Wirtschaftsrecht | Aufsätze Staechelin · Haben die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) ausgedient? Dr. Gregor Staechelin, RA Haben die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) ausgedient? Erwiderung auf den Beitrag von Steinborn/Wege, BB 2015, 2568 ff. Der Beitrag von Steinborn und Wege in BB 2015, 2568 (Heft 43) gibt Anlass zum Nachdenken, aber auch zum Widerspruch. Zweifel bestehen bereits an dem Verständnis der beiden Autoren von der Zielausrichtung der dort besprochenen Allgemeinen Deutschen Transport- und Lagerbedingungen (DTLB). Ferner stellt sich die Frage, ob ihre Sicht einer angemessenen Haftungs- und Risikoverteilung zwischen Verladern, also Unternehmen, die Logistikleistungen beauftragen einerseits und Transport- oder Logistikunternehmern andererseits noch zeitgemäß ist. Es stellt sich schließlich die Frage, ob in Anbetracht des Umfangs, der Häufigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung von Verkehrsverträgen nicht auch Platz für Bedingungen sein kann, die jenseits des Zurufgeschäftes, aber diesseits ausführlicher Rahmenverträge stattfinden. Mit anderen Worten: auch mittelständische Verlader haben legitime Interessen. I. Haftung, Versicherung und Kostenverteilung Steinborn/Wege stellen überblicksweise die verkehrsvertraglichen Haftungen nach dem HGB und den ADSp 2003 dar. Bereits ihre einleitende These, dass Rechtsprechung und Lehre davon ausgehen, dass die ADSp bereits dann wirksam in einen Verkehrsvertrag einbezogen werden, wenn der Auftraggeber weiß oder wissen muss, dass ein Logistiker nach den ADSp arbeiten will, ist zweifelhaft. Erst in der Fußnote wird darauf hingewiesen, dass dies im Schrifttum umstritten ist und der BGH sich hierzu seit dem Transportrechtsreformgesetz nicht mehr geäußert hat.1 Darüber hinaus war es die Besonderheit der ADSp als Bedingungswerk gerade, dass sie für lange Zeit Empfehlung beider Marktseiten, also der Verlader und der Transportunternehmer war. Dies ist nun gerade nicht mehr der Fall.2 Die Autoren weisen auf die Verzahnung von Haftungs- und Versicherungskonzepten hin. Hieraus kann aber keineswegs der Schluss gezogen werden, dass ein Haftungskonzept, wie die ADSp es vorsehen, durch die Versicherungswirtschaft indiziert ist. Vielmehr ist absehbar, dass diese auch DTLB-Policen kurzfristig anbieten wird, so wie sie auch solche für die Logistik-AGB3 angeboten hat. Das Haftungskonzept der ADSp, aber eingeschränkt auch des HGB, bildet in wesentlichen Aspekten noch die Zeiten des Rollfuhrunternehmers ab, nicht aber des hochprofessionellen Logistikers unserer Tage. Verlader, die hochwertige Güter (elektronische Bauteile, Pharmazeutika, Medizinprodukte, Kosmetika, Tabakwaren etc.) transportieren lassen wollen, verzweifeln regelmäßig an den auf Kilogramm berechneten Haftungsgrenzen. Diesen Grenzen ist in Anbetracht der rigiden Rechtsprechung des BGH zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen gerade auch im B2B-Verkehr4 nur schwer zu entkommen.5 Der Nachweis dafür, dass eine über den Rahmen des § 449 HGB hinausgehende Abwei- 2828 chung von den Haftungsgrenzen6 nach oben hin individuell ausgehandelt wurde, ist mit vertretbarem Aufwand kaum zu führen. Das immer wieder gerne für die Begründung der Haftungshöchstgrenzen7 herangezogene Preisargument greift dabei zu kurz. Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass der Verlader im Zweifelsfalle eine eigene Versicherung eindecken muss, um Güterschäden adäquat vorbeugen zu können. Trägt ein Transportunternehmer mehr Haftungsrisiko, so erhöhen sich seine Prämien für die Verkehrshaftungsversicherung und dies drückt sich natürlich im Preis aus. Dies pauschal als unerwünschte Folgen für die Versicherungsprämie zu bezeichnen, geht aber fehl. Gerade mittelständische Unternehmer sind oft genug daran interessiert, nicht noch selbst eine zusätzliche Güterschadensversicherung eindecken zu müssen, sondern wünschen sich das, was man neuerdings eine One-Stop-Shop-Möglichkeit nennt. Insoweit ist sogar für die Frage Raum, ob