Thermodynamik 3 (Kinetische Gastheorie)

2.4 Kinetische Gastheorie - Druck und Temperatur im Teilchenmodell
Mit den drei Zustandsgrößen Druck, Temperatur und Volumen konnte der Zustand von Gasen
makroskopisch beschrieben werden. So kann zum Beispiel der Druck in einem großen Gasbehälter
begriffen werden als die Fähigkeit des Gases Kraft auf eine Fläche ausüben zu können. Betrachtet
man die physikalischen Vorgänge in einem Gas jedoch auf mikroskopischer Ebene, so müssen die
Begriffe Druck und Temperatur neu gedeutet werden. Es ist zu klären, wie zum Beispiel einzelne
Gasmoleküle, die sich in einem Gas bewegen, Druck ausüben können oder wie der Begriff
Temperatur eines einzelnen Gasteilchens zu verstehen ist.
Grundannahmen der kinetischen Gastheorie
1. Der Durchmesser der Gasmoleküle ist klein gegen den mittleren Abstand der Moleküle.
2. Die Gasmoleküle üben nur im Augenblick eines Zusammenstoßes Kräfte aufeinander aus.
3. Die Stöße zwischen Gasmolekülen bzw. zwischen Gasmolekülen und der Gefäßwand sind
völlig elastisch (Es gelten Energie- und Impulserhaltungssatz).
4. Die Moleküle bewegen sich völlig regellos (Prinzip der molekularen Unordnung).
2.4.1 Druck im Teilchenmodell
Der Druck von Gasen hat eine einfache mikroskopische Deutung:
Mikroskopisch besteht das Gas aus vielen sich schnell bewegenden Molekülen bzw. Gasteilchen. Die
Teilchen haben eine mittlere Geschwindigkeit vmittel und stoßen mit den Wänden eines Gefäßes
zusammen. Die Zusammenstöße von sehr vielen Teilchen mit einer Gefäßwand erzeugen
makroskopisch einen Druck.
Makroskopisch:
Mikroskopisch:
Volumen:
Molekülmasse:
Druck:
Geschwindigkeit:
Temperatur:
kinetische Energie:
Dichte:
Zahl der Moleküle:
(
)
Herleitung:
Ein Gasteilchen stoße mit der Geschwindigkeit
vollkommen elastisch gegen eine Gefäßwand. Da
die Masse der Wand sehr groß im Vergleich zur Masse des Gasteilchens ist, wird das Teilchen mit der
Geschwindigkeit
reflektiert. Bei diesem Vorgang gilt der Impulserhaltungssatz, der besagt, dass
die Summe der Einzelimpulse vor dem Stoß gleich der Summe der Einzelimpulse nach dem Stoß ist:
© M. Brennscheidt
(Hinweis: Die Impulse und Geschwindigkeiten nach dem Stoß werden hier mit einem „‘„ gekennzeichnet)
Da die Geschwindigkeit der Wand vor dem Stoß gleich Null ist, kann auch
werden und spielt somit für die nachfolgende Rechnung keine Rolle mehr.
Mit der allgemeinen Formel für den Impuls
Aus
gleich Null gesetzt
ergibt sich die Impulsbilanz:
folgt:
Löst man diese Gleichung nach
auf, so erhält man:
Der vom Gasteilchen an die Gefäßwand abgegebene Impuls (kurz: Impulsübertrag) beträgt also:
Betrachtet man nun ein quaderförmiges Gasgefäß mit der rechten Gefäßwand (siehe Abbildung),
so muss zunächst beachtet werden, dass sich die Gasteilchen in der Regel nicht senkrecht auf die
© M. Brennscheidt
Gefäßwand zubewegen. Die Geschwindigkeit eines Teilchens lässt sich „vektoriell“ in drei
Komponenten zerlegen, eine x-, eine y- und eine z-Komponente:
Für den oben berechneten Impulsübertrag und damit letztendlich auch für den entstehenden Druck
spielt lediglich die x-Komponente eine Rolle.
