SWR2 Glauben „DAS SCHREIT ZUM HIMMEL“

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Glauben
„DAS SCHREIT ZUM HIMMEL“
MOBBING IN DER KIRCHE
VON BRIGITTE LEHNHOFF
SENDUNG 28.06.2015 / 12.05 UHR
Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft
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O-Ton Zahner
Einer der Fälle, der mich sehr beschäftigt hat, ist eine Pfarrsekretärin in der
evangelischen Kirche, die das Problem hatte, dass ihre Pfarrerin mit ihr ein
emotionales Problem hatte. Und die Pfarrerin hat dann versucht, über
sogenannte Schlechtleistung, die nicht belegbar war, sie aus dem
Sekretärinnendienst zu entfernen. Zum Beispiel sollte sie bestimmte Listen
anfertigen in der EDV. Und das Computerprogramm hat das gar nicht
hergegeben, die Software, da musste sie das sozusagen von Hand
nacharbeiten, da wurde die Nacharbeit von Hand als Schlechtleistung
interpretiert. Und irgendwann hat die Kollegin aufgegeben, weil es keinen
Sinn mehr gemacht hat.
Autorin
Mobbing mit Erfolg. Martin Zahner kennt viele Beispiele. Als Betriebsseelsorger
der Diözese Rottenburg-Stuttgart arbeitet er in Ludwigsburg. Zahner berät dort
seit 17 Jahren Männer und Frauen, für die der Arbeitsplatz zur Hölle wird. Sie
kommen aus der freien Wirtschaft, aus dem öffentlichen Dienst und aus den
großen christlichen Kirchen. Ein Beispiel aus der katholischen Caritas: Die
Leiterin einer Pflegeeinrichtung fühlte sich gemobbt von ihren Vorgesetzten.
O-Ton Zahner
Da sie die Qualität des zugewiesenen Personals, Ordensschwestern, in Frage
gestellt hat. Daraufhin wurde bei ihr versucht, mit sehr viel Druck Fehler zu
finden, der Klassiker war, dass ihre Pflegepläne überprüft wurden, dann dass
ihre Anweisungen immer wieder in Frage gestellt worden sind, dass die
Belegschaft auch dann zum Teil an ihr vorbei aufgefordert worden ist, Fehler
zu suchen und da gabs dann auch einzelne Personen im Umfeld, die gezielt
sozusagen zur Überwachung ihrer Vorgesetzten eingesetzt wurden.
Musikakzent
O-Ton Esser
Mobbing selber ist ‘n Prozess, der sich über Wochen, Monate und Jahre
zuspitzt, kultiviert wird, geduldet wird und … diejenigen, die wirklich Mobbing
betreiben, haben vor, dass die Person, die sie da attackieren, aus diesem
Bereich verschwindet, oder dass sie sozial oder beruflich zerstört wird.
Autorin
Axel Esser ist Psychologe und Buchautor. Sein Thema: Mobbingprävention.
Bundesweit schult er Betriebsräte, Personalräte und kirchliche
Mitarbeitervertretungen. Seine Erfahrung: Personalverantwortliche in
Betrieben, Behörden und Organisationen spielen Mobbing gern herunter als
ganz normalen Konflikt. Doch ein normaler Konflikt, so Esser, zielt auf
Interessenausgleich. Er kann offen ausgetragen werden und nach fairen
Regeln. Genau das wollen Mobber nicht. Sie zetteln so genannte
asymmetrische Konflikte an, die unfair ausgetragen werden.
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O-Ton Esser
Und Mobbing wird ja insbesondere deswegen eingesetzt, weil ich nicht die
Macht habe, jemand anders unmittelbar zum Beispiel zu kündigen. Mobbing
ist ja so ‘ne subtile und so ’ne langandauernde Psychobelästigung,
Psychoangriffe, die irgendwo auch die Schwäche der Mobber eigentlich
signalisieren, sie kriegen es anders nicht hin.
