18 Freitag, 27. November 2015 KARRIERE & MANAGEMENT FAMILIENUNTERNEHMERINNEN Wenn Dynastien auf Frauen setzen Führungsstil, Sozialkompetenzen und familiäre Verpflichtungen – Die feinen Unterschiede in der weiblichen Unternehmensführung Von den knapp drei Millionen deutschen Familienunternehmen werden rund 600 000 von einer Frau gelenkt. Was machen sie anders als ihre männlichen „Kollegen“? Von Jessica Ponnath „Weibliche Firmenlenkerinnen haben in jedem fünften Familienunternehmen das Sagen“, sagt Anne-Katrin Moritz, Pressesprecherin des Bundesverbandes „Die Familienunternehmer“. Damit sind Frauen an der Spitze von Familienunternehmen nach wie vor in der Minderheit – und doch ist die Wirtschaft weiblicher geworden. Noch bis in die 60er Jahre war die Führung eines Familienunternehmens in der Mehrzahl reine Männersache. Es galt das ungeschriebene Gesetz, dem Sohn, am besten noch dem Erstgeborenen, die Verantwortung in die Hände zu legen. War kein Sohn vorhanden, rückte die Tochter nach – allerdings meistens als diejenige, die einen künftigen Unternehmenslenker zu ehelichen hatte. Ganz anders die Situation im Hause PAV in Lütjensee. Als Isabel Höftmann-Toebe (41) im Jahr 2004 die Geschäftsführung des Familienunternehmens übernahm, war sie bereits die dritte Frauengeneration nach ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Was vor 90 Jahren in Stolp im heutigen Polen als Paul Albrechts Verlag mit wenigen Druckmaschinen begann, ist zum High-Tech-Mediendienstleister mit 250 Mitarbeitern und 35 Millionen Euro Umsatz vor den Toren Hamburgs angewachsen. „Wohl jeder Deutsche hat schon einmal ein PAV-Produkt in der Hand gehalten“, sagt Isabell Höftmann-Toebe. Nach eigenen Angaben produziert der Betrieb rund ein Drittel aller elektronischen Gesundheitskarten – dazu etwa Arzt- und Apothekenformulare, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Stimmzettel für Landtags-, Bundestags- und Europawahlen, Club- und Kundenkarten (darunter auch die LN-Card), Inlays für biometrische Pässe, kontaktlose Karten mit integrierten Transpondern mit Zahl- und Identifikationsfunktion oder personalisierte Mailings. „Viele unserer Produkte stellen allerhöchsten Sicherheitsanforderungen, da sensible Daten verarbeitet werden“, sagt Isabell Höftmann-Toebe. „Deshalb produzieren wir vieles in unserem speziellen Hochsicherheitsbereich.“ Gülten Bockholdt hat das gleichnamige Unternehmen zusammen mit ihrem Mann nicht übernommen, sondern erworben. Für die Mutter zweier Söhne war immer klar, dass sie nach ihrem BWL-Studium in Regensburg direkt ins Familienunternehmen einsteigen wollte. „Meine Mutter, die sich bis heute mit mir die Geschäftsführung teilt, hat das nicht von mir verlangt. Aber für mich war der Einstieg bei PAV ganz normal.“ Die Frauenquote im Druckereigewerbe, und dann auch noch mit ITSchwerpunkt, ist niedrig. „Die Industrie ist eben sehr männlich dominiert“, sagt Höftmann-Toebe. Dementsprechend legt sie großen Wert auf einen eher maskulinen Auftritt im Geschäftsleben: „Im Job würde ich unter keinen Umständen ein Kleid anziehen, ich trage immer Hosen beziehungsweise Anzüge.“ Unterschiede im Entscheidungsstil von Männern und Frauen will sie nicht ausmachen. „Nun ja, vielleicht schaue ich bei Investitionen in neue Maschinen mehr nach dem Geld - und nicht so sehr nach technischen Spielereien, wie es einige männliche Entscheidungsträger in unserem Hause tun“, sagt sie dann lächend. Isabel Höftmann-Toebe hat die Erfahrung gemacht, dass Frauen keine guten Netzwerkerinnen seien. Viele würden sich gegenseitig „Männer fokussieren sich stärker aufs Wesentliche, während Frauen zu viel im Köcher lassen. Und dann ist ihre Enttäuschung groß, wenn ein Detail nicht klappt.