Im Notfall bitte zahlen Mit Selbstzahler-Sprechstunden und schnellen Terminen gegen Gebühr bessern Fachärzte auf Kosten der gesetzlich Versicherten ihre Kassen auf. Kann das gut gehen? Das Bundesministerium für Gesundheit ist inzwischen auf die Missstände aufmerksam geworden. „Die Selbstzahler-Sprechstunde ist wie ein Flug-Upgrade von Economy- auf BusinessClass, für all jene, die eine individuelle Premium-Lösung abseits des Quartalsdenkens bevorzugen“, heißt es auf der Webseite eines Augenarztes aus Ladenburg, einer Kleinstadt zwischen Mannheim und Heidelberg. Bundesweit bieten immer mehr Ärzte sogenannte Premium-Sprechstunden gegen Bares an. Gleichzeitig häufen sich die Beschwerden von Patienten über unzumutbar lange Wartezeiten auf einen Facharzttermin. Einige Patienten berichten auf dem Beschwerdeportal der Verbraucherzentrale Nordrheinwestfalens sogar über kurzfristige Facharzttermine nur gegen Gebühr. Mit Selbstzahler- oder Komfort-Sprechstunden lässt sich zusätzliches Geld verdienen. Doch wann ist das überhaupt rechtens? Die ärztliche Berufsordnung hat klar geregelt, für welche Leistungen ein Arzt Geld verlangen darf. Demnach ist es durchaus legitim, gesetzlich Versicherten seine ärztlichen Leistungen, sofern diese nicht durch die gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, in einer Selbstzahler-Sprechstunde anzubieten. Diese Termine dürfen selbstverständlich auch kurzfristig vergeben werden. Keine Expresszuschläge für Akutpatienten Kritisch wird es dann, wenn Akutpatienten einen schnellen Termin möchten. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein-Westfalens klärt auf: „Expresszuschläge für Akutpatienten verstoßen gegen die ärztliche Berufsordnung und können mit einem Disziplinarverfahren geahndet werden.“ Denn Vertragsärzte müssen Akutpatienten als Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen behandeln. Bietet ein Arzt einem Akutpatienten ausschließlich einen Selbstzahler-Termin an, sieht die Kassenärztliche Vereinigung dieses Vorgehen als ein unzulässiges Abdrängen in die Privatbehandlung an. Notfallpatienten sind in der Selbstzahler-Sprechstunde also tabu. Das IGeL-Schlupfloch Wer sich als Arzt nicht direkt für einen kurzfristigen Termin bezahlen lassen möchte, nimmt nicht selten den Umweg über die Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL). Immer wieder berichten Patienten im Beschwerdeportal der Verbraucherzentrale davon, nur dann zeitnah behandelt zu werden, wenn sie eine Individuelle Gesundheitsleistung in Anspruch nehmen. „Hautkrebsscreeningnur, wenn ich 50 Euro zahle. Ansonsten auf Kassenleistung erst einen Termin in 4 Monaten“,berichtet ein Patient. Oder: „Ich wollte Anfang Juli einen Termin beim Augenarzt haben. Als gesetzlich Krankenversicherter wollte mir die Sprechstundenhilfe nur dann einen Termin geben, wenn ich eine kostenpflichtige erweiterte Augenuntersuchung in Anspruch nehmen würde. Da ich dies ablehnte, bekam ich keinen Termin mehr in diesem Jahr und für das nächste Jahr gäbe es noch keinen Kalender!“ „Erstmal Bares“ gar nicht selten Eine nicht repräsentative Stichprobe des ARD-Magazins FAKT ergab: 15 von 50 Facharztpraxen bieten schnellere Termine gegen Bezahlung an. Drei der Praxen wiesen sogar selbständig bei der Terminvergabe auf das Prozedere hin. Wer als Patient über die gesetzlichen Kassenleistungen hinaus und vor allem schneller behandelt werden möchte, muss dafür bezahlen. Kassensprechstunden müssen Vertragsärzte nur an 20 Stunden pro Woche anbieten. Den Rest können Ärzte den besser zahlenden Privatpatienten oder Selbstzahlern anbieten. Doch sind Komfortsprechstunden fair? Oder bessern hier Ärzte ihre Kassen auf Kosten der gesetzlich Versicherten auf, die bei einer Ausweitung der Selbstzahler-Sprechstunden noch länger auf einen Termin warten müssen? Ohne Selbstzahler am Rande der Belastbarkeit DocCheck sprach mit einem Facharzt für Allgemeinmedizin, der auf Selbstzahlerund Privat-Sprechstunden verzichtet. Auch schnellere Termine für Privatversicherte oder Selbstzahler gibt es bei ihm nicht. „Damit habe ich schon so manchen Privatpatienten verärgert“, berichtet Dr. Ufuk Balimuhac. Der türkischstämmige Arzt betreibt eine Praxis in Berlin-Kreuzberg, wo nur wenige Privatpatienten ansässig sind. „Ich habe Verständnis für die Kollegen, die Selbstzahler-Sprechstunden anbieten“, sagt er. Bei Fallpauschalen von um die 35,Euro pro Patient und Quartal könne er die Praxis nur mit vielen Überstunden einigermaßen wirtschaftlich führen. Das sei kräftezehrend und bringe ihn oft an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Schwankende Regelleistungsvolumina bereiten Dr. Balimuhac zudem immer wieder Kopfschmerzen, „denn finanzielle Sicherheit sieht anders aus“. „Ohne Zweifel“, sagt er, „Selbstzahler-Sprechstunden schonen die Nerven, den Geldbeutel und letztendlich die eigene Gesundheit.“ Ob diese Art der Praxisführung moralisch korrekt sei, darüber könne man streiten. Politik greift ein Auch das Bundesministerium für Gesundheit ist inzwischen auf die Missstände in der Versorgung gesetzlich Versicherter aufmerksam geworden. Das neue Versorgungsstärkungsgesetz, das am 23. Juli 2015 in seinen wesentlichen Teilen in Kraft getreten ist, soll nun Abhilfe schaffen: Die kassenärztlichen Vereinigungen bekämen mehr Befugnisse, um zu überwachen, „ob Vertragsärzte [ihren] […] Versorgungsauftrag tatsächlich erfüllen“. Ob das allerdings die Wurzel allen Übels ist, bleibt fraglich.
© Copyright 2024 ExpyDoc