Autorin
Mobbing als Methode der Personalplanung. Auch in den großen christlichen
Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden wird diese Methode praktiziert. Das
klingt zunächst paradox, weil die Kirchen in gewisser Weise Vorreiter sind bei
der Prävention. In den 1990er Jahren, als große Betriebe privatisiert und
umstrukturiert wurden, entpuppte sich Mobbing als ernst zu nehmendes
Problem. Damals waren es die Kirchen, die mit offenen Beratungsangeboten
reagierten: zunächst der evangelische kirchliche Dienst in der Arbeitswelt,
dann die katholische Betriebsseelsorge.
O-Ton Esser
Ich sag mal, was speziell zum kirchlichen Bereich meine Erfahrung ist. Das
deckt sich auch mit anderen Institutionen, die so das Gute wollen. Also das
passiert durchaus auch in Gewerkschaften, in politischen Parteien, wo man
sich sozusagen mit allen Kräften einsetzt für ein bestimmtes Konzept zur
Rettung der Menschheit. Und da werden interne Konflikte oft unterdrückt.
Weil, wir sind ja für das Gute, wir haben das richtige Programm und das darf
nicht rauskommen, dass wir intern vielleicht uneins sind und alle müssen
funktionieren. Und die, die irgendwie nicht passen oder die Widerworte
geben oder Widerworte geben könnten oder nicht so funktionieren wie sie
sollen, dass man die dann durch Mobbing kleinmacht oder eben rausekelt.
O-Ton Mitarbeitervertreter
Meine Aufgabe ist, den Kolleginnen und Beschäftigten dabei zu helfen, ihre
Rechte wahrzunehmen und ihnen dabei den Rücken zu stärken und
gegebenenfalls auch Schild und Speer zu sein.
Autorin
Ein Beschäftigter der Diakonie Württemberg, von seinen Kollegen zum
Mitarbeitervertreter gewählt.
O-Ton Mitarbeitervertreter
Wenn mich beispielsweise ne kranke Kollegin Freitagmittags anruft, weil ihr
Chef sie gerade angerufen hat und ihr mitteilte, dass sie am nächsten Tag,
weil samstags sie ja nicht krankgeschrieben ist, sie ihren Dienst aufnehmen
muss, dann ist es schon meine Aufgabe, dem Chef zu sagen, dass es so nicht
geht.
Autorin
Der Mitarbeitervertreter widersetzt sich auch, wenn etwa Kolleginnen gegen
ihren erklärten Willen den Arbeitsplatz wechseln sollen. Oder wenn
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Vorgesetzte krankmachende Arbeitsbedingungen verharmlosen. Auf
Probleme hinzuweisen, ist die Aufgabe des Mannes. Jedoch erlebt er seit
etwa zwei Jahren Ausgrenzungsversuche mit typischen Mobbingmethoden.
O-Ton Mitarbeitervertreter
Wenn beispielsweise ‘ne Kollegin auf mich zukommt und sagt, Du, letzte
Woche hast Du übrigens n Gerichtstermin versäumt mit ’ner Jugendlichen
und ich sag, dafür dass ich ihn hätte versäumen können, hätte ich ihn erstmal
rechtzeitig wissen müssen.
O-Ton Zahner
Was wir auch häufig haben in Mobbingkonflikten oder in asymmetrischen
Konflikten, dass man den Leuten plötzlich irgendwelche Fehlleistungen
unterstellt, wo sie dann unter Rechtfertigungsdruck geraten, den Stress erhöht
und damit auch ganz gezielt Fehler generiert.
O-Ton Mitarbeitervertreter
Oder wenn es Begehungen für die Arbeitssicherheit gibt, ich da eingeladen
bin vom Technischen Leiter und anschließend der Dienstgeber mich wieder
auslädt, weil wer weiß, was ich dann anschließend wieder daraus konstruiere.
Autorin
Bloßstellen, demütigen, die Arbeitsleistung in Frage stellen – das bleibt nicht
ohne Wirkung.
O-Ton Mitarbeitervertreter
Das lähmt die Arbeit insgesamt. Früher, wo ich in ‘ner Situation drei Zeilen per
E-Mail verschickt hätte, sitze ich jetzt ‘ne Viertelstunde davor und prüfe jedes
Wort und jedes Satzzeichen und schau, ob da nicht dann noch irgendetwas
anschließend gegen mich verwendet werden könnte.
