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Buchbesprechungen
Auer, Johann:
Das Evangelium
der
Gnade. Die neue Heilsordnung
durch
die Gnade
Christi
in seiner
Kirche.
(Kleine katholische Dogmatik, hrsg. von
Johann
Auer
und
Josef
Ratzinger,
Bd. V.) Pustet, Regensburg 1970.
Kl.-S ,
256 S. - DM 12,80.
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J. Auer legt hier den ersten Teilband
eines neuen kurzgefaßten Lehrbuches
der D o g m a t i k für Theologen vor, das
den ganz unprätentiösen T i t e l »Kleine
katholische Dogmatik« trägt. I n einer
Zeit, da die wachsende D i f f e r e n z i e r u n g
der D o g m a t i k u n d die Spezialisierung
der Forschung immer mehr zu großen
Sammelwerken und zu Gemeinschaftsarbeiten drängt, die dann nicht selten die
innere Geschlossenheit vermissen lassen,
d a r f ein solches Einzelunternehmen als
eine w e r t v o l l e Ergänzung angesehen
werden, das dem Bedürfnis nach einem
geschlossenen, i n d i v i d u e l l geprägten und
eindeutig ausgerichteten L e h r e n t w u r f
entgegenkommt.
Dabei sollte die Absicht zur »Kurzverfassung« nicht i m Sinne einer inhaltlichen Beschränkung und eines Verzichtes auf den inneren Reichtum der dogmatischen Lehre mißverstanden werden.
Diesem Mißverhältnis steht nicht nur
der systematische Z u g des Werkes entgegen, der bewußt auf die Erfassung des
über den Teilen stehenden Ganzen geht,
Buchbesprechungen
sondern auch die inhaltliche Fülle des
Buches, das i n vierzehn K a p i t e l n u n d
47 Paragraphen das vielfarbige Spekt r u m der i n der traditionellen D o g m a t i k
so genannten »Gnadenlehre« entfaltet.
Was m i t der »Kurzfassung« gemeint ist,
erklärt sich bei genauerem H i n b l i c k als
K o n z e n t r i e r u n g auf die wesentlichen
Aussagen der i n der H e i l i g e n Schrift
grundgelegten u n d für das gegenwärtige
Glaubensverständnis besonders d r i n g l i chen Gnaden-Thematik. D i e zuletzt genannte A k z e n t u i e r u n g erfolgt aber nicht
in der extremen Weise, die das gegenwärtige Glaubensbedürfnis als den einzigen
Maßstab der E n t f a l t u n g der Heilslehre
und der H e i l s w i r k l i c h k e i t anerkennt.
Das Buch bietet i m Gegenteil auch eine
beachtliche A u s w e r t u n g u n d A n w e n dung der Geschichte der Gnadenlehre.
Sie w i r d hier allerdings nicht u m ihrer
selbst w i l l e n u n d als bloßer Wissensstoff
dargeboten, sondern dient dem geschichtlichen Verstehen der Problematik
und der Vorbereitung neuer Lösungsversuche.
D i e G e w i c h t i g k e i t des zuletzt genannten Grundsatzes läßt schon das E i n l e i tungskapitel erkennen, i n dem »Zugänge
zur Gnadenlehre« aus der geistigen Situation unserer Z e i t eröffnet werden. H i e r
scheut der Verfasser nicht v o r der Behauptung zurück, daß die Gnadenlehre
eigentlich v o n einer dem heutigen W e l t und Selbstverständnis entgegenlaufenden G r u n d h a l t u n g ausgehe: der Selbstgesetzlichkeit der autonomen V e r n u n f t
und dem prometheischen Pathos des
»homo secundus Deus« steht das metaphysisch-personale u n d das transzendierende Denken des v o n der O f f e n b a r u n g
betroffenen Menschen gegenüber. D a ß
der Verfasser d a m i t keinem Dualismus
das W o r t redet u n d keinen O f f e n b a rungspositivismus i m Sinne K . Barths
v e r t r i t t , zeigt v o r allem die Berücksichtigung des v o n i h m sogenannten »heilsgeschichtlichen Existentials« der G n a -
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d e n w i r k l i c h k e i t , die nicht i n statischer
V o r f i n d l i c h k e i t gegeben ist, sondern
sich i n der Begegnung Gottes m i t dem
geschichtlichen Menschen vollzieht, der
m i t allen seinen Eigentümlichkeiten u n d
Voraussetzungen i n dieses Geschehen
einbezogen ist.
