Landtag von Baden-Württemberg Antrag Stellungnahme

Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 6996
15. Wahlperiode
15. 06. 2015
Antrag
der Abg. Dr. Bernhard Lasotta u. a. CDU
und
Stellungnahme
des Justizministeriums
Erneuter Todesfall in der Justizvollzugsanstalt (JVA)
Bruchsal am 22. Oktober 2014
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welche Erkenntnisse das Justizministerium zu dem laut Medienberichten am
22. Oktober 2014 verstorbenen 52-jährigen Häftling der Justizvollzugsanstalt
Bruchsal inzwischen erlangt hat (Todesursache, Umstände des Todes, Fremdeinwirkung, medizinische Diagnosen und Therapien während der Haftzeit und
insbesondere während des Aufenthalts auf der Krankenstation, Obduktionsergebnisse, staatsanwaltschaftliche Ermittlungsergebnisse etc.);
2. welche (medizinischen und sonstigen) Maßnahmen seitens der JVA Bruchsal
bzw. der behandelnden Ärzte ergriffen wurden, als sich der Verstorbene wegen
Schmerzen in der Brust auf der Krankenstation in der JVA Bruchsal befand;
3. zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Diagnose der Verstorbene in die Krankenstation aufgenommen wurde;
4. wie der Häftling insgesamt bis zu seinem Tode (medizinisch) betreut und behandelt wurde, insbesondere ob er unter ärztlich verordneter Medikation stand;
5. ob Medienberichte zutreffen, dass der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Einlieferns in die Krankenstation nicht von einem Arzt untersucht wurde, da dieser
erst am darauffolgenden Tage wieder auf Station sei;
6. zu welchem Ergebnis die Staatsanwaltschaft bei der Prüfung der Frage gekommen ist, ob die erforderlichen medizinischen Maßnahmen rechtzeitig getroffen
wurden;
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Eingegangen: 15. 06. 2015 / Ausgegeben: 04. 08. 2015
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
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7. wie sich die personelle Besetzung des medizinischen Bereichs der Justizvollzugsanstalt Bruchsal im Zeitraum August 2014/Oktober 2014 konkret dargestellt hat (Krankenstände, Normalbesetzung etc.);
8. wie viele Überlastungsanzeigen von Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt
Bruchsal dem Justizministerium im Zeitraum August 2014/Oktober 2014 vorlagen bzw. bekannt waren;
9. welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen das Justizministerium als zuständige Aufsichtsbehörde aus diesem erneuten Todesfall zieht.
11. 06. 2015
Dr. Lasotta, Hitzler, Pauli, Rau, Rech, Schebesta CDU
Begründung
Laut Medienberichten verstarb ein 52-jähriger Häftling der Justizvollzugsanstalt
Bruchsal am 22. Oktober 2014 bei einem Sturz in der Krankenstation Bruchsal,
ausgelöst vermutlich durch einen Herzinfarkt, nachdem er bereits am Tag zuvor
über Herzbeschwerden geklagt hatte und in die Krankenstation eingeliefert worden
war. Dieser Antrag soll die Umstände dieses erneuten Todesfalls näher hinterfragen und insbesondere der Frage nachgehen, ob die erforderlichen medizinischen
Maßnahmen rechtzeitig durch einen Arzt eingeleitet wurden bzw. ob der Tod vermeidbar gewesen wäre.
Stellungnahme*)
Mit Schreiben vom 27. Juli 2015 Nr. JUM-4401/0119 nimmt das Justizministerium
zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Der Antrag betrifft den am 21. Dezember 1961 geborenen und am 23. Oktober
2014 in der Justizvollzugsanstalt B. verstorbenen Strafgefangenen S. Herr S. befand sich seit dem 24. September 2014 zur Verbüßung mehrerer Ersatzfreiheitsstrafen unter anderem wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und Diebstahls
in Haft. Nach seiner Festnahme wurde er in die Justizvollzugsanstalt A. verbracht
und am 30. September 2014 in die Justizvollzugsanstalt B. verlegt. Das Strafende
datierte auf den 30. November 2014.
1. Welche Erkenntnisse das Justizministerium zu dem laut Medienberichten am
22. Oktober 2014 verstorbenen 52-jährigen Häftling der Justizvollzugsanstalt
Bruchsal inzwischen erlangt hat (Todesursache, Umstände des Todes, Fremdeinwirkung, medizinische Diagnosen und Therapien während der Haftzeit und
insbesondere während des Aufenthalts auf der Krankenstation, Obduktionsergebnisse, staatsanwaltschaftliche Ermittlungsergebnisse etc.);
Der Gefangene stürzte am 23. Oktober 2014 gegen 10:10 Uhr im Wartebereich
der Krankenabteilung in der Justizvollzugsanstalt B. und zog sich eine mehrfache
Schädelfraktur zu. Trotz sofort eingeleiteter Reanimierungsmaßnahmen und der
umgehenden Hinzuziehung des Notarztes verstarb der Gefangene.
