Autoren, dass die PA mit ihren Erkenntnissen „über Menschen vergangener Zeiten als geschichtsbildender und geschichtstragender Faktor mit seinem Alltagserleben, seinen Handlungen und
Handlungsfolgen“ einen unmittelbaren immanenten Gegenwartsbezug besitzt, weil eben nur „das
als bekannt und verstanden gelten
kann, dessen Werdegang erkannt
und verstanden wurde“ (ebd.). Es
bleibt zu hoffen, dass sich die universitäre Lehr- und Forschungslandschaft nicht dieses kulturgeschichtlich und wissenschaftshistorisch einmaligen Ansatzes beraubt!
Das Werk im gehobenen Preisniveau kann sowohl wissenschaftlichen Laien wie auch Natur- und Geisteswissenschaftlern
gleichsam empfohlen werden. ó
Uwe Hoßfeld, Jena
Karrieretrends – für
Naturwissenschaftler,
Mediziner & Ingenieure
Capsid GmbH (Hrsg.)
350 S., jobvector, Düsseldorf, 6. Auflage
2015. Geb., 10 O.
ISBN: 978-3-9813951-7-4
ó Nach dem biowissenschaftlichen Studium stellen sich fast alle Absolventen die gleiche Frage:
Wie geht es jetzt weiter? Die meisten haben die klassische Karriere
in Forschung und Entwicklung im
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Kopf oder eine akademische Laufbahn. Es gibt jedoch auch noch
andere Berufsfelder. Die meisten
Studenten machen sich während
des Studiums noch keine Gedanken darüber, wie zukunftsweisend
und sicher die Branche ist oder
wie viel man als Biowissenschaftler verdienen kann.
Der Ratgeber „Karrieretrends
– für Naturwissenschaftler, Mediziner & Ingenieure“ ist in vier Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel
werden Erfahrungsberichte aus
verschiedenen Tätigkeitsfeldern
vorgestellt. Hier werden nicht nur
die klassischen Karrierewege für
Naturwissenschaftler, Mediziner
und Ingenieure aufgezeigt, sondern auch weniger bekannte, aber
durchaus reizvolle Berufsbilder,
wie z. B. Patentanwalt, Wissenschaftsredakteur und MarketingManager. Die konkreten Aufgaben
und Anforderungen, der Einstieg
in den Beruf und Perspektiven
werden näher beleuchtet. Im
folgenden Kapitel stellen sich
33 Unternehmen vor und zeigen,
welche Karriereperspektiven sie
bieten. Hier ist es ein bisschen
schade, dass die vorher gezeigten
vielfältigen Berufsbilder bei den
Firmen sehr einseitig wieder aufgegriffen werden. Denn es präsentieren sich hauptsächlich
Unternehmen im Bereich Pharma,
Biotechnologie und Medizintechnik. Das Kapitel „Branchentrends
& Perspektiven“ gibt u. a. Auskunft über die Zukunftsaussichten, Gehaltsvorstellungen und
Tipps für die ideale Bewerbung. Im
letzten Kapitel widmet sich das
Buch allgemeinen Fragen der Karriereplanung wie z. B.: „Bachelor
oder Master?“ „Soll ich promovieren?“ Für diese und andere Fragen
gibt es wichtige Entscheidungshilfen. Was außerdem in keinem
Buch über Karriereplanung fehlen
darf, wird in diesem Kapitel ebenfalls behandelt: Tipps zur Stellensuche, zur richtigen Bewerbung
und zur Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen und Assessment-Centern. Es sind auch Tipps
und Tricks dabei, die sonst nicht
in der entsprechenden Literatur zu
finden sind. „Karrieretrends für
Naturwissenschaftler, Mediziner
& Ingenieure“ kann ich jedem Absolventen sehr empfehlen. Obwohl natürlich jeder Bewerber individuelle Fragen, Wünsche und
Erwartungen hat, gibt der Ratgeber viele hilfreiche Tipps und Anregungen, zeigt auch eher unbekannte Möglichkeiten auf und gibt
Entscheidungshilfen. Die Publikation wird auf branchenspezifischen Messen und Konferenzen,
an Universitäten, Fachhochschulen und berufsbildenden Schulen
kostenlos verteilt, kann aber auch
über den Herausgeber erworben
werden.
ó
Nora Harer, Waiblingen
Organikum
Klaus Schwetlick (Hrsg.)
