Goethe Dergewaltige Briefschreiber ausWeimar 19 Neuübersetzt

Nr. 5 | 31. Mai 2015
NZZ am Sonntag
Goethe
Der gewaltige
Briefschreiber
aus Weimar
19
Neu übersetzt
Alle Gedichte
von Emily
Dickinson
4
Vettern Sarasin
Zwei Basler
und ihre
Tropenliebe
12
Reich der Mitte
Bücher
zum Aufstieg
Chinas
16
Bücher
am Sonntag
Städtische versus ländliche
Schweiz
Neu
Zwischen Stadt und Land hat sich beinah unbemerkt die Bevölkerung der Agglomeration als entscheidender Faktor geschoben.
Auf welche Seite tendiert dieses Segment? Wie zeichnet sich suburbanes Verhalten bei Schweizer Abstimmungen aus und welche
Bedeutung hat es bei gesamtschweizerischen Fragen? In zehn
Beiträgen gehen die Autorinnen und Autoren der Frage nach,
wie die aktuelle Entwicklung unserer Siedlungsstrukturen zu bewerten ist und wie sich die Siedlungsstrukturen auf die politische
Mentalität und das Abstimmungsverhalten auswirken.
Georg Kreis (Hrsg.)
Städtische versus ländliche Schweiz?
Siedlungsstrukturen und ihre politischen Determinanten.
224 S., 10 Abb., broschiert.
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Auch als E-Book erhältlich
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Zwei Journalisten waren ein Jahr lang in den Agglos der Schweiz
unterwegs. Aus ihren Begegnungen und Gesprächen wurde das
Buch «Daheim». «Die Autoren wollten die Menschen hinter dem
Schimpfwort ‹Agglo› kennenlernen. ‹Es wird immer über die Leute
in der Agglomeration geredet, aber nie mit ihnen gesprochen›, so
Matthias Daum. ‹Das wollten wir ändern›.»
Limmattalerzeitung, 27. September 2013
Matthias Daum und Paul Schneeberger
Daheim
Eine Reise durch die Agglomeration.
208 Seiten, farbige Abbildungen und illustrierte Karten,
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Fr. 38.–* / € 38.–
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nzz-libro.ch
Inhalt
Als Briefe schreiben
noch eine Kunst und
Schwerarbeit war
Nr. 5 | 31. Mai 2015
NZZ am Sonntag
Goethe
Neu übersetzt
Dergewaltige AlleGedichte
Briefschreiber von Emily
aus Weimar
Dickinson
19
4
Vettern Sarasin Reich derMitte
Zwei Basler
Bücher
undihre
zum Aufstieg
Tropenliebe
Chinas
12
16
Bücher
am Sonntag
J. W. von Goethe
(S. 19).
Illustration von
André Carrilho
Wenn Johann Wolfgang von Goethe einen Brief schrieb, war das
körperliche Arbeit unter höchster Konzentration: Mit dem Gänsefederkiel,
der dauernd gespitzt und nach jedem zweiten Wort ins Tintenfässchen
getunkt werden musste, presste er seine Sätze auf «widerborstiges Papier,
über das die Feder nicht glitt, sondern unter Absonderung hässlicher
Geräusche mühsam kratzte». Neben seinen Romanen, Dramen, Gedichten
und theoretischen Abhandlungen schrieb der Weimarer Dichterfürst rund
20000 Briefe. Der Goethe-Kenner Albrecht Schöne würdigt in seinem Buch
diese Episteln als sprachliche Kunstwerke – sie beginnen mit dem ersten
Schreiben des 14-Jährigen und enden mit dem Brief des 82-Jährigen wenige
Tage vor seinem Tod. Er zieht überraschende Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Anreden und Grussformeln, aus dem Gebrauch der Tempi
und Grammatikregeln. Wir werfen einen Blick zurück auf eine Schreibkultur, die mit der digitalen Revolution weitgehend verschwunden ist –
ohne Nostalgie, doch mit grossem Respekt (Seite 19).
Andere Bücher widmen sich der «Unruhe der Welt» (S. 18), der Autonomie
des Menschen (S. 21), den Aufsteigern in China (S. 16) oder den DadaFrauen (S. 20). Und natürlich werden Ihnen im Belletristik-Teil wie immer
ein halbes Dutzend packender neuer Romane vorgestellt.
Wir freuen uns, dass mit dieser Nummer die Germanistin Simone Karpf neu
die BamS-Redaktion verstärkt. Herzlich willkommen! Urs Rauber
Belletristik
4
Emily Dickinson: Sämtliche Gedichte
Von Dorothea von Törne
6 Miklós Bánffy: In Stücke gerissen
Von Stefana Sabin
7 Valerie Fritsch: Winters Garten
Von Sandra Leis
8 Lukas Hartmann: Auf beiden Seiten
Von Charles Linsmayer
Jongsuk Yoon: Sansui
Von Gerhard Mack
9 Lorrie Moore: Danke, dass ich kommen durfte
Von Simone von Büren
10 Penelope Lively: Wenn eins zum anderen
kommt
Von Angelika Overath
11 Edmondo de Amicis: Auf dem Meer
Von Manfred Papst
Kurzkritiken Belletristik
11 Michael Weins: Sie träumt von Pferden
Von Regula Freuler
Sara Gran: Dope
Von Regula Freuler
Henry James: Das Tagebuch eines Mannes von
fünfzig Jahren
Von Manfred Papst
Pablo d‘Ors: Die Wanderjahre des August
Zollinger
Von Manfred Papst
Porträt
12 Ambivalente Tropenliebe
Geneviève Lüscher schreibt über die Basler
Naturhistoriker Paul und Fritz Sarasin
und ihre Ostasienexpeditionen
Kolumne
15 Charles Lewinsky
Das Zitat von Federico Fellini
Die US-Journalistin Mona Eltahawy kämpft für die Rechte
der Frauen in arabischen Ländern (S. 23).
Kurzkritiken Sachbuch
15 Urs Schoettli: Aufbruch aus Europa
Von Urs Rauber
Kurt Brandenberger: Marco Camenisch
Von Claudia Mäder
Gerhard Danzer: Europa deine Frauen
Von Kathrin Meier-Rust
Gabriela Häfner, Bärbel Kerber: Das innere
Korsett
Von Kathrin Meier-Rust
Sachbuch
16 Evan Osnos: Grosse Ambitionen
Marcus Hernig: Chinas Bauch
Von Harro von Senger
18 Ralf Konersmann: Die Unruhe der Welt
Von Anja Hirsch
19 Albrecht Schöne: Der Briefschreiber Goethe
Von Manfred Koch
Angela Marquardt, Miriam Hollstein: Vater,
Mutter, Stasi
Von Kathrin Meier-Rust
20 Ina Boesch: Die Dada
Von Janika Gelinek
Dominik Müller: Jean Tinguely – Motor der
Kunst
Von Gerhard Mack
21 Michael Pauen, Harald Welzer: Autonomie
Von Claudia Mäder
22 Britta Waldschmidt-Nelson: Malcolm X
Von Tobias Meier
Romano Cuonz, Christof Hirtler: Franz
Josef Bucher, Hotelkönig, und Josef Durrer,
Bergbahnpionier
Von Simone Karpf
23 MonaEltahawy:Warumhasstihrunsso?
Von Susanne Schanda
24 David Shields, Shane Salerno: Salinger
Von Regula Freuler
25 Sandra Völker: An Land kannst du nicht
schwimmen
Von Kathrin Alder
Rainer Matthias Holm-Hadulla: Integrative
Psychotherapie
Von Brigitte Boothe
26 Alan Cassidy, Philipp Loser: Der Fall FDP
Von Urs Rauber
Das amerikanische Buch
Robert Putnam: Our Kids. The American Dream
in Crisis
Von Andreas Mink
Agenda
27 Johann Feilacher: Navratils KünstlerGästebuch
Von Manfred Papst
Bestseller Mai 2015
Belletristik und Sachbuch
Agenda Juni 2015
Veranstaltungshinweise
Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura., Leitung), Regula Freuler (ruf.), Simone Karpf (ska.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)
Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Hildegard Elisabeth Keller, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Sandra Leis, Charles Lewinsky, Andreas Mink, Klara Obermüller,
Angelika Overath, Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hanspeter Hösli (Art Director), Susanne Meures (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), Korrektorat St.Galler Tagblatt AG
Verlag NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 0442581111, Fax 0442617070, E-Mail: [email protected]
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3
Belletristik
Lyrik Endlich liegen sämtliche Gedichte der grossen
amerikanischen Autorin Emily Dickinson (1830–1886) in
einer exzellent übersetzten zweisprachigen Ausgabe vor
Gebrochene
Melodie
Emily Dickinson: Sämtliche Gedichte.
Zweisprachig. Aus dem Amerikanischen
übersetzt, kommentiert und mit einem
Nachwort von Gunhild Kübler. Hanser,
München 2015. 1403 Seiten, Fr. 68.–.
Von Dorothea von Törne
Dies ist die weltweit vierte zweisprachige
Gesamtausgabe der Verse von Emily Dickinson (1830–1886). Nach Japan, Italien
und Frankreich zieht Deutschland nach
mit der Edition sämtlicher 1789 Gedichte. Lange war Amerikas höchstrangige
Dichterin im deutschsprachigen Raum
fast unbekannt. Mehr sein als scheinen,
war ihre Devise. «Ich bin klein wie der
Zaunkönig, und mein Haar ist keck wie
die Stachelfrucht der Kastanie – und
meine Augen wie der Sherry im Glas, das
der Gast stehen lässt», schrieb sie in
einem Brief an ihren späteren Mentor
Higginson. Gegen Ende ihres zurückgezogenen Lebens trauerte sie dem verpassten Ruhm nicht nach: «Ruhm ist ’ne
Emily Dickinson
Die Dichterin wurde 1830 in Amherst (Massachusetts) geboren, wo sie ihr ganzes
Leben verbrachte und 1886 starb. Sie war
eins von drei Kindern einer calvinistischen
Familie. In der Schule fiel sie durch Intelligenz, aber auch physische und psychische
Labilität auf. Sie führte ein einsames Leben
und traf kaum andere Menschen, korrespondierte aber eifrig. 1850 begann sie,
Lyrik zu schreiben. Von ihren rund 1800
Gedichten wurden zu ihren Lebzeiten nur
7 veröffentlicht. Obwohl sie kaum je ihr
Haus verliess, ist ihr Werk von Offenheit,
Weite und Modernität geprägt. Der Verzicht auf traditionelle lyrische Formen und
die Fragmentierung der Gedanken weisen
ins 20. Jahrhundert voraus. Es gibt nur
eine einzige authentifizierte Fotografie
von Emily Dickinson.
4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
Biene / Hat Gesang – / Hat einen Stachel
– / Ah, fliegt auch davon». Mehr als hundert Jahre hat es gedauert, bis Emily Dickinson als moderne Dichterin von Weltrang erkannt wurde.
Paul Celan war einer der ersten, der
sich von ihrer Poesie inspirieren liess.
Zehn ihrer Gedichte hat er ins Deutsche
übertragen. Das hätte die faszinierende
Originalität dieser Dichterin stärker ins
Bewusstsein der Leser rücken können.
Aber die Kunde von moderner Weltliteratur aus dem 19. Jahrhundert verhallte
zunächst ungehört.
Aus Konventionen befreit
Mehr als für die Verse interessierte sich
die Öffentlichkeit für die ungelösten
Rätsel ihres Lebens: die stets weissen
Kleider, in denen sie durch den Garten
des «Homestead» im Städtchen Amherst
in Massachusetts schwebte. Die Jungfer
mit exzellenter Bildung, die sich als
Dreissigjährige entschloss, nie mehr über
die Schwelle des väterlichen Hauses hinauszugehen. Die Liebende, die – anscheinend ohne Geliebten – kühn über die Leidenschaft schrieb. In selbstgewählter
Einsamkeit, umgeben von ihrer «Regalverwandtschaft», den Büchern, betrieb
sie eine intensive Kommunikation in
Briefen. Sie war eine sich aus allen puritanischen Konventionen befreiende Frau
und ein Unikum bis zum Grab.
Der Literaturbetrieb brodelte postum
als Gerüchteküche um möglicherweise
psychotische Veranlagung, lesbische
Neigungen, unterdrückte Frauenrechte
und verstellte selbst den Blick von Verfassern renommierter Literaturlexika. Da
ist von «mystisch-ekstatischen Gefühlserlebnissen» und «grundlegender Zerrissenheit» die Rede sowie von «Hoffnung
auf göttliche Erwählung und Unsterblichkeit». Nichts von alledem hält dem
unvoreingenommenen Blick stand. Der
Leser prüfe selbst. Mit Gunhild Küblers
zweisprachiger Komplettausgabe der
chronologisch geordneten, zwischen
1850 und 1886 geschriebenen Gedichte
hat er alles in der Hand, was er dafür
braucht. Sie umfasst samt Nachwort und
Anhang 1403 Seiten.
Nicht von ungefähr waren es die Japaner, Meister des Haiku, die bereits 1976
die erste zweisprachige Gesamtausgabe
edierten. Viele der Dickinsonschen Verse
sind in haikuähnlichen Kurzformen gehalten, oft in jambischen Vierzeilern.
Manche Sentenzen erinnern an Zaubersprüche. Dickinson und Celan gemeinsam sind die Sprechbewegung des Umkreisens/Einkreisens («circumference»)
von Begriffen und konkreten Wahrnehmungen und die gebrochene, nur angedeutete Melodie («cautious melody»),
wie sie in Dickinsons «At half past three»
zu vernehmen ist. In der Celan-Übersetzung ist als Ort des Geschehens ein «Zwischenreich» auszumachen; Gunhild
Kübler spricht von «des Umkreisens
Mitte», was an Rilkes «Panther» erinnert.
Jungfer mit
exzellenter
Bildung: Emily
Elisabeth Dickinson
mit 18 Jahren
(Daguerreotypie von
1848).
Über das Für und Wider der Übersetzungen könnte man lange streiten. Welche Übertragung kommt dem Original
am nächsten? Lola Gruenthal und Werner von Koppenfels haben das Gedicht
einst nicht in ihre Auswahlbände aufgenommen, wohl aber Gertrud Liepe (Reclam 1970). Bei ihr heisst es in der zweiten Strophe entsetzlich umständlich:
«Um halb nach vier, das Experiment / /
Hatte den Test geschafft». Dabei hatte
doch Celan wunderbar klar und vorwärts
weisend formuliert: «Das war die Probe. /
Um halb fünf / gings über sie hinaus».
Und Gunhild Kübler? «Halb Fünf, da
hatte / Der Versuch die Prüfung abgeschlossen».
Sicherlich wird das nicht die letzte
Übertragung auch dieses Gedichts ins
Deutsche sein. Dass es hier letztlich um
Prozesse in Zeit und Raum, um unwiederbringliche Momente des Lebens und
des Aufbruchs vor dem Hintergrund von
Ewigkeit und Universum geht, wird vor
allem bei Celan und Kübler deutlich. Obwohl Dickinsons Verse oft von Naturerscheinungen wie Tag und Nacht, Wind,
Wolken und Gewässern ausgehen oder
von Lebewesen wie Biene, Kolibri und
Käfer, erschöpfen sie sich nie in reiner
Naturdichtung.
Gedichte der Emily Dickinson bis heute
ihre universelle und zeitlose Gültigkeit
bewahrt haben, macht ihre besondere
Qualität aus. Als präzise Miniaturen nehmen sie die Moderne vorweg. Das Offene, Dialogische, Prozesshafte, auch das
Fragmentarische macht sie für die Gegenwart anregend. Bei allen nachdenklichen und tragischen Konstellationen
bricht sich bei Dickinson immer wieder
das Komische, Absurde und Paradoxe
Bahn. In Verbindung mit Witz und Ironie
entfachen sie ein Feuerwerk von Möglichkeiten («I dwell in possibility»), auch
für Interpreten, Nachdichter und Autoren wie jüngst Hans-Ulrich Möhring,
dessen Novelle «Ausgetickt» (Edition
Rugerup, 2015 ) den Faden des Unerzählten in Emily Dickinsons Gedicht «A clock
stopped» auf der Gegenwartsebene weiterspinnt.
Kundig übersetzt
Ihr Nachwort hat Gunhild Kübler – im
Vergleich zu ihrem Auswahlband von
2006 – völlig neu gefasst. Es führt insbesondere das Trugbild von Emily Dickinson als einer Dichterin der provinziellen
Naturidylle und der Lebensenge ad absurdum. Es weist auf die Zusammenhänge zwischen ihrem Werk und den naturwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften ihrer Zeit und beschreibt
die Spuren, die vor allem der amerikanische Bürgerkrieg (1861–1865) in ihrem
Bilder- und Wortschatz und in der Wahl
ihrer Perspektiven hinterlassen hat.
Vor allem aber widerlegt sie die jahrzehntelang weitverbreitete Auffassung
von der Opferrolle der Emily Dickinson
als Frau und als zu Lebzeiten ungedruckte Dichterin. Anders als Lola Gruenthal
löst Gunhild Kübler die Disharmonien
nicht in gefällige Klänge auf. Sie orientiert sich dort, wo es möglich ist, an der
Nachbildung von Metrum, Rhythmus
und meist unreinem Reim, um etwas
vom Klangzauber von Dickinsons Lyrik
ins Deutsche zu retten. Wer so kundig
und diffizil übersetzt wie diese Nachdichterin, vollbringt eine bewundernswerte Leistung. Ein unübersetzbarer
Rest bleibt immer. Gunhild Kübler hält
diesen Rest so klein wie möglich.●
THE GRANGER COLLECTION
Garten Eden als Utopie
Anfang und Ende, Unten und Oben und
das Dazwischen, auch der Traum vom
Paradies ist in diesen Gedichten aufgehoben. Der Garten Eden als Utopie hatte
es Paul Celan in zwei Dickinson-Gedichten besonders angetan: «One blessing
had I» und «I reason, earth is short». Sowohl die Celan- als auch die KüblerÜbersetzung machen aus der Verzweiflung über die Vergänglichkeit des Lebens
keinen Hehl. Das schnippische «Na und?»
klingt als saloppe Floskel in der Übersetzung von Gunhild Kübler zeitgemäss widerborstiger als die Celansche Variante
«Ja und?». Zeitgemässer klingt auch Küblers «Viele verletzt» gegenüber Celans
«Und weh tut Hand um Hand». Mit Küblers Version kommen dem Leser gegenwärtige menschengemachte Katastrophen in den Sinn und dazu die Gleichgültigkeit einer Zuschauermenge. Dass die
Zürich
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Kunst
Kinder
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Freihofweg 2
Sport
Politik
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Reisen
Kochen
u.v.m.
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5
Belletristik
Roman Grossangelegtes Sozialgemälde des Siebenbürger Adligen Miklós Bánffy
TräumeninZeitendesUntergangs
Miklós Bánffy: In Stücke gerissen. Aus dem
Ungarischen von Andreas Oplatka.
Zsolnay, Wien 2015. 397 Seiten, Fr. 37.90,
E-Book 28.90.
Von Stefana Sabin
Nachdem sie sich im Geheimen geliebt,
sich mehrmals getrennt und dann doch
wieder zueinander gefunden haben,
glauben Graf Abády und seine Geliebte,
Gräfin Adrienne Uzdy, dass sich ihre
grosse Liebe nun endlich erfüllen kann.
Denn er hat dem gesellschaftlichen
Druck standgehalten und ist ledig geblieben, sie ist inzwischen verwitwet, und
auch seine altersmild gewordene Mutter
scheint die Verbindung am Ende zu akzeptieren.
Nun also schmieden die Geliebten Lebenspläne, sie träumen von einer Familie. Aber dann schlägt das Unglück doch
wieder zu, und sie trennen sich erneut,
diesmal vielleicht tatsächlich endgültig.
Die Träume sind ausgeträumt, und der
über Europa aufziehende Krieg ist für
Abády eine willkommene Gelegenheit,
sich der eigenen Verzweiflung durch national-patriotisches Handeln zu entziehen: «Er würde sich den Vilmos-Husaren
anschliessen.» Denkt Abády. «Warum
auch um das eigene Leben fürchten?
Eine Kugel, das wäre das Beste.» Und mit
gebrochenem Herzen zieht er in den
Krieg. Aber gebrochen sind am Ende dieses Romans nicht nur die Herzen der Liebenden, sondern auch die österreichisch-ungarische Monarchie, zu der die
Liebenden als Teil des Siebenbürger
Adels gehörten.