die DTLB nicht zu kurz greifen, wenn sie in Ziff. 7.1.1 generell zunächst auf den gesetzlichen Haftungsrahmen (HGB, CMR, Montrealer oder Warschauer Übereinkommen, COTIF-CIM, CMNI etc.) verweisen. Jedenfalls bleiben sie, was die Haftungshöhe angeht, mit Blick auf die Möglichkeiten, die § 449 HGB bietet, durchaus bescheiden. Es kann also keine Rede davon sein, die Verlader hätten hier ihre durchaus legitimen Interessen an einer höheren Haftung der Transportunternehmer ausgereizt. Dem One-Stop-Shop-Gedanken trägt auch Ziff. 2.1.1 DTLB Rechnung, der für Rahmenverträge eine kurzfristige Ablehnung des Transportunternehmers verlangt, wenn dieser Aufträge gemäß der Vorschau nicht übernehmen kann oder will. II. Einzelaspekte der DTLB Vernichtende Kritik üben Steinborn/Wege an Ziff. 6.2 der DTLB, wonach mit der vereinbarten Fracht oder Vergütung im Zweifelsfall alle in Zusammenhang mit dem Verkehrsvertrag stehenden Leistungen abgegolten sein sollen. Sie tun dies insbesondere mit Hinweis darauf, 1 Dass insbesondere die stillschweigende Einbeziehung kraft Verkehrssitte heute zweifelhaft ist, erläutern Koller, Transportrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 11 ff. vor Ziff. 1 ADSp und Bahnsen, MüKo/HGB, 3. Aufl. 2014, Rn. 12, Vorbemerkungen ADSp. Ob die ADSp weiter an Verkehrsgeltung verlieren werden, nachdem BDI, BGA, BWVL und HDE sich von diesen losgesagt haben, kann eigentlich kaum ernsthaft in Frage stehen. 2 Insoweit erscheint die Fn. 1 von Steinborn/Wege dergestalt unzutreffend, dass von einer gemeinsamen Empfehlung der verladenden und transportierenden Wirtschaft eigentlich nur in der Vergangenheitsform gesprochen werden kann. 3 Zu diesen Wieske, VersR 2006, 336 ff. 4 Zuletzt etwa BGH, 22.11.2012 – VII ZR 222/12, BB 2013, 403 Ls, NJW 2013, 856. 5 Bereits die erstmalige Verwendung einer Klausel kann diese zu AGB machen, wenn sie zur mehrfachen Verwendung konzipiert ist, BGH, 11.12.2003 – VII ZR 31/03, BB 2004, 243, NJW 2004, 1454. 6 § 449 HGB erlaubt in AGBs Haftungen lediglich bis zu 40 Sonderziehungsrechten pro Kilogramm Rohgewicht der Sendung. 7 Wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder seine Leute vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein herbeigeführt hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit entstehen würde, entfällt die Haftungsbegrenzung nach § 435 HGB sowieso. Betriebs-Berater | BB 47.2015 | 16.11.2015 Aufsätze | Wirtschaftsrecht Staechelin · Haben die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) ausgedient? dass dem Transportunternehmer Zusatzkosten aufgebürdet werden. Allerdings enthält die Regelung erhebliche Einschränkungen für die Gesamtabgeltung. Abgegolten sein sollen Nachforderungen für den Fall des regelmäßigen Verlaufes der Beförderung oder Lagerhaltung und bei unregelmäßigem Verlauf nur „vorhersehbare Zusatzkosten“. Dies erscheint durchaus sachgerecht, da der Transportunternehmer der Spezialist ist, auf dessen Sicht und Kalkulation sich gerade der mittelständische Verlader verlassen können sollte. Der Beitrag der Autoren nimmt hier offenbar die Perspektive eines „echten“ Spediteurs ein, der nicht zu fixen Kosten arbeitet, sondern im Wege der Geschäftsbesorgung Logistikleistungen nur organisiert. Ob diese seltene Spezies zum Ausgangspunkt einer generellen Betrachtung gemacht werden sollte, darf bezweifelt werden. Eine ganz andere Frage ist, worauf die Autoren zu Recht hinweisen, dass die DTLB lediglich Fracht- oder Lagerverträge regeln wollen. Dies hindert allerdings nicht an einer gewillkürten Einbeziehung der DTLB auch in einen Speditionsvertrag. Weitere Kritik erfahren die DTLB deswegen, weil sich der Logistiker an elektronischer Datenübertragung beteiligen, er Notfallkonzepte entwickeln und sich an Kennzahlen messen lassen soll. Diese Kritik ist verfehlt. Gerade für Logistikleistungen als Massengeschäft drängt es sich förmlich auf, die Möglichkeiten der modernen elektronischen Kommunikation zu nutzen, wo sinnvoll und praktikabel. Ziff. 2.4.1 der DTLB stellt die