Autorin
Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas leisten soziale
Arbeit: Altenpflege, Kinderbetreuung, Schuldnerberatung,
Obdachlosenversorgung, Erziehung schwieriger Jugendlicher, Betreuung
Behinderter. Diese Aufgaben werden von der öffentlichen Hand refinanziert
oder mitfinanziert. Doch Bund, Länder und Gemeinden fahren ihre Ausgaben
zurück. Um am Markt konkurrenzfähig zu bleiben, sparen auch Diakonie und
Caritas am Personal.
O-Ton Mitarbeitervertreter
Letztendlich leistet sich die Diakonie den Luxus, schlecht mit den
Beschäftigten umzugehen, weil sie mit den Kostenträgern sonst vernünftig
verhandeln müssten. Sie geben lieber den Druck der Kostenträger nach unten
durch und … da, wo Kolleginnen und Kollegen sagen, so kann‘s nicht
weitergehen, das sind Arbeitsbelastungen, die gehen einfach nicht, da
nehmen sie das sehr persönlich und reagieren dann auch sehr angegriffen.
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Musikakzent
O-Ton Geigges
Ich werd sehr oft zu Vorträgen immer wieder eingeladen, auch in kirchlichen
Institutionen, wo dahinter immer stand, da gibt’s massive Konflikte, die dürfen
nicht angesprochen werden.
Autorin
Werner Geigges ist Chefarzt der psychosomatischen Rehaklinik Glotterbad im
Schwarzwald.
O-Ton Geigges
Wo sofort klar war, dass die nicht ‘n Expertenwissen wollen, das wussten die
alles, die wussten über Konfliktdynamiken, Mobbingprozesse, sondern es war
ein Versuch, überhaupt über Konflikte zu sprechen, schwelende Konflikte, in
irgendeiner Form ‘n Podium dafür zu bieten. Und insbesondere die Kirchen:
Da ist das überhaupt nicht vorgesehen, eine offene und öffentliche
Konfliktkultur, die bejaht wird.
Autorin
Unter Experten gilt der Satz: Je weniger konfliktfähig eine Organisation, umso
größere ist die Wahrscheinlichkeit asymmetrischer, unfair ausgetragener
Konflikte. Und die machen krank.
O-Ton Geigges
Es gibt ja Untersuchungen dazu, dass ungefähr elf Prozent der Patienten in
psychosomatischen Rehakliniken Mobbingbetroffene sind und dann nochmal
weitere 23 Prozent eskalierende Arbeitsplatzkonflikte an Hintergrund haben.
Bei diesen Patienten, die kommen, muss man zwei Gruppen unterscheiden.
Die einen, die sind richtig traumatisiert durch Konflikterfahrungen. Wir haben in
der Gruppe relativ häufig posttraumatische Belastungsstörungen mit
gravierenden Auswirkungen auf die Gesundheit, auf deren Leben …
Autorin
… und das heißt auch, auf das Leben der ganzen Familie. Oft sind es die
Angehörigen, die darauf drängen, dass durch Mobbing Erkrankte sich ärztlich
behandeln lassen.
O-Ton Geigges
Weil das zerstört richtig Familienleben, Beziehungen, die Betroffenen reden
Tag und Nacht nur von dem, was ihnen geschehen ist, kommen überhaupt
nicht mehr weg, die können sich nicht mehr entspannen, die können sich auf
überhaupt kein normales Leben mehr einlassen und viele Beziehungen, auch
Ehen, scheitern an der Stelle, weil das einfach unerträglich wird, das so ‘n
Familienleben von diesen Konflikten und Themen ganz bestimmt wird.
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Autorin
Die andere Gruppe von Patienten, so Werner Geigges, kommt mit einer
Vielzahl psychischer und psychosomatischer Symptome in die Klinik.
O-Ton Geigges
Mit Schmerzzuständen unspezifischer Art, Kopfschmerzen, Magen-DarmStörungen, Herzbeschwerden, Nervosität, depressiven Symptomen wie
Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Alpträume, Gereiztheit. Und es geht
darum, diese Symptomatik neu verstehen zu lernen vor dem Hintergrund
belastender Situationen im Arbeitsleben.
