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Freitag, 27. November 2015
KARRIERE & MANAGEMENT
FAMILIENUNTERNEHMERINNEN
Wenn Dynastien auf Frauen setzen
Führungsstil, Sozialkompetenzen und familiäre Verpflichtungen – Die feinen Unterschiede in der weiblichen Unternehmensführung
Von den knapp drei
Millionen deutschen
Familienunternehmen
werden rund 600 000 von
einer Frau gelenkt. Was
machen sie anders als ihre
männlichen „Kollegen“?
Von Jessica Ponnath
„Weibliche Firmenlenkerinnen haben in jedem fünften Familienunternehmen das Sagen“, sagt Anne-Katrin Moritz, Pressesprecherin
des Bundesverbandes „Die Familienunternehmer“. Damit sind Frauen an der Spitze von Familienunternehmen nach wie vor in der Minderheit – und doch ist die Wirtschaft weiblicher geworden. Noch
bis in die 60er Jahre war die Führung eines Familienunternehmens
in der Mehrzahl reine Männersache. Es galt das ungeschriebene
Gesetz, dem Sohn, am besten noch
dem Erstgeborenen, die Verantwortung in die Hände zu legen.
War kein Sohn vorhanden, rückte
die Tochter nach – allerdings meistens als diejenige, die einen künftigen Unternehmenslenker zu ehelichen hatte.
Ganz anders die Situation im
Hause PAV in Lütjensee. Als Isabel
Höftmann-Toebe (41) im Jahr 2004
die Geschäftsführung des Familienunternehmens übernahm, war sie
bereits die dritte Frauengeneration
nach ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Was vor 90 Jahren in Stolp
im heutigen Polen als Paul Albrechts Verlag mit wenigen Druckmaschinen begann, ist zum
High-Tech-Mediendienstleister
mit 250 Mitarbeitern und 35 Millionen Euro Umsatz vor den Toren
Hamburgs angewachsen. „Wohl jeder Deutsche hat schon einmal ein
PAV-Produkt in der Hand gehalten“, sagt Isabell Höftmann-Toebe.
Nach eigenen Angaben produziert
der Betrieb rund ein Drittel aller
elektronischen Gesundheitskarten
– dazu etwa Arzt- und Apothekenformulare, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Stimmzettel für
Landtags-, Bundestags- und Europawahlen, Club- und Kundenkarten (darunter auch die LN-Card), Inlays für biometrische Pässe, kontaktlose Karten mit integrierten
Transpondern mit Zahl- und Identifikationsfunktion oder personalisierte Mailings. „Viele unserer Produkte stellen allerhöchsten Sicherheitsanforderungen, da sensible
Daten verarbeitet werden“, sagt Isabell Höftmann-Toebe. „Deshalb
produzieren wir vieles in unserem
speziellen
Hochsicherheitsbereich.“
Gülten Bockholdt hat das gleichnamige Unternehmen zusammen mit ihrem Mann nicht übernommen, sondern erworben.
Für die Mutter zweier Söhne war
immer klar, dass sie nach ihrem
BWL-Studium in Regensburg direkt ins Familienunternehmen einsteigen wollte. „Meine Mutter, die
sich bis heute mit mir die Geschäftsführung teilt, hat das nicht von mir
verlangt. Aber für mich war der Einstieg bei PAV ganz normal.“
Die Frauenquote im Druckereigewerbe, und dann auch noch mit ITSchwerpunkt, ist niedrig. „Die Industrie ist eben sehr männlich dominiert“, sagt Höftmann-Toebe. Dementsprechend legt sie großen Wert
auf einen eher maskulinen Auftritt
im Geschäftsleben: „Im Job würde
ich unter keinen Umständen ein
Kleid anziehen, ich trage immer Hosen beziehungsweise Anzüge.“ Unterschiede im Entscheidungsstil
von Männern und Frauen will sie
nicht ausmachen. „Nun ja, vielleicht schaue ich bei Investitionen
in neue Maschinen mehr nach dem
Geld - und nicht so sehr nach technischen Spielereien, wie es einige
männliche Entscheidungsträger in
unserem Hause tun“, sagt sie dann
lächend.