Datenfernübertragung außerdem ausdrücklich unter den Vorbehalt einer entsprechenden Vereinbarung. Eine andere Frage ist, ob die Regelung glücklich ist, wonach der Auftragnehmer, also Frachtführer oder Lagerhalter, die geeignete Schnittstelle zum Datenverarbeitungssystem des Auftraggebers sicherstellen soll. In Zeiten, in denen Logistiker immer mehr Aufgaben innerhalb der Supply Chain übernehmen (Stichwort Kontraktlogistik) und Verlader sich daher gegenüber ihren Kunden vom Funktionieren und der Zuverlässigkeit der Leistungen des Logistikers abhängig machen, ist Vorsorge für Notfälle angebracht. Die Folgen eines Ausfalls des Logistikers oder erheblicher Betriebsstörungen können für den Verlader fatale Folgen haben. Konzepte für die Supply Chain Security sind daher in aller Munde8 und finden vermehrt Verbreitung auch in Rahmenverträgen. Es erscheint nur angemessen, dass Verlader diesem Bedürfnis auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Rechnung tragen wollen. Kennzahlenerhebungen für die Bemessung des Qualitätsniveaus von Logistikleistungen sind im Massengeschäft ebenfalls naheliegend. Solche Service-Level-Agreements sind in Rahmenvereinbarungen heute weit verbreitet. Sie dienen häufig und zu Recht der Konkretisierung der Leistungsanforderungen und bestimmen häufig auch die Vergütungshöhe mit. Für den Einzelfrachtauftrag sind sie sicherlich überflüssig, dafür aber auch nicht gedacht. Die DTLB stellen sich als durchaus modernes Bedingungswerk dar. Sie berücksichtigen Compliance-Anforderungen (z. B. Mindestlohn in Ziff. 2.7, Anforderungen des GüKG und generelle Achtung der Menschenrechte und sozialen Mindeststandards in Ziff. 9), ebenso wie den Umweltschutz (Einsatz energiesparender sowie lärm- und schadstoffreduzierter Fahrzeuge in Ziff. 3.1.2). Dies kommt nicht von ungefähr, sondern ist Ausdruck der Tatsache, dass Hersteller und Händler vermehrt in die Pflicht genommen werden, Compliance und Umweltschutzanforderungen nicht nur selbst zu erfüllen, sondern auch ihre Vertragspartner daraufhin zu verpflichten. Betriebs-Berater | BB 47.2015 | 16.11.2015 III. AGB und Kartellrecht Natürlich müssen sich Verbandsbedingungen, so wie andere Allgemeine Geschäftsbedingungen auch, am Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen messen lassen. Interessanterweise ist eine der Quellen des deutschen Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gerade in der Transportwirtschaft zu finden. Dieses deutsche Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen stellt einen international wohl einzigarten Eingriff in die Vertragsfreiheit im Zivilrecht dar. Es erlaubt eine weitgehende Inhaltskontrolle dessen, was Parteien (auch Unternehmer untereinander) im Rahmen ihrer Privatautonomie vereinbaren. Sinn und Zweck ist der Schutz der als schwächer angesehenen Partei davor, dass der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen seine vermeintliche oder tatsächliche Verhandlungsmacht in einer Weise ausnutzt, die sich zu weit vom gesetzlichen Leitbild entfernt. Historisch hat zunächst das Reichsgericht Vertragsbedingungen für sittenwidrig und gemäß § 138 BGB als unwirksam angesehen, die unter Ausnutzung einer Monopolstellung auferlegt wurden. Die einschlägigen Sachverhalte betrafen damals im Wesentlichen Transportverträge. Der Bundesgerichtshof hat dann den Maßstab der Sittenwidrigkeit dieser Rechtsprechung um die Grundsätze von Treu und Glauben im Rahmen des § 242 BGB erweitert. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung dann im Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und inzwischen in die §§ 305 ff. BGB inkorporiert. Der ursprünglich angedachte Schutz der schwächeren Vertragspartei hat sich inzwischen weitgehend relativiert, da die Inhaltskontrolle von Klauseln heute auch sehr weitgehend im rein unternehmerischen Geschäftsverkehr Anwendung findet. Ob Ziff. 6.2 DTLB am AGB-Recht, insbesondere § 307 BGB scheitern wird, wie Steinborn/Wege meinen, steht noch dahin. Prinzipiell lässt das AGB-Recht den privatautonomen Parteien nämlich bei der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung ihre unternehmerische Freiheit, übt also keine Inhaltskontrolle aus.9 Dass die DTLB nunmehr nicht mehr eine Empfehlung der Verbände beider Marktseiten sind, sondern einseitig, unterscheidet sie AGB-rechtlich zunächst nicht von anderen Bedingungen.10 Kartellrechtlich hingegen sind Verbandsempfehlungen nicht unproblematisch, weil sie als wettbewerbsbeschränkende Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und letztlich als abgestimmte Verhaltensweisen aufgefasst werden können.11 Gleiches wird auch für die zu erwartenden Nachfolgebedingungen für die ADSp 2003 gelten. Mit solchen Herausforderungen sind aber auch andere Branchen schon erfolgreich umgegangen.12 Mit kartellrechtlichen Erleichterungen dürfte in Zukunft auch für die ADSp 2003 nicht mehr argumentiert werden, da die Verladerverbände sie nun nicht mehr empfehlen13 und sie sich daher nur noch als Empfehlung von auf einer Marktseite tätigen Unternehmern, also Wettbewerbern, darstellen. 8 Unternehmen können sich z. B. nach ISO 28000 (Supply Chain Security) zertifizieren lassen. 9 Nachweise bei Roloff, in: Erman, BGB, Kommentar, 13. Aufl. 2011, Rn. 17 zu § 307. Die BGH-Entscheidung vom 15.1. 1987 – I ZR 198/84, BGHZ 99, 321 – kann hier schwerlich als Leitentscheidung angesehen werden, weil es darin um die Frage ging, ob die damaligen Festtarife, die Palettenkosten bei Verladern zuordneten, disponibel sein sollten. 10 Vgl. die Bedingungswerke für einzelne Verkehre wie Schwertransport, Hafenumschlag, Konossementsbedingungen, Möbeltransport und -lagerung, Kühlhauslogistik etc. 11 Bahnsen, MüKo/HGB, 3. Aufl. 2014, Rn. 5, Vorbemerkungen ADSp. 12 Man denke etwa an die Musterbedingungen des GDV (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft) oder des VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) oder schließlich Musterbedingungen des DTV (Dachverband Textilpflege). 13 Vgl. Pressemeldung auf www.logistik-heute.de vom 11.9.2015 (Abruf: 1.11.2015). 2829 Wirtschaftsrecht | Entscheidungen EuGH · 21.5.2015 – C 322/14 IV. Fazit und Ausblick Es bleibt abzuwarten, ob die DTLB eine hohe Verbreitung finden werden.14 Entgegen der Einschätzung von Steinborn/Wege sind sie, insbesondere für mittelständische Unternehmen in längerfristigen Beziehungen mit ihren Logistikern, durchaus interessensgerecht. Mit Spannung darf auch erwartet werden, was der DSLV als Nachfolgebedingungen für die ADSp 2003 vorlegen wird und unter welchem Titel. Gemeinsame Empfehlungen der verladenden und transportierenden Wirtschaft sind mittelfristig offenbar nicht mehr zu erwarten. Dies eröffnet sicherlich mehr Spielraum für Vertragsverhandlungen und wird zu erhöhtem Beratungsbedarf für Verträge führen, bei denen sich Verlader und Logistiker auf die jeweils anderen Verbands-AGB nicht verständigen können. Den Autoren ist beizupflichten, dass viele Unternehmen, Logistiker und Verlader ihr Heil in jeweils eigenen Unternehmens-AGB suchen werden. Ob die ADSp damit tatsächlich ausgedient haben, oder zumindest marginalisiert werden, wird die Zukunft zeigen. Dr. Gregor Staechelin, RA, ist Partner der internationalen Kanzlei Taylor Wessing am Standort Frankfurt a. M. Er ist spezialisiert auf die Beratung deutscher und internationaler Unternehmen in Fragen des Handels- und Wirtschaftsrechtes, insbesondere des Vertriebsrechtes. Er berät zur gesamten Supply Chain und damit auch im Bereich Transport und Logistik. 14 Anderen Bedingungswerken, wie den Logistik-AGB, ist dies nach allgemeinem Eindruck nicht gelungen. EuGH: Gerichtsstandsvereinbarung durch „click wrapping“ EuGH, Urteil vom 21.5.2015 – C 322/14, Jaouad El Majdoub/CarsOnTheWeb. Deutschland GmbH, ECLI:EU:C:2015:334 Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2015-2830-1 unter www.betriebs-berater.de TENOR Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist in dem Sinne auszulegen, dass bei einem auf elektronischem Wege geschlossenen Kaufvertrag wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, durch das sogenannte „click wrapping“ eine elektronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung dieser Vereinbarung ermöglicht, im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn dabei das Ausdrucken und Speichern des Textes der Geschäftsbedingungen vor Abschluss des Vertrags ermöglicht wird. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel-I-VO) Art. 23 AUS DEN GRÜNDEN Zur Vorlagefrage 20 Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 23 Abs. 2 der Brüssel-I-Verordnung in dem Sinne auszulegen ist, dass bei einem auf elektronischem Wege geschlossenen Kaufvertrag wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, durch das sogenannte „click wrapping“ eine elektronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung dieser Vereinbarung ermöglicht, im Sinne dieser Bestimmung darstellt. … Im Ausgangsverfahren ist zu prüfen, ob die Einbeziehung einer in AGB enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung durch „click wrapping“ den in Art. 23 Abs. 2 der Brüssel-I-VO vorgesehenen Voraussetzungen genügt 22 Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass die in Rede stehenden allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, nach der für Rechtsstreitigkeiten wie die des Ausgangsverfahrens ein Gericht in Leuven zuständig ist. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist jedoch 2830 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org) der Auffassung, dass die Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen durch „click wrapping“ nicht den in Art. 23 Abs. 2 der Brüssel-I-Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen genüge, da sich das Fenster mit den allgemeinen Geschäftsbedingungen weder bei der Registrierung auf der Website noch bei einem Geschäftsabschluss automatisch öffne. Die Gerichtsstandsvereinbarung könne ihm daher nicht entgegengehalten werden. Somit ist zu prüfen, ob unter diesen Umständen die Gültigkeit einer Ge- 23 richtsstandsvereinbarung, die in einem Vertrag enthalten ist, der im Sinne von Art. 23 Abs. 2 der Brüssel-I-Verordnung auf elektronischem Wege geschlossen wurde, in Frage gestellt werden kann, wenn „click wrapping“ verwendet wurde. Hierzu ist vorab darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut von Art. 23 24 Abs. 1 der Brüssel-I-Verordnung die von den Vertragsparteien in einer Gerichtsstandsvereinbarung festgelegte Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats grundsätzlich ausschließlich ist. Zu ihrer Wirksamkeit muss die Gerichtsstandsvereinbarung entweder schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung oder in einer Form geschlossen werden, die den zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten oder im internationalen Handel einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten. Gemäß Abs. 2 dieses Artikels sind „[e]lektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, … der Schriftform gleichgestellt“. Die in Art. 23 der Brüssel-I-Verordnung aufgestellten Voraussetzungen 25 sind eng auszulegen, da diese Bestimmung sowohl die nach dem allgemeinen Grundsatz des Gerichtsstands am Wohnsitz des Beklagten gemäß Art. 2 dieser Verordnung begründete Zuständigkeit als auch die besonderen Zuständigkeiten nach den Art. 5 bis 7 dieser Verordnung ausschließt (vgl. entsprechend Urteil MSG, C-106/95, EU:C:1997:70, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung). Mit Art. 23 Abs. 1 der Brüssel-I-VO soll sichergestellt werden, dass eine Willenseinigung der Parteien tatsächlich vorliegt; diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben Erstens ergibt sich aus Art. 23 Abs. 1 der Brüssel-I-Verordnung eindeutig, 26 dass sich sein Anwendungsbereich auf die Fälle beschränkt, in denen die Parteien ein Gericht „vereinbart“ haben. Wie aus dem elften Erwägungsgrund dieser Verordnung hervorgeht, rechtfertigt gerade diese Willenseinigung zwischen den Parteien den Vorrang, der nach dem Grundsatz der Betriebs-Berater | BB 47.2015 | 16.11.2015
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