Autorin
Wie viele Menschen leiden am Arbeitsplatz unter Mobbing? Werner Geigges
vermeidet es, sich auf Zahlen festzulegen. Denn die letzte flächendeckende
Untersuchung stammt aus dem Jahr 2002. Allerdings kursieren Schätzungen,
wonach etwa jeder siebte Berufstätige von Mobbing schon einmal betroffen
war. Die Prävention bleibt trotzdem schwierig. Einerseits wird der Begriff
Mobbing inflationär benutzt und oft missbraucht, um von eigenen
Schwächen abzulenken und stattdessen den Chef oder Kollegen schlecht
aussehen zu lassen. Andererseits ist das Thema Mobbing in vielen Betrieben
nach wie vor ein Tabu. Erkrankte verstecken sich daher auch hinter einer
akzeptierteren Diagnose.
O-Ton Geigges
Denn wir sehen in den klinischen Populationen, dass bei mindestens einem
Drittel der Betroffenen, die mit Burnout auch sich an die Klinik und an die
Ambulanz wenden, eskalierende Arbeitsplatzkonflikte ne entscheidende Rolle
spielen.
Autorin
Mobbing ist ein teures Tabu. Betroffene zahlen mit ihrer Gesundheit und
verlieren oft ihren Arbeitsplatz. Auch Betriebe zahlen immer drauf. Denn am
teuersten sind Mitarbeiter, die zwar anwesend aber nicht voll bei der Sache
sind. Etwa weil sie physisch oder psychisch unter Druck stehen. Und die
Gesellschaft bezahlt Mobbing mit einem immer teurer werdenden
Gesundheitssystem. Für die Deutsche Rentenversicherung in Württemberg war
das 2008 der Anlass, gemeinsam mit der Reha-Klinik Glotterbad die
Mobbinghotline Baden-Württemberg ins Leben zu rufen. Das
Beratungsangebot, mittlerweile umbenannte in Konflikthotline, wird
mitgetragen von Gewerkschaften, Kirchen, Kranken- und Unfallkassen sowie
dem Sozialministerium in Baden-Württemberg.
O-Ton Geigges
2008 bis Ende 2014 waren das so etwa 23.000 Anrufe, die eingegangen sind
und das waren ungefähr 8.000 Beratungsgespräche, die stattgefunden
haben und von daher ist es ein klarer Bedarf, der sich darin ausweist …
6
Autorin
…sagt der Psychosomatiker Werner Geigges. Aus seiner Sicht ist entscheidend
für Beratung und Therapie:
O-Ton Geigges
Dass wir keine einfachen Opfer-Täter-Muster im Hintergrund haben, sondern
Arbeitsplatzkonflikte als interaktionelle Konflikte beschreiben, wo es die
Betroffenen gibt, wo es Vorgesetzte, Mitarbeiter und wo es den Betrieb in
seiner Kultur gibt.
Musikakzent
Autorin
Welche Kultur herrscht im Betrieb Kirche? Und inwiefern begünstigt diese Kultur
Mobbing? Aufschlussreich ist ein Blick in die Kirchengemeinden. Dort sind
Konflikte zwischen Pfarrer und Kirchenvorstand oder Presbyterium, also dem
ehrenamtlichen Leitungsgremium, keine Seltenheit. Spitzen diese Konflikte sich
zu, räumen Pfarrer meist von sich aus das Feld und bewerben sich auf eine
andere Stelle. Rolf Thumm ist Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland
und mittlerweile im Ruhestand. Er wollte im Konflikt mit einer Kollegin sowie
einigen Presbytern nicht klein beigeben.
O-Ton Thumm
Ich hatte die Gemeinde, so habe ich es empfunden, auf meiner Seite.