Die aufwühlende, zwischen Leidenschaft und Verzweiflung schwebende
Liebesgeschichte gibt den narrativen
Faden ab, der verschiedene Nebenhandlungen verbindet, und sie bildet zugleich
den Hintergrund eines grossangelegten
Sozialgemäldes des Siebenbürger Adels,
jener Schicht, der Miklós Bánffy, 1873 in
Klausenburg geboren und 1950 in Budapest gestorben, selber angehörte und die
in den Umwälzungen des Ersten Weltkriegs mit der österreichisch-ungarischen Monarchie zugrunde ging.
In seiner «Siebenbürger Geschichte»,
die in den 1930er Jahren entstand, in den
1950er Jahren in Vergessenheit geriet
und erst in den 1990er Jahren wiederentdeckt wurde, beschreibt Bánffy, der selber liberaler Politiker und konservativer
Publizist war, sowohl die parlamentarischen Debatten in Budapest als auch ihre
Reflexe in der Lokalpolitik in Klausenburg und setzte alles in Kontext der internen Lage der österreichisch-ungarischen Monarchie.
Zugleich spinnt er eine dichte Handlung aus politischen Intrigen, Familienfehden und Liebesgeschichten – das Verknüpfen der sentimentalen Erzählung
mit dem politischen Weltgeschehen erinnert ein bisschen an Tolstoi, während
das Eindringen der ethnischen, kulturellen und sozialen Spannungen in die
Handlung an den siebenbürgisch-rumänischen Epiker Liviu Rebreanu erinnert.
Mit Rebreanu teilt Bánffy auch die erzähltechnische Strategie, die Figuren
durch ihre Verbundenheit mit der heimatlichen Scholle zu charakterisieren
und Naturbeschreibungen als stabilisierende Elemente einer lockeren Romanstruktur einzubeziehen.
Am Ende des Romans, der auch etwas
Pastorales hat, scheinen diese bewaldeten Berge, durch die Abády ständig geritten oder gefahren war, in Brand geraten
zu sein: «Der untere Rand des Himmels
leuchtete blutrot. Flammende Tränen
glühten zahllos, blendend, als weine das
All.» Es ist eine unheimliche Berglandschaft, die den heranziehenden Weltenbrand des Krieges suggeriert. ●
www.rowohlt.de
ES WAR EINMAL EIN
KLEINER SCHWEIZER
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© Getty Images
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Amüsante,
bewegende und
charmante
Geschichten des
Bestsellerautors
über seine Heimat –
jenseits von
Bergen, Schokolade,
Käse und Taschenmessern.
6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
Roman Mit der 26-jährigen Valerie Fritsch hat Österreich eine neue literarische Stimme. Ihr Buch
«Winters Garten» verblüfft vor allem durch seine Sprache
ZumLebengehörtauchderTod
Valerie Fritsch: Winters Garten.
Suhrkamp, Berlin 2015. 154 Seiten,
Fr. 23.90, E-Book 18.–.
Der Basler Autor Jürg Laederach, nicht
bekannt für eilfertige Lobhudeleien,
fragt: «Was macht Valerie Fritsch im Rest
ihres Lebens, wenn sie jetzt schon so gut
ist?» Und der österreichische Schriftstellerkollege und Büchnerpreisträger Josef
Winkler meint: «Ich bin mir sicher, dass
mit Valerie Fritsch ein Prosatalent in
der österreichischen Gegenwartsliteratur aufgetaucht ist, von dem man noch
viel hören wird.»
Die Rede ist von der gebürtigen Grazerin Valerie Fritsch. Sie ist 26 Jahre jung,
schreibt, fotografiert und reist viel. Mindestens die Hälfte des Jahres verbringt
sie im Ausland; im vergangenen Jahr bereiste sie Togo, Benin, Nigeria und
Ghana. Ihr erster Roman «Die VerkörperungEN» erschien 2011 in einem kleinen
Grazer Verlag, ein Jahr später folgte «Die
Welt ist meine Innerei – Reisebriefe und
Bilder», und kürzlich veröffentlichte sie
zusammen mit ihrer Mutter Gudrun
Fritsch den Gedichtband «kinder der
unschärferelation».
Valerie Fritsch ist Mitglied der Literaturgruppe «die plattform», eines «offenen autorenkollektivs sesshaft im grazer
literaturhaus und walzierend durch die
(kopf)welt». Bis vor kurzem galt die Autorin als Nachwuchstalent im österreichischen Literaturbetrieb. Jetzt hat sie,
die in Literaturtalks selbstbewusst,
manchmal auch etwas blasiert auftritt,
den Sprung zum renommierten Suhrkamp Verlag geschafft. «Winters Garten»
heisst der Roman, und Valerie Fritsch
stürzt sich wie bereits in ihrem Erstlingsroman auf die grossen Themen der
Menschheit: Geburt und Tod, Blüte und
Verfall, Liebe und Einsamkeit und das
Ende der Welt.
Fotografischer Blick
Das klingt nach Alarmstufe eins, und
man müsste dringend von der Lektüre
abraten, wären da nicht der parabelhafte
Zugriff auf das apokalyptische Geschehen und eine Sprache, die so prall und
üppig ist, dass sie aus der Zeit gefallen
scheint und gleichzeitig höchst gegenwärtig ist. Da schreibt eine Autorin, die
mit einem fotografisch genauen Blick
auch ihre innere Welt beobachtet und so
lange am Text feilt, bis dieses präzise
Schauen Sprache geworden ist. Vereinzelt kippt die Sprache zwar ins Manierierte oder Altmodische; in aller Regel
aber überzeugt sie durch ihren Detailreichtum und ihre Wucht.
Über die Kindheit ihres Protagonisten
Anton Winter schreibt Valerie Fritsch:
Für ihn «war die Kindheit vollgestopft
mit hohen Gräsern und Teerosen und
grünen Äpfeln in den Bäumen (. . .). Die
BRIDGEMAN ART
Von Sandra Leis
In Valerie Fritschs
Roman stehen
Garten und Stadt
für diametrale
Gegensätze:
Der Garten ist
Zufluchtsort, in der
Stadt herrscht Chaos.
Alten und Kranken waren zu Hause, und
durch die dünne Haut fiel ihnen das Sonnenlicht bis aufs Skelett (. . .). Die Geburt
steckte noch in allen Knochen, so dass
man den Tod nicht fürchten musste.»
Seine Kindheit verbringt Anton Winter
in einer paradiesähnlichen Gartenkolonie
zusammen mit Alten und Kranken, während der arbeitende Teil der Lebensgemeinschaft ein Auskommen in der Hafenstadt suchen muss. Garten und Stadt
stehen sinnbildlich für diametral entgegengesetzte Konzepte: Während der Garten ein Zufluchtsort ist, in dem Geburt
und Tod den natürlichen Lauf der Dinge
einrahmen, herrscht in der Stadt das
pure Chaos. Die Welt steht vor dem Untergang, und jeder weiss, Rettung wird es
keine geben.
Trotzdem, und das ist das Tröstliche
an diesem Roman, die Menschen geben
nicht auf. Mehr noch: Sie leben intensiver als je zuvor. Anton Winter, der als Erwachsener in die Stadt gezogen ist und
als einsamer Vogelzüchter den Niedergang der Welt von seiner Wohnung im
obersten Stock eines Hochhauses beobachtet, verliebt sich mit 42 Jahren erstmals unsterblich in eine Frau. Getrieben
von einer nervösen Dringlichkeit, kosten
Anton und seine Frederike ihre Leidenschaft aus. Denn sie wissen: «Der Augenblick, ab dem die grosse Liebe nicht mehr
grösser werden konnte, aber nur noch
kleiner, fehlte in ihrer Zukunft.»
Die Apokalypse ist greifbar nah, die
noch verbleibende Zeit entsprechend
knapp. Die Einsamkeit plagt Anton so
sehr, dass Frederike es nicht mehr übers
Herz bringt, ihn alleine zurückzulassen.
Und so gehen die beiden gemeinsam in
die Gebärklinik, wo Frederike als Freiwillige arbeitet. Die Neugeborenen, sagt sie,
«wachsen jeden Tag genau so viel, wie
sie es sollten und wie es immer schon gewesen ist. Sie geben einen Dreck auf den
Untergang und die verrückt gewordene
Zeit.»
Zurück in die Kindheit
Anton ist in der Gebärklinik nicht nur
Staffage, im Gegenteil, er übernimmt
eine Aufgabe, vor der alle anderen zurückschrecken: Er kümmert sich um die
Mütter und winzigen Säuglinge, die eine
Geburt nicht überleben. Er trägt sie aus
dem Zimmer und verbrennt ihre Körper
im Hinterhof. Zum Leben gehört immer
auch der Tod – dessen ist Anton sich bewusst, seitdem er als Kind im Paradiesgarten Werden und Vergehen hautnah
miterlebt hat.
Die Heimat sei der Ausgangs- und der
Endpunkt jeder Reise, heisst es im
Roman «Winters Garten». Das gilt auch
für die Hauptfigur Anton: Er kehrt in seinen Kindheitsgarten zurück und überlebt dort auf der letzten halben Seite des
Buches den Weltuntergang. Wie das?
Wohl deshalb, weil sich dieser verwunschene Garten in eine Art himmlisches
Paradies verwandelt. In ein Paradies, das
gedeiht und wächst, auch wenn die irdische Welt zugrunde geht. Das heisst, ein
kleiner Weltuntergang hin und wieder
schadet nichts – das ist die versteckte
Botschaft dieses auf den ersten Blick so
düsteren Romans. ●
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7
Belletristik
Roman Lukas Hartmann erzählt eine Familien- und Generationengeschichte zwischen 1968 und 1989
DieSchweizam
EndedesKaltenKrieges
sen Episoden», konstatiert sie, «so wird
das eigene Leben zum merkwürdigen
Mosaik.»
Wie die Figuren, so – ganz bewusst! –
ihr Autor, hat Lukas Hartmann doch in
der Tat noch kein Buch in so viele Perspektiven und Episoden zerfallen lassen
wie dieses. Man wird hin- und hergerissen zwischen 1968, 1976, 1989, 1991 und
2010, und von einer Berner Vorortssiedlung gerät man in den Tschad, nach Ostberlin oder in ein Hotel in Heiden. Dennoch ist sich Hartmann seit «Gebrochenes Eis» von 1980 nie wieder selbst so
nahegekommen wie in diesem Roman.
Sowohl dieser Mario Sturzenegger, der in
wachsender Gegnerschaft zum kalten
Krieger Armand Gruber dem Establish-
Lukas Hartmann: Auf beiden Seiten.
Diogenes, Zürich 2015. 336 Seiten,
Fr. 32.90, E-Book 28.–.
Von Charles Linsmayer
«Nichts, was man erzählt, ist je vollständig. Alles bleibt Fragment, erschwindelt,
ein Seiltanz von Bild zu Bild.» Der so
denkt, heisst Mario Sturzenegger und ist
der eine Ich-Erzähler aus Lukas Hartmanns Roman «Auf beiden Seiten». Karina Koller ist die zweite von insgesamt
drei alternierenden Stimmen, zu denen
noch jene von Armand Gruber, Gymnasiallehrer und Repräsentant der Vätergeneration, zählt. «Ich verliere mich in die-
Malerei Asien trifft auf Europa
Der Vater der 1965 geborenen Jongsuk Yoon hatte eine
Kunstgalerie, ihr Bruder malte Bambus- und Orchideenbilder. Sie wuchs in der koreanischen Kleinstadt Onyang
auf und war von früh an mit Kunst vertraut. Als sie nach
Deutschland zog und 1996 an der Kunstakademie
Münster studierte, nahm sie diese Erfahrung ebenso
mit wie die Erinnerung an die Landschaft in Korea. Das
Gemälde «Sulwha» bringt die verschiedenen Einflüsse
zusammen. Der Titel heisst Schneeblume; in Sulwhasan,
dem Schneeblumenberg, kam die Künstlerin zur Welt.
Das Gemälde wirkt für uns westliche Betrachter
8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
abstrakt und scheint zugleich Elemente einer Landschaft zu enthalten, ähnlich wie die frühen Werke des
russischen Künstlers Wassily Kandinsky. Anders aber
als die gestische Abstraktion der europäischen Moderne isoliert die koreanische Malerin die einzelnen
Bildelemente. Jedes setzt für sich an, sie müssen nicht
zusammenpassen und ergeben doch einen eigenartigen, ruhigen Klang. Wie die Glocken asiatischer Klöster
im Gebirge. Gerhard Mack
Jongsuk Yoon: Sansui. Kehrer, Heidelberg 2015. 128 Seiten, 62 Farbabbildungen, Fr. 59.90.
ment den Kampf ansagt, in der Wende
von 1989 den «Flügelschlag der Utopie»
spürt und am Ende gerade noch bei einer
harmlosen Familienzeitschrift unterkommt, als auch die selbstbewusstkämpferische Juristin Karina, die ihren
Emanzipationstraum in der Ehe mit
einem spiessigen Richter begräbt, machen in ihrer allmählichen Resignation
Phasen durch, die auch ihr Autor gekannt haben muss. Wobei sich das Zerbrechen der idealistischen Träume nicht
nur im Erlahmen des rebellischen Impetus oder in der Kapitulation vor dem
Elend der Dritten Welt zeigt, sondern,
wie Marios schliesslich missglückte Partnerschaft mit Grubers Tochter Bettina
am bewegendsten vorführt, auch in der
Unmöglichkeit einer glücklichen Beziehung zwischen Mann und Frau. Hartmann zertrümmert das eigene Miterleben eines halben Jahrhunderts politischen, familiären und gesellschaftlichen
Wandels zu einem Mosaik, aus dem allzu
Persönliches und Intimes weggefiltert
ist, das aber dennoch mit einer Authentizität beeindruckt, die ohne innere Anteilnahme, ja ohne Mitleiden nicht zu
denken wäre.
Obwohl brillant recherchiert, gehen
einem historische Enthüllungen wie jene
über die Geheimorganisation P16 oder
die Pläne für einen Schweizer Widerstand nach der Eroberung durch die
UdSSR weit weniger nahe als die persönlichen Schicksale der Menschen auf beiden Seiten der politischen Scheidelinie:
das vergebliche Ringen des mässig begabten – und oft ziemlich sentimentalen!
– Journalisten Sturzenegger mit seinen
Stoffen, sein Schmerz, die eigenen Kinder nicht in einer intakten Familie aufwachsen zu sehen, die merkwürdige Faszination, die ausgerechnet ein Oberst des
Geheimdienstes auf die linke Karina ausübt, die Verfallenheit des Germanisten
Gruber an Adalbert Stifter, den er nicht
als Biografen, sondern erst in seinem,
dem Vorbild nachempfundenen Selbstmord wirklich zu fassen bekommt, die
künstlerische Genese des nach Ostberlin
emigrierten Schweizers Johann Ritter,
der in seinen Bildern eine DDR spiegelt,
wie sie niemand zu denken wagt.
Es gibt berührende Teile in diesem
Puzzle, das vielleicht etwas journalistischer als Hartmanns frühere Bücher daherkommt: das Lehrer-Schüler-Gespräch
Grubers mit Mario um dessen erstes
Theaterstück, Marios erstes Rendezvous mit Grubers Tochter Bettina, die
Stimmung in Ostberlin kurz vor der
Wende, der letzte innere Monolog des
dementen Stifter-Biografen Gruber. Und
wem sich die Episoden im Kopf zum Zeitgemälde verflechten, dem wird der Seiltanz von Bild zu Bild nachhaltige Eindrücke von einer Epoche vermitteln, die wie
schon so viele vor ihr zu neuen Ufern
aufbrach und am Ende ernüchtert vor
den Trümmern ihrer Illusionen stand. ●
Storys Acht Geschichten um Menschen und die Tücken der Liebe
«AlleEhemännersindAliens»
Lorrie Moore: Danke, dass ich kommen
durfte. Aus dem Amerikanischen von
Frank Heibert. Berlin-Verlag, Berlin 2015.
208 Seiten, Fr. 26.90, E-Book 18.–.
Von Simone von Büren
«Alle Ehemänner sind Aliens», meint
eine der desillusionierten Protagonistinnen in der neuen Story-Sammlung der
Amerikanerin Lorrie Moore, als ihr der
vom friedvollen Hippie zum Atomwaffenbefürworter mutierte Ehemann
die Scheidungspapiere per Post zustellen
lässt, während er im Keller Modellraketen baut. Der Alien ist ein passendes
Motiv für die Erfahrung der Entfremdung, welche die acht Texte in «Danke,
dass ich kommen durfte» miteinander
verbindet. Zu Aliens werden da neben
den Ehemännern auch «verzwangsjackte» Söhne; Geliebte, die beim Geheimdienst arbeiten; oder Leute, die den
Sticker «NULL HILLARY NULL CHANCE»
auf ihren Pick-up kleben.
Moores Figuren – grösstenteils «ergrauende gestrandete Existenzen mit verwüsteten inneren Landschaften, die auf
jung machten» – sind sich und einander
fremd geworden. Sie haben sich gerade
scheiden lassen, leiden in «isolierten
Verzweiflungen» noch nebeneinander
her oder kommen «in der Rendez-vousWelt der mittleren Jahre» gar nicht erst
zusammen. Ein frisch Geschiedener lässt
sich ein auf «Huhu-Sex» («wo der andere
wie weggezaubert wirkte, nicht ganz da,
seine Lust war geheimnisvoll und irre
und hatte nur zufällig mit einem selbst
zu tun») mit einer Tierärztin, die Kinderbücher über Erdhörnchen schreiben
möchte und in symbiotischer Beziehung
mit ihrem Teenagersohn lebt. Ein Autor
– verunsichert vom Gespräch mit einer
rechtspolitischen Lobbyistin, die gegen
«Barama» wettert und behauptet, beim
Angriff aufs Pentagon verwundet worden zu sein – ahnt, dass seine Frau, deren
Haar im Licht der Strassenlaternen aussieht, «als wäre es gar kein Teil von ihr»,
ihn verlassen wird. Und die destruktive
Beziehung zwischen einer Bandsängerin
und einem mit Haschisch handelnden
Verlierertypen zerfällt zum Gestank von
«irgendwas, was im Winter gestorben ist,
und jetzt, wo es Frühling wird, verwest»
auf dem Dachboden.
Die 58-jährige Autorin setzt ihre Figuren in das schwierige Stadium zwischen
akuter und verarbeiteter Emotion, zwischen der ersten verzweifelten Wut und
der Abgeklärtheit, die es ermöglicht, die
eigene Erfahrung als Geschichte zu erzählen. In diesem Zwischenstadium
geben sich alle «unkaputtbar» und unnahbar, auch wenn in ihrem Innern der
Kummer «mit kalter blauer Hitze»
brennt. Gekonnt widerspiegelt die amerikanische Story-Meisterin diesen Zustand in Sprache und Erzählperspektive:
Ihre personalen Drittperson-Erzähler
PATRYCE BAK/GETTY IMAGES
Gestrandete Existenzen
Die US-Schriftstellerin
Lorrie Moore zeichnet
in ihren aufwühlenden
Beziehungsstorys
Figuren, die einander
fremd geworden sind.
schaffen eine gewisse Distanziertheit,
bieten aber noch so viel Einblick in die
tatsächliche Befindlichkeit der Figuren,
dass sich deren Zynismus und bittere
Sprüche als Schutzfunktion entlarven.
«Ich werde meine Rinde um den Drahtzaun breiten wie ein Grinsen», sagt der
Apfelbaum in einem Zitat von Caroline
Squire, das Moore ihrem Buch voranstellt. Dieses Grinsen zieht sich durch die
Geschichten, eine Behauptung von Trotz
und Unversehrtheit, welche die Verletzungen und Narben zu verbergen sucht
und sie stattdessen sogar betont.
Feinfühlig beobachtet
Lorrie Moore, die sich einmal mehr als
feinfühlige, scharfe Beobachterin erweist, zeichnet ein düsteres Bild zwischenmenschlicher Beziehungen. Aber
angesichts des «weltumspannenden
Wahnsinns», den sie über Verweise auf
den Irak-Krieg, 9/11 und Abu-Ghraib wie
eine diskrete Kulisse hinter ihren stolpernden Figuren aufzieht, will trotzdem
keiner allein sein.
