Migration für Wohlstand und Sicherheit

Ernst H. Lutz
Juni 2015
Migration für Wohlstand und Sicherheit
Wanderungen
Menschen wanderten wohl immer – wegen Gewalt, Verfolgung, Umsiedlungen, Hunger,
Armut, Bevölkerungsentwicklungen, Diskriminierung, Katastrophen, Klimawechsel,
Seuchen, wirtschaftlichen Anreizen, Anwerbungen, Neugier und mehr. Es sind Migranten,
Flüchtlinge, Binnenvertriebene, Asylsuchende, Staatenlose. Über 300 Millionen (?) sollen
unterwegs sein. Politiker müssen das mit Behörden steuern. Bürger schulden
Mitmenschlichkeit.
Wer hat Migrationshintergrund?
Migrationshintergrund haben laut Statistischem Bundesamt im Mikrozensus 2011 „alle nach
1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten sowie alle in
Deutschland geborenen Ausländer und alle als Deutsche Geborenen mit zumindest einem
zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.“ Daneben zählte
dieses Amt im gleichzeitigen Zensus 2011 „alle zugewanderten und nicht zugewanderten
Ausländer/-innen sowie alle nach 1955 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland zugewanderten Deutschen und alle Deutschen mit zumindest einem nach 1955
auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugewanderten Elternteil.“ Was gilt?
Schlaglichter zu Migration
Migrationen erfolgen temporär oder zirkulär. Temporäre Migranten kehren nach einmaligem
Aufenthalt in ihr Land zurück. Zirkuläre Migration meint mehrfache kurz- bis mittelfristige
Wanderungen zwischen Staaten. Beide Methoden funktionieren, wenn ihre Regeln Herkunftsund Aufnahmestaaten und den Migranten dienen („triple-win“).
In Aufnahmeländern drohen jedoch Lohndumping, unwürdige Behandlung, illegaler Verbleib,
belastete Sozialsysteme, kulturelle Konflikte sowie eine sich ggf. abschottende und radikale
Diaspora. Herkunftsländern droht der Verlust von Humankapital zur Entwicklung und für
Sozialfunktionen (Arbeitskraft, „brain drain“).
Dem stehen Vorteile gegenüber. In Aufnahmeländern profitieren die Wirtschaft, der
Arbeitsmarkt und Sozialsysteme durch Beschäftigung. Dazu kommen politische und
kulturelle Aufwertung. Herkunftsländer gewinnen durch Wissens- und Fähigkeitstransfer,
Bildungsanreize, Armutsbekämpfung, Absicherung gegen private Risiken. Höhere
Sparquoten stützen dortige Volkswirtschaften, Staatshaushalte und die Kreditwürdigkeit.
Unternehmerische Initiative und Investitionen in Selbständigkeit werden ermöglicht,
Kulturtransfer gefördert. Entwicklungs- und sicherheitspolitisch winken Stabilisierung,
Entwicklung und Kooperationsfähigkeit.
Die Weltbank erwartet 2016 ca. 540 Mrd. $ Überweisungen und 100 Mrd. inoffizielle
Transfers der Migranten in ihre Länder, beide mit 8% Zuwachs in zwei Jahren. Tadschikistan
als Extrembeispiel soll 2012 so 48% des Bruttoinlandsprodukts zugeflossen sein.
Versuche und Konzepte
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Arbeitsmigration begann für die Bundesrepublik vor 60 Jahren mit Gastarbeitern. Ein
Staatsangehörigkeitsrecht brachte im Jahr 2000 eine Green-Card für die IT-Branche und
Telekommunikation. Die Bundesregierung verfehlte 2005 ihr Ziel des „modernsten
Zuwanderungsgesetzes Europas“. Damit versandeten auch Empfehlungen einer UNO-Global
Commission on International Migration (Weltausschuss zur internationalen Migration) von
2005 für Migration zu Entwicklungszwecken.
Heute setzt Deutschland eine weitere Richtlinie der EU (Blue-Card) um, erleichtert den
Austausch Studierender und erteilt ausländischen Akademikern Visa. Im Jahr 2013 öffnete
eine Beschäftigungsverordnung den Arbeitsmarkt für Fachkräfte mit Berufsausbildung aus
Nicht-EU-Ländern. Fachkräfte gleichwertiger Qualifikation brauchen keine Vermittlung
mehr.
Die EU schaffte zunächst kein stimmiges außen-, innen-, sicherheits-, wirtschafts- und
entwicklungspolitisches Konzept. Sie beschloss 2008 einen Pakt zu Einwanderung und Asyl.
Noch fehlen aber taugliche Konzepte. Das fördert illegale Migration.