Um den Druck angeben zu können, den die Gasteilchen auf die Gefäßwand ausüben, wird zunächst
berechnet, wie viele Teilchen in einem festgelegten Zeitintervall auf die Gefäßwand treffen:
Ein Teilchen mit der Geschwindigkeit
kann sich in der Zeit
höchstens um die Strecke
bewegen (Gleichung der geradlinig gleichförmige Bewegung). Die Strecke ist die maximale Distanz
die ein Gasteilchen von der Wand A haben kann, damit es die Wand gerade noch in der Zeit
erreicht. In dieser Zeit können also nur Gasteilchen aus einem Quader (violett) mit dem Volumen
auf die Wand treffen.
Vergleicht man die Gasteilchen aus dem Volumen
mit den Gasteilchen aus dem gesamten
Volumen V des Gefäßes, so ergibt sich die Verhältnisgleichung:
Dabei ist
die Anzahl der Gasteilchen in
Es ergibt sich somit für die Teilchenanzahl in
und
Gesamtanzahl der Gasteilchen in .
:
Im Volumen
bewegen sich im Mittel gleich viele Teilchen in positive x-Richtung (nach rechts) wie
in negative x-Richtung nach links. Die Anzahl der Teilchen, die sich in Richtung Gefäßwand A
bewegen, ist somit genau die Hälfte der Teilchen, die sich insgesamt im Volumen
bewegen:
Treffen diese Gasteilchen nun auf die Wand A so wirkt pro Gasteilchen auf die Wand aufgrund des
Impulses die Kraft F:
© M. Brennscheidt
(Dieser Zusammenhang lässt sich sehr leicht anhand einer Einheitenbetrachtung veranschaulichen:
und
Für
)
Teilchen ergibt sich somit die Kraft
Setzt man schließlich noch den Impulsübertrag
wirkende Kraft berechnet werden:
=
ein so kann die auf die Wand
Da die Geschwindigkeit der Moleküle unterschiedlich ist, wird über die Geschwindigkeitsquadrate
gemittelt (Berechnung des Durchschnitts).
Da die Geschwindigkeiten der Moleküle außerdem ungeordnet sind, sind die mittleren
Geschwindigkeitsquadrate von , und gleich groß. Im Durchschnitt ist die Geschwindigkeit also
in allen Richtungen gleich groß. Daher gilt:
Für die Kraft
ergibt sich somit die Formel:
Hieraus kann schließlich sehr einfach  der Druck p berechnet werden:
© M. Brennscheidt
Mit der mittleren kinetischen Energie der Gasmoleküle
ergibt sich:
(Achtung: Der Druck p und der Impuls p haben denselben Buchstaben. Diese dürfen in der obigen
Herleitung nicht verwechselt werden.)
Grundgleichung der kinetischen Gastheorie:
Der Druck in einem idealen Gas beträgt:
Dabei ist
die Anzahl der Gasmoleküle im Volumen
Energie der Gasmoleküle.
und
die durchschnittliche kinetische
2.4.2 Temperatur im Teilchenmodell
Da nun der Druck im Teilchenmodell bekannt ist fällt es nicht schwer auch die Temperatur im
Teilchenmodell zu berechnen. Hierzu wird obige Formel für den Druck (Grundgleichung der
kinetischen Gastheorie) lediglich in die allgemeine Gasgleichung eingesetzt:
mit
ergibt sich:
© M. Brennscheidt
Wie man sieht besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der mittleren kinetischen Energie der
Teilchen, auch „thermische Energie“ genannt, und der Temperatur.
Um die Temperatur angeben zu können kann diese Gleichung nun noch nach aufgelöst werden. In
der Regel wird der Zusammenhang zwischen Temperatur und kinetischer Energie jedoch in obiger
Form angegeben.
Merksatz:
Die makroskopisch in einem großen Volumen messbare Temperatur eines
Gases ist mikroskopisch betrachtet ein Maß für die mittlere kinetische Energie
der Gasmoleküle.