Ex-Partner, Freundinnen, Mütter und
Söhne kommen weder zueinander noch
voneinander los. Drei Künstlerinnen
mittleren Alters trinken mit dem Geist
ihrer an Krebs gestorbenen Freundin in
deren stillen Haus Tee. Eine Frau sucht
in einem Heim für Geheimdienst-Veteranen immer wieder ihren Geliebten auf,
obwohl er ihr nie die Tür öffnet. Der ExFreund einer Brasilianerin trägt an deren
Hochzeit ein T-Shirt mit der Aufschrift
«Danke, dass ich kommen durfte». Und
einer bringt seinen Ehering auch Monate
nach der Scheidung noch nicht vom Finger. Wie die Rinde um den Drahtzaun
wuchert die Haut um den Ring. Das Lebendige verleibt sich Schmerz und Verletzung ein. Analog dazu wuchert Lorrie
Moores dichte, präzise Sprache in starken, eigenwilligen Bildern: ein «Baiser
auf der Haut wie eine Schneeverwehung», ein Stück Wassermelone «an der
Kernreihe entlang auseinandergesackt
wie ein Haifischgrinsen», Reue so sinnlos, «wie die zerknüllte Eintrittskarte von
einem Zirkus, der die Stadt schon wieder
verlassen hat».
Und da klingt ab und zu dann doch
Zärtliches und Zuversichtliches an, wenn
auch «beschädigt und zufällig». Die aufwühlenden Storys über die Unvermeidbarkeit des Auseinanderfallens und die
Unmöglichkeit des Loslassens reden indirekt auch über all das, was einmal gut
war. Und das Buch, das mit den Nachwehen einer Scheidung begann, schliesst
mit einer Hochzeit, die die Erzählerin begrüsst als Ausgleich für all die ungelebte
Liebe: «So viel drängende, quicklebendige Liebe versank rumorend im Untergrund und verreckte dort, ohne jemals
Ausdruck zu finden.»
Allerdings tauchen die Aliens dann
auch hier wieder auf, in Form röhrender
Motorradfahrer, die versehentlich auf
der falschen Hochzeit gelandet sind. Und
all die vorhergehenden Trennungs- und
Krisengeschichten werfen lange Schatten auf die ländliche Feier, aber noch lächelt das Brautpaar und noch bringt die
Sonne die «wirbelnde, rote Scheune zum
Leuchten». ●
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9
Belletristik
Roman Altmeisterin Penelope Lively schildert, wie ein Handtaschen-Raub im Leben einer 77-Jährigen
ungeahnte Auswirkungen auf andere Menschen hat
WennderFlügelschlag
einenTornadoauslöst
Penelope Lively: Wenn eins zum andern
kommt. Aus dem Englischen von Maria
Andreas. Bertelsmann, München 2015.
285 Seiten, Fr. 26.90, E-Book 17.90.
Von Angelika Overath
London. Ein alltäglicher Vorfall: Eine alte
Frau wird angerempelt, stürzt nieder auf
den Gehweg. Sie merkt sofort, dass ihre
Handtasche weg ist (in der kaum Geld
war), und etwas später, dass sie sich
die Hüfte gebrochen hat. Ausgehend von
einem unerheblichen Moment in einer
Metropole, eröffnet die mehrfach preisgekrönte britische Schriftstellerin Penelope Lively, geboren 1933 in Kairo, einen
Roman, in dem sie zeigt, welch weitreichende Konsequenzen ein kleines persönliches Ereignis auf das Leben anderer
Menschen haben kann.
Ihr struktureller Einfall geht zurück
auf ein Phänomen, das in der Meteorologie «Schmetterlingseffekt» genannt wird.
Demnach kann ein leiser Flügelschlag
über Kontinente hinweg sich in seiner
Wirkung verstärken und in einer entfernten Weltgegend einen Tornado erzeugen.
Die irritierende Vorstellung von nicht
beherrschbaren Systemen ging in die
Chaostheorie ein. Und was wäre unabsehbarer, sturmbereiter, katastrophenträchtiger als zwischenmenschliche Beziehungen?
Der «Katalysator der Ereignisse», die
gestürzte 77-jährige Charlotte Rainsford,
wird ins Krankenhaus gebracht. Daraufhin kann ihre brave Tochter Rose, verheiratet mit dem blassen Hobbyangler und
Bastler Gerry, ihren Arbeitgeber Lord
Peters, einen emeritierten schrulligen
Geschichtsprofessor, nicht auf einen
Kongress nach Manchester begleiten.
Und das Unabsehbare nimmt seinen
Lauf. Marion, Nichte und einzige Verwandte des Professors, eine engagierte,
allerdings gerade erfolglose Innenarchitektin, muss einspringen. Da Marion vergisst, das Redemanuskript ihres alten
Onkels mitzunehmen, wird der frei gehaltene Vortrag für den Professor zu
einer ungeahnten Demütigung.
In Penelope Livelys
Roman löst der
Diebstahl einer
Handtasche eine
Kettenreaktion aus.
SMS, da sie meint, ihre lange erwarteten
Töchter würden sich melden. Zurück in
London trachtet der Professor danach,
seine Niederlage wiedergutzumachen,
und entwickelt die Idee für eine dokumentarische Geschichtsserie im Fernsehen, deren mögliche Realisierung turbulente Verwicklungen zeitigt und zuletzt
einen opportunistischen Jungakademiker auf den Plan ruft.
Kaum hat der Leser die Figuren kennengelernt, beschleunigt sich in Shortcuts das Geschehen. Charlotte ist mit
Krücken bei ihrer Tochter Rose und
Schwiegersohn Gerry eingezogen. Die
ehemalige Lehrerin gab in ihrer Freizeit
Alphabetisierungskurse. Da sie nun unbeweglich ist, aber gerne Beschäftigung
hätte, schickt man ihr einen der Schüler.
Und so steht der 50-jährige Anton, ein
Immigrant aus Osteuropa, in den sich
die lebensscheue Tochter Rose verlieben
wird, unvermittelt vor der Tür.
Penelope Liveley zeichnet soziale Milieus als Reagenzgläser für psychologische Kettenreaktionen. Sie macht deutlich, wie Beziehungen, je nachdem, wie
man sie betrachtet, umschlagen können,
ewig narrenden Vexierbildern gleich. Ist
der charismatische Jeremy ein Schuft
oder ein letztlich guter Ehemann? Er
kann beides sein. Und seine Gattin, die
schöne, psychisch labile Stella? Die
scheinbar Schwache bringt dann doch
den Mut auf, sich gegen das Gift von dominanter Schwester und gierigem Scheidungsanwalt zu wehren. Wird der zunehmend schusselige Professor von seinem schleimigen Assistenten betrogen?
Ja sicher, und doch ist der junge Mann
für den Alten ein spätes Glück. Nur eine
kleine Drehung im Denken, und Marion
begreift, dass sie zwar viel Geld verloren
hat, aber mit ihrem geerbten Haus einen
Neuanfang wagen kann, nicht in London, aber bei einer Freundin auf dem
Land. Wo die Liebe nicht mehr erwartet
wird, stellt sie sich ein; wo eine Ehe sicher schien, öffnet sich ein Abgrund.
Es braucht nur den Flügelschlag eines
Schmetterlings, und das Selbstverständliche kippt.
Mit britischem Humor
Und was ist das Alter? «Beschauliche
Abendstimmung»? Oder «eher die stürmische Morgendämmerung eines neuen
Lebens, von dem man nichts ahnte»? Die
Hölle oder: «auch erst die Vorhölle»? Jedenfalls ist «Altwerden nichts für Feiglinge». Mit britischem Humor erweist
sich Lively als eine kühle, klare Beobachterin, die Sentimentalität in feiner Ironie
abzufedern weiss oder sie augenzwinkernd einfach zulässt. Ihre Sittenbilder
haben den Glanz von englischer Keramik. In ihren Sprüngen zittern die ewig
frischen Fragen des menschlichen Daseins wie Blitze über die Lasur. Wären
wir nicht auch als ganz andere denkbar,
mit einem anderen Partner, in anderen
Lebensumständen? Hätte Rose die Freiheit, ihre Zukunft noch einmal zu wählen mit dem aufmerksamen Anton, oder
wird sie in ihrer betulichen Beziehung
bleiben, die sie ebenso auffängt wie verkümmern lässt? «Wenn eins zum andern
kommt» ist eine verführerische Sommerlektüre mit Widerhaken. Nicht ganz so
leicht zu nehmen, wie sie sich liest. ●
10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
BART GEERLIGS/GETTY
Beschleunigtes Geschehen
Doch bei Tisch lernt Marion einen
Immobilienbanker kennen, der ihr einen
lukrativen Auftrag und damit die traumhafte finanzielle Rettung verspricht.
Mittlerweile hat Marion mit einer SMS
allerdings die Ehe ihres Liebhabers Jeremy, eines erotisch smarten Antiquitäten- und Schrotthändlers, stark ins Wanken gebracht. Wegen ihrer plötzlichen
Manchester-Verpflichtung sagt sie mit
«Küsschen» eine Verabredung ab. Stella,
Jeremys sorgenvolle Ehefrau, liest die
Reiseroman Edmondo de Amicis erzählt
packend von italienischen Auswanderern
im 19. Jahrhundert
Von Genua
nach Montevideo
Kurzkritiken Belletristik
Michael Weins: Sie träumt von Pferden.
Illustrationen K. Gschwendter. Mairisch,
Hamburg 2015. 128 Seiten, Fr. 21.90.
Sara Gran: Dope. Aus dem Amerikanischen
von E. Bonné. Droemer Knaur, München
2015. 254 Seiten, Fr. 17.90, E-Book 10.–.
Karen Duve hat mit Märchen-Nacherzählungen in «Grrrimm» (2012) für schönen
wie komischen Schauer gesorgt. Was der
Hamburger Michael Weins nun in seinen
Erzählungen vorlegt, stammt noch einmal aus einem ganz anderen Kellerabteil
der Unheimlichkeiten. Seine zwölf phantastischen Texte handeln von der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Manche dieser Tiere sind berühmt wie etwa
der Wolf, der «einmal im Showgeschäft
gewesen ist», und jetzt vom jugendlichen Loser einer Wohnsiedlung zu Brei
gehauen wird. Die titelgebende Erzählung über eine Frau mit Pferdeträumen
wiederum erinnert an Polanskis Horrorfilm «Rosemary’s Baby». Anspielungsreich sind die Texte alle auf ihre Weise;
um ein Vielfaches dank Katharina
Gschwendters Schwarz-Weiss-Illustrationen, die einen bis über den Buchdeckel hinaus nicht mehr loslassen wollen.
Skinny Harry, Easy Mike, Nick der Grieche – die zwielichten Gestalten in «Dope»
heissen so, wie man sie sich für Hell’s Kitchen im Jahr 1950 vorstellt. Das New Yorker Stadtviertel, das lange für seine hohe
Kriminalitätsrate berüchtigt war, ist
Schauplatz von Sara Grans Roman über
Ex-Junkie Josephine «Joe» Flannigan.
Aufgewachsen in Hell’s Kitchen, ist Joe
zwar überlebensschlau, rutschte aber
trotzdem früh in die Drogen ab. Vor zwei
Jahren hat sie den Ausstieg geschafft.
Jetzt nimmt die Enddreissigerin gegen
ein verführerisch hohes Honorar den
Auftrag an, nach einem verschwundenen Mädchen zu suchen – eine fatale Entscheidung. «Dope», im Original bereits
2006 erschienen, ist ein ebenso gekonnter feministischer Hard-boiled-Page-Turner, wie es auch die Kriminalromane der
Amerikanerin Sara Gran (*1970) um ihre
Ermittlerin Claire DeWitt sind.
Henry James: Das Tagebuch eines Mannes
von fünfzig Jahren. Manesse, Zürich 2015.
406 Seiten, Fr. 38.90, E-Book 27.90.
Pablo d’Ors: Die Wanderjahre des August
Zollinger. Deutsch von Enno Petermann.
Wagenbach, Berlin 2015. 138 S., Fr. 23.90.
Es ist kaum zu glauben: Aber es gibt von
Henry James (1843–1916), dem eloquenten Meister der psychologischen Erzählkunst, noch immer Texte allererster
Wahl, die bisher nicht in deutscher Übersetzung vorlagen. Zum Glück kümmert
sich der Manesse-Verlag seit 2009 nachhaltig um das Werk des Amerikaners, der
die grösste Zeit seines Lebens auf Reisen
in Europa zubrachte. In bemerkenswert
schön gestaltetem Grossformat (Leinen,
Farbschnitt, splendider Satz, Lesebändchen) legt er nun sechs zwischen 1888
und 1900 entstandene Erzählungen vor.
Friedhelm Rathjen hat sie geschmeidig
übersetzt, von Maike Albath stammt das
kundige Nachwort. Die Geschichten handeln von der meist vergeblichen Suche
nach Liebe und Glück und muten in
ihrem kristallinen Stil, ihrer überraschenden Direktheit, raffinierten Figurenzeichnung und ironischen Brillanz
höchst modern an.
Mit einem berückenden kleinen Entwicklungsroman wird der 1963 in Madrid
geborene Philosoph und Priester Pablo
d’Ors im deutschen Sprachraum erstmals vorgestellt: Er erzählt von August
Zollinger, der in einem imaginären Österreich mit Schweizer Ortsnamen zuerst
Buchdrucker werden will, dann aber in
die Welt hinaus zieht und als Bahnwärter, Soldat, Einsiedler, Gehilfe auf einer
Behörde, Flickschuster und zuletzt tatsächlich als Buchdrucker arbeitet. Er verliebt sich in die Stimme einer Telefonistin, die auf tragische Weise umkommt,
gewinnt die Freundschaft eines Kameraden im Heer und lernt, die Leute an ihren
Schuhen zu erkennen. Knapp sieben
Jahre begleiten wir den jungen Mann auf
seinem Weg, jede Station steht dabei für
einen idealtypischen Lebensentwurf.
Bisweilen kippt der Texte ins Sentimentale und Absichtsvolle, er hat aber auch
seine wunderbaren Momente.
Edmondo de Amicis: Auf dem Meer.
Deutsch von Annette Kopetzki. Corso,
Wiesbaden 2015. 176 Seiten, Fr. 52.–.
Von Manfred Papst
Das berühmteste Buch des italienischen
Autors Edmondo de Amicis (1846_1908)
ist der 1886 erschienene, den Geist des
Risorgimento spiegelnde Jugendroman
«Cuore» («Herz»), der in viele Sprachen
übersetzt wurde. In den letzten Jahrzehnten ist aber kaum noch ein Werk des
einstmals Berühmten auf Deutsch erschienen; eine Ausnahme bildet der
kleine, die Emanzipation parodierende
Roman «Liebe und Gymnastik» (Manesse 2013), der 1971 von Italo Calvino wiederentdeckt und 1973 mit Senta Berger in
der Hauptrolle verfilmt worden war.
De Amicis war aber auch ein Weltenbummler, der bis heute lesenswerte Bücher über Spanien, die Niederlande, Marokko und andere Weltgegenden schrieb.
Der Wiesbadener Verlag Corso bringt
nun eine Reihe dieser Werke in sorgsam
übersetzten und schön gestalteten, allerdings auch gekürzten Bänden heraus.
Auf «Istanbul, Hauptstadt der Welt»
(2014), das von Orhan Pamuk als schönstes Buch über das alte Konstantinopel
gepriesen wurde, folgt nun «Auf dem
Meer». Die deutsche Ausgabe firmiert als
Roman, man könnte aber genauso gut
auch von einer Reiseerzählung oder Reportage sprechen.
1884 fährt de Amicis als Chronist der
italienischen
Auswandererbewegung
von Genua nach Montevideo. Rund 1800
Menschen befinden sich an Bord der
«Galileo». Die meisten sind italienische
Bauern und Arbeiter, die auf ein besseres
Leben in Nord- oder Südamerika hoffen,
hinzu kommen einige besser gestellte
Reisende aus Italien, Frankreich, Österreich und der Schweiz. De Amicis schildert den Abschiedsschmerz und die
Hoffnungen der Auswanderer und berichtet mit viel Sinn für szenische Dramatik und sprechende Details vom Alltag der Dreiklassengesellschaft an Bord.
Gewiss, für die Passagiere der dritten
Klasse war die Reise kein Vergnügen,
doch immerhin hatten sie, wie Erri De
Luca in seinem Nachwort festhält,
eine Fahrkarte, einen Pass,
einen Schlafplatz, ausreichend
Nahrung – und die Gewissheit,
bei ihrer Ankunft nicht eingesperrt
oder zurückgeschickt zu werden.
Wenn wir die Situation der Emigranten von damals mit derjenigen von
Flüchtlingen vergleichen, die heute in
Lampedusa stranden, können wir
durchaus ins Nachdenken kommen darüber, ob wir seit den
Tagen von Edmondo de
Amicis Fortschritte gemacht
haben. ●
Regula Freuler
Manfred Papst
Regula Freuler
Manfred Papst
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11
Porträt
AmbivalenteTrop
Die Basler Naturhistoriker Paul Sarasin (1856–1929) und Fritz Sarasin
(1859–1942) erforschten die britischen und niederländischen
Inselkolonien in Asien. Die zwei Patriziersöhne und Grosscousins
waren getrieben von wissenschaftlicher Neugier und gegenseitiger
erotischer Zuneigung. Von Geneviève Lüscher
Erstaunlich: Das Basler Haus der Kulturen, vormals Völkerkundemuseum, beherbergt eine der
weltweit renommiertesten ethnologischen
Sammlungen, und das, obwohl die Schweiz nie
irgendwelche Kolonien besessen hat. Wie sind
diese Schätze nach Basel gekommen? Bernhard
C. Schär ist dieser Frage in seiner soeben erschienenen Dissertation «Tropenliebe» nachgegangen.
«Am Anfang des Basler Völkerkundemuseums stehen Paul und Fritz Sarasin, die ‹Vettern
Sarasin›, wie sie hier genannt werden», erklärt
Historiker Schär auf einem Rundgang durch die
Hallen des Museums. «Meine Motivation, über
die Vettern zu schreiben, liegt in der – meiner
Meinung nach – viel zu engen Schweizer Geschichtsforschung. Das sieht man gerade jetzt
wieder an den Debatten über Morgarten, Marignano etc., die kaum über den nationalen Gartenzaun blicken. Dabei muss man die Schweiz
global sehen; sie war immer Teil nicht nur Europas, sondern auch der Welt. Und die Vettern und
ihre Geschichte zeigen das exemplarisch.»
Paul (1856–1929) und Fritz (1859–1942) waren
eigentlich Vettern zweiten Grades, also nicht
nahe verwandt. Sie stammten aus dem Basler
«Daig», wie man die städtische Elite hier nennt,
und waren enorm reich. Des einen Vater war
Baumwoll-, jener des anderen Seidenbandfabrikant. Da ihre Brüder die wichtigen Aufgaben in der Stadtpolitik oder im Geschäft bereits
Paul und Fritz Sarasin
Ende 19. bis Mitte 20. Jahrhundert war die Blütezeit der ethnografischen Expeditionen. Die Vettern Paul und Fritz Sarasin aus der Basler
Oberschicht sammelten in Sri Lanka und Sulawesi
Objekte aller Art, die heute den Grundstock des
Naturhistorischen Museums und des Museums
der Kulturen in Basel bilden. Bernhard C. Schär
beleuchtet in seiner Studie die Liebe der Sarasin
zu den Tropen, ihre gegenseitige Zuneigung
sowie ihre Bedeutung für die Erforschung und
Eroberung des kolonialen Südostasiens:
Tropenliebe. Schweizer Naturforscher und niederländischer Imperialismus in Südostasien um
1900. Campus, Frankfurt am Main 2015. 374 Seiten, Fr. 56.–, E-Book 38.90.
Eine gleichzeitig erschienene Biografie von
Christian Simon verortet die beiden Forscher in
der Schweizer Wissenschaftsgeschichte und der
Basler Lokalgeschichte: Reisen, Sammeln und
Forschen. Die Basler Naturhistoriker Paul und
Fritz Sarasin. Schwabe, Basel 2015. 332 Seiten,
Fr. 71.90.
12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
Dem Druck der Familie und
der konservativ-frommen
protestantischen Gesellschaft
Basels entzogen sich die
Vettern Sarasin durch ein
Studium in Deutschland.
übernommen hatten, konnten sie sich standesgemäss nur noch der Kunst oder der Wissenschaft widmen. Das Einzige, was von ihnen erwartet wurde, war eine Heirat, die den Reichtum
der Familie mehrte. Dazu hatten die beiden aber
keine Lust. Sie hatten sich als Studenten der Naturwissenschaften an der Universität Basel kennengelernt – Paul war 23, Fritz 20 Jahre alt – und
dort ihre Zuneigung füreinander entdeckt. Dem
Druck der Familie und der konservativ-frommen
protestantischen Gesellschaft Basels entzogen
sie sich erst durch ein Studium in Deutschland,
dann durch Forschungsreisen in die Tropen.