Tausende von Unterschriften wurden gesammelt, für die Fortsetzung meiner
Arbeit haben sich die Leute in überwiegender Zahl ausgesprochen. Als die
Sache sich zuspitzte, habe ich dann erlebt, dass die Kirchenleitung die Dinge
so ganz anders handhabte, als ich das für möglich gehalten habe. Man
erhob Vorwürfe gegen mich, die jeder Grundlage entbehrten. Zum Beispiel,
ich hätte eine Orgel bestellt im Wert von 350.000 Euro. Aber als ich dann in
einem Gespräch im Landeskirchenamt diese Vorwürfe alle entkräftet hatte,
da sagte mir die juristische Dezernentin: Herr Pfarrer Thumm, wir brauchen
keine Gründe, um sie des Amtes zu entheben. Wir brauchen keine Gründe.
Autorin
Das liegt an den Pfarrdienstgesetzen der Landeskirchen. Die EKD-Synode hat
diese Gesetze im Jahr 2010 vereinheitlicht. Demnach darf die Landeskirche
einen Pfarrer nur dann gegen seinen Willen versetzen, wenn ein besonderes
dienstliches Interesse vorliegt. Zum Beispiel, so wörtlich, wenn eine nachhaltige
Störung in der Wahrnehmung des Dienstes festgestellt wird. Die liegt etwa vor,
wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Kirchenvorstand und Pfarrer zerstört
ist. Der Knackpunkt im Gesetz:
Zitat aus § 80 (1) Pfarrdienstgesetz EKD
Die Gründe für die nachhaltige Störung müssen nicht im Verhalten oder in der
Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen.
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Autorin
Das bedeutet: Kirchenvorsteher, die ihrem Pfarrer nicht grün sind, haben ein
relativ leichtes Spiel. Mit Gerüchten, Unterstellungen und Anschuldigungen
lässt sich das Klima schnell vergiften. Und die Praxis zeigt: Nicht die
Kirchenvorsteher müssen gehen, sondern der Pfarrer. Erst wird er in den
Wartestand versetzt, dann meist in den Ruhestand abgeschoben, weil er
keine gleichwertige Stelle mehr findet. Eine Katastrophe für die Betroffenen,
ihre Familien und für die Gemeinden, findet Sabine Sunnus vom Verein DAVID.
Der Verein engagiert sich gegen Mobbing in der Evangelischen Kirche und
unterstützt Pfarrer in der Auseinandersetzung mit ihren Landeskirchen. Sabine
Sunnus beschreibt ihre Erfahrung mit leitenden Kirchenfunktionären:
O-Ton Sunnus
Und das Handeln widerspricht halt wirklich den theologischen Einsichten. Es ist
also ein solcher Widerspruch zwischen Reden und Handeln, dass der wirklich
zum Himmel schreit. Deshalb komme ich dazu, zu behaupten, dass da die
theologische Dimension beim Handeln keine Rolle mehr spielt.
O-Ton Maurer
Wir brauchen bessere Gesetze, ja, Gesetze, die in dem Fall konkret Menschen
besser schützen, die ‘ne ordentliche Arbeit machen, die sich nichts
zuschulden kommen lassen, es braucht keine Regelungen, die Einfallstore
bilden für eine Willkür.
Autorin
Friedhelm Maurer ist Vorsitzender des evangelischen Pfarrvereins im
Rheinland.
O-Ton Maurer
Also der richtige Weg wäre ja, dass ‘ n Gemeindeglied dann den Pfarrer
anspricht und sagt, also hier, da war etwas, das gefällt uns nicht, da können
wir schlecht mit umgehen, lass uns mal drüber reden, ja. Es wird dann oft der
Weg direkt schon nach oben genommen, Beschwerde beim
Superintendenten, da mag auch noch n gewisses Obrigkeitsdenken in unserer
Kirche vorhanden sein, wenn es jetzt ‘n Beschwernis gibt mit dem Pfarrer.
Autorin
Maurers Kollege Hartmut Zweigle, Vorsitzender des evangelischen Pfarrvereins
in Württemberg, beobachtet eine grundsätzliche Veränderung.
O-Ton Zweigle
Die Vorstellung, dass alles profitabel sein muss, dass das alles effektiv gestaltet
sein muss, dass der Mensch nur noch nach Leistung beurteilt wird, das hire
and fire, also die Denke, die ja in den letzten 20 Jahren Raum gewonnen hat,
die spielt natürlich auch in unserer Kirche ‘ne Rolle, also man könnte sagen,
auch neoliberales Denken ist nicht ganz ohne Spuren in der Seele geblieben
und hat leider auch das Verhältnis untereinander unbarmherziger gemacht.