2.4.3 Mikroskopische Deutung des absoluten Nullpunkts
Mit Hilfe des mikroskopischen Zusammenhangs zwischen Temperatur und mittlerer kinetischer
Energie der Teilchen kann jetzt auch der absolute Nullpunkt neu gedeutet werden:
Ein Gas besitzt dann die Temperatur
Wert Null annimmt:
wenn die mittlere kinetische Energie der Teilchen den
Die Teilchen würden sich also bei
in Ruhe befinden. Da sich die Teilchen nicht langsamer als
gar nicht bewegen können, bzw. physikalisch gesprochen die kinetische Energie der Teilchen keinen
negativen Wert annehmen kann, liegt bei der Temperatur
die tiefst mögliche Temperatur,
der absolute Nullpunkt vor.
2.4.4 Ergänzung
Die mittlere kinetische Energie eines Gasmoleküls, das sich in alle drei Raumrichtungen bewegen
kann beträgt im Teilchenmodell:
© M. Brennscheidt
Die drei voneinander unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten (häufig x, y, und z) eines Gasteilchens
bezeichnet man als „Freiheitsgrade“ des Teilchens. Da die Bewegung der Gasteilchen ungeordnet ist
wird dabei keine Bewegungsrichtung bevorzugt. Auf jeden Freiheitsgrad entfällt daher für das
einzelne Teilchen die mittlere thermische Energie
2.4.5 Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung
In der kinetischen Gastheorie kann die Temperatur eines Gases mit Hilfe der mittleren kinetischen
Energie der Gasteilchen angegeben werden. Dabei wurde von einer durchschnittlichen Geschwindigkeit der Gasmoleküle ausgegangen. Es bleibt jedoch zu klären, wie groß die Geschwindigkeit eines
einzelnen Teilchens ist und insbesondere wie häufig eine bestimmte Teilchengeschwindigkeit in
einem Gas mit der Temperatur vorkommt.
Messungen der Teilchengeschwindigkeit in einem Modellgas der Temperatur
Kurvenverlauf:
ergeben folgenden
Im Diagramm ist die Geschwindigkeit der Teilchen gegen die Wahrscheinlichkeit
, ein Teilchen
mit der Geschwindigkeit anzutreffen, aufgetragen. Es ist zu erkennen, dass die Kurve ein Maximum
bei der Geschwindigkeit
annimmt. Dies ist die am häufigsten im Gas anzutreffende
Geschwindigkeit. Obwohl
die häufigste Geschwindigkeit der Teilchen im Gas ist, entspricht sie
nicht der Durchschnittsgeschwindigkeit aller Teilchen im Gas. Dies kann durch den unsymmetrischen
Kurvenverlauf erklärt werden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Gasteilchen beträgt und ist
immer etwas größer als . Hierfür sind insbesondere die sehr schnellen Teilchen im sogenannten
Maxwellschwanz verantwortlich.
mit
© M. Brennscheidt
und
Exkurs: Die hohe Teilchengeschwindigkeit im Maxwellschwanz eines Gases trägt neben dem
Tunneleffekt zur Aufrechterhaltung der Kernfusion in der Sonne bei. Nur Teilchen mit derart hohen
Geschwindigkeiten wie sie im Maxwellschwanz vorkommen, können auch ohne Hilfe des
Tunneleffekts mit anderen Teilchen fusionieren und auf diese Weise den Kernfusionsprozess in der
Sonne aufrechterhalten.
Wird die Temperatur eines Gases erhöht, so verbreitert sich die Maxwell`sche Geschwindigkeitsverteilung und die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen bei der häufigsten Geschwindigkeit
anzutreffen, sinkt:
Für verschiedene Gasarten unterscheiden sich bei gleicher Temperatur T die Geschwindigkeitsverteilungen.
Der Kurvenverlauf der Maxwell‘schen Geschwindigkeitsverteilung kann mit Hilfe folgender Funktion
beschrieben werden:
Maxwell Boltzmann-Verteilung
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