Dissidente Männlichkeit
Unter dem Begriff Tropen, erklärt der Berner
Historiker, subsumierte sich im 19. Jahrhundert
eine ganze Palette von Vorstellungen: Exotik,
Wildheit, Ursprünglichkeit, Schwüle, verbotene
Liebe – ein Raum voller Möglichkeiten und Verlockungen. Hier war der Ort, wo die Vettern ihre
«dissidente Männlichkeit», wie Schär das spezielle Verhältnis der beiden zueinander nennt,
ausleben konnten.
Es war die Stadt Basel, die ihnen die ambivalente Liebe zu den Tropen mit auf den Lebensweg gegeben hatte. Deren Geschichte ist durch
den Handel eng mit Übersee verwoben, eine
ganze Reihe von Basler Familien hatte sich in
den Dienst der europäischen Kolonialmächte
gestellt oder von diesen profitiert. «Ohne Kolonien wäre der immense Reichtum kaum möglich
gewesen», sagt Schär. Und neuere Forschungen
hätten gezeigt, dass man gar in den afrikanischen Sklavenhandel involviert war.
Wir sind unterdessen im ersten Stock in der
Abteilung Expeditionen angelangt, wo ein Raum
den Sarasin gewidmet ist. Ein Wandbild zeigt die
beiden als kecke Zofingerstudenten, ein anderes
als erfolgreiche Grosswildjäger mit dem Kadaver
eines erlegten Elefanten. 1883 bis 1886 reisten
sie erstmals in die Tropen, nach Ceylon (heute
Sri Lanka), eine britische Kolonie. Sie widmeten sich dort den Naturwissenschaften, dem
Sammeln von Objekten aller Art, und waren
dabei nicht wählerisch: zoologische und botani-
Die Basler Naturforscher Fritz und Paul Sarasin inszenierten sich als
sche Präparate, archäologische Fundgegenstände, geologische Gesteinsbrocken, menschliche
Schädel und Ethnografica – nichts war vor ihnen
sicher. Für Studien an Elefantenembryos machten sie Jagd auf trächtige Elefantenkühe, für ihre
umfangreiche Schädelsammlung plünderten sie
die Grabstätten der Dorfgemeinschaften, die sie
freundlich aufgenommen hatten.
Auf Sri Lanka lebten – und leben noch heute
– die Wedda, kleinwüchsige Menschen, von
ETH BILDARCHIV ZÜRICH
enliebe
erfolgreiche Grosswildjäger. Auf ihren Reisen in die Tropen sammelten sie Objekte aller Art, die später den Grundstock des Basler Völkerkundemuseums bildeten (Foto undatiert).
Kontroversen des 19. Jahrhunderts ein, derjenigen zwischen Evolutionisten und deren Gegnern. Die führenden Anthropologen Deutschlands lehnten Darwins Theorie ab. Erst ab 1900
fand ein Umschwung statt, nicht zuletzt wegen
der Wedda-Studien der Sarasin. «Die beiden Basler gehören deswegen zu den Wegbereitern des
wissenschaftlichen Rassismus», sagt Schär.
Wir stehen nun vor der gipsernen Wedda-Figurengruppe: Mann und Frau mit Kind – klein,
dunkelhäutig, fast nackt. Sie ist der Blickfang
des Ausstellungsraumes, wurde 1908 nach Fotos
und Messdaten der Sarasin geformt und sollte
zeigen, dass die Kleinfamilie schon in der
vormenschlichen Gesellschaft existierte, also
der Natur des Menschen entspricht.
Die Liebe für die Natur und Menschen in den
Tropen führte die Vettern auf die noch weitgehend unerforschte Insel Celebes (heute Sulawesi), damals eine holländische Kolonie. Mit
▲
denen die Sarasin glaubten, sie stellten eine Art
Urvolk und damit den «Anfang der menschlichen Evolution» dar, wie Schär erklärt. Für die
Vettern waren die Wedda in einem primitiven
Urzustand stehengeblieben, ganz im Gegensatz
zu den viel weiter entwickelten Europäern. Sie
stellten sich sogar die Frage, ob sie nicht das
«missing link» zwischen Primaten und Menschen darstellen könnten. Damit mischten sie
sich in eine der grössten wissenschaftlichen
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13
Porträt
Im 19. Jahrhundert hatten
Kolonien nicht nur eine
wirtschaftliche Bedeutung,
sie dienten auch dem
Ausleben nicht geduldeter
sexueller Vorlieben.
MUSEUM DER KULTUREN BASEL
Überaus blutiger Feldzug
Fritz und Paul Sarasin waren die ersten Europäer, die ins Landesinnere vordrangen; sie gingen dabei nicht zimperlich vor. «Den Widerstand
der Bevölkerung zu durchbrechen, bildete die
hauptsächlichste und schwierigste Aufgabe auf
unsern Reisen», berichtete Paul Sarasin an
einem Vortrag 1898. Es seien Schweizer gewesen, die die 1905 folgende Eroberung durch die
Holländer vorbereitet und mitermöglicht hätten, betont Schär. Es sei ein überaus blutiger
Feldzug gewesen – Speere gegen Artillerie – die
Bevölkerung hatte keine Chance. Die Gewalt,
die beim Erwerb ethnografischer oder auch archäologischer Objekte, wie wir sie heute in den
Ausstellungen sehen, im Spiel war, wird in
Schweizer Museen nie erörtert. Auch europäische Häuser tun sich schwer damit. «Aber diese
Schattenseiten müssten ebenfalls thematisiert
werden», findet Schär, «sie würden einen ehrlicheren Blick auf die koloniale Geschichte nicht
nur dieser Sammlungen, sondern auch der
Schweiz ermöglichen.»
1917, bei der Eröffnung des Völkerkundemuseums, bedauerte Fritz Sarasin die fatale Entwicklung des Kolonialismus, ohne allerdings
das eigene Zutun zu erwähnen: «Vielfach verschwinden bei der Berührung mit den Weissen
nicht nur die primitiven Kulturen, sondern auch
ihre Träger selbst.» Die Sarasin hätten mitgeholfen, gerade das zu zerstören, was sie am meisten
liebten. Vielleicht sei ihr späterer Einsatz für den
Naturschutz als stummes Eingeständnis ihrer
Schuld zu betrachten, gibt Schär zu bedenken.
Gemäss Bernhard Schär hatten die Kolonien im
19. Jahrhundert nicht nur wirtschaftliche Be-
In den auf Sri Lanka lebenden Wedda (hier Gipsfiguren)
glaubten die Sarasin, eine Art Urvolk entdeckt zu haben.
deutung, sondern dienten auch dem Ausleben
von in Europa nichtgeduldeten sexuellen Vorlieben. Davon zeugen die zahllosen Verbindungen
weisser Männer mit einheimischen Frauen.
Auch den beiden Vettern ermöglichten sie ein
Zusammenleben nach eigenem Gusto. Ihre besondere Beziehung ist in einer umfangreichen
Korrespondenz im Staatsarchiv Basel festgehalten. Paul, der an Gicht litt, musste oft zur Kur
nach Deutschland; fast täglich verkehrten Briefe, die eine starke Verbundenheit zeigen. Sie
handeln – verklausuliert – von Sehnsucht und
Begehren. Am innigsten aber sind Pauls Gedichte, die er 1893 sogar publiziert hat. Es sind offensichtlich an Fritz gerichtete Liebesverse: «Ich
habe als Glücklichster dich gefunden / Du wirst
auch im Schlimmen nicht mich verlassen / Du
Stern meiner Nacht, nie wirst du erblassen.»
Ob sie sexuell oder nur platonisch miteinander verbunden waren, lasse sich aufgrund der
Quellen nicht entscheiden, erläutert Schär bei
einem Espresso im Museumscafé. Jedenfalls,
davon ist er überzeugt, hegten sie füreinander
eine innige Zuneigung, die weder in Basel noch
in der Familie geduldet wurde. Als der Gedichtband herauskam, kritisierte Pauls fromme Mutter ihren Sohn aufs Schärfste. Er musste sämtliche Bücher einziehen und hat sie später in Celebes unter einer Kokospalme begraben. Es war
der Versuch eines «Coming-out», das misslang.
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14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
Sara Grob, Betriebsleiterin
Dank ihrer Wohltätigkeit waren die beiden Sarasin schliesslich auch in der Rheinstadt wohl
gelitten. Sie schenkten dem neu gegründeten
Völkerkundemuseum wertvolle Objekte, zu
deren Studium noch heute Forscher aus aller
Welt anreisen. Es war aber vor allem das Elefantenbaby Miss Kumbuk, das die Vettern 1886 dem
neu eröffneten Zoo, dem ersten in der Schweiz,
spendeten. Es eroberte die Herzen der Basler im
Nu und liess sie die «dissidente Männlichkeit»
vergessen.
Während Paul sich in Basel vermehrt dem Naturschutzgedanken zuwandte, er gehört zu den
Pionieren der Nationalparkidee und zu den
Gründern des Schweizerischen Nationalparks,
reiste Fritz weiterhin in der Welt herum. Die
enge Verbindung lockerte sich, die sehr unterschiedlichen Temperamente entwickelten sich
auseinander: Paul war arrogant, hatte einen
Hang zur Überheblichkeit, forderte von allen
Unterwerfung; Fritz hingegen war zurückhaltend, menschenfreundlich, harmoniebedürftig,
zwar auch er ein Vertreter der herrschenden
Elite, aber gleichzeitig dienend.
Nach dem Tod seiner Mutter 1918 heiratete
Paul Sarasin, nun schwer an Gicht erkrankt, die
25 Jahre jüngere Maria Hohenester. Schon 1907
war dieser Verbindung ein erstes Kind entsprungen. Die Ehe war eine Mesalliance, eine deutliche Absage an die Familie. Es scheint, dass
Maria, die in den Familienarchiven kaum existiert, eine Angestellte von Pauls Mutter gewesen
ist. Schär vermutet, dass Pauls zunehmende
Pflegebedürftigkeit ein Grund für die Heirat gewesen sein könnte. Beide Vettern wandten sich
zunehmend der Erforschung der Schweiz zu. Sie
förderten die lokale Anthropologie, Urgeschichte, Volks- und Naturkunde.
Krankheit und Tod
1929 erlag Paul Sarasin einer Lungenentzündung. Er war im Alter rechthaberisch und autoritär geworden und konnte sich weder mit dem
Machtverlust des Basler «Daig» in der zunehmend demokratisch organisierten Gesellschaft
abfinden, noch mit der Tatsache, dass seine literarischen Aktivitäten ohne Resonanz blieben.
Fritz Sarasin forschte und publizierte bis zu seinem Tod 1942 als ein angesehener Wissenschafter seiner Zeit.
Das Leben von Paul und Fritz Sarasin zeigt,
dass die Schweizer Forscher an der Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert einen internationalen
Horizont pflegten und vom Kolonialismus nicht
nur profitierten, sondern diesen dank ihres unermesslichen Reichtums sogar förderten. Auch
ohne eigene Kolonien war die Schweiz – quasi
hinter den Kulissen – zu einer Kolonialmacht geworden. l
Ein soziales Projekt der Stiftung Tosam www.tosam.ch
▲
logistischer Hilfe der Kolonialverwaltung organisierten sie insgesamt sieben Expeditionen
und gaben dabei Unsummen aus. Schiffe mussten organisiert, Träger angeheuert, teure Instrumente gekauft werden. «25000 Franken kostete
so eine Expedition von rund sieben Wochen»,
erklärt Schär, d.h. fünf bis sechs Jahresgehälter
eines eidgenössischen Beamten. Die sieben Expeditionen dürften also auf heute umgerechnet
Millionen Franken gekostet haben.
Kolumne
Charles LewinskysZitatenlese
Intelligente Fehler zu
machen, ist eine grosse
Kunst.
Kurzkritiken Sachbuch
Urs Schoettli: Aufbruch aus Euorpa.
NZZ Libro, Zürich 2015. 201 Seiten,
Fr. 38.–, E-Book 24.90.
Kurt Brandenberger: Marco Camenisch.
Lebenslänglich im Widerstand. Echtzeit,
Basel 2015. 208 Seiten, Fr. 29.90.
Seit langem plädiert der frühere AsienKorrespondent der NZZ Urs Schoettli
dafür, den Austausch mit dem Osten als
Chance zu packen. Die anderen kulturellen Werte Chinas, Indiens, Japans und
Südostasiens seien zu anerkennen, die
Schweiz solle mit diesen Staaten und
Volkswirtschaften in einen Dialog auf
Augenhöhe treten, denn helvetische
Tugenden und Vorzüge würden dort geschätzt. In Zukunft werde der wissenschaftliche und technologische Fortschritt vom Orient geprägt sein. Eine Abkehr vom Eurozentrismus sei überfällig,
ohne dass man einem «selbstlosen Kosmopolitismus» verfalle. Im ersten Teil
des Buches zeigt Schoettli, wo bereits
enge Bande bestehen und welches Potenzial noch brach liegt, im zweiten geht
er auf länderspezifische Chancen und Risiken ein. Ein hilfreiches Brevier für
unternehmensfreudige Eidgenossen.
«E rechta Chlapf» wollten Marco Camenisch und sein Mitstreiter veranstalten,
als sie 1979 einen Sprengstoffanschlag
auf ein Bündner Kraftwerk verübten.
Tatsächlich fand das Unterfangen grossen Nachhall, stand es doch am Anfang
bewegter Jahrzehnte, in deren Verlauf
sich der «Öko-Terrorist» zur linken Ikone
entwickelte – in absentia, denn Camenisch lebte im Untergrund respektive
nach der (nie gestandenen) Tötung eines
Grenzwächters im Gefängnis. Dort hat
ihn Kurt Brandenberger über zwei Jahre
lang besucht und eine Biografie verfasst.
Spannend wie ein Krimi lässt das Buch
auch etliche Gesellschaftsdebatten der
1970er und 80er Jahre aufblitzen. Die
grossen Fragen um die Widersprüche des
gewaltsamen Kampfes für eine bessere
Welt gehen aber im Gedöns von Camenischs weitgehend unkommentiert wiedergegebenen Anarcho-Diskursen unter.
Gerhard Danzer: Europa, deine Frauen.
Springer, Heidelberg 2015.
354 Seiten, Fr. 35.–, E-Book 35.–.
Gabriela Häfner, Bärbel Kerber: Das innere
Korsett. C. H. Beck, München 2015.
217 Seiten, Fr. 21.90, E-Book 13.–.
Es mag verwundern, da hat sich ein Mediziner und Professor für Psychosomatik
nichts Geringeres vorgenommen als eine
weibliche Kulturgeschichte Europas. Er
macht diese an 24 Porträt-Essays zu
«kulturell produktiven» europäischen
Frauen fest: von Madame de Sévigné
über Simone de Beauvoir bis zu Melina
Mercouri, von Maria Montessori über Astrid Lindgreen und Pina Bausch bis zu
Rosa Luxemburg und Hannah Arendt.
Die sehr persönliche und damit willkürliche Auswahl kontrastiert etwas paradox mit der lexikonartigen Präsentation:
Jedes der durchnummerierten und nach
Sachgebieten geordneten Porträts beginnt mit einem Bild und gliedert sich
dann streng in Biografie, Werkanalyse
und Conclusio. Doch die einzelnen Essays sind gehaltvoll, überaus informativ
und ausgesprochen lesbar geschrieben
und erst noch mit einem ausgezeichneten Literaturverzeichnis ausgestattet.
Neu ist das vielleicht nicht. Doch die beiden Autorinnen – studiert, verheiratet,
Mütter und Gründerinnen des OnlineFrauenmagazins MissTilly.de – stellen
das heutige Gleichstellungsparadox
trefflich dar: Gerade in reichen Ländern
trotzen die Unterschiede zwischen den
Geschlechtern aller Frauenförderung
und Gleichstellungspolitik (Berufswahl,
Karriere, Lohn). Schuld geben sie allerdings weder «den Männern» noch «der
Politik». Vielmehr seien es die «heimlichen Erzieher», die überholte Geschlechterklischees neu entfacht haben: rosa
Spielzeugwelten, die gnadenlose Bilderflut in Werbung und Medien, das völlig
irrwitzige, längst nur noch digital erreichbare Schlankheits- und Schönheitsideal. Das unerfüllbare Idealbild untergräbt das Selbstvertrauen. Frauen, so
eines von vielen klugen Resümees dieser
Autorinnen, werden zu Expertinnen –
der Unsicherheit und des Zwiespaltes.
LUKAS MAEDER
Federico Fellini
Der Autor Charles
Lewinsky arbeitet in
den verschiedensten
Sparten. Sein letzter
Roman «Kastelau»
ist im Verlag Nagel &
Kimche erschienen.
Die Grammatik hat ihre strengen Regeln,
und die Orthografie regiert mit dem katholischen Anspruch allgemeiner Gültigkeit. (Was heute nicht mehr ganz funktioniert, weil sie zu oft reformiert
wurde.) Was so nicht im Duden steht,
wird von jedem Korrektor erbarmungslos ausgemerzt. Weil nicht sein kann,
was nicht sein darf.
Und dabei sind es doch oft die scheinbaren Fehler, die unserer Sprache Glanzlichter aufsetzen. Vorausgesetzt sie werden von jemandem begangen, der die
Sprache wirklich beherrscht. Wer nicht
perfekt reiten kann, tut besser daran,
sich nicht ans Voltigieren zu wagen.
Kurt Tucholsky zum Beispiel wusste
sehr wohl, dass man nur Adjektive steigern kann, aber keine Pronomina. Und
doch kennzeichnete er einen aufgeblasenen Unteroffizier auf den Punkt genau
mit der grammatikalisch total falschen
Formulierung: «Je lauter er schrie, desto
niemander kam.»
Worauf mein Deutschlehrer am Gymnasium, der ein strenger Mann war und
Regeln um ihrer selbst willen liebte, gesagt haben würde: «Setzen, Tucholsky.
Note drei.»
Noch so ein Problemschüler ist Wilhelm Busch, der als Dichter immer unterschätzt wird, weil er als Zeichner so
brillant war. Er gab einmal dem Verb
«anbeten» eine völlig falsche Bedeutung, indem er es unorthodoxerweise
als Fortbewegungsart bezeichnen liess.
Aber kann man frömmelnde Pilger genauer kennzeichnen, als es in diesen
Versen aus der «Frommen Helene» geschieht?
«Doch die Erzgebruderschaft
Nebst den Jungfern tugendhaft,
Die sich etwas sehr verspätet,
Kommen jetzt erst angebetet.»
Busch, Wilhelm, so geht das nicht.
Wenn wir schon bei den falsch und
gerade deshalb richtig verwendeten Verben sind, hier noch ein Beispiel aus «Annebäbi Jowäger»: «Der Vikari», schreibt
Gotthelf da, «schmiss sich schmetternd
aus der Türe.»
Ich bin sicher, mein Professor, der
hier namenlos bleiben soll, hätte dem
Schüler Bitzius diesen Satz dick unterstrichen und am Rand mit vorwurfsvollem Rotstift angemerkt: «Deutsch!!!»
Aber eben: In den Händen eines wirklichen Könners wird auch falsches
Deutsch zu richtigem Deutsch. Da
macht die Sprache die verwegensten
Kunststücke, ohne dabei vom hohen
Seil zu fallen.
Manche mögen das nicht. Aber
wer der Meinung ist, dass man beim
Schreiben lechts und
rinks niemals
velwechsern dürfe, der
soll eben nicht Ernst
Jandl lesen.
Urs Rauber
Kathrin Meier-Rust
Claudia Mäder
Kathrin Meier-Rust
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15
Sachbuch
Reich der Mitte Von den Träumen neureicher Aufsteiger bis zur Freude am geselligen Mahl – die Bücher
von Evan Osnos und Marcus Hernig beschreiben den Wandel in China
Tellerwäscher-Karrieren
aufChinesisch
Evan Osnos: Grosse Ambitionen. Chinas
grenzenloser Traum. Suhrkamp, Berlin
2015. 535 Seiten, Fr. 35.90, E-Book 27.–.
Marcus Hernig: Chinas Bauch. Edition
Körber-Stiftung, Hamburg 2015.