Noch am selben Tag leitete die Staatsanwaltschaft K. zur Untersuchung eines
Fremdverschuldens am Tod des Gefangenen ein Ermittlungsverfahren ein und veranlasste die Obduktion des Verstorbenen durch das Institut für Rechtsmedizin der
Universität H. Da der Gefangene bereits in der Nacht vom 22. Oktober auf den
23. Oktober 2014 über gesundheitliche Beschwerden geklagt hatte, beauftragte die
*) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt.
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Staatsanwaltschaft ein ergänzendes Gutachten zu der Frage, ob die in der Justizvollzugsanstalt B. getroffenen Maßnahmen aus medizinischer Sicht ausreichend
waren.
Mit Verfügung vom 18. März 2015 stellte die Staatsanwaltschaft K. das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ergaben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein todesursächliches
Fremdverschulden. Das mit der Obduktion des Leichnams beauftragte Institut für
Rechtsmedizin der Universität H. kam zu dem Ergebnis, dass als Todesursache ein
frischer Herzinfarkt sehr wahrscheinlich ist. Hinweise auf eine Beteiligung einer
anderen Person am Sturzgeschehen ergaben sich nicht.
2. welche (medizinischen und sonstigen) Maßnahmen seitens der JVA Bruchsal
bzw. der behandelnden Ärzte ergriffen wurden, als sich der Verstorbene wegen
Schmerzen in der Brust auf der Krankenstation in der JVA Bruchsal befand;
In der Nacht vom 22. Oktober auf den 23. Oktober 2014 meldete sich der Gefangene gegen 1:20 Uhr beim Nachtdienst. Er wurde umgehend in die Krankenabteilung gebracht und dort vom diensthabenden Sanitäter untersucht. Da sich nach
der Durchführung von Puls- und Blutdruckmessungen sowie eines Elektrokardiogramms keine infarktverdächtigen Auffälligkeiten ergaben, ergriff der Sanitäter
keine weiteren Maßnahmen, vereinbarte jedoch mit dem später Verstorbenen, dass
sich dieser am nächsten Morgen beim Anstaltsarzt vorstellen solle. Dementsprechend wurde der Gefangene am Vormittag des 23. Oktober 2014 in der Krankenabteilung vorgestellt, wo er vor einer Untersuchung durch den Arzt im Flurbereich
am Fuße einer Treppe stürzte und verstarb.
3. zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Diagnose der Verstorbene in die Krankenstation aufgenommen wurde;
Der Gefangene wurde zu keiner Zeit stationär in der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt B. aufgenommen. Wie bereits unter Frage 2 ausgeführt, wurde der
Gefangene in der Nacht auf den 23. Oktober 2014 vom diensthabenden Sanitäter
in der Krankenabteilung ambulant behandelt und anschließend wieder auf seinen
Haftraum verbracht. Am nächsten Morgen wurde er erneut der Krankenabteilung
vorgestellt.
4. wie der Häftling insgesamt bis zu seinem Tode (medizinisch) betreut und behandelt wurde, insbesondere ob er unter ärztlich verordneter Medikation stand;
Nach seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt B. am 30. September 2014 wurde der Gefangene noch am selben Tag – wie grundsätzlich alle in der Justizvollzugsanstalt B. neu aufgenommenen Gefangenen – der Krankenabteilung vorgestellt. Dabei ergaben sich keine Auffälligkeiten.
Am 2. Oktober 2014 verordnete der Anstaltsarzt dem Gefangenen für die Nacht
ein Medikament mit schlafanstoßender Wirkung, das er bereits vor Haftantritt von
seinem behandelnden Hausarzt erhalten hatte. Am 17. Oktober 2014 stellte sich
der Gefangene wegen Obstipation in der ärztlichen Sprechstunde vor, woraufhin
ihm ein Abführmittel verordnet wurde. Eine weitere Vorstellung in der Krankenabteilung erfolgte erst wieder wegen der Beschwerden in der Nacht auf den
23. Oktober 2014.
Trotz der kurzen Vollzugsdauer führte der Gefangene Gespräche mit dem Sozialdienst.
5. ob Medienberichte zutreffen, dass der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Einlieferns in die Krankenstation nicht von einem Arzt untersucht wurde, da dieser
erst am darauffolgenden Tage wieder auf Station sei;
Wie bereits unter Frage 2 ausgeführt, wurde der Gefangene in der Nacht auf den
23. Oktober 2014 vom diensthabenden Sanitäter behandelt und sollte am nächsten
Morgen dem Anstaltsarzt vorgestellt werden. Die Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt B. ist nicht durchgehend mit einem Arzt besetzt. In der Nachtzeit
werden die Gefangenen von einem Sanitätsbeamten betreut, der im Einzelfall über
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die Notwendigkeit einer Vorstellung im nahegelegenen Krankenhaus bzw. über die
Hinzuziehung eines Notarztes entscheidet.