914 S., 1200 Abb., 50 Tab., Wiley-VCH,
Weinheim, 24. Auflage, 2015. Geb.,
69,90 O.
ISBN: 978-3-527-33968-6
ó Als eierlegende Wollmilchsau
bezeichnen wir etwas, was wir gerne hätten, was es aber nicht gibt.
Häufig wird dieser Ausdruck despektierlich verwendet, um einen
grandios gescheiterten Versuch zu
beschreiben, zu vieles auf einmal
zu verwirklichen. Manchmal wird
er aber auch als Kompliment verstanden, dass dieser Versuch dem
Erhofften schon recht nahe
kommt. Seit über 50 Jahren und in
nun 24 Auflagen versuchen die
Autoren des Organikums, die eierlegende Wollmilchsau zu erschaffen und von Auflage zu Auflage
kommen sie diesem Ziel immer
näher. Was wäre denn für einen im
Labor tätigen organischen Chemiker bzw. einen Bachelor- oder
Masterstudierenden in einem organisch-chemischen Modul alles
wichtig: Arbeitstechniken, Literaturrecherche, Sicherheitsaspekte,
Versuchsprotokollierung, Reagenzien- und Katalysatorlisten mit
entsprechenden Eigenschaften,
Reaktionstypen und dazu auch
noch mechanistische Erläuterungen, die einem beim Verständnis
der Syntheseoperationen helfen
können. Zusätzlich soll alles up-todate sein und jede neue Synthesevariante mindestens mit einem
Beispiel abgedeckt sein. Das kann
natürlich kein Buch leisten, so fehlen u. a. Synthesebeispiele aus der
Photoredoxkatalyse, obschon dies
seit ca. 10 Jahren ein hochaktuelles Thema ist.
Was dieses Buch auszeichnet:
die sehr gut ausgearbeiteten Versuchsvorschriften zu Experimenten, die wirklich funktionieren.
Ebenso die gelungene Darstellung
der chemischen Literatur und die
Hinweise zu Literatursuche und
zur Protokollierung von Experimenten. Was dieses Buch nicht
auszeichnet: die Versuche, auf wenigen Seiten nicht-triviale Zusammenhänge zu erläutern, ohne
auf unverzichtbare Grundlagen
einzugehen, z. B. die Absätze über
Chiralität, Retrosynthese und
asymmetrische Synthese. Dies
sollte aber nicht ohne eine Beschreibung von Symmetrieeigenschaften und -operationen geschehen. Die Kapitel zur Spektroskopie sind besser gelungen,
aber auch hier sollte mehr Gewicht auf Symmetrieeigenschaften gelegt werden. Das sind insgesamt nur marginale Kritikpunkte, insbesondere da die Hauptteile des Organikums weiterhin die
Beschreibung von Reaktionsklassen und Reaktionstypen mit einer
umfangreichen Sammlung von
Synthesevorschriften darstellt.
Somit gilt auch für die neueste
Auflage die Empfehlung, die jeden
Chemiker seit Jahrzehnten durch
das Studium begleitet: kaufen, lesen und an einer gut zugänglichen
Stelle im Labor aufbewahren und
auch nach dem Studium wertschätzen.
ó
Axel Griesbeck, Köln
Leben ohne Tod? Forscher
besiegen das Altern
Norbert Welsch
227 Seiten, 41 Abb., Springer Verlag,
Berlin, 1. Auflage, 2015. Kart., 19,99 O.
ISBN: 978-3-662-45263-9
ó Haben Sie sich schon einmal
Gedanken über das „finale Problem“ der Menschheit gemacht?
Es gibt Forscher, die in diesem
Moment an der Frage arbeiten, ob
wir realistisch und mit den Mitteln
der Wissenschaft dem Tod von der
Schippe springen und Unsterblichkeit erreichen können. Den
Autor Norbert Welsch hat dieses
Thema in den Bann gezogen, und
so führt er uns in diesem Buch
durch sechs verständlich geschriebene Kapitel, die einen guten Überblick über den Stand der
Forschung auf diesem Gebiet vermitteln. Den wesentlichen Teil bilden die Kapitel, in denen der große Rechercheaufwand auf jeder
Seite spürbar ist: Was genau
passiert physiologisch mit dem
Körper, wenn er altert? Welche
Mechanismen sind dafür verantwortlich und warum setzen sie
ein? Und was gibt es für Ansätze
und Mittel, um diese zu verhindern
oder umzukehren? Im gesamten
Buch wird die persönliche Faszination des Autors für dieses Thema sehr deutlich. Er macht keinen
Hehl daraus, dass er kurz bevorstehende Durchbrüche kommen
sieht und sich weniger Scheuklappen gegenüber dieser Forschung wünscht. Vielleicht
schießt er auch deshalb hin und
wieder ein wenig über das Ziel hinaus und wähnt uns bereits als letzte Generation, die den unausweichlichen Tod vor Augen hat.