227 Seiten, Fr. 27.90.
Von Harro von Senger
Eine Fülle an Informationen aller Art vermittelt in recht kleiner Druckschrift Evan
Osnos in seinem Buch «Grosse Ambitionen – Chinas grenzenloser Traum», für
das er 2014 den amerikanischen National
Book Award im Bereich Non-Fiction erhielt. Osnos, von 2005 bis 2013 ChinaKorrespondent der «Chicago Tribune»
und des «New Yorker», beleuchtet den
wirtschaftlichen Aufstieg Chinas seit
1978 anhand menschlicher Einzelschicksale. Das Buch beruht auf persönlichen
Erfahrungen und Interviews. Es waren
vor allem die Aufsteiger, die ihn anzogen, all jene, die «sich gegen ihr ursprüngliches Schicksal entschieden und
einen Weg bahnten, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in
den Welten der Politik, der Ideen und des
Geistes.»
Im ersten Teil des Buches stellt Evan
Osnos Frauen und Männer vor, die während der Frühzeit des Aufschwungs in
China der Armut entkamen. Je erfolgreicher die Menschen in wirtschaftlicher
Hinsicht wurden, desto mehr verlangte
es sie danach, zu erfahren, was auf der
Welt um sie herum vor sich ging. Aus diesem Grund berichtet er im zweiten Teil
vom «Widerstand gegen Propaganda und
Zensur». Im letzten Teil verschmelzen
diese Bedürfnisse auf der Suche nach
einer neuen moralischen Grundlage.
Das Buch beginnt mit einer atemberaubenden Schilderung der riskanten
nächtlichen Flucht des 26-jährigen
taiwanesischen
Hauptmanns
Lin
Zhengyi von einem winzigen, auf einer
einsamen, windgepeitschten Felszunge
gelegenen Kommandoposten unmittelbar vor der chinesischen Meeresküste
auf das Festland. Als einer der am meis16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
ten gefeierten jungen Offiziere Taiwans
entschloss er sich zur Desertion im Glauben, er könne seine Bestimmung nur in
der Volksrepublik erfüllen. Über die drei
Teile seines Buches verstreut schildert
Osnos den Werdegang dieses Mannes
und anderer Protagonisten. Lin Zhengyi
durchlief unter seinem neuen Namen Lin
Yifu im «grössten autoritär geführten
Staat der Erde» eine glänzende Karriere.
Er wurde der erste Student aus der Volksrepublik nach der «Kulturrevolution»
(1966–1976), der an einer amerikanischen Universität in Wirtschaftswissenschaften promovierte, und der erste
Chefökonom der Weltbank aus einem
Entwicklungsland.
Skandale begleiten Aufstieg
Zu den Persönlichkeiten, denen sich
Osnos in verschiedenen Lebensabschnitten widmet, gehören die des Englischen
kaum mächtige Bauerntochter Gong Haiyan, die die grösste Online-Singlebörse
des Landes gründete, weil sie trotz
einem Hochschulabschluss infolge ihres
unscheinbaren Aussehens keinen Partner gefunden hatte, der Blogger und
Schriftsteller Han Han, «das Symbol des
individualistischen Lebensentwurfs der
Generation Ich», und der autodidaktisch
zum Anwalt ausgebildete blinde Bauernsohn Chen Guangcheng, der im Gegensatz zu Lin Zhengyi glaubte, er könne
sein Schicksal nur erfüllen, indem er
China Richtung USA verliess. Eindringlich beschreibt Osnos auch Begegnungen
mit Liu Xiaobo, Jahre bevor er den Friedensnobelpreis bekam, und mit dem
«bekanntesten chinesischen Dissidenten
aller Zeiten» Ai Weiwei.
Osnos’ Buch zeichnet sich durch eine
breit gefächerte Darstellungsweise aus.
Er lässt ganz unterschiedliche Stimmen
zu Worte kommen. So vernimmt man
über Ai Weiwei nicht nur Lob. Auch chinesische Kritiker seiner politischen Aktionen und seines künstlerischen Schaffens kommen zu Wort. Umgekehrt erfährt man manch ungnädige Bemerkung
Ai Weiweis über chinesische Kollegen.
Zudem vergleicht Osnos China häufig
mit den USA und vermeidet so
scheuklappenartig verengte Urteile.
Über eine Zugkatastrophe in Wenzhou
schreibt Osnos, sie versinnbildliche für
viele das, was der Hurrikan Katrina für
die Amerikaner repräsentierte: das totale
Versagen des Staates.
«Ständige Skandale waren die Hintergrundmusik von Chinas Aufstieg.» Kein
Wunder, dass Schilderungen der Untaten
von Kriminellen einen breiten Raum einnehmen. Um sich kundig zu machen,
studierte Osnos «Tausende Seiten Gerichtsakten». Sein Buch liest sich daher
streckenweise wie eine Verbrechensgeschichte der Volksrepublik China. Der
niederschmetternde Eindruck, der auf
diese Weise entsteht, wird jedoch abgemildert durch einen an den Anfang des
Buches gestellten Hinweis: «Ganz wie in
China wurde auch die Entstehung des
amerikanischen Wohlstands von einer
spektakulären Verkommenheit begleitet. ‹Unsere Geschäftsmethoden›, erklärte der Eisenbahn-Unternehmer Charles
Francis Adams jr., Enkel von Präsident
John Quincy Adams, ‹basieren auf Lug,
Trug und Diebstahl.›»
Die meisten chinesischen Bezeichnungen sind korrekt wiedergegeben. In
China kommt es vor, dass man eigentlich
benötigte Materialien durch billigere
schlechtere ersetzt, zum Beispiel beim
Bau von Brücken oder Schulhäusern.
Dies bezeichnet Osnos korrekt mit dem
Strategen «touliang huanzhu». Aber
seine Übersetzung «Balken stehlen, um
daraus Säulen zu machen» stimmt nicht.
Der Ausdruck bedeutet «Balken stehlen
und Stützpfosten auswechseln».
Wichtigkeit des Essens
Osnos zieht das Fazit, dass «China nie facettenreicher, urbaner und wohlhabender gewesen ist». Aktivisten aus der chinesischen Mittelschicht, die er kennenlernte, zielten vor allem auf Reformen,
nicht auf einen Sturz der Regierung. Für
Dissidenten «stellte der chinesische Staat
kein einfaches Ziel dar, da es immerhin
gelungen war, die Lebensgrundlage von
mehreren hundert Millionen Menschen
PAUL CHESLEY / NATIONAL
tet sie als einen «wunderbaren Leitfaden, Ereignisse und Beobachtungen zu
erzählen», die er entweder selbst erlebt
oder aus anderen Quellen mit eigenen
Worten nacherzählt hat. Als grosse Quelle von Freude beschreibt Hernig das gesellige Mahl. Dieses spielt indes keine
Rolle bei den in China recht bekannten
«vier Freuden», die ein Gedicht aus der
Zeit um 1100 n. Chr. aufzählt: 1. Die Begegnung mit einem Landsmann in einer
fremden Gegend; 2. Ein Regenguss nach
einer langen Dürreperiode; 3. Eine Hoch-
Evan Osnos
beleuchtet die Welt
der Reichen und
Erfolgreichen in
China: Wohlhabende
Lady im Pelzmantel
auf den Strassen
Pekings (2008).
zeitsnacht bei Kerzenschein; 4. Erfolg im
Beamtenexamen.
Beide Bücher sind flüssig geschrieben.
Sie passen gut zueinander. Wer sich
während der Lektüre des informationsschwangeren Werks von Osnos ab und zu
etwas Ruhe gönnen möchte, dem bietet
sich das leichtfüssiger daherkommende
Buch von Hernig als angenehme Entspannungslektüre an. ●
Harro von Senger ist emeritierter Professor für Sinologie an der Universität
Freiburg i. Br.
www.fischerverlage.de
Unser ganz normales,
brüchiges Leben
Foto: Andreas Labes
zu verbessern». Als sich Osnos von einem
Kenner in die chinesische Kunst der Bestechung einweisen liess, galt die erste
Lektion der grossen Wichtigkeit des Essens.
Mit Essen beginnt auch das Buch von
Marcus Hernig «Chinas Bauch. Warum
der Westen weniger denken muss, um
den Osten besser zu verstehen». Der Verfasser beschreibt China anhand der sieben Gefühle Freude, Wut, Trauer, Angst,
Liebe, Hass und Gier, die ein konfuzianischer Klassiker aufführt. Hernig betrach-
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<wm>10CFWKqw6AMBAEv-ia3TbL9agkOIIg-BqC5v8VD4cYMZNZlqaEj2le93lrCgXNIZKvpOxqjJxcQ3tqzaBGAgRd9fcbGENB6e9jkLF2hEmWoztKuo7zBugNF6FyAAAA</wm>
Ruth Schweikerts bewegender Roman umkreist die Geschichten
mehrerer Generationen vom Zweiten Weltkrieg bis in die unmittelbare
Gegenwart. Geschichten von Liebe, Aufbruch und Trennung, von
abwesenden Vätern und der jahrelangen Sorge um die Kinder, bis
sich irgendwann die Kinder um die Eltern sorgen. Ein Familienroman
über das Vergehen der Zeit, fulminant und leidenschaftlich erzählt.
272 Seiten, gebunden, sFr. 29,90
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17
AFP / GETTY IMAGES
Sachbuch
Aktion, Veränderung, Bewegung sind der Treibstoff des modernen Geschäftslebens: Händler der New Yorker Börse, 29. September 2006.
Zeitgeist Der Philosoph Ralf Konersmann sagt, dass die Unruhe immer schon zur Zivilisation gehörte. Neu
sei aber, dass sie heute zur Normalität geworden sei
Hektikwirktansteckend
Ralf Konersmann: Die Unruhe der Welt.
S.Fischer, Frankfurt a. M. 2015.
480 Seiten, Fr. 35.90, E-Book 23.–.
Von Anja Hirsch
Schneller, höher, besser: Die Leitsätze
westlicher Kultur haben fragwürdige
Typen hervorgebracht, wie die «happy
workaholics», die Arbeitssüchtigen, die
ihre Leistung mit Fleissdrogen anfeuern.
Mobilität ist verlangt und die Krankheit
«Burnout» ein Symptom der Zeit. Ist die
Unruhe also schlicht ein modernes Phänomen? Nein – sagt der Kulturgeschichtler und Philosoph Ralf Konersmann in
seinem neuen Buch. Die Unruhe war
immer schon da und ist Teil der Kultur.
Nur: Wie kam sie hinein? Seit wann
wurde sie für uns fraglose Normalität?
Und wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass wir diese Unruhe, obwohl ihre
negativen Auswirkungen bekannt sind,
kultivieren?
Nichtstuer Diogenes
Der 1955 geborene Ralf Konersmann
lehrt Philosophie an der Universität Kiel
und gab Lexika wie das «Historische
Wörterbuch der Philosophie» und der
«philosophischen Metaphern» mit heraus. Er beschäftigte sich mit dem Kulturbegriff oder Phänomenen wie dem «Zeitgeist». Sein neues Studienobjekt, die Unruhe, sei eine «der ältesten Erfahrungen
der westlichen Kultur».
Schon der griechische Philosoph Diogenes, der im 4. Jahrhundert vor Christus lebte und ein Fass bewohnte, habe
ihre entscheidenden Eigenschaften
durch eine Parodie herausgestellt. Als
seine Stadt Korinth belagert wurde und
alle Einwohner aufgeregt durch die
Strassen eilten, soll er damit begonnen
haben, seine Tonne hin- und herzurollen,
untermalt von den Worten: «Ich wälze
mein Fass, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich sei unter so viel Tätigen der
18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
einzige Nichtstuer.» Diese Anekdote
über die «Performance des Strassenphilosophen», so Konersmann, zeigt zweierlei: Unruhe ist ansteckend. Und sie gelte
selbst dann als attraktiv, wenn sie unbestimmt und ziellos bleibt.
Unter diesem Blickwinkel beginnt Konersmann nun, die Unruhe in ihren verschiedenen Varianten aufzuspüren und
zu beschreiben. Massstab ist ihm dabei
nicht nur die Philosophiegeschichte,
sondern Bilder, Märchen, Erzählungen,
in welchen sich die Unruhe manifestiert.
Als eloquenter Reiseleiter vertraut er
also mit Hans Blumenberg als Gewährsmann der Kraft der Mythen. Eine dieser
mythischen Erzählungen ist die Bibel.
Mit der Vertreibung aus dem Paradies
und Kains Verworfenheit ins Land Nod
(übersetzt: «Unrast») sei den Menschen
die Ruhe dauerhaft versagt, nachdem sie
sich ihrer in zwei Generationen als unwürdig erwiesen hätten. Seitdem ist die
Ruhe als Gegenpol zur Unruhe etwas,
das erkämpft werden muss.
Klöster, die um 1000 entstanden,
machten diesen Wunsch nach Asyl deutlich. Um diese Unruhe fassbar zu machen,erfindetman«Ausgleichstechniken»
- Ordnungssysteme wie Takt, Rhythmus,
Regeln, Recht. Die Unruhe war also
immer schon Teil der abendländischen
Kultur und tritt als solche in verschiedenen Masken auf – als Aktion, Veränderung, Bewegung, Wandel oder gar Stress,
ein erst Mitte des 19. Jahrhunderts benanntes Symptom.
Diese Bestandsaufnahme unterlegt Konersmann mit einem weit verzweigten
Parcours durch Geschichts- und Denkmodelle. Er zeigt, wie die Unruhe allmählich
positiv umgewertet wurde, bis sie die biblische Konnotation als «reiner Schrecken» abwarf. Eine der Lichtgestalten dieser «Normalisierungsgeschichte der Unruhe» ist für Konersmann der Philosoph
Francis Bacon. Auf der Schwelle zur Neuzeit warb er für die Erkenntnis und lobte
ihre aufrührerische Kraft. Glaubte Bacon
aber noch an eine nur vorübergehende
Unruhephase, begegnet man der Unruhe
in den Geschichtsmodellen eines Schillers oder Hegels als unumstössliche Prämisse des Lebens.
Schriften zum Innenleben bescheren
ähnliche Resultate: Im Empfindsamkeitsroman «Anton Reiser» von Karl Philipp Moritz ist nichts mehr übrig von der
«Seelenruhe», die Seneca einst propagierte. Die «verzweifelte Anstrengung,
unangestrengt zu leben», wird so allmählich zur treibenden Kraft einer Lebensform, die wir heute als normal einstufen:
Nicht die Unruhe, sondern der Stillstand
gilt heute nahezu als «reiner Schrecken».
So eile denn zufrieden!
Die Verführungskraft der Unruhe im
Blick, nimmt Konersmann dieses Phänomen von allen Seiten auseinander. Beim
Schriftsteller André Gide etwa entdeckt
er die Figur des «Inquiéteur», ein erfundenes Wort: Nicht zu verwechseln mit
einem Unruhestifter, folgt diese Art
Künstler nicht nur der Unruhe selbst,
sondern wirft sich ihr geradezu in die
Arme. Als grosses Versprechen verführte
sie die Künstler der Zeit. Hier sieht der
Autor den Ausgangspunkt für eine Entwicklung von Glaubenssätzen, die unsere abendländische Kultur prägen, darunter das Misstrauen gegenüber Behaglichkeit und Zufriedenheit, die gern als
spiessbürgerlich abspeist werden.
Die reichhaltige Ernte dieser Befragung ist ausserdem mit einem als «Vokabular der Unruhe» getarnten Stichwortverzeichnis versehen. Die Studie endet
mit einem Appellativ von Friedrich Hölderlin: «So eile denn zufrieden!». Er
scheint heute beherzigenswerter denn
je, um Ruhe und Unruhe im Gleichgewicht zu halten. Konersmann öffnet uns
den Blick für die Zwiespältigkeit einer
Kraft, die erlitten werden muss, aber zugleich Lust schaffen kann. Die minutiöse,
geistesgeschichtliche Verortung dieses
Phänomens liegt hier vor. ●
Literaturklassiker Albrecht Schöne untersucht neun Goethe-Briefe
ErschriebnochmitdemFederkiel
Albrecht Schöne: Der Briefschreiber
Goethe. C. H. Beck, München 2015.
537 Seiten, Fr 42.90, E-Book 26.–.
Von Manfred Koch
«Nichts wird mir saurer als Briefe zu
schreiben», erklärte Goethe 1808 seinem
Weimarer Ministerkollegen Voigt. Eine
erstaunliche Behauptung für einen
Mann, der etwa 20’000 Briefe verfasst
hat! Schon rein handwerklich handelt
es sich um eine unglaubliche Leistung,
denn Goethe schrieb noch mit Gänsefederkielen (die dauernd angespitzt
werden mussten) und Eisengallustinte (die nur langsam
trocknete), auf widerborstigem
Papier, über das die Feder
nicht glitt, sondern unter
Absonderung
hässlicher
Geräusche mühsam kratzte. In seiner zweiten Lebenshälfte standen ihm
immerhin professionelle
Schreiber zur Verfügung.
Doch das Pensum war so
gross, dass der Geheime
Rat zuletzt schon frühmorgens vom Bett aus
mit dem Diktieren begann.
Albrecht Schöne, der
grosse alte Mann der Goethe-Forschung, hat ein
Buch über diesen gewaltigen Briefschreiber vorgelegt, das auf wunderbare
Weise die Nahsicht aufs
sprachliche Detail mit
einem souveränen
kulturgeschichtlichen
Überblick
ACTION PRESS
verbindet. Neun Briefe aus den Jahren
1764 bis 1832 interpretiert er in akribischen Fallstudien, und der Leser staunt,
welche Bedeutung ein scheinbar harmloser Konjunktiv oder ein wiederkehrendes Plusquamperfekt haben können. In
drei umfangreichen Exkursen entfaltet
Schöne zugleich ein Bild des Postwesens
um 1800, erläutert die komplizierten
Anredevorschriften der ständischen Gesellschaft («Höchst-deroselben») und resümiert die Schreib- und Diktiergewohnheiten Goethes. So erfährt
man beiläufig, wie die Geheimdienste hinter den Briefen des berühmten Dichters her waren oder
wie sich Goethe 1830 in
weltliterarischem
Sinn
freute, dass eine Nachricht des schottischen
Autors Carlyle dank
beschleunigter Transportmittel schon nach
14 Tagen in Weimar
eintraf. Die europäischen «Schnellposten» waren in seinen Augen ein
wichtiger
Faktor
der beginnenden
Globalisierung.
In den Fallstudien zeigt Schöne,
dass der junge Goethe die Sprache des
«Werther», die die
deutsche
Literatur
revolutionieren sollte, zuerst in seinen
Studentenbriefen erprobte. Es war ein
weiter Weg von
diesen Sturmund-Drang-
Als junger Mann
in Sturm und
Drang-Manier,
im Alter mit
zeremoniellem
Gebaren verfasste
Johann Wolfgang von
Goethe um die 20’000
Briefe.
Episteln («ich bin wieder scheissig
gestrandet») zum zeremoniellen Gebaren der Altersbriefe. Deren förmlicher
Kanzleistil – «Auf Ihr sehr wertes Schreiben, mein Teuerster, habe wahrhaftest
zu erwidern» – wirkt heute eher schrullig. Aber Schöne macht verständlich,
dass man all die Schnörkel und Umständlichkeiten nicht leichthin «als eine
überflüssige Geheimratsversteifung abtun» sollte. Sie bildeten eine Art von
schützendem Kokon, in den der zunehmend einsame, mit dem Zeitgeist zerfallene Goethe sich nach Schillers Tod
(1805) zurückzog: Schutz vor der Verzweiflung über den Untergang der alteuropäischen Welt in den politischen
und industriellen Revolutionen des frühen 19. Jahrhunderts; Schutz auch vor
der eigenen Todesangst. Zu jammernder Resignation wollte sich Goethe aber
nicht hinreissen lassen, es galt vielmehr, so seine Altersmaxime, Haltung
zu bewahren und sich in «rastloser Tätigkeit» den modernen Bedrohungen
gewachsen zu zeigen.