Die Kirche ist ja immer auch ‘n Spiegelbild der Gesellschaft natürlich. Man
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wünschte sich, dass in der Kirche oft ‘ne Gegenwelt gelebt, das ist leider
häufig nicht der Fall.
Autorin
Dass Kirche keine Gegenwelt ist, hat auch Daniel Bühling erfahren.
Ausgebildet in einem kaufmännischen Beruf, entschloss er sich mit Anfang 20
katholischer Priester zu werden. Schon im Priesterseminar erlebte er eine
Spaltung in zwei Lager: Liberale und Konservative.
O-Ton Bühling
Wenn man sich jetzt da nicht darauf einlässt, auf die konservative Linie zu
gehen, dann spürt man sehr schnell Gegenwind von der konservativen
Richtung. Und bei mir war das so, dass natürlich in so einem Seminar, das ist
eine kleine Welt, Mobbing am besten funktioniert, indem Gerüchte gestreut
werden, Gerüchte über Beziehungen, dass einem Beziehungen angedichtet
werden, dass einem homosexuelle Beziehungen angedichtet werden und
solche Vorwürfe natürlich aus der Welt zu schaffen, das ist sehr sehr schwer,
macht einem das Leben natürlich auch schwer in so einem Seminar.
Autorin
Daniel Bühling kehrte schließlich der Kirche den Rücken. Über seine
Erfahrungen hat er ein Buch geschrieben. Daraufhin bekam er zahlreiche
Rückmeldungen und Briefe von Menschen, die Mobbing in der Kirche selbst
erlebt haben.
O-Ton Bühling
Eine junge Frau, 28, Pastoralreferentin, in einer Pfarrei eingesetzt, und das
Mobbing sieht in diesem Fall so aus, dass zum Beispiel ihr Vorgesetzter, das ist
immer der Geistliche, der Pfarrer, sie mit Aufgaben überhäuft, die ein Mensch
allein zum Beispiel überhaupt nicht stemmen kann. Sie versucht‘s natürlich,
weil sie weiß, sie ist unter Beobachtung und wenn sie dann natürlich sagen
muss, sie hat dieses Pensum eben allein in der vorgegebenen Zeit nicht
erreicht, dann geht’s eben im nächsten Schritt darum, dass ihr vorgeworfen
wird von Seiten des Pfarrers, sie ist nicht belastbar für diesen Job, sie soll sich
‘ne andere Aufgabe suchen und dann geht’s wieder in diese kirchliche
Vorstellung, sie soll doch lieber nur Hausfrau und Mutter sein, denn das ist
doch eigentlich das, was ihr zugedacht ist.
Autorin
Daniel Bühling unterstellt katholischen Priestern nicht generell
Frauenfeindlichkeit. Er unterscheidet etwa zwischen vergleichsweise liberalen
Bistümern im Norden und Bistümern mit erzkonservativer Mentalität im Süden.
Aber das von ihm zitierte Beispiel steht für ein verbreitetes Phänomen.
O-Ton Zahner
Eine relativ klassische Konstellation sehe ich, dass sich Vorgesetzte von
Mitarbeiterinnen subjektiv bedroht fühlen. Sprich: Häufig, wenn sich
männliche Vorgesetzte von besonders fähigen Frauen im
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Untergebenenbereich bedroht fühlen, haben wir diese Problematik, wo dann
sozusagen prophylaktisch gemobbt wird. Das ist etwas, was aber überall
vorkommt, nicht spezifisch kirchlich ist.
Autorin
Wird in der Kirche gemobbt, bricht für die Betroffenen meist eine Welt
zusammen, weiß Betriebsseelsorger Martin Zahner. Weil ein krasser
Widerspruch entsteht zwischen erlebter Realität und den Werten, für die die
Organisation Kirche steht.