Doch, ganz Wissenschaftler, weist
Welsch auch immer wieder auf
viele offene Fragen, Widersprüche
BIOspektrum | 05.15 | 21. Jahrgang
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und die schier überwältigende
Komplexität der verschiedenen
Aspekte des Alterns hin, sodass
allzu optimistische Zukunftsvisionen doch etwas relativiert werden.
Im Abschlusskapitel kommen
dann noch moralische und gesellschaftliche Implikationen einer
Welt zur Sprache, die durch eine
stark gesteigerte menschliche
Lebenserwartung von Grund auf
verändert wäre. Auch wenn man
hier nicht jeder Einschätzung folgen muss, so kommt man doch
selber ins Nachdenken: Was wäre
wenn? „Leben ohne Tod? Forscher
besiegen das Altern“ ist ein in teressantes und informatives
Buch, das für den fachfremden,
wissenschaftlich neugierigen Leser einige überraschende Erkenntnisse und Denkansätze
bereithalten dürfte. Es ist schon
erstaunlich: Das Altern und der
Tod betreffen zwar jeden, aber
das Wissen der meisten darüber
ist endlich. Also ganz wie das
Leben.
ó
Martin Schmelz, Leipzig
Python Programming for
Biology: Bioinformatics and
Beyond
Tim J. Stevens, Wayne Boucher
711 S., 110 Abb., Cambridge University
Press, Cambridge, 2015.
Geb., 84.99 £ (139.99 $),
ISBN: 9780521895835
Brosch., 44.9 £ (69.99 $),
ISBN: 9780521720090
ó Durch ihre einfache Syntax,
Plattformunabhängigkeit, Skalierbarkeit sowie die Verfügbarkeit
und unkomplizierte Einbindung einer Fülle hilfreicher Module ist
Python eine der beliebtesten Programmiersprachen in den Lebenswissenschaften. Diesem Umstand wurde bereits in einer Vielzahl von Publikationen Rechnung
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getragen. Häufig muten diese Werke der Leserschaft eine trockene
und erschöpfende Einführung informationstheoretischer Grundlagen zu, die überfordert und die
Freude am Weiterlesen verdirbt. T.
J. Stevens und W. Boucher versuchen die Lücke zwischen abstrakter Theorie und praktischer Anwendung zu schließen, indem sie
die Möglichkeiten der Programmiersprache direkt anhand einer
Vielzahl realitätsbezogener Anwendungen erläutern. Die Beispiele bioinformatischer Praxis aus
der Sequenzanalyse und (Bild-)Signalverarbeitung werden durch die
verständliche Einführung theoretischer Grundlagen aus Statistik,
Wahrscheinlichkeitstheorie und Informatik unterstützt. Dabei liegt
der Fokus sowohl auf der Erläuterung grundlegender Konzepte und
Algorithmen Theoretischer Biologie und Bioinformatik, wie auch auf
dem konkreten praktischen Python-Einsatz. Die knappe, aber
nichtsdestotrotz gut nachvollziehbare Vermittlung komplexer nichtbiologischer Inhalte sowie eine
große Vielzahl von Quelltextbeispielen machen die großen Stärken des Buchs aus. Dabei fällt positiv auf, dass fast ausschließlich
die best practice der bioinformatischen Python-Programmierung
vermittelt wird. Selten finden sich
so viele nützliche und umfangreiche Anleitungen zur Code-Optimierung in einem Buch, das sich
ausdrücklich auch an ProgrammieranfängerInnen richtet. Darüber hinaus stellen die Autoren als
hilfreiche Unterstützung bei der Erarbeitung eigener Python-Skripte
im Anhang eine kompakte und
doch verständliche Zusammenfassung der Syntax und der Besonderheiten der Programmiersprache zur Verfügung. Ein Buch,
das sich ausnahmslos für LebenswissenschaftlerInnen mit geringen
bis moderaten Programmierkenntnissen oder BioinformatikerInnen ohne Python-Erfahrung
empfiehlt. Ebenfalls ist der Einsatz
als Begleitliteratur zu einem Python-Kurs für BiologInnen denkbar.