Isabel Höftmann-Toebe hat die
Erfahrung gemacht, dass Frauen
keine guten Netzwerkerinnen seien. Viele würden sich gegenseitig
„Männer fokussieren sich stärker aufs Wesentliche,
während Frauen zu viel im Köcher lassen. Und dann ist ihre
Enttäuschung groß, wenn ein Detail nicht klappt.“
Gülten Bockholdt
Bockholdt KG
beäugen und im Weg stehen. „Das
führt dazu, dass es immer noch wenig Frauen in Führungspositionen
gibt, da sie häufig nicht solidarisch
miteinander umgehen.“ Dennoch
ist sie der Meinung, dass in deutschen Familienunternehmen ein
patriarchaler Führungsstil ausstirbt, da er nicht motivationsfördernd sei. „Ich lasse meinen Mitarbeitern viel Raum. Als Gegenleistung erwarte ich aber auch viel Eigenmotivation“, erklärt sie.
Eine unternehmerische Einstellung, die sie mit Jaana Grundei-Lorenzen verbindet. Diese leitet in
zweiter Generation das Familienunternehmen Schütt & Grundei mit
zwölf Standorten in Schleswig-Holstein. Die Diplomkauffrau und Orthopädietechnikerin führt die Firma für Medizin-Technik seit 1996.
Da war sie gerade 29 Jahre alt, und
ihr Vater schied aus der Firma aus.
„Damit musste ich mich meinem
Vater gegenüber nicht erst emanzipieren. Stattdessen räumte er mir
vom ersten Tag an viel Freiraum
ein. Und das war der beste Start,
den ich haben konnte“, sagt sie
rückblickend.
Schütt & Grundei beschäftigt
heute rund 100 qualifizierte Mitarbeiter, die für Patienten mit Behinderungen oder Bewegungseinschränkungen etwa Mobilitätshilfen, Bandagen, Kompressionsstrümpfe, Einlagen, Prothesen, Orthesen, Mieder oder Elektro-Scooter anfertigen und verkaufen.
„Meine Mutter, die sich bis
heute mit mir die
Geschäftsführung teilt,
hat nicht verlangt, dass ich
in das Familienunternehmen
einsteige.
Isabell
Höftmann-Toebe
PAV Card GmbH
Isabel Höftmann-Toebe ist die dritte Generation des Unternehmens PAV.
Auch die 48-Jährige erkennt in
ihrem Führungsstil eher wenige
weibliche Attribute. „Ich würde ihn
nicht als weiblich, sondern als modern bezeichnen. Das bedeutet:
Mein Führungsstil ist nicht patriarchal, sondern vom Teamgedanken
geprägt. Ich führe auf eine kommunikative Weise und bin bereit, die
Verantwortung auf viele Schultern
im Unternehmen zu verteilen.“
Jeder wisse, welche Entscheidungen und welche Aufgaben in seinem Bereich lägen – Klarheit und
Transparenz seien oberste Prämisse in der Zusammenarbeit. Zudem
zählen bei Schütt & Grundei die
Qualität der Fertigkeiten und die
Persönlichkeit der einzelnen Mitarbeiter, welche zu zwei Dritteln
weiblich sind.
Die Tatsache, dass Jaana Grundei-Lorenzen auch einiges aus dem
Fotos: hfr, Jessica Ponnath
Mann, ein Amtsrichter, kümmert
sich im Wesentlichen um das Häusliche. „Anders wäre meine Tätigkeit als Geschäftsführerin nicht zu
leisten“, sagt sie. „Ich empfinde
mich an der Stelle als sehr privilegiert. Der Spagat zwischen Beruf
und Familie ist der Grund dafür,
dass es so wenige Frauen in der
Wirtschaft gibt.“
Ob ihre Kinder eines Tages das
Familienunternehmen übernehmen werden? Jaana Grundei-Lorenzen will ihre Kinder nicht dazu
treiben. „Wenn sie ,ja’ sagen, freut
mich das. Aber sie bekommen alle
Freiheiten, sich zu entwickeln und
selbst zu entscheiden“, meint Grundei-Lorenzen.