“ Gülten Bockholdt Bockholdt KG beäugen und im Weg stehen. „Das führt dazu, dass es immer noch wenig Frauen in Führungspositionen gibt, da sie häufig nicht solidarisch miteinander umgehen.“ Dennoch ist sie der Meinung, dass in deutschen Familienunternehmen ein patriarchaler Führungsstil ausstirbt, da er nicht motivationsfördernd sei. „Ich lasse meinen Mitarbeitern viel Raum. Als Gegenleistung erwarte ich aber auch viel Eigenmotivation“, erklärt sie. Eine unternehmerische Einstellung, die sie mit Jaana Grundei-Lorenzen verbindet. Diese leitet in zweiter Generation das Familienunternehmen Schütt & Grundei mit zwölf Standorten in Schleswig-Holstein. Die Diplomkauffrau und Orthopädietechnikerin führt die Firma für Medizin-Technik seit 1996. Da war sie gerade 29 Jahre alt, und ihr Vater schied aus der Firma aus. „Damit musste ich mich meinem Vater gegenüber nicht erst emanzipieren. Stattdessen räumte er mir vom ersten Tag an viel Freiraum ein. Und das war der beste Start, den ich haben konnte“, sagt sie rückblickend. Schütt & Grundei beschäftigt heute rund 100 qualifizierte Mitarbeiter, die für Patienten mit Behinderungen oder Bewegungseinschränkungen etwa Mobilitätshilfen, Bandagen, Kompressionsstrümpfe, Einlagen, Prothesen, Orthesen, Mieder oder Elektro-Scooter anfertigen und verkaufen. „Meine Mutter, die sich bis heute mit mir die Geschäftsführung teilt, hat nicht verlangt, dass ich in das Familienunternehmen einsteige. Isabell Höftmann-Toebe PAV Card GmbH Isabel Höftmann-Toebe ist die dritte Generation des Unternehmens PAV. Auch die 48-Jährige erkennt in ihrem Führungsstil eher wenige weibliche Attribute. „Ich würde ihn nicht als weiblich, sondern als modern bezeichnen. Das bedeutet: Mein Führungsstil ist nicht patriarchal, sondern vom Teamgedanken geprägt. Ich führe auf eine kommunikative Weise und bin bereit, die Verantwortung auf viele Schultern im Unternehmen zu verteilen.“ Jeder wisse, welche Entscheidungen und welche Aufgaben in seinem Bereich lägen – Klarheit und Transparenz seien oberste Prämisse in der Zusammenarbeit. Zudem zählen bei Schütt & Grundei die Qualität der Fertigkeiten und die Persönlichkeit der einzelnen Mitarbeiter, welche zu zwei Dritteln weiblich sind. Die Tatsache, dass Jaana Grundei-Lorenzen auch einiges aus dem Fotos: hfr, Jessica Ponnath Mann, ein Amtsrichter, kümmert sich im Wesentlichen um das Häusliche. „Anders wäre meine Tätigkeit als Geschäftsführerin nicht zu leisten“, sagt sie. „Ich empfinde mich an der Stelle als sehr privilegiert. Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist der Grund dafür, dass es so wenige Frauen in der Wirtschaft gibt.“ Ob ihre Kinder eines Tages das Familienunternehmen übernehmen werden? Jaana Grundei-Lorenzen will ihre Kinder nicht dazu treiben. „Wenn sie ,ja’ sagen, freut mich das. Aber sie bekommen alle Freiheiten, sich zu entwickeln und selbst zu entscheiden“, meint Grundei-Lorenzen. Nicht übernommen, sondern erworben haben Gülten und Jan Bockholdt das gleichnamige Unternehmen für Gebäudereinigung von der zweiten Generation. Das war im Jahr 2008, und seitdem ist Gülten Bockholdt Kommanditistin, ihr Mann Komplementär der in Lübeck ansässigen und an 14 norddeutschen Standorten aktiven Firma. „Unser