Eine breitere Abdeckung bioinformatischer Themenfelder, etwa ein
Kapitel über Spektrometrie-Auswertungen, würde das Buch weiter
bereichern. Ferner dürfte der auf
lediglich drei Seiten zusammengepferchte Abschnitt über Datenvisualisierung im alltäglichen Gebrauch enttäuschen.
ó
Corinna Ernst, Essen
Pflanzenbiochemie
Hans-Walter Heldt und
Birgit Piechulla (Hrsg.)
597 S., 403 Abb., 28 Tab., Springer
Verlag, Heidelberg, 2015. Geb., 69,99 O.
ISBN 978-3-662-44397-2
auch als E-Book erhältlich
ó Es gibt zahlreiche, hervorragende Lehrbücher der Biochemie,
die hinsichtlich Aktualität, Inhalt
und didaktischer Aufmachung keine Wünsche offen lassen. Die gängigen Biochemie-Lehrbücher fokussieren sich aber in aller Regel
auf Mammalia-Systeme und Modellorganismen wie Escherichia
coli, Caenorhabditis elegans und
Dictyostelium discoideum. Die
Pflanzenbiochemie, die die Grundlage menschlichen Lebens darstellt, wird meist recht kurz, mit
Fokus auf die Photosynthese, abgehandelt.
Und genau diese Lücke im
Spektrum der Biochemie-Lehrbücher füllt nun das bereits in der
5. Auflage erschienene Pflanzenbiochemie-Lehrbuch von H.-W.
Heldt und B. Piechulla. Ganz explizit dient das Buch nicht dazu,
die allgemeinen Grundlagen der
Biochemie darzustellen, sondern
die spezifischen, für Pflanzen relevanten Aspekte. Für einen NichtPflanzenbiochemiker, wie den Rezensenten, besonders hilfreich
sind die Kapitelüberschriften, die
in Form von Kernsätzen bereits
wesentliche Fakten zusammenfassen. Das Buch umfasst inhaltlich u. a. den Aufbau der Pflanzenzelle, die Photosynthese, Stickstoff- und Kohlenhydratmetabolismus, Lipidstoffwechsel, Signaltransduktion und Gentechnik. Das
Buch stellt, wenn immer es möglich ist, Verbindungen zur Landwirtschaft, Ökologie und Medizin
her. Auch ungelöste Probleme und
Zukunftsfragen werden diskutiert.
Hervorzuheben ist ein am Ende
eines jeden Kapitels detailliertes
Literaturverzeichnis von Originalund Übersichtsarbeiten älteren
und neueren Datums, das eine
weiterführende Beschäftigung mit
einem Teilaspekt erleichtert. Das
Buch ist mit Strukturformeln und
biochemischen Reaktionsschemata reich illustriert. Dabei fokussieren sich die Autoren auf den
Gebrauch von Schwarz und Rot.
Durch geschickte Nutzung der beiden Farben gelingt es ihnen, die
wesentlichen Reaktionen übersichtlich darzustellen. In dem
Werk werden auch klassische,
pflanzenbiochemische Versuchsprotokolle schematisch dargestellt.
Das Buch richtet sich vor allem
an diejenigen Studenten, die mit
guten biochemischen Grundlagen
in die Pflanzenbiochemie einsteigen wollen. Aber auch für Wissenschaftler aus anderen Disziplinen, die durch ihre Berufstätigkeit mit Pflanzen in Berührung
kommen, ist es als erste Informationsquelle sehr hilfreich. Die
nächste Auflage des Buchs würde
sehr davon profitieren, wenn jedes Kapital noch eine kurze Zusammenfassung hätte. Auch eine
ausführlichere Darstellung von
Arabidopsis thaliana als Modellorganismus sowie mehr Bezüge zu
Mammalia-Systemen würden gute Ergänzungen darstellen. Ferner
könnte das Inhaltsverzeichnis
übersichtlicher gestaltet sein. Insgesamt hat das nicht ganz leichte
Buch (1,6 kg schwer) ein sehr
gutes Preis-Leistungsverhältnis
und eine hohe Aktualität.
ó
Roland Seifert, Hannover