6. zu welchem Ergebnis die Staatsanwaltschaft bei der Prüfung der Frage gekommen ist, ob die erforderlichen medizinischen Maßnahmen rechtzeitig getroffen
wurden;
Zu der Frage, ob die in der Nacht vom 22. Oktober auf den 23. Oktober 2014
getroffenen Maßnahmen aus medizinischer Sicht ausreichend waren, wurde durch
die Staatsanwaltschaft – wie bereits unter Frage 1 ausgeführt – ein Gutachten des
Instituts für Rechtsmedizin eingeholt. Wie sich aus der Einstellungsverfügung vom
18. März 2015 ergibt, waren nach diesem Gutachten die von Seiten der Justizvollzugsanstalt B. tatsächlich durchgeführten Maßnahmen nicht zu beanstanden. Die
Alarmierung eines Notarztes sei aus rechtsmedizinischer Sicht nicht zwingend notwendig gewesen. Auch könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt
werden, dass weitere, vorliegend nicht durchgeführte Untersuchungen des Blutes
auf das Vorhandensein herzspezifischer Enzyme zur Diagnose eines Herzinfarkts
geführt hätten und der Gefangene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
bei einer Überweisung in ein Krankenhaus überlebt hätte. Eine Kausalität zwischen Unterlassen dieser Zusatzuntersuchungen und dem Eintritt des Todes sei
damit nicht nachweisbar.
7. wie sich die personelle Besetzung des medizinischen Bereichs der Justizvollzugsanstalt Bruchsal im Zeitraum August 2014/Oktober 2014 konkret dargestellt hat (Krankenstände, Normalbesetzung etc.);
Der Hauptanstalt der Justizvollzugsanstalt B. stehen derzeit zehn Stellen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Krankenabteilung zur Verfügung, die alle besetzt sind. Hinzu kommen zwei weitere Bedienstete in Ausbildung. Ferner ist im
Bereich der Krankenabteilung eine tariflich beschäftigte Schreibkraft für die dort
anfallende Arbeit eingesetzt. Daneben können im Notfall weitere Bedienstete mit
entsprechend gelagerten Fähigkeiten (Arzthelferinnen oder Arzthelfer) zusätzlich
eingeteilt werden.
Der Dienstplan wird durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenabteilung entsprechend den dortigen Erfordernissen in eigener Verantwortung erstellt
und vom Anstaltsleiter genehmigt. Im Tagdienst (Früh- und Spätdienst) sind im
Regelfall – wie in vergleichbaren Justizvollzugsanstalten – vier bis fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter größtenteils zeitgleich eingesetzt. In den Monaten August
bis Oktober 2014 war die Krankenabteilung an 38 von 65 Werktagen (Montag
bis Freitag) so und wegen Urlaubs und/oder krankheitsbedingten Ausfällen an 27
Werktagen mit weniger Bediensteten besetzt.
Wie allgemein üblich, war die Krankenabteilung während des genannten Zeitraums im Nachtdienst sowie im Tagdienst am Wochenende regelmäßig mit einer
Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter besetzt.
Die ärztliche Versorgung wurde an allen Werktagen bis zu ihrer Abordnung durch
die damalige hauptamtliche Anstaltsärztin und ab Oktober 2014 durch drei langjährige, erfahrene Vertretungsärzte sichergestellt.
8. wie viele Überlastungsanzeigen von Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt
Bruchsal dem Justizministerium im Zeitraum August 2014/Oktober 2014 vorlagen bzw. bekannt waren;
Im Zeitraum August 2014/Oktober 2014 wurden dem Justizministerium keine
Überlastungsanzeigen von Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt B. bekannt.
9. welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen das Justizministerium als zuständige Aufsichtsbehörde aus diesem erneuten Todesfall zieht.
Eine Überprüfung des konkreten Todesfalls durch das Justizministerium ergab,
dass von Seiten der Justizvollzugsanstalt B. nach dem Sturz des Gefangenen im
Wartebereich der Krankenabteilung umgehend die erforderlichen Maßnahmen
eingeleitet und die Kriminalpolizei vom Sachverhalt in Kenntnis gesetzt wurde.
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Anhaltspunkte für ein todesursächliches Fremdverschulden ergaben sich nicht.
Auch waren nach der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft die von Seiten
der Justizvollzugsanstalt B. tatsächlich durchgeführten Maßnahmen nicht zu beanstanden.
Für das Justizministerium hat die medizinische Versorgung der Gefangenen in den
Justizvollzugsanstalten und im Justizvollzugskrankenhaus eine hohe Bedeutung.
Deshalb wird fortlaufend geprüft, ob weitergehende Maßnahmen zur Verbesserung
der ärztlichen Versorgung – auch im Bereich der Diagnostik von Herzbeschwerden
– ergriffen werden können, und dies im Rahmen von Fortbildungen mit den Ärzten
eingehend erörtert. Zudem wurde eine Expertenkommission zum Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen eingesetzt, die sich insgesamt mit der Struktur des
Gesundheitswesens im Justizvollzug befasst. Die Vorlage des Abschlussberichts
ist für September 2015 vorgesehen.
Stickelberger
Justizminister
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