Häufige Kriterien für die Aufnahme von Migranten sind Vorrangprüfungen gegenüber
Einheimischen, Qualifikationen, Lohn- und Gehaltsfragen, Punktesysteme, Quoten,
Sponsorenleistungen, Green- und Blue-Cards sowie der geschätzte Bedarf.
Beispiele für deutsche Pilotprojekte sind:
Ø Ein Internetportal, Beratungsangebote und Informationsreihen in Herkunftsländern.
Ø Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten bekommen mit Unterstützung hiesiger Arbeitsgeber
einen Sprachkurs zu Hause und ein Integrationsprogramm hier.
Ø Tunesische Ingenieure erhielten dort eine Sprachausbildung, machten ein Praktikum in
Deutschland und konnten ihren Aufenthalt verlängern.
Ø Private Initiativen in Mangelberufen ermöglichten hilfreiche Erkenntnisse.
Erfahrungen
Steuerung von Migranten verlangt die Bereitschaft zum Lernen und zu Anpassungen.
Arbeitgeber wollen eingearbeitete Migranten behalten. Migranten wollen auch bleiben.
Legale Migration mit möglichem Wiederkommen macht Migranten rückkehrwillig. Interessen
der Herkunftsländer können sich ändern. Es braucht „triple-win“-Konzepte der EU und ihrer
Länder. Ziele und Methoden müssen realistisch und klar sein – auch gegenüber der
Bevölkerung. Bedarf und Qualifikation zählen:
Ø Gering Qualifizierte mit Rückkehranreizen und -optionen werden kurzzeitig in
Mangelbereichen benötigt.
Ø Qualifizierte brauchen die Option längerer Beschäftigung und Integrationsangebote,
faire Regelungen für Geldüberweisungen, Unterstützung und die Übertragung von
Sozialversicherungsansprüchen bei Rückkehr.
Ø Hochqualifizierte brauchen Integrationsangebote und entsprechend ihrer formalen oder
tatsächlichen Qualifikation (Punktesystem?) vollen, zeitlich unbegrenzten Zugang
zum Arbeitsmarkt und Erwerbsleben.
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Flüchtlinge
Flüchtling ist nach Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (1951) eine „Person, die sich
außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren
ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine
wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch
nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.“
Über 50 Mio. Menschen sind auf der Flucht. Ca. 33 Mio. sind Binnenvertriebene (Internally
Displaced Persons, IDP) im eigenen Land. Hauptflüchtlingsländer sind Afghanistan, Syrien,
Somalia, Sudan, Demokratische Republik Kongo, Myanmar und Irak. Größte Aufnahme
leisten Pakistan (1,6 Mio.), Iran (ca. 860.000) Libanon (ca. 860.000) Jordanien (640.000) und
Irak (400.000). Viele Binnenvertriebene haben Syrien (6,5 Mio.), Kolumbien (5,3 Mio.), DR
Kongo (2,9 Mio.), Sudan (1,8 Mio.) Somalia (1,1 Mio.) und Irak (954.000) – ohne viel
Sicherheit und Menschenwürde. Mitmenschlichkeit gebietet uns für von dort Geflohene
Schutz und Hilfe. Anerkannte Flüchtlinge können nach einiger Zeit Arbeitszugang
bekommen.
Asylsuchende
Das Dubliner Übereinkommen der EU (1990, aktualisiert 2003 und 2013) regelt das
Asylrecht. In Deutschland ist es ein Grundrecht für politisch Verfolgte (Art. 16a GG).
Asylsuchenden ist während ihres Verfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet. Die
Gestattung erlischt mit rechtskräftiger Ablehnung. Nicht anerkannte Asylsuchende können mit
anderem Rechtsstatus als Flüchtlinge anerkannt werden. Während des Balkankriegs 1993-95
wurden von 513.561 Asylanträgen 16.396 anerkannt (3,2%). Im ersten Halbjahr 2014 gab es
77.109 Anträge, davon ca. 13.000 aus Syrien. Anerkannte Asylsuchende erhalten mit ihren
Familien in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis mit Erwerbserlaubnis, einen Reiseausweis,
Integrationsförderung sowie soziale Leistungen. Sie können später Deutsche werden.
Fazit
Die deutsche Bevölkerungsstatistik ist düster. Technologischer Fortschritt kann ihre Probleme
mildern, aber nicht lösen. Eine Ergänzung durch leistungsfähige und -willige Menschen kann
helfen. Das muss versucht werden. Die gesamtpolitischen Vorteile der Integration und
anständigen Behandlung dieser Menschen – ob sie bleiben oder wieder gehen – sind für
unseren Wohlstand und per Fernwirkung für unsere Sicherheit eindeutig. Dafür haben die
Politik und die Bürgergesellschaft eine Verantwortung – Wahltermine hin oder her.
Generalmajor a. D. Ernst H. Lutz erfüllt u.a. Lehraufträge an Koblenzer Hochschulen.