Das Gravitätische der Briefe sollte
nicht zu tief in sein Inneres blicken lassen, ihre menschenfreundliche Höflichkeit zugleich aber eine Verbindung mit
den Wenigen stiften, die gleich ihm die
Zeichen der Zeit erkannten. Das ist, wie
Schöne in einer anrührenden Interpretation des letzten Schreibens an Wilhelm von Humboldt zeigt, der Sinn der
Losungsworte, mit denen die Briefe
schliessen: «unwandelbar», «treulichst»,
«treu beharrlich». Unterschrieben hat er
alle – selbst die an vertraute Freunde gerichteten – immer auch mit dem Familiennamen (ihn manchmal zu «G» abkürzend). Als wollte er besiegeln, dass
in «Goethe» doch ein rettendes Göttliches wirkt! ●
DDR Das ehemalige PDS-Mitglied Angela Marquardt erzählt, wie die Stasi sie als Jugendliche rekrutierte
Doppelter Missbrauch
Angela Marquardt, Miriam Hollstein: Vater,
Mutter, Stasi. Kiepenheuer & Witsch, Köln
2015. 230 Seiten, Fr. 21.90, E-Book 13.–.
Von Kathrin Meier-Rust
Sie war der Jungstar der PDS (der Vorgängerpartei von «Die Linke») und hatte eine
atemberaubende Karriere hinter sich:
Mit noch nicht mal 20 Jahren im Bundesvorstand der Partei, mit 23 stellvertretende Vorsitzende, mit 27 Bundestagsabgeordnete. Dann der Paukenschlag: Angela
Marquardt, die immer für vollständige
biografische Offenlegung der Vergangenheit plädiert hatte, wird 2002 als Informelle Mitarbeiterin (IM) der Stasi geoutet. Genüsslich wurde ihre von eigener
Hand geschriebene Verpflichtungserklärung präsentiert. Einen Haken allerdings
hatte die Skandalgeschichte: Es war die
Hand einer 15-jährigen Schülerin, die
diese Erklärung im Jahr 1987 geschrieben
hatte. Wie sich nun zeigt, nach dem Diktat der eigenen Mutter.
Der Schock warf Marquart damals
vollkommen aus der Bahn. Konfrontiert
mit 100 Seiten «Täterakten» vermochte
sie sich kaum zu erinnern, blieb weitgehend stumm. Sie trat aus der Partei aus,
studierte, jobbte, fand schliesslich im
Büro einer SPD-Abgeordneten zur geliebten politischen Arbeit zurück.
Mit ihrem Buch rekonstruiert sie nun,
was damals geschah. Nicht nur waren
Mutter, Grossvater und Stiefvater alle
IM, eine Welt ausserhalb der DDR kam in
dieser Stasi-Familie nicht vor. Der Stiefvater missbrauchte die Schülerin zudem
über Jahre. Doch von seinen Freunden,
allesamt Stasi-Leute, die in der elterlichen Wohnung ein und aus gingen, fühlte sich die schüchterne Halbwüchsige
ernst genommen, sie boten ihr Halt im
familiären Drama: «Es waren männlich
Bezugspersonen, die mir nicht weh
taten.» Bereitwillig erzählte sie, wenn
sie zu Mitschülern und Lehrern gefragt
wurde. Dass sie selbst als IM «geführt»
wurde, realisierte das Mädchen nur sehr
vage. Selbst als man die begeisterte
Sportlerin dazu überredete, statt Sport
lieber Theologie (!) zu studieren, hielt sie
das für einen gutgemeinten Rat.
Unter den 173’000 informellen StasiMitarbeitern sollen im Jahr 1989 laut
Schätzungen rund 1300 Kinder und Jugendliche gewesen sein. Weil die Akten
von unter 18-Jährigen unter Verschluss
sind, weiss man kaum etwas über sie.
Wie psychologisch geschult, gezielt und
infam sie von der Stasi rekrutiert und
ausgenutzt wurden – davon zeugt dieses
nie rachsüchtige, aber immer beeindruckend ehrliche und genaue Buch. ●
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19
Sachbuch
Kunst Erstmals wird der weibliche Beitrag an Dada umfassend gewürdigt – die Rolle der Dichterinnen,
Tänzerinnen und Malerinnen
KünstlerinnenzuFussnotendegradiert
Ina Boesch (Hrsg.): Die Dada. Wie Frauen
Dada prägten. Scheidegger & Spiess,
Zürich 2015. 164 Seiten, Fr. 31.90.
Von Janika Gelinek
Dada-Tänzerinnen
und der ungarische
Choreograf Rudolf
von Laban in Ascona
1914.
2015 KUNSTHAUS ZÜRICH
Es ist kein schlechtes Zeichen, wenn man
sich von der Lektüre eines Buches sogleich zu neuen Lektüren inspiriert fühlt.
So blättert man durch den von der Kulturwissenschafterin Ina Boesch herausgegebenen Sammelband über DadaKünstlerinnen, und wünscht sich sogleich eine Anthologie mit den Texten
von Mina Loy, Maria d’Arezzo und Céline
Arnauld, die häufig nur verstreut und
erst recht nicht auf Deutsch publiziert
worden sind.
Man will umgehend alle grossartigen
Zeitzeugenberichte über die Dada-Abende lesen, in denen Publikum, Polizei und
Künstler sich gegenseitig überbrüllten
und befeuerten, und sucht vergeblich
eine Monographie über «The Little Review», die von 1914 bis 1929 in New York
erscheinende Zeitschrift der unerschrockenen Dada-Verlegerin Margaret Anderson, die bei Geldknappheit am Michigansee kampierte und nach der Erstveröffentlichung von «Ulysses» unverdrossen
ins Gefängnis wanderte.
Damit drängt sich jedoch zugleich die
Frage auf, was mit Hilfe eines weiteren
Bandes über Dada-Frauen gewonnen ist,
wenn deren Werke mit Ausnahme der
auch hier wieder ausführlicher behandelten Sophie Taeuber und Hannah Höch
auch 100 Jahre nach der Gründung von
Dada immer noch weitgehend unbekannt sind. Tut man den Künstlerinnen
einen Gefallen, über sie und ihre aufregenden Lebensentwürfe zu schreiben
statt ihre Texte zu edieren bzw. ihre Bilder zu zeigen und sich kunsthistorisch
damit auseinanderzusetzen? Der Band
setzt es sich zum Ziel, die Vielfältigkeit
weiblichen Dada-Schaffens von Zürich
bis New York, von Paris bis Berlin zu zeigen – und das gelingt, trotz spärlicher Bebilderung, zweifellos.
Unterteilt in Genres wird im ersten
Teil in einem grossen essayistischen
Überblick all der Tänzerinnen, Pianistinnen, Malerinnen, Dichterinnen und Verlegerinnen gedacht, die ihre zumeist
gutbürgerlichen Elternhäuser hinter sich
liessen, um Dada zu leben. Programmatisch stellt Ina Boesch dabei nicht nur die
Protagonistinnen der Szene vor, sondern
all die «vergessenen, verniedlichten,
zu Fussnoten degradierten Frauen, die
Dada mitprägten» und daneben meist
noch den Haushalt, Kinder und einen
künstlerisch aktiven Mann mitorganisieren mussten.
Im zweiten Teil des Buches stehen
dann in Aufsätzen verschiedener Autoren und Autorinnen die Künstlerinnen
Elsa von Freytag-Lovringhoven, Hannah
Höch, Sophie Taeuber, Céline Arnauld
und Angelika Hoerle im Mittelpunkt.
Da die Dada-Künstlerinnen jedoch zusätzlich in Kurzbiografien in der Randspalte erscheinen, fragt man sich, ob weniger Vielfältigkeit und grössere Systematik nicht mehr gewesen wäre bzw.
warum ein Band, der unter anderem die
Marginalisierung der Frauen thematisiert, diese im Layout ausgerechnet an
den Rand rückt. Hier wird auch verzeichnet, welche Künstlerin es in die 1920 vom
Dada-Mitbegründer Tristan Tzara aufgestellte Liste «Quelques Présidents et
Présidentes du mouvement Dada» geschafft hat, und unterwirft sich damit
wieder jenen von den männlichen DadaManifestanten so effektiv betriebenen
Ein- und Ausschlussstrategien über die
Deutungshoheit von Dada.
Einzig Ralf Burmeister macht dies
in seinem aufschlussreichen Essay über
Hannah Höch exemplarisch deutlich,
wenn er zeigt, wie Raoul Hausmann die
einstige Lebensgefährtin aus den Annalen der Dada-Bewegung zu manövrieren
versuchte, während er selbst, in den
Worten Burmeisters, längst zum «Spiesser» und «Dada-Orthodoxen» mutiert
war. Hannah Höch hingegen, die die
Dada-Technik der Collage konsequent
weiterentwickelte, begriff Dada eher als
«katalysatorisches Moment in der künstlerischen Entwicklung» – womit sie nicht
zuletzt im ästhetischen Verständnis von
Dada zweifellos über Hausmann hinaus
gelangte. ●
Porträt Was für ein Mensch steckte hinter dem Avantgarde-Maschinisten Jean Tinguely?
Tunichtgut, Querkopf, Autorennfahrer
Dominik Müller: Jean Tinguely – Motor der
Kunst. Christoph Merian, Basel 2015. 208
Seiten, zahlreiche Abbildungen, Fr. 31.90.
Von Gerhard Mack
Beim Warenhaus Globus war man nicht
begeistert: «Der junge Mann macht
ständig Dummheiten. (…) Wir zweifeln
daran, dass es uns gelingen wird, aus
Ihrem Sohn einen tüchtigen Berufsmann
zu machen», schrieb der Arbeitgeber
1942 an den Vater Jean Tinguelys. Der
junge Mann sollte zum Dekorateur ausgebildet werden, aber er war ein Querkopf, Disziplin fiel ihm schwer, langweilig war ihm auch schnell. Nach einem
Jahr wurde er fristlos entlassen. Und
fand rasch bei anderen Verständnis und
Unterstützung. Er schloss die Ausbil20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
dung ab und besuchte die Schule für
Gestaltung, seine Schaufensterdekorationen aus feinen Drahtgebilden waren
in Basel für ein paar Jahre Stadtgespräch,
bis er zum Maschinisten der Avantgarde
wurde und im Gefolge von Duchamp,
Calder und den Konstruktivisten deren
Diskurs wesentlich mitprägte.
Dominik Müller, Basler Kunsthistoriker, erinnert an diese Geschichte und
schöpft dabei aus dem Vollen. Er hat am
Museum Tinguely in Basel gearbeitet. In
sechzehn Kapiteln lässt er zentrale Etappen in der Entwicklung des Werks aufleben. Er nimmt uns mit zum Schaufensterdekorateur und Sozialisten nach
Basel, zu Auftritten in New York und bei
der Expo, und er lässt uns bei der Prozession dabei sein, mit der Jean Tinguely
und
seine
Freunde
1960
seine
Maschinenskulpturen vom Atelier in die
Galerie zogen, bis die Pariser Polizei den
Tross stoppte und Tinguely verhaftete,
weil das Ganze nicht genehmigt war.
Tinguely wollte, dass Leben und Kunst
miteinander verbunden sind. Er entwarf
bewegte Bilder und Zeichenmaschinen
und liess die Besucher mitmachen. Jeder
durfte Künstler sein. Er interessierte sich
für Autorennen ebenso wie für Politik
und Kunst. Der Schweizer Rennfahrer Jo
Siffert war ein guter Freund. Der Mensch,
der Künstler und der Zeitgenosse Jean
Tinguely sind nicht zu trennen. Das
zeichnet Dominik Müller mit leichter
Hand und grosser Präzision nach, das
zeigen nicht zuletzt die Fotos, die authentisch, frisch und packend eine Zeit
wieder erstehen lassen. Jean Tinguely
liebte die Bewegung, und er setzte die
Kunst in Bewegung. Das wird aufs
Schönste gewürdigt. ●
Gesellschaft Je transparenter die Welt wird, desto angepasster der Mensch: Warum das autonome
Handeln heute einen schweren Stand hat
WodiePrivatsphärefehlt,steigt
derDruckzurAnpassung
Michael Pauen, Harald Welzer: Autonomie.
Eine Verteidigung. S. Fischer, Frankfurt
am Main 2015. 336 Seiten, Fr.28.90,
E-Book 19.–
Von Claudia Mäder
In zehn Schritten zum selbständigen
Denken? Das autonome Individuum erschauert! Wo einem zwei kluge Köpfe in
Ratgebermanier die Welt erklären – «Ihr
Leben hängt nicht davon ab, Dinge online zu bestellen» –, empfiehlt es sich,
Regel Nr. 7 zu befolgen – «Treten Sie für
Ihr eigenes Urteil ein» – und in aller Deutlichkeit zu sagen: Dieses Buch hätte besser vier Seiten früher geendet. Der abschliessende Griff in die Tippkiste ist
eine kleine Entgleisung, die man Michael
Pauen und Harald Welzer unerwähnt
nachsehen würde, stünde sie nicht in
groteskem Kontrast zum Thema ihres so
informativen wie anregenden Buches:
der Autonomie.
Erbe der Aufklärung
Die beiden Wissenschafter – Pauen ist
Philosoph, Welzer Sozialpsychologe –
sehen das selbstbestimmte Handeln in
Gefahr und widmen ihm eine umfängliche Darstellung, die in fünf flüssigen Kapiteln durch die Geschichte der Autonomie führt, empirische Befunde zu ihrem
Auftreten diskutiert und zuletzt zu einer
beherzten Verteidigung dieser zentralen
«Errungenschaft des zivilisatorischen
Prozesses» anhebt.
Worin aber besteht die eigentlich?
Autonom sind nach heutigem Sprachgebrauch Zürcher Krawallanten genauso
wie palästinensische Gebiete, weshalb
zuvorderst eine Begriffsklärung nottut.
Unter Autonomie verstehen Pauen und
Welzer die menschliche Möglichkeit,
Entscheidungen und Handlungen an eigenen Prinzipien und Wünschen auszurichten und – auch gegen Widerstände –
durchzusetzen. Klar unterschieden von
der Fremdbestimmtheit und vom Zufall
ist die Autonomie in den Augen der Autoren eine natürliche Fähigkeit wie jene
zum Lesen oder Rechnen – deswegen
aber noch lange keine Selbstverständlichkeit: Erst der Individualisierungsprozess und insbesondere die Aufklärung haben die Anlage zur Entfaltung
gebracht.
Seither hat sich der Autonomieanspruch zuweilen über die menschliche
Sphäre ausgedehnt und die Aushebelung
der Naturgesetze angestrebt, bevor er
letztens wieder empfindlich zurückgestutzt wurde: In den Nullerjahren zogen
zahlreiche Hirnforscher die Existenz des
freien Willens in Zweifel – autonom erschien aus ihrer Warte bestenfalls noch
Sind auf den Bildern
mehr weisse
oder schwarze
Quadrate zu sehen?
Pauen und Welzer
dokumentieren, wie
sich Probanden oft
der – getürkten –
Meinung der Mehrheit
anschliessen.
das Gehirn, dessen neuronale Prozesse
jede psychische Regung determinierten.
Ein diesbezüglich interessantes Experiment dokumentieren auch Pauen und
Welzer. Der Vorgang ist einfach: Muss ein
Proband in einer Gruppe beurteilen, ob
auf einem Bild mehr weisse oder schwarze Quadrate zu sehen sind, wird er sich
mit hoher Wahrscheinlichkeit der (getürkten) Meinung der Mehrheit anschliessen, selbst wenn die offensichtlich falsch ist; er wird bei entsprechenden Vorgaben also auch dann «schwarz»
sagen, wenn «weiss» in klarer Überzahl
ist.
Weniger Selbstbestimmung
Wenn dieses Ergebnis mit Blick auf die
Autonomiefähigkeit eher ernüchternd
ist, vermögen die Forscher es vorerst
doch zu erklären: Autonomie, sagen sie,
ist immer an soziale Situationen gebunden und Konformität eine Eigenschaft,
die evolutionär gesehen überlebenswichtig war – sich in der Steppe seiner
fliehenden Horde anzuschliessen, war
klüger, als sich plötzlich allein vor einem
Löwen zu finden. Genau besehen wirft
das Quadratexperiment nun aber die
Frage auf, inwieweit eine andere Entscheidung nicht klüger oder dümmer,
sondern überhaupt möglich gewesen
wäre. Die Messung der neuronalen Aktivitäten zeigt nämlich, dass die Meinung
der Gruppe nicht erst das Urteil, sondern
schon die Wahrnehmung des Probanden
beeinflusst – die Einzelnen sahen die
Quadrate effektiv so (falsch), wie das
Kollektiv es vorgab. Die Autoren orten
daher «Dispositionen zu konformem
Verhalten auf Ebene der neuronalen Verarbeitung», unterlassen es aber leider,
die Konsequenzen zu besprechen, die
sich daraus ergeben.
Diese Aussparung mag damit zu tun
haben, dass sie die Autonomie durch
eine andere als die natürliche Macht bedroht sehen. Den aktuellen Rückgang an
Selbstbestimmtheit, den sie zum Schluss
alarmiert konstatieren, bringen Pauen
und Welzer in Zusammenhang mit einer
gesellschaftlichen Entwicklung: dem
Trend zur Transparenz. Individuelles
und potenziell abweichendes Denken
braucht den geschützten Raum des Privaten, um sich entwickeln zu können;
wo dieser Rückzugsort fehlt und jeder
nackt vor dem andern steht, steigt die
Bereitschaft, sich anzupassen – die Totalitarismen lassen grüssen.
So weit folgt man den Autoren gern.
Wenn sie aber vor einem «neuen informationellen Totalitarismus» à la Steve
Jobs warnen, möchte man doch den vorhandenen Widerspruchsspielraum nützen. Anders als noch vor 80 Jahren
herrscht heute kein terroristischer Mastermind, sondern ein ökonomisches
Prinzip, und folglich vollzieht sich
die bedauerliche «Transformation von
Selbst- in Fremdsteuerung» weniger als
«feindliche Übernahme» denn als freie
Entscheidung: Handelt das bequeme Individuum etwa nicht nach seiner ureigenen Maxime, wenn es einen smarten
Apfel kauft, der ihm gegen etwas Durchleuchtung das Denken abnimmt? Paradoxie Nr. 1: Man kann sich auch autonom
dafür entscheiden, seine Autonomie aufzugeben. ●
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21
Sachbuch
USA Vor 50 Jahren wurde der Menschenrechtsaktivist Malcolm X ermordet. Eine deutsche Historikerin
präsentiert eine ebenso informative wie kompakte Biografie
DenBürgerrechtlerMartinLutherKing
bezeichneteeralsnaiv
Britta Waldschmidt-Nelson: Malcolm X.
Der schwarze Revolutionär. C. H. Beck,
München 2015. 384 Seiten, Fr. 27.90,
E-Book 15.–.
Von Tobias Meier
Was würde Malcolm X wohl sagen zu den
neuen amerikanischen Rassenunruhen –
unter einem schwarzen Präsidenten? Der
50. Jahrestag seiner Ermordung im Februar 1965 gab in den USA Anlass zu solchen Überlegungen. Der deutschen Historikerin und Spezialistin für afroamerikanische Geschichte Britta WaldschmidtNelson – sie leitet das Deutsche Historische Institut in Washington und ist Privatdozentin in München – bot er Anlass
für eine erste deutsche Biografie von
Malcolm X, die sie mit einer kompakten
Darstellung der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung verbindet.
Nach einem einleitenden Kapitel zur
Geschichte der Afroamerikaner bis 1920
erzählt die Historikerin die bekannte Lebensgeschichte des 1925 in Nebraska geborenen Malcolm Little: Der Vater wird
vom Ku-Klux-Klan ermordet, die Familie
bricht auseinander, Malcolm wird kriminell und landet im Gefängnis. Hier findet
der 25-Jährige zur schwarzen Sekte der
«Nation of Islam», deren asketische Lebensweise er bedingungslos übernimmt.
Den Sklavenhalter-Namen seiner aus
Afrika verschleppten Vorfahren legt er ab
und ersetzt ihn durch ein X: Herkunft
unbekannt.