gemeinsames Handlungsmotto steht gewissermaßen auf dem Lübecker Holstentor: Concordia domi foris pax – Eintracht innen und Frieden draußen. Ich ver- antworte die innere Eintracht des Unternehmens, und mein Mann ist der Lenker des äußeren, operativen Geschäftes. Damit ergänzen wir uns ideal“, sagt die 46-Jährige, die in Hamburg, London und Bordeaux BWL, Französisch und Germanistik studiert hat. Mittlerweile hat das 1959 gegründete Unternehmen 6000 Mitarbeiter und ist damit zu einem der größten in Norddeutschland angewachsen. Auch Gülten Bockholdt kann kaum Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Führungsstil feststellen. Solche Sozialkompetenzen, wie sie weiblichen Unternehmenslenkerinnen nachgesagt werden, haben Männer heute auch, befindet sie. Dazu zähle etwa die Fürsorgepflicht des Unternehmers für die Work-Life-Balance der Mitarbeiter. Auch die Erfolgsquote beider Geschlechter sei vergleichbar. In der Annäherung von Sozialkompetenzen und Erfolgsquote sieht Bockholdt einen erfreulichen Kulturwandel. Ein Detail in der Arbeitsweise zwischen Männern und Frauen stört Gülten Bockholdt jedoch deutlich: Frauen seien zu perfektionistisch. „Männer fokussieren sich stärker aufs Wesentliche, während Frauen zu viel im Köcher lassen. Und dann ist ihre Enttäuschung groß, wenn ein Detail nicht klappt.“ Darüber hinaus würden sich viele Familienunternehmerinnen aufreiben zwischen Kindern und beruflichen Verpflichtungen. Auch Bockholdt war es gewohnt, als Frau mehr leisten zu müssen. Selbst nach ihrem Einstieg in den eigenen Betrieb arbeitete sie sieben Tage pro Woche. Mittlerweile ist es ihr gelungen, zusammen mit ihrem Mann „den Laden umzukrempeln“, wie sie sagt. „Wir haben viel Kraft darauf verwendet, zu einem partizipativen Führungsstil zu gelangen.“ Das Unternehmen stützt sich heute neben dem Unternehmerehepaar auch auf die Kompetenz und Entscheidungsfreude von zwei Geschäftsführern. Ein besonderes Steckenpferd Gülten Bockholdts ist die Mitarbeiter-Entwicklung mit zahlreichen Fortbildungsprogrammen. „In der Weiterbildung steckt die Zukunft“, erklärt sie ihren pädagogischen Ansatz. „Wir gehören zu den ersten Gebäudereinigungen mit Personalentwicklern. Und darum können wir heute zum Beispiel auf einen einstigen Gebäudereiniger verweisen, der jetzt als Niederlassungsleiter zwei Millionen Euro Umsatz verantwortet“. Für den nächsten Generationenwechsel hat Bockholdt klare Vorstellungen. „Das wird ein Spaziergang“, lächelt sie. „Aber das geht nur, wenn man an der VerantworA tung nicht festklammert.“ „Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist der Grund dafür, dass es so wenige Frauen in der Wirtschaft gibt.“ Jaana Grundei-Lorenzen Schütt & Grundei GmbH Privatleben ihrer Angestellten weiß, hält sie nicht für „typisch Frau, sondern typisch Mittelstand“. „Natürlich kommen meine Angestellten mit privaten Belangen und Problemen zu mir, etwa wenn es um Freiräume für Kindererziehung oder Pflege der Eltern geht. So etwas ist nicht immer leicht für einen Betrieb. Aber es gehört zum Leben. Und so finden wir auch in jedem Fall eine gute Lösung. Das ist immer ein Geben und Nehmen.“ Jaana Grundei-Lorenzen ist Mutter von drei Kindern im Alter von sieben, elf und 13 Jahren. Ihr Von Anfang an viel unternehmerische Freiheit: Jaana Grundei-Lorenzen. DIE WIRTSCHAFT – Warum die Töchter der Unternehmensdynastien kaum anders arbeiten und entscheiden als die Söhne.
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