D e r Grundkategorie des geschichtlich
Personalen verpflichtet, beginnt diese
»Gnadenlehre« m i t der Erörterung des
wirksamen
allgemeinen Heilswillens
Gottes, der den B l i c k sogleich auch i n
die Tiefen des Prädestinations- u n d Reprobationsgeheimnisses führt. Ohne die
Unterscheidung zwischen dem Gewicht
der biblischen Prädestinationsbotschaft
und der weniger ausdrücklich h e r v o r t r e tenden Reprobationswahrheit zu übersehen, spricht sich J. Auer eindeutig gegen
die Leugnung des Gerichtes und des e w i gen Gerechtigkeitswillens Gottes aus,
wie sie i n der Richtung der alten A p o katastasislehre liegt, die eine gewisse
A b w a n d l u n g u . a. auch i n der christologischen Engführung K . Barths (Christus
als der einzig Verworfene) gefunden
hat. M a g vielleicht an dieser Stelle der
schwere Anstoß, den das Denken gegenüber
dem
Reprobationsgeheimnis
empfinden muß, noch nicht gänzlich geklärt sein, so erfolgt diese Klärung (sow e i t sie überhaupt möglich ist) doch
kontinuierlich i n den weiteren Überlegungen über die »Rechtfertigung« u n d
das »Wesen der heiligmachenden G n a de«, i n denen der anthropologische u n d
der »eschatologische« Aspekt der Gnade
die gebührende Akzentuierung erfahren.
H i e r u n d i n der Auseinandersetzung m i t
der Lehre der Reformatoren (die d u r c h aus mögliche Verbindungslinien z u m k a tholischen Dogma erkennen läßt) erfährt
die Freiheit des Menschen »im A n t l i t z
des heilsgeschichtlichen Gottes« ihre entscheidende W e r t u n g , die als geschöpfliche
Freiheit i n die
prometheische
Selbstbeharrlichkeit u n d Selbstverschließung umschlagen k a n n u n d i n der »Ver-
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z w e i f l u n g an sich selbst« (der neue H e i degger), i n der revolutionären U m w e r tung aller Werte (Fr. Nietzsche) u n d i m
»Ekel am Sein« (J. P. Sartre) sich selbst
u m die Frucht der Erlösung bringt.
Die Gewichtigkeit des a n t h r o p o l o g i schen Momentes erfährt eine besondere
Akzentuierung i n den abgewogenen Gedanken über die »Erkennbarkeit der
Gnade«, i n der t r o t z allem berechtigten
Personalismus aufrecht erhaltenen D i f ferenz zwischen dem einwohnenden
Heiligen Geist u n d der m i t dieser personalen Begegnung geschenkten innermenschlichen W i r k u n g der Gnade wie
auch i n der Verhältnisbestimmung z w i schen der menschlichen N a t u r u n d dem
»Übernatürlichen«. Bei der letztgenannten T h e m a t i k ist zwar auf eine weitläufige Diskussion der modernen, i m A n schluß an das »desiderium naturale i n
visionem
beatificam«
entwickelten
Theorien verzichtet (de Lubac, H . U r s
v. Balthasar, K . Rahner, M . Schmaus),
aber doch durch die Betonung einer dem
Menschen
unbewußt
einwohnenden
Sehnsucht nach dem Besitz des höchsten
Gutes wie durch die Hervorhebung der
inneren Kapazität der potentia oboedientalis jeder Extrinsezismus abgewiesen.
Eine letzte Bedeutungssteigerung erfährt das personal-geschichtliche Strukturmoment dieser Gnadentheologie, i n
der die Gnade unter einer neuen charakteristischen Formulierung auch als die
Erfüllung des »sich selber auf das
Unendliche Überschreitens u n d des F i n dens des absoluten Du« gekennzeichnet
w i r d , i n den Erwägungen über das
menschliche »Wirken i n der Gnade«.
Schon die für dieses Thema gewählte
G r u n d f o r m e l (»Wirken i n der Gnade«),
die sich vielleicht unvermuteter Weise
m i t dem heute auch v o n der evangelischen Theologie zugegebenen » I n - W i r ken i n der Gnade« ( W . Joest) berührt,
beweist den Gegensatz zur Auffassung
eines naiven Synergismus bezüglich des
Heilstuns des Menschen. A n ihr w i r d
aber auch aufgewiesen (vor allem i m
K a p i t e l über »Wesen und Sinn der guten
Werke«), daß das M i t w i r k e n des M e n schen i n der Gnade im Sinne der N a c h folge Christi als unabdingbare V e r l e i b l i chung des gnadenhaften Gottverhältnisses i n R i c h t u n g auf den Nächsten u n d
auf die W e l t zu gelten hat.
So bietet J. Auer i n diesem Werk eine
durchaus eigenständige geschichtlich-anthropologisch gewendete
Bearbeitung
des i n den traditionellen Lehrbüchern
oftmals spekulativ verfremdeten G n a dentraktes. Sie darf als geglückter W u r f
einer modernen Theologie angesprochen
werden, die dem bleibenden Anspruch
des Offenbarungszeugnisses und seiner
kontinuierlichen
Entfaltung
gerecht
w i r d , die aber auch trotz ihrer leicht lesbaren u n d eingängigen Ausdrucksform
den Erfordernissen theologischer W i s senschaftlichkeit
vollauf
Rechnung
trägt.
München
Leo
Scheffczyk