Die Black Muslims, wie die «Nation of
Islam» im Volksmund heisst, wachsen zu
einer Sekte an, die auf ihrem Höhepunkt
in den frühen sechziger Jahren Zehntau-
Schweizer Pioniere Hotelkönige und Bergbahnbauer
Ein Hotelimperium, das von der Schweiz bis nach Ägypten reicht: Das schufen zwei visionäre Kernser gegen
Ende des 19. Jahrhunderts. Franz Josef Bucher (1834–
1906, rechts im Bild) und Josef Durrer (1841–1919) avancierten um die Jahrhundertwende zu Pionieren im Hotelbau – in der Schweiz zeugt etwa das hoch über dem
Vierwaldstättersee angelegte Grand Hotel Bürgenstock, das noch bis ins 20. Jahrhundert Prominenz aus
Politik und Film aus aller Welt anzog, von ihrem Renommee. Darüber hinaus konstruierten die Obwaldner zahlreiche Berg- und Strassenbahnen, sowohl in der Schweiz
als auch in Europa, und unterhielten Sägewerke in Rumänien und Bulgarien. Durrer galt als introvertierter
Tüftler und Techniker, Bucher als kluger Geschäftsmann
22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
mit aufbrausendem Temperament. Diese Gegensätze
befruchteten die erfolgreiche Zusammenarbeit, führten aber auch zu Konflikten und 1895 zur Trennung. Die
wegen grosser Nachfrage neu aufgelegte Biografie der
beiden Macher dokumentiert Romano Cuonz anhand
historischer Bilder aus dem Besitz der Familien und aus
Archiven. Darunter finden sich Fotografien zahlreicher
Reisen, von innovativen Bergbahnen und prunkvollen
Hotels. Anhand von Briefen, Reiseberichten und Zeitzeugenaussagen wird das Leben der unternehmerischen Tausendsassas nachgezeichnet. Simone Karpf
Romano Cuonz, Christof Hirtler: Franz Josef Bucher,
Hotelkönig, und Josef Durrer, Bergbahnpionier. Brunner
Verlag, Kriens 2015. 118 Seiten, Fr. 55.90.
sende von Mitgliedern zählte, darunter
auch den Schwergewichtsbox-Weltmeister Muhammad Ali, und eigene Tempel
in Dutzenden Städten sowie Restaurants, Kindergärten, Geschäfte und Zeitschriften besass. Gemäss ihrer Theologie, einer Mischung aus islamischem Vokabular und exzentrischer Rassenlehre,
sind weisse Menschen «blauäugige Teufel», von denen sich die Schwarzen fernhalten sollten.
Malcolm X, ein glänzender Redner,
fordert schwarze Selbstachtung, Selbstversorgung und, zumindest ansatzweise,
sogar einen eigenen schwarzen Staat
in Amerika. Die christliche Feindesliebe
und Gewaltlosigkeit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung unter dem vier Jahre
jüngeren Martin Luther King verspottet
er als naiv. Statt Integration besteht Malcolm X auf Menschenwürde und droht
diese «mit allen Mitteln» einzufordern.
Den 1963 von Martin Luther King formulierten Traum einer integrierten Gesellschaft weist er als Träumerei zurück angesichts des «Albtraums», den die 22 Millionen schwarzen Amerikaner damals
seiner Sicht nach erlebten.
Malcolm X provozierte, doch seine
Analyse war oft bestechend. Warum sollten Afroamerikaner in Vietnam für die
USA ihr Blut vergiessen, sich zu Hause
aber strikt gewaltfrei für ihre Rechte einsetzen? Sein Bestehen auf sozialer und
wirtschaftlicher Gerechtigkeit statt formeller rechtlicher Gleichstellung hat
schliesslich auch Martin Luther King
übernommen.
Doch auf dem Höhepunkt seiner Berühmtheit vollzieht Malcolm X einen
Wandel: Der wiedergeborene Gläubige
durchschaut die korrupte Machtstruktur
seiner Sekte und bricht mit ihr. Auf Reisen im Nahen Osten lernt er den wirklichen Islam kennen, versteht angesichts
der sichtbaren ethnischen Vielfalt unter
den Pilgern in Mekka seine Universalität.
Er beginnt sein Engagement für die Rechte der amerikanischen Schwarzen als Teil
eines weltweiten Kampfes zur Durchsetzung der Menschenrechte zu verstehen
und sucht bei schwarzafrikanischen Regierungen Unterstützung für eine Anklage der USA vor den Vereinigten Nationen. Am 21. Februar 1965 wird Malcolm X
bei einer Rede vor seinen Anhängern in
New York erschossen – im Auftrag der
«Nation of Islam».
«Für die Muslime bin ich zu weltlich,
für andere Leute bin ich zu religiös, für
die Militanten bin ich zu moderat und für
die Moderaten bin ich zu militant», zitiert die Autorin Malcolm X. Indem sie
nicht nur sein Leben, sondern auch den
geschichtlichen Rahmen seiner Zeit
beschreibt, erfasst Waldschmidt-Nelson
diesen wandlungsfähigen, moralisch
unbeirrbaren, aber nie dogmatischen
Kämpfer für das schwarze Amerika. ●
Islam Frauen in arabischen Ländern bleiben Menschen zweiter Klasse, solange es nicht eine echte
Revolution gibt. Dazu ruft die ägyptisch-amerikanische Publizistin Mona Eltahawy auf
KampfdenPaschasindenKöpfen
Mona Eltahawy: Warum hasst ihr uns so?
Piper, München 2015. 208 Seiten,
Fr. 23.90, E-Book 14.–.
Der arabische Frühling hat unzählige
Frauen politisch mobilisiert. Gerade dadurch wurde auch deutlich, wie weit die
Repression gegen Frauen in den arabischen Gesellschaften geht. Je stärker sie
sich in den öffentlichen Raum vorwagten, desto heftiger wurden die Frauen
zurückgestossen. Sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen gab es schon
vorher, aber erst jetzt wurden sie
lautstark angeprangert. Die ägyptische
Schriftstellerin Mansura Eseddin forderte «Eine zweite Revolte für Scheherazades Töchter», und die ägyptisch-britische Journalistin Shereen El Feki schrieb
in ihrem Buch «Sex und die Zitadelle»,
dass in Ägypten eine Revolte gegen die
Eltern viel schwieriger sei als eine gegen
den Präsidenten. In die gleiche Richtung
zielt nun die ägyptisch-amerikanische
Journalistin Mona Eltahawy mit ihrem
angriffigen Buch «Warum hasst ihr uns
so?» über die tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit in der islamischen Welt.
Ausgangspunkt ihrer Analyse war ein
persönliches Erlebnis.
Sexuell misshandelt
Im November 2011 wurde Mona Eltahawy
in Kairo nach einer Demonstration verhaftet. Sie wurde in einen Bereitschaftswagen der Polizei gezerrt, geschlagen
und sexuell misshandelt. Weil ein Demonstrant ihr sein Smartphone zusteckte, gelang es ihr, einen Tweet über ihre
Verhaftung und Misshandlung zu verschicken. Ihre Freunde mobilisierten die
Öffentlichkeit und bewirkten, dass sie
bereits nach zwölf Stunden wieder freigelassen wurde.
Ein halbes Jahr später erschien Mona
Eltahawys Essay mit dem provokativen
Titel «Warum hassen sie uns?» im amerikanischen Politmagazin «Foreign Policy». Mit «sie» meinte Eltahawy allerdings nicht nur die Polizisten und Schläger des Regimes, sondern die arabischen
Männer schlechthin. Der Text wurde
über die sozialen Medien auch in Ägypten verbreitet und löste unter den Intellektuellen beiderlei Geschlechts Entrüstung und hitzige Debatten aus.
Die Autorin, die nach der Misshandlung durch die Polizei noch wie eine Märtyrerin und Heldin der Revolution gefeiert wurde, galt nun als Verräterin, weil
sie die alltägliche sexuelle Belästigung
auf Ägyptens Strassen anprangerte. Die
Täter seien nicht nur auf der Seite des Regimes zu finden, sondern auch unter den
Demonstranten, den Regimekritikern,
den Revolutionären, schreibt sie: «Wenn
unsere Kollegen uns Gewalt antun, nehmen wir an, dass sie vom Regime bezahlte Agenten seien, weil wir die Revolution
ABIR ABDULLAH / KEYSTONE
Von Susanne Schanda
Frauen demonstrieren
gegen die alltägliche
sexuelle Belästigung
auf Ägyptens Strassen
(Kairo 2013).
nicht schlechtreden wollen. Wir müssen
aufhören, so zu tun, als ob. Wir müssen
den Hass beim Namen nennen.»
Mona Eltahawy hat ihre Streitschrift
zu einem 200-seitigen Plädoyer für die
sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt ausgebaut. Der Originaltitel «Headscarves and Hymens» bringt
ihre Kritik auf den Punkt: Frauen würden in der islamischen Welt weitgehend
über ihr Kopftuch und ihr Jungfernhäutchen definiert. Die Autorin stellt bei islamischen Geistlichen eine geradezu pathologische Besessenheit von der weiblichen Sexualität fest, die durch Predigten – nicht zuletzt am Fernsehen – bis tief
in die Gesellschaft wirke. Die skandalösen Jungfräulichkeitstests, die ägyptische Militärärzte an verhafteten Demonstrantinnen durchführten, seien nur
möglich vor dem Hintergrund der gesellschaftlich akzeptierten Haltung, dass die
Jungfräulichkeit einer Frau nicht ihre
Privatsache sei, sondern eine öffentliche
Angelegenheit. Für die Unterdrückung
der weiblichen Sexualität führt die Autorin zahlreiche Beispiele an, die bekanntesten sind die Verheiratung von kleinen
Mädchen in Jemen, das Autofahrverbot
für Frauen in Saudiarabien und die Genitalverstümmelung in Ägypten.
Die Autorin hat vor allem in Ägypten
und Tunesien recherchiert, sie führt Länderstatistiken bezüglich Frauenrechten
an und beruft sich auf Expertinnen wie
die ägyptische Frauenrechtlerin Nawal
El-Saadawi und die schweizerisch-jemenitische Politologin Elham Manea.
«Warum hasst ihr uns so?» ist nicht nur
Analyse und Anklage, sondern auch ein
Aufruf an die Frauen und Mädchen in der
islamischen Welt, rebellisch zu sein. Wie
schwierig Rebellion ist, demonstriert die
Autorin an ihrer eigenen Geschichte. Obwohl sich die 1967 in Ägypten geborene
Mona Eltahawy früh als Feministin verstand, trennte sie anfangs ihr politisches
Engagement von ihrem Privatleben und
hielt sich noch als Studentin verschämt
an tradierte Werte, etwa das Gebot «Kein
Sex vor der Ehe», und trug einige Jahre
ein Kopftuch. Als Symbol der Ausgrenzung lehnt sie dieses heute ab und nennt
es «die weisse Flagge, die wir schwenken, da wir uns den Islamisten und ihrem
Konservativismus ergeben».
Gegen Kulturrelativismus
Im westlichen Kontext bietet das Buch
starke Argumente gegen einen Kulturrelativismus, der mit dem Verweis auf die
«andere» Kultur nur allzu oft repressive
Praktiken schützt. Noch wird die arabisch-muslimische Kultur mit Konservativismus gleichgesetzt, aber Mona
Eltahawy und ihre Mitstreiterinnen
kämpfen dafür, dass sich dies ändert.
Den inflationär verwendeten Begriff
Revolution präzisiert die Autorin: «Bis
der Zorn auf die Unterdrücker in den Präsidentenpalästen zum Zorn auf die Unterdrücker auf unseren Strassen und in
unseren Häusern wird, bis wir die Mubaraks in unseren Köpfen und in unseren
Schlafzimmern und an unseren Strassenecken gestürzt haben – bis dahin hat
unsere Revolution noch nicht einmal begonnen.» ●
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23
Sachbuch
Biografie Nach neunjähriger Recherche drehte Shane Salerno einen Film über den Schriftsteller
J. D. Salinger und legte mit David Shields ein Buch nach
ObsessiveSuchenach
demMysteriösen
David Shields, Shane Salerno: Salinger.
Ein Leben. Droemer Knaur, München
2015. 825 Seiten, Fr. 47.90, E-Book 31.–.
Seit Erscheinen seines Romans «Der Fänger im Roggen» 1951 wurde J. D. Salinger
(1919–2010) kultisch verehrt. Sämtliche
Bücher, Artikel, Meldungen über den
zurückgezogen lebenden amerikanischen Schriftsteller wurden begierig aufgenommen. Wer sich nun an diesen Ziegelstein von Shane Salerno und David
Shields wagt, muss Jerôme David Salingers Werk tatsächlich gut kennen, da hier
recherchiertes Material wild mit den literarischen Texten durcheinander gewirbelt wird. Zudem operieren die Co-Autoren, der Drehbuchautor und Filmemacher Salerno und der Publizist Shields,
überempathisch auf der Ebene der Küchenpsychologie. In erster Linie ist ihr
Buch ein wildes Zeugnis für die Obsession unzähliger Fans. Einige von ihnen
gingen so weit, sich bei ihren Mordtaten
auf den «Fänger» zu beziehen, unter anderem der John-Lennon-Mörder Mark
David Chapman. Von manchen Fans
lesen wir in den zwölf Protokollen, die
Shields und Salerno zwischen die Kapitel
einstreuen; bisweilen doch eine gruselige Lektüre.
Schwärmt für Teenager
Salinger, der 1919 in Manhattan geborene
Sohn eines begüterten jüdischen Schinken- und Käsehändlers und einer zum
Judentum konvertierten Katholikin,
wurde mit seinem Debütroman über
einen Teenager, der die ErwachsenenWelt verachtet, berühmt. Doch er versuchte dem Rummel zu entkommen, zog
sich aufs Land zurück und mied den
Kontakt zu Mitmenschen weitgehend
(ausser wenn er sich schwärmerisch und
meist brieflich Teenager-Mädchen näherte). Nach 1965 hatte er nichts mehr
veröffentlicht. Er wurde zum Mysterium.
Immer wieder suchten ihn Journalisten
auf. Allein schon die banalsten Informationen wie ein Foto seines Briefkastens
liess Fans hyperventilieren. Den Eindruck eines Besessenen bekommt man
auch bei Shane Salerno. Sein Film ebenso
wie das Buch zum Film, für das er David
Shields als Co-Autor beizog, sind durchdrungen davon.
Sie haben tatsächlich einiges neues
Material gefunden, aber in literaturhistorischer Hinsicht bleibt der Erkenntnisgewinn bescheiden. Schlimmer ist allerdings, wie sie viele pure Mutmassungen
und Hörensagen als Fakten hinstellen.
So der Hinweis, dass Sylvia Welter – eine
deutsche Ärztin, die Salinger im Mai 1945
24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
PAUL FITZGERALD / KEYSTONE
Von Regula Freuler
US-Autor J. D. Salinger
spielt mit seinem
Hund Benny. Nach
dem Erfolg seines
Debütromans «Der
Fänger im Roggen»
(1951) zog er sich
aufs Land zurück und
vermied den Kontakt
zu Mitmenschen.
in Bayern kennengelernt und im Oktober
geheiratet hatte – mit der Gestapo kollaboriert habe; dies sei der Grund für die
1946 erfolgte Scheidung gewesen: reine
Spekulation. Auch sind sie aufgrund von
Aussagen Befragter überzeugt, dass Salinger mindestens einen Roman und
weitere Schriften hinterlassen habe. Die
Nachlassverwalter – sein Sohn Matthew
und seine dritte Frau Colleen O’Neill –
haben dem zwar nicht widersprochen, es
aber auch nicht bestätigt.
Viel zu sehr versteifen sie sich auch
auf die Behauptung, dass «Der Fänger im
Roggen» in Wahrheit der Anti-Kriegsroman eines Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung sei. Dabei hatte
Salinger die Figur des Holden Caulfield
bereits in der Erzählung «Slight Rebellion
Off Madison» verwendet, an der er seit
1940 arbeitete und die er 1941 beim «New
Yorker» einreichte; erste Kriegshandlungen erlebte er 1944 am D-Day.
Viele Spekulationen
Eine andere These, die Salerno/Shields
breitwalzen, betrifft Salingers Sexualität:
Laut einer indirekten Quelle habe Salinger Hemingway 1944 in Paris anvertraut,
nur einen Hoden zu haben. Die Biografen
geben das als Tatsache wieder und behaupten, dieser körperliche «Mangel»
habe letztlich Salingers Werk geprägt,
weil es einer der Hauptgründe seiner
Vorliebe für Teenager-Mädchen gewesen
sei. Aber: Salinger hat zwei Kinder gezeugt und mit verschiedenen Frauen
verkehrt, und keine berichtete von einer
physischen Anomalie.
Ausführlich sind die Schilderungen
des Kriegseinsatzes unter anderem der
vierten Division, in der Salinger gekämpft hat. Er war 299 Tage im Einsatz
und gehörte zu den ersten, die im KZ
Kaufering IV, einem Nebenlager von
Dachau, eintrafen. Als Agent des Nachrichtendienstes verhörte er nach Kriegsende gefangene Deutsche und mutmassliche zivile Kollaborateure. Was er in dieser Zeit erlebt hat, muss zweifellos Spuren beim 25-Jährigen hinterlassen haben.
1945 lieferte er sich wegen Erschöpfung
selbst in Nürnberg ins Krankenhaus ein.
Die überstürzte Hochzeit mit Sylvia mag
in dieses Kapitel gehören. Aber auch hier
nehmen Shields und Salerno Mutmassungen als Fakten und inszenieren die
Schlachten mit dramatischem Trara.
Was die Lektüre massgeblich erschwert, ist die chaotische Zitate-Weise.
Um wen es sich nun bei den 200 Interviewten handelt, muss man stets hinten
nachschlagen, und nicht immer wird
man fündig. Bei einigen ist überhaupt
nicht nachvollziehbar, warum sie beigezogen wurden. Manche Quellen werden
angegeben, viele aber auch nicht, und so
wissen wir etwa bei Aussagen von Salingers ehemaliger Geliebten Joyce Maynard nicht, ob Shields/Salerno aus ihren
Memoiren zitieren oder aus einem Interview mit ihr. Auch mischen die Co-Autoren ihre eigenen Schlussfolgerungen –
vielmehr: Schubladisierungen – immer
wieder zwischen die Aussagen der Befragten und Zitierten.
Geordnet haben sie ihr Buch nach der
hinduistischen Vedanta, einer Richtung
der indischen Philosophie, mit der sich
Salinger stark auseinandersetzte. Auch
hier verfahren die Autoren nach ihrem
üblichen Muster: Sie giessen ihre Spekulation in eine feste Form. Das Ergebnis ist
ein unübersichtlicher Wust an Informationen; mit einer sorgfältig geschriebenen Biografie hat das nichts zu tun. ●
Sport Die erfolgreiche deutsche Schwimmerin Sandra Völker schreibt über ihren Aufstieg und den Fall
vom Podest – bis zur Hartz-IV-Empfängerin
Zuverkaufen:Olympiamedaille
Sandra Völker: An Land kannst du nicht
schwimmen.
Orell Füssli, Zürich 2015. 256 Seiten,
Fr. 26.90, E-Book 22.–.
Von Kathrin Alder
Weltmeisterschaften
im Schwimmen,
Januar 1998 in Perth
(Australien): Sandra
Völker (in der Mitte).
CHRISTROF STACHE / AP
Wie fühlt es sich an, eine olympische Silbermedaille zu erschwimmen und diese
18 Jahre später wieder zu versteigern,
weil die Insolvenzverwalter alles zu Geld
machen, was sie finden? Wie fühlt es sich
an, unzählige Male zur Nationalhymne
auf dem Podest gestanden zu haben,
Jahre später aber Hartz IV beantragen zu
müssen? Sandra Völker, eine der erfolgreichsten Schwimmerinnen Deutschlands, weiss es. Es ist ihre Geschichte, sie
hat sie in einer Biografie zu Papier gebracht.
Und sie greift darin einige interessante
Themen auf. Die Verarmung von erfolgreichen Profisportlern etwa, ein Phänomen, das häufig vorkommt, auch in publikumswirksamen Sportarten. Völkers
Profikarriere begann in einer Zeit, in
der Sportgymnasien kaum vorhanden
waren. Sie musste dafür kämpfen, neben
ihrem Training das Abitur absolvieren zu
dürfen. Schon früh entschied sie sich
dafür, am Olympiastützpunkt in Hamburg zu trainieren, weil ihr dort unbeschränkt «Wasserzeiten» garantiert wurden. Zu dieser Zeit hatte sie schon einige
Titel gewonnen, freie Trainingszeiten im
Wasser indes standen ihr erst mit 16 Jahren zur Verfügung.
Schon damals begann sie, gegen die
vorherrschenden verkrusteten Strukturen aufzubegehren. Ein aufreibender
Kampf, der ihre Karriere begleiten sollte
und den sie gemeinsam mit Dirk Lange
bestritt, ihrem damaligen Trainer und
langjährigen Lebenspartner. Die beiden
probierten neue Trainingsansätze aus,
schauten über den Tellerrand, liessen
sich von anderen Sportarten inspirieren.