Nicht übernommen, sondern erworben haben Gülten und Jan
Bockholdt das gleichnamige Unternehmen für Gebäudereinigung
von der zweiten Generation. Das
war im Jahr 2008, und seitdem ist
Gülten Bockholdt Kommanditistin,
ihr Mann Komplementär der in Lübeck ansässigen und an 14 norddeutschen Standorten aktiven Firma. „Unser gemeinsames Handlungsmotto steht gewissermaßen
auf dem Lübecker Holstentor: Concordia domi foris pax – Eintracht innen und Frieden draußen. Ich ver-
antworte die innere Eintracht des
Unternehmens, und mein Mann ist
der Lenker des äußeren, operativen
Geschäftes. Damit ergänzen wir
uns ideal“, sagt die 46-Jährige, die
in Hamburg, London und Bordeaux
BWL, Französisch und Germanistik
studiert hat. Mittlerweile hat das
1959 gegründete Unternehmen
6000 Mitarbeiter und ist damit zu einem der größten in Norddeutschland angewachsen.
Auch Gülten Bockholdt kann
kaum Unterschiede zwischen
männlichem und weiblichem Führungsstil feststellen. Solche Sozialkompetenzen, wie sie weiblichen
Unternehmenslenkerinnen nachgesagt werden, haben Männer heute
auch, befindet sie. Dazu zähle etwa
die Fürsorgepflicht des Unternehmers für die Work-Life-Balance der
Mitarbeiter. Auch die Erfolgsquote
beider Geschlechter sei vergleichbar. In der Annäherung von Sozialkompetenzen und Erfolgsquote
sieht Bockholdt einen erfreulichen
Kulturwandel.
Ein Detail in der Arbeitsweise
zwischen Männern und Frauen
stört Gülten Bockholdt jedoch deutlich: Frauen seien zu perfektionistisch. „Männer fokussieren sich
stärker aufs Wesentliche, während
Frauen zu viel im Köcher lassen.
Und dann ist ihre Enttäuschung
groß, wenn ein Detail nicht klappt.“
Darüber hinaus würden sich viele
Familienunternehmerinnen aufreiben zwischen Kindern und beruflichen Verpflichtungen.
Auch Bockholdt war es gewohnt,
als Frau mehr leisten zu müssen.
Selbst nach ihrem Einstieg in den
eigenen Betrieb arbeitete sie sieben Tage pro Woche. Mittlerweile
ist es ihr gelungen, zusammen mit
ihrem Mann „den Laden umzukrempeln“, wie sie sagt. „Wir haben viel Kraft darauf verwendet, zu
einem partizipativen Führungsstil
zu gelangen.“ Das Unternehmen
stützt sich heute neben dem Unternehmerehepaar auch auf die Kompetenz und Entscheidungsfreude
von zwei Geschäftsführern.
Ein besonderes Steckenpferd
Gülten Bockholdts ist die Mitarbeiter-Entwicklung mit zahlreichen
Fortbildungsprogrammen. „In der
Weiterbildung steckt die Zukunft“,
erklärt sie ihren pädagogischen Ansatz. „Wir gehören zu den ersten
Gebäudereinigungen mit Personalentwicklern. Und darum können
wir heute zum Beispiel auf einen
einstigen Gebäudereiniger verweisen, der jetzt als Niederlassungsleiter zwei Millionen Euro Umsatz verantwortet“.
Für den nächsten Generationenwechsel hat Bockholdt klare Vorstellungen. „Das wird ein Spaziergang“, lächelt sie. „Aber das geht
nur, wenn man an der VerantworA
tung nicht festklammert.“
„Der Spagat zwischen
Beruf und Familie ist der
Grund dafür, dass es so
wenige Frauen in der
Wirtschaft gibt.“
Jaana
Grundei-Lorenzen
Schütt & Grundei GmbH
Privatleben ihrer Angestellten
weiß, hält sie nicht für „typisch
Frau, sondern typisch Mittelstand“.
„Natürlich kommen meine Angestellten mit privaten Belangen und
Problemen zu mir, etwa wenn es
um Freiräume für Kindererziehung
oder Pflege der Eltern geht. So etwas ist nicht immer leicht für einen
Betrieb. Aber es gehört zum Leben.
Und so finden wir auch in jedem
Fall eine gute Lösung. Das ist immer ein Geben und Nehmen.“
Jaana Grundei-Lorenzen ist
Mutter von drei Kindern im Alter
von sieben, elf und 13 Jahren. Ihr
Von Anfang an viel unternehmerische Freiheit: Jaana Grundei-Lorenzen.
DIE WIRTSCHAFT – Warum die Töchter der Unternehmensdynastien kaum anders arbeiten und entscheiden als die Söhne.