O-Ton Zahner
Bei einer Werteorientierung ist es so, dass normalerweise der Beschäftigte sich
drauf verlässt, dass die Werte der Organisation auch eins zu eins gelebt
werden und gar nicht überprüft, ob es hier zu Verstößen kommt. Und das führt
dann dazu, dass dann erstens, wenn es tatsächlich dazu kommt, die
Enttäuschung umso größer ist: Das hätt ich nie erwartet in einer solchen Firma,
solchen Organisation! Das zweite ist, dadurch, dass sie nicht überprüft
werden, ist die Versuchung, gegen die Werte zu verstoßen, natürlich ungleich
höher.
Musikakzent
Autorin
Nun kann man kirchlichen Arbeitgebern nicht pauschal vorhalten, sie täten
nichts gegen Mobbing unter dem eigenen Dach. Die Württembergische
Landeskirche etwa regelt per Dienstvereinbarung das Verfahren bei
innerbetrieblichen Konflikten. Allerdings gilt die Vereinbarung nicht
flächendeckend. Oder die Diözese Rottenburg-Stuttgart: Sie hat eine
Mobbingkommission etabliert. Die hat allerdings einen entscheidenden
Konstruktionsfehler, meint Regina Nagel. Sie ist die Vorsitzende der diözesanen
Arbeitsgemeinschaft, in der sich die 230 Mitarbeitervertretungen der
verfassten Kirche zusammengeschlossen haben.
O-Ton Nagel
Wenn dort ein Mitarbeiter hingeht zur Mobbingkommission, darf er jederzeit
einen Mitarbeitervertreter seines Vertrauens mitnehmen. Aber in der
Kommission selber, die ist tatsächlich ausschließlich arbeitgeberbesetzt.
Andererseits kann man natürlich daraus, dass es fast keine Fälle bei der
Mobbingkommission gibt, schon schließen, dass die Mitarbeiter sehr
zurückhaltend sind.
Autorin
Womöglich, weil sie ahnen, was unter Experten als gesicherte Erkenntnis gilt:
Wenn in einem Betrieb gemobbt wird, steckt dahinter sehr oft ein Problem der
Führung. Regina Nagel sagt es noch entschiedener.
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O-Ton Nagel
Also Mobbing halt ich schon grundsätzlich für ein Führungsproblem. Selbst
wenn diese Führungspersönlichkeit in den konkreten Konflikt überhaupt nicht
einbezogen ist, glaube ich, dass es einen Unterschied macht, ob jemand aus
einer konfliktfähigen Haltung die Leitung eines Betriebs hat oder keine Ahnung
oder kein Interesse.
Autorin
Aus welcher Haltung heraus werden die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände
geführt? Gewiss kann man die leitenden Kräfte nicht über einen Kamm
scheren. Allerdings fällt auf, wie häufig kirchliche Arbeitnehmer ihrem
Arbeitgeber eine Dienstherrenmentalität bescheinigen. Hartmut Zweigle,
Pfarrer der Württembergischen Landeskirche, war fast 20 Jahre lang
Betriebsseelsorger:
O-Ton Zweigle
Ja, das gibt’s, ohne Wenn und Aber, zum Teil natürlich auch, weil sie
überhaupt nicht einsehen, dass Mitarbeiter auch Mitbestimmungsrechte
haben und dass man nicht von oben nach unten durchdekretieren kann.
Man kann ja über Betriebsräte und Mitbestimmung sagen, was man möchte.
Aber es regelt Konflikte. Und deshalb ist da in vielen kirchlichen Bereichen
glaube ich noch Nachholbedarf.
Autorin
Auf welchem Nährboden kann diese Mentalität gedeihen? Die Kirchen
haben eine grundgesetzlich garantierte Sonderstellung. Sie dürfen ihr eigenes
Arbeitsrecht gestalten. Ob sie als zweitgrößter Arbeitgeber in Deutschland
damit gut für die Zukunft gerüstet sind, wird sich womöglich schneller zeigen,
als ihnen lieb ist. Wenn nämlich die nächste Wirtschaftskrise kommt, wenn
weniger Steuern fließen und auch die Kirchen Stellen abbauen müssen. Der
Betriebsfrieden wird dann auch davon abhängen, ob Konflikte als etwas
Natürliches gelten und ob sie fair gelöst werden.
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