Den Funktionären des Deutschen
Schwimmverbands passte das nicht. Obwohl das Duo Völker/Lange grosse Erfolge feierte, warfen ihm die Funktionäre
immer wieder Knüppel zwischen die
Beine: Als Völker an die Olympischen
Spiele in Atlanta reiste, musste ihr Lange
auf eigene Kosten folgen. Er wurde nicht
als Bundestrainer nominiert und hatte
dementsprechend auch keinen Zugang
zum Athletenbereich. Völker holte dennoch Olympiasilber.
Ein weiteres Thema, das Völker an
ihrer eigenen Geschichte aufzeigt, ist das
ewige Bemühen um finanzielle Mittel.
Diese gehen Hand in Hand mit den Erfolgen – was aber macht man, wenn man
sich erst noch beweisen muss? Die besten Trainingsvoraussetzungen kosten
schliesslich Geld. Doch auch Erfolge
feien die Spitzensportler nicht vor dem
Fundraising. Im Gegenteil, Geldflüsse
versiegen schnell. Mit dem Erfolg steigt
auch der Druck. Völker hielt ihm mehrheitlich stand, aber auch bei ihr äusserte
er sich irgendwann körperlich: Sie
kämpfte mit Rückenproblemen und am
Ende gar mit Asthma, das bei Schwimmern wegen des chlorhaltigen Wassers
häufig vorkommt.
Sandra Völker beschreibt ihre Karriere
authentisch. Man spürt ihre Leidenschaft für den Schwimmsport und glaubt
ihr, dass sie gemeinsam mit Lange Pionierarbeit geleistet hat. Auch das Aufreiben am Schwimmverband und die
Stehauffrau nimmt man ihr ab, sonst
hätte sie es nicht so weit gebracht. Leider
aber bleibt sie sprachlich allzu oft dem
Sportlerjargon verhaftet und bemüht allerlei Plattitüden. Wie es sich fernab aller
«Wer-hinfällt-steht-wieder-auf»-Weisheiten anfühlt, eine ganze Karriere mitsamt Olympiamedaille versteigern zu
müssen, weil das Geld nicht einmal mehr
für die nötigsten Einkäufe reicht, erfährt
der Leser nicht. Genauso wenig, wie es
ist, den Lebenspartner als Trainer zu
haben; auch dann noch, als die Beziehung längst in Scherben liegt. Zwar
schneidet Völker all dies an, eine glaubwürdige Tiefe bleibt sie dem Leser aber
schuldig. Herausgekommen ist eine Biografie, wie sie viele Sportler vor ihr schon
geschrieben haben – trotz aussergewöhnlicher Lebensgeschichte. ●
Psychotherapie Plädoyer für einen schulübergreifenden integrativen Ansatz
Dialog statt Abgrenzung
Rainer Matthias Holm-Hadulla: Integrative
Psychotherapie.
Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 143 Seiten,
Fr. 29.90, E-Book 25.90.
Von Brigitte Boothe
Nicht jeder Patient fühlt sich in einer Psychotherapie gut aufgehoben. Nicht jeder
fasst Vertrauen oder findet die Kraft zur
Veränderung. Mancher erwartet Wunder, die es nicht gibt. Und doch hilft Psychotherapie den Menschen, das belegt
die Forschung seit langem, auch Patientenbefragungen zeigen das deutlich.
Psychotherapie ist ein wichtiger Teil des
Gesundheitssystems, bei Ausfällen am
Arbeitsplatz und Überforderung im Alltagsleben spielen Depressionen inzwischen eine Hauptrolle. Doch welche Therapeuten sind brauchbar? Welches ist die
beste Methode? Ist Verhaltenstherapie
erfolgreicher als zum Beispiel Psychoanalyse oder systemische Therapie?
Nein, sagt die Wissenschaft, jede Methode hat ihre Vorzüge. Warum also nicht
Integration statt Konkurrenz, Dialog
statt Abgrenzung?
Rainer Matthias Holm-Hadulla, therapeutisch langjährig erfahren und als Professor an der Universität Heidelberg interdisziplinär engagiert, plädiert für «integrative Psychotherapie». Er ist nicht
der einzige, und so erwähnt er unter anderem den prominenten Psychotherapieforscher Klaus Grawe, der seinerzeit den
Therapeuten empfahl, von der «Konfession zur Profession» zu gelangen und
ideologische Enge zu überwinden.
Holm-Hadullas Buch stellt nicht nur
zwölf eindrucksvolle Fallbeispiele vor,
an denen er die Fruchtbarkeit seines integrativen Vorgehens illustriert, sondern
porträtiert sich immer auch selbst als
Therapeuten. Er zeigt, wie eine aussichtsreiche Zusammenarbeit entsteht,
wie man dem Patienten dabei helfen
kann, sein Alltagsleben zu verbessern
und wie man eingefahrene negative
Denkmuster ausser Kraft setzen kann.
Ebenso geht es um die unbewusste Dynamik der psychischen Konflikte und –
dies ist dem Kreativitätsforscher wichtig
– um das jeweils individuelle Potenzial,
den unverwechselbar eigenen Lebensentwurf zu finden und geltend zu machen. Der Therapeut soll im besten Sinn
«gebildet» sein, ganz im Sinne Goethes,
über den Holm-Hadulla leidenschaftlich
forscht: «Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben
wird, ist Bildung.» In diesem Sinn vermitteln die 12 Geschichten Bildung. ●
Brigitte Boothe ist emeritierte Professorin
für Psychologie der Universität Zürich.
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25
Sachbuch
Schweiz Ein Thesenbuch zum Niedergang der FDP ist bereits von der Realität überholt
ZickzackkursundliberalerFrühling
Alan Cassidy, Philipp Loser: Der Fall FDP.
Eine Partei verliert ihr Land. Rotpunkt,
Zürich 2015. 215 Seiten, Fr. 39.90.
Von Urs Rauber
Es gibt Bücher, die goldrichtig liegen,
weil sie ein Ereignis exakt vorhersagen
oder treffend den Zeitgeist wiedergeben.
Und es gibt Bücher, die bereits beim Erscheinen von der Realität überholt sind.
Dazu gehört das Buch der beiden Journalisten Alan Cassidy (32, «Schweiz am
Sonntag») und Philipp Loser (35, «TagesAnzeiger»). Hätte ihre These vom «unaufhaltsamen» Niedergang der «FDP. Die
Liberalen» vor einem halben Jahr noch
eine gewisse Plausibilität genossen, legte
die Totgesagte seit Januar 2015 in sämtlichen fünf Kantonalwahlen (BL, LU, AR,
ZH, TI) markant zu. Und für die Nationalratswahlen im Herbst 2015 wird die Partei von Demoskopen ebenfalls als Gewinnerin gehandelt. Was nun?
Richtig liegen die Autoren mit der
Analyse des FDP-Niedergangs in den
letzten 30 Jahren. Die einst erdrückende
freisinnige Dominanz in Wirtschaft, Militär, Politik und Gesellschaft, die seit 1848
bis Ende der 1970er Jahre andauerte, erodierte spätestens in den 1980er Jahren
mit dem Abflauen des Kalten Krieges,
der Fichenaffäre (für die die Autoren
fälschlicherweise die 1988 zurückgetretene FDP-Bundesrätin Elisabeth Kopp
statt CVP-Vorgänger Kurt Furgler verantwortlich machen), der EWR-Niederlage
1992 sowie dem Aufstieg der SVP unter
Christoph Blocher, die 1999 erstmals die
FDP als führende bürgerliche Partei ablöste. Dass schliesslich das Swissair-Debakel den Freisinnigen angelastet wurde,
war ebenfalls Blocher zu verdanken, der
im Mai 2001 – ein halbes Jahr vor dem
Grounding – in einem grossen «TagesAnzeiger»-Artikel erstmals vom «FDPFilz» schrieb. Der Fall Swissair – ein Fall
FDP: Diese Version wurde von der politischen Linken und manchen Medien
dankbar übernommen.
Wird die äussere Geschichte der FDP
ausführlich nachgezeichnet, fehlen leider fast ganz die föderalistische Innen-
sicht sowie Parteiinterna. Was erzählt
wird, ist weitgehend bekannt. Das Thesenbuch enthält zudem Wiederholungen
und viele Zeitsprünge, nicht alles ist
kongruent dargestellt. Peinlich wirkt
der Niedergangsduktus dort, wo das
Trauermodell von Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross bemüht wird, um
«verblüffende Parallelen» zur FDP-Entwicklung aufzuzeigen.
Den Autoren scheint entgangen zu
sein, dass sich die Partei nach dem unglückseligen «Zickzackkurs» von Franz
Steinegger unter Fulvio Pelli (Präsident
2005–2012) organisatorisch und programmatisch erneuert hat (Fusion mit
den Liberalen, Weissgeldstrategie, Abschied vom EU-Beitritt, Positionierung
rechts der Mitte). Und komplett falsch
liegen Cassidy und Loser mit der Zeichnung von Philipp Müller als «Verwalter
des Niedergangs» (ab April 2012). Hat
doch gerade er die FDP – wie jüngste
Analysen zeigen – wieder volksnäher,
jünger und weiblicher gemacht. Wieder
einmal hat die Praxis eine scheinbar richtige «Theorie» widerlegt. ●
Das amerikanische Buch Krise der amerikanischen Unterschichtsjugend
Der Befund schockierte Silvas Doktorvater. Robert Putnam war in Port Clinton aufgewachsen und hatte dort 1959
die Highschool abgeschlossen. Der bedeutende Soziologe erinnerte sich an
einen prosperierenden Industriestandort mit sozial gemischten Nachbarschaften und guten Schulen, von denen aus
auch Arbeiterkinder wie er selbst erfolgreiche Laufbahnen in vielerlei Berufen
antraten. Wie Putnam im Nachwort seines neuen Buches schreibt, gab der
Schock Anlass für eine umfassende
Recherche über die Lebensaussichten
junger Amerikaner. Dazu reiste ein Harvard-Team über zwei Jahre lang in alle
Regionen der USA. Das Ergebnis trägt
den Titel Our Kids. The American
Dream in Crisis (Simon & Schuster, 2015,
384 Seiten) und lässt sich auf einen Satz
reduzieren: Port Clinton ist überall.
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Mai 2015
2012) bereits getan. Auch Putnam nennt
den Kollaps der Industrie und drakonische Strafgesetze als Ursachen für die
Krise der amerikanischen Jugend. Wichtiger ist ihm jedoch die Analyse der Zusammenhänge, die «Kids» aus unteren
Schichten so viele Hürden in den Weg
stellen.
SPENCER PLATT / GETTY IMAGES
Interviews für ihre Doktorarbeit über
das Leben heranwachsender Amerikaner führten die Harvard-Studentin
Jennifer Silva zuerst nach Port Clinton,
Ohio. Anfang 2012 fand sie in der Kleinstadt am Erie-See zwei Welten vor: Von
Eltern umsorgt, in guten Schulen erzogen und in sicheren Nachbarschaften
aufgewachsen, planten Jugendliche aus
der oberen Mittelklasse ihren Universitätsbesuch. Ärmere Teenager steckten
dagegen ratlos in einem endlosen
Kampf um das schiere Überleben. Ihr
Alltag war häufig von chaotischen Familienverhältnissen, Drogen, Misshandlungen und Kriminalität geprägt. Aussicht auf eine akademische Bildung und
damit sozialen Aufstieg hatten nur die
wenigsten.
In den USA
kämpfen Teenager
aus ärmlichen
Verhältnissen oft ums
schiere Überleben.
Obdachloser in New
York 2013.
Autor Robert Putnam
(unten).
Putnam gilt spätestens seit seinem
Aufsatz «Bowling Alone» von 1995 als
führender Vertreter seines Fachs. USPräsidenten beider Parteien suchten das
Gespräch mit dem 73-Jährigen. Mit «Our
Kids» erweitert Putnam die seit der grossen Rezession von 2008/09 laufende
Diskussion über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in eine wohlhabende Minderheit und eine zunehmend
chancenlose Mehrheit um einen wertvollen Beitrag. Übersichtlich in Kapitel
wie «Eltern», «Schulen» und «Gemeinschaften» gegliedert, rückt das Buch Interviews mit Jugendlichen aus armen
und reichen Familien in den Mittelpunkt. Dazufügt der Soziologe in klarer
Sprache seine Forschungsergebnisse.
Wie die «New York Times» kritisiert,
führt Putnam keine «Schuldigen» für
schwindende Aufstiegschancen und zerbrechende Familien vor. Dies haben
Ökonomen wie der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz («The Prize of Inequality»,
Diese erscheinen als ineinandergreifende Teufelskreise: Schlecht bezahlte und
unsichere Jobs belasten familiäre Bindungen und machen dauerhafte Ehen
zur Ausnahme. Geringe Einkommen
führen zu Konzentrationen sozial
Schwacher in von Drogen und Kriminalität geprägten Nachbarschaften. Kinder
tragen das heimische Chaos in Schulen,
deren Lehrer vorwiegend als Aufseher
und nicht mehr erzieherisch tätig sind.
Dazu kommen frühe Schwangerschaften und Vorstrafen, sowie das Fehlen
persönlicher Netzwerke und Mentoren
als Lebenshilfe. Damit ist eine Krise historischen Ausmasses umrissen, die zunächst die ohnehin benachteiligten
Afroamerikaner erfasst hat. Nun ergreifen Chaos und Unsicherheit laut Putnam auch Weisse ohne höhere Bildung.
Mit diesen Erkenntnissen löst Putnam
in allen politischen Lagern Empathie für
die «Kids» aus. Gespalten sind jedoch
die Reaktionen auf seinen Katalog von
Gegenmassnahmen: Staatliche Investitionen in Kindergärten, handwerkliche
Ausbildung und die Betreuung lediger
Mütter sind im anlaufenden Präsidentschaftswahlkampf Reizwörter für konservative Politiker. ●
Von Andreas Mink
Agenda
Agenda Juni 2015
Art Brut Kreative Patienten
Basel
Mittwoch, 10. Juni, 19 Uhr
Sarbacher liest Annemarie Schwarzenbach: Klassikerinnen der Weltliteratur.
Fr. 17.–. Literaturhaus, Barfüssergasse 3.
Info: Tel. 061 274 26 55.
Freitag, 12. Juni, 20 Uhr
Stückelabor Basel mit Katja Brunner,
Michèle Roten und Wolfram Höll. Podium. Theater Basel, Theaterstrasse 7.
Info: www.theater-basel.ch.
Dienstag, 16. Juni, 19.30 Uhr
Silvilo Blatter: Wir zählen unsere Tage
nicht. Lesung, Fr. 15.–. Kulturhaus Bider &
Tanner, Aeschenvorstadt 2.
Karten: Tel. 061 206 99 96.
Bern
Dienstag, 9. Juni, 20 Uhr
Mathias Binswanger: Geld
aus dem Nichts. Fr. 15.–.
Thalia, Spitalgasse 47/51. Reservation: Tel. 031 320 20 40.
Der berühmte österreichische Psychiater Leo Navratil
(1921–2006) wirkte viele Jahre lang in der Nervenheilanstalt Gugging, die 2007 aufgelöst und in ein Museum
umgewandelt wurde. Er erkannte das künstlerische Potenzial mancher seiner Patienten und förderte es nach
Kräften. Inzwischen zählen die Werke der Gugginger
Maler und Zeichner zum Kanon der Art Brut. In vielen
Büchern und Ausstellungen wurden sie dokumentiert.
Nun liegt erstmals ein Kuriosum in gedruckter Form
vor: Leo Navratil plünderte damals den grossformatigen, 1968 bei Bruckmann in München erschienenen
Sammelband «Der Künstler und sein Bild der Welt», in
den die Farbtafeln nach dem Usus der Zeit eingeklebt
waren, und gab die Blätter seinen Patienten als Inspirationsquelle. Den bis auf die Texte kahlen Band aber verwendete er als «Gästebuch» für seine Klientel. Er liegt
nun als prächtiges Faksimile vor. Unsere Abbildung
zeigt ein «Kriegsschiff» von Johann Hauser, gemalt am
25. Februar 1970. Manfred Papst
Johann Feilacher: Navratils Künstler-Gästebuch. Residenz, Salzburg 2015. 152 S., zahlreiche Abb., Fr. 45.40.
Ausstellung im Museum Gugging 19.3. bis 23.8.2015.
Bestseller Mai 2015
Belletristik
Sachbuch
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Martin Suter: Montecristo.
Diogenes. 320 Seiten, Fr. 33.90.
Martin Walker: Provokateure.
Diogenes. 432 Seiten, Fr. 34.90.
Viveca Sten: Tod in stiller Nacht.
Kiepenheuer & Witsch. 400 Seiten, Fr. 21.90.
Jussi Adler-Olsen: Verheissung – Der Grenzenlose. DTV. 596 Seiten, Fr. 22.90.
Milena Moser: Das Glück sieht immer anders aus.
Nagel & Kimche. 224 Seiten, Fr. 26.90.
Cecelia Ahern: Das Jahr, in dem ich dich traf.
Fischer Krüger. 384 Seiten, Fr. 21.90.
Lukas Hartmann: Auf beiden Seiten.
Diogenes. 336 Seiten, Fr. 33.90.
Tess Gerritsen: Der Schneeleopard.
Limes. 416 Seiten, Fr. 28.90.
Lucinda Riley: Die sieben Schwestern.
Goldmann. 544 Seiten, Fr. 22.90.
Lori Nelson Spielman: Morgen kommt ein neuer
Himmel. Fischer Krüger. 368 Seiten, Fr. 21.90.
Giulia Enders: Darm mit Charme.
Ullstein. 288 Seiten, Fr. 18.90.
Thomas Maissen: Schweizer Heldengeschichten.
Hier + Jetzt. 240 Seiten, Fr. 29.00.
Per Andersson: Vom Inder, der nach Schweden
fuhr. Kiepenheuer & Witsch. 336 S., Fr. 21.90.
Wilhelm Schmid: Gelassenheit.
Insel. 118 Seiten, Fr. 12.90.
Joachim Bauer: Selbststeuerung.
Blessing. 240 Seiten, Fr. 28.90.
Mahtob Mahmoody: Endlich frei.
Ehrenwirth. 416 Seiten, Fr. 22.90.
Kurt Lauber: Matterhorn, Bergführer erzählen.
Droemer/Knaur. 304 Seiten, Fr. 31.90.
Katrin Bentley: Allein zu zweit.
Wörterseh. 224 Seiten, Fr. 37.90.
Jean Ziegler: Ändere die Welt!
Bertelsmann. 288 Seiten, Fr. 22.90.
Lukas Bärfuss: Stil und Moral.
Wallstein. 235 Seiten, Fr. 27.90.
Erhebung Media Control® AG im Auftrag des SBVV; 19.5.2015. Preise laut Angaben von www.buch.ch.
Sonntag, 21. Juni, 11 Uhr
Lukas Hartmann: Auf beiden Seiten.
Lesung. Zentrum Paul Klee, Monument
im Fruchtland 3. Info: www.zpk.org.
Zürich
Donnerstag, 4. Juni, 19.30 Uhr
Schweizer Literaturpreis 2015, mit
Eleonore Frey und Guy Krneta. Fr. 18.–.
Literaturhaus, Limmatquai 62.
Info: Tel. 044 254 50 08.
Freitag, 5. Juni, 20 Uhr
Jörn Jacob Rohwer: Die Seismografie des
Fragens. Gespräch. Fr. 25.–. Kaufleuten,
Pelikanplatz 18.
Karten: Tel. 044 225 33 77.
Montag, 8. Juni, 19.30 Uhr
Daniel Gut: Neidkopf – Naturgeschichte
des Frontisten Hans Kläui. Buchhandlung Volkshaus, Stauffacherstrasse 60.
Info: www.volkshausbuch.ch.
Mittwoch, 10. Juni, 20 Uhr
Siri Hustvedt: Die gleissende
Welt. Lesung. Fr. 30.–. Schauspielhaus Zürich (Pfauen),
Rämistrasse 34. Karten:
www.schauspielhaus.ch.
Donnerstag, 18. Juni, 19.30 Uhr
Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Fr. 18.–.
Literaturhaus (siehe oben).
Karten: Tel. 044 254 50 00.
Dienstag, 30. Juni, 20 Uhr
Ulrike Ulrich: Draussen um diese Zeit.
Buchpremiere, Fr. 25.–. Kaufleuten,
Pelikanplatz 18.
Karten: Tel. 044 225 33 77.
Bücher am Sonntag Nr. 6
erscheint am 28.6.2015
Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am
Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60
oder E-Mail [email protected]. Oder sind
– solange Vorrat – beim Kundendienst der NZZ,
Falkenstrasse 11, 8001 Zürich, erhältlich.
31. Mai 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27
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